Buchbesprechungen

Städtische Konflikte und Gentrifizierung

von Bernd Belina zu Andrej Holm
März 2011

Andrej Holm, Wir bleiben Alle! Gentrifizierung – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung, Unrast, Münster 2010, 80 S., 7,80 Euro; Christoph Twickel, Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle, Edition Nautilus, Hamburg 2010, 128 S., 9,90 Euro

Spätesten mit den bundesweit medial aufgegriffenen Konflikten um das Gängeviertel in Hamburg ist das Thema Gentrifizierung hierzulande eines geworden, mit dem sich nicht nur Stadtforscher, sondern auch soziale Bewegungen und z.T. städtische Öffentlichkeiten befassen. In beiden Bänden wird das Thema für politisch Aktive aufgearbeitet, beim Stadtsoziologen Holm im Stil einer Einführung in zentrale theoretische Befunde und Argumente, beim Journalisten Twickel als Lesebuch mit zahlreichen Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit Hamburgs.

Holm betont, dass städtische Aufwertungsprozesse „verschiedene Gesichter“ (8) haben und unterscheidet im Hauptteil ökonomische (Immobilienmarkt, Grundrente), kulturelle („kulturelles Kapital“) und politische (unternehmerische Stadt) Gründe. Die relevanten Zusammenhänge werden kompetent und prägnant präsentiert, der Bezug zu akademischer Literatur absichtlich auf ein Minimum beschränkt (das Buch hat keine Literaturliste, diese findet sich über die Website des Verlags). Nach einer kurzen Abrechnung mit entpolitisierter Forschungsliteratur und Planungspraxis arbeitet Holm heraus, dass „Verdrängung … in stadtpolitischen Debatten eines der letzten Tabus“ (66) ist. Wo Privatisierung kommunaler Infrastruktur und öffentlicher Räume offensiv als notwendig vertreten wird, dominiert bei der – methodisch schwer nachzuweisenden – Verdrängung ansässiger Bevölkerung das Abwiegeln. Eben deshalb bilde Gentrifizierung ein zentrales, da skandalisierbares Thema für Stadtteilbewegungen. Je nach Form der Verdrängung seien angemessene Strategien in Anschlag zu bringen. Wo direkte Verdrängung durch Mietsteigerung stattfindet, müsse „die Stärkung der Position von Bestandsmieter_innen“ (68) im Zentrum stehen, was v.a. auf rechtlichem Wege zu leisten sei. Wo stärker „kulturelle Verdrängungsaspekte“ (68) dominieren, reichten „vereinfachte Feinbilder von Yuppies, Schwaben und Tourist_innen“ (69) nicht aus. Vielmehr bedürfe es einer „tatsächliche[n] Basismobilisierung“ (71), der es, wie in Hamburg, gelingen kann, den lokalen Staat unter Druck zu setzen. Konkret sei eine Kombination aus „Deattraktivierungsstrategien gegenüber potentiellen Gentrifier_innen und Forderungen nach einer sozial orientierten Wohnungspolitik“ sowie „Mieterberatungsangebote und direkte[n] Aktionen zur Verhinderung und Verzögerung umstrittener Bauprojekte“ (71) sinnvoll.

Endlich, so lässt sich zusammenfassen, liegt ein gemeinverständlicher Abriss zu diesem höchst relevanten Thema von Stadtforschung und städtischen sozialen Bewegungen vor, in dem dieses klar als ökonomisches und politisches Phänomen benannt wird, bei dem „Kultur“ zwar eine Rolle spielt, jedoch nicht die Triebfeder darstellt.

Als Ergänzung und zur Vertiefung der Entwicklung in Hamburg eignet sich Christoph Twickels Band. Als Aktivist der „Recht auf die Stadt“-Bewegung und des flüssigen Schreibens mächtiger Autor gelingt ihm eine Verbindung aus Darstellung und Erklärung. Treffend beschreibt er etwa den Widerspruch geplanter Urbanität in der HafenCity oder die undankbare Rolle, in die Künstler als „Kreative“ und Vorboten der Aufwertung gedrängt werden, und die sie in Hamburg auf breiter Front bewusst und erfolgreich abgelehnt haben. Die Bezüge zur Stadtforschung wirken zwar mitunter angelesen und sind recht selektiv, insgesamt aber treffend.

Beide Autoren betonen, dass die mitunter zu beobachtende Selbstkritik von Linken und Künstlern, die auf der Suche nach bezahlbarem Wohn- und Arbeitsraum u.U. als Pioniere der Gentrifizierung fungieren, fehl am Platze ist – sofern sie den Bezug des eigenen Tuns zu polit-ökonomischen Prozessen und entsprechenden Widerstandsformen herzustellen in der Lage sind. An Auswegen diskutiert Holm die Strategien der Dislokation (bewusst in nicht-gentrifizierbare oder bereits gentrifizierte Stadträume gehen), der „Kulturen der Abschreckung“ (37), bestehend aus „bewusste[n] Handlungen der De-Attraktivierung und Imagebeschädigung“ (38) und der „Kultur des Widerstands“ (38), bei der sich Künstler und Akademiker fragen, „wie sie Stadtteilinitiativen praktisch unterstützen können“ (39). Ähnlich argumentiert auch Twickel, wenn er dazu auffordert, den „bohemistischen Schuldkomplex“ (104) abzulegen und auch und gerade aus der „kreativen Klasse“ heraus „die soziale Frage gegen die Creative City-Kulisse“ (106) zu setzen.

Indem sie polit-ökonomische Gründe, städtische Verlaufs- und konkrete Widerstandsformen zusammendiskutieren, gelingt den Autoren eine dringend notwendige (Re-)­Politisierung der Stadtentwicklung.

Bernd Belina