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Horst Heininger 1928 – 2014

von Gretchen Binus/André Leisewitz
Juni 2014

Horst Heininger 1928 – 2014

In der gegenwärtigen Diskussion um den internationalen Kapitalismus und die anhaltend krisenhafte Situation in der Welt spielen das Verhältnis von Staat und Wirtschaft, die Rolle des großen Kapitals und seiner Expansionsinteressen eine zentrale Rolle. Damit geht es um ökonomische und gesellschaftliche Beziehungen, die in der marxistischen Diskussion seit langem mit Begriffen wie „Imperialismus und „staatsmonopolistischer Kapitalismus“ gefasst werden. Diese Kategorien verbinden sich mit dem Namen von Horst Heininger, einem der führenden Kapitalismuskritiker der DDR und Analytiker des entfalteten Monopolkapitalismus.

Horst Heininger ist nach langer, schwerer Krankheit am 9. April dieses Jahres gestorben. Er hinterlässt einen Fundus an wesentlichen Erkenntnissen in der Erforschung des Kapitalismus, die unbedingt zu erhalten, für eine konkrete Analyse der heutigen Wirklichkeit zu nutzen und zu neuen Grundfragen der marxistischen Theorie in Beziehung zu setzen sind. Sie sind in einer großen Anzahl von Publikationen mit einer breiten thematischen Vielfalt niedergelegt.

Aus dem uckermärkischen Prenzlau von Brandenburg kommend studierte Horst Heininger an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin, beschäftigte sich in den ersten Jahren seiner wissenschaftlichen Arbeit an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin mit der zyklischen Entwicklung und Labilität des westdeutschen Wirtschaftssystems und legte danach seinen Forschungsschwerpunkt auf Probleme der Beziehungen von Staat und Wirtschaft, des staatsmonopolistischen Funktionsmechanismus. Aus der gemeinsamen wissenschaftlichen Arbeit mit Rudi Gündel, Peter Heß und Kurt Zieschang ging 1967 eine der wichtigsten Schriften zur Einschätzung der Veränderungen des zeitgenössischen Kapitalismus hervor, die Studie „Zur Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus“. Horst Heininger gehörte damit zu den ersten Wissenschaftlern in der DDR, die das Verhältnis von Wirtschaft und Staat im entwickelten Kapitalismus auf eine theoretische und politökonomische Grundlage gestellt haben – und dies gestützt auf eine gründliche empirische Analyse wichtiger Wirtschaftsbereiche. Es ging dabei im Zusammenhang mit dem Gewicht monopolistischer Machtstrukturen um die neue ökonomische Rolle des Staates als einer entscheidenden Bedingung für den Funktions- und Profitmechanismus der kapitalistischen Wirtschaft, um seinen politischen Einfluss auf den gesamten ökonomischen Reproduktionsprozess und Regulierungsmechanismus.

Diese wissenschaftlich-theoretische Fragestellung der Kapitalismusforschung betraf nicht nur den entwickelten Kapitalismus im Rahmen der einzelnen Nationalstaaten, sondern fand ihre Erweiterung mit der zunehmenden Internationalisierung der ökonomischen Verhältnisse in der von den industriell entwickelten kapitalistischen Staaten beherrschten Welt. Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre richteten sich die ersten Untersuchungen Horst Heiningers auf die Entwicklung der internationalen Monopole als einem Hauptfaktor des gesamten Systems der weltwirtschaftlichen Beziehungen. Er verfasste dazu eine ganze Reihe wissenschaftlicher Aufsätze, so z.B. „Die Leninsche Imperialismustheorie und die heutige Stufe der internationalen Monopolisierung“ (1977), „Neokolonialistisches Wirken internationaler Monopole“ (1980), „Transnationale Monopole und internationale Beziehungen“ (1982). Einen Höhepunkt seines wissenschaftlichen Schaffens aber bildete die Analyse der Verflechtungen von Monopolen und Staat auf internationaler Ebene. Horst Heininger charakterisierte die neue Qualität in der internationalen Verflechtung der nationalen privaten Monopole, deren Zusammenwirken mit den Außenaktivitäten der Staaten und die Rolle der internationalen zwischenstaatlichen Organisationen mit dem Begriff „Internationalisierung des staatsmonopolitischen Kapitalismus“. Prononciert hob er dabei hervor, dass die einzelstaatlichen staatsmonopolistischen Kapitalismen nicht in einem „gemeinsamen“ internationalen staatsmonopolistischen Kapitalismus aufgehen könnten und dass man nicht von einer Verschmelzung der nationalen Kapitale zu einem Weltkapital ausgehen könne. Das aber würde bei Fortentwicklung der transnationalen Grundlage der Internationalisierung unweigerlich Konsequenzen für die ökonomische Strategie der einzelnen Staaten und für die Wirtschaftsregulierung insgesamt nach sich ziehen. Aus der gemeinsamen Forschungsarbeit mit Lutz Maier entstand 1987 das Buch „Internationaler Kapitalismus – Tendenzen und Konflikte staatsmonopolistischer Internationalisierung“, in dem insbesondere die seit Anfang der 1970er Jahre zu beobachtenden Expansionsprozesse des Industrie- und Finanzkapitals, damit verbundene Veränderungen der internationalen Arbeitsteilung und ökonomischen Verflechtung, zwischenimperialistische Kräfteverschiebungen und internationale Krisen (Energie-, Welthandels- und Verschuldungskrise) sowie der Ausbau internationaler Regulierungsmechanismen auf Konzern- und staatlicher sowie zwischenstaatlicher Ebene untersucht wurden. Dabei ging es u.a. um Entwicklung und Funktionsweise internationaler Strukturen und Organisationen wie IWF, Weltbank, GATT, EG, OECD u.a., die in modifizierter Form auch für die heutige Wirklichkeit des internationalen Kapitalismus von großer Bedeutung sind. Unbeschadet aller seit Veröffentlichung dieses Buches neuen Erscheinungen in der Welt des Kapitals, insbesondere der rasanten Entwicklung des finanzkapitalistischen Überbaus und der Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2007 ff, ist der von Heininger und Maier verfolgte theoretische Ansatz für die Analyse der Weltwirtschaft und heutiger supranationaler Integrations- und Regulierungsprozesse äußerst belangvoll.

Die praktische wissenschaftliche Arbeit von Horst Heininger war in dieser Zeit mit seiner langjährigen Tätigkeit als Leiter des ökonomischen Forschungsbereichs am Institut für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR (Berlin) verbunden. Als eine von allen geachtete Persönlichkeit forderte und förderte er seine Mitarbeiter in der wissenschaftlichen Arbeit, orientierte sie auf neue zu untersuchende Problemstellungen in der Entwicklung des Kapitalismus, regte den kritischen „Teamgeist“ an und forcierte im Zusammenhang mit den Neuorientierungen wissenschaftliche Diskussionen und entsprechende Umstrukturierungen des Wissenschaftspotentials. Über mehr als zwei Jahrzehnte nach der „Wende“ mit der Abwicklung des Instituts wirkte die von ihm getragene freundliche Verbundenheit unter den Kollegen weiter fort.

Zudem engagierte sich Horst Heininger viele Jahre auf der internationalen Ebene. Er war impulsgebend in der internationalen Kooperation mit Wissenschaftlern der sozialistischen Staaten, galt als einer der profilierten Mentoren innerhalb der Multilateralen Problemkommission „Erforschung des heutigen Kapitalismus“ der Akademien der Wissenschaften sozialistischer Länder. Aus dieser wissenschaftlichen Zusammenarbeit entstand 1978 u. a. die Monographie „Internationale Monopole“. In diesem Gremium war Horst Heininger auch der Inspirator für die Einrichtung der jährlichen Internationalen Sommerschulen Junger Ökonomen. Er wirkte darüber hinaus in der UNO-Komission zur Untersuchung der Rolle transnationaler Monopole, die sich speziell mit der Ausarbeitung eines Verhaltenskodexes für transnationale Konzerne befasste. Schließlich ist auch seine Tätigkeit als Herausgeber von grundlegenden fremdsprachlichen Werken zu nennen wie den drei Bänden „Ausgewählte Schriften“ Eugen Vargas (Berlin, 1979) oder von Nikolai Inosemzews „Der heutige Kapitalismus“ (Berlin 1973).

Die Arbeiten von Horst Heininger strahlten auch auf die alte Bundesrepublik aus, wie die zeitweilig bis weit in die Reihen der Jusos reichende „Stamokap“-Debatte zeigte. Er war ein wichtiger Diskussionspartner für das Frankfurter Institut für marxistische Studien und Forschungen. In den 1990er Jahren beteiligte er sich an Tagungen über „Internationalen Kapitalismus und Neue Weltordnung“ und „Internationalisierung des Finanzkapitals“, die u.a. von „Z“ und dem Berliner Arbeitskreis Kapitalismusforschung gemeinsam veranstaltet wurden. Er war Beiratsmitglied von „Z“ und veröffentlichte dort eine ganze Reihe bemerkenswerter Beiträge zu neuen Entwicklungstendenzen im internationalen Kapitalismus, zur kritischen Aufarbeitung und Aktualität der SMK-Theorie in Auseinandersetzungen mit der Diskussion um Fordismus und Regulationstheorie sowie zur Theoriegeschichte und heutigen Debatte um die Imperialismustheorie. 2003 veranstalteten „Z“ und die „Helle Panke“ in Berlin aus Anlass von Horst Heiningers 75. Geburtstag ein Kolloquium „Neuer Imperialismus – Internationaler Kapitalismus“. Er selbst sprach dort über „Neuen Imperialismus?“ Er verband die Überzeugung, dass die „Grundlage des Imperialismus nach wie vor in den ökonomisch-politischen Machtstrukturen der monopolkapitalistisch verfassten Staaten“ zu suchen sei, mit der Beobachtung, dass dessen Wirklichkeit heute „viel komplexer als noch vor ein oder zwei Jahrzehnten“ sei. Die Erneuerung der „alten“ marxistischen Imperialismustheorie stünde also auf der Tagesordnung.

Horst Heiningers marxistisch-theoretische Arbeit könnte nicht besser gewürdigt werden, als sein erarbeitetes wissenschaftliches Kapitalismusbild in der neuen Imperialismus-Diskussion wieder aufzunehmen und entsprechend neuen Entwicklungstendenzen weiter zu untersuchen.

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