einer gemeinsamen Kritik der EU-Wirtschafts- und Sozialpolitik und skizziert in ihren jährlichen Stellungnahmen beschäftigungsorientierte Alternativen, zuletzt das EuroMemo 2002 mit dem Titel „Bessere Institutionen, Regeln und Instrumente für Vollbeschäftigung und sozialen Wohlstand in Europa“ (Hamburg 2002, VSA). Seit einigen Jahren existiert zudem ein von der EU finanziertes Netzwerk von Wirtschaftswissenschaftlern, genannt EpoC (Improvement of Economic Policy Coordination for Full Employment and Social Cohesion in Europe), das sich gleichfalls mit der Frage befasst, mit welcher Wirtschaftspolitik man in der EU und speziell im Euroraum bezüglich Vollbeschäftigung und sozialer Kohäsion wesentlich bessere Ergebnisse erzielen kann. Hier wird über die EpoC-Tagung „EU enlargement and social cohesion” berichtet, die vom 7.-9. März 2003 in Budapest stattfand.
Mit dem näherrückenden Beitritt insbesondere der mittel- und osteuropäischen Länder, der nun für Mai 2004 terminiert ist, traten naturgemäß die Probleme in den Vordergrund, die sich mit den tiefen regionalen und gesellschaftlichen Disparitäten zwischen den Beitrittsländern und den alten Mitgliedern und folglich mit den Instrumenten beschäftigen, die für ihre Reduzierung tauglich gemacht werden müssen, also die Strukturfonds, die Infrastruktur- und Agrarpolitik sowie – nicht zuletzt – die allgemeine makroökonomische Politik. Während die ersten Tagungen dieses Netzwerkes fast ausschließlich von westeuropäischen Wissenschaftlern veranstaltet und besucht wurden, war die ausgezeichnet organisierte Konferenz in Budapest – das Verdienst insbesondere von László Andor und seinen Mitarbeitern – nicht nur die erste in einem Beitrittsland, sondern sie war auch von zahlreichen Teilnehmern und Referenten aus Mittel- und Osteuropa geprägt, die erstmals auch untereinander ihre gemeinsamen Probleme intensiv diskutierten. Erwähnenswert ist auch der Veranstaltungsort, die Budapest University of Economic Sciences and Public Administration, die vormalige Karl Marx Universität, wunderschön direkt an der Donau gelegen. Mit hintergründigem Humor wurde uns am Rande der Tagung erläutert, dass die in der Aula befindliche Skulptur von Karl Marx zu schwer und sperrig gewesen sei, um sie in der Nachwendezeit aus diesem repräsentativen Raum zu entfernen.
1.
Eröffnet wurde die Tagung mit einem Statement des Ministers im Büro des Premierministers, der die enormen Veränderungen anriss, die die Beitrittsländer aufgrund der Übernahme des Aquis Communautaire, also ‘zigtausender Regelungen der EU auf den verschiedensten Gebieten, haben vornehmen müssen. Die Verhandlungsmacht der Kandidatenländer war nicht stark, es wurden nicht überall gleichberechtigte Lösungen gefunden, insbesondere auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik, während die westeuropäischen Länder ihre Handels- und Investitionsinteressen bereits jetzt mit einem großen Handelsbilanzüberschuss sowie der weitgehenden Übernahme der wichtigsten Industrie- und Infrastrukturunternehmen sowie der Banken voll durchsetzen konnten. Im Gegensatz zu den letzten Erweiterungsrunden wird die neue nach den bisherigen Planungen zudem nicht mit einer weiteren substantiellen Erhöhung der auf die zunehmenden regionalen Disparitäten reagierenden Struktur- und Kohäsionsfonds begleitet, sondern soll in dem inzwischen verfestigten Milieu äußerst restriktiver makroökonomischer Politik (Maastricht-Kriterien; Stabilitäts- und Wachstumspakt) ohne zusätzliche Ausgleichszahlungen erfolgen, was große Spannungen zwischen den Beitrittsländern und insbesondere den südeuropäischen Staaten erwarten lässt, die derzeit noch den Löwenanteil der Strukturfonds erhalten (Spanien, Portugal, Griechenland, Italien).
Peter Gowan, Politologe an der University of North London, konzentrierte sich in seinem Beitrag auf das Wechselverhältnis der transatlantischen Beziehungen zwischen der Hegemonialmacht USA, die Westeuropa nach dem Kollaps der SU in einen Vasallenstatus zu versetzen trachte, und der Neupositionierung Europas. Durch die schnelle und große Erweiterung, die vor fünf Jahren noch niemand für möglich gehalten habe, die aber spätestens mit dem Kosovokrieg als politisch absolut opportun erschien, werde Europa mit zunehmenden Desintegrationsproblemen konfrontiert, falls es nicht gelinge, die institutionellen Probleme, mit denen sich der Verfassungskonvent befasst, zu lösen. Als Minimallösung könnte dann die erweiterte Union eine Gemeinschaft sein, in der die vier Freiheiten (freier Güter-, Dienstleistung-, Kapital- und Arbeitsmarkt) verwirklicht wären, also ein integrierter Binnenmarkt, dem mit dem Euro und der in Maastricht konzipierten Finanz- und Geldpolitik zudem eine äußerst restriktive makroökonomische Gesamtsteuerung ihren beschäftigungsfeindlichen Stempel aufdrücken würde. Diese Wirtschaftsgemeinschaft wäre aber politisch fragmentiert und könnte dem globalen Hegemonialanspruch der USA nichts entgegensetzen, insbesondere nicht verhindern, dass die USA und nicht Westeuropa der erste Partner Russlands und der anderen ehemaligen GUS-Länder wäre. Bezogen auf die sozialökonomische Entwicklung betrachtet Gowan die Osterweiterung als ein Instrument, mit dem die politökonomischen Kräfteverhältnisse der Klassen innerhalb Europas nach dem Modell des Washington-Konsens zugunsten des Finanzkapitals grundlegend verändert werden und das Modell Europa, das sich in der Vergangenheit in viel höherem Maße sozialen Zielsetzungen verpflichtet habe, schrittweise dem US-amerikanischen Gesellschaftstyp angepasst werde. Gegen diese Tendenz bestehen Handlungsalternativen, die allerdings politisch durch eine entsprechende Einheitlichkeit Europas durchgesetzt werden müssen (wobei Großbritannien als trojanisches Pferd der USA fungiere). Haupthandlungsfelder seien für die Linke die Friedens- und Sozialpolitik .
Jörg Huffschmid, Universität Bremen, skizzierte die makroökonomische Selbstblockade der EU, die sich in der selbstzerstörerischen und prozyklischen Fiskal- und Geldpolitik manifestiere und damit für die Massenarbeitslosigkeit und soziale Erosion verantwortlich sei. Eine besondere Gefahr ergebe sich aktuell aus der großen Labilität der Wirtschaftslage in den USA (Dreifachdefizit: Leistungsbilanzdefizit, Haushaltsdefizit und hohe private Verschuldung), dem daraus resultierenden Druck auf den Dollar sowie der nicht vorhandenen Bereitschaft der EU, diesen Risiken mit einer expansiven Makropolitik zu begegnen, wodurch die Deflationsrisiken enorm ansteigen, insbesondere in Deutschland. Die Osterweiterung charakterisierte er als „Club-Politik“ (die Kandidaten haben alle Bedingungen zu erfüllen). Die EU treibe die Flexibilisierung und Privatisierung insbesondere des Sozialsystems (Renten und Gesundheit) voran. Beschäftigungspolitik werde auf Deregulierung und Employability konzentriert, die Regionalpolitik stark begrenzt. Das Ergebnis seien Stagnation, wachsende Arbeitslosigkeit und zunehmende regionale Disparitäten. Alternativ dazu sei eine makroökonomische Offensive erforderlich. Die Steuern müssten für höhere öffentliche Investitionen und die Stärkung der Sozialkassen erhöht, die Strukturfonds substantiell besser ausgestattet werden, um der sozialen Verantwortung tatsächlich gerecht werden zu können.
Joze Mencinger, Ökonom und Rektor der Universität Ljubljana, Slowenien, erntete mit seiner Untersuchung über den Zusammenhang von Auslandsinvestitionen und der generellen makroökonomischen Performance der Beitrittskandidaten große Aufmerksamkeit. Der Zusammenhang sei eindeutig negativ. In Slowenien seien als einzigem Land die Banken und wichtige Industriebetriebe nicht an das Ausland verkauft worden, so dass sich die Zulieferbeziehungen im Inland stabilisiert hätten und auch das Forschungs- und Entwicklungs-Potential nicht zerstört worden sei. Das Wachstum sei kontinuierlich, der Haushalt relativ ausgeglichen sowie die Leistungsbilanz positiv, insgesamt also einzigartig gute Werte für ein Beitrittsland.
Mit Prof. Inothi, dem Präsidenten des ungarischen Instituts für Weltwirtschaft, der die derzeitige sozialdemokratisch geführte Regierung in Ungarn in Erweiterungsfragen führend berät, referierte ein osteuropäischer Vertreter der „Neuen Mitte“, der für die Arbeitslosigkeitsprobleme nicht die makroökonomische Politik, sondern mangelnde Flexibilität im Westen sowie unvermeidliche Transformationsprozesse in den CEECs (Central and Eastern Europe Countries, mittel- und osteuropäische Länder) verantwortlich macht. Zum Beitritt habe keine vernünftige Alternative bestanden, die Opportunitätskosten des Nichtbeitritts seien viel höher als die des Beitritts. Innerhalb der Union könne man zudem die Probleme besser abwettern, was zweifellos richtig ist, aber nur, wenn die Union die entsprechenden Instrumente auch tatsächlich anwendet. Inothi verwies darauf, dass diese Erweiterung erstmals nicht mit einer Erhöhung der Strukturfonds einhergehe und sich – ebenfalls erstmals – im Umfeld einer Konjunkturkrise und Stagnation vollziehe. Nach 2006 müssten die Strukturfonds voll auf die Beitrittsländer konzentriert werden (was im Saal ein hörbares Raunen auslöste), wobei die Beitrittsländer ihre Anpassungs- und Absorptionsfähigkeit für die Regionalhilfen drastisch verbessern müssten. Der Beitritt müsse (im Unterschied zu der Süderweiterung, die etwa in Spanien erst nach einer Krisenphase von etwa 10 Jahren zu einer Verringerung des Abstands beim pro Kopf-Einkommen zum EU-Durchschnitt geführt habe) unmittelbar zur Verbesserung der Lage beitragen, für die alten und neuen Mitglieder gleichzeitig Vorteile generieren und so gestaltet sein, dass auch Russland, die Ukraine und Weißrussland eine Entwicklungsperspektive hätten. Nach den hoffentlich positiven Referenden müsse die Integrationspolitik völlig neu und sehr intensiv kommuniziert werden, um die politische Zustimmung zur Erweiterung aufrecht zu erhalten. Der radikale Wandel der ökonomischen Verhältnisse werde weitergehen. Die Märkte der Beitrittsländer würden sich selbst gegenseitig öffnen und damit von protektionistischen Barrieren befreit werden, während sie sich bisher hauptsächlich gegenüber Westeuropa geöffnet hätten. Zum ersten Male würden die Budgetrestriktionen in Osteuropa, d.h. die Verschuldungsmöglichkeiten der öffentlichen Haushalte, wirklich hart sein. Wie unter diesen harten Budgetrestriktionen dann die Arbeitslosigkeit, die z.B. in Polen außerhalb des Agrarsektors derzeit bei knapp 30 Prozent liegt, reduziert werden kann, konnte er allerdings nicht aufzeigen.
2.
Am zweiten Konferenztag fanden zunächst vier Arbeitsgruppen zu den Themen Finanzmärkte und Finanzpolitik, Regionalpolitik und Erweiterungsprobleme, monetäre, reale und institutionelle Annäherung sowie Wohlfahrtssysteme und Arbeitsbeziehungen statt, in denen ca. 20 Papiere vorgestellt und diskutiert wurden. Zentrale Aussagen waren auch hier, dass die enormen wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den Beitrittsländern unter keinen Umständen gelöst werden können, wenn sich die EU nicht von ihrer makroökonomischen Selbstblockade befreit. In zwei Plenarsitzungen wurden sodann das sich entwickelnde Modell des Europäischen Kapitalismus in Beiträgen von Károly Lóránt (Budapest) und Egon Matzner (Wien) diskutiert. Matzner, der sich in seinen Veröffentlichungen seit langem mit den Folgen des „Washington-Konsens“ für Westeuropa befasst hat, argumentierte schlüssig, dass dieser nun selbst in der Krise sei, die USA wirtschaftspolitisch darauf jedoch pragmatisch mit massiven öffentlichen Defiziten reagierten, während in der EU weiter dem Maastricht-Dogma gehuldigt werde. Wichtig war im Rahmen dieser Diskussion die Feststellung, dass neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nicht zwangsläufig mit einer restriktiven makroökonomischen Geld- und Fiskalpolitik einhergeht, was sich deutlich an den unterschiedlichen Ansätzen der USA und der EU zeigt. Konvergent ist der Neoliberalismus im Bereich Arbeitsmarktderegulierung und Sozialabbau, nicht aber in der Geld- und Fiskalpolitik. Der Terminus „neoliberale Wirtschaftspolitik“ ist mithin recht unscharf.
In einem zweiten Panel haben dann András Blahó (BUESPA), Catharine Samary, (Universität Paris 9) sowie Tibor Szanyi, der ungarische Landwirtschaftsminister, über Fragen der Welthandelspolitik und ihrer demokratischen Kontrolle, über die Perspektiven der CAP (Common Agrarian Policy, Gemeinsame Agrarpolitik) sowie über ihre Wirkungen auf die Landwirtschaft in Osteuropa diskutiert. Hier wurde auch die Frage aufgeworfen, in welchen Allianzen bzw. Koalitionen die Beitrittsländer ihre Interessen zukünftig in der EU vertreten wollen, zumal es der Kommission bei den Beitrittsverhandlungen immer wieder gelungen ist, die Kandidatenländer gegeneinander auszuspielen.
3.
Einer der Höhepunkte der Konferenz war am Sonntag der Vortrag von James K. Galbraith (University of Texas), der einerseits für die Linke teilweise sehr überraschende Diagnosen über die Funktionsweise des US-amerikanischen Kapitalismus präsentierte und sich zudem intensiv mit der Rolle der Einkommensunterschiede für das Wirtschaftswachstum und die Vollbeschäftigung auseinander setzte.[1] In der Tradition von Keynes und Kalecki verwies er darauf, dass sich in den USA in der zweiten Hälfte der 90er Jahre die Einkommensunterschiede bei Löhnen und Gehältern verringerten und dies neben dem Investitionsboom in die New Economy, der allerdings zu teilweise irrwitzigen Überkapazitäten etwa bei der Glasfaserverkabelung geführt habe und damit den Aufschwung auch spekulativ zerstörte, zur Vollbeschäftigung wesentlich beigetragen hat. Keineswegs sei die (empirisch nicht feststellbare) Vergrößerung der Einkommensunterschiede sowie der Sozialabbau Voraussetzung für den Aufschwung gewesen, wie es etwa die Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) behaupten. In Europa sei zwar die Einkommensverteilung innerhalb einzelner Länder wie Deutschland, Frankreich usw. weniger ungleich als in den USA. Zwischen den Ländern insgesamt sei sie allerdings wesentlich größer, was auch einen Teil der Wachstumsschwäche Westeuropas erklären könne. Als eine wichtige gemeinsame einkommenspolitische Maßnahme stellte er deshalb die Angleichung der Altersrenten auf höherem als dem Durchschnittsniveau zur Diskussion.
Bezüglich der enorm rigiden Handhabung der Budgetrestriktionen im Maastricht-Vertrag verwies er zudem auf die weichen Restriktionen (soft constraints) in verschiedenen parafiskalischen Sozialsystemen der USA, so im Gesundheitswesen, wo viele ältere Menschen, Behinderte, Arme und Veteranen zwar nicht privat versichert seien, aber dennoch in den Krankenhäuser kostenlos, d. h. staatlich finanziert, behandelt würden. Allerdings fallen ca. 40 Mio. Menschen, vor allem Latinos und junge Arbeiter, durch dieses Raster. Außerdem könne man die Gesundheitsversorgung mit Sicherheit kostengünstiger gestalten, wenn man die Raffgier der Ärzte und Versicherungen begrenzen würde. Im Hochschulsystem spielten neben der privaten auch die öffentliche Finanzierung sowie die Steuererleichterungen für Stiftungen etc. eine zentrale Rolle. Zudem entziehe der große Ausbildungssektor dem Arbeitsmarkt einen bedeutenden Teil der jungen Menschen. Im Wohnungswesen seien große und durch den Staat abgesicherte Kreditaufnahmemöglichkeiten vorhanden, z.B. gäbe es staatlich garantierte sekundäre Hypothekenmärkte (z.B. Fannie Mae), so dass der Massenkonsum in diesem Sektor erstaunlich gut funktioniere. In der Stadtpolitik hat der Community Reinvestment Act dafür gesorgt, dass private Banken Investoren auch in Ghettobezirken ohne Zinszuschläge Kredite gewähren müssen. „Alles in allem unterstützt der öffentliche Sektor auf die eine oder andere Weise Aktivitäten in mehr als der Hälfte der US-Wirtschaft. Und damit trägt er dazu bei, das Wachstum der Wirtschaft insgesamt zu unterstützten und zu stabilisieren.” (Galbraith, Reader, S. 105). Das Bild der US-Gesellschaft ist also viel widersprüchlicher, als es von kruden Befürwortern des Neoliberalismus gezeichnet wird. Es ist interessant, die Einschätzung von Galbraith etwa mit der Position des US-Ökonomen Robert Brenner zu konfrontieren, der in dem Artikel „Schwungvoll auf Talfahrt“ die Ursachen und Mechanismen der US-amerikanischen Wirtschaftskrise untersucht.[2]
4.
Im erwähnten Konferenz-Reader sind einige Beiträge enthalten, die nicht direkt Gegenstand der Konferenz waren bzw. über die dort vorgetragenen Beiträge hinausgehen, die jedoch für das Verständnis der Problematik der EU-Osterweiterung wichtig sind und auf die hier eingegangen werden soll.
In seinem Beitrag „Osterweiterung und Konvergenz in der EU“ legt Tamás Morva (Ökonom, Ungarn, ehemaliger Direktor des Nationalen Planungsinstituts in Budapest) eine sehr komplexe und zugleich differenzierte Analyse der ökonomischen Situation in den Beitrittsländern und der sich daraus für die Erweiterung ergebenden Konsequenzen vor (Reader, S. 13 ff.). Ausgangspunkt seiner Untersuchung ist die Feststellung, dass die Konvergenz ein Grundprinzip und eine den Zusammenhalt stärkende Kraft der EU darstellt. Diese Problematik gewinnt einen völlig neuen Stellenwert mit der EU-Osterweiterung, da die Anzahl der Länder und Regionen mit einem „Konvergenzproblem“ und das Ausmaß ihrer Rückstände in der pro-Kopf-Produktion eine neue Dimension und Qualität erreicht. Dieses Phänomen ist zwar wohl bekannt, das Ausmaß des Problems und vor allem die sich daraus ergebenden Konsequenzen werden jedoch unterschätzt und kaum diskutiert. Um seine Schlussfolgerungen zu fundieren hat Morva eine Vielzahl von Tabellen mit wichtigen Daten zusammengestellt, in denen er eine weitere Unterteilung der bisherigen EU-Staaten und der Beitrittsländer für das Jahr 2000 (berechnet auf Basis der Kaufkraftparität) vorgenommen wird:
EU 12 und EU 3 – Griechenland, Spanien und Portugal mit einer pro-Kopf-Produktion von 78 Prozent des EU Durchschnitts;
CEEC 5 – Tschechische Republik, Ungarn, Polen, Slowakei und Slowenien mit einer pro-Kopf-Produktion von 46 Prozent des EU Durchschnitts und CEEC 3 – die drei baltischen Staaten mit einer pro-Kopf-Produktion von 33 Prozent des EU-Durchschnitts.
Aus seinen Analysen zieht er u.a. folgende Schlussfolgerungen:
- Die Vorstellung, dass die ökonomischen Unterschiede und Spannungen nach dem Beitritt auf der Grundlage der Anwendung der bisherigen ökonomischen Politik gelöst werden können, ist irreführend und gefährlich.
- Der ökonomische Nutzen der Erweiterung wird vor allem an die ökonomisch stärkeren Länder und deren Großunternehmen gehen. Den Nachteilen für die Beitrittsländer muss durch einen stärkeren Einsatz finanzieller Mittel seitens der EU entgegengewirkt werden.
- Der EU-Haushalt gewinnt für die Beitrittsländer im Vergleich zu den bisherigen EU-15 eine weit größere Bedeutung; langfristig ist eine Erhöhung der Nettobeiträge zum EU-Haushalt unverzichtbar, wenn die Erwartungen an die Integration nicht völlig enttäuscht werden sollen.
- Die ökonomische Politik der EU muss offener und flexibler gegenüber den differenzierten und größeren Problemen der Beitrittsländer sein. Dies gilt auch schon für die Vorbereitungszeit. Veränderungen in der Politik müssten so schnell wie möglich erreicht werden. Dies betrifft insbesondere die Maastricht-Kriterien, deren undifferenzierte Anwendung das ökonomische Wachstum in den Beitrittsländern hemmen und die Konvergenz verzögern wird.
In dem Beitrag von Hermann Bömer/Andreas Borchardt/Wolfgang Schlegel (Ökonomen und Raumplaner an der Universität Dortmund) über „Erweiterung und Kohäsion: eine Reform der Ziele und Fonds“ werden die bisherigen Ergebnisse bei der Überwindung bzw. Einschränkung regionaler Disparitäten untersucht. Auf der einen Seite wurden – gemessen an der pro-Kopf-Produktion – die Rückstände der Länder verringert. Auf der anderen Seite gibt es jedoch eine sehr widersprüchliche Entwicklung und eine teilweise Vergrößerung der regionalen Disparitäten innerhalb der Länder. Die Autoren schlagen eine Reform für den Einsatz der Strukturfonds vor, deren Hauptziel die stärkere Konzentration der Mittel auf die wenig entwickelten Regionen sein sollte. Zugleich muss eine wesentliche Erhöhung der insgesamt für die regionale Entwicklung verfügbaren EU-Mittel gesichert werden. Folgende Neugliederung der Strukturfonds wird vorgeschlagen: Neues Ziel 1 sollen ausschließlich Regionen der CEEC-Länder sein, auf die 70 Prozent der gesamten Strukturfonds der EU konzentriert werden sollen; Ziel 2 sollen die bisherigen Ziel 1 Regionen der EU 15 umfassen, für die 15 Prozent der Strukturfonds der EU vorgesehen werden sollten. Zugleich wird vorgeschlagen, eine neue Ziel 3 Gruppe zu bilden, mit 10 Prozent der EU Strukturfonds, in die Regionen insbesondere nach ökologischen und kulturellen Kriterien aufzunehmen sind. Es wird auch vorgeschlagen, die Höhe des finanziellen Eigenbeitrages in den jeweiligen Gruppen unter Berücksichtigung ihres ökonomischen Potenzials zu differenzieren: 15 Prozent für Ziel 1, 40 Prozent für Ziel 2 und 70 Prozent für Ziel 3.
Claus Thomasberger (Ökonom, Professor an der Wiener Universität für Wirtschaft und Business Administration) behandelt in seinem Beitrag „Europäische Währungsunion und Erweiterung – acht Thesen“ Probleme der Vorbereitung und der Teilnahme der CEEC an der Europäischen Währungsunion (EWU), insbesondere die nach dem gegenwärtigen Konzept erwachsenden Konflikte und Hemmnisse in den Beitrittsländern (Reader, S. 25 ff.). Im Zentrum seiner Thesen stehen die Widersprüche zwischen der nominalen Konvergenz nach den Maastricht-Kriterien und der realen Konvergenz durch die Annäherung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der EU 15. Er weist nach, dass die einseitige Orientierung auf die nominale Konvergenz die reale Konvergenz hemmen und verzögern wird. Besonders problematisch ist seiner Ansicht nach, dass die Liberalisierung der Kapitalmärkte bei den Beitrittskandidaten im Unterschied zur Entwicklung der EU 15 am Beginn des Integrationsprozesses steht. Die Kapitalkontrollen sollen schon vor dem Beitritt zur EU beseitigt werden. Damit werden die neuen Mitglieder gezwungen, sich schon vor dem Beitritt den EU-Standards in der Geldpolitik unterzuordnen. Dadurch wird der Spielraum für eine nationale Geldpolitik, die die jeweils spezifischen wirtschaftlichen Bedingungen und Erfordernisse berücksichtigt, extrem eingeschränkt. Der Beitrag schließt mit zwei Schlussfolgerungen: dass es erstens gute Gründe gibt, die volle Mitgliedschaft in der EWU über den bisher vorgesehenen Zeitrahmen hinaus zu verschieben, und dass zweitens die Liberalisierung des Kapitalmarkts wahrscheinlich das Haupthindernis ist, um eine Politik durchzusetzen, die dem ökonomischen Wachstum und der realen Konvergenz die Priorität gibt.
Tadeusz Kowalik (Ökonom, Professor an der Polnischen Akademie der Wissenschaften) untersucht in seinem Beitrag „Beitritt zur EU – gestern, heute und morgen“ die Bedingungen des Beitritts und die Auswirkungen der jeweils verfolgten Wirtschaftspolitik auf die ökonomische Entwicklung, speziell auf die reale Konvergenz der Länder und Regionen (Reader, S. 43 ff.). Der Beitritt der CEEC wird nicht ein Beitritt wie bei den bisherigen Ländern sein. Die ökonomische Hilfe wird im Vergleich zu früher, ungeachtet der weitaus größeren Probleme der heutigen Beitrittsländer, nicht ausgedehnt, sondern eingeschränkt. Interessant sind die italienischen Erfahrungen bei der Entwicklung der Region Mezzogiorno, die die Kluft gegenüber dem mehr entwickelten Norden nur in der Zeit des Nachkriegsinterventionismus verringern konnte. Der Übergang zur „freien Marktwirtschaft“ beendete die Periode der Konvergenz nicht nur in Italien. Unter diesem Aspekt spielen die EU-Finanztransfers nicht nur eine Rolle für den Ausgleich von Unterschieden, sondern auch als Kompensation für die negativen Effekte, die durch die Politik des freien Marktes entsprechend den Maastricht-Kriterien und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt hervorgerufen werden. Der weitere Rückzug von der „sozialen Marktwirtschaft“ in der gegenwärtigen EU wird auch negative Auswirkungen auf die prekäre soziale Lage in Polen haben. Gegenwärtig beträgt die Arbeitslosenrate ca. 20 Prozent ‑ wobei der Anteil der Arbeitslosen, die Arbeitslosenunterstützung erhalten, weiter rapide zurück gegangen ist, auf gegenwärtig nur noch 1/5. Besonders bedrohlich ist die Situation für die Jugend. 45 Prozent der Jugendlichen (bis 24 Jahre) sind ohne Beschäftigung. Eines der größten sozialen Probleme ist das weitgehende Verschwinden der Gewerkschaften. Auch in mehreren bekannten westlichen Firmen gibt es ein kaum verborgenes Verbot der Gründung von Gewerkschaften.
Kowalik hebt als Schlussfolgerung hervor, dass Polen ein extrem ehrgeiziges Programm benötigt, das eine durchgehende Genesung und Stärkung ermöglicht. Ein Beitrittsprozess „as usual“ würde die sozialen Probleme und Spannungen zuspitzen. Die außergewöhnliche Problematik verlangt nach unkonventionellen, ausnahmsweisen Lösungen.
Ivan Okáli/Milan Sikula (Mitarbeiter bzw. Direktor des Instituts der slowakischen und der Weltwirtschaft der Slowakischen Akademie der Wissenschaften) analysieren auf der Grundlage einer Studie ihres Instituts „Die ökonomische und soziale Entwicklung in der Slowakei nach 1989 und der Beitritt zur EU: Entwicklungstrends und Transformationszyklen“ (Reader, S. 52 ff.). Nach ihrer Ansicht ist der Beitritt zur EU eine einzigartige historische Chance und eine existenzielle Notwendigkeit, zu der es aus der Sicht der nationalen und staatlichen Interessen keine vernünftige Alternative gibt. Probleme für den Beitritt werden insbesondere darin gesehen, dass die slowakische Übergangsökonomie Faktoren aufweist, die zu starken Ungleichgewichten führt, und dass ihre Stabilisierungsmechanismen unzureichend sind. Besonderer Ausdruck für die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der slowakischen Wirtschaft ist ihr hohes Außenhandelsdefizit von 7,2 Prozent des BIP. Verglichen mit den anderen Beitrittsländern ist der Anteil der eigenen Produktion an der Deckung der Endnachfrage am niedrigsten. Die regionale Differenzierung ist äußerst groß. So beträgt das pro-Kopf-Einkommen in der am wenigsten entwickelten Region (Presov) nur ein Drittel der am stärksten entwickelten Region (Bratislava).
Der Beitrag „Slowenien: Alternative Wirtschaftspolitik in Aktion“ von Joze Mencinger, (Ökonom, Professor und Rektor der Universität in Ljubljana) enthält eine sehr kritische Sicht auf den Beitrittsprozess und die Erfahrungen der Transformation der CEEC (Reader, S. 58 ff.). Bei den verschiedenen Möglichkeiten der EU 15, den Beitritt so zu gestalten, dass sie nicht von den Problemen der Beitrittskandidaten „überfordert“ werden, hat sich die EU für die Option entschieden, die Neulinge zu akzeptieren, sie aber nicht gleichberechtigt zu behandeln. Die Beitrittskandidaten haben keine Wahl. Sie haben ihre Entwicklung dem Ziel untergeordnet, der EU beizutreten. Angesichts des Dilemmas „take it or leave it“ entscheiden sie sich für „take it“. Der Enthusiasmus, der in der ersten Zeit bei den CEEC vorherrschte, wurde schrittweise durch Realismus und Skeptizismus ersetzt. Kleinliches Schachern über Kosten und Nutzen wird den Enthusiasmus ersetzen. Der Aufholprozess wird sehr langwierig sein, während dieser Zeit werden die formelle finanzielle Hilfe und die technische Unterstützung mehr als ausgeglichen durch den Fluss von sichtbaren und unsichtbaren Werten in umgekehrter Richtung. Zu den empfangenen Direktinvestitionen schreibt Mencinger, dass hohe Raten dieser Direktinvestitionen allgemein nur als Erfolg für die Transformation und die EU-Konvergenz, d.h. nur unter dem Aspekt ihrer positiven Wirkungen, betrachtet, und ihre häufig negativen Effekte, speziell das Vorherrschen ausländischer Unternehmen in der nationalen Wirtschaft mit ihren Konsequenzen für das Abschneiden innerer Produktionsverflechtungen, ignoriert werden. Diese differenzierte Bewertung der empfangenen Direktinvestitionen entspricht auch den Erfahrungen Ostdeutschlands in der letzten Dekade.
Klaus Steinitz (Ökonom, Berlin) untersucht in seinem Beitrag „Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik – erster Schritt der Osterweiterung der EU?“ Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik und zur EU und dem Beitritt der CEEC zur EU sowie sich daraus ergebende Konsequenzen für die Gestaltung des gegenwärtigen Erweiterungsprozesses (Reader, S. 64 ff.). Die Antwort auf die Frage nach der Gültigkeit der Erfahrungen der ostdeutschen Entwicklung seit 1990 für die Vorbereitung und den Vollzug des EU-Beitritts der CEEC fällt ambivalent aus. Einerseits gibt es eine Reihe ähnlicher Probleme und Herausforderungen, die vor allem mit der Transformation in eine kapitalistische Marktwirtschaft, der Integration in ein ökonomisch stärkeres und überlegenes Umfeld und der Dominanz der Interessen der bisherigen EU-Länder zusammenhängen. Ähnliche Probleme wie in Ostdeutschland nach 1990 ergeben sich für die CEEC-Länder auch aus den engen Wirtschaftsverflechtungen, die sich in der Zeit bis 1990 zwischen ihnen herausgebildet hatten und die nach 1990 zu einem großen Teil abrupt abgebrochen wurden. Sie haben bis heute kein volles Äquivalent gefunden. Andererseits unterscheiden sich die Bedingungen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik und ihrer Integration in die EU in Vielem grundlegend von den Bedingungen, unter denen die CEEC gegenwärtig ihren EU-Beitritt vorbereiten bzw. sich danach entwickeln werden. Dies bezieht sich sowohl auf Größe und Tiefe der Probleme, auf die Qualität der Interessenunterschiede zwischen den Beitrittsländern und den EU 15 und die Art und Weise wie diese in Erscheinung treten, als auch und vor allem auf die Bedingungen, Möglichkeiten und Zeiträume zur Entfaltung und Lösung der Probleme und Widersprüche. Die Ergebnisse der Untersuchung werden in einer Übersicht zusammengefasst, in der in neun Komplexen einerseits die Gemeinsamkeiten bzw. Ähnlichkeiten und andererseits die Unterschiede zwischen Ostdeutschland und den CEEC im Zusammenhang mit dem Beitritt zur EU charakterisiert werden.
Die Arbeit des Netzwerkes Alternative Wirtschaftspolitik in Europa wird fortgesetzt, unter anderem mit Spezialkonferenzen zur Finanzmarktintegration, zur regionalen Strukturpolitik usw. sowie mit jährlich erscheinenden Memoranden zur europäischen Wirtschaftspolitik und beschäftigungsorientierten Alternativen. Vgl. hierzu www.memo-europe.uni-bremen.de
[1] James K. Galbraith, What is the American Model really about?, abgedruckt im Konferenz-Reader: W. Blaas (Ed.)., Eastern Enlargement as an All European Development Project. Conference Reader. Institut für Finanzwissenschaft und Infrastrukturpolitik der Technischen Universität, Der Öffentliche Sektor. Forschungsmemoranden, H.3-4/2002, S. 101ff. Dieser Reader soll bis zum Herbst 2003 um einen zweiten Band mit den bisher noch nicht veröffentlichten Beiträgen der Konferenz ergänzt werden. (www.ifip. tuwien.ac.at)
[2] Lettre International, Nr. 50, Frühjahr 2003.