Wer mit durchschnittlichem Einkommen in München eine Wohnung sucht, muss tief in die Tasche greifen. Im Bereich zwischen fünf und zehn Euro pro Quadratmeter ist auf dem Münchner Mietmarkt so gut wie nichts zu haben.
2012 mussten bei Neuvermietungen durchschnittlich 13,48 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter bezahlt werden. Beim Erstbezug im Neubau stiegen die Nettokaltmieten gar auf 14,41 Euro. Dazu kommen die Betriebs- und Nebenkosten von durchschnittlich 1,60 pro qm. Die Miete für eine 80-qm-Wohnung liegt damit bei 1.200 bis 1.300 Euro – ohne Heizungs- und Stromkosten. Und die Mietpreisspirale dreht sich unaufhörlich weiter. Von 2007 bis 2012 erhöhten sich die Mietpreise in München um 26 Prozent bei Bestandsmieten und um 19 Prozent bei Neuvermietungen. Immer mehr Münchner werden aus der Stadt gedrängt, weil sie sich die teuren Mieten nicht mehr leisten können.
„Keine Rendite mit der Miete – holen wir uns die Stadt zurück!“ stand auf einem großflächigen Transparent bei der Protestkundgebung Münchner Mieter Ende Juni am Stachus. Doch vorerst läuft es in die andere Richtung.
GBW-Mieter büßen für Zockerei der Bayern-LB
Es ist die größte Wohnungsprivatisierung im Zuge eines einzigen Deals. Die staatliche BayernLB verkaufte jetzt für 2,45 Milliarden Euro ihre Immobilientochter GBW an die Augsburger Immobiliengesellschaft Patrizia AG. Angeblich musste sie verkaufen, auf Druck der EU-Kommission.
Die Vorgeschichte dazu: Die staatliche Bayerische Landesbank hatte mit Zustimmung des Aufsichtspersonals der bayerischen CSU-Regierung (das halbe Kabinett saß im Aufsichtsrat der Landesbank) an der US-Immobilienspekulation mitgedreht und sich dabei in Milliardenhöhe verzockt. Zudem war sie mit der regierungssanktionierten Übernahme der HypoAlpeAdria-Bank auf den Bauch gefallen. Zockerei und Expansionswahn hatten die bayerischen Steuerzahler über zehn Milliarden Euro gekostet. Dafür hätten fast 100.000 Sozialwohnungen gebaut werden können. Um von der Europäischen Kommission die Genehmigung für staatliche Rettungsaktionen zu erhalten, musste die BayernLB die Auflage zum Verkauf ihrer Wohnungsgesellschaften akzeptieren.
Bereits vor einem Jahr verkaufte die Deutsche Kreditbank (DKB), eine Tochter der BayernLB, ihren Ableger DKB Immobilien AG mit 25.000 Wohnungen für knapp eine Milliarde Euro an den Hamburger Investor TAG Immobilien AG. Jetzt erfolgte der Verkauf der GBW mit 32.000 Wohnungen: davon 8080 in der Stadt München, 2593 in München-Umland, 2984 in Nürnberg, 2242 in Erlangen, 1437 in Regensburg, 1299 in Landshut und der Rest in 14 anderen bayerischen Städten. Binnen eines Jahres sind so 57.000 Wohnungen aus staatlichem Besitz heraus gefallen und privatisiert worden. Über 150.000 Mieter müssen für die Zockerei von BayernLB und Staatsregierung büßen.
Und wie vor einem Jahr bei beim DKB-Deal, ließ auch diesmal die CSU/FDP-Regierung die Mieter im Regen stehen. Finanzminister Söder verhöhnte gar noch die Kommunen, sie „hätten eine Chance vertan“, weil sie beim Bieterverfahren zu wenig Geld in die Hand genommen hätten. „Ude hätte einfach mehr bieten müssen“. Doch eine von den Kommunen erbetene Hilfe lehnte Söder ausdrücklich ab. Münchens OB Ude, der sich zusammen mit Nürnberg in einem kommunalen Konsortium um den Kauf der Wohnungen bewarb: „Die Kommunen haben nicht die Möglichkeit, denselben Profit in Rechnung zu stellen, den ein Immobilienhai aus einer solchen Anlage herausholen kann“. Insofern hätten sie sich langfristig stark verschulden müssen. Es wäre Aufgabe des Staates gewesen, in einer gemeinsamen Übernahmegesellschaft mit den Kommunen die Wohnungen zu erwerben. Nicht nur die Aufgabe, sondern sogar Verfassungsauftrag: Nach Artikel 106 der Bayerischen Verfassung ist „die Förderung des Baus billiger Volkswohnungen die Aufgabe des Staates und der Gemeinden“. Und natürlich erst recht der Erhalt solcher Wohnungen. Aber wie die EU-Kommission verfolgt auch Schwarz-Gelb in Bund und Land getreu ihre Privatisierungsideologie. Und das in Zeiten akuter Wohnungsnot und explodierender Mieten.
Die Mär vom zahmen Miethai
Die verantwortlichen Politiker und anderen Kapitalvertreter verabreichen nun Valium-Tabletten, um die verängstigten Mieter ruhig zu stellen. Grundtenor: Die Patrizia AG sei gar kein richtiger Miethai, sondern eine zahme und gezähmte Ausgabe dieser Spezies. Und zudem habe man dem mieterlieben Robin-Hood-Raubfisch mit einer „einzigartigen Sozialcharta“ (Söder) die gefährlichsten Zähne gezogen. Patrizia-Boss Wolfgang Egger und Landesbankchef Gerd Häusler verkünden fast unisono: „Die Mieter sind nun besser gestellt als vor dem Verkaufsprozess“. Auch Söder immer blöder: „Im Grunde genommen sind die GBW-Mieter privilegiert“ (BR-Interview). Fehlt nur noch, dass sie ein Dankeschön von den Mietern einfordern, dass die Politik sie verraten und die Bank sie verkauft hat. Die Mieter aber lassen sich nicht so leicht verarschen. Gerda Nillius-Bondkowski, Sprecherin der Mietergemeinschaft Karl-Marx-Ring 28 – 42: „Die Sozialcharta, die Minister Söder ausgehandelt hat, ist einen Dreck wert. Da stehen nur Sachen drin, die ohnehin Vorschrift sind. Und eine Konventionalstrafe wegen Nichteinhaltung zahlt die Patrizia locker“ (zit. nach AZ, 9.4.13). So sollen die Mieterhöhungen auf 15 Prozent beschränkt werden – jedoch im Schnitt aller Mieten; d.h. einzelne Mieten können sehr wohl um 20 Prozent alle drei Jahre heraufgesetzt werden, wie es gesetzlich möglich ist. Weiterer Punkt: Verzicht auf Luxussanierung für fünf Jahre. Eine tolle Perspektive für Mieter. Danach können sie dann die doppelte Miete zahlen oder abhauen. Gerade bei den GBW-Wohnungen, die Patrizia-Vorstand Schmitt als das „hochwertigste“ Wohnungs-Portfolio in ganz Deutschland bezeichnet; eine solche Güte habe er so „noch nicht gesehen“. Nach fünf Jahren wird die Patrizia ihre Haifischzähne so richtig im Gesicht tragen.
Denn der Patrizia-Vorstand weiß sehr wohl: „München ist ein klasse Markt“. Da lässt sich einiges herausholen. In München explodieren die Mieten am heftigsten; die Stadt hat das höchste Mietpreisniveau.
Da wird die profitorientierte Immobilienfirma Patrizia, einer der größten Spieler im Immobiliensektor – Immobilienvermögen 7,5 Milliarden Euro; 50.000 Wohnungen -, nichts auslassen, um die Einsätze gut verzinst wieder herauszuholen. Die Spezialisten dafür hat sie. „Hinter dem GBW- wie auch dem LBBW-Deal steckt Matthias Moser, der bei Patrizia den Titel Leiter Special Investments führt. Wohl keiner hat in Deutschland mehr Wohnungspakete zusammengekauft als der Frankfurter“, schreibt das Handelsblatt (9.4.13). Moser weiß, wie man Höchstprofite im Geschäft mit der Wohnung macht. Moser war früher der Chefeinkäufer der britischen Terra Firma Capital Partners und der US-amerikanischen Fortress Investment Group, beides Private Equity Firmen, also Heuschrecken, die im Immobiliengeschäft alles kahl fressen.
Bei der zitierten Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) spielte sich vor einem Jahr der gleiche Vorgang ab wie bei der BayernLB. Auch sie musste sich auf Geheiß der EU-Kommission von ihrer Immobiliensparte trennen. Auch hier erhielt die Patrizia den Zuschlag für die 21.000 Wohnungen, für 1,44 Milliarden Euro. Dort klagen die Mieter bereits über schlechte Behandlung und drastisch angehobene Mieten. Ähnlich bei der Siedlung Ludwigsfeld im Münchner Norden, die Patrizia 2007 vom Bund übernommen hat. Oresia Poletko, Vize-Vorsitzende der Interessengemeinschaft Ludwigsfeld erzählt: „Der Quadratmeterpreis liegt jetzt oft bei über zehn Euro. Das ist für eine Gegend wie Ludwigsfeld schon brutal“. Teurer ist es vor allem bei Neuvermietungen geworden. „Insgesamt haben sich die Mieten in etwa verdoppelt“ (zit. nach AZ, 9.4.13). Und in einem Leserbrief schreibt sie zum angeblichen „XXL-Mieterschutz“, von dem die CSU-Politiker tönen: „Es gibt zwar einen lebenslangen Kündigungsschutz für Altmieter, aber die Mieten sind nach den ersten Sanierungen bereits um 100 Prozent gestiegen. Dazu werden alle gesetzlichen Möglichkeiten zur Mieterhöhung ausgeschöpft und mit jeder Neuvermietung/jedem Mieterwechsel steigt der Mietpreis deftig. Die Fluktuation ist hoch, die schützenswerte Bewohnerstruktur bröckelt. Mieter, die Wohnraum zuvor selbst finanzieren konnten, müssen Wohngeld beantragen, womit letztlich auch noch der Steuerzahler die Patrizia AG subventioniert“ (SZ, 15.4.13).
Bei den Wohnungshappen, die die Patrizia schluckt, investiert sie selbst nur wenige Millionen. Im GBW-Fall gerade mal 58 Millionen. Ein Skandal der besonderen Art zeichnete sich ab, als die bayerische Staatsregierung verkündete, sich nachträglich mit 50 Millionen Euro an dem Bieterkonsortium der Patrizia beteiligen zu wollen, was einer Subventionierung der Patrizia gleichgekommen wäre. Die gleiche CSU/FDP-Regierung hatte in den zurückliegenden Wochen die Aufforderung zum Einstieg in das kommunale Bieterkonsortium immer mit rechtlichen Begründungen zurückgewiesen. Erst unter dem öffentlichen Protest und Druck rückte Ministerpräsident Seehofer von diesem Vorhaben wieder ab.
Die Patriza fungiert als Kapitalsammelstelle, liefert das Know-How und das Management. Hinter ihr steckt jeweils ein Konsortium von Investoren, die das eigentliche Geld beisteuern. Im Fall des GBW-Verkaufs ist es ein Konsortium von 27 Investoren. Darunter: Versicherungen, drei süddeutsche Sparkassen, Pensionskassen sowie berufsständische Versorgungswerke von Apothekern, Ärzten und Rechtsanwälten. Und die wollen bei dem Immobilien-Deal Höchstrenditen herausschlagen, zumal bei den aktuellen Niedrigzinsen hauptsächlich im Immobiliengeschäft noch richtig Geld zu machen ist. Die Rendite liegt um ein Vielfaches höher als bei Staatsanleihen. Für deutsche Staatsanleihen gibt es etwa 1,2 bis 1,4 Prozent, bei Immobilien beträgt die Rendite im Schnitt rund fünf Prozent. Deshalb drängen immer mehr Investoren, zum großen Teil auch britische Fonds, in den Immobiliensektor. In München verzeichnen Makler Jahr für Jahr Rekordumsätze, 2012 fast zehn Milliarden Euro. „Die Kapitalanleger, die vor Jahren fast aus dem Markt verschwunden waren, sind wegen der niedrigen Geldmarktzinsen wieder zurück. Sie greifen schnell zu und zahlen fast jeden Preis“, schreibt die SZ (5.6.13). Marktforscher Stephan Kippes will noch nicht von einer Immobilienblase sprechen, die bald platzt, aber es sei eine starke „Überhitzung“. Es seien eben nicht nur Eigennutzer, sondern immer mehr Bürger die ihr Geld anlegen wollen und immer mehr Fonds und Versicherungen, die auf den Markt drängen. Bezahlbarer Wohnraum wird dabei immer mehr zur Mangelware.
Die Mieter müssen die verfehlte Wohnungspolitik und die von der CSU-Regierung geförderten Spekulations-Kapriolen ausbaden. Und die Folgen der Schuldenkrise mit Niedrigzinsen noch dazu. Es ist schon so, wie Mietersprecherin Nilius-Bondkowski gegenüber der SZ argumentierte: Die Mieter werden doppelt geschröpft für die Verfehlungen der Staatsregierung: einmal als Steuerzahler bei der Rettung der Landesbank und jetzt beim Verkauf von deren Immobilientochter. „Wir zahlen die Zeche, obwohl wir überhaupt nichts dafür können“.
Privatisierung öffentlichen Wohnraums im Trend
„Es ist der Deal des Jahres, eindeutig“, meinte Franz-Georg Rips, Präsident des Deutschen Mieterbunds zum GBW-Verkauf. „Aber der Verkauf von vormals öffentlichen Wohnungen an große Privatunternehmen ist ein regelrechter Trend“.
Das gilt auch und insbesondere für München. Weitere 20.000 Bahn- und Post-Genossenschaftswohnungen in den Stadtvierteln Laim, Neuhausen, Pasing und Freimann stehen zur Disposition. Der Bund will die Grundstücke, die den Genossenschaften im so genannten Erbbaurecht überlassen wurden, zu Höchstpreisen verkaufen. Xaver Kroner, der die Genossenschaften und kommunalen Wohnungsunternehmen vertritt, berichtet: „Bislang hat der Bund in den Preisverhandlungen Vernunft walten lassen, ohne dass man die Grundstücke verschenkt hat. Jetzt herrscht offenbar die klare Vorgabe, den maximalen Preis herauszuholen“. In einer Stellungnahme des Bundesverkehrsministeriums, das für die Verwertung der Bahngelände zuständig ist, heißt es: „Erbbaurechte, die kurz vor dem Auslaufen stehen, werden öffentlich gegen Höchstgebot angeboten“.
Genossenschaften können aber mit der privaten Immobilienwirtschaft nicht konkurrieren, sagt Kroner. Marktpreise seien für Wohnungsgenossenschaften unbezahlbar. Gemeinnützige Genossenschaften wären dann „in ihrer Existenz bedroht“, zumal auch noch Sanierungen anstehen. Bernhard Reinhart, Vorstand der Eisenbahner-Baugenossenschaft München: „Dann müssten wir 22 Euro pro Quadratmeter Miete verlangen“.
In Zeiten explodierender Mieten und akuter Wohnungsnot zeigt die Politik, dass sie nicht fähig und willens ist, die Interessen der Mieter zu schützen.
„Stoppt die Mietpreisspirale!“
In diese Richtung diskutierte auch Christian Stupka vom Vorstand der WOGENO (Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen) bei der Protestkundgebung Münchner Mieter unter der Losung „Stoppt die Mietpreisspirale“. Stupka machte vor allem die Bodenspekulation für die teuren Mieten verantwortlich und er wies auf Artikel 161 der Bayerischen Verfassung hin, in dem es heißt: „Steigerung des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen“. Im Klartext hieße das: abzuschöpfen. Die bayerische Staatsregierung habe überhaupt nichts unternommen, um Ausführungsbestimmungen für diesen Artikel zu erlassen, sie betrachte die Verfassung als ein „Märchenbuch“.
Aber auch die Stadt dürfe sich in Zeiten extremer Wohnraumknappheit beim Flächenverkauf nicht an der Bodenspekulation beteiligen. Die noch vorhandenen Flächen müssten vorrangig an Wohnungsgenossenschaften abgegeben werden, die eigentlich die Idealform des Wohnens zu bezahlbaren Mieten sind. Auch der neu gewählte Präsident des Deutschen Städtetages, Ulrich Maly, rief Städte und Gemeinden auf, gegebenenfalls Preisabschläge beim Verkauf ihrer Grundstücke hinzunehmen, damit private wie öffentliche Träger bezahlbare Wohnungen bauen können.
Zu der Mieter-Protestkundgebung in München hatten sechs parteiunabhängige Münchner Organisationen, wie das Bündnis bezahlbares Wohnen, der Mieterverein München, der Verein „Mieter helfen Mieter“, der Sozialverband VdK Bayern, die Studierendenvertretung der Uni München und der Kreisjugendring aufgerufen. „Familien brauchen bezahlbaren Wohnraum und keine Luxusappartements“ forderte die Caritas auf einem Transparent. Andere Losungen: „Betongold fürs Spekulanteng’sindel – Zwangsräumung fürs Münchner Kindl“. Oder: „Miethaie raus! München braucht Wohnen für alle“. Auch ein „leibhaftiger“ Miethai drängte sich durch die Kundgebungsteilnehmer, mit der Aufschrift: „Miethaie zu Fischstäbchen“.
Mit 600 ließ die Zahl der Kundgebungsteilnehmer zu wünschen übrig. Mindestens 1000 hatten sich die Veranstalter erhofft. Aber es war ein erster Schritt, dem Mieterprotest politischen Nachdruck zu verleihen. Im Vorfeld hatten kleinere Demonstrationen, Umzüge und Aktionen stattgefunden und sich Mieterinitiativen gegründet. Vielleicht ist es der Auftakt für größere Aktionen im Herbst.