Lucas Zeise, Geld - der vertrackte Kern des Kapitalismus, Versuch über die politische Ökonomie der Finanzmärkte PapyRossa Verlag, Köln 2010, 192 Seiten, 12,90 Euro
Gut zwei Jahre nach dem Erscheinen seines Buches Ende der Party1 legt der Finanzkolumnist und Mitbegründer der Financial Times Deutschland, aber auch Autor der Tageszeitung jungen Welt, der Marxistischen Blätter und von Z, mit Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus, Versuch über die politische Ökonomie der Finanzmärkte erneut ein neues Buch zur Wirtschafts- und Finanzkrise vor.
Wie Ende der Party ist auch dieses Buch, geschrieben in einem beeindruckend souveränen Stil, erst einmal ein Lehrbuch. Denn wer weiß schon als Nicht-Volkswirt so genau, was Fonds, Derivate, eine Mindestreserve, eine Einkapitalunterlegungspflicht, das Abkommen Basel II, der Geldmarkt, und Offenmarktgeschäfte wirklich sind? Und wer kann genau sagen, was sich hinter dem Begriff Spitzenrefinanzierugsfazilität verbirgt? In dem Buch erfährt man, wie die Banken an das viele Geld kommen und wie dabei das Zusammenspiel von Notenbank und Geschäftsbanken funktioniert.
Geld - der vertrackte Kern des Kapitalismus knüpft an Ende der Party an, so etwa in den Ausführungen zum Basel II-Abkommen. Das jetzt gefällte Urteil über diese Vereinbarung ist identisch mit dem vor zwei Jahren, nun wird es aber ausführlich begründet. Es wird erklärt, dass das Abkommen nicht funktionieren kann, da seine Bestimmungen prozyklisch ausgerichtet sind (103). Wie in Ende der Party hält Zeise auch im neuen Buch daran fest, den Beginn der Krise auf den 9. August 2007 – den Zusammenbruch der Geldmärkte – zu datieren und nicht erst auf September 2008, den Konkurs von Lehman Brothers. Dies ist nur auf den ersten Blick eine Marginalie, denn diejenigen, die heute behaupten, dass erst der Zusammenbruch des Lehman Bankhauses Auslöser der weltweiten Krise war, schieben damit die Verantwortung auf eine unterlassene Hilfeleistung des Staates. Und da sich das nie mehr wiederholen soll, werden mit diesem Argument immer neue und immer kostspieligere Interventionen des Staates zugunsten der Banken abgefordert.
Arnold Schölzel hat in seiner Rezension des Buches2 darauf hingewiesen, dass es, grob gesehen, aus zwei Teilen besteht: Im ersten geht Zeise verschiedene Ansätze zur Erklärung des Geldes im Kapitalismus durch und unternimmt im Anschluss daran den Versuch der Entwicklung eines eigenen marxistischen Geldbegriffs (49-60). In Anknüpfung an die Geldtheoretiker Gunnar Heinsohn und Otto Steiger sieht er im Geld in erster Linie die Funktion, als „Medium des Kredits“ eingesetzt werden zu können: „Um allgemeines Äquivalent sein zu können, muss die Rolle des Geldes von etwas Werthaltigem, also einer Ware, übernommen werden. Es genügt offensichtlich auch, wenn dieser Wert von dieser Geldware nur repräsentiert, nur dargestellt wird. Der Kredit kann das leisten. Er stellt einen Anspruch auf eine präzise definierte Wertmenge dar. Der Kredit kann zur Geldware werden und damit allgemeines Äquivalent.“ (60) Ob mit dieser Schlussfolgerung zugleich „eine wichtige Ergänzung und Korrektur der Marxschen Geldtheorie“3 vorliegt, wie es Schölzel annimmt, soll hier nicht beurteilt werden.
Nach der „Gelderklärung“ wird im zweiten Teil des Buches die „kapitalistische, neoliberale Geldverfassung“ untersucht. Lucas Zeise nimmt dabei einige Klarstellungen vor, die bei der Suche nach Eingriffsmöglichkeiten wichtig sind. Er schreibt: „Die Krise ist nicht nur eine unter vielen Überakkumulationskrisen. Vielmehr ist es diejenige Überproduktionskrise, die im neoliberalen Kapitalismusmodell längst fällig war (...) (126). Dieses Festhalten an der klassischen kapitalistischen Krisenanalyse als eigentliche Ursache erfolgt in Abgrenzung gegenüber anderen Ansätzen, die die Ursache nur in der Spekulation bzw. in kriminellen Machenschaften sehen. Er nennt hier als Beispiele Artikel im Internetdienst Nachdenkseiten (151). Er könnte aber auch zahlreiche Veröffentlichungen der SPD und der Gewerkschaften heranziehen. Das Festhalten an der kapitalistischen Überproduktionskrise als eigentliche Ursache stellt zugleich eine Absage gegenüber Interpretationen von Elmar Altvater oder Frieder Otto Wolf dar, die in der Krise gleich mehrere, sich überlappende und verstärkende Krisen sehen. Nach ihnen ist es die Krise der Ökologie, des Wachstums, der Zivilisation usw. Das Wesentliche, der Kern des Ganzen, die kapitalistische Überproduktionskrise rückt so an den Rand. Hilfreich in dem neuen Buch von Zeise ist die präzise Beschreibung von dem, was das neoliberale Kapitalismusmodell tatsächlich auszeichnet. Der Autor nennt hier „vier markante Merkmale“, die es kennzeichnen. Damit wird diese Phase als „spezifische Art des Kapitalismus“ (127) ein- und zugleich abgrenzbar, etwa gegenüber der Epochenbezeichnung Imperialismus.
Im Verlauf seiner Darstellung stößt Zeise auf das von ihm so genannte „Rätsel der hohen Gewinne“: Es „besteht darin, wie es dem überproportional wachsenden Finanzsektor gelingt, über viele Jahre, ja mehrere Jahrzehnte hinweg enorme, überproportionale Gewinne zu generieren.“ Und in der Tat ist dies ungewöhnlich, da solche hohen Gewinne, geht es nach der Lehre der reinen Marktwirtschaft, durch „den Markteintritt neuer Wettbewerber schnell wegkonkurriert“ werden müssten (153). Dieses Phänomen ist nur erklärbar mit dem Eingriff einer außerökonomischen Instanz, mit dem Hinzutreten des Staates: „Es gibt im Wesentlichen zwei Mechanismen, die zusammengenommen die dauerhaft hohen Gewinne des Finanzsektors hinreichend erklären. Das eine ist die schrankenlose Kreditausweitung. Sie ist nur dann schrankenlos, wenn wie unter den Bedingungen des neoliberalen Deregulierungsmodells der Staat der Kreditausweitung keine Grenzen setzt. Der zweite Mechanismus ist die Spekulation, die vom Staat gestattet oder besser gefördert, den Finanzsektor zur Wundermaschine macht und Gewinne erscheinen lässt, die nicht der Mehrwertproduktion entstammen.“ (156) Beides mal ist es also der Staat, der diese Entwicklungen erst möglich macht. Bedingung dafür ist, dass der Staat als Instrument des herrschenden Finanzkapitals agiert: „Das soll heißen, an den entscheidenden Stellen verfügt die Hochfinanz über die Hebel, um die ökonomische Regulierung durch den Staat zu ihren Gunsten ablaufen zu lassen.“ (155)
Was liegt da näher als die Theorie des staatsmonopolitischen Kapitalismus zur Erklärung dieser Phänomene heranzuziehen? Der Autor ist von der Richtigkeit dieser Theorie überzeugt: „Wer heute noch an der grundsätzlichen Richtigkeit dieser Theorie zweifelt, muss einfach blind sein.“ (156) Und an anderer Stelle erklärt er: „Die Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus (kurz Stamokap), wonach der Staat die Mängel des Kapitalismus auch mit ökonomischen Mitteln auszubügeln hat, erweist sich in der Krise als präzise Beschreibung.“4
Lucas Zeise knüpft an den Ende der achtziger Jahre unternommenen Versuch an, die Stamokap-Theorie zur Erklärung der neuen Phänomene des Neoliberalismus, des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, wie ihn Jörg Huffschmid nannte, nutzbar zu machen. Damals schrieb Peter Hess: „Das Charakteristische der Rolle des Finanzkapitals erschöpft sich, wie ersichtlich, nicht im enorm anwachsenden unmittelbaren Kreditüberbau der Konzerne. Wesentlich ist die stürmische Eigendynamik der sekundären, tertiären usw. Märkte für zinstragendes Kapital. Die sich für diese Geschäfte bildenden Märkte kommen auf differenzierte Weise zustande, haben unterschiedliche Bewegungs- und Verwertungsbedingungen. Die dabei ausgegebenen Wertpapiere der verschiedensten Art repräsentieren Milliardenbeträge, deren Beziehung zu materiellen Prozessen überhaupt nicht mehr erkennbar ist. Es entstehen immer neue Formen – Termingeschäfte, Optionen, Swaps, Kreditgarantien und –linien, neuerdings von Versprechungen auf der Grundlage von Versprechungen, die in Milliardenhöhe und blitzschnell per Telefon oder mittels elektronischer Kommunikationsmittel übertragen werden.“5 Hess zog damals die Schlussfolgerung: „Aber gerade weil die Finanzoperationen keine direkte Anlage in direktes Kapital sind, bilden sie eine Grundlage für die relative Verselbständigung der finanziellen Sphäre gegenüber der materiellen Produktion und den Ausgangspunkt für spekulative Geschäfte aller Art.“6 Ganz ähnlich formuliert heute Zeise: „Der Finanzsektor erschließt Profitquellen, die zwar auf der Mehrwertproduktion aufbauen, besser, die deshalb sprudeln, weil es Mehrwertproduktion gibt, selbst aber keinen Mehrwert enthalten.“ (148)
Natürlich ist der dadurch entstehende „Reichtum der Spekulanten nur fiktiv. Denn die reale Welt hat sich nicht verändert.“ Doch die Crux ist: „Die Gesellschaft wird durch fiktiven Reichtum real reicher.“ (160) Beim Aufblähen von Immobilienblasen werden etwa Arbeitskräfte wirklich beschäftigt und mit dem Bau von Häusern werden Werte geschaffen. „Leider gilt auch das Umgekehrte. (...) Der verschwindende fiktive Reichtum löst eine Rezession aus.“ (161) Die enorme Ausweitung des Finanzsektors zeigt hier seine eigentliche Funktion. Es handelt sich um den Versuch, der aufgrund ihrer inneren Verwertungsschranken immer schwächer werdenden kapitalistischen Ökonomie mit Hilfe der Geldschwemme aufzuhelfen.
In dem das Buch abschließenden Kapitel „Die Bändigung“ unterbreitet Zeise eine Reihe von Vorschlägen. Gefordert wird vor allem ein „planvoller Rückbau des Finanzsektors“. (190) Dabei geht er von der Annahme aus, dass dies „vermutlich nur durch den Nationalstaat möglich“ ist. (191) Denn: „Der Finanzsektor ist Kapital in Geldform, er besteht praktisch aus diesen staatlich garantierten Verträgen.“(176) Und: „Die Banken und Versicherungen, die auf staatliche Hilfe angewiesen waren und sie auch erhielten, hätten sofort auch in Staatshand überführt und staatlicher Kontrolle unterstellt werden müssen.“ (189) Staatspleiten schrecken Zeise nicht, sie müssen nur gut gemacht werden und nicht – wie im Fall Argentiniens – mit einer sozialen Katastrophe einhergehen. Für ihn steht fest: „Je länger die große Weltwirtschaftskrise- und Finanzkrise andauert, desto mehr müssen und werden Regierungen Staatsschulden aufnehmen und desto wahrscheinlicher werden Staatskonkurse. Sie werden nachgerade unvermeidlich.“ (170) In der EU gilt dies etwa für Griechenland. Zurückgebaut gehört für Zeise ganz offensichtlich auch die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion: „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Regierungen der großen Euroländer einen offensiven Plan haben, um die Währungsunion zu stabilisieren. Unter diesen Umständen hat der Euro keine Zukunft.“ (167) Dieser Einschätzung soll hier ausdrücklich zugestimmt werden.
Bereits in der Einleitung des Buches findet sich die These: „Die Krise markiert das Ende des Neoliberalismus“. (7) Diese Einschätzung – oder sollten wir besser sagen Hoffnung - findet sich dann noch mehrfach im Text. So heißt es auf Seite 126: „Die Krise ist nicht nur eine unter vielen Überakkumulationskrisen. Vielmehr ist es diejenige Überproduktionskrise, die im neoliberalen Kapitalismusmodell längst fällig war und die Phase des Neoliberalismus - zunächst und mit noch unbekanntem Ausmaß abschließt.“ Diese Wertung ist ziemlich gewagt. Besser gefällt da die folgende Einschätzung desselben Autors an anderer Stelle, wonach „ (…) die Herrschaft des Finanzkapitals angeknackst (ist)“.7 Zu diskutieren wäre auch der Titel des Buches, denn ist nicht das kapitalistische Eigentum der „Kern des Kapitalismus“? Wie auch immer, Lucas Zeise hat erneut ein für das Verständnis der Krise wichtiges Buch vorgelegt. In ihm sind präzise Vorschläge enthalten, für das was jetzt eine Linke zu tun ist, will sie diese Krise zu einer grundlegenden gesellschaftspolitischen Wende nutzen.
Andreas Wehr
1 Lucas Zeise, Ende der Party. Die Explosion im Finanzsektor und die Krise der Weltwirtschaft, PapyRossa Verlag, Köln 2008
2 Arnold Schölzel, Geldschwemme, in: junge Welt vom 6.10.2010
3 Arnold Schölzel, Geldschwemme, a. a. O.
4 Lucas Zeise, Die Herrschaft des Finanzkapitals ist angeknackst, in: Z 78, Juni 2009, S. 59.
5 Peter Hess, Das Finanzkapital – Eigentumsform der Produktivkraftentwicklung im gegenwärtigen Kapitalismus, in: IPW-Berichte 9/1989, S. 24
6 Peter Hess, a. a. O., S. 21
7 Lucas Zeise, Die Herrschaft des Finanzkapitals ist angeknackst, a. a. O., S. 59.