„Die Materie der Erkenntnis kann nicht gedichtet werden“[1] – schreibt Kant, und er formuliert so seine Auffassung, daß die Metaphysik nichts erfinden kann,[2] genauer, daß sie in Ansehung des Subjekts dies wohl kann, nicht aber in Ansehung des Objekts.[3]
Zu diesem Ergebnis gelangte Kant, nachdem er die „gleichberechtigten“ Makel des ihm vorgängigen neuzeitlichen Empirismus sowie des neuzeitlichen Rationalismus erkannt hatte.[4]
Ontologie und Gnoseologie. Die Aufhebung von Empirismus und Rationalismus
Kant unterscheidet zwei Grundquellen des Gemüts, aus denen die Erkenntnis entspringt, von denen „die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen (die Rezeptivität der Eindrücke), die zweite das Vermögen, durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen (Spontaneität der Begriffe); durch die erstere wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird dieser im Verhältnis auf jene Vorstellung (als bloße Bestimmung des Gemüts) gedacht“.[5]
Der Gegenstand wird also nach Kant durch die Anschauung, die einem Begriffe gemäß ist, gegeben, ohne diese wird er nur gedacht, und umgekehrt wird er nicht gedacht, also nicht begrifflich gefaßt, wenn er nur in der Anschauung gegeben ist. In beiden Fällen wird also nicht erkannt.[6]
Gegeben wird der Gegenstand also vermittels der Sinnlichkeit. Doch in welchem Sinne wird er das? Die Gegenstände sind nicht als Dinge zu verstehen, und gegeben sind sie nicht in voller Ausbildung. „Es ist leicht einzusehen“ – schreibt Kant – „daß dieser Gegenstand nur als etwas Überhaupt = X müsse gedacht werden, weil wir außer unserer Erkenntnis doch nichts haben, welches wir dieser Erkenntnis als korrespondierend gegen über setzen könnten.“[7] Natorp bestimmte später das Gegebene als die Aufgabenstellung. Gegeben ist ihm zufolge die Aufgabe, das X, das aus einer Gleichung explizit zu bestimmen ist.[8] Implizit ist es gegeben, gegeben durch die mit der Gleichung fixierten Beziehung der Größen zueinander. Kants Gegebensein des Gegenstandes als Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes zu interpretieren,[9] erhellt den Sinn des Kantschen Begriffs Anschauung.
Der Gegenstand im Sinne des Worüber muß nach Kant auf irgendeine Art gegeben werden können, wenn eine Erkenntnis objektive Realität haben, sich also auf einen Gegenstand beziehen, und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll. Anderenfalls wären die Begriffe leer, und man hätte zwar gedacht, in der Tat aber durch dieses Denken nichts erkannt, sondern bloß mit Vorstellungen gespielt. Einen Gegenstand geben ist hiernach nichts anders, als dessen Vorstellung auf Erfahrung (es sei wirkliche oder doch mögliche) beziehen.[10]
Hiernach erfordert jeder Begriff zweierlei: zum einen die Form eines Begriffs (des Denkens) überhaupt und zweitens die Möglichkeit, ihm einen Gegenstand zu geben, darauf er sich bezieht. Ohne einen solchen Gegenstand hat der Begriff keinen Sinn, er ist völlig leer an Inhalt, obgleich er noch immer die logische Funktion enthalten mag, „aus etwanigen Datis einen Begriff zu machen“. „Nun kann“ – fährt Kant fort – „der Gegenstand einem Begriff nicht anders gegeben werden als in der Anschauung, und, wenn eine reine Anschauung noch vor dem Gegenstande a priori möglich ist, so kann doch auch diese selbst ihren Gegenstand, mithin die objektive Gültigkeit, nur durch die empirische Anschauung bekommen, wovon sie die bloße Form ist. Also beziehen sich alle Begriffe und mit ihnen alle Grundsätze, so sehr sie auch a priori möglich sein mögen, dennoch auf empirische Anschauungen, d.i. auf Data zur möglichen Erfahrung. Ohne dieses haben sie gar keine objektive Gültigkeit, sondern sind ein bloßes Spiel, es sei der Einbildungskraft, oder des Verstandes, respective mit ihren Vorstellungen.“[11]
Kants Begriff Anschauung hat jedoch – das sei sicherheitshalber erwähnt – nichts mit Anschaulichkeit zu tun.[12]
Das Empirische ist für Kant dasjenige, wodurch der Gegenstand seinem Dasein nach als gegeben vorgestellt wird.[13] Für Kant heißt gegeben: Der Gegenstand hat ein Dasein bzw. er ist konstruierbar. Das Dasein kann man nicht logisch deduzieren. Oder: Das Sein ist kein Prädikat.[14] Aber: Nur das Material für das Denken ist mit der apriorischen Anschauung gegeben. Das heißt nicht, daß das Material als solches wohlbestimmt vorhanden ist, über das man dann nachdenkt, sondern daß „alles, was wir durch die Sinne empfinden, Realität seyn müsse, und alsdann kann man auch erst darüber reflectiren; denn das Denken ist ja nur eine Reflexion dessen, was gegeben ist“. „Also muß der Inbegriff aller Realität erst gegeben seyn, damit man etwas denken kann.“[15]
Irgend etwas muß – und sei es immer nur im jeweiligen Zusammenhang, gar nicht ein für allemal – gegeben sein oder als gegeben genommen werden können. Es muß ein Material sein, etwas „Denkliches“, wie Kant 1763 in seiner Schrift „Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes“ sagte, ein Worüber, „weil ohne Stoff sich Überall nichts denken läßt“.[16] Bei Kant wird das nun „Anschauung“ genannt – eine Bezeichnung, die oftmals verwandt wird, ohne den von Kant begründeten Begriff zu treffen.
Für diesen Begriff ist es wesentlich, die gegenseitige Bestimmung der einander gegenübergestellten Begriffe oder Etwase als Momente zu begreifen, zu erkennen, daß sie nicht als Festbestimmte vor der Untersuchung ihrer Gegenseitigkeit, ihres Gegeneinander angenommen werden können.[17] Es gibt mithin weder Anschauung noch Begriffe für sich genommen, die als wohlbestimmte nachträglich zusammengebracht werden. Man muß sie jedoch erst einmal für sich behandeln. Entgegen häufiger Behauptungen ist es durchaus kein Widerspruch resp. keine Verwirrung, wenn Kant darstellt, daß die beiden streng voneinander zu unterscheidenden Erkenntnisvermögen nur in Einheit Erkenntnisse ermöglichen. Vereinigen kann man erst, nachdem man unterschieden hat.[18] Zu behaupten, Kant habe sich „mit der strikten Trennung von Anschauung und Begriff“ hilflos gemacht, da hierdurch „empirisches Dasein und reine Idealität des Denkens auseinandergerückt sind“,[19] trifft nicht Kants Konzept.
Natürlich bedarf es eines Prinzips, um etwas ganz Verschiedenes zu vereinigen. Das geschieht (so es prinzipiell möglich ist) vermittels eines bestimmten Analogiebegriffs, demzufolge Analogie nicht als unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern als vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen gefaßt wird.[20]
Wenn uns vermittelst der Sinnlichkeit Gegenstände gegeben werden, so bedeutet das also nicht, daß das, was wir sinnlich wahrnehmem, sehen, hören, schon das ist, was Kant „Anschauung“ nennt. Anschauung allein ist noch keine Erfahrung. Und Erfahrung ist nicht gegeben. Sie ist vielmehr „eine Erkenntnisart, die Verstand erfordert“,[21] mithin ohne Theorie gar nicht möglich. Erfahrung ist durchaus nicht nur – wie unterstellt wird –[22] Erkenntnis von Einzelnen. Der Satz „Der Widerspruch von Denken und Anschauung, von Theorie und Erfahrungsgegebenheit ist dem theoretischen Verhältnis zur Welt wesentlich“[23] widerspricht also Kants Konzept in mehrfacher Hinsicht.
Kants Konzept ist nur richtig zu verstehen, wenn man begreift, daß es auf dem neuzeitlichen Denkprinzip beruht, daß es den neuzeitlichen Umbruch auf den (philosophischen) Begriff gebracht hat. Dieser Umbruch impliziert, daß das Ding, das Element oder der Gegenstand nicht als bestimmt vorgegeben genommen, sondern als durch die Bewegung, durch den Vorgang oder das Verhalten, durch die Methode erzeugt wird.[24]
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß die Naturwissenschaft erst auf der Basis dieses Denkprinzip möglich wurde. Ihre Objekte sind keine Dinge, Gegenstand der Naturwissenschaft ist auch nicht die Beziehung oder die Bewegung von Dingen, sondern die Bewegung selbst, die Bewegung als Verhalten, die Bewegung unter einem jeweils bestimmten Aspekt (auch physikalische, chemische, biologische usw. Bewegung genannt).
Erst durch das neuzeitliche Denkprinzip, wonach nicht das Sein das Verhalten, sondern das Verhalten das Sein bestimmt,[25] konnte der Gegenstand so gedacht werden. Cassirer charakterisiert diesen Denkumbruch (nicht ganz unproblematisch) so, daß der Begriff des Gegenstandes durch das Problem der Erkenntnisart ersetzt wird, in der allein Objektivität erreicht und begründet werden kann.[26]
Kants Revolution der Denkart nimmt den Ausgang nicht vom Gegenstand, sondern von einer spezifischen Gesetzlichkeit der Erkenntnis, auf die eine bestimmte Form von Gegenständlichkeit (sei sie theoretischer oder ethischer oder ästhetischer Art) zurückgeführt werden soll. Hierbei ist die Relation nichts Vermitteltes und Nachträgliches, was zu dem anschaulichen „Bestand“ hinzutritt, sondern sie bildet eine konstitutive Bedingung dieses Bestandes selbst. Und damit erst ist endgültig bezeichnet, in welchem Sinne der frühere, dogmatisch-objektive Weg der alten Ontologie verlassen und dennoch der Begriff der Metaphysik festgehalten und in der Richtung auf das Subjektive vertieft wird, bzw. erst dadurch wird verständlich, warum Kant sagt, daß die Metaphysik nichts erfinden könne, genauer, daß sie dies in Ansehung des Subjekts zwar könne, nicht aber des Objekts.[27] Befreit von den Schranken des dogmatischen Dingbegriffs braucht nunmehr die Metaphysik kein Wissen von den absoluten Dingen mehr zu sein, von Dingen, die als schlechthin Äußere jenseits des Geistes bestehen, sondern ihr eigentliches Ziel liegt in dem vollständigen Begriff von der Organisation des Geistes selbst.[28]
An diese Konzeption knüpft dann Hegel an und konzipiert das Objekt als nichts anderes denn als den Ausdruck und die Zusammenfassung von Gesetzen, die das Wesen des Geistes selbst und seiner Funktionen ausmachen.
Der Sachverhalt, daß die einander gegenübergestellten Begriffe resp. Etwase als Momente zu nehmen, nicht als Festbestimmte vor der Untersuchung ihrer Gegenseitigkeit, ihres Gegeneinander, anzusehen sind, bedingt, daß Naturwissenschaft nicht Empirismus ist (demzufolge die mit dem Alltagsbewußtsein identifizierten Gegenstände als an sich existent unterstellt werden). Er ermöglicht zudem, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse mittels der mathematischen Sprache zu formulieren oder – wie auch gesagt wird – das Substanzdenken durch das Funktionsdenken zu ersetzen, wobei die „Etwase“, deren gegenseitige Bestimmung durch das Gleichungssystem dargestellt wird, eben keine Dinge sind, sondern physikalische Meßgrößen, mithin Kunstprodukte. Und Kunstprodukte sind Ausdruck der jeweiligen Zivilisation, sie sind als Kulturerzeugnisse Geistesprodukte, keineswegs reine Natur.
Hegels ständige Rede davon, Entgegengesetztes als Momente zu erkennen, entspricht seiner These, derzufolge es die Aufgabe der Philosophie sei, festgewordene Gegensätze aufzuheben, in eine höhere Einheit zusammenzuführen.[29] Die Einheit ist aber nicht gemeint als Sieg des einen Pols über den anderen, sondern die Einheit ist etwas qualitativ Neues, eine echte Vereinigung. Eine solche Einheit kann man aber nicht denken, wenn man z.B. das Verhältnis des Menschen zur Natur als Naturverhältnis bestimmt (und so auch Arbeit als Naturverhältnis betrachtet).[30]
Die benannte neuzeitliche Denkweise hat die Philosophie der Naturwissenschaft abgelauscht. Der Physiker Newton erkannte als Erster, daß manches, daß die Gravitation, nur als ein Gegeneinander gefaßt werden kann, nur als ein irreduzibles Verhältnis.[31] Und Hegel hat dies – auf der Grundlage der von Kant mit explizitem Bezug auf die Newtonsche Mechanik gewonnenen Erkenntnisse – als Esrster explizit ausgesprochen.
Doch nicht nur historisch, sondern auch systematisch ist die Naturwissenschaft auf dem Weg zur Philosophie eine notwendige Stufe. Der Gedanke muß den Weg über die für die Einzelwissenschaft erforderliche Fassung der Welt unter der Form des Objekts genommen haben, um die der Philosophie notwendige Subjekt-Objekt-Einheit denken zu können. Dabei ist die natur- resp. einzelwissenschaftliche Weltfassung nicht mit dem Alltagsdenken, dem gewöhnlichen Bewußtsein, gleichzusetzen.
Kants Anschauungsbegriff ist maßgeblich mit der Erkenntnis verbunden, daß der Mensch mittellos nicht erkennen kann. Der Empirismus subsumiert das Erkenntnismittel unter das Erkenntnisobjekt, der Rationalismus unter das Erkenntnissubjekt. Mittel müssen also schon da sein (auch wenn sie vom Menschen selbst produziert sind), als existent unterstellt werden. Das, was „Anschauung“ genannt wird, ist daher in seiner Funktion zu untersuchen, weder in seiner ontogenetischen noch in seiner phylogenetischen Herkunft. Diese funktionale Bestimmung ist der Kern des Begriffs Apriorität.[32]
Die Materie der Erkenntnis kann nicht gedichtet werden, heißt: Das Sein, das Worüber kann nicht abgeleitet werden; es ist – im Sinne des X einer Gleichung – gegeben. Die Situation, in der der Fragende steht, ist ihm vorgegeben, es ist der der Erkenntnis inhärente Logos.[33] Man fragt nie als unbedingtes Wesen, das Erkenntnissubjekt ist keine tabula rasa. Von der Frage aber hängt die Antwort ab. Oder anders gesagt: Die Frage grenzt die Antwort schon ein. Deshalb kann die Weltbetrachtung niemals die Ansichbeschaffenheit der Welt wiedergeben, kann Objektivität nicht absolute Subjektunabhängigkeit bedeuten, und so wird es ein großes Problem, eine Wissenschaft ermöglichende Objektivität zu bestimmen. Eine Identität von Objektivität und Ansich-sein der Welt ist nicht möglich.
Aufgrund dieser unabweislichen Tatsache kann seit Kants erkenntnistheoretischer Wende von einer reinen, einer von der Gnoseologie unabhängigen Ontologie keine Rede mehr sein. Oftmals wird ein solcher Standpunkt als Materialismusverlust angesehen. Doch wieso ist es idealistisch die Bedingtheit des Subjekts mitzudenken bzw. Objektivität nicht mehr als festgewordenen Gegensatz zu Subjektivität zu fassen? Und wieso gilt es als materialistisch, die Welt (genauer: die Subjekt-Objekt-Einheit) als Gesamtheit von an sich vorhandenen Gegenständen, von Dingen anzusehen? (Wegen dieses Grundsatzproblems wurde Kants Konzept hier relativ ausführlich dargelegt.)[34]
Wie kann unter diesen Bedingungen Objektivität erreicht werden? Man kann nur mit Kant antworten: indem man allgemeingültige und notwendige Zusammenhänge aufweist. Und dies gelang eben durch den Nachweis, daß Erfahrung nur möglich ist, werden Sinnlichkeit und Verstand als nicht aufeinander zurückführbare oder durcheinander ersetzbare Erkenntnisvermögen, die beide zur Erkenntnis unabdingbar sind, bestimmt. Nur so ist Erfahrung möglich. Erkannt zu haben, daß es eine Frage ist: Wie ist Erfahrung möglich?, ist das Verdienst Kants – ein Verdienst, das in dem hier näher betrachteten Buch nicht gesehen wird, nicht gesehen wird, weil Kants Frage nicht als Problem erkannt wird.
Kant hatte begriffen, daß die (neuzeitliche) Naturwissenschaft sich nur dadurch entwickeln konnte, daß sie sich de facto (keineswegs explizit) genau diese Frage gestellt und sie (mit der Erfindung der experimentellen Methode) beantwortet hatte.
Problematik und Notwendigkeit der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung bleiben unerkannt, wenn man schreibt: „Was wir als Welt erfahren, wird durch die Gegenstände im Medium der Reflexion entworfen, und das Denken verfolgt seinen Weg entlang der ihm erscheinenden Reflexionsgehalte, denn diese sind es, die ihm die Realität von Welt vermitteln.“[35]
Inwiefern erfahren wir die Welt? Wieso entwerfen Gegenstände etwas? Was ist das Medium der Reflexion? Auf der Grundlage welcher Bedingungen erscheinen dem Denken seine „Reflexionsgehalte“? Wieso vermittelt Reflexion Realität? Oder was ist gemeint mit Realität?
Es wird hier die Natur als allgemeines Widerspiegelungssystem unterstellt. Wenn man weiß, daß sie ein solches ist, bedarf es natürlich keines Subjekts. Aber: Woher weiß man es? Wurde die Wissenschaft als Schikane erfunden? Marx hielt sie für erforderlich, weil die Erscheinungsform und das Wesen nicht unmittelbar zusammenfallen.[36] Die Wissenschaft ist dann die List, durch die es gelingt, der hieraus entspringenden Schwierigkeiten Herr zu werden.
Wissenschaftliche Erfahrung und dialektische Spekulation oder Einzelwissenschaft und Welt als Ganzes
Aus der hier knapp skizzierten Erkenntnisgrundlage ergibt sich, daß das absolute Ganze uns nie gegeben, sondern stets aufgegeben ist, daß die Gesamtheit aller möglichen Erfahrung niemals Gegenstand wirklicher Erfahrung sein kann.[37] Der Gesamtheit aller möglichen Erfahrung entspricht keine Anschauung im Kantschen Sinne.
Davon auszugehen, daß alles mit allem verbunden ist,[38] ist kein hinreichendes Prinzip der Konstruktion des Ganzen. Hiernach wäre ja jede Verbindung zulässig.
Meint man, vor der wissenschaftlichen Erfahrung etwas über die Welt als Ganzes sagen zu können, so gibt man zumeist – wie seinerzeit die französische Aufklärung das Newtonsche Gravitationsgesetz – ein einzelwissenschaftliches Gesetz (wenn nicht gar seine persönliche Alltagsvorstellung) als Weltgesetz aus. Und dies ist Mechanizismus in dem Sinne, daß man überhaupt nicht fragt, auf welchen kategorialen und sonstigen Voraussetzungen die Wissenschaft, die dieses Gesetz begründet hat, überhaupt beruht. Begriff und Wirklichkeit werden so letztlich identifiziert, Naturwissenschaft mit Empirismus gleichgesetzt, ebenso wie die Gegenstände der Naturwissenschaft mit den Naturgegenständen. Es wird etwas, was einer spezifischen Wissenschaft entstammt, einer Wissenschaft, die die Welt unter der Form des Objekts fassen muß, ausgedehnt auf die Welt als Ganzes. Somit wird das Ganze als Objekt gefaßt. Dies mag auf den ersten Blick wie die höchstmögliche Form von Objektivität aussehen. Aber es ist eine Auffassung, in die eine gewaltige Voraussetzung eingeht. Es wird etwas als die Darstellung des Ganzen, das ja eine Subjekt-Objekt-Einheit sein muß, ausgegeben, zu dem man gelangt war, indem man eine Theorie, die die Welt unter der Form des Objekts fassen muß, unreflektiert extrapolierte.
Macht man diese unlautere Voraussetzung nicht, gelangt man zum Kantschen Standpunkt: Erst die apriorischen oder die allgemeinen Naturgesetze machen die Natur möglich, weil sie sie als Ganzes, als Zusammenhängendes zu denken gestatten. Oder: „Natur ist das innere principium causale nach beständigen Gesetzen.“[39] „Wir nennen Natur das object möglicher Erfahrung. Also geht alle unsere Erkenntnis a priori doch nur auf Natur. – Grundlage des Verstandes sind Regeln a priori, welche die Bedingungen der synthetischen Einheit möglicher Erfahrung enthalten.“[40]
Wenn Natur gefaßt wird als Objekt als solches, dann kann es zwangsläufig nicht mit Welt gleichgesetzt werden (es sei denn, man braucht das Subjekt überhaupt nicht; welches Selbstverständnis hat man dann aber?).
Kants Begriff „allgemeine Naturgesetze“ ist identisch mit Natur überhaupt resp. Objekt als solches. Allgemeine Naturgesetze sind für Kant das, was Natur denkbar macht, den Begriff Natur (die ein System, ein Ganzes sein muß) fassen läßt. Daß man Natur denken können muß, ist der heutigen Auffassung nicht geläufig. Doch gab es zunächst nicht einmal ein Wort dafür.[41]
Natur gibt es nur als Gegenpol zu Mensch (genommen als Gattung). Daher kann Natur nicht das Ganze sein, die Arbeit nicht ein spezifischer Fall der Naturdialektik.[42] (Natürlich hat beides miteinander zu tun, aber man kann Arbeit nicht darauf reduzieren, ihr Wesen so nicht erfassen.) Das Ganze im philosophischen Sinne muß stets als Subjekt-Objekt-Einheit begriffen werden (und Einheit bedeutet – wie gesagt – nicht, daß die eine Seite des Verhältnisses die andere übergreift).
Was Natur ist, ist also nicht evident. Was für uns selbstverständlich ist, ist es nicht an sich.
Der Begriff Natur bildete sich heraus, als sich der Mensch von seiner Außenwelt abhob und sich dessen auch bewußt wurde. Er erreichte diese Stufe mit dem Niedergang der urgesellschaftlichen Naturalwirtschaft. Die Beziehungen zwischen den Menschen, die auf der Produktion von reinen Gebrauchswerten beruhten und durch übersichtliche persönliche Verwandtschaftsbande geregelt wurden, verschwanden. An ihre Stelle traten neue, durch die aufkommende Warenproduktion geschaffene Bindungen. Charakteristisch wurden jetzt Beziehungen, die die Menschen als Warenbesitzer über den Markt (also nicht über natürliche Verwandtschaftsbande) zusammenführten.[43] Den Menschen jener Zeit wurde so bewußt, daß sie etwas anderes sind als reine Naturdinge, aber auch, daß es das Handeln bestimmende unbeeinflußbare Gesetze gibt, die die Einzelwesen und Einzeldinge miteinander verknüpfen. Beide Aspekte meinten sie, wenn sie Natur dachten. Die Geburtsstunde dieses Begriffs ist identisch mit der der Philosophie und der Naturtheorie.[44]
Allerdings bedurfte es noch tiefgreifender Änderungen im Denken des Verhältnisses Natur – Mensch – Gott (resp. Unendliches, Übersinnliches), um zu einem Naturbegriff zu gelangen, der als Basis einer Naturwissenschaft im heutigen Verständnis des Wortes geeignet war. Die Sinnwandlung des Begriffs „Natur“ muß in seinen verschiedenen Etappen von der Antike über das Mittelalter zur Neuzeit bis zur Gegenwart verfolgt werden, um zu verstehen, was Naturwissenschaft ist.
Es wäre beispielsweise notwendig, die Entwicklung des Naturbegriffs von Galileis „Buch der Natur“ zu Marxens Konzept, wonach die Industrie das wirkliche geschichtliche Verhältnis der Natur und so der Naturwissenschaft zum Menschen, mithin die Industrie das aufgeschlagene Buch der menschlichen Wesenskräfte[45] ist, in ihrem erkenntnistheoretischen und sozialen Gehalt zu analysieren, einschließlich ihrer heutigen Rezeption.
Bekanntlich knüpft dieses Marxsche Konzept an Hegel an, demzufolge das Werkzeug den Übergang von den tierischen zu den menschlichen Bedürfnissen erklärt,[46] von der Gestalt des Verhältnisses Individuum – Gattung im Tierreich zu der in der „Welt des Geistes“.[47] Die Vermittlung durch das Werkzeug erhob den Menschen über die Natur, indem sie den unmittelbaren Kreis der Wechselwirkung unterbrach, die den tierischen Organismus mit seiner Umwelt verbindet. Der Mensch schiebt zwischen seine Begierde und die Dinge das Werkzeug. Er ist dadurch nicht mehr unmittelbar durch seine Begierde beherrscht. [48]
Aufgrund seines Werkzeugkonzepts konnte Hegel sagen: „Darum macht der Mensch Werkzeuge, weil er vernünftig ist.“[49] Oder: Wegen der Vernünftigkeit des Werkzeugs steht es als die Mitte höher sowohl als das Arbeiten, als auch als das bearbeitete Objekt oder der Zweck. Für Hegel gab es also keineswegs Natur an sich.
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Manchen ist Erkenntnis kein Problem, ebenso wenig wie der Begriff alles. Hiergegen sind im Grunde genommen alle Argumente wirkungslos. So Denkende sind sich selbst genug. Dennoch sei ihnen mit Hegel und Lenin entgegnet: „Was die Schwierigkeit macht ist immer das Denken, weil es die in der Wirklichkeit verknüpften Momente eines Gegenstandes in ihrer Unterscheidung auseinanderhält.“ Das Denken hat – so fährt Hegel fort – „den Sündenfall hervorgebracht, indem der Mensch vom Baume der Erkenntnis des Guten und des Bösen gegessen, es heilt aber auch diesen Schaden.“[50] Das heißt, daß wir die Bewegung, die bewegte Welt, nicht vorstellen, ausdrücken, ausmessen, abbilden können, ohne das Kontinuierliche zu unterbrechen, ohne zu versimpeln, zu vergröbern, ohne das Lebendige zu zerstückeln, abzutöten. Bei der Lektüre dieser Hegel-Passage bemerkt Lenin: „Die Abbildung der Bewegung durch das Denken ist immer eine Vergröberung, ein Abtöten – und nicht nur die Abbildung durch das Denken, sondern auch durch die Empfindung, und nicht nur die Abbildung der Bewegung, sondern auch die jeden Begriffs.“ Und darin liegt seines Erachtens die Aufgabe der Dialektik, die sich durch die Forderung ausdrückt: Einheit, Identität der Gegensätze.[51] Das Wesen der Dialektik besteht hiernach darin, die durch die Eigenart des Denkens und Empfindens bedingte Auseinanderlegung der Momente aufzuheben, sie zu ihrer Einheit zusammenzudenken. (Hierbei darf man natürlich nicht vergessen, daß auch dialektisches Denken Denken ist.) Die Einsicht in diesen – nicht liquidierbaren – Sachverhalt muß jeder Weltbetrachtung zugrunde gelegt werden.
Zu dem anderen Aspekt: Was Alles ist, weiß man nur, weil man es selbst hineingelegt hat, wenn es sich um Artefakte, also um mathematische Objekte bzw. Entitäten einer einzelwissenschaftlichen Theorie handelt bzw. um die spekulative Entwicklung der Gesamtheit (wobei eben nur die Gesamtheit der Prinzipien entwickelt werden kann). Der Nachweis des Alles in letzterem Falle erfordert einen bewiesenen, nicht nur behaupteten, Monismus.
Der Naturwissenschaft nun ist ein bestimmtes Auseinanderlegen inhärent, besser gesagt: eine bestimmte Verteilung der Momente. Diese ist notwendig, sonst wäre die Bewegung nicht faßbar. Eine Prüfung, ob die gewählte Verteilung „richtig“ ist oder nicht, kann nicht per philosophischem Vor-Urteil geschehen, sondern nur daran gemessen werden, ob es z.B. gelingt, die Keplerschen Planetengesetze und die irdische Mechanik Galileis in einer einheitlichen Theorie zu vereinigen.
Dialektik so verstanden hat zur Konsequenz, daß die Wissenschaft zum Gegenstand der Philosophie wird. Den „Gegenstand der Philosophie bildet demgemäß nicht die ‚Organisation’ der Natur noch die der ‚Psyche’, sondern was sie zunächst allein zu bestimmen und aufzudecken hat, ist die ‘Organisation’ der Naturerkenntnis“.[52]
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Wenn es um den Gesamtzusammenhang geht, muß zweierlei unterschieden werden: Und so kommt man wieder auf den Begriff des Gegebenen. Gegen die These, daß die Gesamtheit aller möglichen Erfahrung niemals Gegenstand wirklicher Erfahrung ist, gibt es das Argument, daß das Gegebene ja immer schon das Gegebene eines Gesamtzusammenhangs ist, wir das Ganze nicht erst basteln müssen, sondern uns nur eines je bestimmt zugrundeliegenden Ganzen philosophisch innewerden müssen. Dies ist wohl wahr. Aber das Innewerden ist echte Arbeit, erfordert mithin Kreativität, nicht nur Widerspiegelung. Daß wir und das, was uns „gegeben“ ist, stets in einem Gesamtzusammenhang stehen, aus dem wir gar nicht herauskönnen, heißt nicht, daß wir ihn stets schon erkannt haben, er uns im Sinne von „allseitig bestimmt“, „uns voll bewußt“ gegeben ist. Es ist gerade unsere Arbeit, diesen vorhandenen Gesamtzusammenhang zu erkennen. Erfinden oder dichten dürfen wir ihn nicht.
Manche glauben allerdings, im Besitz dieses Gesamtzusammenhangs zu sein, doch sie können sich nicht auf Hegel berufen. Wenn Hegel das Absolute nicht als ein Jenseitiges begreift,[53] (es insofern mitunter so aufgefaßt wird, daß es ganz gegenwärtig sei), dann ist das genau in dem genannten Sinne gemeint, daß der Gesamtzusammenhang an sich vorhanden ist. Hegel setzt ja nicht auf Offenbarung (wenn er auch an manchen Stellen, um sein System vollenden zu können, mit nicht gerechtfertigten Argumenten agiert).
Diejenigen, die zwischen objektiver Bestimmtheit und deren mühsamer, erfindungsreicher Erkenntnis nicht zu unterscheiden vermögen, verwechseln Materialismus mit Ontologismus, und letzterem ist stets ein mechanizistisches Konzept inhärent, das seinerseits auf einer antiquierten (vor-neuzeitlichen) Vorgehensweise beruht – sich z.B. ausdrückend in der Auffassung, erst seien die Gegenstände, welche den Inhalt unserer Vorstellungen bilden, und dann hinterdrein komme unsere subjektive Tätigkeit, welche durch die Operation des Abstrahierens und des Zusammenfassens des den Gegenständen Gemeinschaftlichen die Begriffe derselben bilde. Hiergegen polemisiert Hegel: „Der Begriff ist vielmehr das wahrhaft Erste, und die Dinge sind das, was sie sind, durch die Tätigkeit des ihnen innewohnenden und ihnen sich offenbarenden Begriffs. In unserem religiösen Bewußtsein kommt dies so vor, daß wir sagen, Gott habe die Welt aus dem Nichts erschaffen.“ [54]
Den Begriff, den Hegel hier als das Erste bestimmt, nennt er auch das Ansich. Dies aber ist ein anderer Begriff als Kants Ansich. Und deshalb kann man letzteren nicht mit dem Hegelschen gleichsetzen bzw. das, was Hegel über sein Ansich sagt, ohne weiteres zur Widerlegung des Kantschen Ansich benutzen. Man muß zunächst die beiden Begriffe analysieren und darf nie außer acht lassen, daß Hegel bei aller – mitunter auch unfairen – Kant-Kritik mit seiner Philosophie auf Kants erkenntnistheoretischer Wende beruht.
Ebenso unzulässig ist es, Hegels Standpunkt, daß das Wahre das Ganze sei,[55] als Rechtfertigung für die einseitige und voreilige Orientierung auf den Gesamtzusammenhang zu nehmen. Denn Hegel entwickelt das Ganze in seinen verschiedenen Stufen; er prüft jede vorgängige Stufe des Bewußtseins.
Der Glaube, man wisse vor der einzelwissenschaftlichen Forschung und der Erkundung ihres epistemologischen Status etwas über den Gesamtzusammenhang und benötige die einzelwissenschaftlichen Ergebnisse nur, um diesen vorgestrickten Zusammenhang zu interpretieren,[56] gründet in einem seltsamen Selbstverständnis (was ich habe, habe ich von Natur; meine Fähigkeiten sind nicht erworben – durch die vorangegangene Arbeit der Gattung Mensch –, sondern ich habe sie an sich).
Zudem beruht dieser Glaube auf einem erkenntnistheoretischen Fehler, der Auffassung, Termini könnten auch außerhalb einer Theorie als Begriffe genommen werden, man könne z.B. naturwissenschaftliche Begriffe philosophisch gebrauchen, um sie auf die Natur als ganze anwenden zu können (oder z.B. herausfinden, was Trägheit „wirklich“ ist).[57] Dieser Fehler geht einher mit einem anderen, der epistemologischen Gleichsetzung einzelwissenschaftlicher Begriffe mit solchen des gewöhlichen Bewußtseins, des Alltagsverstandes. Die menschliche Erkenntnisfähigkeit existiert hiernach an sich, ist keine selbsterworbene Fähigkeit.
Ergebnis der Mißachtung der Naturwissenschaft bzw. der Versuch, den Gesamtzusammenhang zu konstruieren, ohne den epistemologischen Status der Natur- resp. Einzelwissenschaft untersucht zu haben, führt den Autor zu dem Schluß, daß der Philosophie stets ein gewisser Eklektizismus eigen sei (was Originalität nicht ausschließe).[58]
Nun ist durchaus jedes Phantasiebild kreativ oder auch originell, aber es geht hier um die Wahrheit. Nach Hegel muß die Philosophie die Wahrheit finden.
Newton und Einstein
Da die epistemologische Verfaßtheit der Einzelwissenschaften verfehlt wird, ergibt sich ein völlig falsches Bild der naturwissenschaftlichen Entwicklung. Das zeigt sich z.B. in dem vermeintlichen Verhältnis von Newton und Einstein. Dieses vorgebliche Verhältnis ist durch nichts belegt als durch die eigene Phantasie. Der über das Verhältnis von Newton und Einstein behauptete Unterschied zwischen äußerer und innerer Weltbetrachtung[59] ist schlichtweg falsch.[60] Zudem trifft es nicht zu, daß die Bestimmung des Raumes als Sensorium Gottes ein inhärenter Bestandteil der Newtonschen Mechanik sei. Zum einen hat er das so nicht gesagt (wie sollte auch der physikalische Begriff von Gott aussehen?), zum anderen wurde diese landläufige Auffassung in der Literatur schon mehrfach widerlegt.[61] Wegen der hier entstandenen großen Verwirrung sei der wahre Sachverhalt knapp skizziert.
Die Eigenheiten der Naturwissenschaft erkennend und akzeptierend zeigt sich, daß jede physikalische Theorie auf einem Relativitätsprinzip beruht – so die Newtonsche Mechanik auf dem Galileischen, wonach in geradlinig gleichförmig zueinander bewegten Bezugssystemen (die Inertialsysteme sind) die gleichen mechanischen Gesetze gelten. In der Speziellen Relativitätstheorie gilt dann dieses Prinzip nicht nur für die mechanischen, sondern für alle physikalischen Gesetze. Es hat dies nichts mit Widerspiegelung zu tun, sondern damit, daß ohne derartige Relativitätsprinzipien Physik gar nicht möglich wäre.
Jede Naturwissenschaft muß die Welt unter der Form des Objekts betrachten.[62] Wenn die Philosophie dies tut, wird es Mechanizismus, aber die Naturwissenschaft muß diese Betrachtungsweise zugrunde legen – auch im Interesse der Philosophie. Denn nur wenn man die Welt unter der Form des Objekts betrachtet hat, kann man hernach die Welt als Subjekt-Objekt Einheit denken.
Die neuzeitliche Umkehrung des antiken Grundsatzes bedingt auch ein anderes Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinen sowie von Subjektivität und Objektivität. Der neuzeitliche Begriff der Objektivität ermöglicht ein Verallgemeinerungsverfahren, das zuvor als subjektive Willkür aufgefaßt worden wäre, nun aber einen Begriff Allgemeines bestimmt, der sich von dem auf dem antiken Gattung-Art-Verhältnis beruhenden grundlegend unterscheidet.[63] So wird ein in der Entwicklung der Physik entstehender Widerstreit zu einem Postulat verwandelt, wonach beide Seiten gelten sollen, und man dann sehen muß, was an der bisherigen physikalischen Begrifflichkeit zu ändern ist, damit beide Seiten möglich sind – gemäß der Goetheschen Devise „Die größte Kunst im Lehr- und Weltleben besteht darin, das Problem in ein Postulat zu verwandeln, damit kommt man durch.“[64]
Dies ist der Weg gewesen, den Einstein de facto in seiner für die Begründung der Speziellen Relativitätstheorie ausschlaggebenden Arbeit gegangen ist. Zunächst wurde angenommen, daß dem Begriffe der absoluten Ruhe nicht nur in der Mechanik, sondern auch in der Elektrodynamik keine Eigenschaften der Phänomene entsprechen, sondern daß vielmehr für alle Koordinatensysteme, für welche die mechanischen Gleichungen gelten, auch die gleichen elektrodynamischen und optischen Gesetze gelten. Diese Vermutung wurde dann zur Voraussetzung erhoben.
Hieraus ergab sich allerdings – wie schon erwähnt – die Notwendigkeit, grundlegende physikalische Begriffe bzw. Denkmittel umzubilden. Es ist dies eine physikalische Arbeit, in deren Verlauf Fragen zu beantworten sind wie: Wie ist diese Umbildung möglich? Wie ist sie mathematisch zu fassen? Sie führt zu der Erkenntnis, daß eine andere Kinematik erforderlich ist, daß die Begriffe Raum und Zeit umgebildet werden müssen. So dies in geeigneter Weise geschieht, ergibt sich eine logisch einwandfreie Theorie. In ihr gilt nun ein Relativitätsprinzip, das das Ganze der physikalischen Erscheinungen umfaßt.
Dieses neue Relativitätsprinzip relativierte nicht die (bisherige) Erkenntnis, sondern objektivierte sie (wie das auch schon das Relativitätsprinzip der Klassischen Mechanik getan hatte). Jedes (physikalische) Relativitätsprinzip ist ein Objektivierungsprinzip, denn es garantiert, daß in unterschiedlichen Bezugssystemen die physikalischen Prozesse denselben (formgleichen) Gesetzen genügen. Das neue Relativitätsprinzip führt zu einer vollkommeneren und tieferen Einheit zwischen den beiden sich ursprünglich widersprechenden physikalischen Theorien, als sie zuvor bestand.[65]
Wie gesagt, war diese Einheit verknüpft mit einer Umbildung der Begriffe Raum und Zeit, einer Umbildung, die man auch „Relativierung“ nennen könnte, wegen der zuvor undenkbaren These von der Relativität der Gleichzeitigkeit. Ein neuer, weiterer Begriff der Einheit wurde begründet,[66] indem die Verabsolutierung (damit ist hier eine absolute Unabhängigkeit oder Unbezogenheit gemeint) der Raum- und Zeit-Begriffe aufgehoben wurde, indem Raum und Zeit nicht als Dinge, sondern als spezifische Ordnungen gefaßt wurden. Von dieser höheren Einheit nun habe der Physiker nicht zu fragen, ob sie ist, sondern nur, wie sie ist. Dies aber hieße zu fragen, was „das Minimum der Voraussetzungen ist, die notwendig und hinreichend sind, eine eindeutige Darstellung der Gesamtheit der Erfahrungen und ihres systematischen Zusammenhangs zu liefern“.[67]
Es bedarf hier allerdings unbedingt der Bemerkung, daß Raum und Zeit auch schon in der Newtonschen Mechanik nicht als Dinge gefaßt worden waren, nur hatte der naive Realismus dies nicht bemerkt. Die Begründung der neuen physikalischen Theorie ermöglichte „nur“, sich des Charakters der physikalischen Begrifflichkeit deutlicher bewußt zu werden.
Wird man sich dieses Entwicklungsganges bewußt, so erkennt man, daß wahrhaft invariant niemals Dinge sind, sondern immer die jeweiligen Grundbeziehungen und funktionalen Abhängigkeiten. Die populäre Auffassung oder das Alltagsbewußtsein deutet dies als Auflösung der Dinge in Relationen, denn es glaubt, am Ding den einzig sicheren Halt aller Objektivität zu haben.[68] Dies trifft nun in keiner Weise den tatsächlichen Sachverhalt. Vielmehr können wahrhaft objektiv nur diejenigen Beziehungen und diejenigen besonderen Größenwerte heißen, die der kritischen Prüfung standhalten – d.h. die sich nicht nur für ein System, sondern für alle Systeme bewähren.
Die Einsicht in den Zusammenhang von Relativitäts- und Objektivierungsprinzipien läßt den erkenntnistheoretischen Status der Naturwissenschaft tiefer als bisher erkennen.[69] Diesem Status ist ein Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinen inhärent, in dem beide nicht gegeneinander verselbständigt sind; das heißt auch, in dem das Allgemeine das Einzelne nicht liquidiert oder zum Unwesentlichen macht. Faßt man das Allgemeine als Ordnung der Elemente,[70] so leuchtet unmittelbar ein, daß das Eine nicht ohne das Andere sein kann, daß Allgemeines und Einzelnes einander bedingen.
Durch das dem neuzeitlichen Denkprinzip inhärente neuartige Verhältnis von Subjektivität und Objektivität wird eingesehen, daß unsere Erkenntnis immer bedingt ist, ohne dies als plumpe Objektbestimmtheit unserer Erkenntnis (Abbildtheorie) zu verstehen oder als willkürliche, die Wirklichkeit verfehlende Subjektivität.
Fazit
Auch wenn behauptet wird, daß das vorgestellte Konzept „nichts mit einer simplen gnoseologischen Abbild-Theorie zu tun“ habe,[71] so leidet es doch an dem Grundmangel der verbal abgelehnten Abbildtheorie. Diese ist keinesfalls ein materialistisches Konzept, sondern sie ist antiquiert.[72] Der von ihr eingenommene Standpunkt ist nur zu vertreten, wenn man etwas fest in der Hand hat. Was sollte das sein? Diese Theorie ermöglicht keinen Monismus, da sie vorgegebene, an sich gegebene, voll bestimmte Dinge unterstellt.
Die Rede von einer Isomorphie, einem Korrelat bzw. einer Äquivalenz von Real- und Begriffsdialektik[73] ist gegenstandslos. In welcher Bedeutung die genannten Termini auch genommen werden, das Konzept erfordert stets zwei (oder mehr) miteinander vergleichbare Ebenen oder Gegenstände. Was sollte das bei einer philosophischen Weltdarstellung, die – wie gesagt – eine Subjekt-Objekt-Einheit sein muß, sein? Man hat nie das Original und wenn, brauchte man weiter nichts.
Was die Reflexion spiegelt, wird nicht diskutiert. Verzerrt die unterstellte Reflexion? Danach wird nicht gefragt. Man begnügt sich damit, daß reflektiert wird. Ein völliges Zerrbild wäre demnach auch hinreichend.
Die Bestimmung des epistemologischen Status und der kategorialen Grundlage der Natur- bzw. Einzelwissenschaft, die für einen Monismus, eine die Wahrheit erfassende Philosophie unabdingbar ist, wird verfehlt.[74] (Damit ist nicht gesagt, daß eine solche Bestimmung hinreichend wäre, sie ist nur notwendig. Es wird auch keiner Vermischung von fachwissenschaftlichen und philosophischen Aussagen das Wort geredet.)
Erhalten bleibt von der Idee der Widerspiegelung der Gedanke, daß die Erfassung des Ganzen kein reiner Rationalismus, keine pure Phantasie sein muß, sondern die Wiedergabe von etwas Wirklichem sein kann. Wir können aber – und das Übersieht die Abbildtheorie – nicht sagen, von welchem Wirklichem, weil wir nur das haben, was unsere Erkenntnis sagt.
Den Sachverhalt, daß die physikalischen Größen eine wirkliche Wirkung erfassen, könnte man notfalls noch als Widerspiegelung deuten. Aber man kann nicht sagen, es sei dies die eine Wirkung dieses oder jenen Dinges, anderenfalls müßten wir alle Wirkungen dieses wirklichen Dinges kennen, was – wie gesagt – nur bei einem Kunstobjekt möglich ist.
Überschreiten können wir diese Schranke nur, wenn wir untersuchen, worauf Naturwissenschaft beruht, und das ist lediglich ein partielles Überschreiten, eine – wie es Nikolaus von Kues formulierte – Anähnelung.
Es gibt – und das ist hier auch zu bedenken – keinen direkten Vergleich der Philosophie mit der „Wirklichkeit“. Zwar kann sich der Geist nur selbst erkennen, wenn er sein Anderes erkundet. Aber die Philosophie kann die Natur nicht unmittelbar untersuchen, sondern dies vermag nur die Naturwissenschaft, die selbst hinwiederum nicht sagen kann, was die Natur ist. Die Philosophie ist beauftragt, die den Einzelwissenschaften notwendige Verteilung der Momente aufzuheben. Aber das kann sie nur, wenn sie weiß, nach welchen Prinzipien in diesen die Momente verteilt wurden.
Detailliert müßte noch sehr viel gesagt werden, doch würde dies wohl den hiesigen Rahmen sprengen.
Im wesentlichen seien nur folgende Punkte genannt:
- Das Verhältnis von formaler und dialektischer Logik wird unzutreffend dargestellt. Die formale Logik macht überhaupt keine Aussagen über die Realität, sondern regelt nur das Verhältnis von Aussagen zueinander. Natürlich war es eine tiefe Einsicht, daß es auch Realentgegensetzungen gibt, aber gerade diese Erkenntnis stammt von Kant. Es ist inadäquat ihm vorzuwerfen,[75] seine Philosophie beruhe auf formaler Logik und sei dadurch beschränkt. (Es trifft auch nicht zu, daß die Philosophie nicht dem logischen Postulat der logischen Widerspruchsfreiheit genügen kann.[76] Sie muß es sogar.)
- Die Etablierung von zwei Großbereichen des Seienden, der Natur und des Geistes resp. der Gesellschaft;[77] macht den Eindruck, als solle das philosophische Grundproblem gar nicht gelöst, als solle die Entzweiung, die nach Hegel der Quell des Bedürfnisses nach Philosophie ist,[78] gar nicht aufgehoben werden.
- Der unterstellte Begriff Materie ist nicht auf der Höhe des marxistischen resp. philosophischen Niveaus. Welcher Begriff Materie bzw. materiell wird angenommen, wenn die Subjekt-Objekt-Relation als materielles Verhältnis bestimmt wird? Was sind „bloß materiell-körperliche Phänomene“, was ist ein „materieller Träger“?[79]
- Dem entsprechend ist auch der Materialismusbegriff nicht sehr wissenschaftlich. Ob ein System ein materialistisches ist oder nicht, wird durch recht äußerliche Kriterien entschieden.[80] Die hiesige Begriffsbestimmung geht notwendigerweise mit dem vermeintlich eklektischen Charakter von Philosophie einher. Es bleibt eine Entscheidung für den Materialismus per Vorurteil. Welchen Wert hat das?
- Wem die Begründung eines materialistischen Systems kein Problem ist, wer eine „natürliche Welteinstellung zugrundelegt“,[81] der sollte nicht Philosophie betreiben.
- Der Begriff Arbeit wird in seiner Bedeutung nicht erkannt.[82] Es wird völlig beiseite gelassen, daß es ohne Arbeit auch kein Denken gibt – ein Zusammenhang, den schon Hegel kannte.[83] Für eine höhere Dialektik bzw. einen höheren Materialismus wäre darüber hinaus zu zeigen, daß das Allgemeine nicht nur – wie behauptet –[84] in der Theorie, sondern auch als Real-Allgemeines ein Dasein hat bzw. daß der Mensch durch die Arbeit auch die Sinnlichkeit ins Allgemeine erhebt. Die zu dieser Thematik vorliegenden Arbeiten[85] werden nicht analysiert und konstruktiv aufgenommen.
- Aufgrund des inadäquaten Arbeitsbegriffs tendiert der Begriff des Subjekts dahin, als Individuum gefaßt zu werden, statt das Subjekt resp. den Menschen als Gattung zu denken. Im Grunde wird das Subjekt nicht gebraucht.
- Das Verhältnis von Einzelwissenschaft und Philosophie resp. Dialektik wird nicht untersucht bzw. falsch bestimmt.[86] Den Gesamtzusammenhang der Einzelwissenschaften[87] kann man nicht durch reine Widerspiegelung erkennen, sondern nur dann, wenn man die philosophischen Grundlagen dieser Wissenschaften analysiert und bestimmt hat.
Wenn z.B. von einem Hervorgehen des Komplizierterem aus dem Einfacheren gesprochen wird, dem in der Natur eine Hierarchie der Bewegungsformen von der einfachen mechanischen Bewegung zur hochkomplizierten gesellschaftlichen Bewegung entspricht, so wird nicht bedacht, daß ohne Mechanik mechanische Bewegung etwas völlig Unbestimmtes, Diffuses ist, daß mechanische Bewegung nichts anderes ist als die in der Mechanik beschriebene Bewegung. Ohne diese Wissenschaft zu analysieren (und die entsprechenden anderen) und deren epistemologischen Status zu bestimmen (bzw. dessen Verzerrung im mechanizistischen Weltbild und der dieser zugrunde liegenden kategorialen Bedingungen), weiß man gar nichts über mechanische (resp. chemische, biologische usw.) Bewegung, gibt es sie nicht.
Es ist auch nicht möglich und wird nicht den Ansprüchen einer materialistischen Spekulation bzw. einer „Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können“, gerecht, eine Dialektik anzulegen, die „von den Konzepten der gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Forschung her interpretierbar wird“.[88] Man kann sie nicht im voraus anlegen und dann nach „Einsatzstellen“[89] suchen. Die Dialektik kann nicht „den Wissenschaften ein System der Kategorien und ein Modell der Relationen vorgeben“.[90]
- Hegels Ansich wird so verwandt, als sei es das Kantsche und Kant so vermeintlich widerlegt: ebenso wird Hegels Begriff Reflexion so benutzt, als sei er eine Fürsprache für die Widerspiegelungstheorie des Autors.
- Als Begriffsbildungsverfahren wird nur die Abstraktion gedacht, auf deren Grundlage nicht einmal die antike Geometrie hätte begründet werden können. Vom Charakter des Begriffsbildungsverfahrens aber hängt wiederum der Charakter des philosophischen Begriffs des Allgemeinen ab.
- Sowohl Kants als auch Hegels Leibniz-Kritik, sowie die mit der Begründung der klassischen Mechanik implizit durch Newton gegebene, werden nicht erwähnt, geschweige denn ernsthaft (und selbstkritisch) untersucht.
- Vorangegangene Arbeiten zum Dialektik- bzw. Materialismuskonzept werden nicht ernsthaft zur Kenntnis genommen, nicht verarbeitet – selbst dann nicht, wenn die Autoren zitiert werden.
[1] I. Kant, Reflexion 278, in: Reflexionen Kants zur Kritik der reinen Vernunft, hg. von B. Erdmann, Bd. II, Leipzig 1884, S. 86.
[2] Vgl. I. Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, in: Immanuel Kant, Werke in 12 Bdn., hg. von W. Weischedel, Frankfurt a.M. 1988, Bd. II, z.B. S. 746-756; ders., Kritik der reinen Vernunft, in: Werke, a.a.O., Bd. III/IV, S. 15, 33, 37.
[3] Vgl. I. Kant, Reflexion 102, in: Reflexionen Kants zur Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 33.
[4] Im folgenden soll der dem Buch von Hans Heinz Holz „Weltentwurf und Reflexion. Versuch einer Grundlegung der Dialektik“ (Stuttgart–Weimar 2005) zugrundegelegte Standpunkt, der die Notwendigkeit dieses Ergebnisses und folglich die Grundlage der nachfolgenden philosophischen Systeme nicht erkennt bzw. akzeptiert, näher betrachtet werden.
[5] I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 97 (B 74).
[6] Vgl. I. Kant, Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat?, in: Werke, a.a.O., Bd. VI, S. 666 f.
[7] I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 166 (A 104), vgl. auch ebd., S. 165-169 (A 104-A 110), 275-285 (B 305-B 315).
[8] Vgl. P. Natorp, Über objective und subjective Begründung der Erkenntnis, Philosophische Monatshefte XXIII (1887), 257-286, insbes. S. 258, 283. Natorp schreibt an den zitierten Stellen: „Betrachten wir Erkenntnis als Aufgabe, analog einer aufzulösenden Gleichung, so ist der Gegenstand das gesuchte, noch nicht bestimmte, durch die Data erst zu bestimmende X. Dieses X ist aber nicht ein schlechthin Unbekanntes; sondern so, wie das X der Gleichung durch die in derselben ausgedrückte bestimmte Beziehung zu den bekannten Grössen selbst in seiner Bedeutung bestimmt ist, so muss in der Gleichung der Erkenntnis, auch vor deren Auflösung, der Gegenstand seiner Bedeutung nach bestimmt sein durch eine bestimmte Beziehung zu den Datis der Erkenntnis. Sonst würde die Aufgabe, den Gegenstand zu erkennen, nicht nur unlösbar, sondern unverständlich sein.“ – „In der That ist vor der Leistung der Erkenntniss etwas gegeben; nämlich die Aufgabe. Man mag auch sagen: der Gegenstand sei gegeben; nämlich als erst zu bestimmender; als ein X, nicht als bekannte Grösse.“ Siehe auch: ders., Kant und die Marburger Schule, Kant-Studien, 17(1912), 193-221, insbes. S. 200. – Ausführlicher zu der seinerzeit geführten Diskussion über Kants Begriff Gegebenes siehe: H.-H. v. Borzeszkowski und R. Wahsner, Erkenntniskritische Betrachtungen zur Physik, Preprint 330 des MPI für Wissenschaftsgeschichte, Berlin 2007.
[9] Vgl. H. Holzhey, Einleitung des Herausgebers, in: Hermann Cohen, Werke, Bd. 6, Hildesheim 2006, S. VII*-XV*.
[10] Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 199 (B 195).
[11] Ebd., S. 270 (B 239).
[12] Es ist daher völlig verfehlt, wenn Bloch (in bester Absicht) Kants Philosophie als nicht antiquiert verteidigen will, indem er sagt, es bestehe die „Hoffnung, daß sich durch die Quantentheorie der ‚Durchstoß zur Anschauung’ anbahnt und die Naturwissenschaft dadurch ihr abstraktes, auf reiner Quantität beruhendes Wesen ablegt und wieder dialektisch wird“.(Vgl. E. Bloch, Subjekt – Objekt. Erläuterungen zu Hegel (erweiterte Ausgabe), in: Ernst Bloch Gesamtausgabe in 16, Bden., Frankfurt a.M. 1977, Bd. 8, S. 207 f.) Die verfehlte Begriffsbestimmung von Anschauung geht einher mit dem unberechtigten Glauben, die Naturwissenschaft beruhe auf reiner Quantität und müsse bzw. könne dialektisiert werden.
[13] Vgl. I. Kant, Welches sind die wirklichen Fortschritte ..., a.a.O., S. 609.
[14] Vgl. hierzu: R. Wahsner, Die Kantsche Synthese von Leibniz und Newton und deren Konsequenzen für den Mechanik-Begriff des deutschen Idealismus, in: Kant und die Berliner Aufklärung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses, hg. von V. Gerhardt, R.-P. Horstmann und R. Schumacher, Berlin–NewYork 2001, Bd. 5, S. 381-391.
[15] I. Kant, Vorlesungen über die Metaphysik (Nachschrift Pölitz), hg. von K.H. Schmidt, Roßwein 1924, S. 166 (PM 278) [Hervorhebung – d.V.].
[16] I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 261 (B 285).; vgl. auch: ders., Vorlesungen über die Metaphysik, a.a.O., S. 162-191 (PM273-304).
[17] Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 165-169 (A 104-A 110), 275-285 (B 305-B 315).
[18] Das heißt nicht: getrennt hat. Trennen und Unterscheiden ist nicht dasselbe.
[19] H.H. Holz, Immanuel Kant – zwischen Transzendentalphilosophie und Dialektik, in: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät 69 (2004), 7-18, S. 12.
[20] Vgl. I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, in: Werke, a.a.O., Bd. V, S. 233 (§ 58).
[21] I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 26 (Vorrede zur zweiten Auflage); siehe auch R. Wahsner, Der Widerstreit von Mechanismus und Organismus. Kant und Hegel im Widerstreit um das neuzeitliche Denkprinzip und den Status der Naturwissenschaft (Schriften zur Wissenschaftsgeschichte, Band XXIII) Hürtgenwald 2006, insbes. S. 30-67.
[22] Vgl. H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 1.
[23] Ebd., S. 5.
[24] Das Verhalten wird hier als objektivierte Form der Methode gefaßt.
[25] Vgl. hierzu die Literatur, zitiert in: H.-H. v. Borzeszkowski und R. Wahsner, Erkenntniskritische Betrachtungen zur Physik, a.a.O., S. 40 (Anmerkung 168); siehe auch R. Wahsner, Naturwissenschaft (Bibliothek dialektischer Grundbegriffe, Heft 1), Bielefeld 2002, insbes. S. 12-15.
[26] Vgl. E. Cassirer, Die Grundprobleme der Kantischen Methodik und ihr Verhältnis zur nachkantischen Spekulation, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 9, Hamburg 2001, S. 201–216.
[27] Vgl. z.B. I. Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral, in: Werke, a.a.O., Bd. II, z.B. S. 746–756; ders., Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 15, 33, 37; ders., Reflexion 91, 102, 278, in: Reflexionen Kants zur Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 30, 33, 85.
[28] Vgl. E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft III, in: derselbe, Gesammelte Werke, Bd. 4, Hamburg 2000, S. 274.
[29] Vgl. G.W.F. Hegel, Differenz des Fichteschen und des Schellingschen Systems der Philosophie, in: Werke in 20 Bden, auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe, Frankfurt a.M. 1986, Bd. 2, S. 21.
[30] Vgl. H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 579, auch 541, 558.
[31] Ausführlicher dazu siehe R. Wahsner und H.-H. v. Borzeszkowski, Einleitung der Herausgeber zu: Voltaire, Elemente der Philosophie Newtons/Verteidigung des Newtonianismus/Die Metaphysik des Neuton, hg, eingeleitet und mit einem Anhang versehen von R. Wahsner und H.-H. v. Borzeszkowski, Berlin 1997, S. 1-75.
[32] Vgl. R. Wahsner, Apriorische Funktion und aposteriorische Herkunft. Hermann von Helmholtz’ Untersuchungen zum Erfahrungsstatus der Geometrie, in: Universalgenie Helmholtz. Rückblick nach 100 Jahren, hg. von L Krüger, Berlin 1994, S. 245-259.
[33] Vgl. R. Wahsner, Der Widerstreit von Mechanismus und Organismus, a.a.O., insbes. S. 60-63.; dies., Von der metaphysikfreien Wissenschaft zur metaphysikfreien Philosophie?, in: Unser Zeitalter – ein postmetaphysisches?, hg. von Karen Gloy, Würzburg 2004, S. 155-173.
[34] Ausführlicher zur Lösung des Erkenntnisproblems bei Kant: E. Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, in: Werke, Hamburg 1999, insbes. Bd. 3, S. 489-638; R. Wahsner, Der Widerstreit von Mechanismus und Organismuss, a.a.O.; H.-H. v. Borzeszkowski und R. Wahsner, Erkenntniskritische Betrachtungen zur Physik, a.a.O.
[35] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. XIII.
[36] Vgl. K. Marx, Das Kapital, Bd. III, MEW, Bd. 25, Berlin 1964, S. 825.
[37] Vgl. z.B. I Kant, Prolegomena, a.a.O., S. 198 (§ 40).
[38] Vgl. H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., z.B. S. 56.
[39] I. Kant, N 5409, in: Kant’s handschriftlicher Nachlaß, hg. von der Preuß. Akad. Wissenschaften, Bd. V, Berlin und Leipzig 1928, S. 175.
[40] I. Kant, N 5600, in: ebd., S. 247.
[41] Vgl. R. Wahsner, Naturwissenschaft, a.a.O., Abschnitt „Der neuzeitliche Umbruch“.
[42] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., z.B. S. 578.
[43] Vgl. z.B. G. Thomson, Die ersten Philosophen, Berlin 1961 (oder: The First Philosophers, London 1955).
[44] Ausführlicher dazu: R. Wahsner, Naturwissenschaft, a.a.O.
[45] Vgl. K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: MEW, Ergänzungsband. Erster Teil, Berlin 1968, S. 542 f.
[46] Neueren Forschungen zufolge kann man den Unterschied zwischen Mensch und Tier nicht auf die schlichte These „Der Mensch gebraucht Werkzeuge, das Tier nicht“ reduzieren. (Vgl. dazu: K. Holzkamp, Sinnliche Erkenntnis. Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung, Frankfurt a.M. 1973, S. 105-158; P. Beurton, Biologische Evolution und Subjekt-Objekt-Dialektik, in: Dt. Zs. für Philosophie 27 (1979), 558-570; ders., Werkzeugproduktion im Tierreich und menschliche Werkzeugproduktion, in: Dt. Zs. für Philosophie 38 (1990), 1168-1182.) Dennoch treffen Hegels Ausführungen im Kern zu. Es wäre allerdings nötig, Hegels Werkzeugkonzept vom Standpunkt dieser Forschungsergebnisse ausführlicher zu betrachten.
[47] Zu dieser Problematik siehe auch: G.W.F. Hegel, Jenaer Systementwürfe I. Das System der spekulativen Philosophie, Hamburg 1986, S. 208-232; ders., Jenaer Systementwürfe III. Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, Hamburg 1987, S. 171-231.
[48] Vgl. dazu auch: R. Wahsner, Der Widerstreit von Mechanismus und Organismus, a.a.O., insbes. S. 159-173.
[49] G.W.F. Hegel, Jenaer Systementwürfe III, a.a.O., S. 189; vgl. auch: ders., Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, in: Werke, a.a.O., Bd. 6., S. 448; ders., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). Erster Teil. Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen,, in: Werke, a.a.O., Bd. 8, S. 363 (206).
[50] G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I, in: Werke, a.a.O., Bd. 18, S. 314.
[51] W. I. Lenin, Konspekte zu Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, in: Werke, Bd. 38, Berlin 1964, S. 246 [Hervorhebung – d.V.].
[52] E. Cassirer, Hermann Cohen und die Erneuerung der Kantischen Philosophie, Kant-Studien 17 (1912), 252-273, insbes. S. 257.
[53] Vgl. G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Zweiter Teil, in: Werke, Bd. 6, S. 187-200.
[54] G.W.F. Hegel, Enzyklopädie I, a.a.O., S. 313 (§ 163 Z).
[55] G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Werke, a.a.O., Bd. 3, S. 24.
[56] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., z.B. S. 547.
[57] Vgl. z.B. H.F. Fulda, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, München 2003, S. 143.
[58] Vgl. H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 23.
[59] Ebd., S. 574, 563-579.
[60] Auf der behaupteten Basis hätte niemals eine physikalische Theorie begründet werden können. Und die Newtonsche Mechanik war nicht nur, sondern ist bis heute eine der erfolgreichsten und am gründlichsten bestätigten naturwissenschaftlichen Theorien – trotz ihrer inzwischen erkannten Grenzen.
[61] Vgl. Voltaire, Elemente der Philosophie Newtons/Verteidigung des Newtonianismus/Die Metaphysik des Neuton, a.a.O., S. 360-363 (Anmerkung 12).
[62] Vgl. u.a. E. Schrödinger, Die Natur und die Griechen, Wien 1955; ders., Die Besonderheit des Weltbildes der Naturwissenschaft, in: ders., in. Gesammelte Abhandlungen, Wien 1984, Bd. IV, S. 409-453; siehe auch R. Wahsner, Naturwissenschaft, a.a.O.
[63] Vgl. hierzu und zu den folgenden Absätzen: H.-H. v. Borzeszkowski und R. Wahsner, Erkenntniskritische Betrachtungen zur Physik, a.a.O.
[64] Zitiert bei Cassirer, Zur Einsteinschen Relativitätstheorie, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 10, Hamburg 2001, S. 24 f.
[65] Vgl. ebd., S. 27.
[66] Vgl. ebd., S. 29.
[67] Ebd., S. 28.
[68] Diese Gefahr – das sei hier bemerkt – ist stets gegenwärtig, denn es ist nicht nur der Übergang vom antiken zum neuzeitlichen Denken zu vollziehen, sondern auch der vom Alltags- zum wissenschaftlichen Denken – ein Übergang, den es allerdings auch innerhalb des antiken Denkens gab.
[69] Vgl. P. Natorp, Ueber objective und subjective Begründung der Erkenntnis, a.a.O., S. 272 ff.
[70] Vgl. E. Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, in: Werke, Bd. 6, Hamburg 2000, S. (oder Darmstadt 1994, S. 298).
[71] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 189 f.
[72] Vgl. E. Cassirer, Erkenntnistheorie nebst Grenzfragen der Logik. in: Werke, Bd. 9, Hamburg 2001, S. 144-151; ders., Philosophie der symbolischen Formen, Dritter Teil, Darmstadt 1994, S. 41-52; R. Mocek, Vom Anspruch der Bewahrung. Anmerkungen zu Hans Heinz Holz, UTOPIE kreativ, H. 103/104, 1999, 154-164.
[73] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 176.
[74] Vgl. ebd., insbes. S. 523-606.
[75] Vgl. ebd., S. 13 f., siehe z.B. auch 53, 175 f.
[76] Vgl. ebd., S. 2-5, 437 f.
[77] Vgl. ebd.,. z. B. S. 531.
[78] Vgl.: G. W. F. Hegel, Differenz des Fichteschen und des Schellingschen Systems der Philosophie, a.a.O., S. 20.
[79] Vgl. H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 17, siehe auch 535-538.
[80] Vgl. z.B. ebd., S. 6 f, 15.
[81] Vgl. z.B. ebd., S. 182, 262.
[82] H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 18.
[83] Vgl. z.B. G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Bd. II, in: Werke, a.a.O., Bd. 17, S. 259.
[84] Vgl. z.B. H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., S. 1.
[85] Vgl. z.B. K. Holzkamp, Sinnliche Erkenntnis, a.a.O., insbes. S. 105-158; P. Ruben und C. Warnke, Telosrealisation oder Selbsterzeugung der menschlichen Gattung, Dt. Zs. für Philosophie 27 (1979), 20-30.
[86] Vgl. H.H. Holz, Weltentwurf und Reflexion, a.a.O., z.B. S. 540 f.
[87] Vgl. ebd., S. 551, allgemein 539-579.
[88] Ebd., z.B. S. 197, 547.
[89] Vgl. ebd., z.B. S. 525-538.
[90] Vgl. ebd., S. 540 f.