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Wem gehört die Republik?

Empirisches zum Eigentum im deutschen Finanzmarktkapitalismus

von Jürgen Leibiger
Juni 2014

Jürgen Leibiger

Wem gehört die Republik?

Empirisches zum Eigentum im deutschen
Finanzmarktkapitalismus[1]

Erfreulicherweise ist im linken Spektrum – angefeuert nicht zuletzt durch die Open Access Initiativen und die Diskussion über Commons und das Urheberrecht im digitalen Zeitalter – seit einigen Jahren ein Diskurs über die ordnungspolitischen Grundlagen einer Alternative zum Kapitalismus im Gange.[2] Die theoretischen Ausgangspunkte und gesellschaftspolitischen Entwürfe sind vielfältig und kontrovers. Obwohl manche der Disputanten das nicht immer wahrhaben wollen, zeigt dieser Diskurs: Wer sich auf die Suche nach einem nicht-kapitalistischen System begibt, kommt um die Eigentumsfrage nicht herum. Und um eine praktikable Antwort auf diese Frage geben zu können, ist die Untersuchung der bestehenden Eigentumsverhältnisse unverzichtbar. Es ist das Feld abzustecken, auf oder zu dem Alternativen zu entwickeln sind. Ohne eine solche analytische Grundlegung bleiben die Theorien und Praxen alternativer Eigentums- und Gesellschaftsformen Luftschlösser oder drohen, in gesellschaftlich bedeutungslosen Rückzugsnischen zu enden.

Anknüpfend an den klassischen Begriff des Eigentums als eines „Verhältnisses der Individuen zueinander in Bezug auf Material, Instrument und Produkt der Arbeit“[3] hat seine empirische Analyse mindestens folgende Aspekte zu untersuchen: Welche Gegenstände materieller und nicht-materieller Natur sind es, bezüglich der die Individuen soziale Beziehungen eingehen? Wer sind diese unterschiedlichen Individuen oder Subjekte, welchen gesellschaftlichen Gruppen gehören sie an, welche Interessen haben sie und welche Rolle spielen sie im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess? Und schließlich: Welcher Art sind die Beziehungen zwischen diesen Subjekten, was ist der Inhalt der Verhältnisse, die sie eingehen und welche rechtlichen oder anderen Formen nehmen diese Verhältnisse an? Diese Analyse, die hier nur ansatzweise erfolgen kann, wird zeigen, dass zwischen dem jeweiligen Gegenstand, den Subjekten und dem Inhalt der Verhältnisse eine Wechselwirkung besteht, dass bestimmte Produktivkräfte – Produktionsmittel und Arbeitskräfte – mit bestimmten Eigentumsverhältnissen verknüpft sind. Diese Wechselwirkung ist nicht starr, sie erfährt eine geschichtliche Entwicklung und erweist sich darin als ziemlich elastisch. Um Brot für ein Wohngebiet zu backen, bedarf es trotz des wissenschaftlich-technischen Fortschritts auch heute nicht unbedingt einer Kapitalgesellschaft wie zum Beispiel der Bäckereikette Kamps AG. Das schafft der Eigentümer einer Bäckerei in bester Qualität und in ausreichendem Umfang mit eigener Arbeit und ein paar Gesellen. Ein Handwerksbetrieb wäre freilich völlig ungeeignet, ein Flugzeug, eine Autobahn oder ein iPad herzustellen. Die Vielfalt und Differenziertheit der modernen Produktivkräfte bedingt trotz der Dominanz des Kapitaleigentums in seinen unterschiedlichen Formen auch eine Vielfalt der Eigentumsverhältnisse und damit auch eine sehr differenzierte theoretische wie praktische Antwort auf die Eigentumsfrage.

1. Die wichtigsten Eigentumsformen in Deutschland

Trotz eines beständigen Konzentrations- und Zentralisationsprozesses und der Existenz von „Kapitalmagnaten“ (Marx) oder einer Geldelite ist die Zahl der Unternehmen beständig angewachsen. Die von Marx nur kurz beschriebene „Repulsion vieler individueller Kapitale voneinander“[4] ist nachhaltiger, als er vermutet hatte. Es hat sich vor allem in Deutschland ein bedeutender und profitabler klein- und mittelständischer Sektor behauptet und das deutsche Wort „Mittelstand“ findet heute sogar im angloamerikanischen Sprachraum Verbreitung. Mit seiner Existenz ist auch eine Vielfalt von Eigentumsverhältnissen verbunden: kapitalistisches Einzeleigentum und kapitalistisches Gesellschaftseigentum verschiedener Formen, einfache Warenproduktion (Handwerker, Selbständige, Freiberufler), genossenschaftliches Eigentum sowie staatliches und kommunales Eigentum. Diese Eigentumsformen treten in einer Vielfalt von Rechtsformen auf: 2,2 Millionen Unternehmen in der Form von Einzelunternehmen und Natürlichen Personen mit einem volkswirtschaftlichen Umsatzanteil von 10 Prozent, 403.000 Personengesellschaften (27 Prozent des Umsatzes), 474.000 Kapitalgesellschaften (55 Prozent), 7.800 Genossenschaften (1 Prozent), 6.000 Gewerbebetriebe öffentlicher Körperschaften (1 Prozent) und 65.000 Unternehmen sonstiger Rechtsformen (6 Prozent).[5] Obwohl die Rechtsform eines Unternehmens nicht mit der Eigentumsform gleichgesetzt werden darf (auch staatliche Unternehmen haben nicht selten eine privatrechtliche Eigentumsform), kann es den Ausgangspunkt der Eigentumsanalyse bilden, zumal die Entwicklung von Rechtsformen ein juristischer Ausdruck bestimmter Eigentumsverhältnisse ist. Aus weitergehenden Angaben über die Zahl von Selbständigen und Freiberuflern, von Handwerkern, über den Staatsektor usw. lässt sich ein ungefähres Bild über die existierenden Eigentumsformen entwickeln (vgl. Tabelle 1).

Etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen ist in Unternehmen mit kapitalistischem Privateigentum oder kapitalistischem Gesellschaftseigentum beschäftigt und erbringt nahezu drei Viertel der bundesdeutschen Bruttowertschöpfung. Diese Eigentumsform weist die höchste Produktivität auf und dominiert die Verhältnisse in Deutschland. Bis Anfang der 1990er Jahre existierten lange Zeit weniger als 3.000 Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien. Danach explodierte diese Zahl innerhalb weniger Jahre auf über 16.000. Im Gefolge der Krise und des Konzentrationsgeschehens reduzierte sich diese Zahl zwar auf inzwischen etwa 12.000; trotzdem ist das eine Vervierfachung innerhalb von 20 Jahren.

Tabelle 1: Eigentumsformen

Eigentumsform

Charakteristik der wesentlichen Subjekte

Erwerbs-tätige

Anteil an der Bruttowert-schöpfung

Kapitaleigentum

Lohnabhängige, Eigentümer, Anteilseigner, Gläubiger, Kapitalfunktionäre

23 Mio.

72 %

Handwerksbetriebe
(1 Mio.)

Eigentümer ist neben Mitarbeitern selbst Produzent

5 Mio.

8 %

sonstige kleine Warenproduzenten

6 Mio.

8 %

Genossenschaften, Kollektivbetriebe u. ä.

Eigentümergemeinschaft, Produzentengemeinschaft

1 Mio.

1 %

staatliches Eigentum (Kernhaushalte, Unternehmen, Stiftungen usw.)

öffentliche Eigentümer und Arbeitnehmer (Lohn-abhängige, Beamte)

6 Mio.

11 %

Staat: 44 %

Eigene Berechnungen und Schätzungen für 2012.

Etwa ein Viertel der Erwerbstätigen ist bei kleinen Warenproduzenten, gekennzeichnet durch die Identität von Eigentümer und Produzent, tätig und schafft etwa 16 Prozent der Bruttowertschöpfung. Eine Million, das heißt ca. 2,4 Prozent ist in Genossenschaften beschäftigt und erwirtschaftet 1 Prozent der Bruttowertschöpfung, wobei es sich bei dieser Million nicht nur um Mitglieder der Genossenschaften handelt, sondern abhängig Beschäftigte mitgezählt sind. Sechs Millionen Erwerbstätige sind im staatlichen Bereich (Bund, Länder, Kommunen, Sozialversicherungen einschließlich staatlichen Unternehmen) mit unterschiedlichem Status tätig. Der Anteil dieses Bereichs an der Bruttowertschöpfung ist, gemessen am Beschäftigungsanteil (15 Prozent), relativ gering, was auch an der Spezifik der statistischen Erfassung liegt. Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass in diesem Bereich 44 Prozent (= Staatsquote) des Bruttoinlandsprodukts umverteilt und verbraucht wird.

Auch wenn die Produktion für Märkte zweifellos dominiert, muss für ein vollständiges Bild der Eigentumsverhältnisse auf diejenige Produktion hingewiesen werden, die nicht primär kommerziellen Zwecken unterworfen ist und eher in der Freizeit und in oder im Umfeld von privaten Haushalten sowie anderen Assoziationsformen stattfindet. Zu diesem Bereich gehören die 40 Millionen privaten Haushalte, die Familien, Nachbarn, Freundeskreise, Vereine, Kirchgemeinden, Tauschringe, Teile der Non-Profit-Wirtschaft und andere Formen. Hier herrschen zum Teil völlig andere gesellschaftliche Beziehungen als in der Sphäre der Erwerbsarbeit, mit der dieser Bereich freilich verknüpft bleibt. Obwohl die Tätigkeit in solchen Produktionsformen nicht idealisiert werden darf, so kann zumindest in Teilfeldern von einem höheren Grad an Selbstbestimmtheit, wechselseitigem Vertrauen und Solidarität im Vergleich zum Feld der Erwerbsarbeit ausgegangen werden. Oft sind die Beziehungen nicht durch Äquivalenz sondern durch Reziprozität gekennzeichnet, das heißt es bestehen Beziehungen des Gebens und Nehmens, die aber nicht wechselseitig aufgerechnet werden. Damit können für diese Produzenten auch Erfahrungen verbunden sein, die über die herrschenden Verhältnisse hinausweisen und als Alternative erlebt werden. Der bekannte Anarchist und Anthropologe David Graeber nennt dies „elementaren Kommunismus“. Er sei das Fundament des menschlichen Zusammenlebens und mache eine Gesellschaft überhaupt erst möglich.[6] Selbst eine kapitalistische Konkurrenzwirtschaft ist ohne ein gewisses Vertrauen und eine wechselseitige Verlässlichkeit der beteiligten Individuen zueinander nicht funktionsfähig, weil sich nicht alle Beziehungen vertraglich und mit ökonomischem oder politischem Zwang regeln lassen. Es übersteigt den Rahmen des hier vorgelegten Beitrages, auf diese Fragen näher einzugehen. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf das Kapitaleigentum, das genossenschaftliche und das staatliche Eigentum im marktwirtschaftlichen Bereich.

2. Der Nationalreichtum – die Gegenstände von Eigentumsverhältnissen

Der Begriff des Nationalreichtums eines Landes ermöglicht eine umfassende Bestimmung der Gegenstände, um deren Eigentum es geht. Zum nationalen Reichtum gehören der Naturreichtum (Grund und Boden, Ressourcen, Wasser, Raum, Luftraum, Atmosphäre, Flora und Fauna), die produzierten Güter (materielles Sachvermögen wie Ausrüstungen, Bauten und Gebrauchsvermögen sowie das immaterielles Vermögen wie das Kulturerbe, Erfindungen, Software usw.), das Humanvermögen (menschliche Physis und geistiger Reichtum) und das Forderungs- beziehungsweise Geldvermögen.

In der nationalen Vermögensbilanz des Statistischen Bundesamts wird das Bruttovermögen Deutschlands für 2012 mit reichlich 17 Billionen Euro angegeben. Werden davon die Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland abgezogen, erhält man das Reinvermögen in einer Höhe von knapp 13 Billionen Euro. Darin sind wesentliche Bestandteile des natürlichen Reichtums nicht enthalten, weil ihre monetäre Bewertung umstritten ist oder sie sich ihr gänzlich entziehen. Dies gilt ebenso für große Bestandteile des immateriellen Vermögens. Nicht enthalten ist auch das Humanvermögen, obwohl ein nicht geringer Teil dieses Vermögens sich im Wert der Ware Arbeitskraft auch monetär manifestiert.[7] Für die Analyse der Eigentumsverhältnisse ist besonders das Produktivvermögen mit den jeweils produktiven Bestandteilen der Sachanlagen, der immateriellen Anlagegüter und des Baulands von Bedeutung. Es beträgt ungefähr 12 Billionen Euro.[8] Auf die gewachsene Rolle des Finanzvermögens wird weiter unten eingegangen.

Die Unsicherheit der Quantifizierung ist auch Ausdruck der Tatsache, dass wesentliche Bestandteile des Nationalreichtums nicht Gegenstand von Marktbeziehungen sind. Viele kulturelle Güter und Infrastrukturbestandteile mögen zwar in der Bilanz erfasst sein, da sie aber oft nicht regelmäßig und komplett reproduziert und kommerzialisiert werden, haben sie zwar einen teilweise unermesslichen Gebrauchswert (darunter auch künstlerischen oder moralischen Wert), aber keinen Tauschwert. Sie werden deshalb – wie zum Beispiel der im Eigentum der Kirche befindliche Kölner Dom – mit einem symbolischen Wert von 1 Euro ausgewiesen.[9]

Während bei den produzierten materiellen und immateriellen Gütern die Eigentumsverhältnisse klar und auch rechtlich fixiert sind, gilt das für den Naturreichtum nicht im selben Maße. Wem gehören die Luft, die Atmosphäre oder die Bodenschätze? Mitunter wird behauptet, das seien öffentliche Güter, an denen gar kein Eigentum gebildet werden könne. Aber sobald diese Güter einer ökonomischen Nutzung zugeführt werden und dabei Rivalitäten entstehen, zeigt sich sehr schnell, dass ein Eigentümer existiert, der Eigentumsrechte geltend macht und dem diese auch zugestanden werden: Dies sind der hoheitliche Staat und seine Gliederungen. So war es Jahrzehnte lang völlig unerheblich, wer die Funkfrequenzen in einem Land nutzt, da es nur wenige Rundfunkstationen und kaum drahtlose Telefonie gab. Ab dem Moment, wo dieses Gut marktfähig und zu einem umkämpften Gut wurde, musste es Gegenstand von Eigentum werden. Der Eigentümer dieses Gutes kann in einer modernen Gesellschaft nur der souveräne Staat mit seinen Hoheitsrechten sein, der Nutzungsrechte erteilt. Zwar kann jeder Luft atmen, aber niemand kann den Luftraum eines Landes nutzen ohne Überflugrechte beim Staat zu erwerben. Und wird das Atmen durch Luftverschmutzung beeinträchtigt, greift in der Regel der Staat ein. Auch wenn bezüglich einiger Naturgüter eine Gemeinfreiheit (Recht der Nutzung auch ohne Genehmigung und Bezahlung) naturgemäß vorliegt oder definiert wird, so ist es letztlich der Staat, der diese freie Nutzung erlaubt und dieses Recht natürlich auch wieder entziehen kann.

Mit der historischen Entwicklung des Kapitalismus, des kapitalistischen Nationalstaates und der Ausdehnung des Feldes der Kapitalverwertung verschwand das Niemandsland. Die klassische Allmende lebt, sofern sie nicht der ursprünglichen Akkumulation zum Opfer fiel, in gewisser Weise als kommunales Eigentum, das hier unter dem Begriff des Staatseigentums subsumiert ist, fort. Wo heute noch kein Eigentum errichtet wurde, wie zum Beispiel in der Arktis, beginnt dieser Prozess der Eigentumsformierung in Form der Erklärung von nationalen Hoheitsansprüchen in dem Moment, wo die Verwertbarkeit eines Gebrauchswertes entdeckt wird. Dies gilt in besonderem Maße bei immateriellen Gütern, an denen scheinbar kein geistiges Eigentum vorliegt. Heute werden vorsorglich Markenrechte an historischen Namen (z.B. Johann Sebastian Bach) oder Slogans (Die Losung „Wir sind das Volk“ aus der DDR-Wendezeit wollte eine rechtsradikale Organisation als Wortmarke eintragen lassen) beansprucht, und es ist letztlich auch hier der Staat, der private Eigentumsrechte verleiht und zuerkennt oder behält beziehungsweise ausschließt.

Mit der Totalisierung der Kapitalverwertung ist aber nicht nur das Verschwinden des Niemandslands, sondern auch die Überführung privaten oder staatlichen bzw. sonstigen gemeinschaftlichen Eigentums, das bisher nicht Gegenstand der Verwertung war, in privatkapitalistisch verwertetes Eigentum verbunden. Dies zeigt nicht nur die Welle der Privatisierung von staatlichem Eigentum seit Beginn der 1980er Jahre. Auch wenn ein Pharmaziekonzern Forschungsteams aussendet, die nach medizinischem Wissen bei bestimmten Völkern suchen, das sich verwerten lässt, oder wenn Musikkonzerne nach neuen Sounds in der Volksmusik von Naturvölkern forschen, findet dieser Prozess statt. Dabei handelt es sich um einen Eigentümerwechsel, der durchaus auch als Kauf und Verkauf stattfinden kann. Das Besondere daran ist aber die Kommerzialisierung zum Zweck der Kapitalverwertung. David Harvey nennt diesen Vorgang „Akkumulation durch Enteignung“ und betrachtet ihn als logische Fortführung der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals. Burkart Lutz und Klaus Dörre sprechen von „äußerer und innerer Landnahme“.[10] Beide Begriffe betonen den gewaltförmigen Charakter dieses Vorgangs, obwohl es sich dabei oft genug um die Veräußerung von Eigentumsrechten oder die Schaffung neuer Eigentumsrechte (man könnte auch von „Landgewinnung“ sprechen) handelt. Tatsächlich handelt es sich um eine Kommerzialisierung, deren notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung in der Bildung von Eigentum liegt. Mit ihm sind der Ausschluss der Nicht-Eigentümer von der Nutzung des betrachteten Gegenstands und damit der Zwang zu seinem Kauf oder seiner Anmietung verbunden.

Im Diskurs um gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus wird gelegentlich behauptet, das Eigentum sei dafür bedeutungslos, wichtiger seien der Zugang (access) oder die Nutzungsmöglichkeit; das Eigentum verschwinde sogar. Jeremy Rifkins Buch „The Age of Access“ erschien im Deutschen unter dem Titel „Access. Das Verschwinden des Eigentums“.[11] Was Rifkin jedoch schildert, ist nicht das Verschwinden von Eigentum, sondern die wachsende Bedeutung von zeitlich begrenzten Nutzungen (leasing) von Gegenständen in der Produktion und Konsumtion bzw. der Zugang zu ihnen. Das Eigentum selbst bleibe nicht nur bestehen, vielmehr seien im „Hyperkapitalismus“, den Rifkin auch als „kulturellen Kapitalismus“ bezeichnet, alle Lebensbereiche kommerzialisiert. Dies setze die Bildung von Eigentum, die „Privatisierung des kulturellen Gemeingutes“ voraus und erhöhe die Bedeutung der großen Konzerne als Eigentümer, die den Zugang zur Nutzung von Gütern und Netzwerken kontrollieren.[12] Insbesondere würden der kulturell-geistige Bereich sowie Tätigkeiten, die bisher in den privaten oder öffentlichen Haushalten ausgeübt wurden, in kommerzielle Dienstleistungen verwandelt. Praktisch „alle Beziehungen (werden) zu kommerziellen Beziehungen und das Leben eines jeden Menschen (wird) 24 Stunden täglich zum Gegenstand des Kommerzes, …jeder Aspekt unseres Seins (wird) zu einer bezahlten Aktivität“.[13]

Rifkin verweist damit auf die strategischen Felder der künftigen Great Transformation. In deren Zentrum stehen auch Güter, die bisher keine Produktionsmittel im unternehmerischen Sektor, sondern Gebrauchsgüter der privaten und öffentlichen Haushalte oder individuelles beziehungsweise gemeinschaftliches (staatliches) geistiges Eigentum waren. Die Wissenschaft, das Kulturerbe, immaterielle Güter, private Daten und Bilder, alles, was den geistigen Reichtum der Nationen oder von Individuen ausmacht, wird in Produktionsmittel und Kapital zum Zweck der privaten Verwertung verwandelt. Dazu gehören auch der öffentliche Raum, die Ozeane, der Meeresgrund, die Atmosphäre, Arktis und Antarktis und alle natürlichen Ressourcen. Das Eigentum an den Informations- und Kommunikationsnetzen sowie an der sozialen Infrastruktur und die Güter der Daseinsvorsorge werden zu strategischen Feldern der Kapitalverwertung. Nicht wenige dieser neuen Produktionsmittel haben – man denke an das World Wide Web oder die internationalen Gewässer – von vornherein internationalen Charakter. Die Etablierung von Eigentum und die Definition sowie die Durchsetzung von Eigentumsrechten sind damit nur in einem internationalen Kontext möglich und geben der Eigentumsfrage eine neue Dimension.

3. Die Geldvermögen im Finanzmarktkapitalismus

In der gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanz taucht das Geldvermögen nur insoweit auf, als es sich um Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland handelt. Da das gesamte Geldvermögen aus Forderungen besteht, denen Verbindlichkeiten (zumindest wenn es sich nicht um Bestände an Währungsgold handelt) gegenüberstehen, „verschwindet“ dieses Vermögen – statistisch gesehen – bei Summierung und Saldierung aller inländischen Aktiva und Passiva der einzelnen Vermögensbilanzen. Um die Rolle der Geldvermögen als eines Gegenstands von Eigentumsbeziehungen zu erhellen, muss somit eine niedrigere Aggregationsebene gewählt werden.

In Tabelle 2 sind die Brutto- und Nettovermögen von Finanzsektor, nicht-finanziellem Sektor, Staat und privaten Haushalten ausgewiesen. Die Bruttovermögen bestehen jeweils aus Anlagevermögen, Bauten und Geldvermögen. Werden davon die Verbindlichkeiten des jeweiligen Sektors gegenüber anderen Sektoren abgezogen, ergibt sich das Nettovermögen. Bemerkenswert an der Vermögensentwicklung dieser vier Sektoren ist – abgesehen von der Entwicklung des Sektors Staat, auf die weiter unten eingegangen wird – die Dynamik im Finanzsektor. Während sich die Bruttovermögen im ausgewiesenen Zeitraum im volkswirtschaftlichen Durchschnitt um 160 Prozent erhöhten, stieg das Bruttovermögen dieses Sektors um 251 Prozent, wobei es sich dabei überwiegend um Geldvermögen handelt. Auch das Nettovermögen stieg um 233 Prozent, weit schneller als der Durchschnitt (129 Prozent). Der Anteil des Reinvermögens dieses Sektors am gesamten Reinvermögen der Volkswirtschaft war 2012 mit 3,7 Prozent eher gering. Aber dieses geringe Reinvermögen reicht aus, um 65 Prozent des volkswirtschaftlichen Bruttovermögens zumindest zeit- und teilweise zu kontrollieren.

Diese Entwicklung als Ausdruck der Finanzialisierung der Kapitalakkumulation zeigt, dass die Verfügung über Finanzvermögen neben Eigentum bzw. Verfügung über Produktionsmittel als entscheidendes Ordnungsprinzip des Kapitalismus getreten ist.[14] Die Geldvermögen wachsen weit schneller als die Sachvermögen und dies gilt auch für die Renditeerwartungen aus diesem Kapital im Vergleich zu den Möglichkeiten der Profiterwirtschaftung im nicht-finanziellen Sektor, dem sogenannten „Realbereich“. Und obwohl dem Bruttovermögen des Finanzsektors riesige Verbindlichkeiten gegenüberstehen, verfügt dieser Sektor damit über eine gewaltige wirtschaftliche Kontrollmacht gegenüber fremdem Kapital, das heißt Geldvermögen, das ihm formal nicht gehört und nicht sein Eigentum ist. Ein gewachsener Teil dieses Finanzvermögens stammt nicht aus den im Realbereich erzielten Einkommen, sondern verkörpert Renditeversprechen, also fiktives Kapital. Von diesen mit dem Finanzvermögen verbundenen Renditeerwartungen geht die Shareholder-Value-Orientierung der Wirtschaft aus und hier liegt eine Wurzel von Finanzblasen und der gewachsenen Anfälligkeit der Wirtschaft gegenüber Finanzkrisen. Auch wenn diese Versprechen die Verwertungsmöglichkeiten des fungierenden Kapitals weit übersteigen und nicht gänzlich eingelöst werden können, so erlauben sie die Aneignung eines hohen Teils volkswirtschaftlicher Einkommen durch die Inhaber solchen Kapitals.

Tabelle 2: Brutto- und Geld- sowie Netto- (Rein-)vermögen der Sektoren (in Mrd. Euro)

1991

2012

Steigerung um

Finanzsektor brutto

- dar. Geldvermögen

netto

3.169

3.003

135

11.128

10.906

450

251 %

263 %

233 %

Nichtfinanz. Kapitalgesell. brutto

- dar. Geldvermögen

netto

2.779

887

1.106

6.025

2.606

1.980

117 %

194 %

79 %

Private Haushalte brutto

- dar. Geldvermögen

netto

4.783

1.926

3.953

11.347

4.710

9.781

137 %

145 %

147 %

Staat brutto

- dar. Geldvermögen

netto

1.378

453

798

2.399

1.012

37

74 %

123 %

- 95 %

Volkswirtschaft brutto

netto

6.594

5.685

17.121

13.042

160 %

129 %

Quelle: Berechnet nach Statistisches Bundesamt: Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen, 2012. Das Netto- oder Reinvermögen eines Sektors ergibt sich aus seinem Bruttovermögen abzüglich seiner Verbindlichkeiten gegenüber den anderen Sektoren.

Die „eigentlichen“ Eigentümer, sogenannte Letzteigentümer, des größten Teils dieses Geldvermögens – bestehend aus Bargeld und Einlagen, aus Wertpapieren (festverzinsliche Wertpapiere, Aktien, Finanzderivate, sonstigen Beteiligungen und Investmentzertifikaten) sowie Ansprüchen gegenüber Versicherungen und Pensionsfonds – sind private Haushalte, die unterschiedlichen sozialen Schichten und Klassen zugehörig sind. Die Verteilung dieser Vermögen ist nicht nur höchst ungleich, diese Ungleichverteilung hat zudem in den vergangenen Jahrzehnten extrem zugenommen. Während der Anteil der unteren und mittleren Schichten im betrachteten Zeitraum gesunken ist (beim untersten Zehntel ist das Vermögen zunehmend negativ, das heißt es liegt eine wachsende Verschuldung vor), stieg der Vermögensanteil des obersten Zehntels der Bevölkerung von 44 Prozent (1970) auf zuletzt 66 Prozent. Das oberste Fünftel besitzt etwa 85 Prozent des gesamten Nettogeldvermögens der Bundesrepublik. Allein die 500 reichsten Deutschen an der Spitze der Vermögenspyramide (0,0006 Prozent der Bevölkerung) nennen laut Manager-Magazin 528 Milliarden Euro an Geld und anderem Vermögen ihr Eigen,[15] das sind 5 Prozent des Gesamtvermögens der privaten Haushalte.

Diese Vermögen sind zu einem sehr hohen Prozentsatz im Finanzsektor angelegt oder werden dort verwaltet. Verwaltung heißt, dass seine höchstmögliche Verwertung innerhalb des Finanzsektors oder durch Anlage im Realbereich angestrebt wird. Zu den Vermögens- oder professionellen Eigentumsmanagern gehören längst nicht mehr nur die Banken, sondern private Vermögensberatungen und Vermögensverwalter, Investmentfonds, Ratingagenturen, Versicherungen und der gesamte Bereich des grauen Kapitalmarkts beziehungsweise Schattenbankensystems. Nicht nur die Geldvermögen, sondern auch der Finanzsektor ist hochgradig konzentriert. Die Monopolkommission ermittelte, dass der Anteil der zehn größten Institute am Geschäftsvolumen aller Kreditinstitute von 36 Prozent im Jahr 1990 auf etwa 50 Prozent im Jahr 2010 stieg. Bei den Versicherungen stieg der Anteil der zehn größten Häuser von 41 auf 60 Prozent.[16]

4. Veränderungen und Konstanten des Kapitaleigentums

In den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten hat sich die Struktur des Kapitaleigentums stark verändert. Ein erstes auffälliges Merkmal ist das Anschwellen des Volumens der Fusionen und Aufkäufe (M&A = mergers and acquisitions) in nationaler und internationaler Dimension. Das wertmäßige Volumen der M&A-Aktivitäten ist seit den 1990er Jahren sowohl global als auch in Deutschland schlagartig und in einer vom Konjunkturzyklus geprägten Dynamik auf ein Vielfaches des Umfangs früherer Jahrzehnte angestiegen.[17] Damit reagieren die Konzerne auf die globale Überakkumulation: Konkurrenten werden aufgekauft oder fusioniert um Skalengewinne zu erzielen und die Konkurrenz letztlich zu beseitigen. Mit großem Abstand sind vor allem Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche Käufer oder zumindest Vermittler und Manager des M&A-Geschehens. Ein weiteres Merkmal der rasch wachsenden M&A ist ihr internationaler Charakter. Im Unterschied zur Entwicklung in den 1970er Jahren, als große transnationalen Konzerne (TNC) entstanden, deren Heimat die Länder der kapitalistischen Zentren waren, sind am internationalen M&A-Markt inzwischen zunehmend auch Konzerne der Schwellenländer aktiv. Sie sorgen nicht nur für große Deals innerhalb ihrer Mutterländer, sondern wenden sich auch den Firmenmärkten in den hochentwickelten Ländern zu. Dies ist freilich keine Einbahnstraße. Der Bestand an deutschen Direktinvestitionen im Ausland hat sich in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von 10 Prozent im Jahr 1990 auf über 40 Prozent in 2012 erhöht.[18]

Fast zeitgleich mit der Explosion der M&A-Aktivitäten wurde eine Entflechtung von Industrie- und Bankkapital beobachtet, was zum Schlagwort vom „Ende der Deutschland-AG“ führte.[19] Als Deutschland-AG wurde das hegemoniale Netzwerk von Banken, Versicherungen und Konzernen verstanden, das durch starke wechselseitige Beteiligungen und personelle Verflechtungen gekennzeichnet war. Dieses Netzwerk, in deren Zentrum die Deutsche Bank und die Allianz standen, erodiert seit etwa zwanzig Jahren, was der These von der wachsenden Bedeutung der Finanzbranche zu widersprechen scheint. Neben bestimmten steuerlichen Regelungen, die das Veräußern von Unternehmensanteilen profitabel machten, ist es aber genau die wachsende Bedeutung des Finanzdienstleistungssektors jenseits der großen Banken sowie deren internationaler Charakter, die zu diesem Effekt führten. Gegenüber den nationalen Industriebeteiligungen mit ihren langen Bindungen und Risiken erwies sich die Kapitalanlage am globalen Finanzmarkt mit seinen rascheren Rückflüssen als wesentlich profitabler und flexibler. Die großen Banken und Versicherungen wandten sich deshalb selbst verstärkt diesem Markt zu. Auch in der Industrie wuchsen die Bedeutung der Finanzierung jenseits traditioneller Formen und damit der Einfluss des Schattenbankensystems.

Für eine Veränderung der Eigentumsstruktur der Wirtschaft ist auch der Prozess der Neugründung und Aufspaltung von Unternehmen von Bedeutung. Er ist die Folge von Innovationen und dem Entstehen neuer Geschäftsfelder sowie das Resultat des Outsourcings, bei dem die Großkonzerne sich von Geschäftsfeldern trennen oder bestimmte Elemente der vertikalen Wertschöpfungskette ausgliedern. Beides führte zu einem Wachstum der Zahl der Unternehmen, die im Verlauf der letzten zehn Jahre in Deutschland um 16 Prozent auf gegenwärtig über 3,6 Millionen angewachsen ist. Dieses Wachstum vollzieht sich vor allem im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).[20] Über 99 Prozent aller Unternehmen gehören zu dieser Gruppe. Reichlich ein Drittel des Unternehmensumsatzes entfällt auf sie. Über 60 Prozent aller Erwerbstätigen sind in den KMU beschäftigt, das heißt, die soziale Gesamtsituation in Deutschland wird in nicht geringem Maße auch durch diesen Bereich mitbestimmt.[21] Das Wachstum der Unternehmenszahl führt dazu, dass trotz der jüngsten M&A-Wellen der statistisch ausgewiesene Konzentrationsgrad der Wirtschaft, gemessen am Anteil der Großunternehmen an der gesamten Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik, nicht angewachsen, sondern zurückgegangen ist. Der Anteile der 100 größten Unternehmen an der Nettowertschöpfung aller Unternehmen sank von 20 Prozent im Jahr 2000 auf 16,4 Prozent im Jahr 2010.[22] Dieser Rückgang gilt freilich nur im Durchschnitt In den bestimmenden Wirtschaftszweigen nahm der Konzentrationsgrad zu. Vor allem in der Industrie erhöhten die 50 größten Unternehmen ihren Anteil am industriellen Umsatz von 27 (1994) auf 32 Prozent (2010), wobei dieser Anteil in den 1970er Jahren schon einmal bei diesem Wert lag. Er war zwischenzeitlich durch die Aufnahme der ostdeutschen Unternehmen in die Statistik geschrumpft. Diese Zahlen zeigen, dass der Konzentrationsprozess Schwankungen unterliegt und es immer auch eine Gegenbewegung der Dekonzentration gibt, die zeitweilig sogar stärker sein kann. Die populäre Marx-These von der Zentralisation des Kapitals in wenigen Händen und der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten unterschätzt die Bedeutung solcher Gegenbewegungen. Allerdings zeigen diese Zahlen auch, welch hohes Niveau die Konzentration des Kapitals in bestimmten Bereichen erreicht hat: Zwei Drittel des volkswirtschaftlichen Gesamtumsatzes wird von nur 0,7 Prozent der Unternehmen (15.000 Großunternehmen) erzielt. Im Bereich der Kreditinstitute macht das Geschäftsvolumen der 10 Größten 50 Prozent des Gesamtvolumens der Branche aus. Vor allem aber kann die wirtschaftliche Macht der großen Konzerne nicht allein anhand des Konzentrationsgrads gemessen werden. Viele kleine und mittlere Unternehmen, die formal selbständig sind und auch keine Beteiligungen aufweisen, sind, wie zum Beispiel die Scheinselbständigen, durch Lieferverträge und andere wirtschaftliche Abhängigkeiten fest an die Großkonzerne und ihr Umfeld gebunden und von deren Wohl und Wehe abhängig. Hinter der wachsenden Zahl von KMU verbirgt sich deshalb trotz des statistisch geringeren Konzentrationsgrads ein wirtschaftlicher und politischer Machtzuwachs der Großkonzerne und der führenden Finanzinstitute, der sich mit einer Analyse des formalen Eigentums oder der Verfügung über fremdes Kapital, von Beteiligungen und personellen Verflechtungen allein nicht erfassen lässt.

Bezeichnend dafür ist das Phänomen des „too big to fail“, d.h. der Systemrelevanz einzelner Unternehmen und Banken. Obwohl schon lange bekannt, ist es doch bemerkenswert, dass diese Frage im Zusammenhang mit der jüngsten Krise eine solch große Aufmerksamkeit erlangt hat. Offensichtlich haben Größe und Verflechtung einzelner Unternehmen und Finanzinstitute eine Dimension erlangt, die nicht nur existenzielle Bedeutung für einzelne Unternehmen in ihrem Umfeld besitzt, sondern ganze Branchen und die gesamte nationale und Weltwirtschaft in weit höherem Maße als früher berührt. In einer vielzitierten Verflechtungsanalyse eines Forscherteams der ETH Zürich wurde herausgefunden, dass eine Supergruppe von 147 Transnationalen Konzernen aufgrund intensiver Verflechtungen über Beteiligungen, Personalverflechtungen und Kreditbeziehungen auf etwa 40 Prozent der Weltwirtschaft entscheidenden Einfluss nehmen kann.[23] Die Top 20 sind durchweg international agierende Banken; aus Deutschland gehört die Deutsche Bank zu diesem Kreis. Der Kreis dieser Finanzunternehmen, der einen Großteil des internationalen Handels mit Währungen, Zinsprodukten und Rohstoffen abwickelt, ist inzwischen so klein geworden, dass wenige Mails und Telefonate genügen, um – wie der Libor-Skandal und die Manipulation von Devisenkursen und des Goldpreises zeigen – Kartellabsprachen vorzunehmen.

Weiter oben war kurz die stürmische Entwicklung der Zahl der Aktiengesellschaften in Deutschland erwähnt worden. Der Aktienbestand hat sich im Rahmen dieser Entwicklung seit 1991 von 654 Milliarden auf fast 2 Billionen Euro erhöht, wobei in dieser Entwicklung stück- und wertmäßige Steigerungen zum Ausdruck kommen. Eine gravierende Verschiebung vollzog sich dabei in der Aktionärsstruktur. Während der Anteil der Unternehmen am Aktienbesitz mit etwa 42 Prozent stabil blieb, zählen private Haushalte, Banken und Sparkassen sowie der Staat zu den „Verlierern“. Ihr Anteil am Aktienbesitz ging in der Summe von 37 auf 18 Prozent zurück. Allein der Anteil der Banken und Sparkassen am Aktienbesitz beträgt nur noch ein Drittel des Wertes von 1991. Gewinner sind Versicherungen und Fonds unterschiedlicher Art; ihr Anteil stieg in diesen zwanzig Jahren von 10 auf 27 Prozent. Der Anteil ausländischen Besitzes an deutschen Aktien verdoppelte sich auf knapp 20 Prozent.[24]

Vor allem die Verdreifachung des Anteils der Fonds am Aktienbesitz ist dabei bemerkenswert. Hier kommt eine gravierende Veränderung im Verhältnis von Kapitaleigentum und Kapitalfunktion zum Ausdruck. Waren die meisten Kapitaleigentümer im 19. Jahrhundert zugleich die Unternehmer und Manager ihrer Firmen, so kam es bekanntlich zu einer allmählichen personellen Trennung. Schon Marx registrierte, dass die Eigentümer die Leitung ihrer Unternehmen an bezahlte Manager übertrugen und sich eine Schicht reiner Rentiers bildete. Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich diese Struktur erneut: Die Banken übernahmen beträchtliche Unternehmensanteile und über Personal- und Kreditbeziehungen gewannen sie entscheidenden Einfluss. Zugleich entwickelte sich die Schicht der Spitzenmanager selbst zu Eigentümern. Diese hatten vor allem bei Streubesitz und geringer Beteiligung an den Hauptversammlungen nahezu uneingeschränkte Verfügung über fremdes Eigentum. Die Finanzialisierung führt nun zu einem erneuten Wandel. Sie drückt sich auch darin aus, dass ein Bereich des professionellen Eigentumsmanagements außerhalb der Banken entstand, der von den Eigentümern der Finanzvermögen mit dessen Verwaltung und Verwertung beauftragt ist und dabei in hohem Maße auch eigene Interessen wahrnimmt.

Die Verschiebungen, die in der Eigentümerstruktur der Konzerne stattgefunden haben, bedeuten keineswegs eine Erweiterung der Durchlässigkeit des Kreises von Eigentümern oder gar eine Demokratisierung des Eigentums. Ganz im Gegenteil, diese exklusive Elite hat sich immer weiter von anderen, kleinen und mittleren Kapitaleigentümern und noch mehr von der Bevölkerungsmehrheit abgesetzt. Angesichts der Exklusivität und des Habitus dieser sich selbst reproduzierenden Zirkel und Seilschaften wird gelegentlich sogar von einer Re-Feudalisierung gesprochen.[25] Elitenforscher Hans-Jürgen Krysmanski bezeichnet dieses Netzwerk in Anlehnung an den Militärisch-Industriellen Komplex als „Geldmachtkomplex“.[26] Obwohl das hier vorgelegte Papier sich nicht mit Klassen- oder Machttheorie befasst, sei darauf hingewiesen, dass sich in dieser Eigentumskonzentration natürlich auch die Existenz einer herrschenden Klasse manifestiert. Die Macht der Kapitaleigner und ihrer Funktionäre drückt sich in der hohen Vermögenskonzentration (Produktivvermögen, Geldvermögen), ihrem Informationsmonopol, ihrer enormen Marktmacht, in der Verfügung über finanzielle, personelle und informelle Netzwerke, ihrem privilegiertem Zugang zum Staat und dessen Beeinflussung sowie ihrem Erpressungspotenzial (too big to fail, opting out) aus. Im Jahr 2010 befanden sich von den 100 größten deutschen Unternehmen – sie stehen für über 16 Prozent der Nettowertschöpfung der Bundesrepublik – 21 mehrheitlich im Einzel- oder Familienbesitz, 32 hatten Besitzer mit größeren Mehrheiten und 7 waren ohne Mehrheitsbesitz, wurden also zumeist durch das Management bzw. die Kreditgeber kontrolliert. 26 befanden sich mehrheitlich in ausländischem Einzelbesitz und 13 im Besitz der öffentlichen Hand.[27] „Eine kleine Kaste meist älterer Herren (kontrolliert) die großen Konzerne des Landes“, schreibt Der Spiegel.[28] Gegenüber dieser Machtkonzentration bleiben die Mitbestimmungsgesetze, die staatlichen Gesetze und Regulierungen und auch die freiwilligen Bestimmungen einer Good Corporate Governance zwar nicht unwichtig, aber doch nur von sekundärer Bedeutung. Dies ist umso mehr der Fall, als sich diese herrschende Klasse trotz ihrer nationalen Verankerung zunehmend internationalisiert und so nationale Regeln unterlaufen kann.[29]

5. Der Umbau des Staates

Das staatliche Vermögen hat sich zwar auch in den Jahrzehnten des neoliberalen Kapitalismus kontinuierlich auf 2,4 Billionen Euro erhöht, aber seine Entwicklung blieb in den vergangenen 20 Jahren weit hinter der Entwicklung des volkswirtschaftlichen Gesamtvermögens zurück (vgl. Tabelle 3). Diese schwache Entwicklung ist zwar auch dem Kurs der Privatisierung, aber noch viel mehr dem Rückgang der staatlichen Investitionen geschuldet. Deren jährliches Volumen beträgt heute nur noch etwa 80 Prozent des Volumens von 1991, so dass sich inzwischen eine erhebliche Investitionslücke bei öffentlichen Einrichtungen und der Infrastruktur ergeben hat. Da die Verschuldung des Staates in diesem Zeitraum enorm angewachsen ist, sank sein Nettovermögen sogar absolut um 95 Prozent. Allerdings muss hier hinzugefügt werden, dass die vorn erwähnten theoretischen und statistischen Schwierigkeiten bei der monetären Erfassung des Vermögens beim Staat besonders ausgeprägt sind. Und aufgrund seiner rechtlichen und volkswirtschaftlichen Stellung ist ein derartiger absoluter Rückgang des Reinvermögens auch ganz anders zu bewerten als im Privatbereich, wo er fast ruinös wäre.

Das staatliche Eigentum befindet sich in der Hand der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) und der Sozialversicherungen. Es umfasst den Bereich der Kern- und Extrahaushalte, in dem vor allem hoheitliche Aufgaben wahrgenommen werden, und den Bereich der sonstigen öffentlichen Einrichtungen mit öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen. Seine Dimension und Struktur kann auch durch die Anzahl der Beschäftigten illustriert werden.

Tabelle 3: Beschäftigte der öffentlichen Arbeitgeber (in Tausend, gerundet)

Öffentlicher Gesamthaushalt

sonstige öff.
Einrichtungen

insgesamt

Bundesbereich

465

239

703

Landesbereich

2110

386

2496

Kommunaler Bereich

1206

930

2137

Sozialversicherung

378

19

397

Insgesamt

4159

1574

5733

Quelle: destatis; Abruf 2.5.14; Angaben für 2012.

Die sonstigen öffentlichen Einrichtungen werden in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht als Bestandteil des Staatssektors erfasst. Die gut 14.000 (2010) öffentlichen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen existieren entweder in privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Form, sie weisen eine Bilanzsumme von 1,8 Billionen Euro auf und ihr Umsatz beträgt immerhin 358 Milliarden Euro.[30] Obwohl es sich um staatliches Eigentum handelt, agieren sie zu einem nicht geringen Teil auf Märkten, die der Konkurrenz und ihren Gesetzen unterworfen sind. Faktisch agieren sie somit wie kapitalistische Privatunternehmen und in vielen Bereichen der Bildung, der Kultur und der Gesundheit existiert ein zunehmender Druck, sich kommerziellen, also faktisch den Kriterien der Kapitalverwertung, zu unterwerfen. Das Management dieser Unternehmen ist zwar, abgesehen von dessen privatem Eigeninteresse, den Interessen der staatlichen Eigentümer verpflichtet, aber dieses Interesse wird zumeist auch als Verwertungsinteresse definiert.

Staatliches Eigentum wird unterschiedlich bezeichnet. Oft wird von öffentlichem Eigentum, aber auch von Gemein- oder gesellschaftlichem Eigentum gesprochen. Öffentliches, gesellschaftliches oder Gemeineigentum wäre es dann, wenn der Souverän, das Volk, Eigentümerrechte auch wirklich ausüben könnte. Ob das tatsächlich der Fall ist, hängt vom Entwicklungsstand der Demokratie, also davon ab, inwieweit das Volk seine Souveränitätsrechte uneingeschränkt und direkt auszuüben vermag. In der parlamentarischen Demokratie steht zwischen dem Volk und den genannten Eigentumsobjekten jedoch der Staat in Gestalt von Parlament, Regierung und Justiz. Damit ist auch dieses Eigentum Gegenstand der auf dem Feld des Staates wirkenden sozialen Auseinandersetzungen von Klassen und Schichten unter den Bedingungen eines Kräfteverhältnisses zugunsten hegemonialer Eliten. Die Mechanismen, über welche diese Eliten ihren Interessen im Staat und seinen Gliederungen Geltung verschaffen, sind vielfältig und sollen hier nicht detailliert beschrieben werden; Beispiele dafür gibt es zuhauf.[31] Hinzu kommt, dass sich die soziale Stellung der Lohnabhängigen im staatlichen Bereich von der Stellung der Arbeitnehmer im privaten Bereich nicht wesentlich unterscheidet, zumindest soweit sie nicht verbeamtet sind. Aber obwohl nicht angezweifelt werden kann, dass staatliches Eigentum nicht uneingeschränkt dem Wohle der Allgemeinheit dient, darf daraus nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, es sei letztlich egal, ob eine bestimmte Dienstleistung zum Beispiel der Daseinsvorsorge privat oder von staatlichen Betrieben oder Institutionen erbracht wird. Staatliche Betriebe und Einrichtungen sind den Privatinteressen eben nicht direkt untergeordnet, sondern nur insoweit, wie diese Interessen sich in den politischen Auseinandersetzungen im Staat und seinen Gliederungen sowie in Bezug auf dieses Eigentum real durchzusetzen vermögen. Es gibt also gute Gründe, wenn sich die Bürger gegen Privatisierungen staatlichen Eigentums zur Wehr setzen. Dies gilt umso mehr, da wichtige produktive und konsumtive Reproduktionsfunktionen der Gesellschaft eine Qualität und Dimension aufweisen, die rationell nicht anders als in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen verwirklicht werden können. Staatliches Eigentum könnte somit durchaus als einer der Ausgangspunkte einer realen Vergesellschaftung des Eigentums und der Herausbildung von Gemeingütern oder Commons betrachtet werden.

In manchen linken Veröffentlichungen wird im Zusammenhang mit den Staatseingriffen während der jüngsten Weltwirtschaftskrise und den Bemühungen mancher Kommunen zur Re-Kommunalisierung privatisierter Einrichtungen von einer „Rückkehr des Staates“ oder einer „Rückkehr des Öffentlichen“ gesprochen.[32] In dieser Formulierung kommt ein doppelter Irrtum zum Ausdruck: Es hatte keine Abkehr vom Staat schlechthin gegeben, deshalb erleben wir auch keine Renaissance desselben. Vielmehr hat es im neoliberalen Kapitalismus eine neue Definition der Staatsfunktionen und der politischen Prioritäten des Staatshandelns sowie eine Umstrukturierung des Staates gegeben. Wie die Entwicklung staatlichen Eigentums zeigt, kam es zu einer Rückbildung von dessen wirtschaftlicher Bedeutung. Es wuchs zwar, aber sein volkswirtschaftlicher Anteil ging stark zurück. Überall dort, wo sich „Produkte“ definieren lassen, wurde versucht, diese auch in Waren zu verwandeln. Und dort, wo das möglich war, wurde wiederum versucht, diese Waren nicht durch staatliche Einrichtungen, sondern durch Privatunternehmen herstellen zu lassen, entweder durch staatliche Unternehmen in privatrechtlicher Form oder mittels materieller Privatisierung durch Privatunternehmen. Insoweit kam es zu einem „Rückbau“ des Staates, der nun freilich auch heute nicht rückgängig gemacht wird. Die wenigen in der Krise verstaatlichten Banken werden zwar mittels des Staates saniert, aber dann unverzüglich wieder privatisiert. Und von einem Trend der Re-Kommunalisierung kann angesichts der wenigen Beispiele von kaum mehr als einem Dutzend ebenfalls nicht gesprochen werden.

In Bezug auf andere Funktionen des Staates hat es jedoch nie einen Rückzug gegeben. Der Abbau der Wohlfahrtsfunktionen des Staates und seiner Sozialleistungen ging mit Erhöhung der verwaltungsrechtlichen Anforderungen, der bürokratischen Gängelung der Leistungsempfänger und seiner repressiven Elemente einher. Was als Deregulierung des Arbeitsmarktes bezeichnet wurde, war faktisch nichts anderes als eine Reduzierung der Sozialleistungen bei Ausbau seiner bürokratischen Druckmittel gegenüber Arbeitslosen. Die ordnungs- und sicherheitspolitischen Reglementierungen wurden ausgebaut, heute spricht man von Tendenzen zu einem „autoritären Kapitalismus“. Zwar wurden nationale Marktschranken abgebaut und vor allem innerhalb der Europäischen Union wurden der Güter-, Kapital- und Arbeitsverkehr liberalisiert. Aber obwohl es in wichtigen Bereichen wie zum Beispiel den Finanzmärkten an einer effektiven Regulierung fehlt, hat sich infolge des Ausbaus internationaler Regelungen und Instanzen die Regelungsdichte eher erhöht als vermindert. Diese Tendenzen existierten bereits vor der Weltwirtschaftskrise von 2007ff und haben sich seitdem zweifellos verstärkt. Und da mit dieser Krise der Slogan „Mehr Markt, weniger Staat“ medial kaum noch Anklang fand, mag es den Anschein haben, als gelte nun das Gegenteil. Die Realität war jedoch schon immer komplexer und widersprüchlicher als die politischen Schlagworte. Der neoliberale Kapitalismus war und ist ohne einen starken Staat nicht denkbar.

6. Genossenschaftliches Eigentum unter Anpassungsdruck

Die Zahl der Genossenschaften in Deutschland hat sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte stark vermindert. Noch 1980 existierten fast 12.000; inzwischen ist ihre Zahl auf 7.847 geschrumpft. Diese Tendenz wurde nur kurz unterbrochen, als 1990 die Agrargenossenschaften in Ostdeutschland, von denen im Unterschied zu den Produktionsgenossenschaften nicht wenige durchaus erfolgreich agieren, in die Statistik aufgenommen wurden. Auch in der jüngsten Zeit kam es zu einem Zuwachs durch Gründung vor allem von Energiegenossenschaften zur lokalen Produktion und Nutzung regenerativer Energien sowie von Beschaffungsgenossenschaften im Bereich der niedergelassenen Ärzte. Eine besonders starke Reduzierung hat die Zahl von Genossenschaftsbanken erfahren, weil es seit den 1990er Jahren eine Welle von Fusionen gegeben hat. Der Anteil aller Genossenschaften an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung liegt bei etwa 1 Prozent; ihre Produktivität ist, gemessen an der Wertschöpfung je Erwerbstätigen, insgesamt deutlich geringer als der volkswirtschaftliche Durchschnitt und das Betätigungsfeld dieser Eigentumsform ist entsprechend eng. Tabelle 4 zeigt den Stand im Jahr 2013, wobei in den gewerblichen Genossenschaften auch Kooperativformen enthalten sind, die – wie zum Beispiel mitarbeitergeführte Unternehmen – formalrechtlich keine Genossenschaften sind.

Tabelle 4: Genossenschaften in Deutschland 2013

Anzahl

Mitglieder

Mitarbeiter

Kreditgenossenschaften

1.101

17,3 Mio.

159.750

ländliche Genossenschaften

2.339

519.000

67.139

gewerbliche Genossenschaften

2.464

456.000

578.825

Konsumgenossenschaften

30

342.000

13.723

Wohnungsgenossenschaften

1.913

2,8 Mio.

24.551

Quelle: Die deutschen Genossenschaften 2013, DG Verlag 2013, S. 7.

In dieser Übersicht sind eine ganze Reihe solidarischer Unternehmensformen, die eine andere oder juristisch nicht fixierte Form aufweisen, nicht enthalten. Oft bilden sie Vereine oder Non-Profit-Formen. Zu ihnen gehören Tauschringe, Umsonst-Läden, lose Kooperativformen wie Open Access Projekte und zeitliche begrenzte bürgerschaftliche Initiativen. Gesamtwirtschaftlich gesehen haben sie eine geringe Bedeutung, auch wenn sie eine Bereicherung für das Gemeinschaftsgefühl der involvierten Bürger sind und Aufgaben wahrnehmen, die sonst unerledigt blieben. Obwohl es eine Bewegung gibt, die mit diesen informellen Organisationsformen die Überwindung der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise verbinden, sollte nicht verkannt werden, dass dieser Kommunitarismus auch dazu dient, die Kapitalverwertung durch eine spezifische Art des Do-it-yourself ökonomisch zu entlasten. Viele dieser Unternehmen und Initiativen existieren nur, weil ihre Mitglieder ihre eigentliche Reproduktionsarbeit in anderen Zusammenhängen leisten und das Umfeld, die Infrastruktur und die erforderliche Technologie bereits vorhanden sind und im Rahmen der Produktion in anderen Eigentumsformen bereitgestellt werden.

Genossenschaften zeichnen sich unter anderem durch das Prinzip ‚ein Mitglied – eine Stimme’ aus. Sie können deshalb eine Form von Wirtschaftsdemokratie oder des „demokratischen Wirtschaftens“ sein. Dies ist jedoch keineswegs automatisch der Fall. Obwohl ein Unterschied zum Prinzip des kapitalistischen Gesellschaftseigentums zum Beispiel der Aktiengesellschaft (Stimmenanteil = Aktienanteil) besteht, kommt es auch hier darauf an, wie die Eigentümer ihre Mitgliedschaft wirklich wahrnehmen; oft genug handelt es sich um eine formale Mitgliedschaft, deren Zweck nicht ein solidarisches Wirtschaften, sondern die Nutzung bestimmter ökonomischer Vorteile in spezifischen Betätigungsfeldern ist. Eine Identität von Mitglied und Produzent ist überwiegend nicht gegeben und die meisten Beschäftigten in diesem Bereich sind Lohnarbeiter wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch. Genossenschaften agieren auf kapitalistischen Märkten und unter Konkurrenzbedingungen wie andere Kapitalgesellschaften und sind einem entsprechenden Anpassungsdruck ausgesetzt.

Dieser Druck, unter dem Genossenschaften und ähnliche Eigentumsformen stehen und die Grenzen, denen sie unterworfen sind, bedeuten nicht, dass sie kein emanzipatorisches Potenzial haben. Ihre Existenz zeigt, dass andere als kapitalistische Produktions- und Konsumtionsformen möglich und erfolgreich sein können und für den aktiven Teil der Mitglieder ist es ein Feld mit höherer Selbstbestimmtheit und mehr Chancen für demokratische Teilhabe. Für die volle Entfaltung dieser Möglichkeiten bedarf es jedoch eines anderen als des kapitaldominierten Umfeldes.

7. Die Beziehungen zwischen den Eigentumsformen

Die Analyse der wichtigsten Eigentumsformen zeigt die Dominanz des kapitalistischen Gesellschaftseigentums, das zu seiner Entfaltung auch des staatlichen Eigentums bedarf. Mit diesem Gesellschafts- und staatlichen Eigentum ist die Entwicklung moderner, globaler Produktivkräfte aufs Engste verknüpft. Die Anforderungen der Produktivkräfte an den Innovationsprozess, die Dimensionen der Produktion, die Marktgröße sowie an die Finanzierung lassen sich nur mittels dieser Kapitalkonzentration bewältigen. Derartige Dimensionen könnte nur noch der Staat oder eine ähnlich, gesamtwirtschaftlich relevante Institution bewältigen. Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass die kapitalistischen Eigentumsformen diese Entwicklung nicht im Interesse des Gemeinwohls vorantreiben können und nicht nur beträchtliche, vor allem menschliche Produktivkräfte brach liegen lassen, sondern immer wieder gewaltige Produktivkräfte in Krisen zerstört werden. Die Ursache hierfür liegt letztlich darin, dass Kapitaleigentum von seinem Wesen her, infolge seiner Orientierung auf private Profiterwirtschaftung im Rahmen der Konkurrenz, blind gegenüber gesamtwirtschaftlichen Reproduktions- und Proportionalitätserfordernissen sein muss. Und soweit der Staat den privaten Profitinteressen unterworfen wird, ist auch er nicht in der Lage, diesen Erfordernissen vollständig Geltung zu verschaffen. Trotzdem zeigt die enge Verbindung des heutigen Gesellschaftskapitals und des Staatseigentums mit den modernen Produktivkräften, dass vor allem in diesen Eigentumsformen die Keimformen künftiger realer Vergesellschaftung und realen Gemeineigentums zu suchen und zu entwickeln sind. Erst in einem solchen Rahmen können auch die genossenschaftlichen Produktionsformen ihre Möglichkeiten auf spezifischen Feldern der Reproduktion des Gemeinwesens entfalten.


[1] Der Artikel beruht auf einem ausführlicheren Beitrag, der bei der Hellen Panke Berlin in der Broschüre zur Konferenz „Die Eigentumsfrage heute“ (16. November 2013) erscheint.

[2] Vgl. dazu: Jürgen Leibiger, Zukunft Eigentum. Wem gehört die Republik? Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung Nr. 70, Berlin 2011.

[3] Karl Marx/ Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie, in: MEW 3, S. 22.

[4] Karl Marx, Das Kapital I, MEW 23, S. 653ff.

[5] Quelle: Statistisches Bundesamt, Unternehmensregister.

[6] David Graeber, Schulden. Die ersten 5000 Jahre, Stuttgart 2012, S. 102ff.

[7] Für die Analyse der gegenwärtigen Eigentumsverhältnisse ist der Blick auf das Eigentum der Lohnabhängigen nicht nur an der Ware Arbeitskraft keineswegs unwichtig. Aus Platzgründen kann hier darauf nicht eingegangen werden.

[8] Alle Angaben nach: Statistisches Bundesamt: Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen, 2012.

[9] Eine monetäre Bewertung ist nicht gänzlich ausgeschlossen. Der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche kostete etwa 180 Millionen Euro; natürlich bedarf auch der Reparatur-, Erhaltungs- und Betriebsaufwand solcher Bauwerke wie auch anderer künstlerischen Werke oder der Naturlandschaften und die Versicherung mancher solcher Gegenstände einer Kalkulation. Den damit im Zusammenhang stehenden werttheoretischen Fragestellungen kann hier nicht nachgegangen werden.

[10] Burkart Lutz, Der kurze Traum immerwährender Prosperität, Frankfurt, New York 1984; Klaus Dörre, Landnahme und die Grenzen kapitalistischer Dynamik. Eine Ideenskizze, in: Berliner Debatte Initial, 22 (2011) 4, S. 56-72.

[11] Jeremy Rifkin, Access. Das Verschwinden des Eigentums, Frankfurt/New York 2000. Teilweise werden bei ihm, mitunter auch durch die Übersetzerin, Eigentum und Besitz, Eigentum als Verhältnis und Eigentum als die Sache, an der Eigentum, besteht, sowie die Begriffe Gut und Ware durcheinander geworfen.

[12] Ebenda, S. 181, 294ff.

[13] Ebenda, S. 152f.

[14] Hier kann nicht weiter darauf eingegangen werden, inwieweit dieses Phänomen durch die theoriehistorisch alte Formel von der „Verschmelzung von Industrie- und Bankkapital zum Finanzkapital“ abgedeckt ist.

[15] Manager-Magazin Spezial, Oktober 2013, S. 90.

[16] Monopolkommission, 19. Hauptgutachten, 2011.

[17] www.imaa-institute.org, 22. 09. 2013.

[18] Vgl. www.oecd.org/investment/statistics.htm, Table 9, 03. 08. 2013.

[19] Vgl. Martin Höpner, Lothar Krempel, Ein Netzwerk in Auflösung: Wie die Deutschland AG zerfällt, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln 2005. Vgl. auch Neunzehntes Hauptgutachten der Monopolkommission 2010/2011, Bundestagsdrucksache 17/10365, S. 151ff.

[20] Es gibt keine einheitliche Definition von KMU. Hier wird die Abgrenzung des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn (IfM) zugrunde gelegt. Als KMU gelten Unternehmen unter 500 Beschäftigten und mit weniger als 50 Millionen Euro Umsatz.

[21] Vgl. Rene Söllner, Die wirtschaftliche Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen in Deutschland, in: Wirtschaft und Statistik, Januar 2014, S. 42.

[22] 19. Hauptgutachten der Monopolkommission, a.a.O., S. 122 ff.

[23] Stefania Vitali, James B. Glattfelder und Stefano Battiston, The Network of Global Corporate Control, ETH Zürich.

[24] Quelle: Deutsches Aktieninstitut, Factbook 2013.

[25] Sighard Neckel, Refeudalisierung der Ökonomie, MPIfG Working Paper 10/6, Köln 2010.

[26] Hans-Jürgen Krysmanski, Eliten und Geldmachtkomplex, in: luxemburg 1/2009.

[27] 19. Monopolgutachten, S. 166.

[28] In der Wagenburg, in: Der Spiegel, 52/2013, S. 58.

[29] Auf den diesbezüglichen Disput, der in dieser Zeitschrift dazu geführt wurde, kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. Kees van der Pijl/Otto Holmann in Z 93, März 2013; Werner Rügemer und Jörg Goldberg/André Leisewitz in Z 94, Juni 2013, und Werner Rügemer in Z 95 September 2013.

[30] Statistisches Jahrbuch 2013.

[31] Vgl. dazu: Jürgen Leibiger, Reclaim the Budget. Staatsfinanzen reformieren, Köln 2010, insbesondere Kapitel 1 und 2.

[32] Mario Candeias, Reiner Rilling, Katharina Weisse (Hrsg.), Krise der Privatisierung, Rückkehr des Öffentlichen, Berlin 2009

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