Das vorliegende Heft behandelt aktuelle Veränderungen der
Militärpolitik und Rüstungswirtschaft der Bundesrepublik
und Europas. Es geht um „neue Kriege“ und deren
Ursachen, um den Umbau der Bundeswehr und der
Rüstungs-industrie der BRD sowie den Ausbau des politischen
wie wirtschaftlichen Militärpotenzials der Europäischen
Union.
Die Stellung zu Krieg und Rüstung ist auch heute der
Lackmustest, bei dem sich Rechte und Linke scheiden. Niemand hat
dies besser vor Augen geführt als August Bebel. Sein
hundertster Todestag ist am 13. August dieses Jahres zu begehen.
Bebel hat im deutschen Reichstag unter der Parole „Diesem
System keinen Mann und keinen Groschen“ einen
unermüdlichen und höchst ak-tuellen Kampf gegen
Militarismus, Krieg und Rüstung geführt. Wer seine
Reichstagsreden zur Hand nimmt, findet dort die Themen, die auch
heute für die Friedensbewegung und antimilitaristischen
Initiativen im Mittelpunkt stehen – Ablehnung der
Rüstungshaushalte und Aufrüstung, Verweigerung der auf
Expansion, Territorialherrschaft und Ressourcenaneignung zielenden
Kriegseinsätze in Afrika und Asien, Forderung nach
Rüstungskonversion, Verurteilung der Verbrechen gegen das
Völkerrecht. Bebel, der wegen seiner Anprangerung des
aggressiv-expansionistischen Charakters des Krieges 1870/71 und der
deutschen Reichseinigung von oben im Leipziger Hochverratsprozess
1872 zu einer mehrjährige Gefängnishaft verurteilt wurde,
war sich des geschichtlichen Zusammenhangs von kapitalistischer
Entwicklung, Außenexpansion und Rüstung absolut bewusst.
Seine Reden durchzieht die frühzeitige, geradezu prophetische
Warnung vor der Katastrophe des heraufziehenden Weltkrieges. 1889
erklärt er: „Der nächste Krieg wird … ein
europäischer Krieg werden …; das alte bürgerliche
Europa [ist] auf dem besten Wege, durch seine Riesenrüstungen
… seinen eigenen Untergang zu finden.“ Auf diese
Warnungen der Linken wird auch im nächsten Jahr, wenn in der
öffentlichen Debatte die Ursachen des ersten Weltkrieges zur
Diskussion stehen, zurückzukommen sein.
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Seit dem Epochenbruch 1989/90 und dem Wegfall der
Systemkonfrontation hat sich die globale militärpolitische
Konstellation grundlegend gewandelt. Die von manchen gehegte
Hoffnung auf eine „Friedensdividende“ erwies sich rasch
– spätestens seit dem Jugoslawienkrieg – als
Illusion. Herrschaftswillen, Außenexpansion und Bereitschaft
zur Kriegsführung des neuen Imperialismus gegenüber den
peripheren, womöglich ressourcenreichen und
unbotmäßigen Regionen traten deutlich hervor und fanden
nach 9/11 mit dem „Krieg gegen den Terror“ ihre
politisch-ideologische Begründung.
Die Erwartung kommender Kriege – Gegenstand des ersten
Themenblocks – wird, so Norman Paech, nicht nur durch die
tägliche Kriegsberichterstattung, sondern auch durch die
Programmatik der neuesten Militärstrategien von NA-TO, USA und
der EU untermauert. Dabei wird das Völkerrecht zur
„Legitimation“ neuer imperialer Kriege bemüht.
Paech sieht sowohl die Tendenz, „illegale aber
legitime“ Einzelfälle auszumachen, als auch die
subversive Strategie, das Völkerrecht entweder so umzudeuten,
dass es Interventionskriegen nicht entgegensteht, oder in diesen
Kriegen eine Fortentwicklung des Völkerrechts zu sehen.
Ausgehend von strategischen Äußerungen aus den USA, aber
auch aus der BRD, rekapituliert Inge Höger die Geschichte des
militärischen Engagements westlicher Staaten in Nordafrika und
dem mittleren Osten als Teil einer imperialistischen
Rohstoffpolitik. Sie verweist auf die nach wie vor zentrale Rolle
des Erdöls für das vorherrschende Kapitalismusmodell,
aber auch auf die wachsende Bedeutung anderer Rohstoffe, deren
Sicherung zum Kriegsgrund werden kann. Peter Strutynski sieht im
Anschluss an David Harvey in der wachsenden Tendenz zu
gewaltförmigen Konfliktlösungen, der forcierten
Inwertsetzung von Naturressourcen und der Teilung der Welt in
Elendszonen und abgeschottete Industriestaaten Formen eines
„neuen Imperialismus“. Er stellt Prognosen zu Klima-
und Rohstoffkriegen im 21. Jahrhundert vor; eine Schwäche
sieht er in der ungenügenden Beachtung ihrer ökonomischen
Grundlagen. Die vielfältigen Ziele und Motive kriegerischer
Interventionen analysiert Johannes Becker am Beispiel der
französischen Militäraktion in Mali. Die Intervention
zeigt, dass ‚FrancAfrique’, d.h. die Behandlung der
ehemaligen Kolonien als französischen Hinterhof, keineswegs
Geschichte ist. Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus
spielt sicher eine Rolle; vor allem geht es aber um die Versorgung
Frankreichs mit Rohstoffen, insbesondere den Schutz der
Uranförderung im benachbarten Niger, ohne die dem
französische Atomstrom das ‚Aus’ drohen
würde.
Im zweiten Themenblock stehen Entwicklungen in der Bundesrepublik
im Mittelpunkt. Wie die Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu
einer weltweit einsetzbaren Interventionstruppe umgebaut wird,
erläutert Jürgen Rose. Er zeigt, dass dieses auf
Kriegführung angelegte Militär-Konzept klar definierten
wirtschaftlichen und politisch-strategischen Interessen folgt, die
vom politischen Führungspersonal auch offen ausgesprochen
werden. Die klassische Aufgabe der Landesverteidigung wird durch
ein Konzept abgelöst, das Andreas Seifert in seiner
Übersicht zum Umbau der Rüstungswirtschaft als
„Versicherheitlichung“ bezeichnet. Es geht um die
Sicherung globaler wirtschaftlicher und politischer Interessen. Die
Rüstungsindustrie wandelt sich zur „Sicherheits- und
Verteidigungsindustrie“, bei der militärische und zivile
Produktionen sich stärker verflechten. Mit den
Rahmenbedingungen und Regeln für den deutschen
Rüstungsexport befassen sich Kerstin Seifer und Alexander
Lurz. Angesichts der unter dem Druck der Haushaltskrise tendenziell
stagnierenden öffentlichen Beschaffungen gewinnt die
Förderung des Exports von Rüstungsgütern zur
besseren Auslastung der Produzenten einen neuen Stellenwert.
Regeln, die den Rüstungsexport an bestimmte moralische und
politische Grundsätze binden sollen, werden immer mehr
ausgehöhlt. Dagegen nennen die Autoren drei
Sofortmaßnahmen: das Ende staatlicher
Exportbürgschaften, das Verbot von Kleinwaffenexporten und die
wirksame Kontrolle darüber, wo die Waffen letzten Endes
eingesetzt werden.
Die Militarisierung der EU – Thema des dritten Themenblocks
– setzte, so Gregor Schirmer, mit dem Untergang des realen
Sozialismus in Europa ein. Schirmer gibt einen Überblick zu
Militärmissionen der EU, ihrer indirekten Kriegsbeteiligung
und den Widersprüchen der „gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik“. Aber: Ein „Rückbau“
der EU zu einer zivilen Organisation ist „möglich und
notwendig“. Sabine Lösing und Jürgen Wagner
schildern in diesem Kontext die Veränderungen der
europäischen Rüstungswirt-schaft. Eine Tendenz zum Ausbau
der Dominanz der großen EU-Länder ist zu erkennen.
Entsprechend der Herausbildung einer eigenen europäischen
Militärpolitik wird versucht, den Konzentrationsprozess in der
Verteidigungsindustrie politisch voranzutreiben. Ziel ist ein
europäischer
„Politisch-Militärisch-Industrieller-Komplex“, in
dem – anders als im klassischen
Militär-Industrie-Komplex – die politischen
Entscheidungsträger eine größere Rolle spielen. Die
Bemühungen um den Ausbau des europäischen
Militärpotenzials einschließlich eigener strategischer
Führungsinstitutionen werden von den USA mit Argusaugen
verfolgt und mit Verweis auf die existierenden Strukturen der NATO
abgebremst. Iraklis Oikonomou diskutiert diesen Prozess im Kontext
der Debatte um die Herausbildung einer
„transnationalen“ Bourgeoisie. Er konstatiert für
den militärisch-industriellen Sektor eine wachsende
Internationalisierung auf EU-Ebene, aber zugleich eine
ausgeprägte transatlantische Konkurrenz.
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Weitere Beiträge: Simon Zeise (Die Linke.SDS) stellt die Frage
nach den heutigen Möglichkeiten einer sozialistischen
Studierendenpolitik. Er sieht einen entscheidenden Ansatz in einem
reformulierten Konzept einer Gewerkschaftlichen Orientierung. Die
derzeit auch medial viel beachteten Bewegungen für eine
Zivilklausel an deutschen Universitäten sind Gegenstand des
Artikels von Anne Geschonneck. Gerd Wiegel legt in seiner Bilanz
der Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses den Fokus auf den
„strukturellen Rassismus in den
Sicherheitsbehörden“. Diesen Rassismus zu thematisieren
und aufzuarbeiten hält er – neben der Forderung, den
Verfassungsschutz abzuschaffen – für eine dringliche
Aufgabe. Richard Sorg wertet das Stalin-Buch von Domenico Losurdo
als eine „Gratwanderung“ zwischen moralischer
Verdammung einerseits und Verharmlosung andererseits. Klaus
Müller unterzieht die in der Alternativbewegung (Tauschringe,
Regionalgeld) nicht resonanzlose Freiwirtschaftslehre und
„Geldtheorie“ von Silvio Gesell einer gründlichen
Kritik. Eine Diskussionsübersicht zu Charakteristika der
heutigen ökologisch-sozialen Krise, ihren ökonomischen
und außerökonomischen Ursa-chen, zu Voraussetzungen
eines Ökosozialismus und möglichen Wegen dahin geben Rolf
Czeskleba-Dupont und Karl Hermann Tjaden.
Zu verweisen ist auf eine Diskussion zu dem Beitrag von van der
Pijl/Holman in Z 93, in der es um die Frage geht, ob heute noch von
„deutschem Kapital“ gesprochen werden kann (Werner
Rügemer; Jörg Goldberg/André Leisewitz), auf
zahlreiche interessante Tagungsberichte (Militarismus-Fragen,
Streiks, Eurokapitalismus, Intelligenz-Analyse) sowie die
Buchbesprechungen.
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Im September-Heft (Z 95) sollen u.a. aktuelle Fragen des Miet- und
Woh-nungsmarkts zur Debatte stehen.