Buchbesprechungen

Deutsche Exilliteratur 1933-1945

von Horst Haase zu Dieter Schiller
Dezember 2010

Dieter Schiller, Der Traum von Hitlers Sturz. Studien zur deutschen Exilliteratur 1933-1945, Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2010, 736 Seiten, 79,- Euro.

Der bekannte Exilliteraturforscher Dieter Schiller legt eine umfassende Sammlung von Texten vor, die seit den 1980er Jahren entstanden und teils bereits an repräsentativer Stelle publiziert sind, aber zumeist in jüngster Zeit gründlich überarbeitet und hier zu einer eindrucksvollen Gesamtschau zusammengeführt wurden. Einige Texte sind als Vorträge entstanden und haben diesen Duktus beibehalten. Die detaillierte Ausführlichkeit und anschauliche Vorstellung all dieser Texte gründet sich nicht zuletzt auf intensive Archivstudien, die manchmal erst, etwa in russischen Archiven, in den letzten Jahrzehnten möglich geworden sind. Seinem Profil entsprechend dominiert bei Schiller das Exil in Frankreich, aber auch Prag, Moskau und Palästina, im Falle Klaus Manns auch die USA, sind berücksichtigt. Der Ansatzpunkt ist die „Exilliteraturforschung im engeren Sinne“, die sich auf die Asylbedingungen, das Verlags- und Pressesystem, die Organisationsformen und Strukturen, die Querverbindungen zwischen den Exilzentren und die gravierenden Auseinandersetzungen zu politischen und literarischen Problemen konzentriert. Abschließend sind diese Arbeiten zu der bis in die 1940er Jahre zurückreichenden Erforschung der antifaschistischen Literatur des Exils in der DDR in Beziehung gesetzt.

Schillers Wertungsmaßstab ist die bis zum heutigen Tag höchst aktuelle Frage, wie im Kampf gegen den Nazifaschismus und die Kriegsvorbereitungen Bündnisse angestrebt und geschlossen wurden und warum sie scheiterten, damals also vor allem das Projekt der antifaschistischen Volksfront, in das emigrierte deutsche Schriftsteller erheblich involviert waren. Heinrich Manns prononcierte Rolle dabei, der Schriftstellerkongress 1935 in Paris, die Versuche nach Deutschland hineinzuwirken und der Anspruch, die deutsche Literatur international zu repräsentieren, die Debatten um den historischen Roman und um das Erbe der avantgardistischen Literatur werden punktuell, aber mit wichtigen und teils noch kaum beleuchteten Aspekten vorgestellt. Schicksale und Positionen in diese Vorgänge eingebundener bekannter als auch weniger bekannter Autoren sind trefflich veranschaulicht.

Zentrale Aufmerksamkeit gilt der Frage, warum diesen Bemühungen nicht dauerhafter Erfolg beschieden war. Dabei wird einerseits der stalinistische Terror, deutlich sichtbar in den Moskauer Prozessen dieser Jahre, als Ursache hervorgehoben, im Weiteren dann die im Nichtangriffspakt mit Hitlerdeutschland für die meisten Beteiligten schwer begreifbare Politik der Sowjetunion, sowie die diese Vorgänge konsequent und unnachsichtig verteidigende Haltung der Komintern und der KPD. Auch der kunststrategische Meinungsstreit, ausgelöst hauptsächlich durch die sowjetische Literatur- und Kunstpolitik mit ihrer Abwertung und Ächtung avantgardistischer künstlerischer Positionen, spielt eine wesentliche Rolle. Auf der anderen Seite ist die jegliche Gemeinsamkeit verweigernde Totalitarismus-Konzeption Leopold Schwarzschilds, seiner Zeitschrift „Das neue Tage-Buch“ und des „Bundes Freie Presse und Literatur“, als maßgeblicher Faktor des Scheiterns der Volksfront ins Kalkül gezogen. Ebenso die Problematik des Verhältnisses von Individualismus und Kollektivismus, wie sie von Autoren wie Robert Musil, Alfred Döblin und Joseph Roth aufgeworfen wurde. Deutlich wird, dass in diesen Auseinandersetzungen, zum Schaden der Sache, Eindeutigkeit oft mehr galt als Differenzierung. Die intensive Sicht auf die Korrespondenzen der Autoren mit den Verlagen und Zeitschriften, nicht zuletzt mit den in Moskau erscheinenden deutschsprachigen Organen der Exilschriftsteller, erhellen diese Probleme in einem Maße wie bisher nirgendwo anders.

Auf einen anderen Fragenkomplex verweist schon der Titel des Sammelbandes. Wie bei verschiedenen gesellschaftlichen Kräften waren auch unter den emigrierten Schriftstellern fehlerhafte Einschätzungen über die Festigkeit und Dauer des Naziregimes weit verbreitet. Schiller legt detailliert dar, wie die Illusion über den baldigen Sturz Hitlers die Auffassungen, das Tun und Schreiben der Autoren beeinflusste und prägte, wie die Wirkung mit publizistischen und literarischen Mitteln nach Deutschland hinein auf die verschiedenste Weise angestrebt und teilweise auch realisiert wurde, jedoch zu keiner Zeit eine beachtenswerte Relevanz erlangte. Die Zeit, in der diese Träume dann tatsächlich Realität wurden und in der auch deutsche Exilschriftsteller ein befreites Deutschland ins Auge fassten, nämlich in den letzten Kriegsjahren, bleibt hier allerdings, ausgenommen der Klaus Mann-Aufsatz, verhältnismäßig unterbelichtet. Das Schwergewicht ist auf jene Jahre gelegt, in der die Träume der Autoren platzten, was nicht selten Resignation und Hoffnungslosigkeit sowie den politischen Frontwechsel, hier am Beispiel Gustav Reglers, zur Folge hatte.

Vor allem bei Arnold Zweig, aber auch in anderen Zusammenhängen, ist die besondere Problematik der jüdischen Emigration behandelt. Die frühe Auseinandersetzung mit der rassistischen Politik der Faschisten, das Verhältnis der politischen Emigration zu den vertriebenen Juden und die damalige Situation in Palästina kommen zur Sprache.

Was die schriftstellerische Produktion anbelangt ist Schiller hier eher auf die Publizistik als auf die allseitige Analyse großformatiger Texte orientiert, doch finden sich wichtige Hinweise auf einzelne Werke, etwa Arnold Zweigs „Bilanz der Judenheit“, Reglers Bauernkriegsroman, Leonhards „Der Tod des Don Quichote“, Döblins „November 1918“. Der Einblick in den Forschungsstand ist souverän. Vermisst wird ein Namensverzeichnis, das die Arbeit gerade mit einem Sammelband erleichtern könnte.

Horst Haase