Gerd Kaiser, Heim in idyllischer Lage. Vom Kinderheim der Roten Hilfe zu Elgersburg zum Hotel „AmWald“, Karl Dietz Verlag, Berlin 2010, 175 S., 10,-- Euro
In den Veröffentlichungen der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) wurde vielfach über ihre Kinderhilfe und Kinderheime berichtet. Das ist nicht erstaunlich, denn kaum ein anderes Unternehmen der Solidaritätsorganisation benötigte mehr öffentliche moralische und materielle Unterstützung. Zugleich aber waren die Kinderheime auch ausgezeichnet geeignet, den solidarischen Grundgedanken der RHD zu verdeutlichen, Mitglieder und Spender zu werben. Wie aus der angefügten Bibliografie hervorgeht, wurde dieses Thema auch in der Sekundärliteratur mehrfach behandelt. Mit der pünktlich zum 85. Jahrestag der Eröffnung des MOPR-Heims herausgegebenen Publikation gelingt es Gerd Kaiser nun dennoch, unser Wissen über die Geschichte dieses Hauses zu vertiefen und zu komplettieren.
Er konnte sich dabei auf umfangreiche Archivquellen stützen, insbesondere auf den auch zu diesem Thema unerlässlichen Fond 495 im Staatsarchiv der Sozialpolitischen Geschichte Russlands, aber auch auf entsprechende Fonds in der SAPMO und in Thüringer Archiven. Darüber hinaus nutzte der Autor den umfangreichen Bestand an Primär- und Sekundärliteratur zur Roten Hilfe. Eine ganz besondere Quelle aber erschloss sich der Verfasser in Zeitzeugnissen, Berichten von Augenzeugen, Kindern, die dort Erholung fanden, Lehrern und Mitarbeitern des Heims.
Im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht zwar die Geschichte des MOPR-Heims. Der Verfasser schildert jedoch auch die gesamte andere Geschichte des Hauses: angefangen vom Bau der Fabrikantenvilla im Jahr 1890, der Nutzung des Gebäudes als Kinderheim der Roten Hilfe und als Schulungsstätte der RHD und der KPD (1925-1933), als Führerschule der Hitlerjugend und als Marinekinderheim zwischen 1933 und 1945, als Kinderheim der Volkssolidarität und Erholungsheim der SED zwischen 1945 und 1990, bis zur Nutzung als Hotel ab 1995. Die Geschichte des Hauses wird im Zusammenhang mit den sozialen und politischen Zuständen der jeweiligen Etappe dargestellt. So erfahren wir vom Kinderelend zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, lesen von bewegenden Zeugnissen solidarischer Unterstützung des Heims durch die Elgersburger und Thüringer Arbeiter, nehmen Kenntnis von den Schikanen der Thüringer Behörden gegen das MOPR-Heim und den Konsequenzen, die der Beitritt eines großen Teils der RHD-Führung und der Elgersburger KPD-Gruppe zur KPD Opposition für das Haus hatte.
Das Buch wird durch ein Zusatzkapitel über internationale Kinderheime sowie durch eine Reihe von Anhängen komplettiert. Dazu gehören eine Sammlung zeitgenössischer Dokumente (vor allem der RHD, der Internationalen Roten Hilfe und der Internationalen Arbeiterhilfe), kom-mentierte Biogramme der im Text vorkommenden Personen, ein Glossar, das im Wesentlichen die an der Kinderhilfe beteiligten Organisationen darstellt, und eine Chronik, die vom Erlass des Sozialistengesetzes 1978 bis zum Jahr 2009 reicht. Das Quellenverzeichnis umfasst die benutzten Archive und Sammlungen sowie Primär- und Sekundärliteratur. Bei letzterer hätte man sich bei Neuerscheinungen die Angabe der ISBN-Nummer gewünscht, sie führt gegenwärtig am schnellsten zu dem gewünschten Titel. Einen Hinweis auf wichtige Periodika der roten Hilfe wie „MOPR“, „Der Rote Helfer“ und „Tribunal“ sucht man in der Bibliografie leider vergebens. Das lebendig geschriebene, durch die Berichte der Zeitzeugen und durch zeitgenössische Fotos aufgelockerte Buch wird sicher über die Besucher des Hotels „Am Wald“ und an der Geschichte der Roten Hilfe Interessierte hinaus dankbare Leser finden.
Heinz Sommer