In vielen Städten suchen Menschen Räume zum Wohnen, zum Arbeiten oder um ihre Freizeit zu verbringen. In denselben Städten stehen Gebäude ganz oder teilweise leer. Das muss sich ändern. Denn die Nutzung von Leerstand kann Ressourcen schonen, die Gesellschaft stärken und die Lebensqualität in Städten erhöhen. Daher gibt es die Internetseite Leerstandsmelder.de. Mit ihrer Hilfe kann Leerstand problematisiert und die Politik zum Handeln bewegt werden. Des Weiteren hilft sie beim Aufspüren geeigneter Räume.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Ursachen von Leerstand: In schrumpfenden Städten führt der Wegfall von Arbeitsplätzen zur Abwanderung der Bevölkerung. Leere Industrieareale, Wohnungen und Ladengeschäfte sind die Folge. Auch Kitas, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen sind betroffen. Andernorts bluten Innenstädte aus, weil am Stadtrand Einfamilienhäuser und Gewerbegebiete gebaut werden. Auch das Einkaufen übers Internet verstärkt den Leerstand, zumindest bei Einzelhandelsflächen. In wachsenden Städten verursachen vor allem Spekulationen mit Immobilien Leerstände. In der „Leerstandshauptstadt“ Frankfurt zum Beispiel standen 2011 mit 1,5 Millionen Quadratmetern 15 Prozent aller Büroflächen leer.[1] In der Hoffnung auf eine lukrative Anlage stecken Investoren ihr Geld vor allem in Bürogebäude. Dadurch wird oft am Bedarf vorbei gebaut und der Überhang an Büroflächen vergrößert. Außerdem wird Platz für Wohnungen verbaut, denn wo ein Bürogebäude steht, kann kein Wohnhaus mehr errichtet werden. Neben strukturellen Ursachen gibt es viele Einzelfälle, die zu Leerstand führen. Es kommt vor, dass Eigentümer_innen kein Geld für eine notwendige Sanierung haben. Oder sie lassen Wohnungen leer stehen, bis sie selbst einziehen. Auch Prozesse vor Gericht und Probleme mit Genehmigungen können zu Leerstand führen. Manche Eigentümer_innen entmieten ihre Gebäude, denn leer können sie teurer verkauft werden. Oder sie kündigen laufende Mietverträge weil sie die Wohnungen auf einen Schlag in Eigentumswohnungen umwandeln wollen, sobald ihr Haus leer ist.
Aufgrund der verschiedenen Ursachen kann der komplette Leerstand einer Stadt nur mit großem Aufwand oder hohen Kosten erfasst werden. In der Regel werden nur für Stadtteile oder für bestimmte Nutzungsarten Zahlen erhoben. Fast nirgends existiert ein Leerstandskataster, das privates und öffentliches Eigentum, Büro-, Wohn- und Einzelhandelsflächen, Industriegebäude, öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kitas, Krankenhäuser, Behörden und Betriebsgebäude berücksichtigt. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine allgemeingültige Bestimmung des Begriffs „Leerstand“ gibt. Unterschiedliche Definitionen lassen Spielraum beim Erheben von Leerstandsraten. Das nutzen vor allem Projektentwickler_innen. Mit niedrigen Leerstandsraten rechtfertigen sie Neubauten.[2] Die Gesellschaft für Immobilienforschung (gif) zum Beispiel wertet nur Räume als leer stehend, wenn sie am Markt angeboten werden. Gebäude, die zunächst saniert oder umgebaut werden müssten, werden nicht berücksichtigt. Diese Betrachtung greift viel zu kurz.
Leerstand als Ressource
Leerstehende Gebäude können eine Ressource für Stadtbewohner_innen sein – wenn sie zugänglich sind. Allerdings werden viele potenzielle Nutzer_innen durch zu hohe Mieten ausgeschlossen. Denn trotz Leerstand verringern die meisten Eigentümer_innen kaum ihre Mieterwartungen.[3] Das gilt selbst dann, wenn die Immobilie seit Jahren leer steht. Dabei führt Leerstand fast immer zu Verlusten für die Eigentümer_innen. Einzige Ausnahme sind Weiterverkäufe zu Preisen, die höher liegen als die Kosten. Niedrige Mietpreise bringen für die Eigentümer_innen aber in der Regel auch kaum mehr ein als der Leerstand. Das hat mehrere Gründe. Eigentümer_innen können Verluste durch Leerstand von der Steuer abzusetzen. Hinzu kommt, dass der Immobilienwert sich nach dem langfristig erwarteten Mietertrag richtet. Sinken die Mietkosten, verringert sich der Wert einer Immobilie – zumindest buchhalterisch.[4] Andere Gründe sind die Verfahren und Auflagen für Um- und Zwischennutzungen. Oft verlangen Behörden aufwendige Nachweise und teure Umbaumaßnahmen. Das betrifft selbst öffentliche Gebäude und Flächen.
Wirksame Maßnahmen gegen Leerstand können nicht allein auf dem Immobilienmarkt erarbeitet werden. Sie müssen gesellschaftliche Veränderungen berücksichtigen. „Für eine nachhaltige Stadtentwicklung scheint der haushälterische Umgang mit Ressourcen, zu denen auch der Gebäudebestand zählt, ohne Alternative. Der Bestand ist dabei allerdings nicht nur als eine stoffliche und wirtschaftliche Ressource zu werten, sondern auch als wichtiger Baustein, der die Stadt selbst zu einer Ressource für neue Entwicklungen und Lebensstile macht: Die Gebäude verfügen über einen gesellschaftlichen und relationalen Wert und stellen Möglichkeitsräume dar.“[5]
Mehrere gesellschaftliche Entwicklungen erhöhen derzeit den Bedarf an günstigen Räumen: Weil sich der Staat zunehmend von Versorgungsleistungen zurückzieht, agieren Stadtteilinitiativen, Vereine, NRO und Sozialunternehmen zunehmend im sozialen Bereich.[6] Die Nutzung günstiger Räume kann sie bei der Selbsthilfe unterstützen und die Kosten von sozialen Dienstleistungen verringern. Auch der Arbeitsmarkt verändert sich. Viele Menschen finden keine Anstellung mehr oder sie wollen gar keinen festen Arbeitsplatz. Lieber arbeiten sie als Freiberufler_innen und suchen günstige Räume, um Geschäftsideen auszuprobieren. Insbesondere Wissens- und Kreativarbeiter_innen sind in der Lage, sich bestehende Gebäude anzueignen und umzuwandeln.[7] Diese Gruppen und Einzelakteure stärken die Stadtgesellschaft, wenn sie tätig werden können. Sie tragen bei zur Belebung von Stadtquartieren, stärken den sozialen Zusammenhalt, integrieren Hinzugezogene und fördern die Lebensqualität in den Städten. Stadtverwaltungen erfüllen diese Aufgaben immer weniger, weil Geld fehlt. Das Zusammenleben in den Städten hängt daher zunehmend von den Leistungen der Stadtbewohner_innen ab.[8] Dazu sollten sie Räume günstig nutzen können. Damit würde auch ein anderes Problem der Stadtentwicklung gelöst, denn Leerstände belasten ihr Umfeld. Die Gebäude verfallen, laden zu Vandalismus ein und können sich zu „Angsträumen“ für Anwohner_innen und Passant_innen entwickeln.
Lassen Eigentümer_innen ihre Gebäude leer stehen, belasten sie nicht nur das städtische Umfeld und erschweren es, dass Stadtbewohner_innen tätig werden können. Sie verschwenden auch Baumaterialien und vergeuden Energie. Das gilt oft selbst dann, wenn ein Neubau bessere Energiestandards aufweisen würde. Denn im Bestand steckt „graue Energie“: alle Energie, die notwendig ist, um ein Gebäude zu errichten; vom Gewinnen und Herstellen der Materialen über ihren Transport bis zum Bau. Hinzu kommt die Energie für den Abriss. Der Architekt Muck Petzet drückt es so aus: „Der Schlüssel zur Reduktion des CO2-Abdrucks unserer Gebäude liegt (...) in einer Verlängerung der Lebenszyklen der Gebäude, beispielsweise durch die Nutzung vorhandener Rohbauten oder Gebäudeteile anstatt von Abriss und Neubau. Das hieße bei einer vergleichenden energetischen Bewertung von Bestand und ‚Ersatzneubau’ eben auch, die ursprüngliche Herstellungsenergie mit heranzuziehen (...). Eine solche Betrachtung zeigt deutlich, dass es am sinnvollsten ist, die Lebenszeit vorhandener Gebäude mit möglichst minimalen Mitteln zu verlängern“.[9] Das minimale Mittel ist die Pflege des Bestandes durch seine Nutzung. Gleichzeitig würden dadurch vorhandene Ressourcen effektiv verwendet.
Leerstand nutzen
Damit Leerstände zugänglich werden, müssen Mietsenkungen für die Eigentümer_innen attraktiv sein. Der Staat muss dafür das Umnutzen von Gebäuden erleichtern und Steuervorteile abschaffen. Noch wirksamer wären Steuern auf Leerstand, denn dadurch würden sich Immobilienspekulanten bei Investitionen eher zurückhalten. Wichtig ist zudem, die tatsächlichen Leerstandsraten zu erfassen. Dadurch könnte auch mancher unnötige Neubau vermieden werden. Ein weiterer Vorschlag kommt von dem Stadtplanungshistoriker Angelus Eisinger und dem Stadtforscher Jörg Seifert. Sie denken über einen Recyclingaufpreis für Neubauten nach. Mit der Baugenehmigung könnte eine Gebühr anfallen, die die Wiederverwertung des Gebäudes nach seiner Stilllegung abdeckt. Beim Kauf von Autos ist das bereits üblich. Eine solche Abgabe würden Investoren ermutigen, „graue Energie“ zu nutzen, statt sie durch Abriss zu vergeuden.
Auch Hausbesetzungen fördern die Nutzung von Leerstand. Dadurch werden Gebäude genutzt, die nicht vermietet werden können oder sollen. Davon profitieren nicht nur die Nutzer_innen, sondern auch die Stadtentwicklung. In Zürich haben Hausbesetzungen den Wohnungsmarkt entspannt und die Kulturszene der Stadt bereichert. Seit den 1990er Jahren werden dort Hausbesetzungen toleriert bis zum Beginn von Bau- oder Sanierungsarbeiten.[10]
Das Gängeviertel in Hamburg
Am Gängeviertel in Hamburg zeigt sich, was die Stadtgesellschaft gewinnen kann, wenn Leerstand genutzt wird. Das Gängeviertel besteht aus zwölf Gebäuden und steht unter Denkmalschutz. Es gehört der Stadt Hamburg und liegt in der Innenstadt. Die dortigen Mietpreise für Büros zählen zu den teuersten in Deutschland. Um das Viertel teuer verkaufen zu können, ließ es die Stadt Hamburg fast zehn Jahre lang leer stehen und verfallen. Schließlich verkaufte sie es an einen Investor im „Höchstgebotsverfahren“ und genehmigte den Abriss. Der Investor wollte an Stelle des Gängeviertels Büros, Gewerberäume und Wohnungen im gehobenen Segment errichten. Doch durch die Finanzkrise geriet er in Finanzierungsschwierigkeiten und das Projekt drohte zu scheitern. Diese Situation nutzten rund 200 Aktivist_innen und Künstler_innen und besetzten das Gängeviertel im September 2009. Unter dem Namen „Komm in die Gänge“ protestierten sie damit gegen den Abriss des Viertels und die Stadtentwicklungspolitik in Hamburg. Außerdem forderten sie günstige Wohn- und Arbeitsräume in der Stadt. Gleichzeitig begannen sie ihre Utopie vom Gängeviertel umzusetzen: Sie richteten Ateliers, Werkstätten, Arbeits- und Veranstaltungsräume ein und setzten die alten Gebäude instand, so gut es ihnen möglich war. Ihnen gelang die erste erfolgreiche Hausbesetzung in Hamburg seit 20 Jahren. Heute finden im Gängeviertel täglich Ausstellungen, Konzerte, Filmvorführungen, Lesungen, Diskussionen oder Workshops statt. Jede Woche kommen Hunderte von Besuchern und nutzen die kostenlosen Angebote.[11]
Nach langen Auseinandersetzungen und Verhandlungen hat sich die Initiative „Komm in die Gänge“ mit der Stadt Hamburg auf ein gemeinsames Sanierungsmodell geeinigt: Acht Jahre lang werden die Häuser mit öffentlichem Geld Schritt für Schritt hergerichtet. Grundlage für die zukünftige Nutzung ist die derzeitige Nutzungsverteilung im Viertel. Es entstehen Sozialwohnungen für 200 Menschen und ein soziokulturelles Zentrum. Die Initiative ist in den Sanierungsprozess eingebunden und kann mitentscheiden. Nach der Sanierung soll die von der Initiative gegründete „Gängeviertel Genossenschaft 2010“ die Verwaltung übernehmen. Das notwendige Eigenkapital wirbt die Projektgenossenschaft durch ein Modell ein, das auf Solidarität basiert: sogenannte „Kulturgenoss_innen“ zeichnen Anteile, auch wenn sie keine Flächen im Viertel nutzen möchten.[12]
Für Michael LaFond und Robert Knobloch vom Institut für kreative Nachhaltigkeit sind selbstbestimmte Wohnprojekte wie das Gängeviertel „Motoren“ einer nachhaltigen Stadtentwicklung, weil sie das Potenzial haben, „den demografischen Änderungen, den wachsenden sozialen Unterschieden oder auch der rein profitorientierten Immobilienspekulation mit Engagement zu begegnen. Sie können für eine nachhaltige Stadtentwicklung (...) eine zentrale Rolle spielen, indem sie direkte Entscheidungsmöglichkeiten bieten (sic!) z.B. bei sozialen und ökologischen Aspekten. Dadurch können Wohnprojekte um einiges innovativer sein als klassische Träger der Wohnungswirtschaft. Selbstorganisierte Wohnprojekte führen meist zu einer gemeinsamen Auseinandersetzung über den verantwortlichen Umgang mit ihren verwalteten Ressourcen, den Wohnungen und dem Wohnumfeld. Sie können Benachteiligte integrieren und die Nachbarschaft und somit die Stadt sozial stabilisieren. Hierbei werden heutige Wohnprojekte insbesondere durch generationsübergreifende Modelle, durch Kinder- und Altenbetreuung aktiv. Mit der baulichen Verdichtung der Innenstadt durch Baugemeinschaften und -gruppen oder durch Gebäuderecycling mittels (Miet-)Wohnprojekten wird zudem das Leitbild der Stadt der kurzen Wege gefördert, vorhandene Ressourcen besser genutzt und der Zersiedlung entgegengewirkt“[13]. Der Architekt und Stadtplaner Günther Uhlig sieht in den „Gemeinschafts- und Gesellungsformen der neuen Baugruppen“ empirische Belege für den von Hardt und Negri geprägten Begriff der „Multitude“. Für ihn sind sie Vorreiter zukünftiger Lebensstile, weil sie Arbeit und Privates sowie Freizeit und Politik vereinen.[14]
Leerstandsmelder.de
Aktivist_innen aus dem Gängeviertel starteten 2010 die Internetseite Leerstandsmelder.de, um auf die Verschwendung von Ressourcen hinzuweisen, die der aktuelle Leerstand bedeutet, und um Menschen in Hamburg zu unterstützen, die Leerstände nutzen wollen. Auf der Seite können sich User registrieren und Informationen zu leerstehenden Gebäude eintragen. Auf der Leerstands-Karte erscheint dann bei der angegeben Adresse ein „LEER“-Symbol und es wird ein Steckbrief erstellt. Mit der Kommentarfunktion können andere User Informationen ergänzen und aktualisieren. Die Nachrichtenfunktion dient der direkten Kommunikation. Tausende Menschen haben sich bisher bei leerstandsmelder.de registriert, um Leerstände eintragen zu können. Noch mehr nutzen die Seite, um sich zu informieren. Die Informationen sind frei zugänglich und kostenlos.
Nach drei Jahren Laufzeit waren für Hamburg mehr als 700 Leerstände eingetragen, darunter knapp 400 Wohngebäude und Wohnungen, 68 Bürogebäude, 76 Gewerbegebäude, 14 Schulen sowie ein Schlachthof, Kitas, Altersheime, zahlreiche Läden, eine Videothek und mehrere Amtsgebäude. Auffällig ist der mit 20 Prozent relativ hohe Anteil an Leerständen der öffentlichen Hand. Rund 70 Prozent der für Hamburg gemeldeten Objekte stehen seit mehr als einem Jahr leer. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich dafür ohne Umbau- oder Sanierungsmaßnahmen am Markt neue Nutzer_innen finden lassen. Die offiziellen Leerstandszahlen liegen noch weit darüber: In Hamburg stehen mit 1,2 Millionen Quadratmetern 8,2 Prozent aller Büroflächen leer.[15] Darauf ließen sich rein rechnerisch 12.000 Wohnungen mit einer Größe von hundert Quadratmetern unterbringen. Hinzu kommen rund 2000 leerstehende Wohnungen.[16] Zusammen genommen böte das Platz für ca. 40.000 Menschen.
Auch wenn die Zahlen auf leerstandsmelder.de bei weitem nicht den gesamten Leerstand erfassen und nicht immer aktuell sind, trägt die Seite dazu bei, dass Leerstand wieder genutzt wird. Mindestens eine Sanierung wurde wohl mit Hilfe von Leerstandsmelder.de angestoßen und mehrere Objekte konnten zwischengenutzt werden. Des weiteren wurde erreicht, dass Leerstand von den Medien problematisiert wird. Gemeinsam mit Initiativen aus dem Hamburger Netzwerk „Recht auf Stadt“ [17], zu dem auch Leerstandsmelder.de zählt, konnte die Politik unter Druck gesetzt werden. 2013 verschärfte der Hamburger Senat das Wohnraumschutzgesetz.[18]
Nach dem Start der Seite für Hamburg meldeten sich Interessierte, um leerstandsmelder.de für weitere Städte zu nutzen. Inzwischen wird die Seite in 16 Städten von lokalen Initiativen betrieben. Weitere bereiten den Start vor. Über die Verwaltung der lokalen Leerstandsmelder hinaus akquirieren sie Spendengelder und Fördermittel und machen Öffentlichkeitsarbeit. Dazu zählen auch Aktionen auf der Straße wie das Markieren von Leerständen.[19] Bei Demonstrationen können die Betreiber der Plattform weitere politisch Aktive erreichen und Leerstand in Verbindung mit anderen Konfliktfeldern thematisieren – wie z.B. auf der „Leerstand zu Wohnraum“-Demo im Oktober 2010 in Hamburg. Dadurch werden politisch Aktive erreicht und es entstehen Kontakte zu anderen lokalen Initiativen.
Erstmals trafen sich die Aktivist_innen aus den verschiedenen Städten im März 2013 im Gängeviertel zum „LEERgang – dem Kongress von Leerstandsmelder.de“. Den Auftakt der Veranstaltung bildete ein öffentlicher Diskussionsabend.[20] Die Teilnehmer_innen lernten sich kennen und planten gemeinsam die weitere Entwicklung von Leerstandsmelder.de. Es wurde deutlich, dass sich die Hintergründe der einzelnen Initiativen sehr unterscheiden und sie verschiedene Ziele verfolgen. Die einen wollen neoliberale Stadtentwicklungspolitik grundsätzlich destabilisieren, anderen suchen Räume für eigene Projekte. Auch dabei sind Initiativen, die für Dritte Leerstände suchen und zwischen Nutzer_innen und Eigentümer_innen vermitteln. Die Ausrichtung der Initiativen hängt auch mit der Leerstands-Situation in den jeweiligen Städten zusammen: Handlungsansätze in Bezug auf Leerstand sind in Kaiserslautern andere als in Frankfurt oder Görlitz. Aus diesen Unterschieden bezieht das Netzwerk seine Stärke. Das versammelte Wissen ist umfassend und vielschichtig.
Leerstandsmelder.de ist eine viel gefragte kritische Instanz im Diskurs um Leerstand.[21] Aber auch leerstandsmelder.de wird kritisiert: Manche Eigentümer_innen fühlen sich an den Pranger gestellt. Ihre Persönlichkeitsrechte werden allerdings geachtet. Außerdem können auch Eigentümer_innen die Seite nutzen und bekannt machen, warum ihre Immobilie leer steht. In vielen Fällen sind die Gründe für einen Leerstand aus Perspektive der Eigentümer_innen nachvollziehbar. Von der Möglichkeit ihre Gründe öffentlich darzulegen, machen sie allerdings kaum Gebrauch. Aktivist_innen kritisieren, dass die Einträge auf leerstandsmelder.de Spekulant_innen helfen könnten, Immobilien zu verwerten. Das ist nicht auszuschließen. Allerdings informieren sich Spekulant_innen, Makler_innen und Investoren wohl eher anderweitig über Leerstände. Dazu nutzen sie exklusive Netzwerke, „Immobilienstammtische“ und Kontakte zur Politik. In der Praxis bewährt sich Leerstandsmelder.de vor allem als Korrektiv. Die Plattform fördert die Informationsgleichheit und ist eine wichtige Grundlage im Kampf um die Nutzung von Räumen in der Stadt.
[1] faz.net: „Hoher Leerstand rückt in den Hintergrund“, 16.02.2011 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/immobilien/arbeiten/bueromarkt-hoher-leerstand-rueckt-in-den-hintergrund-12893.html
[2] Institut der deutschen Wirtschaft (Hg.): Büroleerstand – ein zunehmendes Problem des deutschen Immobilienmarktes, in: IW-Trends – Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung Heft 4/2011, Köln, S. 11.
[3] Andrej Holm, Geschäft mit dem Leerstand, 19. 10. 2010 http://gentrificationblog. wordpress.com/2010/10/19/geschaft-mit-dem-leerstand/
[4] Ebd.
[5] Martina Baum, Zukunftsfähigkeit braucht Wandlungsfähigkeit und Stabilität – Dynamisch-stabile Strukturen im Kontext nachhaltiger Stadtentwicklung, in Ziehl/Oßwald/Hasemann/Schnier (Hg.): second hand spaces – über das Recyceln von Orten im städtischen Wandel, Berlin, 2012, S. 28-35.
[6] Vgl. Gerhard Wegner, Sozialraumunternehmerinnen und -unternehmen – Neues Denken in der Gemeinwesenarbeit, in: Helga Hackenberg, und Stefan Empter, (Hg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, Wiesbaden 2011, S. 189-202.
[7] Vgl. Bastian Lange, Neues Arbeiten in Netzwerken, in: Ziehl/Oßwald Hasemann/Schnier (Hg.), a.a.O., S. 116-126.
[8] Gerhard Scherhorn und Daniel Dahm, Eröffnung von Anpassungsfähigkeit für lebendige Orte“. Schlussbericht 2004 des Teilprojekts „Urbane Subsistenz als Infrastruktur der Stadt“, Köln, Berlin, Stuttgart, Wuppertal 2005.
[9] Muck Petzet und Florian Heilmeyer (Hg.), Reduce/Reuse/Recycle – Ressource Architektur, Ostfildern, Berlin 2012, S. 173.
[10] Für weitere Informationen siehe: Thomas Stahel, Wo-Wo-Wonige! Stadt- und Wohnpolitische Bewegungen in Zürich nach 1968, Zürich 2005.
[11] Für weitere Informationen zum Gängeviertel siehe: Gängeviertel e.V. (Hg.), Mehr als ein Viertel – Ansichten und Absichten aus dem Hamburger Gängeviertel, Hamburg, Berlin 2012.
[12] Für weitere Informationen siehe: http://gaengeviertel-eg.de
[13] Michael LaFond/Robert Knobloch, Berliner Wohnkulturen: besetzen, besitzen, bestimmen – Nachhaltige Vielfalt durch Selbstorganisation, Kooperation und Vernetzung entwickeln, in: Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung und Mathias Heyden (Hg.), Berlin – Wohnen in eigener Regie, Berlin, 2007, S. 32.
[14] Günther Uhlig, Die neuen Baugruppen – Privater Wohnungsbau als sozialer Stadtbau? In: Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung und Mathias Heyden (Hg.), a.a.O., S. 76.
[15] abendblatt.de, Büromieten in Hamburg sinken um sechs Prozent, 18.01.2013 http://www.abendblatt.de/wirtschaft/article112853667/Bueromieten-in-Hamburg-sinken-um-sechs-Prozent.html
[16] abendblatt.de, 2000 Wohnungen in Hamburg stehen leer, 31.10.2012 http://www.abendblatt.de/hamburg/article110446385/2000-Wohnungen-in-Hamburg-stehen-leer.html
[17] Für weitere Informationen siehe: http://www.rechtaufstadt.net.
[18] Für weitere Informationen siehe: http://www.hamburg.de/wohnraumschutz.
[19] Vgl. Spiegel Online: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/wohnraum-initiative-in-hamburg-froe-hoe-licher-leerstand-ueberall-a-731691.html, 02.12.2010.
[20] Ein Podcast des Diskussionsabends findet sich unter: http://www.freie-radios.net/56511.
[21] Vgl. http://www.leerstandsmelder.der/presse.