Vom 14.-16. November 2008 fand an der Universidade Nova de Lisboa, Lissabon, ein Internationaler Kongress „Karl Marx: Die Aktualität des marxistischen Denkens“ statt. Jörg Huffschmid äußerte sich im Anschluss an die Veranstaltungen zu drei Fragen im Zusammenhang mit dem Kongress.
Das Gespräch ist auf www.youtube.com zu finden unter http://youtube.com/watch?v=jsFv4etDf8s
1. Zur Aktualität marxistischen Denkens
Diese Veranstaltung war außerordentlich eindrucksvoll, sie kommt vor allem genau zur rechten Zeit. Beim Marxismus geht es ja zentral um den Kapitalismus, seine Krisen und Widersprüche. Und was wir gerade erleben ist eine Periode tiefer Widersprüche und zunehmend gefährlicher werdender Entwicklungstendenzen dieser Produktionsweise. Eindrucksvoll war der Kongress nicht nur wegen der aktuellen Problematik, sondern auch wegen der großen Breite der behandelten Themen. Ich bin Ökonom, aber teilgenommen haben eben nicht nur Wirtschaftswissenschaftler, tatsächlich waren wir sogar in der Minderheit. Diskutiert wurden auch viele nicht im engen Sinne ökonomische Themen, die sich aber ebenfalls im Kontext der gegenwärtigen Krise stellen. Der Kongress hat damit wichtige Beiträge geleistet in einer Zeit, in der die Debatten über Marx und den Marxismus erneut wachsende öffentliche Aufmerksamkeit genießen.
Diese Debatten sind von großer Bedeutung für das marxistische Denken. Marxismus ist eben kein ein für allemal feststehendes Gebäude von Lehrmeinungen, er ist vielmehr so etwas wie ein lebendiger Organismus, der ständig weiterentwickelt wird durch Debatten und – natürlich – durch die sozialen Kämpfe der Völker.
2. Zu den Ursachen der gegenwärtigen Krise
Die wichtigste Triebkraft der aktuellen Krise ist die enorm gewachsene Ungleichheit in der Einkommensverteilung, die sich über die letzten 30 Jahre immer mehr zugespitzt hatte. Der Anteil der Arbeitseinkommen am gesellschaftlichen Gesamtprodukt in den Kernländern des Kapitals hat mehr oder weniger kontinuierlich abgenommen. Dies hat zu großen ökonomischen Ungleichgewichten geführt. An der Spitze der Einkommenspyramide konzentrierten sich immer größere Geldsummen, die am unteren Ende fehlten. Dies beschränkte die Kaufkraft der Massen, d.h. die Nachfrage nach jenen Produkten, die mit den vorhandenen Kapitalien und Produktionskapazitäten hätten hergestellt werden können. Das bei den obersten Einkommensgruppen konzentrierte zusätzliche Kapital wurde daher nicht wieder in den produktiven Kreislauf eingespeist, d.h. in Form von Investitionen in Realkapital angelegt, sondern es floss auf die Finanzmärkte, wo es zu spekulativen Aktivitäten verwendet wurde. Hierbei ging es aber nicht nur um die Spekulation auf Wertzuwächse von bestehenden Vermögensgegenständen. Denn was wir heute erleben ist das Platzen einer gewaltigen Finanzblase. Dies beschädigt aber nicht nur die Finanzmärkte, sondern es wirkt zurück auf die so genannte Realökonomie, d.h. die Produktion von Gütern und Leistungen, und natürlich auf Arbeitsplätze und Arbeitseinkommen.
Hinzu kommt, das sollten wir nicht vergessen, dass die wichtigsten kapitalistischen Akteure in der gegenwärtigen Entwicklungsetappe des Kapitalismus Finanzinvestoren sind. Und diese Finanzinvestoren haben eine Reihe von Profitstrategien, von denen die Spekulation eben nur eine ist. Eine andere kann als ‚Shareholder-Strategie’ bezeichnet werden: Die Finanzinvestoren als Käufer von Unternehmensanteilen zwingen das Management der Produktionsunternehmen, den aus der Arbeit von Arbeitern und Angestellten stammenden Mehrwert größtmöglich zu steigern. Dies stärkt die Profitabilität des Kapitals auf Kosten der Massennachfrage.
Schließlich ist eine dritte Strategievariante zu erwähnen, die sich an die Politik richtet. Den Regierungen sagen sie: ‚Wir haben hier, sagen wir, 10 Milliarden Dollar die wir investieren möchten. Was tust Du, Regierung, dafür, dass wir sie hier und nicht irgendwo anders anlegen?’ Im Ergebnis beeilen sich die Regierungen, die Investitionsbedingungen und Finanzmärkte des jeweiligen Landes möglichst attraktiv für Finanzinvestoren zu gestalten, indem sie Unternehmenssteuern senken, indem sie öffentliche Dienstleistungen privatisieren usw.
Diese Strategien und ihre Durchsetzungsmacht sind mit dem Platzen der Finanzmarktblase nicht verschwunden. Sie werden weiter verfolgt werden. Deshalb müssen wir mehr tun als bloß die Finanzmärkte wirksamer zu regulieren, was natürlich ein wichtiger Aspekt ist.
3. Ansätze im Kampf gegen die Krise
Ich sehe hauptsächliche drei Gegen-Strategien gegen die Orientierungen des Finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, wie wir die gegenwärtige Etappe nennen können:
· Zunächst geht es natürlich darum, mit den Finanzmärkten umzugehen, d.h. diese zu zähmen. Die Dominanz finanzkapitalistischer Interessen im ökonomischen Prozess muss zurückgedrängt werden, d. h. die Stabilität der Finanzmärkte muss durch angemessene finanzmarktpolitische Maßnahmen vergrößert werden. Die auf dem Washingtoner Krisengipfel gefassten Beschlüsse sind diesbezüglich belanglos, da gab es nichts als heiße Luft. Energische Reformen der Finanzmärkte stehen an, z.B. ein Verbot für Banken, mit Kreditversicherungen zu handeln. Die Aufgabe von Banken ist die Versorgung der Wirtschaft mit Geld und Kredit, die Aufrechterhaltung der Zahlungsströme und die Sicherung der Spareinlagen.
· Zweitens müssen die Unternehmen und ihre Beschäftigten vor den Ausbeutungs- und Ausplünderungsstrategien der Finanzinvestoren geschützt werden. Dies erfordert die Stärkung der Rechte der Arbeiter und Angestellten im Unternehmen, insbesondere ein Veto-Recht im Fall von Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüssen.
· Drittens muss verhindert werden, dass Finanzinvestoren Regierungen erpressen können; der Einfluss der Finanzmarktakteure auf Regierungen und Parlamente muss gebrochen werden. Dies erfordert eine umfassende Demokratisierung von Wirtschaftspolitik. Auf diesem Gebiet ist eine massive Entdemokratisierung der Entscheidungsprozesse zu beobachten, wir erleben hier eine Welle von Angriffen auf die Reste von Demokratie seitens neoliberaler Kräfte. Diese Entwicklung muss gestoppt und umgekehrt werden.
Im Kern geht es also darum, jene Entwicklungstrends wieder umzudrehen, welche die Dominanz der Finanzmarktakteure im gegenwärtigen Kapitalismus begründet haben. Dies ist vor allem die Umverteilung der Einkommen von unten nach oben, die beendet und rückgängig gemacht werden muss. Dazu gehört weiter die Privatisierung der Rentensysteme, welche zur Anhäufung von privatem Geldkapital beigetragen hat. Dies muss ebenfalls rückgängig gemacht werden. Rentenversicherungen, die durch öffentliche Beitragssysteme finanziert werden, gehören in öffentliche Hand.
Übersetzung: Jörg Goldberg