Es war kein Zufall, dass nahezu zeitgleich zum ersten
Höhepunkt der globalen Finanzmarktkrise und zum
Konjunktureinbruch in der Wirtschaft zwei Veranstaltungen
stattfanden, die sich mit den Hintergründen und Konsequenzen
der Wiederentdeckung der Rolle des Staates in der Wirtschaft
beschäftigten. Seit Jahren war die Öffentlichkeit auf
Deregulierung und Privatisierung eingeschworen worden. Nun sind
unter dem Druck eskalierender Krisenprozesse aus dem Lager der
radikalen Marktideologen selbst Forderungen nach staatlichem
Eingreifen in den Wirtschaftsablauf laut geworden. Der neoliberale
Staat erklärte sich schnell bereit, sie zu erfüllen.
Umfassende Konjunkturprogramme werden aufgelegt und zur Abwendung
des Zusammenbruchs großer Banken- und Industriekonzerne
werden in bislang unvorstellbarer Höhe finanzielle Mittel zur
Verfügung gestellt. Private Unternehmen oder Unternehmensteile
gehen mit einem Federstrich in staatliches Eigentum
über.
Nicht nur die Tatsache, dass diejenigen, die die Krisenprozesse zu
verantworten haben, vom Staat kaum zur Kasse gebeten werden und
dass vor allem die werktätigen Bevölkerungsschichten
infolge von Massenentlassungen, von Einkommensverlusten und durch
Abbau von Sozialleistungen betroffen sind, weist einmal mehr auf
die Dringlichkeit eines Politikwechsels hin. Die Komplexität
der schon längerfristigen Krisenprozesse lässt
neoliberale Konzeptionen in aller Deutlichkeit völlig
ungeeignet zur Lösung der aktuellen und der zukünftigen
Probleme er-scheinen. Demokratische Alternativkonzepte für die
Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung sind gefragt, an die
– wie die beiden Veranstaltungen beweisen –
unterschiedlich, vielfältig und auch kontrovers herangegangen
werden kann.
Der Workshop der RLS „Die sichtbare Hand – vor uns ein
neuer (Staats-) Interventionismus?“ war der dritte einer im
Jahre 2006 initiierten Reihe „Ist eine andere Wirtschaft
möglich? Konzepte alternativer Ökonomie“.
Zielstellung war es, die in vielfältigen Formen vor sich
gehende Herausbildung einer Art von neuem Staatsinterventionismus
zu analysieren, der dazu dienen soll, dem internationalen
Finanzkapital neue Verwertungsspielräume zu erschließen
und Machtzuwächse zu ermöglichen. Auf dieser Grundlage
galt es, alternative Ansätze und Handlungsmöglichkeiten
auszuloten. Lutz Brangsch (RLS Berlin) griff diese Gedanken in
seinen einleitenden Bemerkungen auf, wies auf die Verflechtung der
verschiedenen Krisenprozesse mit der globalen Krise hin und machte
auf sich andeutende Veränderungen in der gegenwärtigen
Regulierungsweise im Kapitalismus aufmerksam.
Vier Themenkomplexe bestimmten die Debatte. Ein erster Beitrag zur
„Geschichte des Problems“ kam von Joachim Bischoff
(Hamburg). Nach jahrzehntelangem Abbau staatlicher Aktivitäten
in der Wirtschaft konstatierte er tatsächlich eine
Rückkehr des Staates. Im Zusammenhang mit der aktuellen
Finanzkrise vollziehe sich ein Paradigmenwechsel, der voller
Widersprüche und Hindernisse steckt und der zutiefst
undemokratische Züge trägt. In der Diskussion wurde
entgegengehalten, dass staatliche Eingriffe zur Funktionsweise des
Kapitalismus gehören und dass Neoliberalismus nie
„laissez faire“ war. Richard Rosen (Boston/USA) wies
für die Entwicklung der US-amerikanischen Energiepolitik nach,
dass es eine wirkliche Deregulierung nie gegeben habe und dass der
Staat stets eine (sichtbare) Hand im Spiel gehabt hatte. Der
Staatsinterventionismus habe insofern neue Züge bekommen, als
dass er mehr als früher auf die Beherrschung der
internationalen Märkte gerichtet sei.
Ein interessanter Beitrag zur Rolle des Staates in der VR China kam
von Xinhua Zhang (VR China). Er stellte fest, dass die Wirtschaft
Chinas von der globalen Finanzkrise weniger betroffen zu sein
scheint, was sich als günstig für die aktuellen
strukturellen Wandlungsprozesse erweise. Die Rolle des Staates
verändere sich – nach außen als Reflexion der
international wachsenden Wirtschaftskraft Chinas hin zu
stärkerer Wahrnehmung globaler Verantwortung. Der
eingeschlagene Wachstums- und Entwicklungspfad basiere
hauptsächlich auf institutionellen Reformen und
Veränderungen im Regulierungssystem. Er soll so gesteuert
werden, dass er das Gewicht der Exportorientierung verringert und
den Übergang zur hauptsächlich von Binnennachfrage
getragenen Wirtschaft ermöglicht. Eine „neue
Landreform“ soll zur Erhöhung der Binnennachfrage
beitragen. Die Förderung von Innovationen wird einen
höheren wirtschaftspolitischen Stellenwert erhalten.
Michael Krätke (Amsterdam/Niederlande) befasste sich mit
„global governance“. Seinem Anspruch als freiwillige
politische Kooperation zwischen transnationalen Akteuren, frei von
Hierarchien und Machtansprüchen wird die Realität nicht
gerecht. Es handele sich eher um ein politisch-ideologisches
Konzept eines neuartigen Zusammenspiels von Staaten,
Wirtschaftsakteuren, internationalen Organisationen und
Interessengruppen des globalen Finanzkapitals mit dem Ziel der
Festschreibung neoliberaler Dogmen und internationa-ler Regularien.
Es wurde die Frage gestellt, ob „global governance“
für NGO und IGO auch von links zu öffnen sei. Günter
Krause (Berlin) ging in seinem Beitrag auf die ideengeschichtlichen
Wurzeln der „sichtbaren“ Hand des Staates bzw. der
„unsichtbaren“ marktbezogenen Hand in der Ökonomie
von Adam Smith zurück, um den politökonomischen Kern der
Diskussionen um die aktuelle Rolle des Staates nochmals deutlich zu
machen.
Der Themenkomplex „Neoliberalismus ist mehr als Markt
pur“ bezog sich auf EU-Entwicklungen. Von Catherine Sifakis
(Grenoble/Frankreich) wurde die Europäische Währungsunion
(EWU) als staatlich gestütztes neoliberales Modell der
Finanzglobalisierung analysiert. Sie ging besonders auf den
Zusammenhang zwischen der Politik der Kapitalliberalisierung
seitens der Mitgliedsstaaten und der Errichtung der EWU als Produkt
institutioneller Dynamik der EU ein. Nach ihrer Auffassung
dürfe der integrative Effekt der EWU nicht
überschätzt werden. Zurzeit sei es zu einem Stillstand
der Integration gekommen.
Peter Custers (Leiden/Niederlande) erläuterte die
widersprüchliche Rolle der EU bei der Herausbildung eines
militärisch-industriellen Komplexes in Westeuropa.
„Militärischer Keynesianismus“, stellte er fest,
habe in den einzelnen Ländern immer eine erstrangige Rolle
gespielt. Seit den 1980er Jahren wurde er mit der Öffnung der
Beschaffungsmärkte in der EU zwar zurückgedrängt,
aber nie beseitigt. Gleichzeitig ist die Entwicklung des
Rüstungssektors in den einzelnen Ländern durch die
europäische Politik immer beeinflusst worden. Desislava
Stoyanova, Repräsentantin der NGO bankwatch, kritisierte die
Aktionen der Europäischen Investitionsbank auf die Finanzkrise
als völlig unzureichend und ungeeignet. Sie stellte die neue
Gruppierung Counter Balance vor, ein Bündnis von NGOs, die
sich speziell mit der Politik der EIB auseinandersetzt. Ziel sei
es, demokratischere Strukturen und mehr Transparenz in der EIB
durchzusetzen.
Im nächsten Themenkomplex ging es darum, ob Finanzkrise und
„Rückkehr“ des Staates Indizien für eine
akute Krise des Neoliberalismus sind. Jörg Huffschmid (Bremen)
äußerte sich skeptisch dazu. Anhand detaillierter Fakten
und Zahlen erläuterte er, dass die Funktionsweise des
finanzmarktgetriebenen Kapitalismus sich mit der Krise im
Finanzsektor nur wenig ändere. Die Macht der Finanzinvestoren
scheint noch relativ ungebrochen. Verändern würden sich
vielfach die Mechanismen, sie passen sich an neue Bedingungen an
– durch Druck auf den Staat, mit Konzentration, mittels neuer
Geschäftsmodelle, Ratio-nalisierungs- und anderen
Maßnahmen. Ein neuer Staatsinterventionismus entstehe nur
bedingt. Ein Paradigmenwechsel lasse sich zurzeit nicht erkennen.
Das könnte auch für den Bereich der Klimapolitik
zutreffen, stellte Jeroen van der Slujis (Utrecht/Niederlande)
sinngemäß fest. Die Abschaffung des alten
Verursacherprinzips zugunsten des Handels mit Emissionsrechten sei
nahezu das Gegenteil von staatlicher Einflussnahme und berge
große Gefahren. Interna-tionale Regelungen zur
Einschränkung dieses Handels wären notwendig.
Der Vortrag von Asbjorn Wahl (Norwegen) befasste sich mit dem
Niedergang des skandinavischen Wohlfahrtsstaates. Als historischer
Klassenkompromiss – je nach konkreten Bedingungen
unterschiedlich ausgeprägt – beruht er
hauptsächlich auf einem umfangreichen öffentlichen Sektor
in der Wirtschaft, auf einem ausgebauten staatlichen
Regulierungssystem und auf starken Gewerkschaften. Ein wesentliches
Handicap dieses Modells ist darin zu sehen, dass die materiellen
Vorteile der Wohlfahrtsstaatlichkeit für die Bevölkerung
über Jahrzehnte mit einer gewissen
„Entpolitisierung“ verbunden wurden. Das führte
dazu, dass der Klassenkompromiss nach und nach ausgehöhlt
wurde und im Ergebnis von zwei Jahrzehnten neoliberaler Offensive
in den 1990er Jahren zusammenbrach. Aktuelle Veränderungen in
den Machtverhältnissen führen zur weiteren Demontage des
Wohlfahrtsstaates in Richtung seines neo-liberalen Umbaus. Die
gegenwärtigen Krisenprozesse setzen folglich neue
Maßstäbe im Kampf um die Aufrechterhaltung sozialer
Errungenschaften, was mit zukunftsfähigen Veränderungen
in der Rolle des Staates verbunden werden muss und nicht nur am
Umfang des öffentlichen Sektors in der Wirtschaft gemessen
werden darf. Die politisch-ideologische Krise in den linken
Bewegungen erschwert indes eine soziale Mobilisierung.
Den Möglichkeiten und Bedingungen alternativer Vorstellungen
von der Rolle des Staates in der Wirtschaft war der letzte
Themenkomplex gewidmet. Frieder Otto Wolf (Berlin) mahnte an, die
Rolle des Staates realistisch und in ihrer Kontinuität zu
sehen. Sie sei gegenwärtig ohne Zweifel gewachsen, doch von
einem Comeback des Staates zu sprechen sei übertrieben. Die
Möglichkeiten des Staates sollten zur Gestaltung eines neuen
Politikmodells in Richtung sozialökologischen Umbaus der
Gesellschaft ausgelotet werden. Wie unterschiedlich die konkreten
Bedingungen in den einzelnen Ländern sein können, darauf
wies Tadeusz Kowalik (Warschau/Polen) in seinem Beitrag hin. Er
sehe gegenwärtig keine Ansatzpunkte für
Demokratisierungen in der staatli-chen Wirtschaftspolitik in Polen.
Mit der verstärkt neoliberalen Orientierung würden die
Widersprüche in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik
zunehmen. Das Entstehen einer Protestbewegung ähnlich der von
Solidarnosc in den 1980er Jahren sei nicht erkennbar. Judith
Dellheim (Berlin) legte ihre Auffassung von sozialistischer
Wirtschaftspolitik dar, die sich darauf orientiere, soziale,
ökologische und globale Probleme demokratisch und gerecht zu
mildern sowie schrittweise zu lösen. Das müsse in
Richtung sozialökologischen Umbaus von Staat und Gesellschaft
gehen. Politikwechsel sei die Grundvoraussetzung dafür, dem
staatlichen Interventionismus überhaupt und einem
unverzichtbaren öffentlichen Eigentumssektor eine
demokratische Struktur zu geben. Eine radikale Alternative zur
Ökonomisierung aller Lebensbereiche im gegenwärtigen
Kapitalismus sah Christian Felber (Wien/Österreich) in einer
Delegitimierung der Grundfesten der Marktwirtschaft. Er stellte das
Konkurrenzprinzip als Triebkraft der Entwicklung infrage und schlug
seine Ersetzung durch das Prinzip der freiwilligen Kooperation vor.
Von Mohssen Massarrat (Osnabrück) wurde noch einmal das Thema
Weltenergiemarkt aufgegriffen. In der schwindenden Hegemonie der
USA als Nachfragemonopolist sah er mögliche Ansatzpunkte
für demokratische Veränderungen in den
Machtverhältnissen auf dem Weltenergiemarkt. Seine Idee ging
in Richtung eines auszugestaltenden kooperativen Modells für
alle Energieträger unter Beteiligung aller Staaten.
Das Thema des alljährlich stattfindenden Herbstforums des
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der
Hans-Böckler-Stiftung hieß „Die Rückkehr des
Staates. Öffentliche Verantwortung für Wirtschaft und
Beschäftigung“. Hauptanliegen war es, nach Jahren des
Rückzugs des Staates und der deutlichen Verschlechterung der
Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in Deutschland
einerseits, sowie angesichts der wachsenden Zukunftsaufgaben
andererseits eine wieder aktivere Rolle des Staates in der
Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik einzufordern. Zwei
einleitende Referate befassten sich mit der Analyse der aktuellen
Situation und mit der Rolle von Leitbildern für staatliches
Handeln. Danach wurden Kurzreferate zu vier Themenkomplexen –
Zukunft der öffentlichen Investitionen, öffentliche
Wirtschaftsförderung, öffentliche Daseinsfürsorge
und Perspektiven eines aktiven Staates – gehalten, die sich
in konkreten Bereichen mit der wirtschafts- und sozialpolitischen
Verantwortung des Staates auseinander setzten und dringende
politische Kurskorrekturen forderten. Zu den Beiträgen gab es
Anfragen und kurze Statements.
Heide Pfarr, Direktorin des WSI, wies auf die kontroverse
Widerspiegelung der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Rolle
des Staates in der Öffentlichkeit hin. Das neoliberale
Gesellschaftsprojekt, welches seit den 1970er Jahren auf Basis von
Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung zu grundlegenden
Änderungen in der Funktion des Staates geführt hat, ist
nach ihrer Meinung heute selbst in eine grundlegende Krise geraten.
Ein Vergleich mit den Entwicklungen nach der Krise von 1929 lege
die Schlussfolgerung nahe, dass es zur Herausbildung neuer
wirtschaftspolitischer Leitbilder kommen werde. In diesem Sinne
liege in der gegenwärtigen Krise „auch die Chance
für einen grundlegenden politischen Neuanfang“. Sicher
sei allerdings nicht, ob mit der Finanzkrise die Ablösung des
Neoliberalismus zugunsten eines neuen Politikmodells wirklich
eingeleitet würde und ob sich tatsächlich ein
„grundlegend neues Politikmodell“ entwickeln kann. Ohne
Zweifel erweitern die aktuellen Entwicklungen jedoch den
gesellschaftlichen Diskussionsrahmen um die notwendige
Neudefinierung der Aufgaben des Staates.
Hans-Jürgen Bieling (Universität Marburg) gab einen
Überblick über die Bedeutung und die Aufgaben von
politischen Leitbildern des Staates, welche er sowohl als Ausdruck
von Kräftekonstellationen wie auch als Gestaltungselement
versteht. Er erläuterte, welche Inhalte hinter Begriffen wie
Wohlfahrts-staat, Leistungs- und Gewährleistungsstaat und
– aktuell – dem Begriff Inter-ventionsstaat stecken.
Die Herausbildung eines progressiven Leitbildes zur Reorganisation
des Staates wird nach seiner Auffassung durch die Herrschaft des
globalen Finanzmarktkapitalismus und die starke Präsenz seiner
politisch-institutionellen Strukturen erschwert.
Zur zentralen Bedeutung öffentlicher Investitionen für
Wachstum und Beschäftigung und zu ihrer Finanzierbarkeit
sprach Achim Truger vom IMK-Institut der Hans Böckler
Stiftung. Er betonte, dass ein „leistungsfähiger
Sozi-al- und Investitionsstaat“ nicht umsonst zu haben sei
und seine Verwirkli-chung auch unpopuläre
Steuererhöhungen einschließe. Für die Finanzierung
des Sozialstaates sah er hauptsächlich drei Quellen:
Nettoneuverschuldung, Selbstfinanzierungseffekte und
Steuererhöhungen. Die Sicherung der Aufgabenfinanzierung
gestalte sich folglich mehr zu einem politischen als zu einem
ökonomischen Problem. In mehreren anschließenden
Beiträgen wurden einzelne Politikfelder näher beleuchtet.
Michael Reidenbach (Deutsches Institut für Urbanistik) stellte
eine Studie zum Investitionsbedarf in den Kommunen vor und ging
davon aus, dass durch effizientere Politik sowie Erschließung
neuer Finanzierungsquellen der kommunale Investitionsstau bis zum
Jahre 2020 abgebaut werden kann. Gisela Färber (Deutsche
Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer) sprach
über den Investitionsbedarf im öffentlichen
Bildungsbereich. Nach ihrer Auffassung sollten neben
öffentlichen auch mehr private Finanzierungsmöglichkeiten
in Betracht gezogen werden. Der Beitrag von Astrid Ziegler (WSI)
beschäftigte sich mit den zunehmenden
Ungleichgewichten von Struktur- und Beschäftigungspolitik in
der Bundesrepublik, denn in den letzten Jahren seien
beschäftigungsrelevante Aspekte in den staatlichen
Maßnahmen immer mehr in den Hintergrund getreten. Die
öf-fentliche Beschäftigungspolitik müsse,
eingebettet in eine breite Strategie zur Wirtschaftsentwicklung,
besonders im Rahmen der Wirtschaftsförderung einen
höheren Stellenwert erhalten. Ines Hartwig (EU-Kommission)
befasste sich mit dieser Problematik auf der EU-Ebene. Nach ihrer
Meinung liegen die zentralen Zukunftsaufgaben der EU in den
Bereichen Soziales und Beschäftigung. Dies müsse zu
größerer Wirksamkeit des Europäischen Sozialfonds
führen, dessen Aufgaben über das Ziel der regionalen
Kohäsion hinaus erweitert und dessen Mittelausstattung
erhöht werden müsse. Martin Allespach (IG Metall) hielt
ein Plädoyer für gewerkschaftliche Industriepolitik, die
sich dem Kriterium der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlt und
Mitbestimmung als zentrale Frage ansieht.
In zwei weiteren Beiträgen wurde auf die
Privatisierungspolitik in der Bundesrepublik seit den 1980er Jahren
eingegangen. Von Torsten Brandt und Thorsten Schulten (WSI) wurde
eine insgesamt negative Bilanz gezogen und insbesondere auf die
sozialen Konsequenzen von höheren Kosten und Preisen für
ehemals öffentliche Dienstleistungen, von schlechterer
Dienstleistungsqualität, Beschäftigungsabbau und
Aushöhlung der Tarifpolitik hingewiesen. Die
Privatisierungserlöse seien gering und einmalig, wogegen
für den Staat anfallende mögliche Folgekosten
überhaupt noch nicht abschätzbar seien. Weitere
Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen sollten
gestoppt, der öffentliche Sektor im Gegenteil gestärkt
und ausgebaut werden. Als aktuelle Handlungsansätze für
den DGB wurde vorgeschlagen, von der Bundesregierung ein Monitoring
der Privatisierungsfolgen, eine Berichterstattung über alle
Privatisierungen sowie ein Privatisierungsmoratorium zu fordern.
Dierk Hirschel (DGB) ging auf die Unfähigkeit des
Neoliberalismus ein, Daseinsvorsorge überhaupt
privatwirtschaftlich zu organisieren und stellte aus
gewerkschaftlicher Sicht Überlegungen zur Perspektive der
öffentlichen Daseinsvorsorge vor. Sie müsste auf einem
dem Gemeinwohl verpflichteten Sektor in der Wirtschaft basieren, in
dem die öffentlichen Unternehmen eine Leitfunktion
ausüben. Die Eigentumsfrage wurde als mehr oder weniger
zentrale Frage bezeichnet. Dabei gehe es um demokratische
Gestaltung von Politik überhaupt und um eine Renaissance der
Wirtschaftsdemokratie.
Als Ergänzung dazu kann der Beitrag von Cornelia Heintze
(Leipzig) gesehen werden. Sie wies am skandinavischen Modell nach,
dass der starke öffentliche Bereich (Staatseigentum, Art und
Qualität der öffentlichen Interventionen) und
einflussreiche Gewerkschaften unverzichtbare Voraussetzungen
für eine Wohlfahrtsorientierung sind. Der Erfolg der
nordischen Länder beruhe auf einem ganzheitlichen und
werteorientierten Weg für die Bewältigung von
Zu-kunftsaufgaben, was grundlegende Unterschiede zur Orientierung
in anderen Ländern ausmache. Beispielsweise, wurde
angeführt, gehe es in der Debatte um öffentliche
Dienstleistungen der Daseinsfürsorge in den skandinavischen
Ländern um „gute“ Standards, während die
Debatte in Deutschland um Mindeststandards geführt würde.
Ein deutscher „Gewährleistungsstaat“ in diesem
Sinne könne kein Leitbild für einen Wohlfahrtsstaat
abgeben.
Im letzten Teil kam mit Siegfried Broß ein Richter am
Bundesverfassungsgericht zu Wort, der auf die rechtlichen Bedenken
bei der Ersetzung grundsätzlich staatlicher Aufgaben durch
private Aufgaben hinwies. Zum Schluss forderte Wolfgang Uellenberg
van Drawen (ver.di) als Konsequenz aus dem Zusammenbruch des
neoliberalen Fürsorgestaates, die Marktwirtschaft wieder auf
die Unternehmen zurückzuführen und den Staat davon frei
zu machen. In den politischen Auseinandersetzungen um ein neues
Leitbild für Staat und Gesellschaft sollten die Gewerkschaften
mehr Gemeinsamkeiten beweisen und ihr Engagement für
Bürgerinteressen verstärken.