„Der Neoliberalismus als Ideologie befindet sich derzeit in einer tiefen Akzeptanzkrise…Bislang ist die politische Linke schwach geblieben. Trotz vieler ausformulierter Einzelelemente ist (noch) kein kohärentes Programm zur Überwindung der ‚multiplen Krise’, keine wirksame Gegenideologie auszumachen, die zum Bezugspunkt gegenhegemonialer Kräfte werden könnten. Ohne machtfähige Gegenhegemonie freilich bleibt auch eine angeschlagene Hegemonie herrschender sozialer Gruppen und ihrer Ideologie durchaus machtfähig.“1 In diesem Spannungsverhältnis bewegten sich die Diskussionen auf der diesjährigen Summer-Factory des Instituts Solidarische Moderne (ISM)2 die vom 16. bis 18. August 2013 an der Frankfurter Universität stattgefunden hat und die unter dem Motto stand „Sozialökologische Transformation: Strategische Bedingungen eines Politikwechsels“.
Als Unterstützer dieser Veranstaltung konnten u.a. der ASTA der Uni Frankfurt, die taz, die „Blätter für deutsche und internationale Politik“, die Fraktion der Grünen im Europa Parlament, die Fraktion der Partei die Linke im Bundestag und das Forum Demokratische Linke in der SPD gewonnen werden. Auf der Eröffnungsveranstaltung nahmen an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Ein Umbruch, der ansteht, aber nicht eintritt - Strategische Bedingungen eines Politikwechsels“ Alex Demirović (Vorstandsmitglied der Rosa Luxemburg Stiftung), Franziska Wiethold (ehem. Vorstandsmitglied von ver.di), Tom Strohschneider (Chefredakteur der Tageszeitung „Neues Deutschland“) und Benjamin Mikfeld (Geschäftsführer Denkwerk Demokratie3) teil. Moderiert wurde die Veranstaltung von Katja Maurer (medico international). In ihrem Einleitungsstatement formulierte Dr. Sonja Buckel (Kuratoriumssprecherin des ISM) folgende Fragestellungen:
- Warum besteht die neoliberale Hegemonie weiterhin fort und was wären die Ausgangsbedingungen für einen progressiven Transformationsprozess?
- Warum bleiben linke Konzepte und Forderungen meist folgenlos – obwohl sie ein drängendes und weit verbreitetes Bedürfnis nach einem längst überfälligen gesellschaftlichen Umbruch verkörpern?
- Wie müsste ein linkes Reformprojekt aussehen, in dessen Zentrum angesichts sich abzeichnender postdemokratischer Herrschaftsvarianten die Frage der Demokratisierung stehen muss?
- Welche Erfahrungen gibt es in Europa mit „linker“ Regierungsverantwortung und warum wurden die Erwartungen an progressive gesellschaftliche Veränderungen meist enttäuscht?
- Wie bezieht sich die politische Linke auf die neuen sozialen Bewegungen wie z.B. Occupy oder Blockupy, die sich unabhängig von den etablierten Parteien und der Arbeiterbewegung konstituiert haben?
Die rund 100 Plenumsteilnehmer, darunter viele junge Leute, kamen aus dem linken Spektrum von „Bündnis 90/Die Grünen“, SPD und Die Linke, dem Wissenschafts- und Gewerkschaftsbereich und den sozialen Bewegungen.
Tom Strohschneider reflektierte in seinem Beitrag die zum Teil herrschende Ratlosigkeit auf Seiten der politischen Linken, die auch daher rühre, dass sich der neoliberale Block und damit auch die Bundesregierung als äußerst flexibel bzgl. der von ihnen betriebenen „Lösungsvarianten“ gezeigt hatte. Weiterhin sei die Frage zu beantworten, was unter Umbruch zu verstehen ist (zeitliche und inhaltliche Dimension) und in welcher Tiefe dieser zu erfolgen hätte. In diesem Zusammenhang ging er auch auf die Grenzen des bisherigen Wachstumsmodells ein, das nicht weiter verallgemeinerbar sei, wobei allerdings Strategien zu einer sozialökologischen Transformation, die grundlegende gesellschaftliche Änderungen anstreben sollte, noch nicht klar ausformuliert seien. Strohschneider sprach hier auch von einem „Übersetzungsproblem“, notwendig sei eine „Große Erzählung“ mit der man die potentiellen Ansprechpartner einer sozialökologischen Transformation für dieses Projekt gewinnen könnte.
Franziska Wiethold betonte, dass sich das neoliberale Denken tief in das Alltagsbewusstsein der Menschen eingegraben habe und es daher darum gehe, aufzuzeigen, dass es durchaus Alternativen zur aktuellen Politik gebe. Auch Wiethold ging auf die Flexibilität der Regierung Merkel ein. Diese handle nach dem Motto „Konflikte aufgreifen, einbinden und abmildern“, eine Strategie der Absicherung neoliberaler Herrschaftsvarianten, die bisher erfolgreich war. Bzgl. der Frage nach den tragenden Subjekten einer sozialökologischen Transformation stellte sie fest, dass die Gewerkschaften zwar heute wieder besser dastünden als unter der Schröder-Fischer Regierung, dass aber im Alltagsbewusstsein der Beschäftigten die Absicherung des eigenen Status Vorrang habe vor dem kollektiven Engagement für gesellschaftspolitische Alternativen. Die persönliche Wahrnehmung der Krise erfolge nicht selten unter dem Motto „bei uns ist es ja nicht so schlimm wie in anderen europäischen Ländern“, ein Sachverhalt, der die Mobilisierung für ein progressives gesellschaftliches Projekt nicht einfacher macht.
Alex Demirović ging auf die Tatsache ein, dass noch alle Akteure, die die Finanz- und Wirtschaftskrise mit verursacht haben, in die aktuellen politischen Prozesse und Entscheidungen eingebunden seien, z.T. an zentralen Schalthebeln der Macht (Bsp. Jörg Asmussen, Direktoriumsmitglied der EZB). Durch die neoliberalen Lösungsvarianten werden demokratische Beteiligungsrechte immer weiter entwertet, an ihre Stelle treten dann pseudo-demokratische Veranstaltungen wie so genannte „Bürgerbeteiligungen“. Auf kommunaler, Länder- und Bundesebene hätten längst Beratungsfirmen den ehemals internen Fachverstand der Verwaltung verdrängt und somit der Kapitalseite die Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse noch weiter geöffnet. Demirović sieht daher die Frage der Demokratie als eine der Schlüsselfragen für eine progressive Transformationsstrategie an. Bei der Analyse der momentanen neoliberalen Hegemonie verwies Demirović auf den konzeptionellen Ansatz der „Passiven Revolution“ von Gramsci.
Benjamin Mikfeld betonte, dass die politische Linke stärker als bisher Zugang finden müsse zu den Problemen der abhängig Beschäftigten und innerhalb der Belegschaften präsenter sein müsse. Es bestehe das Problem, dass bei den abhängig Beschäftigten das individuelle Sicherheitsbedürfnis überwiege und soziale und gesellschaftspolitische Themen in den Hintergrund rückten. Um dieses Defizit aufzulösen, sei es sinnvoll, sich z.B. mit der Beschäftigtenberatung der IG-Metall zu befassen, diese könnte wichtige Ansatzpunkte für betriebliches Agieren bieten. Die Konservativen hätten strategisch handelnde Akteure; zu fragen sei, ob sich die „Mosaik-Linke“ zu einem solchen handelnden Akteur entwickeln könne. Eine progressive Transformationsstrategie benötige die Definition von einzelnen Phasen für gesellschaftliche Übergänge, die inhaltlich zu bestimmen seien. Dabei spielten wirtschaftsdemokratische Lösungsansätze eine zentrale Rolle.
Alle Teilnehmer der Podiumsdiskussion befassten sich zumindest ansatzweise mit der Frage nach einem tragfähigen Postwachstumsmodell. Robert Kurz hatte in einem Beitrag über die Grenzen des Wachstums im Kontext der Wirtschaftskrise formuliert: „Heute verbindet sich aber die Erschöpfung der energetischen Ressourcen und die ökologische Krise mit der neuen Weltwirtschaftskrise ... Diese Doppelkrise verlangt eine Kritik der ökonomischen Voraussetzungen des Wachstumszwangs, die bisher unterbelichtet geblieben waren….“4Erkenntnisse, die bei der weiteren Debatte zu dem Thema „Grenzen des Wachstums“ sicherlich stärker zu beachten sind.
Weiterhin wurde der Krisenkorporatismus der Gewerkschaften einer kritischen Reflektion unterzogen, es wurden positive wie negative Aspekte aufgezeigt, die in der Kürze der Zeit nicht ausreichend diskutiert werden konnten.
Neuen progressiven parlamentarischen Konstellationen müssten entsprechende neue gesellschaftliche Mehrheiten vorausgehen, so sinngemäß Franziska Wiethold während der Podiumsdiskussion. Die Gewerkschaften müssen meiner Ansicht nach in diesem Prozess und bei der Formulierung entsprechender gesellschaftlicher Projekte eine wesentlich aktivere Rolle spielen als bisher. In den Betrieben sind die gesellschaftlichen Akteure versammelt, ohne die eine Wende zu demokratischem, sozialem und ökologischem Fortschritt eine wohl formulierte Illusion bleiben wird. In Betrieben und Gewerkschaften für eine an den Mehrheitsinteressen der Lohnabhängigen ausgerichtete sozialökologische Politik zu streiten, ist eine vorrangige Aufgabe der politischen Linken. Dazu sollten die vorhanden programmatischen Ansätze in den Gewerkschaften genutzt werden. Der Kampf um eine allgemeine Reduzierung der Arbeitszeit, mit der Kernforderung nach einer 30 Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, wäre ein Projekt, für das sich der Kampf der politische Linken in den Gewerkschaften, den Betrieben und in den jeweiligen Parteien lohnen könnte.
Die Workshops befassten sich u.a. mit folgenden Fragestellungen:
- Steuerhinterziehung und -vermeidung als globales Problem. Linke Politik ist ohne ein Konzepte für die globale Kooperation nicht möglich. Wie kann die politische Linke eine solche Kooperation entwickeln?
- Was bedeutet für die Mosaik-Linke politische Kommunikation, welchen Bedingungen ist diese zu unterwerfen und wie unterscheidet sich linke Kommunikation von rechten Konzeptionen?
- Welche Chancen und welche Gefahren liegen in einer Orientierung auf „Postwachstum“ und: Welche gesellschaftlichen Akteure sind in Sicht, die den notwendigen gesellschaftlichen Wandel stützen und eine linke Postwachstumsperspektive stützen könnten?
- Regierungsprojekte und gesellschaftliche Transformation – Reflektion von Erfahrungen der europäischen und lateinamerikanischen Linken der letzten vierzig Jahre. Welche Transformationskonzepte gab/gibt es und welche Rolle wird dabei linken oder Mitte-Links-Regierungen zugemessen?
- Die Hegemonie-Frage stellen – Von der Mosaik-Linken zur Transformationslinken. Wie stellt sich die Hegemonie-Frage heute und welche Konzeptionen werden heute in der Linken diskutiert?
Mit dem 2010 gegründeten Institut Solidarische Moderne, das sich als „Programmwerkstatt“ versteht, wurde m.E. eine Plattform geschaffen, auf der ein entsprechender linker Diskurs, bei allen nach wie vor bestehenden inhaltlichen und konzeptionellen Differenzen, ermöglicht wird. Durch die Verbindungslinien der mittlerweile über 1.400 Unterstützer des ISM in die o.g. Parteien, Bewegungen und Organisationen besteht die Möglichkeit, dort Debatten anzustoßen und um Mehrheiten zu ringen. Es ist zu hoffen, dass die Diskussionen der 4. Summer-Factory des ISM in einem Sammelband zusammengefasst werden, wie dies für die beiden letzten getan wurde.5 Damit würde die Möglichkeit eröffnet, die Diskussionen innerhalb der politischen Linken für eine progressive Transformationsstrategie voranzubringen. Solche Debatten wären auch auf regionaler und vor allem auch auf betrieblicher Ebene wünschenswert. Dies setzt jedoch voraus, dass sich das ISM entsprechende Strukturen schafft, die es ermöglichen, eine solche Debatte auf noch breiterer Basis innerhalb der politischen Linken und mit weiteren progressiven Kräften, die sich nicht so einfach unter die Begrifflichkeit „Links“ subsumieren lassen, zu führen.
1 David Salomon, Wie hegemonial ist die neoliberale Ideologie? In: Christian Gaedt (Hrsg.), Krise der Ökonomie – Krise der Hegemonie?, Hamburg 2013, S. 114.
2 Institut Solidarische Moderne - http://www.solidarische-moderne.de/
3 Denkwerk Demokratie - http://www.denkwerk-demokratie.de/
4 Robert Kurz, in: ders. (Hrsg.), Der Tod des Kapitalismus, Hamburg 2013, S. 129ff.
5 Solidarisches Europa – Mosaiklinke Perspektiven, Hamburg 2013.