Wohnungsmarkt und Finanzspekulation

Aufwertungs- und Veränderungsprozesse in der Stadt

Ausdruck kapitalistischer Konkurrenzlogik oder politisches Programm?

von Hans-Dieter von Frieling
September 2013

1. Ungleiche räumliche Entwicklung

Prozesse der Aufwertung wie der Entwertung gehören zu den alltäglichen Erscheinungen in diesem Wirtschaftssystem. Wir sind einerseits daran gewöhnt, dass es Entwertungen von fiktivem wie produktivem Kapital gibt zur Bereinigung von Überakkumulation, dass durch Rationalisierungen Arbeitskräfte dequalifiziert und überflüssig gemacht werden, dass der Wert der Arbeitskraft gesenkt wird, so dass sie ein Fall für die staatliche Armenfürsorge wird, dass die natürlichen Lebensgrundlagen unbrauchbar gemacht werden, dass Stadtteile, ganze Städte und Regionen entwertet werden und verfallen, weil sie als Kapitalstandort nicht mehr konkurrenzfähig sind.

Andererseits kommt es beständig zu Aufwertungen und Inwertsetzungen – in Form von Wachstumsregionen oder Boomtowns, besser entlohnten Qualifikationen von Arbeitskräften, neuen Geschäftsfeldern, Wachstum von Unternehmen und Beschäftigung, Wertsteigerungen bei Naturstoffen (wie den „Seltenen Erden“), Finanzprodukten oder Standorten und Immobilien wie z.B. innerhalb bestimmter städtischer Quartiere.

Zu den alltäglichen Erfahrungen gehört auch, dass der theoretische Umgang mit diesen Prozessen der Auf- und vor allem der Entwertung sich oft darauf beschränkt, die eigene Betroffenheit zu kalkulieren und die Prozesse dann als Chance, als Risiko oder als notwendiges Übel zu deuten und zu bewerten. Statt sie sich zu erklären.

Ungleiche Entwicklung – wirtschaftliche, soziale und auch räumliche – ist in diesem Wirtschaftssystem nicht eine temporäre Erscheinung, sondern ein notwendiges Resultat wie Mittel in der Konkurrenz des Kapitals. Die Analyse von Aufwertungsprozessen wie der Gentrifizierung ist daher eine Analyse, wie die Zwecke und Mittel wirtschaftlicher Akteure unter bestimmten politischen Rahmenbedingungen eben diese Räume herstellen. Auf der allgemeinen Ebene hat u.a. David Harvey eine theoretische Bestimmung kapitalistischer Raumproduktion geliefert. Zur Frage der Gentrifizierung hat Neil Smith (1987) wichtige Argumente beigetragen.[1]

Daran anknüpfend wird hier die These vertreten, dass auch die Durchsetzung und Formierung innerstädtischer Aufwertungsprozesse solch eine Raumproduktion ist. Sie beruht darauf, dass Grundeigentümer und Wohnungsbaukapitalisten erfolgreich auf bessere Geschäfte spekulieren und ein so genanntes rent gap, eine Grundrentenlücke (zwischen aktuellem und möglichem Bodenpreis), herstellen. Wenn sich eine wachsende Wohnungsnachfrage durch Haushalte, die über eine deutlich höhere Mietzahlungsfähigkeit verfügen als die gegenwärtig dort wohnenden Mieter, verwirklichen lässt und wenn über den Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage die bisherigen, weniger zahlungsfähigen Mieter verdrängt werden, hat sich die Spekulation der Investoren und Grundeigentümern auf höhere Renditen erfüllt.

Die sich so vollziehende Gentrifizierung ist – in der Regel – nicht ein gezieltes politisches Programm, so die zweite These. Die Politik – ich spreche hier und im folgenden von der in unserer Gesellschaft herrschenden Politik – sieht darin einen ganz normalen und nützlichen Vorgang auf dem „Markt“, auch wenn das Marktpendel manchmal lokal und zeitlich zu weit ausschlagen sollte und Korrekturen gefordert werden. Denn im Grundsatz steht das politische Programm nicht gegen die Konkurrenzlogik. Ihr Inhalt besteht darin, dass die Konkurrenz der Kapitaleigentümer um Renditen und die der Mieter mit ihrer begrenzten Zahlungsfähigkeit funktioniert, so dass Privateigentümer ihr Kapital erfolgreich vermehren.

Der Verlauf von Gentrifizierungen hängt somit entscheidend ab von bestimmten Bedingungen, besonders von der Liberalisierung des (nationalen) Wohnungsmarktes, der lokalen Wohnungsnot, dem Kreditmarkt, den lokalen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und davon, welche Rahmenbedingungen die lokale Planungspolitik setzt.

2. Kapitalistischer Wohnungsmarkt

Die Versorgung mit dem lebenswichtigen Gut Wohnung soll, so hat es die Politik eingerichtet, über den „Markt“, den Wohnungsmarkt, erfolgen. Privateigentümer sollen ihr Exklusionsrecht an der Ware Wohnung benutzen können, um ihren Reichtum zu vergrößern. Das lohnende Geschäft soll aber kein willkommener Zusatz zum Versorgungszweck sein, sondern die Bedingung der Versorgung. Das Bedürfnis nach einem Dach über dem Kopf lässt sich auf dem „Markt“ nur soweit und nur dann verwirklichen, wenn es über eine für das Verwertungsinteresse ausreichende Zahlungsfähigkeit verfügt. Die Politik macht damit auch diese entscheidende Bedingung der Reproduktion der Arbeitskraft abhängig vom Kalkül privater Kapitaleigentümer und den Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Konkurrenz.

Die Auf- wie Abwertungsprozesse, die Investitionen und Desinvestitionen in den Wohnungsbau sind Verlaufsformen der Konkurrenz. Diese Verlaufsformen ergeben sich aus den geschäftlichen Kalkulationen der Privateigentümer im Umgang mit den Besonderheiten der Ware Wohnung, den spezifischen Strukturen des Wohnungsmarktes, der Nachfrage und den Interventionen der Politik. Um die aktuell in deutschen Metropolen ablaufenden Aufwertungsprozesse zu verstehen, ist an eine allgemeine Besonderheit des Wohnungsmarktes und den daraus folgenden Umgang der Politik damit zu erinnern.

Die besondere Funktionsweise des Wohnungsmarktes hängt zusammen mit dem besonderen Charakter der Ware Wohnung. Das in der Wohnung gebundene Leihkapital erfordert einen hohen Kapitalvorschuss. Dieser Vorschuss fließt erst über einen längeren Zeitraum (meist erst nach 50, oft nach 80 oder 100 Jahren) zurück – die amtliche Kapitalstockrechnung geht bei Wohnimmobilien von einer Nutzungsdauer von 74 Jahren aus, bei Ausrüstungen für die Produktion sind es nur 13 Jahre (Deutsche Bundesbank 2002, 30). Wegen der langfristigen Kapitalbindung und des meist hohen Fremdkapitalanteils ist einerseits die langfristige Zinsentwicklung ein entscheidendes Kalkül für Investoren. Andererseits ist ein in Wohnungen bzw. Wohnhäusern fixiertes Kapital standortgebunden. Der Rückfluss hängt davon ab, wie groß die nachfragende Mietzahlungsfähigkeit in dem jeweiligen räumlichen wie sektoralen Teilmarkt ist, und zwar für einen relativ langen Zeitraum.

Aufgrund dieser Eigentümlichkeiten müssen Mietwohnungseigentümer darauf bedacht sein, das mit dem Verleihgeschäft verbundene Risiko unzureichender oder gar ausbleibender Mietzahlungen gering zuhalten. Sie müssen als Fraktion ein Interesse daran haben, dass es auf dem Wohnungsmarkt immer ein Defizit an Wohnungen gibt, eine Knappheit, damit die Mieten nicht sinken, sondern auch in Altbauwohnungen steigen können. Diese Knappheit ist strukturell notwendig. Gleichen sich Angebot und Nachfrage aus, bricht der Wohnungsneubau mit Sicherheit notwendig ein. Der kapitalistische Wohnungsmarkt funktioniert nur unter der Bedingung des Mangels, der Wohnungsnot.

Mit der Unterordnung der Wohnungsversorgung unter das private Geldvermehrungsinteresse schafft die Politik also einen Widerspruch, an dem sie sich mit ihrer Wohnungspolitik permanent abarbeitet. Zum einen muss die Politik dafür sorgen, dass der Wohnungsmarkt ein rentierliches, attraktives Geschäftsfeld ist, und zwar auch im Vergleich zu Aktien, Anleihen und anderen Kapitalanlagen. Zum anderen gibt es ein Problem auf der Gebrauchswertseite, ob nämlich die Versorgung mit Wohnraum in ausreichender Menge und Qualität an den richtigen Standorten zur richtigen Zeit und zu einem akzeptablen Preis stattfindet, so dass die von den anderen Kapitalfraktionen wie der Industrie, dem Finanzgewerbe usw. benötigten Arbeitskräfte an den jeweiligen Standorten taugliche Wohnungen vorfinden.

Die Politik folgert daraus, dass, wenn sie einen funktionierenden kapitalistischen Wohnungsmarkt will, sie die Rahmenbedingungen so setzen muss, dass weder ein zu großer Mangel noch ein Überangebot entsteht. Bei einem Überangebot und entsprechend hohen Leerstandsraten erfordert die Marktlogik staatliche Subventionierung von Wohnungsabriss wie z.B. in ostdeutschen Städten, damit die Investoren aufgrund des so hergestellten Wohnungsmangels höhere Mieten durchsetzen können und ihre Investitionen Gewinn abwerfen (Frieling 2013). Nicht immer sind derart drastische Maßnahmen wie Abriss/Vernichtung zur Sicherung der Knappheit erforderlich. In der Regel reicht es, Instrumente wie steuerliche (Abschreibungs-)Vorschriften oder die des Mietrechts (Kündigungsschutz und Mieterhöhungsregelung) so zu verändern, dass die Neubautätigkeit sinkt. Diese Instrumente lassen sich auch umgekehrt einsetzen, wenn die Wohnungsnot zu groß ist. Dann wird der Mieterschutz erhöht (bis hin zum Mietpreisstopp) und der Wohnungsneubau durch steuerliche Erleichterungen, staatliche Förderprogramme (z.B. Sozialer Wohnungsbau) und – seit den 1980er Jahren – durch Subventionierung der Mietzahlungsfähigkeit von Haushalten (z.B. durch Wohngeld) so ergänzt, dass sich das Geschäft der privaten Eigentümer rentiert. Diese Staatsintervention läuft nicht unter der Rubrik Wirtschaftspolitik, sondern erhält den gern positiv konnotierten Titel Sozialstaats- oder Wohlfahrtspolitik.

3. Der aktuelle Wohnungsmarkt in Deutschland:
Wohnungsnot und Leerstand


In jüngster Zeit überschlagen sich die Immobilien-Newsticker und Medien mit für Investoren positiven Nachrichten: Die Mieten steigen wieder. Auf dem deutschen Wohnimmobilienmarkt gebe es eine Trendwende, zumindest in den Metropolen.

Abb. 1: Wohnungsneubautätigkeit, Verbraucher- und Mietpreisindex BRD 1993-2011

(Quellen: Statistisches Bundesamt 2011: Baugenehmigungen/Baufertigstellungen, Lange Reihen, Tab. 1; Statistisches Bundesamt 2013: Ausgewählte Zahlen für die Bauwirtschaft; Statistisches Bundesamt 2013: Verbraucherpreisindex; eigene Berechnung. Mietpreisindex = Index ‚Wohnungsmiete, einschließlich Mietwert von Eigentümerwohnung’)

Ein Rückblick auf die Wohnungsneubautätigkeit in den vergangenen 15 Jahren macht deutlich, was die Immobilienwirtschaft veranlasst, von einer Trendwende zu reden. Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Neubautätigkeit drastisch gesunken, von rund 440.00 neuen Wohnungen (1995) auf 117.000 (2009) (Abb. 1). Ein historischer Tiefstand.


„Der Umfang der Neubautätigkeit ist aktuell an die Untergrenze dessen gelangt, was zum Ausgleich des Wohnungsabgangs und auf Grund der demografischen Entwicklung nachhaltig erforderlich ist.“ (BMVBS 2009, 44)

Abb. 2: Entwicklung der Preise, Mieten und Wohnungsfertigstellungen in der BRD 1953-2004

(Quelle: Koch 2005, S. 247; Daten des Statistisches Bundesamtes, Fachserie 17, Reihe 7, Preise, Verbraucherpreisindizes für Deutschland – nähere Angaben bei Koch ebd.)

Anmerkung: Verbraucherpreise und als Teil davon die Wohnungsmieten werden im Rahmen von Einkommens- und Verbrauchsstichproben, in denen Ausgaben der privaten Haushalte erhoben werden, vom Statistischen Bundesamt regelmäßig gemessen. Zur Darstellung der zeitlichen Entwicklung der Preise werden Indexzahlen berechnet, bei denen der Preisstand in einem Basisjahr gleich 100 gesetzt wird. In der Grafik sind Veränderungen (Wachstumsraten) dieser Indexwerte angegeben.

Ein wichtiger Grund der nachlassenden Investitionstätigkeit liegt in der Entwicklung der Mietpreise. Die Nettokaltmieten sind seit Ende der 1990er Jahre nur sehr gering gestiegen, meistens geringer als die Inflationsrate. Eine Ursache dieser Entwicklung ist die nachlassende Nachfrage – aufgrund der Abnahme innerdeutscher Wanderungen und der Behebung von Mangellagen in Ostdeutschland. Sie führte dazu, dass sich der Wohnungsmarkt in Deutschland einem Gleichgewicht näherte und damit einem unerfreulichen Zustand für das Renditekalkül von Investoren.

„In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre setzte als Folge der deutlichen Annäherung von Angebot und Nachfrage eine zunehmende Abschwächung der Wohnungsbauaktivitäten ein.“ (Deutsche Bundesbank 2002, 37)

Die jüngste Entwicklung stellt keinen Sonderfall dar. Ein Rückblick auf die Nachkriegsentwicklung zeigt, dass es sich um den normalen Markt„mechanismus“ handelt: abnehmende Wohnungsknappheit verringert die Durchsetzung von Mietpreiserhöhungen, was zum Rückgang des Wohnungsneubaus führt, was die Wohnungsknappheit wieder erhöht und damit auch die Durchsetzbarkeit von Mietpreissteigerungen. (Abb. 2)

Die Wohnungspolitik verhindert diesen „Mechanismus“ nicht, sondern sorgt sich um dessen Funktionieren. So reagierte die Bundesregierung auf den Bauboom in der ersten Hälfte der 1990er Jahre mit dämpfenden Maßnahmen. Die fiskalischen Anreize – steuerliche Vergünstigungen wie Abschreibungsvorteile – wurden zurückgenommen, einkommensteuerliche Verrechnung von Verlusten aus Vermietung eingeschränkt, die Grunderwerbssteuer erhöht, zudem Mieterhöhungen begrenzt und Kündigungen erschwert. Die politisch gewollte Verschlechterung der Investitionsbedingungen war ein weiterer Grund für den drastischen Rückgang der Neubautätigkeit im letzten Jahrzehnt. Die vorteilhafte Bedingung der historisch tiefen Zinsen für Hypothekarkredite hat für die Investoren die Risiken nicht ausreichend ausgeglichen, zumal die Finanzmärkte vor der Krise andere verlockende Vermehrungsmöglichkeiten boten.

„Dieses Bündel von Maßnahmen hat neben der marktbedingten Abschwächung des Mietenanstiegs sicherlich dazu beigetragen, dass mancher potenzielle Investor seine Renditeerwartungen in Bezug auf Wohnimmobilien kritisch überprüft hat.“ (Deutsche Bundesbank 2002, 37)

Inzwischen hat sich die Wohnungsmarktsituation geändert. Erstmals seit dem Wiedervereinigungsboom ziehen seit 2009/10 die Miet- wie Immobilienpreise deutlich und auf „breiter Basis“ an – zum einen bedingt durch den konjunkturellen Aufschwung, zum anderen bedingt durch das schwache „marktfähige Angebot“ aufgrund geringer Bautätigkeit in den Jahren zuvor (Deutsche Bundesbank 2012, 54). Die Neubautätigkeit, so stellt die Deutsche Genossenschaftsbank fest, war in den vergangenen Jahren in den größten Wirtschaftsmetropolen so gering, dass es selbst bei stagnierenden Einwohnerzahlen zu einer Wohnraumverknappung kommt (DG Hypo 2011, 28). Da diese Metropolen in den vergangenen Jahren vermehrt Zuzüge und wachsende Einwohnerzahlen verzeichnen, verschärft sich der Mangel und das verbessert die Chancen, dort höhere Mieten durchzusetzen – in der Erst- oder Neuvermietung (Abb. 3a und b) und in der Folge davon auch bei Altbauwohnungen. Während in diesen Ballungsräumen Neubauten benötigt werden, weisen die restlichen Regionen – ländliche, aber auch große Städte – ein erhöhtes Leerstandsrisiko oder stagnierende Miet


preisentwicklungen auf (vgl. BBSR 2010, 7ff.; Kholodilin/Mense 2012).

Abb. 3a: Erstvermietungsmieten in deutschen Großstädten 1998-2010

(Quelle: Landeshauptstadt München 2011a, 24)

Abb. 3b: Mietpreisentwicklung in deutschen Großstädten 2007-2012

(Quelle: Kholodilin/Mense 2012, 9; eigene Berechnung)

4. Wachsende Nachfrage in Metropolen: „neue Urbaniten“

Die zahlungsfähige Nachfrage nach Wohnraum hat sich im letzten Jahrzehnt räumlich verlagert. Während in vielen Städten – von den ländlichen Regionen ganz abgesehen – die Einwohnerzahlen stagnieren oder sinken, verzeichnen die Großstädte und Metropolenkerne deutliche Zugewinne. Die zehn am stärksten gewachsenen Großstädte – München, Dresden, Berlin, Stuttgart, Hamburg, Köln, Frankfurt, Düsseldorf, Mainz, Nürnberg – haben ihre Einwohnerzahl von 2000 bis 2009 insgesamt um 350.000 Einwohner erhöht, davon allein München um gut 100.000 (BBSR 2011) (Abb. 4). Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung spricht von einer Renaissance der großen Städte; es sieht in diesen Konzentrationstendenzen eine positive, strukturelle Änderung zu den bisher vorherrschenden Suburbanisierungstrends.


„Renaissance der Städte ... tatsächlich ist es so, dass die Großstädte im Gegensatz zu allen anderen Stadt- und Gemeindetypen seit 2004 einen Bevölkerungsgewinn verzeichnen. Dieser ‚ungewöhnliche’ Entwicklungspfad scheint auf eine strukturelle Veränderung im Siedlungssystem Deutschlands hinzuweisen. Die Großstädte sind die siedlungsstrukturellen Ankerpunkte und erfüllen ihre Funktion als Motoren der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung.“ (BBSR 2011, 2)

Abb. 4: Bevölkerungsentwicklung ausgewählter deutscher Großstädte 2000-2009

(Quelle: BBSR 2011, 4)

Grundlage des Zustroms in die Metropolenkerne sind die höheren Chancen, dort einen etwas besser entlohnten Arbeitsplatz zu finden. Die veränderten Bedürfnisse des produktiven wie des Finanzkapitals haben an diesen Standorten neue Arbeitsmarktsegmente geschaffen, das der „wissens- und kulturbasierten Dienstleistungen“ (Häußermann/Siebel/Läpple 2008, 179) und der „Kreativen“ (BBSR 2012). Und die Unternehmen in diesen Sektoren haben auch die Arbeits- und damit die Reproduktionsbedingungen verändert. Für nur einen gewissen Lohnaufschlag erwarten sie flexible, mobile, leistungsorientierte, hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Sie können Arbeitsbedingungen durchsetzen, die – um es mit Worten der Marktforscher zu sagen – zu veränderten Lebensstilen und -milieus führen, zu individualisierten Singles und Familien mit Kindern, die als Wohnstandort nicht mehr den suburbanen Rand bevorzugen, sondern die zentrale Lage, weil sie verstärkt auf die Dichte und gute Erreichbarkeit von Infrastruktureinrichtungen („kurze Wege“) angewiesen sind.

Ein überdurchschnittliches Haushaltseinkommen erlaubt es dieser Gruppe von Arbeitskräften, höhere Quadratmetermieten zu zahlen und dennoch nur eine unterdurchschnittliche Mietbelastung in Kauf nehmen zu müssen (Abb. 5). Das ermöglicht Verdrängung von einkommensschwachen Gruppen. Aber den Anbietern ermöglicht es auch – die innerstädtische, lokale Wohnungsknappheit vorausgesetzt – ein höheres Mietniveau durchzusetzen und damit die Mietbelastung zu steigern. In München liegt die durchschnittliche Mietbelastung aller (!) Haushalte schon bei 32 Prozent, also rund 10 Punkte über dem westdeutschen Durchschnitt (BT 2010, 43f.).


Abb. 5: Mietbelastung der Haushalte und Einkommen in Deutschland 2006 und 2010

(Quelle: Statist. Bundesamt 2008 bzw. 2010: Fachserie 5, H. 1 Bauen und Wohnen; Mikrozensus Zusatzerhebung 2006 bzw. 2012)

Für das Wohnungsbaukapital stellt damit die Nachfragesituation eine günstige Bedingung dar, wenn auch begrenzt auf wenige Teilmärkte in den Metropolen mit deutlichem Wirtschaftswachstum.

5. Aufwertung: Spekulation und Herstellung des rent gap

Die günstigen Voraussetzungen, mittels Wohnungsbau und -vermietung in diesen spezifischen Teilmärkten Kapital zu vermehren, müssen entdeckt und genutzt werden. Zunächst werden es einzelne Hauseigentümer und Investoren sein, die in günstigen innerstädtischen Lagen in boomenden Metropolen, dort in Quartieren mit relativ preiswertem Wohnraum oder anderen geringwertigen Nutzungen, Potenziale für deutlich steigerbare Mieten und Preise für Eigentumswohnungen vermuten und zu realisieren versuchen. Sind diese vereinzelten Spekulationen erfolgreich und ziehen sie weitere nach sich, werden Immobilienmakler und Kapitalanleger von einem Trend ausgehen, den es frühzeitig zu nutzen gilt. Sie ziehen zahlreiche Indikatoren heran – Wanderungs-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Wohnungsmarktstatistiken usw. –, um die zukünftige Nachfrage zu antizipieren. Eine ganze Branche lebt mit Marktbeobachtungen und Wohnungsmarktprognosen von diesem Bedürfnis, spekulieren zu wollen, aber möglichst ohne Risiko. Doch es bleibt natürlich eine Spekulation auf zahlungskräftigere Käufer und Mieter und auf die Wirtschaftsentwicklung.

Das rent gap ist am Beginn von Aufwertungsprozessen nicht einfach vorhanden. Die Investoren produzieren es – durch die Realisierung erster Geschäfte. Wie bei der Spekulation mit Rohstoffen oder Aktien wird die Spekulation auch hier erst so richtig erfolgreich, wenn sie einen Trend setzt, wenn die Erwartung auf höhere Renditen eine verbreitete, allgemeine wird. Wenn Medien und Immobilienberater sie thematisieren, wenn im Wohnumfeld mit neuen Cafés, Restaurants, Geschäften erste Anzeichen sichtbar werden, wenn soziologisch gesprochen die Pionier- in die Sukzessionsphase übergeht, wenn Grundeigentümer über den Wert ihres Eigentums nachzudenken beginnen, dann existiert ein Aufwertungsdruck, dann haben die spekulierenden Investoren das rent gap geschaffen (Abb. 6).

Abb. 6: Entwicklung der Angebotspreise für neue Eigentumswohnungen in Hamburg-St.Pauli 2007-2011

(Quelle: Grossmann & Berger 2012, 4)

6. Lokale Politik und Planung

Die Politik zeigt sich – in der Regel – sehr zufrieden damit, dass Geschäft und Versorgung so wunderbar harmonieren. Sie sieht sich ihrem Ideal vom konflikt- und krisenfreien Kapitalismus näher. Es sei denn, es stellt sich heraus, dass der „Markt“ neue Widersprüche und Konflikte produziert.

Wenn z.B. die Spekulationen fehl laufen, weil alle Investoren, gefangen in der Konkurrenz, in das Luxussegment drängen und sich im Nachhinein herausstellt, dass sie am Bedarf vorbei gebaut haben. Dann sieht sich die Politik vielleicht genötigt einzugreifen, zumindest ideologisch, indem sie die Spekulationsblasen bei Immobilien wie auf den Finanzmärkten nicht als normales Mittel kapitalistischen Konkurrenz für notwendig und gut erklärt, sondern als ein Versagen, das sich einem menschlichen Defekt, dem Herdentrieb, verdanken soll.

Unzufrieden wird die Politik auch, wenn die Mietbelastung selbst einkommensstarker Haushalte so sehr wächst, dass sie zu einem Problem wird, weil andere Wirtschaftsbereiche unter dem Mangel an Arbeitskräften (oder höheren Lohnforderungen) zu leiden beginnen. So befürchtet der Jahreswirtschaftsbericht der Stadt München, die Stadt als Ganzes könnte sich aus dem Wachstumsprozess „Herauspreisen“ („Holländische Krankheit“):

Der Fachkräftemangel wird zu einer angebotsseitigen Belastung der Arbeitsmärkte führen. …Um nicht nur ein Arbeiten, sondern auch ein Leben in der bayerischen Landeshauptstadt für alle Bevölkerungsschichten zu ermöglichen, ist es notwendig, dass bezahlbarer Wohnraum in ausreichendem Maß in der Stadt zur Verfügung gestellt wird. Hier sind alle Anstrengungen der Stadt, aber auch der Wirtschaft notwendig, um diesen potenziellen Engpaß durch unterschiedlichste flächen- und wohnungsmarktpolitische Instrumente konstruktiv anzugehen.“ (Landeshauptstadt München 2011: Jahreswirtschaftsbericht, 71)

Was unternimmt die Politik, vor allem die lokale Politik, die sich mit diesen Problemen konkret und vor Ort auseinandersetzen muss?

Die Politik beauftragt ihre planende Verwaltung. Diese soll ermitteln, wie notwendig bzw. nützlich Aufwertungen sind. Sie soll prüfen, welche Auswirkungen die Aufwertungsprozesse auf Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und auf die sozialen Verhältnisse in der Stadt haben können. Planung und Politik legen hierbei ihr eigenes Interesse, das gesamtwirtschaftliche, zugrunde. In ihrer Sorge um das Allgemeinwohl versuchen sie, so viel Wachstum wie möglich zu fördern und dabei negative Effekte auf andere Branchen, Blockaden, Widersprüche oder Kosten für den Staat vorauszusehen, abzuschätzen und nach Möglichkeit zu verhindern.

Zu diesem Zweck mischt sich die Planung häufig schon frühzeitig ein. Sie berät die Immobilienwirtschaft beim Auffinden von Geschäftsmöglichkeiten, die die Planung für Wohnungsversorgung für notwendig hält. Sie berät die Investoren, um die chaotischen Prozesse der Spekulation vor allem räumlich zu lenken und mit anderen Stadtentwicklungsprozessen zu koordinieren. Schließlich ziehen Aufwertungsprozesse nicht nur Aufwendungen für öffentliche Infrastrukturen nach sich – Verkehrseinrichtungen, Grünanlagen oder Anderes müssen geschaffen werden. Wenn Bevölkerung mit geringem Einkommen verdrängt wird, wenn das städtische Segregationsmuster neu geschrieben wird, dann wird möglicherweise im Aufwertungsgebiet die soziale Infrastruktur entwertet. Und an anderen Standorten, wo die Verdrängten hinziehen müssen, braucht es zusätzliche Kitas und Schulen. Die Segregation, so die Sorge der Stadtplaner, kann sich durch die Verdrängungsprozesse verschärfen und neue Probleme für die Stadtpolitik schaffen, weil soziale Brennpunkte oder Desinvestionsprozesse und Abwärtsspiralen in der Quartiersentwicklung entstehen. Es kann sein, dass neuer sozialer Wohnraum überhaupt erst geschaffen werden muss, weil er knapp ist. Das belastet die kommunalen Kassen, so dass manche Städte zu dem Schluss kommen, dass die erfolgreichen privaten Einzelinteressen der Wohnungsbaukapitalisten sich nicht unbedingt mit dem gesamtwirtschaftlichen Interesse decken, dass sie kein positiver Beitrag zur Erhöhung des Allgemeinwohls sind. Dann legt die Politik fest, dass – in diesem Fall und für eine gewisse Zeit – öffentliches und privates Interesse auseinanderfallen. Die Politik weist das partikulare Interesse in die Schranken. Die Formen und Mittel dieser Intervention können sehr unterschiedlich sein. Die planende Verwaltung kann dank ihrer Frühwarnsysteme schon im Vorfeld intervenieren und versuchen, über Informationen, Angebote und Absprachen das private Interesse zu kanalisieren. Es kann sein, dass frühzeitig entlastende Angebote für die Verdrängten gefördert und bereitgestellt werden. Es kann auch sein, dass die lokale Politik zum gesetzlichen Mittel greift, ein im Prinzip gewünschtes privates Interesse temporär und räumlich begrenzt zu untersagen. Z.B. kann dann mit Hilfe des § 172 Baugesetzbuch eine Soziale Erhaltungsverordnung festgelegt werden wie beispielsweise in Hamburg für St. Pauli (HmbGVBl. Nr. 7 vom 14.2.2012) oder in München (Abb. 7).

Die relative Autonomie des lokalen Staates gegenüber den privaten, partikularen Interessen beinhaltet aber auch, dass die Politik entscheiden kann, den anarchischen, Rendite getrieben Prozess auf dem Wohnungsmarkt laufen zu lassen wie z.B. in Berlin – weil arme Bevölkerungsgruppen verdrängt werden, die ökonomisch ohnehin überflüssig sind, weil irgendwo in der Stadt noch halbwegs ausreichender billiger Wohnraum vorhanden ist, weil die Aufwertung Image und Tourismus fördern soll oder den Hoffnungsträger „Kreativwirtschaft“.


Abb. 7: Erhaltungssatzungsgebiete in München

(Quelle: Reiß-Schmidt 2011)

7. Logik der Konkurrenz oder politisches Programm?

Abschließend kann die Frage, ob Aufwertungsprozesse Ausdruck eines politischen Programms oder „nur“ der kapitalistischen Konkurrenzlogik sind, – in Umrissen – beantwortet werden.

Daran, dass die Kommunen selbst die Frage stellen, was eine erwünschte Aufwertung ist und was nicht, kann man schon einen berechnenden Umgang bemerken, ein Kalkül, was dem Allgemeinwohl der Stadt am besten dienlich ist.

Da der Staat die Gesellschaft so eingerichtet hat, dass ihre Entwicklung von den Erfordernissen und Erfolgen der Kapitalakkumulation abhängt, steht außer Frage, dass auch die lokale Politik Wirtschaftswachstum auf ihrem Territorium als obersten Zweck setzt. Es geht um das Wie. Wie partizipiert sie am allgemeinen Wirtschaftswachstum, wie wettbewerbsfähig ist sie in der internationalen Standortkonkurrenz, wie kann sie mehr Investitionen/Kapital anziehen, welche finanziellen Mittel hat sie, dafür entsprechende Bedingungen in der infrastrukturellen Ausstattung und der gebauten Umwelt zu produzieren?

Mit dieser Zwecksetzung wird der Strukturwandel der Wirtschaft zu einem Sachzwang, dem die Politik sich unterwerfen will: Sie passt die Wohn- und sonstigen Reproduktionsbedingungen den wechselnden Erfordernissen an, verwaltet die von der Wirtschaft nicht nachgefragte Wohnbevölkerung sozialstaatlich in Wohnquartieren am Stadtrand, schafft Bedingungen, um benötigte Mittelschichten in der Stadt zu halten, u.a.m. Dazu gehört auch, die daraus resultierenden Konflikte, Exklusionen und negativen Wirkungen abzufangen, zu integrieren und zu legitimieren: z.B. die negativ betroffenen Stadtbewohner davon zu überzeugen, dass die Schädigung, die sie erfahren, dem Allgemeinwohl nützt und deshalb letztendlich auch ihnen, dass die Politik in Sachzwängen steckt und sich dem Markt, dem Strukturwandel, den Modernisierungsprozessen nicht entziehen kann, dass Kritiker von Gentrification nur eines von vielen partikularen Interessen vertreten und dies am Allgemeinwohl relativieren müssen, wollen sie ernst genommen werden.

Aufwertung (Gentrification) ist als Beitrag zu mehr Wirtschaftswachstum für die lokale Politik verlockend, aber nicht an sich ein politisches Programm. Das politische Programm besteht darin, die kapitalistische Konkurrenz zu gewährleisten, die Akkumulation zu befördern und am Erfolg der Unternehmen in der Konkurrenz zu profitieren. Insofern ist das ODER in der gestellten Eingangsfrage ein UND.

Literatur

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[1] Harvey 1982, 2005; eine gute Einführung zu Harvey durch Belina 2011; vgl. auch Zeller 2003; zum Stand der Debatte um Gentrifizierung vgl. Slater 2006, 2008; allgemeiner einführender Überblick bei Holm 2010 und Junge Linke 2011.