Die aktuelle Wirtschaftskrise, deren Dramatik auch und gerade
von kapital-freundlichen Wirtschaftsbeobachtern beschworen wird,
ist nicht nur eine Finanzmarkt- und Konjunkturkrise. Sie ist
zugleich eine tief greifende Strukturkrise. Dietmar Düe zeigt
am Beispiel der Automobilindustrie, dass deren aktuelle Probleme
weniger auf die Finanzmarktkrise als vielmehr auf grundlegende
Fehlentwicklungen der Branche zurückzuführen sind. Die
Folgen des Aufbaus von Überkapazitäten und einer
verfehlte Modellpolitik, die die lange bekannten Herausforderungen
der Energie- und Umweltkrise zugunsten kurzfristiger
Profitinteressen ignoriert hatte, sollen jetzt mit
‚Staatsknete’ bereinigt werden. Der derzeit kaum
diskutierte strukturelle Aspekt der Krise steht auch im Zentrum des
Beitrags von Karl Hermann Tjaden, der unter Bezug auf ein Buch von
Henseling („Am Ende des fossilen Zeitalters“) darauf
aufmerksam macht, dass derzeit ein Reproduktionsmodell an seine
Grenzen stößt, das auf der Entnahme endlicher Ressourcen
aus dem Planeten, der Stoffumwandlung durch Arbeit in der
„Großen Industrie“ und der Entsorgung in den
Planeten basiert. Die gegenwärtige Krise müsse auch und
vor allem als Umwelt- und Ressourcenkrise verstanden werden.
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Mit der Jahreswende 2008/2009 lag die Novemberrevolution in
Deutschland genau neunzig Jahre zurück, Anlass für die
Redaktion, einen Rückblick auf einige ihrer Aspekte zu
versuchen. Annelies Laschitza beschreibt auf der Basis profunder
Quellenkenntnis die Zusammenarbeit von Rosa Luxemburg und Karl
Liebknecht in den Wochen der Revolution. Sie zeigt ihre
Gemeinsamkeiten und auch ihre unterschiedlichen
Individualitäten und räumt mit der verbreiteten
Vorstellung auf, beide seien von Anfang bis Ende ohne
persönliche Vorbehalte und ohne politische
Meinungsverschiedenheiten eng befreundete und immer
zusammenarbeitende Kampfgefährten gewesen. Gerhard Engel
analysiert in seinem Beitrag die Rolle der Räte in der
Revolution. Er beschreibt die zahlreichen Konflikte innerhalb der
Rätebewegung über den Weg, den die Revolution gehen
sollte, und zeigt wie insbesondere die Politik der MSPD „auf
die Paralysierung und letztlich die Liquidierung der Räte
ausge-richtet“ war. Diese durch die Verhältnisse der
Zeit und die Beschaffenheit der Arbeiterbewegung ermöglichte
„verhängnisvolle Halbheit“ habe letztlich die
Chancen auf eine stabile Demokratie in Deutschland
verhindert.
Frank Deppes Beitrag beginnt mit dem Datum des 9. November, das
offenbar ein „Schicksalstag deutscher Geschichte“ sei.
Von der Frage nach dem inneren Zusammenhang zwischen den
Ereignissen dieses Tages (Ermordung Robert Blums, Abschaffung der
Monarchie, Hitler-Ludendorff-Putsch, Reichs-pogromnacht, Mauerfall)
stellt Deppe fest, dass Geschichtsbilder stets umkämpft und
„wesentlicher Bestandteil von ideologischer Herrschaft“
seien. Als „eines der wichtigsten Ergebnisse der
Novemberrevolution“ stellt er das Ende des ersten Weltkriegs
heraus, in dem „das unendliche Grauen dieses 20. Jahrhunderts
begann“. Eine einfache Aktualisierung der Revolution ist
Deppe zufolge nicht möglich, da vieles – unter anderem
die alte Arbeiterbewegung – historisch geworden sei. Die
Revolutionen des zwanzigsten Jahrhundert hätten jedoch
nachhaltige und dauerhafte Veränderungen bewirkt –
insbesondere dann, wenn man ihre globalen Auswirkungen betrachte.
Insbesondere der Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten habe
jedoch gezeigt, dass Trans-formationsprozesse auch als
„Involutionen“ denkbar sind – möglicherweise
ein Modell, das für heutige kapitalistische Gesellschaften
wahrscheinlicher ist als klassische Revolutionen.
Auch Peter Scherer geht vom Datum des 9. November aus und verfolgt
den inneren Zusammenhang von Revolution und Konterrevolution.
Sowohl der Hitler-Ludendorff-Putsch als auch die Novemberpogrome
von 1938 seien nicht zufällig auf den 9. November gelegt
worden. Die Terminierung habe das Zielverfolgt, das Datum der
Revolution auszulöschen. Scherer fordert die Rehabilitierung
des 9. November als des Tags der Revolution und betont, erst
hierdurch könne auch der Opfer des Faschismus in
adäquater Weise gedacht werden: „Wer am 9. November von
der Revolution der Matrosen und Soldaten des Jahres 1918 schweigt
und statt dessen allein an die Verbrechen der Mordbanden des Jahres
1938 erinnert, der vollzieht, was er zu bekämpfen
meint.“ Christoph Jünke zeigt, dass die Grundlage der
sich mit der November-revolution vollendenden Spaltung zwischen
klassischem Reformismus auf der einen und revolutionärem
Sozialismus auf der anderen Seite heute gegenstandslos geworden
ist. Beide Richtungen konnten das gemeinsame Ziel, die
Überwindung des Kapitalismus, nicht erreichen. Kernpunkt sei
heute die Frage der Demokratie: Der Weg zum neuen Sozialismus
müsse den Bruch mit rein repräsentativen Formen der
bürgerlichen Demokratie durch die umfassende
Selbsttätigkeit der Bevölkerungsmehrheit wagen.
Die Kontinuitäten des Antikommunismus, der in Deutschland eine
besondere Aggressivität entfaltet habe, beschreibt Gerd
Deumlich. Die deutsche Bourgeoisie habe nie eine erfolgreiche
bürgerliche Revolution zustande gebracht, sondern sich in
Entscheidungssituationen stets mit der Konterrevolution
verbündet. Auch Deumlich erinnert an die ungeheure Gewalt, mit
der die Konter-revolution 1918/19 „in vielen Städten
gewaltsam aufgeräumt“ habe: „Es geht nicht nur
Kommunisten an, zu welch extrem antihumanistischen Exzessen die
antikommunistische Feindschaft gegen den Marxismus geführt
hatte. Es ist daran zu erinnern, dass von den Nazis bevorzugt der
Antisemitismus benutzt wurde, den Ursprung des Marxismus zu
erklären.“ Auch heute sei Antikommunismus keine
bloß historische Ideologie „und die Auseinandersetzung
damit aktuell wie eh und je“. „Offene Fragen
gesellschaftlicher Transformation im Rückblick auf die
Novemberrevolution“ benennt Paul Oehlke. Ausgehend von der
Revolution und der Frage nach ihrer Charakterisierung als
proleta-risch oder bürgerlich arbeitet sich Oehlke bis in die
Gegenwart vor. Was waren die Gründe für das historische
Scheitern? Was machte die Novemberrevolution zu einer
„gebrochenen Revolution“? Gibt es einen Zusammenhang
zwischen der damaligen Niederlage und der neoliberalen
Konterrevolution, die des letzten Drittels des zwanzigsten
Jahrhunderts? Welche politischen Konsequenzen müssen aus der
Geschichte für heutige Kämpfe gezogen werden?
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In der Rubrik Marx-Engels-Forschung untersuchen Murat Karaboga und
Ali-Tonguc Ertugrul, ob und auf welche Weise Marx an
bundesdeutschen Universitäten wieder aktuell ist – vor
allem im Zuge der Marx-Lesebewegung des SDS und einem der Finanz-
und Wirtschaftskrise geschuldeten neuen Interesse an Marx, das sich
bis in die bürgerlichen Medien erstreckt. Anlässlich des
Erscheinens des neuen MEGA-Bandes II /13 geht Eike Kopf der
Entstehung und „Wirkungsgeschichte des II. Bandes von
Marx’ 'Kapital' 1885 bis zum Erscheinen des III. Bandes
Anfang 1895“ nach und stellt die immense Arbeit und Leistung
Engels' dabei heraus.
Zwei weitere Beiträge widmen sich im für Deutschland
geschichtsträchtigen Jahr 2009 der jüngeren deutschen
Geschichte. Georg Fülberth hat den fünften Band von
Ulrich Wehlers Deutscher Gesellschaftsgeschichte gelesen, der die
Periode 1949-99 behandelt. Er konstatiert den völligen Verlust
politischer Distanz zum Gegenstand. Wehler, quasi Hofhistoriker des
‚wiedervereinigten’ Deutschland, verwechselt
historische Bewertung mit der Reproduktion gängiger
Politparolen. Arno Klönne stellt das
‚Bewegungsjahr’ 1968 in den Kontext der
bundesrepublikanischen Oppositionsbewegungen. Obwohl von der
Stu-dentenrevolte auch Anstöße für soziales und
politisches Engagement in der lohnabhängigen Bevölkerung
ausgegangen seien, habe „1968“ in Deutschland wegen der
weitgehenden Ausklammerung der sozialen Frage kaum
Anstöße zur Erneuerung der Arbeiterbewegung geben
können.
In der „Diskussion um Dialektik“ ist Renate Wahsners
Beitrag gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Hans Heinz
Holz’ Werk „Weltentwurf und Reflexion“ und ein
eigener systematischer Vorschlag zur Erneuerung dialektischer
Philosophie. In diesem Zusammenhang argumentiert sie gegen die
Vorstellung einer „monistischen Abbildtheorie“, die sie
bei Holz nicht überwunden sieht.
Unter „weiteren Beiträgen“ würdigt Helmut
Steiner das Wirken von Werner Krauss in der frühen DDR, der
ein Pionier der dort lange Zeit verfemten Soziologie war. In einer
kritischen Besprechung einer Studie von Bayerlein untersucht Werner
Röhr, welche dramatischen Rückschläge der
Nichtangriffsvertrag UdSSR-Deutschland für die
antifaschistische Orientierung der kommunistischen Parteien hatte.
Malle Salupere analysiert in ihrem Beitrag die schwierige Situation
der Linken und der Vereinigten Linkspartei in Estland.
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Z 78 (Juni 2009) wird sich schwerpunktmäßig mit der
Finanzmarktkrise und ihren Folgen befassen.