Dieser Essay geht der Frage nach, ob die Konzepte des Imperialismus und des abhängigen oder peripheren Kapitalismus zu einem besseren Verständnis des europäischen Einigungsprozesses beitragen können. Bislang gibt es nur sehr wenige Versuche, das Verhältnis zwischen politischer und ökonomischer Expansion der EU und der spezifischen Form der in Osteuropa entstehenden Kapitalismen konzeptionell zu ergründen. Mainstream Untersuchungen betonen zumeist die positiven Aspekte einer EU-Mitgliedschaft für die mittelosteuropäischen Länder (MOEL). Die EU-Mitgliedschaft unterstütze den Aufbau stabiler demokratischer Marktwirtschaften, die Modernisierung MOEs und initiiere einen Aufholprozess des ärmeren Ostens. Die Beitrittsverhandlungen werden zumeist als Verhandlungen unter Gleichen charakterisiert. Damit ignorieren mainstream Analysen die Frage der politischen und ökonomischen Herrschaft, die die EU über die Beitrittskandidaten (und über die osteuropäische Region insgesamt) ausübt.
Im Gegensatz hierzu konzipieren kritische Ansätze Transformation und Europäisierung häufig als „Peripherisierung“ und weisen damit auf die grundlegende Asymmetrie zwischen dem EU-Zentrum und der neuen europäischen Peripherie hin (Berend 1996, Gowan 2000, Prokla 128, 2002). Der Begriff der Peripherie wird häufig jedoch in sehr unspezifischer Weise verwendet. Obwohl er offensichtlich in den Zusammenhang von Dependenztheorie und Weltsystem-Ansätzen zu verorten ist, nutzen nur wenige Autoren diesen theoretischen Rahmen, um die europäische Einigung zu analysieren (Neunhöffer/Schüttpelz 2002, Holman 2002). Noch viel seltener wird der Begriff der Peripherie in den Zusammenhang mit der theoretischen Tradition gestellt, die ihn hervorgebracht hat, den der Imperialismustheorie.
Wie ist es zu erklären, daß in den kritischen Beiträgen zur EU Osterweiterung der Begriff der Peripherie nur sehr unspezifisch verwendet wird und imperialismustheoretische Überlegungen völlig fehlen? Dieser Frage werde ich in den nächsten zwei Abschnitten nachgehen. Auf der Grundlage eines kurzen Überblicks über die Ergebnisse kritischer Beiträge zur EU Osterweiterung werde ich argumentieren, daß die Erweiterungsstrategie durchaus Ähnlichkeiten mit imperialistischen Praktiken aufweist. Z.T. als Ergebnis dieser Praktiken haben sich in MOE Formen des Kapitalismus herausgebildet, die in der Tat mit früheren Analysen von abhängigem oder peripherem Kapitalismus gut erfaßt werden können. Die Abwesenheit dependenz- und imperialismustheoretischer Überlegungen in der Erweiterungsforschung kann deshalb nicht mit der Irrelevanz dieser Ansätze erklärt werden. Sie ist vermutlich vielmehr auf eine seit den 1980er Jahren stattfindende Koordinatenverschiebung in der Debatte um die Entwicklung des Kapitalismus, einschließlich seiner abhängigen Varianten, zurückzuführen. Seit Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre ist der Einfluß von Dependenz- und Imperialismustheorie deutlich zurückgegangen. Dies ist zum Teil durch den intellektuellen Vormarsch institutionalistischer, staats-zentrierter und neoklassischer Paradigmen begründet. Darüber hinaus führten auch die Charakteristika einer neuen Phase kapitalistischer Entwicklung dazu, daß im Zentrum kritischer Analysen nicht mehr Imperialismus und abhängige Entwicklung stehen, sondern das sich neu erschließende Feld der Globalisierung. Der dritte Abschnitt analysiert einige Auswirkungen der Verschiebung des Koordinatensystems kritischer Kapitalismusforschung anhand der Frage der Osterweiterung und versucht, Bereiche zu identifizieren, in denen die Konzipierung des EU-Systems als imperialistisch zu einem besseren Verständnis der Osterweiterung und der neuen europäischen Konfiguration beitragen könnte. Diese Bereiche markieren gleichzeitig Elemente einer Forschungsagenda für die Untersuchung der europäischen Einigung.
1. Europäisierung als Peripherisierung: Kritische Analysen der EU-Osterweiterung
Die bisherigen Ergebnisse der Transformation in MOE und die Art ihrer Annäherung an die EU haben eine Reihe von Autoren dazu veranlasst, sich kritisch mit den mainstream Ansätzen zur Osterweiterung auseinanderzusetzen. Während letztere den positiven Einfluß der Mitgliedsschaftperspektive auf die gesamteuropäische Entwicklung betonen und die Erweiterungsverhandlungen als bilaterale Abkommen zwischen gleichberechtigten Partnern porträtieren, betonen kritische Ansätze die Asymmetrie der Beziehungen und das Entwicklungsgefälle zwischen EU und Beitrittskandidaten und weisen auf die interessensgeleitete Agenda der EU hin.
So stellen eine Reihe von Autoren die strukturelle Asymmetrie in den Beziehungen zwischen EU und osteuropäischen Beitrittskandidaten heraus. Sowohl in politischer wie in ökonomischer Hinsicht ist die EU der stärkere Part, und sie nutzt diese Überlegenheit, um ihre Forderungen gegenüber den MOEL durchzusetzten. Letztere haben selbst in ausgewählten Politikbereichen kaum die Wahl, ob sie die Forderungen der EU akzeptieren oder ablehnen, sondern sind vielmehr zu einer „take it or leave it“ Position verdammt (Lindstrom/Piroska 2002: 423). Zur Durchsetzung ihrer Forderungen stehen der EU eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, so etwa die regelmäßigen Bewertungen der Kandidaten, die darauf basierende „Belohnung“ von Wohlverhalten durch die Heraufstufung oder „Bestrafung“ von Fehlverhalten duch Zurückstufung der Kandidaten in eine spätere Runde der Erweiterung, oder die finanzielle Unterstützung, die in den Dienst der von der EU gewünschten Ziele gestellt wird. Einige Autoren machen zudem darauf aufmerksam, daß die Anforderungen der EU an die MOEL einige Ähnlichkeiten mit den den verschuldeten Ländern Lateinamerikas auferlegten Strukturanpassungsprogrammen haben, und die EU ein ähnliches Instrument wie IWF und Weltbank einsetzt, nämlich Konditionalität, um ihr Program durchzusetzen (Grabbe 1998, Smith 2001). Schließlich festigt die EU ihre überlegene Position gegenüber den Beitrittskandidaten dadurch, daß sie auf bilateralen und differenzierten Beziehungen besteht und damit ein koordiniertes Vorgehen der MOEL nahezu unmöglich macht.
Ein weiterer Aspekt der EU Osterweiterung, der häufig kritisch analysiert wird, ist die Tatsache, daß der acquis communautaire bislang jedenfalls nur sehr selektiv auf die Kandidaten ausgedehnt wurde. Auf der einen Seite wurden die Beitrittskandidaten frühzeitig in den deregulatorischen acquis des Binnenmarktes eingebunden. Dies ermöglichte es der EU, einen erheblichen Einfluß auf die osteuropäischen Transformationsprozesse auszuüben und erlaubte westlichen Unternehmen den Zugriff auf die östlichen Märkte und Produktionskapazitäten. Auf der anderen Seite erfolgte die Ausdehnung derjenigen Bereiche des acquis communautaire, die die Transformation und Anpassung MOEs erleichtert hätte – wie substantielle Finanztransfers, Arbeitnehmerfreizügigkeit oder die Liberalisierung der Agrarimporte – sehr viel zögerlicher. In einigen dieser Bereiche wird auch in der erweiterten EU zumindest übergangsweise eine Mitgliedschaft zweiter Klasse entstehen (Bohle 2002a).
Die asymmetrischen Beziehungen zwischen der EU und MOEL charakterisieren nicht nur die politischen Verhältnisse, sondern bestimmen auch die ökonomische Dynamik der MOEL, die durch folgende Kennzeichen geprägt ist:
Handelsabhängigkeit: In ihrer Handelspolitik gegenüber MOE hat die EU die Grundlage für ein regionales „Nabe- und Speichensystem“ gelegt, in dem die einzelnen osteuropäischen Volkswirtschaften strahlenförmig auf das westeuropäische Zentrum hin ausgerichtet werden (Gowan 1995). Z.T. als Folge sind die früheren regionalwirtschaftlichen Handelsverflechtungen implodiert und durch eine starke Handelsabhängigkeit der MOEL von der EU, insbesondere von Deutschland, abgelöst worden. Diese Abhängigkeit gereicht den MOEL nicht zum Vorteil: Sie erwirtschaften wachsende Defizite (Inotai 1999: 10).
Entwicklungsgefälle: Die Wachstumsperspektiven der MOEL sind, obwohl sie sich langsam stabilisieren, immer noch prekär. 2001 haben nur fünf der 10 Beitrittskandidaten (mehr als) ihr BSP von 1989 erwirtschaftet. Mehrere Länder haben darüberhinaus wiederholt ökonomische Rezessionen verzeichnet (EBRD 2002). D.h., auch wenn ein Aufholprozeß gegenüber Westeuropa stattgefunden hat, so ist dies ein langsamer und sehr instabiler Prozeß, der zudem häufig zu einer erheblichen Zunahme regionaler Disparitäten und sozialer Ungleichheit geführt hat. So ist beispielsweise Polen, das Land, welches über die 1990er Jahre am schnellsten gewachsen ist, gleichzeitig zu einem der ungleichsten Länder in der OECD avanciert (Kowalik 2001).
Duale Entwicklung: Insbesondere unter dem Einfluß von ausländischen Direktinvestitionen (ADI) sind Teile der MOEL Wirtschaften in der Tat aufgewertet und in ein transnationales Akkumulationsregime integriert worden. Dieses modernisierte sozio-ökonomische Segment koexistiert mit den problematischeren Hinterlassenschaften des Staatssozialismus: den Ruinen der Schwerindustrie, Landwirtschaft etc.. Es obliegt dem (verarmten) Transformationsstaat, diese Sektoren zu restrukturieren und die dabei entstehenden Kosten abzufedern. Bislang bestehen nur wenige Brücken zwischen beiden wirtschaftlichen Segmenten. Modernisierungsinseln entstehen vielmehr unverbunden mit dem Hinterland mitten in verarmten Regionen (Kurz/Wittke 1998, Ellingstadt 1997, Bohle 2000b).
Dominanz von ausländischem Kapital in strategischen wirtschaftlichen Sektoren. Seit Mitte der 1990er Jahre haben die MOEL einen zunehmend bedeutenden Anteil der globalen ADI angezogen. Der Großteil dieser Investitionen fließt in die verarbeitende Industrie, wobei transnationale Konzerne (TNKs) häufig für mehr als die Hälfte des Außenhandels der MOEL direkt verantwortlich sind. Darüber hinaus dominieren ausländische Besitzer häufig in strategisch wichtigen Sektoren wie Finanzen oder Telekommunikation. Auch wenn man argumentieren könnte, daß das Konzept eines strategischen Sektors im Zeitalter der Globalisierung und Europäisierung an Relevanz eingebüßt hat, so hat doch der Privatisierungsprozeß in MOE zu einer in Europa zumindest ungewöhnlich weitreichenden Verlagerung strategischer Entscheidungen von den Nationalstaaten weg hin in die Hauptquartiere der TNKs geführt. Selbst Südeuropa war erfolgreicher in der Verteidigung nationaler Anteile in seinen strategischen Sektoren (Greskovits/Bohle 2001).
Die politische und ökonomische Abhängigkeit MOEs von Westeuropa wurde schließlich militärisch abgesichert: Mit der Expansion der NATO in das Gebiet des früheren Warschauer Paktes sowie des NATO-Krieges gegen Serbien wurde MOE auch militärisch in die westliche Interessensphäre eingebunden und unter Kontrolle gebracht.
Insgesamt sind diese Erkenntnisse durchaus konsistent mit Konzepten des abhängigen Kapitalismus und einer Definition von Imperialismus als einem System der Kapitalakkumulation, in welchem das Zentrum die Kontrolle über die Produktionsmittel in weniger entwickelten Regionen ausübt und durch Anwendung politischer und militärischer Ressourcen aufrechterhält (Evans 1979: 16). Obwohl jedoch eine Reihe von Autoren die entstehenden Kapitalismen in MOE als peripher beschreiben, nutzen sie dieses Konzept in einer sehr unspezifischen Weise, ohne es in den Kontext der Dependenztheorie zu stellen. Noch weniger beziehen sie sich auf Imperialismustheorie, um die politische Ökonomie der europäischen Einigung zu erkunden. Wie ist es zu erklären, daß diese früheren Debatten so wenig genutzt werden?
2. Von Imperialismus und Abhängigkeit zur Neoliberalen Globalisierung
Eine wichtige Erklärung der Abwesenheit des Imperialismusbegriffs und eines substantielleren Peripherie-Begriffs in der kritischen Debatte über die Osterweiterung ist m. E. eine Verschiebung des intellektuellen Terrains, in dem die kapitalistische Weltwirtschaft verhandelt wird. Nach einer Renaissance der Imperialismustheorie in den 1960er/1970er Jahren hat sie in den 1980ern gegenüber dem Vormarsch neuer intellektueller Paradigmen an Terrain verloren. Letztere sind weniger an dem weltwirtschaftlichen Zusammenhang von kapitalistischer Expansion und peripherer Entwicklung interessiert denn an den internen Gründen für Erfolg und Scheitern von Entwicklungsprojekten. Sowohl die intellektuelle Marginalisierung von Imperialismus- und Dependenztheorie wie auch die jüngste Welle der Internationalisierung der Weltwirtschaft hat dazu geführt, daß kritische Ansätze sich der Erkundung der Globalisierung zugewandt haben.
2.1 Die Renaissance der Imperialismustheorie und die Entdeckung des abhängigen Kapitalismus
Die 1960er und 1970er Jahre stellten eine sehr produktive Periode in der (marxistischen) Analyse des Verhältnisses zwischen der Expansion des Kapitalismus auf weltweiter Ebene und der abhängigen und deformierten Natur des Kapitalismus in der Peripherie dar. Imperialismus- und Dependenztheorie analysierten komplementär zueinander die kapitalistische Expansionsdynamik. Die zunächst erfolgte Wiederaneignung der klassischen Imperialismustheorien (Lenin, Luxemburg, Hobson etc.) stieß schnell an zwei Grenzen: Erstens bezogen sich diese Theorien auf eine spezifische Phase der kapitalistischen Expansion, die auf Kapitalexport, auf der Konkurrenz um Rohmaterialien und dem Wachstum der Monopole beruhte. Für eine Analyse des Exports von industriellem Kapital und der komplexer werdenden Muster ausländischer Direktinvestitionen, die sich nach dem zweiten Weltkrieg herausbildeten, boten diese Theorien weniger Ansätze. Zweitens interessierten sich die klassischen Theorien vor allen Dingen für die Entwicklung des Kapitalismus in den Zentren und den damit zusammenhängenden inter-kapitalistischen Rivalitäten. Den Auswirkungen des Imperialismus in der Peripherie schenkten sie weniger Aufmerksamkeit (Palma 1978: 885). Eine Reihe von Autoren begannen daher, Instrumente zur Analyse der neuesten, dritten Phase des Imperialismus zu erarbeiten. Diese Phase hat sich vorrangig durch den Vormarsch von TNK ausgezeichnet, die eine komplexere, postkoloniale Abhängigkeit der Peripherie begründeten, gleichzeitig aber auch zur Verzerrung und Beschränkung der wirtschaftlichen Entwicklung und Industrialisierung in der Peripherie beitrugen.[1] Paul Baran leitete mit seiner Arbeit „Political Economy of Growth“ (1968 [1957]) den Beginn der neuen Forschungsrichtung ein, indem er systematisch die Auswirkungen des Imperialismus in der Peripherie darstellte. Der Ausgangspunkt seiner Analyse war Lenins Beobachtung, daß sich zwischen ausländischem Kapital und der Bourgeoisie in weniger entwickelten Ländern solide Bindungen entwickeln. Diese, argumentiert Baran, führen dazu, daß die ökonomische Entwicklung in der Peripherie effektiv gestoppt wird, da keine der dominanten Klassen der Peripherie (Aristokratie, Rentiers, Handelskapitalisten und ausländisches Kapital) ein Interesse an der Industrialisierung habe.
Barans Analyse war eine wichtige Quelle für die Dependenztheorie. Das Ziel dieser Theorie war es, systematisch die Art und Weise, wie nationale Ökonomien in den Weltmarkt eingebunden sind, in Beziehung zu setzen zu ihren internen Strukturen und gesellschaftlichen Klassen und, darauf aufbauend, die Möglichkeiten und Grenzen von Entwicklung zu erkunden. Die verschiedenen Dependenz-Autoren betonen unterschiedliche externe Faktoren und Mechanismen der Internalisierung und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der (Un-)Möglichkeit von Entwicklung in der Peripherie.[2] Insbesondere frühe dependenztheoretische Ansätze konnten mit ihrem abstrakten und auf Verallgemeinerung zielenden Rahmen weder die Unterschiedlichkeit peripherer Kapitalismen oder die z.T. erfolgreiche Industrialisierung noch die Veränderungen innerhalb des imperialistischen Systemes adäquat erfassen. Spätere Ansätze boten jedoch eine sehr fruchtbare Methode für die Untersuchung konkreter Situationen der Abhängigkeit. Diese umfaßt die folgenden Elemente: Erstens bildet das gegenwärtige kapitalistische Weltsystem den Ausgangspunkt für jede Analyse des abhängigen Kapitalismus. Ebenso wichtig ist zweitens die Untersuchung der internen Bedingungen jedes abhängigen Landes, d.h. der ökonomischen Strukturen, der gesellschaftlichen Klassen, der Verteilung der Macht und der Rolle des Staates. Das wichtigste Merkmal der Methode ist die Tatsache, daß sie drittens über eine abstrakte Bestimmung der abhängigen Entwicklung hinausgeht, in dem sie den Schwerpunkt auf die Erarbeitung intermediärer Konzepte legt, die in der Lage sind, zu erklären, wie die allgemeinen Trends in der kapitalistischen Akkumulation sich in spezifische Beziehungen zwischen Menschen, Klassen und Staaten transformieren (Palma 1987: 910, Cardoso/Faletto 1979: 8ff.).
Insgesamt hat damit die Debatte über Imperialismus und abhängigen Kapitalismus der 1960er und 1970er Jahre sehr fruchtbare Konzepte und methodische Werkzeuge hervorgebracht, die die Analyse des Verhältnisses zwischen fortgeschrittenen und nachholenden Ländern und der Entwicklung in den peripheren Ländern selber voranbringen konnten. Insbesondere spätere Ansätze der Dependenztheorie versprachen neue Einsichten sowohl in die Natur des Imperialismus, dessen Analyse über lange Zeit „eingefroren“ war, da sie sich zumeist auf eine frühere Phase kapitalistischer Expansion bezog, wie auch in die konkreten Formen abhängiger Entwicklung.
Seit den späten 1970ern und frühen 1980ern wurde der Einfluß des komplementären Paars Imperialismus/Dependenztheorie jedoch stark zurückgedrängt. Angesichts der zunehmenden Differenzierung zwischen den peripheren Ländern und insbesondere den spektakulären Erfolgen der südostasiatischen exportorientierten Entwicklung schienen diese Theorien viel ihres Erklärungspotentials eingebüßt zu haben. Eine sehr starke Reaktion rief insbesondere der genuine Beitrag dieser Theorien hervor, nämlich die Analyse des Verhältnisses zwischen der von den Zentren ausgehenden kapitalistischen Expansion und den internen sozio-ökonomischen Verhältnissen in der Peripherie. Diese Analyse wurde auf der einen Seite zunehmend von der einseitigen Betonung interner Faktoren – Koalitionen gesellschaftlicher Gruppen, nationale Institutionen oder der neu entdeckte Entwicklungsstaat – in der Erklärung von Erfolg und Mißerfolg peripherer Entwicklungspfade verdrängt. Auf der anderen Seite war für die „neue Entwicklungsökonomie“, die weniger neu war, sondern im wesentlichen ein Wiederaufleben orthodoxer neoklassischer Ökonomie beeinhaltete, der Erfolg der südostasiatischen Tigerstaaten der unwiderlegbare Beweis dafür, daß die Integration in den Weltmarkt eine zentrale Bedingung für Entwicklung und erfolgreiches Aufholen ist.
Ironischerweise verschwanden damit internationale Dominanzverhältnisse als erklärende Variable von Entwicklung aus den intellektuellen Debatten gerade zu einem Zeitpunkt, als diese in der „realen Welt“ wieder erheblich an Bedeutung zunahmen. Was könnte stärker an Imperialismus erinnern als das Krisenmanagement von IWF und Weltbank und der „Konsens von Washington“ (Williamson 1991) nach dem Ausbruch der Schuldenkrise in den 1980ern und der Konsolidierung des „Dollar Wall Street Regimes“ (Gowan 1999) in den 1990ern? Der vorherrschende intellektuelle Diskurs verwies jedoch auf interne Faktoren und auf die Chancen, die die Weltwirtschaft Nachzüglern böte. Wie so häufig, so verlief auch hier die Theoriebildung phasenverschoben mit der Realität (Stallings 1992: 43).[3]
Zum Teil war es das Ergebnis der intellektuellen und institutionellen Stärkung der institutionellen, staats-zentrierten und neoklassischen Forschung, die zu der Marginalisierung des Imperialismus- und dependenztheoretischen Paradigmas führte. Zum Teil aber trugen neue Charakteristika des kapitalistischen Weltsystems dazu bei, daß kritische Beiträge sich der Erkundung der „Globalisierung“ zuwandten.
2.2 Globalisierung
Für die Bezeichnung der neuen Epoche kapitalistischer Entwicklung hat sich mittlerweile das Konzept der (neoliberalen) Globalisierung durchgesetzt. Auch wenn dieses Konzept in der Literatur höchst unterschiedlich genutzt, die Realität der Globalisierung z.T. in Frage gestellt und ihre historische Neuartigkeit angezweifelt wird, so gibt es zumindest in der kritischen internationalen politischen Ökonomie (IPÖ) doch einen Minimalkonsens darüber, was die Globalisierung ausmacht (vgl. z.B. Altvater/Mahnkopf 1996, Narr/Schubert 1994, Strange 1988). Globalisierung bezieht sich zum einen auf die quantitative Beschleunigung und neue Qualität grenzüberschreitender ökonomischer Aktivitäten, die neben der globalen Integration der Finanzmärkte insbesondere die transnationale Reorganisation der Produktion umfaßt. Sie bezieht sich weiterhin auf eine weitreichende Transformation politischer Prozesse und Institutionen. Hinsichtlich der genaueren Natur dieser Transformation besteht wenig Einigkeit: Für eine Reihe von Autoren liegt sie in der zunehmenden Diskrepanz zwischen ökonomischer Globalisierung und politischer Steuerungsfähigkeit des Nationalstaates (Altvater/Mahnkopf 1996), andere betonen stärker die Veränderung des Nationalstaates selbst (Hirsch 1995, Jessop 1994), wieder andere verweisen auf die Herausbildung und Gestaltungsmacht politischer Institutionen, Netzwerke und Klassen jenseits des Nationalstaates (Sklair 1998). Untrennbar mit der Globalisierung verbunden ist die neoliberale Theorie und Praxis, d.h. die Bekämpfung des (sozialpolitisch) intervenierenden Staates zugunsten der Freisetzung der Marktkräfte, die Zurückdrängung des Einflusses der Gewerkschaften, die Stärkung des privaten Eigentums und die Konzentration auf die Herstellung der lokalen Wettbewerbsfähigkeit im globalen „Konkurrenzkampf“.
Die Konzeptionalisierung der jüngsten Veränderungen des Kapitalismus hat natürlich auch Auswirkungen auf die Analyse peripherer Gesellschaften. Globalisierung scheint mit einer Phase des Post-Imperialismus einherzugehen, in der Dominanz- und Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Staaten gegenüber transnationalen, d.h. den Nationalstaat überschreitende Klassenbeziehungen nur noch eine untergeordnete Rolle einnehmen. In der post-imperialistischen Phase des globalen Kapitalismus sind es TNKs, die die Weltwirtschaft integrieren, und damit globale Klassenverhältnisse schaffen. Staaten stehen nicht länger im Zentrum der kapitalistischen Expansion, vielmehr reduziert sich ihre Rolle auf die Vermittlung der von den TNKs konstituierten Ausbeutungsbeziehungen. Die Hierarchie, die durch die internationale Staatenwelt konstituiert wurde, verliert damit an Bedeutung. TNKs haben sich von ihren Herkunftsländern „emanzipiert“ und gewinnen Zugang zu der Peripherie aufgrund einer Ideologie, die betont, daß es keinen Antagonismus zwischen den globalen Interessen der TNKs und den nationalen sozio-ökonomischen Zielsetzungen der Gastländer gibt (Hoogvelt 2001: 57).
In jüngerer Zeit haben insbesondere neogramscianische Ansätze die Staatszentriertheit sowohl von mainstream wie auch von marxistischen Ansätzen kritisiert (Cox 1983, Gill 1993). Diese Ansätze, die die Konzepte Gramscis in der IPÖ fruchtbar machen, betonen die Bedeutung der konsensualen Seite internationaler Machtbeziehungen (d.h. Hegemonie) in ihrer Erklärung der grenzüberschreitenden Ausbreitung ökonomischer Strukturen, sozialer Beziehungen und Ideen in einer hierarchischen Weltwirtschaft. Darüber hinaus liefert Gramscis Konzept der Zivilgesellschaft einen fruchtbaren Ansatzpunkt für die Analyse der dichten transnationalen gesellschaftlichen Beziehungen, die im Zuge der Globalisierung entstanden sind. Für einige Autoren ist eine entstehende transnationale kapitalistische Klasse zentraler für die Herausbildung der jüngsten Phase kapitalistischer Expansion als der Staat-Kapital-Nexus (Sklair 2000).[4]
Den kritischen Ansätzen in der EU-Osterweiterungsforschung liegen häufig neogramscianische Ansätze zugrunde. Eine zentrale Frage ist, ob diese neuen marxistischen Ansätze und Konzepte das Resultat eines „Lernprozesses“ sind, d.h. eines Prozesses der Akkumulation neues Wissens, mit dem auf die neuen Charakteristika des globalen Kapitalismus reagiert wird. Oder haben wir es vielmehr mit einer Paradigmenverschiebung zu tun, welche Teile des Potentials der früheren Debatten ungenutzt läßt? Für meinen Zusammenhang anders ausgedrückt: Ist die europäische Einigung wirklich das Resultat einer post-imperialistischen Phase der Weltwirtschaft, oder gehen uns einige zentrale Aspekte der Einigung verloren, wenn wir nicht die Elemente des Imperialismus auch im Post-Imperialismus beachten? Diese Frage kann ich nicht abschließend klären. Im nächsten Abschnitt werde ich eine partielle Antwort geben, indem ich versuche aufzuzeigen, daß jüngere neo-gramscianische Arbeiten zur EU-Osterweiterung unbefriedigend bleiben, wenn sie nicht zumindest einige der Einsichten der früheren imperialismus- und dependenztheoretischen Debatten in ihre Analysen integrieren.
3. Neogramscianische IPÖ und Imperialismus als Rahmen für die Analyse der europäischen Einigung
Bislang erfolgten die ingesamt nicht sehr zahlreichen Versuche der Analyse der Beziehungen zwischen der politischen und ökonomischen Expansion der EU und den Formen der entstehenden Kapitalismen in Osteuropa zumeist im Rahmen neogramscianischer internationaler politischer Ökonomie (IPÖ). In dieser Sichtweise wird die Osterweiterung in dem Prozeß neoliberaler Globalisierung verortet und insbesondere auf die Hegemonie einer entstehenden transnationalen kapitalistischen Klasse und supranationaler Akteure zurückgeführt. Das Ziel der Osterweiterung ist letztendlich die Einbindung der MOEL dergestalt, daß sie zur Wettbewerbsfähigkeit des (west-)europäischen Kapitals in der Triade beiträgt. Die MOEL selber werden in diesen Prozeß vorrangig durch ihre Reformeliten integriert, die auf diese Weise ihr – intern nicht immer konsensuales - Reformprojekt abzusichern suchen. Als Ergebnis der Annäherung MOEs an die EU werden die internen gesellschaftlichen Beziehungen restrukturiert und in hohem Maße durch ausländische Akteure penetriert (Bieler 2002, Holman 2001, 2002, Bohle 2002a).
Die Anwendung des neogramscianischen Analyserahmen auf die EU-Osterweiterung hat eine Reihe wichtiger neuer Einsichten ermöglicht. Hervorzuheben ist insbesondere, daß neogramscianische Ansätze die EU-Osterweiterung in den weiteren globalen und historischen Kontexten verorten, daß sie auf die spezifische Form des Kapitalismus und ansatzweise auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in MOE aufmerksam machen, und daß sie das entstehende Feld gesamteuropäischer transnationaler Klassen- und Institutionenbildung betonen. Die neogramscianischen Analysen haben jedoch auch zu der Reproduktion einiger analytischer Schwächen geführt, die – obwohl dem Ansatz nicht immanent – doch charakteristisch sind für eine Reihe von Untersuchungen. Neogramscianischen Ansätzen wird häufiger vorgeworfen, daß sie die Rolle der Zivilgesellschaft und des Konsens in der kapitalistischen Reproduktion überbetonen und den Staat und die mit ihm verbundenen Zwangselemente vernachlässigen (Panitch 1996). Innerhalb der Zivilgesellschaft tendieren diese Ansätze darüberhinaus dahin, die Rolle transnationaler Wirtschaftseliten auf Kosten anderer sozialer Klassen zu überschätzen (Drainville 1992).[5]
Die jüngeren neogramscianischen Analysen der Osterweiterung teilen diese Probleme. Erstens neigen sie dazu, die Kohärenz der Pläne und die Gestaltungsmacht der Elitenorganisation des European Roundtable of Industrialists (ERT) und supranationaler Kommissionsakteure in der Osterweiterung überzubetonen. Es ist zwar durchaus überzeugend, daß eine entstehende transnationale kapitalistische Klasse und die EU-Kommission zentrale Akteure in der Osterweiterung sind. Dies sollte jedoch nicht dazu führen, den Einfluß nationaler Kapitale sowie nationaler Kompromisse, die aufgrund der spezifischen gesellschaftlichen Kräftekonstellationen in den Mitgliedsstaaten erlangt worden sind, auf die EU-Osterweiterung zu vernachlässigen. In diesem Zusammenhang wäre es in der Tat hilfreich, auf der Grundlage der Imperialismustheorie danach zu fragen, wie die unterschiedlichen – französischen, deutschen, britischen oder amerikanischen – Kapitale und ihre jeweiligen Staaten die Erweiterung fördern oder dieser entgegenarbeiten. Daß dabei nationale Rivalitäten im vereinten Europa durchaus an der Tagesordnung sind, ist erst jüngst im Kontext des Irak-Krieges, mit dem Streit zwischen Frankreich und England darüber, wie sehr die MOE in europäisch-transatlantische Entscheidungen eingebunden werden sollen, deutlich geworden. Frankreich scheint alles daran zu setzen, um die neuen Mitgliedsstaaten soweit wie möglich auf Abstand zu halten; eine Politik, die vermutlich die Unfähigkeit ihrer Kapitale, Osteuropa zu penetrieren, und damit ihre Angst, im vereinten Europa an den Rand gedrängt zu werden, widerspiegelt. Umgekehrt nutzt Großbritannien die Kandidaten, um seine eigene ökonomische Liberalisierungs- und sicherheitspolitische Agenda durchzusetzen; eine Agenda, die stark von Us-amerikanischen Interessen durchdrungen ist.
Eine eng damit verbundene, bislang aber häufig vernachlässigte Frage ist die Rolle der USA in der Gestaltung von Europas politischer, wirtschaftlicher und militärischer Einheit. Wenn wir die Einsichten der Theoretiker des neuen Imperialismus (Panitch 2000, siehe auch Fußnote 2) ernst nehmen, dann muß die Osterweiterung im Kontext einer komplexen imperialistischen Kette verortet werden, welche sowohl alte wie neue Formen des Imperialismus miteinander verbindet. Bislang gibt es nur sehr wenige Analysen dieser imperialistischen Kette.[6] In diesen Zusammenhang gehört auch ein weiterer Aspekt, der von neogramscianischen Ansätzen nahezu systematisch vernachlässigt wird, nämlich das Zusammenspiel von polit-ökonomischer und militärischer Expansion. Mit der NATO-Osterweiterung und der militärischen Intervention im ehemaligen Jugoslawien scheint sich eine Politik der Absicherung von Interessenssphären anzudeuten, zu deren Funktionsweise die Zwangsapparate der imperialistischen Staaten unabdingbar sind. Insgesamt also müßte eine Analyse der Osterweiterung nicht nur die Rolle transnationaler Agendasetter berücksichtigen, sondern vielmehr nach den – teilweise überlappenden, teilweise konfligierenden – Agenden von transnationalen und nationalen, europäischen und amerikanischen politischen und ökonomischen Akteuren in der Neuordnung des Kontinents fragen.
Zweitens werden die neogramscianischen Interpretationen aufgrund ihres Fokus auf transnationale Eliten in der Heranführung der MOEL an die EU der breiteren Klassenbasis der peripheren Gesellschaften nicht gerecht. So bleibt die Analyse der MOE-Gesellschaften häufig auf die transnational integrierten Reformeliten beschränkt. Diesen scheint eine amorphe Masse gegenüber zu stehen, die sporadisch willens ist, den Elitenkonsens in Frage zu stellen, ohne daß deutlich würde, auf welcher Grundlage dies geschieht. Hier würde es sich lohnen, an dependenztheoretische Arbeiten anzuknüpfen und die Klassenkonstellationen, Konflikte und Widersprüche innerhalb der MOEL sowie die Art und Weise, wie unterschiedliche Klassen mit externen Strukturen und Akteuren verbunden sind, gründlicher herauszuarbeiten. In diesem Zusammenhang könnte geprüft werden, ob die Konzepte der Kompradoren- oder internen Bourgeoisie (siehe z.B. Poulantzas 1973) sinnvolle Ansatzpunkte für die Analyse osteuropäischer Gesellschaften bieten.
Eine dritte Kritik gegenüber neogramscianischen Ansätzen ist der Vorwurf des Politizismus oder Voluntarismus, welcher die kapitalistischen Strukturzwänge unterschätze (vgl. Scherrer 1999: 23). In ihrer Anwendung auf die EU-Osterweiterung wird der „Voluntarismus“ in der Vernachlässigung der Analyse der sich herausbildenden internationalen Arbeitsteilung deutlich, einer Analyse, die Kernstück sämtlicher dependenz-/imperialismustheoretischen Ansätze war. In der Tat scheinen neogramscianische Ansätze strukturellen Hierarchien weniger Aufmerksamkeit zu schenken, als dies in frühren Ansätzen der Fall war. Ist es jedoch wirklich der Fall, daß das postfordistische Akkumulationsregime mit seinem Flexibilitätspotential die Herausbildung einer stabilen und hierarchischen Arbeitsteilung zwischen Ost und West verhindert? Welches sind die Industrien und Kompetenzen, die im östlichen Teil des neuen Europa angesiedelt werden, und wie begrenzen oder fördern sie die lokalen Entwicklungsmöglichkeiten? Wie verbinden sie sich mit Klassenpositionen und politischen Spaltungen?
Eine letzte, entscheidende Frage, die vermutlich aus imperialismus-/dependenztheoretischer Sicht, d.h. aus einer Sicht, die strukturelle und hierarchische Aspekte transnationaler Beziehungen und die daraus resultierenden Konflikte stärker betont als die neogramscianische, schärfer zugespitzt werden kann, ist die nach den potentiellen Auswirkungen der Koexistenz von imperialistischen Zentrums- und peripher-abhängigen Staaten im gleichen trans- und supranationalen europäischen Rahmen. Wie verträgt sich das EU-Prinzip der gleichberechtigten politischen Partizipation seiner Mitglieder mit der so deutlich zunehmenden realen Ungleichheit? Über welche Mechanismen und institutionellen Formen werden in einem erweiterten Europa die etablierten transnationalen Abhängigkeitsverhältnisse und Ungleichheiten aufrechterhalten?
Schlussbemerkung
Diese Skizze zielte darauf, zu prüfen, ob die Konzepte des Imperialismus und des abhängigen oder peripheren Kapitalismus zu einem besseren Verständnis des europäischen Einigungsprozesses beitragen können. Diese Theoriestränge sind seit den 1980er Jahren stark marginalisiert worden. Die kritische politische Ökonomie hat sich in der Folge weniger für die von den Zentren ausgehende Expansion des Kapitals und ihre Konsequenzen in der Peripherie interessiert denn für die Konstitution des globalen Kapitalismus. Insbesondere neogramscianische Ansätze haben gegenüber den früheren Analysen durch die stärkere Betonung transnationaler, nicht-staatlicher und konsensualer Beziehungen einen anderen Schwerpunkt gesetzt. Diese Ansätze haben auch die – insgesamt nicht sehr zahlreichen – Analysen der EU-Osterweiterung inspiriert, die nach dem Verhältnis von EU-Expansion und „deformierter“ Form des Kapitalismus in MOE fragen. Dieser Beitrag setzt sich für eine Erweiterung dieser Forschung mit Kategorien und Einsichten der Imperialismus-/Dependenztheorien ein, um damit sowohl die ideellen, elitengeleiteten, transnationalen und konsensuellen Elemente der europäischen Einigung wie auch ihre strukturell-hierarchische, nationalistisch-rivalisierende, und zwangsförmige Seite zu erfassen.
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[1] Eine andere Richtung der Analyse der dritten Phase des Imperialismus schlug Poulantzas ein, indem er die Reproduktion US-amerikanischer Macht innerhalb der von ihr abhängigen europäischen Staaten untersuchte. Dieser „neue” Imperialismus ist dadurch gekennzeichnet, daß sich die Verhältnisse zwischen den imperialistischen Metropolen selber in Beziehungen von Dominanz und Abhängigkeit verwandeln, und daß den USA eine bedeutende Rolle in dieser imperialistischen Kette zukommt (Poulantzas 1975). In jüngerer Zeit hat Leo Panitch wieder an dieses Imperialismuskonzept angeknüpft, um der US-Hegemonie auf die Spur zu kommen (vgl. Panitch 2000).
[2] So betont Andre Gunder Frank (1967) insbesondere die Rolle des internationalen Handels in der Deformierung der abhängigen Gesellschaften und schließt deren Entwicklungsmöglichkeiten im Rahmen des kapitalistischen Weltmarktes aus. Emmanuel (1972) hebt den ungleichen Tausch zwischen Zentrum und Peripherie hervor. Die daraus resultierende Überausbeutung der Peripherie ist für ihn der Grund ihrer Unterentwicklung. Andere Autoren, insbesondere Cardoso (1972), weisen die Verallgemeinerung eines einzigen Mechanismus als Erklärung für (Unter-)Entwicklung in der Peripherie zurück. Cardoso schlägt die Analyse konkreter Formen der Unterentwicklung vor, und weist zudem auf die Möglichkeit abhängiger Entwicklung hin. Zu einer exzellenten kritischen Rekonstruktion der Dependenztheorie siehe Palma 1978.
[3] Ähnlich wie die Dependenztheorie gerade zu dem Zeitpunkt von der intellektuellen Agenda verschwand, zu dem sie substantiell zur Erklärung der Entwicklungsblockierungen im Süden hätte beitragen können, so verschwanden auch die marxistische Staatstheorie und das Klassenkonzept seit den 1980ern aus intellektuellen Diskursen (Stallings 1992, Panitch 1996, Wright 1991). Dies zeigt natürlich nur, daß marxistische Positionen, Kategorien und Denker genau zu dem Zeitpunkt in die Defensive gedrängt wurden, zu dem die Macht des Kapitals wieder erstarkte.
[4] Die verschiedenen Autoren legen dabei allerdings ein sehr unterschiedliches Gewicht auf strukturelle, institutionelle, soziale und ideelle Faktoren in der Herausbildung transnationaler Gesellschaftsverhältnisse.
[5] Zu einer umfassenden Darstellung und Analyse der Kritik an neogramscianischen Ansätzen siehe Scherrer 1999.
[6] Gowan (1999) ist eine Ausnahme. Er analysiert allerdings nur das oberste Ende der Kette, nämlich den US-Imperialismus. Sowohl die ost- wie westeuropäischen Gesellschaften bleiben eine black box für ihn. Eine weitere Ausnahme ist van der Pijl (2002), der m. E. einen sehr guten Ausgangspunkt für die Analyse der imperialistischen Kette liefert. Offen bleibt allerdings nach wie vor die Reproduktion dieser Kette im Inneren der osteuropäischen Gesellschaften.