Barbara Koehn, Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Eine Würdigung, Duncker & Humblot, Berlin 2007, 368 S. , 28 .- Euro
Ganz gegen die Auskunft auf der letzten Umschlagseite des Buches, die Arbeit sei „von einem überparteilichen Standpunkt aus, ohne ideologische Aprioris unternommen“ worden und bemühe sich, „all jenen, die von ihrem Gewissen getrieben zum Kampf auf Leben und Tod bereit waren, gerecht zu werden“, führt sein Inhalt zum entgegen gesetzten Schluss. Die Autorin widmet es in erster Linie der „intellektuellen, moralischen und christlichen Elite Deutschlands“ (S. 28), sein Hauptgegenstand ist „der Widerstand der deutschen Konservativen“ mit der Quintessenz: „Der deutsche Widerstand wurde von Persönlichkeiten organisiert und geeint, die sich in den Sphären der Machtausübung befanden. Sie gehörten dem Groß- und Bildungsbürgertum und dem Adel an, und ihre politischen Überzeugungen neigten dem Konservatismus zu.“ (S. 340) Es sei zwar „zweifelsohne zutreffend, dass die deutschen Arbeiter und ganz bestimmte deutsche Jugendgruppen die ersten waren, die Widerstand gegen das Hitlerregime leisteten, und auch die Kirchen protestierten schon früh gegen eine antichristliche Politik. Aber alle diese Kreise waren unfähig, das Regime zu stürzen. Nur die mit den Arkanen der Macht vertrauten Offiziere und hohen Staatsbeamten konnten der verbrecherischen Diktatur Hitlers ein Ende setzen.“ Dies sei die Besonderheit des deutschen Widerstands gewesen und unterscheide ihn von anderen europäischen Widerstandsbewegungen: „Der Widerstand in Europa wurde meistens von Kommunisten oder Sozialisten organisiert und geleitet. Der deutsche Widerstand dagegen, dessen einziges Ziel der Sturz Hitlers und seines Regimes sowie die Rückkehr zum Rechtsstaat war, wurde hauptsächlich von Bürgern und Adeligen angeführt.“ (S. 341) Folgerichtig ist der Maßstab der Autorin für „den deutschen Widerstand“ die (auch passive, „gedankliche“) Teilnahme an der von konservativen Kreisen ausgehenden Vorbereitung eines Staatsstreichs 1938 und eines Attentats auf Hitler 1939 (verhindert, so muss man, S.230, lesen, durch den „Anschlag auf Hitler“ des Schreiners Georg Elser) sowie eines Attentats von Berlin und eines Staatsstreichs von Paris aus im Juli 1944. Diese geplanten – und allesamt gescheiterten! – Aktionen bilden inhaltlich und vom Umfang her den Schwerpunkt der Publikation mit der zitierten Quintessenz. Und diese ist in Frage zu stellen: Wenn nur die „mit den Arkanen der Macht vertrauten“ konservativen militärischen Kreise fähig und in der Lage waren, der Nazi-Diktatur ein Ende zu setzen, aber das – so wie die anderen Widerstandbewegungen in Deutschland – nicht zu realisieren vermochten, wieso waren sie dann diejenigen, die „den deutschen Widerstand“ „hauptsächlich“ vertraten, organisiert, geeint und geführt haben?
Die hingerichteten adeligen Militärs verdienten, so die Autorin, „die höchste Anerkennung“ (S. 229); ihrem „moralischen und religiösen Engagement“ komme „hohe Bewunderung“ zu (S. 236); sie seien Deutschlands „unabhängigste und ritterlichste Söhne“ gewesen (S. 263); ihr Tod bleibe „für immer der Geschichte als ein Zeugnis menschlicher Würde und Größe eingeschrieben“ (S. 279); sie „opferten sich, damit die Welt sähe, dass es in Deutschland Kräfte gab, die sich trotz des totalen Druckes gegen ein verbrecherisches System erhoben... Und selbst wenn auch ihr Opfer nicht immer verstanden wird, leiht es doch ihrem Handeln eine bleibende Größe.“ (S. 289)
Diese Würdigung führt die Autorin bis hin zur Entschuldigung, ja Rechtfertigung der Kriegsverbrechen, die einige dieser Militärs zuvor begangen hatten. So Generaloberst Hoepner (am 8.8.1944 in Plötzenseee erhängt), der „seit einiger Zeit wegen angeblicher(!) Verbrechen an der russischen Front von deutschen Historikern (gemeint sind die „Messerschmidt-Schule“ bzw. „linke Historikerkreise“ – UP) postum angegriffen worden“ sei. Ihre (überparteiliche? „ohne ideologische Aprioris“ geführte?) Gegen-“Argumentation“ muss hier wegen ihrer Ungeheuerlichkeit vollständig zitiert werden: „Als Beweis dienen (den gemeinten Historikern – UP) Hoepners Befehle an seine Truppe. Sieht man sie sich unvoreingenommen an, so bezeugen sie zum einen Hoepners antikommunistische Einstellung, die für einen ehemaligen Offizier der Reichswehr und Verteidiger des Rechtsstaates (?) nichts Ungewöhnliches (also akzeptabel – UP) ist. Sie bezeugen zum anderen seinen Kampf gegen die sowjetischen Partisanentruppen. Formulierung und Vokabular der Befehle entsprechen dem von der Naziführung auferlegten ideologischen Jargon (‘Germanen im Kampf gegen bolschewistisches Slawentum’ etc.). Hoepners Beschuldiger vergaßen dagegen, auf die Widerrechtlichkeit (!) und die Verbrechen (?) der sowjetischen Partisaneneinheiten hinzuweisen, gegen die Hoepner im Interesse seiner Männer handeln musste, sowie auf das Paradox einzugehen, dass nämlich die entschlossensten (!) Gegner Hitlers, sofern sie sich in leitenden Stellungen befanden, dennoch gezwungen waren, dem verhassten Regime zu dienen und dadurch wider Willen (!) mitschuldig zu werden. Dieses Paradox entbehrt nicht der Tragik, aber da es frei in Kauf genommen wurde, auch nicht der Größe.“ (S. 216/217) So auch General Heinrich-Carl von Stülpnagel (hingerichtet in Plötzensee am 30.8.44), im Juli 1944 beteiligt an den Umsturzplänen in Paris, der in der Ukraine und in Frankreich für die Verfolgung und Vernichtung von Juden mitverantwortlich war: In einem Schreiben vom 12.8.41, gerichtet an die Heeresgruppe Süd (Ukraine), forderte er einen „vermehrten Kampf gegen den Bolschewismus“ und „das vor allem in seinem Sinne wirkende Judentum“. Die Autorin rechtfertigt das mit dem aus ihrer Sicht berechtigten Antibolschewismus/Antikommunismus: Die antisemitischen Maßnahmen Stülpnagels in Frankreich würden entlastet durch seinen „Versuch, den meist von Kommunisten geführten Kampf gegen Wehrmachtsangehörige (nicht etwa: gegen die Okkupation Frankreichs durch das nazi-faschistische Deutschland – UP) weniger grausam zu ahnden, als es das damalige Kriegsgewohnheitsrecht(!) vorsah“, und er sei (seit Frühjahr 1942) als Militärbefehlshaber in Frankreich gezwungen gewesen, „ihm zutiefst widerstehende Sühnemaßnahmen“ für „Attentate auf deutsche Soldaten“ zu ergreifen. (S. 264-264)
An anderer Stelle ist von den „unbeschreiblichen Grausamkeiten der sowjetischen Soldateska (!) gegenüber der deutschen Bevölkerung in Ost- und Westpreußen“ (S. 196) die Rede – mit keinem einzigen Wort werden die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion auch nur erwähnt. Und: „...der deutsche Soldat setzte (auf deutschem Boden – UP) seinen Kampf mit Verbissenheit fort, hatte er doch jetzt eine neue Mission zu erfüllen, nämlich die deutsche Bevölkerung vor dem Angriff durch die sowjetische Soldateska zu beschützen“. (Ebd.)
Das Scheitern des konservativen militärischen und zivilen Widerstands lastet die Autorin zu einem wesentlichen Teil den westlichen Alliierten an: Sie hätten – aufgrund des (in England) „bedauerlichen Vorurteils“, der „Aversion gegen den ‘preußischen Militarismus’ und Preußen“ (S. 226; vgl. auch S. 233, 235) – dem Kreis um Beck, Goerdeler und Hassel, „in dem die Idee eines Separatfriedens mit den Engländern und Amerikanern erörtert wurde, um den Krieg zu beenden und zu verhindern, dass Mitteleuropa den Sowjets ausgeliefert werde“, den Separatfrieden verweigert und verlangten die „bedingungslose Kapitulation der Deutschen vor allen Alliierten, den Sowjets inbegriffen“. (S. 192; siehe auch S. 228, 231, 233, 235/236)
Eine so hohe Wertschätzung, die die Autorin dem konservativen Widerstand zukommen lässt, erfährt der Widerstand aus der Arbeiterbewegung, dem gerade 34 (von 368) Seiten gewidmet sind, ganz und gar nicht. Lediglich der gewerkschaftliche Widerstand (7 Seiten) wird – im Zusammenhang mit Wilhelm Leuschner, der (und weil er?) mit „den Männern des 20. Juli“ kooperiert hatte, – verbal stark hervorgehoben: Er sei „vorzüglich organisiert“ gewesen; um Leuschner sei „ein beeindruckend großes, aber dezentralisiertes Netz (entstanden), das er allein in seiner Person zusammenfasste“. (S. 60, 61) Konkrete Fakten werden dazu nicht mitgeteilt. Bezogen auf die SPD (10 Seiten) heißt es, ihr „wirksamster Widerstand wurde vom Ausland aus organisiert“, nämlich von der SOPADE, die eine Vielzahl von Druckschriften im Lande zu verbreiten suchte...
Beim Widerstand aus der KPD (8 Seiten), die „seit Jahren schon gegen den Sieg des Faschismus in Deutschland wetterte“ (S. 47), geht es ganz überwiegend um die Fehleinschätzungen der Situation seitens ihrer „verblendeten“ Führung (nebenbei: Ulbricht habe Ernst Thälmann und John Scheer an die Nazis ausgeliefert, S. 49), deren falsche Methoden im illegalen Kampf und schonungslosen Umgang mit „den jungen Kämpfern“, die sie „ohne zögern in die mörderische Schlacht warf“. (S. 50) Der einzige würdigende ganze Satz: „Es war in erster Linie der kommunistische Jugendverband, der, von jugendlichem Idealismus getragen, sich durch seine heroische Kühnheit und seine Opferbereitschaft für die kommunistische Sache (nicht etwa: gegen das Naziregime – UP) auszeichnete“ (ebenda); an anderer Stelle in einem Halbsatz: „...trotz der unleugbaren Verdienste und Opfer der deutschen kommunistischen Arbeiter“... (S. 343) Konkrete Widerstandsaktionen werden nicht genannt (eine Ausnahme im Kapitel „Der Widerstand der jüdischen Bevölkerung“: Aktionen der kommunistischen Gruppe Herbert Baum, S. 141/142). In der zweiten Hälfte der 30er Jahre habe der kommunistische Widerstand nachgelassen, sei gar „fast eingeschlafen“ (S. 54) und erst nach dem 22. Juni 1941 wieder aktiviert worden.
Ein Kapitel ist dem „deutschen Widerstand im Ausland“ (50 Seiten) gewidmet. Konkret geht es zum einen um deutsche Intellektuelle, vor allem Schriftsteller, in der französischen Emigration bis 1939 (22 Seiten; u.a. „der sehr rührige, aber etwas undurchsichtige Kommunist Willi Münzenberg“, S. 159; „der linksextreme Anarchist Bertolt Brecht“; Heinrich Mann, der in seinem „Untertan“ „den Deutschen“ als „grimassierende Karikatur“ gezeichnet habe, S.186). Diese stellten sich als „das andere, das bessere Deutschland“ hin und hätten damit „ihre in Deutschland lebenden Landsleute gekränkt, die der Überzeugung waren, nicht weniger gute Deutsche zu sein“; und sie hätten „das deutsche Volk“ irritiert, indem sie ein der Wirklichkeit nicht entsprechendes „schwarzes Bild ohne Nuancen“ von Deutschland zeichneten. Dagegen sei „der Aufschwung der deutschen Wirtschaft eine Realität (gewesen), der Rückgang der Arbeitslosigkeit fast bis zur Vollbeschäftigung eine Evidenz. Im Bereich der Außenpolitik hatte Deutschland nach langen, unter der misstrauischen Aufsicht des Versailler Vertrags gelebten Jahren mit Stolz seinen Platz wieder einnehmen können.“ Dies habe gezeigt, „wie sehr sich die Wortführer unter den Emigranten in ihren Urteilen über das nationalsozialistische Deutschland täuschten und sich dadurch schwerwiegenden Irrtümern hingaben“. (S. 187) So haben sie dem Widerstand im Innern nicht beistehen können und scheiterten aufgrund ihres „ideologischen Dogmatismus“.
Den anderen Teil des „deutschen Widerstands im Ausland“ repräsentierten aus der Sicht der Autorin die „Überlebenden von Stalingrad hinter russischem Stacheldraht“, vertreten vom 1943 aus gefangenen deutschen Offizieren gebildeten Bund deutscher Offiziere (BDO), der adelige General von Seidlitz an der Spitze. (27 Seiten) Neben „Propagandazwecken der Sowjets“ vermutet die Autorin den Grund für dessen Gründung darin, „dass Stalin im Sommer 1943 einen deutsch-russischen Waffenstillstand nicht ausgeschlossen hat und bereit war, auf deutsche Bedingungen einzugehen“, sowie „den Austritt der UdSSR aus der im September 1941 mit den westlichen Alliierten geschlossenen Antihitlerkoalition zum Ziel“ gehabt habe. (S. 169/170) Dafür sollte der BDO als Instrument eingesetzt werden. Bei alledem seien seine Mitglieder, vom „Geist des deutschen Konservatismus“ beseelt, keine Vaterlandsverräter gewesen, ihre Aufrufe und Analysen seien nicht kommunistisch beeinflusst gewesen und bewiesen „eine unleugbare Selbständigkeit des Urteils“ (S.175). – „Solange die Sowjets im Interesse des deutschen Widerstands (wir erinnern uns: das war der Autorin zufolge vor allem der konservative Widerstand – UP) handelten, solange die hauptsächliche Forderung der Offiziere des BDO von ihnen unterstützt wurde, nämlich die Erhaltung der Wehrmacht(!), des einzigen Deutschland noch verbleibenden Ordnungsfaktors (!), konnten die deutschen Offiziere den Sowjets ihre Mitarbeit nicht versagen. Diese hatten übrigens den emigrierten deutschen Kommunisten befohlen, ihre ideologischen Vorbehalte gegenüber den Offizieren aufzugeben und ihre antimilitaristische (!) Propaganda einzustellen, die darin bestand, die deutschen Frontsoldaten aufzufordern, durch Desertion und Sabotage die Wehrmacht zu schwächen (‘Zersetzungspolitik’).“ (S.177) Erst nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 hätten „die Sowjets“ im Rahmen des NKFD, zu dem der BDO gehört hatte, dessen „kommunistischen Flügel“ unterstützt und „verhalfen auf diese Weise den deutschen Kommunisten zum Triumph über die konservativen deutschen Offiziere“. (S. 181) Der Schluss der Autorin: Die Offiziere des BDO „hatten nicht dem sowjetischen Kommunismus, sondern den traditionellen (auf Bismarck zurückgehenden – UP) russisch-deutschen Beziehungen dienen wollen, denn sie waren überzeugt, dass diese Beziehungen für den Frieden in Europa notwendig und ebenso nützlich für Deutschland wie für Russland sind. Als engagierte Patrioten, Konservative und Demokraten verdienen die so verschrienen Offiziere des Komitees und des Bundes eine längst fällige Rehabilitierung dafür, dass sie die erste große, offen hervorgetretene Fronde hoher Würdenträger der Wehrmacht gegen Hitler und seinen Weltanschauungskrieg (nicht etwa Eroberungskrieg – UP) gebildet haben.“ (S. 198)
Die Teilnahme von Deutschen (auch da wieder: überwigend Kommunisten) am Widerstand in den von der deutschen Wehrmacht okkupierten europäischen Ländern (Teile der Sowjetunion eingeschlossen) – und damit zugleich ihr opferreiche und selbstlose Kampf gegen das barbarische faschistische deutsche Nazi-Regime – wird von der Autorin, von einigen in der Bibliographie angegebenen Titeln abgesehen, nicht einmal erwähnt. Auch scheint der Widerstand eine ausschließlich männliche Angelegenheit gewesen zu sein: Frauen kommen in ihrer Darstellung (auch in der Bibliographie) nicht vor...
Summa summarum: Es geht in der Publikation um eine ausführliche und stark überhöhte Würdigung des konservativen, vorwiegend militärischen, nur von Männern getragenen, schließlich (auch durch die „Schuld“ des Auslands) gescheiterten Widerstands in Deutschland 1933-1945. Mit Arno Klönne (in einem ähnlichen Zusammenhang) gefragt und geantwortet: „Die deutsche Militärkaste als Hort des Widerstands gegen das Hitler-System? Rigoroser lässt sich Geschichte kaum fälschen.“ (Marx21,Februar 2009, S. 54)
Ulla Plener