KTauschringe und Regionalgeld spielen in Protestbewegungen gegen die andauernde Wirtschaftskrise und auf regional-lokaler Ebene in der ganzen Bundesrepublik eine zunehmende Rolle. Damit wird auch die „Freiwirtschaftslehre“ Silvio Gesells neu belebt. Handelt es sich hierbei um eine ernstzunehmende Alternative? Dem soll im Folgenden nachgegangen werden.
Freiwirtschaftslehre
Ihre Anhänger bezeichnen die Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells (1862-1930) als eine der sieben historisch bedeutsamen Schulen der Volkswirtschaftslehre, neben Physiokratie, klassischer Ökonomie, Marxistischer Politischer Ökonomie, Neoklassik, Keynesianismus und Monetarismus (Senf 2004: 151-197).
Freiwirtschaft ist ein Modell einer „natürlichen“ Wirtschaftsordnung, die weder kapitalistisch noch sozialistisch sein soll. Von Zins und Bodeneigentum befreit, beruht sie auf drei Säulen: Freiland, Freigeld und Freihandel (Gesell: 1920). Silvio Gesell war der Namhafteste unter den zahlreichen Dilettanten, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf das komplizierte Feld der Geldtheorie wagten und glaubten, den Kapitalismus von Krisen befreien zu können. Seine Idee vom Frei- oder Schwundgeld wurde von dem amerikanischen Grenznutzen- und Geldtheoretiker Irving Fisher (1867-1947) geschätzt, der bekannte, „ein bescheidener Schüler des Kaufmanns Gesell“ zu sein (Onken 2011:207). Keynes widmet in seinem Buch „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ Silvio Gesell mehrere Seiten und bescheinigt ihm „Einfälle tiefer Einsicht“. Er glaube, „dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenem von Marx lernen wird“ (Keynes 1936: 300). In Bezug auf Gesell ist Keynes unter den Akademikern die Ausnahme. Keynes, Baron von Tilton, stimmt mit Gesell überein, dass die Geldzurückhaltung der Menschen, aus welchem Grund auch immer, das Grundübel sei. Beide verkennen damit auf eklatante Weise die wahre Widersprüchlichkeit kapitalistischer Produktion. Das sollte beachtet werden angesichts der Tatsache, dass die Linken seit Jahren dabei sind, Keynes für sich zu entdecken. Schumpeter ist da mit Recht zurückhaltend: „Ich bin kein Marxist. Dennoch erkenne ich zur Genüge die Größe von Marx an, um mich beleidigt zu fühlen, ihn zusammen mit Silvio Gesell und Major Douglas auf die gleiche Ebene gestellt zu sehen.“ (Zit. bei Onken 2011: 208). Das ist eine Kritik an Keynes, an der Urteilsfähigkeit des „Jahrhundertökonomen“. Die Theorienhistoriker der DDR haben Gesell kaum Beachtung geschenkt. Sein Name wird weder im von Herbert Meißner herausgegebenen Lehrbuch „Geschichte der politischen Ökonomie“ erwähnt noch im von Werner Krause und Günther Rudolph verfassten Standardwerk „Grundlinien des ökonomischen Denkens in Deutschland 1848 bis 1945. Einzig Fritz Behrens befasst sich näher mit den Lehren Gesells. Er kommt zu einem vernichtenden Urteil: „Es gibt auf jedem wissenschaftlichen Gebiet Käuze, deren Komik darin besteht, dass ihre Wichtigtuerei ihrer Unkenntnis umgekehrt proportional wächst: die Konstrukteure des perpetuum mobile auf physikalischem Gebiet, die Weiße-Käse-Doktoren auf medizinischem Gebiet und die ‚Frei-Geld’-Leute auf ökonomischen Gebiet.“ (Behrens 1981: 42) Eine sachliche, emotionslose Auseinandersetzung haben Gesell und vor allem seine heutigen Nachahmer dennoch verdient.
Silvio Gesells Theorien gelang es trotz eines Keynes nicht, auf akademischen Boden Fuß zu fassen. Der Gedanke einer von Zins und privatem Bodeneigentum befreiten Marktwirtschaft ist sympathisch, aber völlig unrealistisch. Die etablierten Wissenschaften ignorieren Gesell oder belächeln dessen ökonomische Auffassungen. Kaum ein Lexikon und Lehrbuch räumen der Freiwirtschaftslehre Platz ein. Selbst in rar gewordenen theoriehistorischen Exkursen an Hochschulen werden Name und Werk Gesells kaum erwähnt. Das ist per se kein Qualitätssiegel und betrifft andere alternative Ansätze ebenso. Dennoch hat er auch heute Anhänger (Margrit Kennedy, Bernd Senf, Helmut Creutz, Bernard Lietaer, Gwendolyn Hallsmith, Werner Onken und andere). Und außerhalb der etablierten Wissenschaften stößt Gesells Idee einer zinsfreien Wirtschaft angesichts zunehmender nationaler und internationaler Verschuldung auf Zuspruch.
Tauschringe und regionales Geld
Der Gemeinderat in Wörgl/Tirol, einem idyllischen Ort nahe Innsbruck, stimmte im Juli 1932 für die Einführung eines regionalen Geldes. Anhänger der Lehre Silvio Gesells nennen es heute noch das Wunder von Wörgl, andere einen Bluff. Die regionale Währung sollte für heimische Produkte ausgegeben werden. Sie sollte unter Handwerkern, Produzenten und Händlern im Ort und dessen näherer Umgebung kursieren und so die örtliche Wirtschaft fördern. Organisiert wird der Handel über Tauschringe. „In einer Tauschring-Gemeinschaft kann jeder jedem eine Leistung erbringen, die der Empfänger nicht direkt durch eine Gegenleistung ausgleichen muss. Vielmehr erhält der Leistungserbringer eine Gutschrift, die er bei jedem anderen Tauschringmitglied einlösen kann. Der Leistungsempfänger erhält umgekehrt eine Lastschrift, die er durch Leistungseinbringungen innerhalb des Tauschrings ausgleichen kann. Guthaben- und Defizitbestände in einem Tauschring sind also immer gleich hoch und in der Saldierung stets Null. Genau betrachtet handelt es sich also um gar keinen Tausch, sondern um wechselseitige Leistungsverrechnungen innerhalb eines bestimmten Teilnehmerkreises.“ (Creutz 2003: 586) Auf dem Tauschringkonto erhalten die Verkäufer also ein Plus, die Käufer eine Minusbuchung. Maßeinheit für Soll und Haben ist meist die Arbeitszeit, wobei theoretisch jede Arbeitsstunde gleichviel wert sein soll (Bierl 2012: 28). Das ähnelt stark dem Arbeitsgeld. Marx hatte gezeigt, weshalb die Idee der „Stundenzettler“ scheitern muss. Letztlich deshalb, weil dem Tausch keine individuellen Arbeitszeiten, sondern gesellschaftlich notwendige zugrunde liegen. Diese sind den Tauschpartnern unbekannt.
Die Tauschringe der Gesellianer und Regionalgeld scheinen in jüngerer Zeit im Aufwind zu sein. In Deutschland gibt es etwa 230 Tauschringe (http://www.tauschring.de/adressen.php) und circa 70 Regionalwährungen. Auch in anderen europäischen Ländern und in Übersee kennt man die „alternativen Währungen“. Selbst unter Linken, Kritikern der Globalisierung und Gegnern des Kapitalismus, bei Attac und der Occupy-Bewegung finden sich, irritiert durch die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise, immer mehr Anhänger der Freiwirtschaftslehre und ihrer Konzepte. Das erste Regionalgeldsystem in Deutschland war 2001 der „Roland“ in Bremen, im Januar 2003 folgte südöstlich von München der „Chiemgauer“. In Sachsen-Anhalt nennt man das Regionalgeld „Urstromtaler“. Dieser fusionierte 2010/11 mit der „Havelblüte“, dem Potsdamer Regionalgeld. Der „AmmerLechTaler“ soll Handwerk und Betriebe in der Region um den Ammersee helfen. Im Leipziger Tauschring zahlen die Mitglieder mit „Batzen“ und dem „Lindentaler“. Die „Lausitzer“ sind ein Regionalgeld für die Lausitz. In Mittweida und Umgebung ist der „Zschopautaler“ im Umlauf, in Düsseldorf „Rheingold“, der „Elbtaler“ in der Dresdner Region, der „Donautaler“ in Riedlingen (Baden-Würtemberg). „Kirschblüte“ heißt das Regionalgeld in Witzenhausen (Nordhessen), „Carlo“ in Karlsruhe, „KannWas“ in Schleswig-Holstein ...
Tauschringe und Regionalgeld haben sich unter außergewöhnlichen Bedingungen wie Wirtschaftskrisen, Kriegen, Inflation u.ä. als Hilfsmittel bewährt, wenn Geldmangel herrschte oder die Leute mit dem „richtigen“ Geld nicht viel anfangen konnten. Die Scheine sind eine Art des Notgeldes. Sie stellen eine regionale Ersatzwährung dar. In der Umgebung der Stadt Volos an der Ostküste Griechenlands (Region Magnesia) kursiert unter mehr als 1200 Mitgliedern eines Solidaritäts- und Tauschnetzwerkes eine Alternativwährung zum Euro. Sie heißt TEM (Lokale Alternative Einheit). Mit der virtuellen Geldeinheit können über eine Internetplattform Transaktionen vorgenommen werden. Ein Vorteil könnte sein, dass regionale Produkte, vor allem Lebensmittel, frisch und zu niedrigen Preisen verkauft werden, weil die Erzeuger auf Zwischenhändler verzichten.
Die wirtschaftsregionalen Erfolge der Ersatzwährung sind jedoch begrenzt. Den größeren Teil des Einkommens geben die Leute immer dort aus, wo sie leben, in welcher Währung, ob in Euro oder bunter Heimatwährung, ist dabei einerlei. Heimische Waren werden bevorzugt, wenn sie besser sind, und nicht, wenn sie mit Spezialgeld bezahlt werden können. Außerdem bleibt nie alles Geld dort, wo es ausgegeben wird. Händler und Produzenten beziehen oft einen Teil ihrer Güter, Arbeitsmittel und Rohstoffe von anderswo. Auch wenn die Einwohner Kühlschränke, Fernseher und Smart-phones beim Händler ihres Ortes kaufen und mit Regionalgeld zahlen, hergestellt werden die Produkte dennoch fernab des kommunalen Marktes. Zweitwährungen ändern nichts an der überregionalen und internationalen Arbeitsteilung (Bierl 2012: 26). Autarkie von Dörfern, Städten und Regionen sind keineswegs wünschenswert. Sie würde den Lebensstandard auf das Niveau des Mittelalters zurückwerfen. Auf Dauer schaden Abschottung und Selbstversorgung der wirtschaftlichen Entwicklung. Margrit Kennedy, 1939 in Chemnitz geboren, und andere Gesellianer glauben, dass die bunten Regio-Scheine den angeschlagenen Euro und das internationale Währungs- und Finanzsystem retten könnten (Kennedy 2009: 417 f.). Das wichtigste Werk der Befürworterin des Freigeldes und der Komplementärwährungen wurde in 22 Sprachen übersetzt (Kennedy 2005).
Auf das nationale und internationale Geldsystem lassen sich derartige Projekte aber nur bedingt übertragen. Sie liefen stets darauf hinaus, das bislang etablierte Geld durch ein anderes zu ersetzen. In Frage kommt dies nur, wenn das Vertrauen in das bisherige Geld verloren gegangen ist und mit dem neuen Geld Vorteile erreicht werden können, z. B. die Unterstützung der regionalen Wirtschaft. Auch bei akuter Devisenknappheit und heftigen Erschütterungen der weltweiten Schlüsselwährungen können Regionalwährungen sinnvoll sein. Es hängt aber von vielen Faktoren ab, ob derartige Autarkiebestrebungen langfristig erfolgreich sind. So hat sich fast unbemerkt in Lateinamerika und der Karibik ein neues Buchgeld etabliert. Es wird „Sucre“ genannt, nach dem Namen des antikolonialen Freiheitskämpfers Antonio José de Sucre (1795-1830). An dem Verrechnungssystem nehmen Venezuela, Kuba, Bolivien, Ecuador, Nikaragua, die karibischen Kleinstaaten Dominica, St. Vincent, die Grenadinen sowie Antigua und Barbuda teil. Es wird oft mit dem Vorläufer des Euro verglichen, dem europäischen ECU. Hauptziel dieses Währungsbündnisses ist es, die teilnehmenden Länder gegen die Krisen in der Weltwirtschaft zu schützen. Im Jahre 2012 wurden bereits 2645 Geschäfte in Sucre mit einem Gegenwert von 1,1 Milliarden US-Dollar geschlossen. Vorteil der lateinamerikanischen Regionalwährung ist die Trennung von der US-Dollar-Wirtschaft. Der Handel in Sucre entlastet die Devisenreserven. Die neue Währung könnte helfen, die Ungleichheit zwischen den Staaten der Region zu verringern. Kleine und mittelständische Unternehmen erhalten bessere Handelschancen, wenn die Geschäfte nicht in Dollar ausgeführt werden.
Die gegenwärtig unter dem Eindruck der sog. „Eurokrise“ von einigen geforderte Rückkehr zur DM wäre aber nichts anderes als die Rückkehr zum „Regionalgeld“ auf höherer Ebene. Die Folge wäre eine Aufwertung der DM und Einbrüche im Export mit den bekannten negativen Wirkungen. Auch die Wiedereinführung der Drachme würde die Verschuldungsprobleme Griechenlands nicht lösen, sondern zusätzlich verschärfen durch einen enormen Abwertungsdruck.
Wichtigster Grund für die ausbleibende akademische Resonanz der Gesellschen Zins- und Geldlehre ist, dass sie im Widerspruch steht zur kapitalistischen Wirklichkeit. Hinzu kommen geldtheoretische Unzulänglichkeiten, die Überbewertung bestimmter monetärer Kategorien und damit letztlich eine Fehlindikation systemischer Widersprüche.
Schwundgeld – die „rostenden“ Banknoten
Das Prinzip dieser Regionalwährungen beruht auf der Schwundgeldidee Gesells, auch wenn sich die Konstruktionen graduell unterscheiden. So verloren die Arbeitsscheine in Wörgl jeden Monat ein Prozent ihres Wertes. Durch Klebemarken konnte dies ausgeglichen werden. Jeder Geldschein enthielt zwölf Felder. Nach Ablauf eines Monats behielt der Geldschein nur dann seinen Nominalwert und wurde akzeptiert, wenn sein Inhaber eine Wertmarke von ein Prozent des Nennwerts auf das entsprechende Monatsfeld geklebt hatte. Wer einen Geldschein zwölf Monate zurückbehielt, konnte ihn nur wieder in Umlauf bringen, wenn er die zwölf Felder mit Wertmarken beklebt hatte. „Das Zurückhalten von 100 Schillingen für die Dauer von zwölf Monaten kostete also eine Gebühr von 12 Schillingen, also 12 Prozent. Je schneller man das Geld wieder in den Umlauf brachte, um so eher konnte man der Gebühr entgehen.“ (Senf 2005: 123) Das Schwundgeld in Wörgl hatte zwei Wirkungen, schreibt Bierl: „Es funktionierte wie eine Steuer (Schwund), die ärmere Bürger relativ zu ihrem Einkommen stärker belastete als reiche, und wie ein Kredit, den die Kommune bei ihren Arbeitern und Angestellten erhob, indem sie sie mit Schwundgeld entlohnte.“ Das Geld wurde im Sinne einer nachfrageorientierten Politik verwendet: zum Ausbau der Infrastruktur. Zur Verklärung der Aktion trug bei, dass die österreichische Regierung das Projekt verbot. Im September 1933 musste die Gemeinde die Scheine aus dem Verkehr ziehen (Bierl 2012: 45).
So ähnlich auch heute: Der „Lausitzer“ tauscht sich mit dem Euro beispielsweise im Verhältnis 1:1. Das Geld soll im Umlauf bleiben. Es zu sparen hat keinen Sinn. Wie auch die anderen Regionalwährungen verliert es mit an der Zeit an Wert. Der „AmmerLechTaler“ und der „Chiemgauer“ büßen in jedem Quartal zwei Prozent ihres Wertes ein, jährlich acht Prozent. Der Besitzer des „Chiemgauers“ muss zum Quartalsende eine Marke kaufen, die zwei Prozent des Wertes eines Scheines kostet, und diesen aufkleben. Um die Gebühr zu sparen, sind die Besitzer daran interessiert, die Scheine vorher auszugeben (Bierl 2012: 32). Der Wunsch, die Gebühr zu vermeiden, sichert, dass das Geld im Umlauf bleibt. „Der Zschopautaler tut nur gut, wenn man ihn benutzen tut“ steht auf einem Aufkleber, der an Schaufensterscheiben der sächsischen Stadt Mittweida klebt. Auf dem Schein ist ein Verfallsdatum aufgedruckt. Mindestens drei Monate ab Ausgabedatum sind die „Zschopautaler“ gültig. Was sich kurz vor Ablauf der Frist noch in den Kassen befindet, wird in einer Bank in neue Zschopautaler oder Euro umgetauscht. Dafür werden fünf Prozent Tauschgebühr fällig. Die Gebühren gehen als Spende an einen Verein oder unterstützen karitative Projekte in der Region.
So ganz abwegig ist die Idee zumindest auf den ersten Blick nicht: Ist zu wenig Geld im Umlauf, werden Austausch und Produktion gelähmt. Krisen, Armut und Elend entstünden, weil die Leute Geld horteten, um Zinsen zu erpressen. Gesell und seine Epigonen fordern deshalb negative Zinsen. Dann entfiele der Anreiz, Geld zu sparen und zu verleihen. Gesell wollte ein Geld, das beim Horten an Wert einbüßt. So würden die Geldbesitzer gezwungen, ihr Geld immer wieder in den Umlauf zu geben. Eine Geldumlauf-Sicherungsgebühr sollte eingeführt werden. Die Geldscheine könnten dabei z. B. durch Farbstreifen als verschiedene „Serien“ gekennzeichnet werden. In unregelmäßigen Abständen werden bestimmte Serien für ungültig erklärt und durch neue Scheine ersetzt, außerdem wird auf alle Guthaben eine mit steigender Laufzeit niedriger werdende Abgabe erhoben. Durch diese beiden Maßnahmen wird das Horten von Geld „bestraft“. Das Geld wird deshalb entweder ausgegeben oder durch langfristige Anlage der Wirtschaft zur Verfügung gestellt. Hierdurch stiege das Geldangebot, so dass die Zinsen um die Null pendeln. „Schwundgeld“, Freigeld – vom Zins befreites Geld – oder „rostende Banknoten“ nannte Gesell seine Idee. Die Geldscheine sollten altern wie die Waren. Gehortetes Geld verliere fortwährend an Wert. Geld würde nun wie jede andere Ware im Laufe der Zeit „vergammeln“. Wer zu Beginn des Jahres 1.000 Euro spart, hätte am Jahresende nur noch 950 oder 900 Euro übrig.
Dies zu verhindern, zwänge die Leute dazu, das Horten aufzugeben und mit ihrem Geld Konsum- und Investitionsgüter nachzufragen. Voilá! Krisen ade!
Für Karl Walker (1904-1975), nach wikipedia Gesells „bedeutendster Schüler“, liefern die „Brakteaten“ den historischen Beweis, dass die Idee des Meisters richtig ist. Brakteaten (bractea – dünnes Blech) nannte man die breiten Silberpfennige des Mittelalters. Sie waren so dünn, dass sie nur einseitig geprägt werden konnten. Die Prägung zeigte sich deshalb auf beiden Seiten, als positives und negatives Bild. Sie nutzten sich im Umlauf schnell und stark ab und wurden ständig „aufgerufen“ (einbezogen) und durch minderwertige Münzen ersetzt. Die einen deuteten den ständigen, oft mehrmals im Jahr erfolgenden Wechsel der Prägungen, das „heillose Münzenwirrwarr“, als Erscheinungsbild einer zerrütteten Geldordnung. Die Gesellianer dagegen sehen darin die intuitiv kluge Methode, „die Einwohner ... von der primitiven Schatzbildung abzubringen und sie zum richtigen Gebrauch des Geldes als Zirkulationsmittel zu erziehen. Dazu bedurfte es wohl nachhaltiger, ständig wiederkehrender Impulse, die durch die regelmäßig erfolgende Geldverrufung auch tatsächlich wirksam wurden.“ (Walker 2009: 43) Auch wenn es den Münzherren allein darum ging, durch die Verringerung des Metallgehalts Gewinn herauszuschlagen, die wohltuende Wirkung für die Volkswirtschaft sei offensichtlich gewesen: „Niemand im weiten Raum der mittelalterlichen Welt wäre so einfältig gewesen, dieses Brakteatengeld oder auch die sonstigen der zeitweiligen Erneuerung unterworfenen Handelsmünzen, die morgen oder in einigen Wochen vom Bischof oder Landesherrn aufgerufen und gegen Abzug eines Schlagschatzes gegen neues Geld eingezogen werden konnten, länger als verkehrsnotwendig zu behalten oder mit Bedacht zu horten ... Die Mitte des 12. Jahrhunderts um sich greifende fortlaufende Münzerneuerung verhinderte jetzt auf volle drei Jahrhunderte hinaus ein erneutes Horten, Konzentrieren und Erstarren des Geldes.“ (Walker 2009: 44 f.) So werden das Aufblühen des Handwerks und Handels, das Erblühen der Märkte und Städte, die großartigen Leistungen der gotischen Epoche (1140-1550) vor allem als das Ergebnis der anhaltenden Münzverschlechterungen gedeutet. Gesellianer führen die Wirtschaftsblüte des 13. Jahrhunderts darauf zurück, „dass das Geld einzig als Tauschmittel und nicht gleichzeitig als Schatzmittel verwendbar war“ (Walker 2009: 45). Sie kam mit den Brakteaten und sie ging mit diesen unter. Und so ist es folgerichtig, dass die heutigen Epigonen Gesells eine neue „Renovatio monetarum“ fordern.
Es ist nicht völlig auszuschließen, dass die Begrenzung der Geldhortung und die Sicherung des Geldumlaufs dazu beigetragen haben, die wirtschaftliche Tätigkeit zu beleben. Die Wirtschaftsblüte des Mittelalters ist aber ein komplexes Phänomen und keineswegs, und schon gar nicht ausschließlich, Ergebnis der ständigen Münzverschlechterung. Erleichterungen des Handels und Produktivitätssteigerungen mündeten etwa ab 1150 in die Gründung von Städten. Die Feudalherren, welche die Rechte über die Marktsiedlungen besaßen, wurden Stadtherren. Sie verlangten Abgaben für den Schutz des Handels und des Marktgeschehens, für die Benutzung von Brücken und gesicherten Wegen. Die Bürger der Städte, die zu bedeutenden Handelszentren wurden, errichteten als Zeichen ihrer Macht und des Reichtums prunkvolle Rathäuser und Kathedralen. In Italien und Frankreich entstehen prächtige Kathedralen, obgleich dort nie Brakteaten geprägt wurden. Der Grund für die Entstehung der reichen Städte in Italien (Venedig, Genua, Pisa, Mailand, Florenz) liegt in erster Linie an der Ausdehnung des Handels mit orientalischen und byzantinischen Luxuswaren. Die Bürger in den Städten Flanderns (Brügge, Gent, Ypern) hatten sich auf die Produktion von Tuchen spezialisiert. Sie importierten Wolle aus England. Die kostbaren Wolltuche waren in ganz Europa begehrt. Sie wurden gehandelt bis nach der Kiewer Rus, nach Polen, dem deutschen Reich, Italien und Frankreich. Mit dem Umlauf der Braketaten hat die Belebung des Handels wenig zu tun. Vieles spricht dafür, dass der wirtschaftliche Aufschwung keine Folge der Münzverrufungen gewesen ist. Dieses System diente den Herren nur dazu, Gewinne abzuschöpfen in einer prosperierenden Wirtschaft. In der Begrenzung der Geldhortung das auslösende Moment einer Wirtschaftsblüte zu sehen, heißt „die Geschichte gegen den Strich zu bürsten“ (Kenawi 2013: 36, 37, 72).
Nun ist die Nachfrage nach Waren keineswegs nur eine Frage des Vorhandenseins von Geld und der Glaube ein wenig blauäugig, das schrullige Geld, das keiner in der Schatztruhe haben will, würde unentwegt Geschäfte ankurbeln und die Wirtschaft unter Hochdruck halten. In welchem Umfang Nachfrage nach Gütern da ist, hängt auch ab vom erreichten Lebensniveau, von den Ansprüchen der Menschen, den Sättigungs- und Innovationsgraden der Erzeugnisse. In gesättigten Ökonomien wäre ein Wirtschaftswachstum, verursacht und erleichtert durch Schwundgeld, mit einer noch größeren Vergeudung von Ressourcen verbunden.
Geld ist unter anderem Mittel des Tausches und der Wertaufbewahrung. Gesell erkennt nicht den Zusammenhang beider Funktionen, missversteht Letztere gar als einen Missbrauch des Geldes. In Wirklichkeit ergänzen und bedingen sich beide. Geld, das nicht im Umlauf benötigt wird, fließt in die Depots. Von dort strömt es zurück, wenn ein zusätzlicher Bedarf in der Zirkulation entsteht. So gleicht die Wertaufbewahrungsfunktion unentwegte Schwankungen im Geldbedarf aus. Sie „puffert“ die Tauschmittelfunktion ab, ist kein Gegensatz zu ihr, sondern ihre sinnvolle und notwendige Ergänzung. Die Wertaufbewahrungsfunktion ermöglicht es, den Tausch zeitlich zu dehnen. Sie macht den Geldumlauf flexibler. Geld zu horten ist kein Missbrauch, ist keine zweckentfremdete Verwendung, sondern ein notwendiges Element der Geldwirtschaft. Dass man auch „schmutziges“ Geld horten kann, ist ein Grund, gegen den kriminellen Gelderwerb vorzugehen, nicht aber das Aufbewahren von Geld zu unterbinden. Mit seiner konfusen Auffassung ignoriert Gesell auch den Wunsch nach Altersvorsorge und andere sinnvolle Gründe der Wertaufbewahrung.
Unrealistisch ist es, dass Geld durch Einführung einer „Geldumlaufsicherungsgebühr“ von seiner Wertaufbewahrungsfunktion zu entbinden. Geld „fließen“ zu lassen, heißt, ihm zu ermöglichen, Güter nachzufragen. Dazu bedarf es mehr als das Horten von Geld unattraktiv zu machen. Weshalb sollten Investitionsgüter beschafft werden, wenn alles gegen die Investition spricht? Weshalb sollten Konsumgüter nachgefragt werden, wenn man diese nicht braucht? Kaufen, kaufen, kaufen, nur um Gegenstände zu haben? Der Mensch entfremdet sich von sich selbst. Er organisiert seine Sinnlosigkeit. Der Mythos Wachstum hat ohnehin längst versagt.
Scheinwidersprüche wie z. B. zwischen der Zirkulations- und der Wertaufbewahrungsfunktion belegen das mangelnde Verständnis der Gesellianer für die Komplexität ihres Gegenstandes. Auch Keynes hielt die Idee vom Schwundgeld für unrealistisch. Dessen Gebrauch würde dazu führen, dass Ersatzmittel die Funktion des Geldes übernehmen (Keynes 1936: 195, 301 f.).
Wider die „Zinsknechtschaft“
Für die Epigonen der Gesellschen Lehre ist der Zins die Ursache einer von Krisen geschüttelten, ungerechten Welt. Er zwinge zum unsinnigen Wachstum, um die steigende Zinslast zu bezahlen. So werden Ressourcen vernichtet, die Umwelt zerstört und ökologische Katastrophen verursacht. Der Zins erhöht die Kosten der Produktion und damit die Preise. Er bewirke eine riesige Umverteilung zugunsten der Reichen. Wie eine Pumpe wirke er: „Er pumpt tagtäglich Unsummen von Geld auf undurchsichtige und den meisten unbewusste Weise von der großen Mehrheit zu einer kleinen Minderheit. Wer ‚pumpt‘ sich eigentlich von wem Geld? Nicht die Kreditnehmer von den Kreditgebern, wie es unsere Sprache nahe legt, sondern – netto betrachtet – die wenigen Reichen von der großen Mehrheit der Bevölkerung, und das alles ohne Arbeit und Leistung, nur aufgrund des Besitzes von großen Geldvermögen.“ (Senf 2005: 103) Der Zins, so die Anhänger Gesells, untergräbt die Bereitschaft zu investieren, ist schädlich für die Produktion und erhöht die Arbeitslosigkeit. Er untergräbt den sozialen Frieden und verschärft Konflikte zwischen den Menschen. Er vertieft die Krise des Staatshaushalts und die Schuldenkrise der dritten Welt, weitet die Kluft zwischen armen und reichen Ländern. Am Ende löst er gar atomare und konventionelle Krieg aus (Creutz 2003: 529; Senf 2005: 81-117). Man müsse die Zinsknechtschaft brechen, eine populäre These, die bis in Kreise der Grünen, bei Attac und Teilen der Linken Zuspruch erfährt. Sie wurde auch von den Nazis kolportiert. Gottfried Feder (1883-1941), Wirtschaftstheoretiker der NSDAP, lehnte zwar Gesells Schwundgeld ab, weil die Inflation ohnehin genug davon erzeuge. Emphatisch trat er aber für die Brechung der „Zinsknechtschaft“ ein, für ihn identisch mit der „Tatsache der Judenherrschaft“ (Feder 1931: 169 ff).
In der Freiwirtschaftslehre ist der Zins heute die wachstumstreibende Kraft und damit die Wurzel allen Übels. Der Traum von einer zinslosen Welt ist aber unrealistisch. Freigeld, vom Zins befreites Geld, wird den Gesetzmäßigkeiten moderner Ökonomien nicht gerecht. In hoch entwickelten Volkswirtschaften entstehen permanent temporäre Überschüsse an Geld an bestimmten Plätzen (Angebot) und Defizite nach Geld an anderen Stellen (Nachfrage). Diese Ungleichgewichte werden über das Kreditsystem ausgeglichen. Risiken, Größen, Fristen zwischen Angebot und Nachfrage nach Geld auszugleichen ist die klassische Funktion der Banken und damit des Finanzmarktes. Diese Funktion ist unverzichtbar.
Dass dabei Kreditnehmer, die das geliehene Geld produktiv einsetzen, Kreditgeber am erwirtschafteten Überschuss beteiligen, ist gerechtfertigt. So gesehen, hält der Zins an sich „ethischen Anfechtungen“ stand. Dessen Ablehnung durch Aristoteles und die Scholastiker des Mittelalters war so lange plausibel, wie der Kredit vornehmlich konsumtive Funktionen erfüllte. Das war in vorkapitalistischen Zeiten so. Etwas anderes ist es, wenn der Kreditgeber seine Machtposition ausnutzt und Wucherzinsen fordert. In dem Maße, wie im Schoße der feudalen Gesellschaft Geld- und Waren-Verhältnisse bedeutsamer wurden, erfolgte zwangsläufig die Abkehr von der Zinsauffassung der antiken Wissenschaft. Wege zur Umgehung des kanonischen Zinsverbotes wurden gesucht, gefunden und theoretisch legitimiert. So ist der Rentenkauf eine Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner, die heute noch in unterentwickelten Ländern gebräuchlich ist. Im Gegensatz zur Ratenzahlung ist dabei der Zeitraum einer Tilgung oft nicht festgelegt oder begrenzt. Man spricht daher auch vom Ewiggeld. Mit dem Rentenkauf erwirbt der Gläubiger das Recht auf den Bezug einer zumeist jährlich wiederkehrenden Leistung (Rente) aus einem Grundstück oder Haus bzw. als Gegenleistung für eine einmalige größere Zahlung. Der Rentenkauf war vom mittelalterlichen Zinsverbot i.d.R. ausgenommen. Die Eisenkuh oder Immerkuh war in Süddeutschland eine Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner, bei der gegen (ewige) Rentenzahlung eine Kuh verpachtet wurde. Auch die Abgabe in Form von Naturalien oder Geld, die dem Wert einer solchen Nutzung entsprach, wurde als Eisenkuh bezeichnet. Es handelte sich um eine Form des Rentenkaufs (Heydenreuter 2009: 62). Zum Zinsverbot des Mittelalters zurückkehren zu wollen, ist anachronistisch unter Bedingungen einer entwickelten kapitalistischen Waren-, Geld- und Kreditwirtschaft. Die Wirtschaft verlöre mit dem Ausgleichsmechanismus eines ihrer wichtigsten Funktionselemente. Es gäbe überdies enorme Umsetzungsschwierigkeiten: Widerstand der Gläubiger und Zinsgewinner, Kapitalflucht, wachsende Boden-, Aktien- und Devisenspekulationen mangels zinsbringender Anlagen, Beeinträchtigungen der Geldpolitik (obgleich entgegen dominierender Auffassungen gefragt werden muss, ob es eine solche überhaupt gibt; vgl. Müller 2010 und 2011). Solche Versuche würden unterlaufen werden, genauso wie das islamische Zinsverbot unterlaufen wird, z. B. durch Gewinnbeteiligungen u.ä. Illusorisch ist auch die Hoffnung, dass in einem zinslosen Geldsystem der „freie Arbeitsmarkt“ die sozialen Probleme von selbst lösen könnte.
Sinnvoller wäre es, das Bankensystem wieder auf seine klassische Ausgleichsfunktion zu beschränken. Nachdenken könnte man über Zinsobergrenzen und über die Regulierung der Spielräume zwischen Soll- und Habenzinsen.
Je tiefer die Krise, je stärker die Unzufriedenheit über die Ungerechtigkeiten, umso ausgeprägter ist das Bemühen, Ursachen dafür zu finden. Und da die immense Umverteilung von unten nach oben auch über Kapital- und Zinsflüsse stattfindet, und der Zins mit nahezu allen Elementen des ökonomischen Systems verknüpft ist, ist es verständlich, dass sich die Kritik auch gegen ihn richtet. Nur ist das eine oberflächliche Kritik, wenn auch gut gemeint, eine Kritik an den Symptomen. Letzter Grund ist nicht der Zins, sondern die ungleiche Verteilung des Eigentums, aus der die Ungleichheit der Einkommen und des Vermögens resultiert. Jeder Ärger sucht sich ein Ventil. Frühere Herrschaften hatten den Juden – das „raffende“ Kapital –, dem sie die Schuld für ihnen angetanes Unrecht zuwiesen. Heute müssen Zins und Euro dafür herhalten. Aber es ist großer Irrtum, zu glauben, dass mit dem Wegfall des Fremdkapitalzinses auch der Wachstumsdruck entfiele. Der Profit bliebe auch in einer denkbaren zinslosen Wirtschaft das Maß aller Dinge, Wachstumsmotor Nr. 1. Nicht der Zins als ein Teil des Profits, der Profit selbst ist das Problem.
Die Wiederbelebung des kritischen aristotelischen Zinsdenkens und die Rückkehr zur christlichen Ablehnung des Zinsnehmens stehen in so schroffem Gegensatz zur ökonomischen Realität, dass ihnen der Weg ins Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Meinungsbildung von vorn herein verschlossen sein musste.
Bei allen schwerwiegenden geld- und zinstheoretischen Mängeln muss aber doch betont werden, dass die Kritik von Creutz, Senf und andern „Gesellianern“ an der omnipräsenten Giralgeldschöpfungstheorie der herrschenden Lehre, wenn auch nicht fehler- und widerspruchsfrei, so doch beachtenswert ist. Ihre Einwände gegen die Mär von der Fähigkeit der Geschäftsbanken, Giralgeld zu schöpfen, sind ein ernst zu nehmender Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion (Creutz 2003: 236-249; Senf 2005: 159-171).
Neben dem geldtheoretischen Dilettantismus sind auch zu erwähnen Gesells rassistische Gedanken, seine oberflächliche, die Produktion aussparende Kapitalismuskritik, die ungeheuerlichen Visionen von einem neuen Manchesterkapitalismus, sein Sozialdarwinismus und seine Frauenfeindlichkeit. Obgleich Gesell selbst kein Antisemit war, bieten seine Ideen auch heute Verschwörungstheoretikern, rechten und antisemitischen Gegnern des Finanzkapitalismus eine ideologische Heimstatt, aber eben auch wohlmeinenden und naiven Kritikern aus dem linken Lager. Das Wohlwollen unter Linken mag auch damit zu tun haben, dass Gesell im April 1919 der Revolutionsregierung der Münchner Räterepublik angehörte. Als „Volksbeauftragter für Finanzen“ war er aber nur sieben Tage im Amt. Nach der Zerschlagung der Räterepublik musste er sich in einem Hochverratsprozess vor einem Münchner Standgericht verantworten. Er wurde freigesprochen.
Peter Bierl zeigt Vorläufer, Entwicklung und aktuellen Einfluss der Gedanken Gesells in Deutschland. Und er warnt: „Die Gesellianer sind Krisengewinnler. Es ist zu erwarten, dass die aktuelle Krise ihnen ebenso wie die Depression der 1930er Jahre größeren Anhang verschafft. Sie verstärken falsche Vorstellungen über Geld und Kapitalismus und behindern damit aufklärerische und emanzipatorische Prozesse. Im schlimmsten Fall befördern sie antisemitische Vorurteile, verbreiten sozialdarwinistische und rassenhygienische Lehren, die, wie der Erfolg Thilo Sarrazins zeigt, auf große Resonanz stoßen, und bereiten damit wie im Kaiserreich und in der Weimarer Republik faschistischen Tendenzen den Boden.“ (Bierl 2012: 22)
In einer Zeit steigender Resonanz Gesellscher Irrlehren ist eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Auffassungen geboten.
Literatur
Behrens, F. (1981), Grundriss der Geschichte der Politischen Ökonomie, Band IV, Berlin.
Bierl, P. (2012), Schwundgeld, Freiwirtschaft und Rassenwahn. Kapitalismuskritik von rechts: der Fall Silvio Gesell, herausgegeben von Friedrich Burschel, konkret, Texte 57, Hamburg.
Creutz, H. (2003), Das Geldsyndrom, Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft, 5. Aufl., Aachen.
Feder, G. (1931), Brechung der Zinsknechtschaft, NS-Jahrbuch 1931, München.
Gesell, S. (1920), Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 4. Aufl., neue Ausgabe Lütjenburg 2007.
Heydenreuter, R., Pledl, W., Ackermann, K. (2009), Vom Abbrändler zum Zentgraf. Wörterbuch zur Landesgeschichte und Heimatforschung in Bayern. 2. Auflage, München.
Kenawi, S. (2013), Falschgeld. Die Herrschaft des Nichts über die Wirklichkeit. http://www.ewk-verlag.de/Ressourcen/Kenawi_Geschichte_des_Geldes.pdf, Zugriff 27.02.2013.
Kennedy, M. (2005), Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel, das jedem dient, München.
Kennedy, M. (2009), Was uns fehlt, ist eine Vielfalt von Geldern, in: von Lüpke (Hrsg.), Zukunft entsteht aus Krise, München.
Keynes, J. M. (1936), Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Berlin.
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