Es war schon ein wenig verblüffend, als die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) am 5. Mai des vergangenen Jahres mitten in der Absatzkrise der Automobilindustrie einen Leitartikel mit „Umbau der Autoindustrie“ überschrieb. Auch wenn hier zunächst über angeblich ‚marktwirtschaftsfremde’ Subventionen gewettert wurde, mit denen verschiedene Staaten den Automobilkonzernen in Krisenzeiten in Form von Krediten, Bürgschaften oder Abwrackprämien unter die Arme greifen. Oder wenn die Überkapazitäten in der Fahrzeugfertigung angeprangert wurden, deren Abbau notwendigerweise die Stilllegung von Werken zur Folge haben müsse. Es hieß dort eben auch: „Notwendig wäre ein Umbau der Autoindustrie, der nicht allein die Schließung überzähliger Fabriken zum Ziel hätte. Was die Branche braucht, sind neue, ausdifferenzierte Geschäftsmodelle. Denn die Massenhersteller alter Prägung scheinen ein Auslaufmodell zu sein. Neue Geschäftsfelder bieten sich dagegen in der Verknüpfung verschiedener Verkehrsmittel (…). Der Nutzer eines Autos wäre dann in Zukunft immer seltener auch der Eigentümer.“ Ist es mittlerweile so, dass es an der Kapitalseite ist, zukunftsorientierte Alternativen für zunehmend in Strukturproblemen steckende Branchen wie beispielsweise die Automobilindustrie aufzuzeigen? Dieser Eindruck drängt sich auf, denn beispielsweise ist von der IG Metall nur wenig dazu zu hören, wie Beschäftigung und Produktion im Automobilsektor jenseits von „Abwrackprämien“ gesichert und zukunftsfähig gestaltet werden könnten. Bei den politischen Parteien herrscht dort, wo früher als erstes Antworten auf die zunehmende Umweltbelastungs- und Ressourcenvergeudungsproblematik von Verkehrssektor und Fahrzeugbau erwartet werden konnten, weitgehend Funkstille. So sind es nicht die GRÜNEN, sondern es ist DIE LINKE, die unter den im Bundestag vertretenen Parteien durch entsprechende Initiativen auf sich aufmerksam macht.[1] Allerdings gibt es auch Betriebsräte in der Automobilindustrie, die die Frage nach Alternativen zur traditionellen Fahrzeugproduktion wieder thematisieren, wenn auch nicht mehr so öffentlichkeitswirksam wie in früheren Zeiten. So forderte beispielsweise Ende 2008 der Betriebsrat von VW „vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise“ die Erschließung neuer Geschäftsfelder „jenseits des Automobilbaus.“[2] Und auch in den nach wie vor nicht in ihrem Bestand nicht gesicherten Bochumer Opel-Werken ist die Debatte um Produktionsalternativen nicht verstummt.[3]
Gleichwohl ist zu fragen, ob die Forderung nach Umbau nicht dazu verleiten kann, falsche Vorstellungen von den erforderlichen Veränderungen im Fahrzeugbau- und Verkehrssektor zu wecken. Treffender scheint es, den Rückbau der Automobilindustrie zum Programm zu erheben. Dieser beinhaltet einerseits viele derjenigen Forderungen, die in neueren (und älteren) Umbaukonzepten formuliert sind. Andererseits macht der Begriff Rückbau die weiterreichende Stoßrichtung deutlicher, die heute auf der Tagesordnung stehen müsste. Denn es ist das Konzept der Mobilität selbst, „dem die Bewohner moderner Gesellschaften huldigen“[4], das zur Disposition steht. Es geht zwar auch darum, vorhandene Mobilitätsbedürfnisse - gemessen an ökologischen und sozialen Kriterien - optimal zu befriedigen. Vorab jedoch müssen diese Mobilitätsbedürfnisse selbst auf den Prüfstand. Unsinnige und überflüssige Personen und Gütertransporte bleiben auch dann, wenn sie sozial und ökologisch effizient durchgeführt werden, immer noch unsinnig und überflüssig (etwa der Kurzurlaub per Flugzeug oder das T-Shirt „Made in China“, das von der Gewinnung der Baumwolle in den USA über die Rohstoffverarbeitung in Istanbul und die Textilherstellung in Taiwan und China bis zum bundesdeutschen Kaufhaustisch 43.000 km überwiegend im Containerschiff zurückgelegt hat[5]). Rückbau der Automobilindustrie impliziert also Mobilitätsverringerung - mit allen Konsequenzen für Umfang und Art der Herstellung und Nutzung der Produkte aus der Fahrzeugindustrie.
Déjàvu-Erlebnis in der Autodebatte?
Nun droht die Umbau- (besser: Rückbau-)Debatte, kaum dass sie aufgekommen ist, schon wieder zu versanden. Zwar bescherte die abwrackprämiengestützte Nachfrageankurbelung während der jüngsten Absatzkrise den westeuropäischen Herstellern kleiner und mittlerer PKW-Modelle im bisherigen Jahresverlauf 2010 den prognostizierten Einbruch der Inlandsnachfrage, doch zum Jahresende soll die Talfahrt bereits wieder beendet sein.[6] Gleichzeitig boomen die Neuzulassungen auf den Großmärkten China, USA, Japan und Brasilien. Die Oberklassehersteller Audi, BMW und Mercedes sind kaum in der Lage, der Nachfrage allein in China gerecht zu werden. Die bundesdeutschen Autoexporte sind im ersten Halbjahr 2010 mit einem Plus von 44 Prozent geradezu explodiert. Wiewohl der gegenwärtige, vorrangig oberklasseninduzierte Absatzboom der bundesdeutschen Autobranche in hohem Maß von der chinesischen Nachfrage abhängig ist, die zukünftig auch einmal einbrechen könnte, scheint allzuviel Pessimismus jedoch fehl am Platz: So rechnen beispielsweise die Unternehmensberatung AT Kearney und das Prognoseinstitut IHS Automotive mit einer Verdoppelung des Autoabsatzes im Oberklassesektor auf fast zehn Millionen Fahrzeuge in nur zehn Jahren auf der Erde. Auch scheint der jüngst verschiedentlich vermutete Bedeutungsverlust des Autos für die Befriedigung zukünftiger Mobilitätsbedürfnisse alles andere als ausgemacht. Die aktuellen Prognosen für Westeuropa im „World Transport Report 2010/2011“ sprechen jedenfalls eine andere Sprache: Bis zum Jahr 2025 sollen die vom Auto erbrachten Leistungen im Personenverkehr weiter leicht zunehmen (dem Lastwagenverkehr wird ohnehin ein weiteres starkes Wachstum vorausgesagt).[7]
Wird also die überraschend schnell eingetretene „Erholung“ des Autoabsatzes eine breitere Debatte um Alternativen zu vorherrschenden Mobilitätsvorstellungen und traditioneller Fahrzeugproduktion und –nutzung erneut ersticken? Auch wenn dieser „Erholung“ gegenwärtig noch keine Dauerhaftigkeit bescheinigt werden und sie zunächst nur für das (die BRD-Inlandsproduktion allerdings dominierende) Oberklassesegment im Fahrzeugmarkt festgestellt werden kann? Ein Blick zurück in die Vergangenheit lässt eine solche Sorge als nicht ganz unbegründet erscheinen. Vor rund 20 Jahren gab es bereits eine Diskussion um Alternativen zu Automobilproduktion und Mobilität, die sich durch eine auch heute noch beeindruckende inhaltliche Tiefe und gesellschaftliche Breite auszeichnete. Sie fand statt auf den verschiedenen Organisationsebenen der IG Metall (wo sie auch ihren programmatischen Ausdruck fand[8]), aber auch in vielen Automobilbetrieben selbst: in Betriebsräten, Vertrauenskörpern und sonstigen Belegschaftsgruppierungen.[9] Parallel gab es die Diskussion in der Umweltbewegung, die damals maßgeblich von der inhaltlichen und organisatorischen Unterstützung durch die GRÜNEN profitierte und selbst die Vorstandsetagen der Automobilunternehmen sensibilisierte.[10] Diese breite gesellschaftliche Debatte fand einen Höhepunkt in einer großen verkehrspolitischen Konferenz im November 1990, die erstmals gemeinsam von IG Metall und Deutschem Naturschutzring veranstaltet wurde. Sie hatte nicht den Anspruch, „oberflächliche Harmonie“ herzustellen (so der damalige IG Metall-Vorsitzende Zwickel), sondern verstand sich als Auftakt einer zukünftigen Zusammenarbeit von Arbeiter- und Umweltbewegung.[11]
Dann kam im Zuge der „Wiedervereinigung“ die Öffnung der mittel- und osteuropäischen Fahrzeugmärkte, die verstärkt den westeuropäischen und insbesondere den bundesdeutschen Autokonzernen unerwartete Absatzmöglichkeiten bot. Produktion und Beschäftigung erreichten neue Höchstmarken und ließen die innergewerkschaftliche und betriebliche Diskussion um Alternativproduktion für die Automobilbranche nachhaltig einschlafen. Der verkehrspolitische Sündenfall, den die GRÜNEN in der Folgezeit mit ihrer Abkehr vom auch heute noch zukunftsweisenden „Verkehrswende“[12]-Konzept vollzogen, hatte erheblichen Anteil daran, dass die Verkehrs-Debatte in der Umweltbewegung schwächer wurde (denn jetzt fehlte zunehmend der Ansprechpartner im parteipolitischen Raum und dessen organisatorische Unterstützung). Gute Zeiten für Absatz, Produktion und Beschäftigung im Fahrzeugbau scheinen demnach schlechte Zeiten für die Diskussion von Alternativen zur traditionellen Autoproduktion und -nutzung zu sein. Ob sich eine Entwicklung wie vor 20 Jahren gegenwärtig wiederholt, dürfte bald klarer werden.
Guter Wein in alten Schläuchen
Aktuelle Überlegungen zum Umbau bzw. Rückbau der Automobilindustrie sollten die früheren Diskussionen und Konzepte für die Gegenwart nutzbar machen, was vor allen Dingen heißt, sich ihrer wieder zu vergewissern. Auf die ressourcialen und umweltpolitischen Folgewirkungen des motorisierten Individualverkehrs (Energiebedarf, Schadstoffemissionen, Lärmbelastung und Flächenverbrauch) wurde bereits frühzeitig aufmerksam gemacht.[13] Dass beispielsweise kurzsichtige Städtebau- und Siedlungspolitik prinzipiell vermeidbare Mobilität eher noch gefördert bzw. „erzwungen“ hat, wurde schon vor 35 Jahren in einem auch heute noch mit Gewinn zu lesenden Buch niedergeschrieben.[14]
In einem vom damaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands gemeinsam mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr sowie dem Vorsitzenden der österreichischen Gewerkschaft der Eisenbahner herausgegebenen Buch werden u. a. die gesamtgesellschaftlichen Vorteile öffentlich erbrachter Verkehrsdienstleitungen thematisiert.[15]
Ausgangspunkt auch der neuerlichen Debatte um die Automobilindustrie sollte also die Frage nach Mobilitätsbedürfnissen und Mobilitätserfordernissen sowie nach den ökologischen und sozialen Kriterien Rechnung tragenden Anforderungen an die Verkehrswirtschaft sein. Den umfassenden Rahmen für solch eine Diskussion beschreibt nach wie vor das bereits erwähnte „Verkehrswende“-Konzept. Es versteht Verkehr als „eine Folge der räumlichen Anordnung von Produktion und Konsum, Arbeiten, Wohnen und Freizeit“ und sieht als Hauptursache des Verkehrswachstums „die zunehmende funktionale und räumliche Arbeitsteilung von Produktion und Reproduktion sowie die allseitige räumliche Differenzierung der gesellschaftlichen Aktivitäten.“[16] Hier müsse auf verschiedenen Aktivitätsebenen und Politikfeldern gegengesteuert und ein „abgestimmter Zielkanon von Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und Verkehrsoptimierung“ verfolgt werden, „wobei die Reihenfolge der Ziele den Prioritäten des (Verkehrswende-; D.D.) Ansatzes entspricht.“[17]Analog zum seinerzeit entwickelten „Energiewende“-Konzept[18], das nicht mehr die bloße Energiebereitstellung, sondern den erzielten Nutzen, die Energiedienstleistung, als energiepolitischen Erfolgsmaßstab definierte, ist beim Verkehrswende-Konzept nicht mehr die Verkehrsleistung, sondern die Verkehrsdienstleistung die ausschlaggebende Richtgröße.[19]
Nachfolgend geht es um den industriellen Kernbereich der Verkehrswirtschaft[20], d. h. die fast ausschließlich privatwirtschaftlich verfasste Automobilindustrie. Sie ist geprägt durch die Massenproduktion von benzin- und dieselgetriebenen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren in großen Fertigungsstätten. Wichtige Kennzeichen der Produktion sind eine hohe Kapitalintensität und die einseitige Ausrichtung von Kapitaleinsatz sowie Innovations- und Rationalisierungsstrategien auf die Produktlinie Auto. Im folgenden soll der Rückbau dieses Produktionssektors thematisiert und dabei an Beispielen gezeigt werden, wie die Automobilunternehmen ihr Leistungsprofil bei Produktion und Absatz ändern , perspektivisch zu Verkehrsdienstleitungsunternehmen „umgebaut“ und so als konstitutiver Bestandteil in eine zukunftsorientierte „Verkehrswende“ integriert werden könnten.
Zauberformel Elektromobilität
Kaum geriet die Automobilindustrie in ihre jüngste Absatzkrise, schien schon am Horizont die vermeintliche Rettung auf: Die Elektromobilität soll neue Kauflust auf den Fahrzeugmärkten generieren und gleichzeitig Auto und Umwelt miteinander versöhnen, weil Auto fahren jetzt endlich ohne den klimaschädlichen CO2-Ausstoß möglich werde. Im Vorfeld der letztjährigen Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt/Main war zu lesen: „Möglichst schnell muss also die Luxusausstattung um den Elektroantrieb ergänzt werden – am besten noch zu erschwinglichen Preisen. (…) Wer das schafft, übersteht die Krise.“[21] Heute zeigt sich, dass die Krise am besten überstanden hat, wer mit traditioneller Antriebstechnik und ausreichend Modellen im Mittel- und Oberklassebereich in den schon wieder boomenden Fahrzeugmärkten China, Japan, USA und Brasilien präsent ist. Damit ist die Elektromobilität im Automobilsektor zwar keinesfalls vom Tisch, aber die Träume schneller Serienproduktion von Elektroautos sind vorläufig ausgeträumt.[22] Gleichwohl gehen Forschung und Entwicklung in diesem Bereich weiter und sämtliche Autokonzerne bleiben bemüht, zukünftig auch die Serienproduktion ihrer Elektroautomodelle aufzunehmen.
Anfang dieses Jahres sprach sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in einem Positionspapier für spürbare staatliche Hilfen (v. a. Steuergelder) aus, um der Elektromobilität nachhaltig auf die Beine zu helfen. Diesen in Vorbereitung eines Spitzentreffens zwischen Industrie und Bundeskanzlerin Merkel erhobenen Forderungen wurde jedoch nicht gleich entsprochen. Zunächst bleibt es bei den bereits im vergangenen Jahr zugesagten 500 Mio. € aus dem Konjunkturpaket II und zusätzlich 200 Mio. € Forschungsförderung. Die Industrie rechnet jedoch in einem überschaubaren Zeitrahmen mit zwei bis drei Mrd. € Staatshilfen und dann, wenn bundesdeutsche Elektroautos in die Serienproduktion gehen, auch mit Kaufprämien. Japan (mit 10.000 €), Spanien (mit 6.000€), Großbritannien (mit 5.800€) und Frankreich (mit 5.000€) sind schon einen Schritt weiter bei der Bezuschussung des Elektroautoabsatzes aus Steuermitteln.[23] Den institutionellen Rahmen einer aus öffentlichen Mitteln subventionierten Elektromobilität bildet in der Bundesrepublik die „Nationale Plattform Elektromobilität“, die Anfang Mai 2010 ins Leben gerufen wurde. Sie ist ein Netzwerk aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, gelenkt von H. Kagermann, dem ehemaligen Vorsitzenden des Softwarekonzerns SAP gemeinsam mit dem Präsidenten des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) M. Wissmann und B. Huber, dem Vorsitzenden der IG Metall.[24] Die beiden Letztgenannten waren maßgeblich am Zustandekommen der „Abwrackprämie“ beteiligt, deren Einführung im vergangenen Jahr den Absatzeinbruch der Automobilindustrie abfederte. Bleibt zu hoffen, dass die Einbindung der IG Metall in die „Nationale Plattform Elektromobilität“ zu mehr führt als zur erneuten Absatzsubventionierung der Autokonzerne aus Steuermitteln.
Unsinn und Sinn von Elektrofahrzeugen
Als wesentlicher Nachteil der Elektroautos gegenüber PKW mit konventionellem Antrieb gilt ihre stark begrenzte Reichweite. Derzeit kann mit einer Akku-Ladung lediglich eine Distanz von etwa 100 Kilometern überwunden werden (der französische Hersteller Renault gibt für seine 2012 mit Elektromotor auf den Markt kommenden Modelle „Kangoo“ und „Fluence“ eine Reichweite von 160 Kilometern an). Hybridmodelle (mit kombiniertem Elektro- und Verbrennungsmotor) sind zwar in der Lage, weitere Entfernungen mit einer ‚Ladung’ zu schaffen, können dann aber nicht auf ihren Verbrennungsmotor verzichten und haben außerdem Anschaffungskosten, die noch über denen der auch schon überdurchschnittlich teuren reinen Elektroautos liegen.[25]
Der verkehrspolitische Unfug der Elektromobilität wird in verschiedenen Modellprojekten deutlich, die im Bereich der Personenbeförderung angelaufen sind. Seit Frühjahr 2010 lassen Renault und der Essener Stromkonzern RWE im Verdichtungsgebiet Rhein/Ruhr batteriegetriebene PKW Probe fahren. Im Sommer 2010 kam als weiteres Testgebiet die Rhein-Main-Region hinzu, die bundesweit die höchste Pendeldichte aufweist. Weitere mit öffentlichen Mitteln geförderte Feldversuche gibt es in Hamburg, Bremen/Oldenburg, Berlin/Potsdam, Sachsen, Stuttgart und München/Allgäu.[26] Die Einsatzmöglichkeiten von Elektropersonenwagen werden somit in denjenigen Bereichen erforscht, wo sie nach der Maßgabe einer umwelt- und sozialverträglichen Verkehrspolitik nicht viel zu suchen haben. Gerade beim Pendelverkehr in Ballungsgebieten müsste Rang 2 des Zielkanons der „Verkehrswende“ zum Zuge kommen[27]: Hier ist der motorisierte Individualverkehr in hohem Maße auf die Verkehrsträger Füße, Fahrrad und öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) zu verlagern (und auch vergleichsweise leicht verlagerbar). Die entsprechende Verkehrsinfrastruktur muss aus ausgebaut und so attraktiv gestaltet werden, dass das Umsteigen leicht fällt und (auch Zeit-)Vorteile bringt. Stattdessen werden öffentliche (und private) Mittel dafür vergeudet herauszufinden, wie der motorisierte Individualverkehr erhalten und lediglich technisch verbessert werden kann. Letztlich sollte das jedoch nicht verwundern, denn die vorherrschende Verkehrspolitik ist eben nicht der „Verkehrswende“, sondern vorrangig den Absatzinteressen der Fahrzeugindustrie verpflichtet. Eingedenk der Tatsache, dass zwei Drittel aller gefahrenen PKW-Kilometer recht stabil im Entfernungsbereich unter 15 Kilometer liegen, ist es nachvollziehbar, dass die Automobilkonzerne sich diesen Brocken durch die Förderung von sozial- und umweltverträglichem Verkehrsverhalten nicht wegschnappen lassen wollen.
Die Mär der ‚sauberen’ Fortbewegung, die die Elektroautos ermöglichen soll, kann nur glauben, wer die Augen vor der Art und Weise der vorherrschenden Stromerzeugung verschließt. Der ‚Treibstoff’ der Elektromobilität wird in der Bundesrepublik heute zu 23 Prozent in Atomkraftwerken, zu 60 Prozent aus fossilen Brennstoffen und lediglich zu 15 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen. Angesichts der gegenwärtigen energiepolitischen Trends in Richtung Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken dürfte es noch ein langer Weg sein, bis die Stromerzeugung und damit der Betrieb von Elektroautos weitgehend risikofrei und wirklich klimaneutral sind. Die zunehmenden Allianzen von Automobil- und Stromkonzernen lassen nicht nur die Absatzinteressen der Fahrzeughersteller, sondern auch die rosigen Gewinnaussichten überwiegend traditioneller Stromerzeuger als treibende Kraft auf diesem Feld erkennen: Hier kooperieren Volkswagen und EON, Daimler und RWE oder BMW und Vattenfall.[28]
Bei aller Kritik bleibt die Elektromobilität gleichwohl ein zentraler Baustein eines zukunftsfähigen Verkehrssystems, wenn es gelingt, die erforderliche Antriebsenergie ausschließlich aus risikoarmen regenerativen Energiequellen zu gewinnen. Dass hierfür eine grundsätzliche Neuausrichtung der Energiepolitik unverzichtbar ist, versteht sich von selbst. Die Kooperation der Adam Opel GmbH mit der HSE AG, dem größten bundesdeutschen Anbieter von Ökostrom, zeigt, welche Schritte auf dem Weg zu einer umweltverträglichen Elektromobilität heute schon gemacht werden können. Opel hat sich dafür entschieden, die HSE AG als bevorzugten Partner für die Stromversorgung des Opel-„Ampera“ zu wählen; also desjenigen Elektroautos, das Opel im Jahr 2012 im bundesdeutschen Markt einführen will. Darüber hinaus wollen beide Unternehmen u. a. bei Aufbau der erforderlichen Energieversorgungsinfrastruktur kooperieren und die Möglichkeiten der Nutzung von Autobatterien als mobile Stromspeicher im Kontext eines dezentral organisierten, „intelligenten“ Stromnetzes erforschen. Diese Kooperation ist insofern zukunftsweisend, als hier ein Mobilitätsangebot mit einem CO2-neutralen Versorgungskonzept verknüpft werden soll.[29]
Sinnvoll ist der Einsatz von Elektrofahrzeugen im Güternahverkehr. Während beim Güterfernverkehr im Sinne der „Verkehrswende“ die Verlagerung von der Straße auf die Schiene (und insofern auch die Elektromobilität) Vorrang hat, sollten im Güternahverkehr die nicht vermeidbaren Verkehrsleistungen immer weniger von benzin- und dieselgetriebenen, dafür vermehr von elektrischen Transportfahrzeugen erbracht werden. Deshalb ist es begrüßenswert, dass in den bereits erwähnten Testgebieten für Elektromobilität auch die Einsatzmöglichkeiten entsprechender Müll- und Lieferfahrzeuge erkundet werden. Für den ÖPNV gilt das Gleiche. Für diesen gibt es Modellprojekte in verschiedenen Großstädten auf der Erde, wobei London als wichtigstes Beispiel gilt. Hier sollen ab 2012 nur noch Hybridbusse für den öffentlichen Verkehr neu zugelassen werden. Dass die britische Regierung diese Umstellung bis 2011 mit 30 Millionen Pfund fördert und auch das Bundesumweltministerium 20 Millionen Euro für die Anschaffung von Hybridbussen bereitstellt, ist erfreulich, aber auch steigerbar.[30]
Im Bereich individueller Personenbeförderung wäre einerseits an elektrisch getriebene Taxis und Krankenwagen zu denken. Auf der anderen Seite hat schon die letztjährige Fahrradmesse „Eurobike“ eindrucksvoll gezeigt, dass elektrisch unterstütztes Fahrradfahren auch ohne staatliche Kaufanreize einen enormen Aufschwung erlebt und dabei ist, nicht nur den wachsenden älteren Teil der Bevölkerung vermehrt zur Nutzung des effektivsten Verkehrsmittels anzuhalten. Gleichwohl steht auch solch augenscheinlich sinnvolle Elektromobilität unter dem Vorbehalt der Art der Energiequellen, die für die Stromerzeugung angezapft werden. Wie das Beispiel Opel/ HSE zeigt, ist die frühzeitige Verzahnung der Entwicklung neuer Mobilitätsangebote mit einer umweltverträglichen Energiebereitstellung von enormer Wichtigkeit.
Mehr tun, als immer nur Autos verkaufen?
Überaus simpel, wenngleich für sie sehr einträglich, reagieren die Automobilhersteller bislang auf die Mobilitätsbedürfnisse vieler Menschen: Sie lassen Autos bauen und verkaufen diese anschließend. Hinzu kommt noch ein minimaler Gewährleistungs- und Reparaturservice, der meist über die Vertragswerkstätten des Kfz-Reparaturgewerbes abgewickelt wird. Dass der Wandel der Mobilitätsbedürfnisse neue Geschäftsfelder jenseits des bloßen Autoverkaufsgeschäfts eröffnet, haben langsam auch die ersten Fahrzeugkonzerne erkannt und reagieren entsprechend – wenn auch noch sehr zögerlich.
Seit Frühjahr 2009 läuft in Ulm das Car-Sharing-Pilotprojekt „car2go“ von Daimler.[31] Hier standen zunächst 200 (mittlerweile aufgestockt auf 300) Kleinwagen (Modell „Smart“) registrierten NutzerInnen als Mietfahrzeuge im gesamten Stadtgebiet verteilt zur Verfügung. Es sind vor allem jüngere Menschen, die gemäß dem Slogan „nutzen statt besitzen“ von diesem Angebot Gebrauch machen und mittels eines auf dem Führerschein installierten Chips jederzeit Zugriff auf ein Auto haben, ohne es kaufen zu müssen. Neuland betritt durch dieses Projekt allerdings nur Daimler, denn Leihautos und Autovermietung sind eher ein alter Hut und auch Car-Sharing-Anbieter wie „Stattauto“ oder „Cambio“ sind längst etabliert. Breiter angelegt ist demgegenüber das Projekt „Mu my Peugeot“, mit dem der französische Autohersteller nach den Worten seines Marketingdirektors „nicht mehr nur Autos, sondern Mobilität“ verkaufen will.[32] Es hat Rückwirkungen bis auf die Produktpalette, weil Peugeot verstärkt auch Zweiräder in sein Mobilitätsangebot einzubeziehen gedenkt. Peugeot war traditionell (seit 1882) immer schon auch Fahrradproduzent, hat diese Sparte im Jahr 2002 jedoch an den schwedischen Hersteller „Cycleeurope“ verkauft. Jetzt sollen das Geschäft durch eine Kooperation mit „Cycleeurope“ neu belebt und vier Modelle hergestellt werden, die den Namen Peugeot tragen und verstärkt auch auf elektrisch unterstützte Antriebe setzen. Die Produktion soll südöstlich von Paris stattfinden und von gegenwärtig 25.000 Einheiten (mit 260 Beschäftigten) in den kommenden vier Jahren auf 100.000 Räder steigen. Auch die fast schon eingeschlafene Motorrollerfertigung soll im Rahmen von „Mu my Peugeot“ einen neuen Aufschwung erleben. Zu diesem Zweck wurde „Peugeot Motocycles“ in „Peugeot Scooter“ umbenannt und eine Modelloffensive gestartet, die auch auf Elektro- und Hybridmodelle setzt. Nachdem „Mu my Peugeot“ in verschiedenen Großstädten Frankreichs erfolgreich gestartet wurde, soll es nun auf die Bundesrepublik (Berlin, Hamburg, München) und anschließend auf Madrid, Mailand, Barcelona, Brüssel und London ausgedehnt werden.
Sowohl „car2go“ als auch „Mu my Peugeot“ sind in ihrer Zielstellung (noch?) keine eigenständigen unternehmenspolitischen Konzepte. Peugeot betont selbst, dass es hierbei vor allem darum geht, Kunden „auf einfache und spielerische Weise“ an die Elektromobilität heranzuführen und über Leih- und Leasingmodelle Elektroautos „bezahlbar“ zu machen.[33] Und Daimler registriert genau, dass rund zwei Drittel der „car2go“-NutzerInnen unter 35 Jahre alt sind und dass auf diese Weise eine Klientel angesprochen werden kann, die sonst eher wenig Kontakt zum Konzern hat. Auch wenn derartige Modelle aus Sicht der Fahrzeugkonzerne hauptsächlich dazu dienen sollen, den Autoverkauf unter veränderten Marktbedingungen anzukurbeln, so ist nicht ausgeschlossen, das sie zukünftig eine Eigendynamik gewinnen, innovativ weiterentwickelt und in ein umfassendes, zukunftsfähiges verkehrspolitisches Konzept integriert werden können.
Würde der Slogan „nutzen statt besitzen“ von den Automobilkonzernen konsequent umgesetzt, blieben die von verschiedenen NutzerInnen vielseitig genutzten Fahrzeuge dauerhaft im Besitz und Verantwortungsbereich der Fahrzeugproduzenten: von der Herstellung in den Automobilfabriken über die Bereitstellung zur Nutzung bis zur Rückgabe bzw. -nahme wiederum in den Automobilfabriken. Die Nutzungsphase könnte nach den heute schon bekannten Miet-, Leih- oder Car-Sharing-Modellen gestaltet werden. Denkbar sind beispielsweise aber auch Mietverträge über die gesamte ‚Lebens’phase eines Fahrzeugs (die über die Kilometerleistung oder einen entsprechenden zeitlichen Nutzungszeitraum in einem Auto-Mietvertrag festgeschrieben werden könnte), mit geeigneten Gewährleistungs-, Reparatur- und Schadensfallregelungen. Eine derartige Produktverantwortung der Fahrzeughersteller, gepaart mit einer auf Ressourcenschonung und Umweltverträglichkeit orientierten Unternehmenspolitik, könnte zusätzliche Geschäftsfelder eröffnen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten in den Automobilwerken schaffen.
„Cradle to cradle“ in der Automobilindustrie
Die Idee, sämtliche für die Herstellung eines Produkts verwendeten Materialien nach Ablauf der Produktnutzungszeit wieder in Stoffkreisläufe zurückzuführen und so keinerlei Abfälle entstehen zu lassen, ist für ausgewählte Fertigungen bereits so weit konkretisiert, dass sie in die betriebliche Praxis Eingang gefunden hat.[34] Vorbild sind die Stoffkreisläufe in der Natur, wo Abfälle gar nicht erst entstehen, weil sie – wie beispielsweise die Blätter eines Baumes, die als Laub von diversen Mikroorganismen umgesetzt werden – stets wieder verwertet werden. Das so genannte cradle to cradle-Konzept zielt auf geschlossene biologische Stoffkreisläufe für Verbrauchsgüter und geschlossene technische Kreisläufe für Gebrauchsgüter (vgl. Schaubild).
Das „cradle to cradle“-Konzept
Schaubild siehe Anhang unter Download-Dokumente unten.
Quelle: M. Braungart/ W. McDonough, a.a.O., S. 50
Mit Blick auf die Automobilbranche könnte „cradle to cradle“ eine weitreichende Ergänzung in der Fahrzeugherstellung nach sich ziehen, wenn Autos nicht mehr gekauft, sondern „nur“ noch benutzt werden und nach Ablauf ihrer ‚Lebens’phase an den Ort ihrer Herstellung zurückkehren. Was heute unter der Bezeichnung „Autoverwertung“ in diversen Kleinbetrieben unter nicht immer ausreichenden Arbeits- und Umweltschutzstandards an meist suboptimalem Altautorecycling stattfindet, könnte zukünftig als geschlossener technischer und biologischer Verwertungskreislauf ein neuer Tätigkeitsbereich in den Fahrzeugbetrieben werden. Bleiben die zunächst produzierten und anschließend ihren NutzerInnen „geliehenen“ Autos dauerhaft Eigentum der Automobilunternehmen, wird es für diese auch unter Profitgesichtspunkten interessant, höherwertige, dauerhaftere und umweltverträgliche Materialien im Fahrzeugbau einzusetzen. Der hieraus resultierende Wertzuwachs beim Auto müsste nicht zwangsläufig eine höhere „Leihgebühr“ für die NutzerInnen nach sich ziehen, weil die wertvolleren Stoffe wieder zu ihrem Besitzer zurückkehren. Außerdem hat sich gezeigt, dass die Substitution traditioneller Einsatzstoffe durch „cradle to cradle“-taugliche Materialien auch kostenmindernd sein kann.[35]
Auf dem Feld der Elektroautos setzt sich bei immer mehr Unternehmen die Einsicht durch, dass größere Absatzzahlen wohl nur dann zu erreichen sein werden, wenn zumindest die Kosten der Batterie nicht vollständig in den Verkaufspreis eingehen (bei kleineren und mittleren PKW-Modellen machen die Batteriekosten oft mehr als ein Drittel des Verkaufspreises aus). Hier wird über Modelle nachgedacht, bei denen die Batterie Eigentum des Fahrzeugproduzenten oder Batterielieferanten bleibt (und von diesem auch gewartet und schließlich wieder aufbereitet wird) und über eine Art Leihgebühr nur zu einem gewissen Teil in den Verkaufspreis des Autos eingeht. Hierin kann bereits ein erster Schritt in Richtung „cradle to cradle“ in der Automobilindustrie gesehen werden, weil dem Grundgedanken „nutzen statt besitzen“ Geltung verschafft, ein Aggregat nicht mehr verkauft, sondern „verliehen“ und somit ein Weg aufgezeigt wird, der – sofern unternehmenspolitisch konsequent fortgesetzt – auch zu weiteren neuen Aktivitätsfeldern außerhalb der traditionellen Fahrzeugproduktion führen kann.
Wie eine Kooperation von Volkswagen mit dem größten unabhängigen bundesdeutschen Energieversorger LichtBlick zeigt, können im Fahrzeugbau erworbene Kompetenzen auch in ‚autofernen’ zukunftsorientierten Geschäftsfeldern Anwendung finden. Das gemeinsame Projekt „ZuhauseKraftwerk“[36] kombiniert Kenntnisse im Großserienbau von PKW-Motoren mit Experten-know how aus dem Energiesektor. Ab Herbst 2010 werden die ersten „ZuhauseKraftwerke“ zunächst in Hamburg, Bremen und Berlin auf den Markt gebracht. Im Folgejahr soll der Vertrieb auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt werden. Das „ZuhauseKraftwerk“ setzt auf die Bereitstellung der Energiedienstleistung „Raumwärme“. Anlageninstallation, Brennstoffkreislauf, Stromeinspeisung und Anlagenwartung übernimmt LichtBlick. Außerdem bleibt das „ZuhauseKraftwerk“ Eigentum des Unternehmens. Für ein weiteres Beispiel sei noch einmal auf Volkswagen Bezug genommen, wo auch Motoren für Gabelstapler hergestellt werden. Dass hier ein Potential für ein neues Geschäftsfeld außerhalb des Automobilbaus schlummert, hat bereits der Betriebsrat erkannt.[37] So könnte die Motoren- um die vollständige Gabelstaplerproduktion ergänzt werden. Würden die Gabelstapler als Leihgeräte vermarktet und anschließend wieder zu Volkswagen zurückkommen, böten sich allerhand Möglichkeiten, die Produktion nach „cradle to cradle“-Grundsätzen zu organisieren und in einem neuen Geschäftsfeld zukunftsorientierte Arbeitsplätze zu schaffen.
Rückbau-Wirkungen
Würde eine Umgestaltung des gegenwärtigen Verkehrssystems rasch vollzogen und sich dabei an den Grundsätzen der „Verkehrswende“ orientieren, hieße das für den Automobilsektor: Abbau von Produktionskapazitäten in erheblichem Umfang. Die hiermit einhergehenden Arbeitsplatzverluste könnten fraglos nicht allein durch neu hinzukommende Geschäftsfelder in sozialverträglichen Grenzen gehalten, sondern müssten durch spürbare Arbeitszeitverkürzungen flankiert werden. Da dies heute angesichts der ökonomischen und politischen Machtstrukturen sowie der zählebigen Konsummuster im Bereich der Mobilität nicht mehr als eine Utopie sein kann, sollen abschließend Rückbau-Wirkungen angesprochen werden, die sich aus den vorangehenden Überlegungen schlussfolgern lassen. Denn einiges könnte in Bewegung geraten in der Automobilindustrie, das, wenn es konsequent in die richtige Richtung entwickelt wird, zur Abkehr vom unilinearen, massenproduktionsfixierten Geschäftsmodell der Fahrzeugkonzerne führen könnte. Der Weg in die Utopie der „Verkehrswende“ wäre damit nicht verlegt.
Einer stärkeren Dienstleistungsorientierung, die ein neues Selbstverständnis der Automobilkonzerne als „Mobilitätsanbieter“ bedeuten würde, entspräche innerbetrieblich eine Ausweitung kaufmännischer Abteilungen, weil in wachsendem Umfang Leih-, Leasing- oder car-sharing-Aktivitäten anfallen würden. Werden Autos immer weniger verkauft, dafür mehr verliehen, werden relativ weniger Fahrzeuge benötigt, um die Mobilitätsbedürfnisse zu befriedigen (Leihfahrzeuge haben einen höheren Auslastungsgrad, weil Stillstandszeiten etwa in der Nacht oder im Urlaub geringer wären). Das hat Auswirkungen auf Absatz, Produktion und Beschäftigung. Diese negativen Beschäftigungseffekte dürften durch die erforderliche Ausweitung kaufmännischer Abteilungen zumindest teilweise kompensiert werden.
Bei der Substitution herkömmlicher Fahrzeuge durch Elektroautos findet ein Wertzuwachs beim Produkt statt, weil der relativ simple Kraftstofftank einem teuren Stromspeicheraggregat weichen muss. Stammt diese Batterie (was oft der Fall sein dürfte) von einem Zulieferer, findet ein nennenswerter Teil der Wertschöpfung nicht mehr in der Automobilindustrie, sondern bei den Zulieferern statt. Sollten auch die Antriebsaggregate, also die Elektromotoren, nicht mehr in den Fahrzeugfabriken gefertigt werden, würde dieser Trend noch verstärkt. Dies wirkt sich negativ auf das Beschäftigungsvolumen in der Automobilindustrie aus, während in den entsprechenden Zuliefersektoren Arbeitsplatzzuwächse eintreten würden.
Merkliche Beschäftigungsgewinne könnten in den Fahrzeugfabriken realisiert werden, wenn die Produktion sukzessive und konsequent nach „cradle to cradle“-Grundsätzen umorganisiert würde. Einerseits müssten bereits vorhandene Fertigungen wie die Aufbereitung gebrauchter Aggregate ausgeweitet, andererseits müsste ein völlig neues Stoffmanagement eingeführt werden, das die Beschaffung und die Be- und Verarbeitung im Automobilbau umkrempeln dürfte. Als Folge der Rücknahme aus dem Verkehr gezogener Fahrzeuge und deren Verwertung in geschlossenen technischen und biologischen Kreisläufen wären gänzlich neue Abteilungen der Fahrzeugverwertung aufzubauen, die perspektivisch nicht auf Altfahrzeuge beschränkt bleiben bräuchten. Negative Beschäftigungswirkungen würden in der bisherigen Autoverwertung (bei den so genannten Schrottplätzen) zu verzeichnen sein, weil dieser zunehmend ihr ‘Rohstoff’ abhanden käme. Die demgegenüber stärkeren positiven Beschäftigungseffekte in der Automobilindustrie, verbunden mit vorteilhaften Umwelt- und Ressourcenwirkungen der neu entstehenden geschlossenen technischen und biologischen Stoffkreisläufe, wiegen allerdings schwerer.
Das hier angedeutete Szenario eines Rückbaus der Automobilindustrie würde die Bedingungen der Profitproduktion in dieser Branche zwar verändern, gleichwohl würden weiterhin Gewinne erzielt, die auch privatwirtschaftlich angeeignet werden könnten (wenn’s denn sein muss). Verändern wird sich die technische (und damit wohl auch die organische) Zusammensetzung des in der Automobilindustrie eingesetzten Kapitals. Die aus den neuen Aktivitäten in den Bereichen „Autovermietung“, Komplettrecycling und „cradle to cradle“ sowie ‚autoferner’ Produktion (vgl. die vorangehenden Beispiele bei VW) resultierenden neuen Geschäftsfelder sind gekennzeichnet durch einen relativ geringeren Einsatz von fixem und zirkulierendem konstanten Kapital. Gleichzeitig erfährt das variable Kapital einen Bedeutungszuwachs aufgrund vermehrter kaufmännischer, vor allem aber stärker handwerklich orientierter Tätigkeiten. Für die Automobilindustrie, bisher ein Paradebeispiel des kapitalistischen technischen Fortschritts, der „insgesamt gekennzeichnet (ist; D.D.) durch ein Vorantreiben der Anhäufung von Sachkapital und des Einsatzes von Produktionsmitteln verbunden mit einer Beschränkung der Erzeugung von Neuwert und der Beschäftigung von Arbeitskräften“[38] wäre das schon ein ziemlicher Sinneswandel. Gesellschaftspolitisch würde deutlich, dass nicht nur Arbeitszeitverkürzung und Arbeitsumverteilung, sondern auch eine Umgestaltung des traditionellen kapitalistischen Produktionsregimes im skizzierten Sinn ein geeignetes Mittel im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit sein kann.[39]
Mit dem herkömmlichen Management der Automobilkonzerne, das überwiegend auf die unilineare Massenproduktion und den Verkauf von Autos fixiert ist und den ‚bewährten’ Grundsatz „big cars – big profits“ nur ungern gegen eine auf „nutzen statt besitzen“ basierende Unternehmens philosophie’ austauschen dürfte, ist ein solches Umdenken und Umlenken wohl nicht hinzukriegen.[40] Die gerade überstandene schwere Absatzkrise ist hier schon wieder vergessen, und es ist geradezu typisch, dass ein Unternehmen wie Peugoet, das nach eigener Aussage künftig Mobilität statt Autos verkaufen will (vgl. oben), seine Investitionsanstrengungen jetzt auf die Errichtung des größten konzerneigenen Produktionsstandortes konzentriert, der in China angesiedelt sein und den dortigen boomenden Markt mit den üblichen Autos versorgen soll.[41] Auch von dem im Zuge zunehmender Elektromobilität sich abzeichnenden Bedeutungsverlust der Ölkonzerne bei gleichzeitigem Bedeutungsgewinn von Batterieherstellern, Stromerzeugern und Stromnetzbetreibern sowie bestimmter Technologiefirmen als neue ‚Bündnispartner’ der Automobilindustrie sollte nicht zu viel frischer Wind in Richtung zukunftsweisender Veränderungen der Fahrzeugindustrie erwartet werden. Sind es doch vor allem die großen Stromkonzerne, die sich hier in Stellung bringen, um die Ölkonzerne zu beerben und ihren überwiegend aus fossilen Brennstoffen und in Atomkraftwerken erzeugten Strom in neue, profitträchtige Bahnen zu lenken.
Sind die Erwartungen an die Kapitalseite also stark gedämpft, bleiben auf der betrieblichen Ebene als „letzte Hoffnungsträger“ und mögliche Akteure eines Rückbaus der Automobilindustrie die Betriebsräte und die IG Metall. Sie könnten durchaus Einfluss nehmen, um die Entwicklung ‚ihrer’ Automobilbetriebe in die vorangehend skizzierte Richtung anzustoßen und ein Co-Management betreiben, das eine zukunftsfähige Entwicklung der Automobilindustrie zumindest offenhält. Neben dem stoff- und produktbezogenen „was“ und „wie“ von Produktion und Absatz müsste ein solches Co-Management stets auch die arbeitspolitische Seite im Blick haben; das heißt „gute“ Arbeitsbedingungen sicherstellen und drohende Arbeitsplatzverluste durch geeignete arbeitszeitpolitische Maßnahmen (also vor allem Arbeitszeitverkürzungen) abwenden. Würden in den Automobilbetrieben die Weichen in Richtung eines derartigen zukunftsorientierten Produktions- und Absatzregimes gestellt, wäre es nicht auszuschließen, dass der Funke irgendwann überspringt und eine gesellschaftliche Debatte zur „Verkehrswende“ neu entfacht. Dass so etwas funktionieren kann, hat sich bereits vor 20 Jahren gezeigt. War die Debatte damals eher von außen, d. h. über die Umweltschutzbewegung und hier besonders ihre verschiedenen verkehrspolitischen Zweige in die Automobilbetriebe übergeschwappt, müsste heute die Initiative vermutlich eher von den Betrieben und von der IG Metall ausgehen. Ansatzpunkte sind hier durchaus vorhanden; nicht nur – wie bereits erwähnt – bei den Betriebsräten in der Automobilindustrie. Das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall Hans-Jürgen Urban beklagte im Sommer d. J. die offenkundigen Defizite seiner Organisation in Fragen einer „Ökologisierung des Wirtschaftens, des Konsumierens (…) und des Modells der industriellen Wertschöpfung“ und betonte: „Das bedeutet für Schlüsselsektoren wie die Automobilindustrie eine tief greifende Umstellung.“[42] Bleibt zu hoffen, dass solche Einsichten bald ihren Niederschlag in öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der IG Metall finden und gleichzeitig die in den Betriebsräten vorhandenen Ansätze für einen Rückbau der Automobilindustrie wirkungsvoll unterstützt werden.
[1] Vgl. beispielsweise die Anträge „Opel – Zukunftsfähige Arbeitsplätze statt Standortwettlauf“ (Bundestagsdrucksache 17/1404 vom 20.4.2010) und „Grundlegende Neuausrichtung der Verkehrspolitik für Klima- und Umweltschutz, Barrierefreiheit, soziale Gerechtigkeit und neue Arbeitsplätze“ (Bundestagsdrucksache 17/1971 vom 9.6.2010) der Bundestagsfraktion DIE LINKE.
[2] Vgl. FAZ vom 29.12.2008
[3] Vgl. Rainer Einenkel im Gespräch mit Dietmar Düe, „Jetzt wird’s ernst – jetzt geht’s um’s Überleben“, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 82 (Juni 2010), S. 35ff.
[4] H. Welzer, Die Magie des Wachstums, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 6/2010, S. 64.
[5] Vgl. www.tivi.de/tiviVideos/beitrag/931894?view=flash.
[6] Vgl. FAZ vom 5.10.2010.
[7] Vgl. FAZ vom 3.7.2010, 14.7.2010, 10.8.2010, 11.8.2010 und 14.8.2010.
[8] Vgl. IG Metall (Hrsg.), Auto, Umwelt und Verkehr, Schriftenreihe der IG Metall 122, Frankfurt a.M., o.J. (1990).
[9] Nicht unerwähnt bleiben soll das Engagement verschiedener DKP-Betriebsgruppen in den Automobilbetrieben. Deren gemeinsame kontinuierliche Arbeit mündete in der im Jahr 1989 vom DKP-Parteivorstand herausgegebenen, 46-seitigen Broschüre „Vorschläge der DKP für den sozialen und ökologischen Umbau der Automobilindustrie“.
[10] Vgl. D. Goeudevert, Die Zukunft ruft, Herford 1990; die seinerzeitige Installation eines eigenen Vorstandspostens Umwelt bei VW und seine Besetzung mit dem früheren hessischen Wirtschaftsminister Steger stellt sich aus heutiger Sicht eher als Feigenblatt dar.
[11] Vgl. Arbeit&Ökologie-Briefe 24, 21. November 1990
[12] Vgl. M. Hesse/ R. Lucas, Verkehrswende, Schriftenreihe des IÖW 39/90, Berlin und Wuppertal 1990
[13] Vgl. z.B. H. Schuh-Tschan, Die geräderte Republik, Hamburg 1986; W. Wolf, Eisenbahn und Autowahn, Hamburg 1986, S. 229ff.; D. Seifried, Gute Argumente: Verkehr, München 1990
[14] Vgl. W. Linder/ U. Maurer/ H. Resch, Erzwungene Mobilität – Alternativen zur Raumordnung, Stadtentwicklung und Verkehrspolitik, Köln und Frankfurt a.M. 1975
[15] Vgl. E. Haar/ S. Merten/ F. Prechtl (Hrsg.), Vorfahrt für Arbeitnehmer – Alternativen zur Verkehrspolitik, Köln 1983
[16] Hesse/ Lucas, a.a.O., S. 97 und 13
[17] A.a.O., S. 1
[18] Vgl. F. Krause/ K.-F. Müller-Reißmann/ H. Bossel, Energiewende, Frankfurt a.M. 1980
[19] Vgl. Hesse/ Lucas, a.a.O., S. 35ff.
[20] Zu Begriff und Struktur der Verkehrswirtschaft vgl. a.a.O., S. 61ff.
[21] Vgl. FAZ vom 15.9.2009.
[22] Vor fünf Jahren war es der kombinierte Verbrennungs- und Elektromotor im Hybridauto, dem zunächst in den USA, dann in Europa und Japan kurzfristig hohe Wachstumsraten vorausgesagt wurden und der laut dem damaligen General Motors-Chef R. Wagoner „die ultimative Antwort auf die Beseitigung des Ungleichgewichts in der Umwelt“ sei. Vgl. FAZ vom 11.1.2005.
[23] Vgl. FAZ vom 4.2.2010, 4.5.2010, 18.5.2010.
[24] Vgl. FAZ vom 29.4.2010.
[25] Der Renault-Konzern, der in wenigen Jahren zum größten Elektroautoproduzenten werden will, verzichtet vor allem aus Kostengründen auf die weitere Entwicklung von Hybrid-Modellen und setzt ganz auf reine Elektroautos. Toyota will demgegenüber auch zukünftig stärker auf den Hybrid- als auf ausschließlichen Elektroantrieb setzen; vgl. FAZ vom 6.9.2010 und 15.9.2010.
[26] Vgl. FAZ vom 10.3.2010 und 12.7.2010.
[27] 1. Verkehrsvermeidung, 2. Verkehrsverlagerung, 3. Verkehrsträgeroptimierung; vgl. Lucas/ Hesse, a.a.O.
[28] Vgl. FAZ vom 22.6.2009.
[29] Vgl. FAZ vom 16.6.2010.
[30] Vgl. FAZ vom 10.3.2010
[31] gl. FAZ vom 28.4.2010
[32] Vgl. FAZ vom 25.1.2010 und 6.4.2010
[33] Vgl. FAZ vom 12.5.2010
[34] Vgl. M. Braungart/ W. McDonough (Hg.), Die nächste industrielle Revolution, Hamburg 2008
[35] So sind die neuen Sitzbezüge für den Airbus 380 beispielsweise der South African Airways vollständig biologisch verwertbar und trotzdem um etwa 20 Prozent billiger als die vorherigen Stoffe. „Wenn wir die Zutaten so festlegen, dass sie zurück in die biologischen Kreisläufe kommen, wird der Arbeitsschutz bei der Herstellung vereinfacht, und auch Lagerhaltung und Produktion werden einfacher. Die Zuschnitte, die bei der Produktion von solchen Möbelbezugsstoffen entstehen, können als Torfersatz in Gärtnereien gebraucht werden. Normalerweise müssten sie als Sondermüll entsorgt werden.“ A.a.O., S. 59.
[36] Es Handelt sich hierbei um gasbasierte Kleinkraftwerke sowohl für Privatkunden mit größeren Einfamilienhäusern als auch an Großabnehmer wie Wohnungsbaugesellschaften, kleinere und mittlere Unternehmen oder soziale und öffentliche Einrichtungen. Neben Wärme erzeugen diese Kleinkraftwerke auch Strom und zeichnen sich durch einen hohen Wirkungsgrad und geringen CO2-Ausstoß aus. Vgl. lichtblick.de/h/ZuhauseKraftwerk_310.php.
[37] Vgl. FAZ vom 29.12.2008.
[38] K. H. Tjaden, Kapitalbewegung und Klimageschehen, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 82 (Juni 2010), S. 52
[39] Vgl. a.a.O., S. 52f.
[40] Ganz zu schweigen von denjenigen Automanagern, die sich noch gebauchpinselt fühlen, wenn es von ihnen heisst, sie hätten Benzin im Blut.
[41] Vgl. FAZ vom 23.9.2010
[42] Vgl. www.freitag.de/politik/1031-wir-waren-schon-mal-weiter.