Am historischen Standort der Pariser Sorbonne präsentierten insgesamt 25 ReferentInnen
aus Frankreich, Argentinien, Brasilien, Deutschland, England, Indien,
Japan, Kanada, Polen und Russland auf Englisch oder Französisch (mit
Simultanübersetzung) ihre Ideen zum Thema „Rosa Luxemburg’s Concepts of
Democracy and Revolution“. Rund 250 Zuhörer/innen waren im Laufe des
Wochenendes anwesend. Die Konferenz wurde organisiert und/oder unterstützt
von: Internationale Rosa-Luxemburg-Gesellschaft, Universität Paris I
Panthéon-Sorbonne / Centre d’Histoire des Systèmes de Pensée Moderne
(CHSPM), Espaces Marx, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Gerda-und-Hermann-
Weber-Stiftung, Collectif Smolny, transform! europe, Regional Council Ilede-
France, Revue internationale „Actuel Marx“, Revue critique „Contretemps“
Passenderweise begann die Konferenz mit Berichten über aktuelle internationale
Editionsprojekte von Rosa Luxemburgs Werken. Mit spürbarer Begeisterung
gab die Luxemburg-Biografin Annelies Laschitza (Berlin) bekannt, dass
Anfang 2014 als Supplement zu den fünf Bänden von Luxemburgs Gesammelten
Werken ein Band VI (1898-1905) mit einem Umfang von 900 Seiten
veröffentlicht wird. Band VII (1906-1919) folgt später. Laschitza freute sich
zu verkünden, dass man mit der Veröffentlichung der bisher weitgehend unbekannt
gebliebenen Artikel und Reden nunmehr Zugriff auf weitere Aspekte
von Luxemburgs journalistischer Tätigkeit bekommen wird. Nach einem 2012
erschienenen Band über „Nationalitätenfrage und Autonomie“, ursprünglich
eine Artikelserie auf Polnisch, werde es eine Gesamtausgabe mit den polnischen
Reden und Schriften Luxemburgs, übertragen ins Deutsche, geben, wie
Holger Politt (Warschau/Berlin), der Übersetzer und Editor dieser Werke, der
Konferenz mitteilte.
Zum bedeutenden Projekt einer englischsprachigen Gesamtausgabe der Luxemburg-
Werke in 14 Bänden (incl. der von Laschitza und Politt erschlossenen
neuen Texte) informierte Sebastian Budgen (Verso-Verlag) – in Vertretung
des erkrankten „Chief Editors“ Peter Hudis (Chicago) – über den aktuellen
Stand des Vorhabens. Nach einem viel beachteten Band mit einer umfangreichen
Auswahl ihrer Briefe ist gerade eine Ausgabe mit Luxemburgs ökonomischen
Schriften erschienen. 2014 wird ein Band mit den Reden und
Schriften zum Thema Revolution folgen. Budgen gab auch Pläne des Verso
Verlages bekannt, im Jahre 2014 eine „Graphic Novel“ zum Leben Luxemburgs
zu verlegen, die als Einführung in ihr Leben und Wirken dienen soll,
vor allem für jüngere Leser und für diejenigen, die sich zum ersten Mal mit
ihrem Leben und Werk beschäftigen. In Frankreich will das Collectif Smolny,
wie Eric Sevault (Toulouse) erläuterte, die kompletten Werke Rosa Luxemburgs
auf Französisch herausgeben. Drei Bände sind bereits erschienen.
Jacqueline Bois (Paris), Übersetzerin der Rosa-Luxemburg-Biografie von
Paul Frölich, wies auf die gerade erfolgte Veröffentlichung einer von ihr ins
Französische übersetzten Autobiografie Paul Frölichs hin, ein aufschlussreiches
Dokument zur Vorgeschichte, Gründung und Frühgeschichte der KPD
sowie der Kommunistischen Internationale. Die Originalfassung auf Deutsch
soll im Dezember 2013 beim Basisdruckverlag Berlin erscheinen.
Großartige Nachrichten aus Paris, also!
Angesichts der durch die krisenhaften ökonomischen Entwicklungen im globalen
Ausmaße sowie durch die Krise der bestehenden staatlichen demokratischen
Institutionen hervorgerufenen Aktualität des Konferenzthemas war es
kein Wunder, dass es zahlreiche Anmeldungen von Referaten mit Themen
rund um das Hauptthema gegeben hatte. Für Isabel Loureiro (Brasilien) gehören
- auch unter Hinweis auf die aktuelle Entwicklung ihres eigenen Landes -
Themen wie gesellschaftliche Teilhabe und tief greifende demokratische Kontrolle
durch das Volk nach den Ideen Rosa Luxemburgs zu den brennenden
Aufgaben der Gegenwart. Luxemburgs eingehende Analyse der bürgerlichen
Demokratie mit ihren gravierenden Mängeln und ihr basisdemokratisches
Konzept als Alternative wurde von Michael Löwy (Frankreich) dargestellt.
Auch David Muhlmann (Frankreich) ging auf den Inhalt der sozialistischen
Demokratie i. S. Luxemburgs ein, wobei er die Grenzen zu Kautsky einerseits
und Lenin andererseits deutlich machte. Nach Pablo Slavin (Argentinien) ging
Luxemburg seit ihren frühen Jahren von einer dialektischen Beziehung zwischen
Reform und Revolution aus, von einer Verknüpfung von Demokratie
und sozialistischer Revolution. Ähnliche Aspekte von Luxemburgs Demokratie-
und Organisationskonzeption kamen - mit unterschiedlichen Akzentuierungen
- in den Referaten von Philippe Corcuff (Frankreich), Sobhanlal Datta
Gupta (Indien), Alexey Gusev (Russland), Frigga Haug (Deutschland), Ben
Lewis (England), Ottokar Luban (Deutschland), Claudie Weill (Frankreich),
Jörg Wollenberg (Deutschland) zum Ausdruck, wobei Luxemburgs Verhältnis
zum Bolschewismus vor und nach der russischen Revolution, die Rolle der
Arbeiterräte und die Fragen der Spontaneität und Kreativität im Verlauf des
Kampfes um höhere demokratische Formen eine Rolle spielten.
Weitere Themen: Sandra Rein (Kanada) zeigte die feministischen Inhalte in
Luxemburgs Leben und Werk auf. Während Jean-Numa Ducange (Frankreich)
die Haltung Luxemburgs zur französischen Sozialdemokratie untersuchte,
gab Feliks Tych (Polen) einen Überblick über die Luxemburg-
Rezeption in der wissenschaftlichen and allgemeinen polnischen Öffentlichkeit.
Mit dem Einfluss des Elternhauses auf die Prägung von Luxemburgs revolutionären
Perspektiven beschäftigte sich Rory Castle (England). Ein auf internationaler
Ebene in den letzten Jahren häufig diskutiertes Thema, Luxemburgs
Auffassungen von Nationalökonomie als Ausgangspunkt für ihre Ansichten
zur Demokratie, analysierten Michal R. Kraetke (England/
Deutschland) und Ingo Schmidt (Kanada/Deutschland).
Auf der Website der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft
http://www.internationale-rosa-luxemburg-gesellschaft.de sind auf der Site
„Ankündigungen“ die Abstracts der Referate sowie 3 gekürzte Referatstexte
aus der L’Humanité als Downloads zu lesen. Ein Konferenzband mit ausgewählten
Referaten ist in Planung.
Einige der Referenten widmen sich der Rosa-Luxemburg-Forschung schon
seit längerer Zeit, so zum Beispiel Narihiko Ito (Japan), Vorsitzender der Internationalen
Rosa Luxemburg Gesellschaft. Er gedachte der Gründung der
IRLS in Paris im Jahr 1979, mit dem Ziel, das Schicksal des Sozialismus neu
zu bewerten, im Besonderen das Verhältnis Sozialismus und Demokratie. Bis
heute wirft die Erfahrung des Stalinismus einen langen, dunklen Schatten über
das heutige Projekt des Sozialismus, und obwohl die Zahl derjenigen, die engagiert
sind, diese Hindernisse zu überwinden noch zahlenmäßig klein ist, war
es hervorragend zu erfahren, dass diese selbstlose Arbeit im Bereich der Geschichtsforschung
schon einige Früchte trägt. Zur Förderung dieser Forschung
hat die zentrale Rosa-Luxemburg-Stiftung im letzten Jahrzehnt besonders beigetragen,
wie Evelin Wittich (Deutschland) anhand konkreter Beispiele wie
Konferenzen und Editionsvorhaben aufzeigen konnte.
Die strikten Vorschriften der Sorbonne mit den engen zeitlichen Grenzen für
die Nutzung der Hörsäle sorgten dafür, dass die Zeit für Diskussion und Debatte
eher knapp bemessen war. So entstand manchmal der Eindruck, die Referenten
präsentierten ihre Ideen in Isolation voneinander, anstatt im Umgang
miteinander. Obwohl die Diskussion natürlich in den Cafés, Restaurants und
Kneipen von Paris weitergeführt wurde, wäre es meines Erachtens besser gewesen,
einen Austausch von Ideen auf der Konferenz selbst zu organisieren.
Die Konferenz war zweifellos ein Erfolg und eine ausgezeichnete Gelegenheit
für Rosa-Luxemburg-Forscher unterschiedlicher Genberationen, zusammenzukommen,
einander kennen zu lernen und Gedanken sowie Informationen
auszutauschen. Der Dank geht an die Organisationen und Einzelpersonen,
welche die Veranstaltung organisierten. Die Konferenz hat ohne Zweifel die
Anwesenden inspiriert, mit neuem Elan, Energie und Zweckbewusstsein zu
ihren Forschungs-, Redaktions- und Übersetzungsarbeiten zurückzukehren.