Zum Andenken an Jörg Huffschmid

Kapitalismuskritik heute - Jörg Huffschmid zur Erinnerung

März 2010

Kapitalismuskritik heute –
Jörg Huffschmid zur Erinnerung

Am 5. Dezember 2009 starb unser Beiratsmitglied Jörg Huffschmid. Er war nicht nur einer der Initiatoren und Gründer von „Z“, er hat die Zeitschrift auch bis zuletzt inhaltlich begleitet und regelmäßig Beiträge geschrieben. Marxistische Erneuerung war für ihn ein persönliches Anliegen: In einem Interview vom Dezember 2008 (in diesem Heft, S. 8ff.) vergleicht er den Marxismus mit einen lebendigen Organismus, der auf der Grundlage von Debatten und sozialen Bewegungen lebt. Jede Art von rein akademischer Betrachtungsweise, abgehoben von den praktischen Kämpfen der Gegenwart, war ihm fremd. Um ihn zu ehren und seinem Vermächtnis gerecht zu werden, haben wir langjährige wissenschaftliche und politische Weggefährten gebeten, kurze statements zu jenen Themen abzugeben, auf denen er – oft über Jahrzehnte hinweg – wissenschaftlich gearbeitet hat. In diesem Heft finden sich neben einem Beitrag aus der Z-Redaktion Stellungnahmen von Heinz Bontrup, Herbert Schui, Karl-Georg Zinn, Elmar Altvater, Hermann Bömer, Joachim Bischoff und Richard Detje. Weitere Beiträge von Dieter Boris, Frank Deppe, Horst Heininger und Gretchen Binus, Jürgen Leibiger sowie von Peter Strutynski sind für das folgende Juni-Heft zugesagt.

Damit möchte „Z“ auch einen inhaltlichen Beitrag zu der am 19. und 20. Februar 2010 in Berlin stattfindenden wissenschaftlichen Tagung „Kapitalismuskritik heute – Zum Forschungsprogramm von Jörg Huffschmid“ leisten. Jörg wäre am 19. Februar 70 Jahre alt geworden. Veranstaltet wird dieser Kongress gemeinsam von Attac, Memorandumgruppe, EuroMemoGroup, Rosa Luxemburg Stiftung, Ver.di/Bereich Wirtschaftspolitik und den Zeitschriften „Blätter für deutsche und internationale Politik“, „Sozialismus“ und „Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung“. Ziel der Tagung ist es, die von Jörg ausgehenden wissenschaftlichen und politischen Anstöße im Kampf gegen Krieg, Massenarbeitslosigkeit und Armut, Umweltzerstörung und soziale Unsicherheit aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Dies ist auch das Anliegen unserer Zeitschrift.

Mit Jörg verlieren wir nicht nur einen wichtigen Ratgeber und Mitarbeiter, wir verlieren vor allem einen guten Freund, der uns durch seine Energie und Menschlichkeit in allen Schwierigkeiten immer Mut und Optimismus vermittelt hat.

Z-Redaktion

Jörg Goldberg/André Leisewitz

Jörg Huffschmid als marxistischer Ökonom

Mit dem Tod vom Jörg Huffschmid verliert die antikapitalistische und demokratische Bewegung einen Wissenschaftler, der durch seine Arbeit gezeigt hat, wie fruchtbar auf dem Marx’schen Denken basierende Analysen sein können. Jörg Huffschmid hat sich über sein ganzes wissenschaftliches und politisches Leben hinweg als Marxist verstanden – hat dies aber mit einer beeindruckenden Kontinuität immer auf eine sehr spezifische Art getan. Obwohl er mit seiner Orientierung am Marxismus und seiner politischen Zugehörigkeit zur kommunistischen Bewegung niemals hinter dem Berg gehalten hatte, gewann er dank der Solidität und wissenschaftlichen Redlichkeit seiner Arbeit rasch Anerkennung auch in anderen politischen Lagern. Seine Analysen und wirtschaftspolitischen Empfehlungen wurden auch von denen genutzt, die seiner politischen Position mit Skepsis gegenüberstanden.

Wir möchten seinen spezifischen und persönlichen Zugang zum Marxismus in drei Aspekten beleuchten: Sein Umgang mit klassischen Texten und ‚Lehrsätzen’, d.h. sein Verhältnis zu einer dogmatischen Lesart des Marxismus, seine Auffassung von ökonomischen Gesetzen und Widersprüchen im Kapitalismus und schließlich das Verhältnis von ökonomischen Widersprüchen und sozialen Auseinandersetzungen bei dessen Überwindung.

Ein undogmatischer Marxist

Jörg Huffschmid hat sich selten zum Marxismus ‚als solchem’ geäußert, Klassikerzitate benutzte er äußerst sparsam. In seinem in diesem Heft abgedruckten Gespräch vom Dezember 2008 bezeichnet er den Marxismus als einen „lebendigen Organismus“, der sowohl durch Debatten als auch durch soziale Kämpfe weiterentwickelt werde.1 Es fällt auf, dass er selbst in den 1970er Jahren, der Hochzeit der Marx-Exegese, als jeder Linke mit Marx (oder auch Lenin- und Mao-)zitaten um sich warf, dies extrem selten tat: Seine Analysen waren stets solide empirisch ausgerichtet, und er missbrauchte die Empirie auch niemals als bloßen Beleg für die vermeintliche Richtigkeit von marxistischen Lehrsätzen. Man lese z.B. das begrifflich und politisch eindeutig zu verortende Referat „Zu den theoretischen Grundlagen der marxistisch-leninistischen Monopoltheorie“, gehalten auf der Konferenz des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) am 26./27. Juni 1976[2]: Nicht nur, dass er die Erstarrung der Imperialismustheorie zur „dogmatischen Deklamation“ als Methode ihrer Bekämpfung erkennt, er wendet sich explizit gegen jene empirischen Analysen des aktuellen Kapitalismus, die „die bloße Zuordnung der Erscheinungen zu den abstrakten Gesetzen“ zum Ziel haben (ebd., S. 12/13), die also, wie (nicht nur damals) damals verbreitet, empirische Einzeltatsachen als „Beleg“ für die Richtigkeit Marxscher Formulierungen benutzten, ohne den Gesamtzusammenhang aus der heutigen Wirklichkeit zu rekonstruieren und theoretisch zu begründen. Kernpunkt seiner Arbeit war die unvoreingenommene Aufnahme empirischer Tatsachen – was ihn allerdings auch nicht vor Irrtümern schützte. So begriff er in den 1970er Jahren – wie viele andere – den Imperialismus als „Übergangskapitalismus“, ohne sich über die zeitliche Länge der historischen Übergangsperiode klar zu sein. Dies hat er später explizit korrigiert – wie z.B. in der „Reformalternative“ nachzulesen ist.[3] Obwohl er sich einer politischen Richtung der Arbeiterbewegung zugehörig fühlte, in der Dogmatismus verbreitet war, hat er in seiner Arbeit praktisch gezeigt, wie nützlich eine dezidiert undogmatische Umgangsweise mit marxistischen Klassikern sein kann.

1 Jörg Huffschmid, Zur Aktualität des marxistischen Denkens, in diesem Heft, S. 8.

[2] In: IMSF (Hrg.), Das Monopol – ökonomischer Kern des heutigen Kapitalismus, Frankfurt/M. 1976.

[3] Jörg Huffschmid/Heinz Jung, Reformalternative. Ein marxistisches Plädoyer, Arbeitsmaterialien des IMSF 28, Frankfurt/M. 1988.

Ökonomische Gesetze und politische Handlungsstrategien

Beim Marxismus geht es, wie Jörg Huffschmid im o. a. Gespräch ausführte, zentral um den Kapitalismus, seine Krisen und Widersprüche. Der Kapitalismus ist aber eine historisch beschränkte Produktionsweise. Das heißt allerdings nicht, dass er nur als Verhältnis von Kontinuität und Bruch zu erfassen wäre. Die oben erwähnte empirische Ausrichtung seiner Arbeit ist insofern theoretisch untermauert, als er den Kapitalismus und seine Widersprüche als offen und flexibel begriff. In der Arbeit von 1969 („Die Politik des Kapitals. Konzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik“), mit der er im deutschsprachigen Raum zuerst und schlagartig bekannt wurde, findet sich die bemerkenswerte Feststellung: „Dass das kapitalistische System in der Bundesrepublik gegenwärtig gewisse Schwierigkeiten hat bedeutet nicht, daß diese Schwierigkeiten zu einer Änderung der Grundlagen des Systems führen werden; es bedeutet nur, daß sich das System zum Zwecke der Selbsterhaltung neuer Organisationsformen und Handlungsstrategien bedienen muss.“ (S. 66) Damit sind – im Sinne des methodischen Gebots der „konkreten Analyse einer konkreten Situation“ – zwei wichtige Aussagen über den Kapitalismus verbunden: Einmal macht er deutlich, dass die Bewegungsweise der Grundwidersprüche des Kapitalismus, ihre konkrete Ausprägung und ihre Ergebnisse, dauerhaften Wandlungen unterliegen. Zum anderen verweist er auf die Bedeutung von subjektiven Handlungsstrategien, zeigt also, dass ökonomische Gesetze durch das Handeln von sozialen Gruppen vermittelt werden, wobei diese Akteure Alternativen haben. Organisationsformen des Kapitalismus und Handlungsstrategien der sozialen Akteure bilden zusammen relativ stabile Formationen innerhalb des Kapitalismus, die vielfach als Entwicklungsvarianten bezeichnet werden. Jörg Huffschmid zufolge hat sich nach 1975 eine globale Struktur herausgebildet, die er abkürzend als Finanzmarktgetriebenen Kapitalismus (FMK) bezeichnete. Die analytischen und empirischen Grundlagen dafür hat er in seinem zweiten großen Hauptwerk gelegt, der 1999 erschienenen „Politische Ökonomie der Finanzmärkte“. Auch dieses Werk, ebenfalls überwiegend empirisch ausgerichtet, zeigt ihn als Marxisten ‚bei der Arbeit’. So stellt er fest: „Die Interpretation wirtschaftlicher Prozesse als beständige Umschichtung von Vermögenswerten durch Vermögensbesitzer stellt eine neue Stufe in der langen Geschichte der (realen) Mystifikationen kapitalistischer Grundverhältnisse, nämlich der Klassen-, Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse dar.“ Mit dieser Formulierung nimmt er explizit Bezug auf die Marx’sche Werttheorie und zeigt, dass es dabei nicht um irgendwelche statischen Wertberechnungen geht sondern um ökonomische und politische Prozesse und grundlegende gesellschaftliche Beziehungen: „Diese Mystifikationen“, fährt er fort, „hatten damit begonnen, daß die Arbeit als Quelle des gesellschaftlichen Reichtums durch die Konstruktion von wertschaffenden Produktionsfaktoren verdeckt und Eigentum an Produktionsfaktoren von der Anspruchsgrundlage auf Einkommen zur Quelle von Wert wurde.“ (S. 42) Die Arbeitswerttheorie ist also keine akademische Marotte, sondern unabdingbar zum Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise, sowohl ihrer Krisenhaftigkeit als auch ihrer relativen Stabilität.

Zusammenbruch des Kapitalismus und Reformalternativen

In dieser prozesshaften, politischen Auffassung der Marx’schen Werttheorie liegt gleichzeitig der Schlüssel zum Verständnis ökonomischer Gesetze und ihrer Widersprüche im Kapitalismus. Denn Huffschmid interpretierte diese Widersprüche – und seine nüchterne Lesart der aktuellen Krise ist dafür Beleg[4] – niemals „ökonomistisch“, als quasi naturgesetzliche. Ökonomische Gesetze waren für ihn immer durch politisches Handeln der Akteure vermittelt und untrennbar mit ihnen verbunden. Dies bedeutet, dass ihm die Vorstellung eines rein ökonomisch bedingten Zusammenbruchs der Produktionsweise völlig fremd war. Eine Systemveränderung ist nur möglich durch das aktive und bewusste Handeln von sozialen Bewegungen. Dieser enge Zusammenhang von Ökonomie und Politik im Rahmen einer Strategie zur Überwindung des Kapitalismus – den man geradezu als sein Markenzeichen als marxistischer Ökonom betrachten kann – wurde von ihm explizit unter dem Titel der „Reformalternative“ mitentwickelt.

[4] Jörg Huffschmid, Nach der Krise: Das Ende des Finanzmarkt-Kapitalismus? In: Z 78, Juni 2009, S. 37ff.

Grundlage dieses Ansatzes ist das bereits erwähnte Konzept der Entwicklungsvarianten, wobei es weniger um die schon von Marx festgestellten „Variationen“ in Abhängigkeit von historischen Faktoren geht: Für Jörg Huffschmid war der Hauptfaktor die Tatsache, dass im Zuge der kapitalistischen Vergesellschaftung die klassische Trennung von Ökonomie und Politik durchbrochen wird, dass der Kapitalismus in seiner staatsmonopolistischen Form „ohne intensive politische Regulierung nicht funktioniert …“ (Reformalternative, S. 57). So werden Staat und Politik zum Bestandteil der ökonomischen Grundverhältnissse und diese daher immer mehr Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen. Die theoretische Grundlage für die Möglichkeit verschiedener Entwicklungsvarianten des gegenwärtigen Kapitalismus ist die „zunehmende[n] Bedeutung des subjektiven und politischen Faktors bei der Regulierung der gesellschaftlichen und ökonomischen Reproduktion“ (ebd., S. 146) Indem immer mehr Entscheidungen über die Grundrichtung der ökonomischen Entwicklung auf der staatlichen Ebene fallen, gerät diese in den Mittelpunkt auch sozialökonomischer Konflikte. Nicht mehr die Frage von mehr oder weniger Etatismus ist entscheidend, sondern die Frage, welche Kräfte politisch dominieren. Die Frage, ob es gelingt, den Kapitalismus friedlich, sozialer und ökologisch nachhaltig zu gestalten, ist letzten Endes eine Frage der Ausgestaltung der politischen Demokratie, die damit gleichzeitig Ziel und Durchsetzungsmittel einer reformorientierten Entwicklungsvariante des Kapitalismus werden: „Der politische Generalnenner der Reformalternative heißt Demokratisierung“. (ebd., S. 59).

Das Konzept der Reformalternative, wie es Ende der 1980er Jahre entwickelt wurde, entstand unter – im Vergleich zur Gegenwart – noch völlig anderen weltpolitischen Konstellationen und rechnete mit der Wirksamkeit des äußeren Druckfaktors des realen Sozialismus, insbesondere der mit großen und bitter enttäuschten Hoffnungen verbundenen Entwicklung in der damaligen Sowjetunion. Es war ein Transformationskonzept, das Kräfte im Kapitalismus freisetzen sollte, die über ihn hinausweisen. Nach 1990 gestaltete sich die Realität in vieler Hinsicht grundlegend anders. Jörg Huffschmid hat diese Umbrüche nüchtern konstatiert und analysiert, aber zugleich die Momente der Kontinuität betont und den produktiven Charakter der Kernüberlegungen des Konzepts der Reformalternative unterstrichen.[5] Auch heute fällt dessen Aktualität für die Programm- und Strategiediskussion der Linken ins Auge: Die tiefe Strukturkrise des globalen Kapitalismus der Jahre 2008/2010 hat gezeigt, dass von einer marktzentrierten Selbstregulierungsfähigkeit des Kapitalismus keine Rede sein kann, dass zentrale Entscheidungen auf der politischen Ebene fallen. Wie diese konkret aussehen und welche sozialen und ökologischen Folgen sie haben ist Gegenstand von sozialen Auseinandersetzungen. In diese praktisch einzugreifen, Wissenschaft im Interesse der lohnabhängigen sozialen Gruppen, der Armen und Benachteiligten fruchtbar zu machen, das kann als wichtigstes Vermächtnis des Marxisten Jörg Huffschmid verstanden werden.

[5] Jörg Huffschmid, Reformalternative – Noch ein Abschied von noch einer Illusion? In: Neue Realitäten des Kapitalismus. Linke Positionsbestimmungen. Heinz Jung zum 60. Geburtstag, Frankfurt/M. 1995.

Heinz-J. Bontrup

Jörg Huffschmid – Konzentrationsforschung,
Wettbewerbs- und Monopoltheorie

Mit Jörg Huffschmid haben wir einen herausragenden linken Ökonomen verloren. Einer seiner wesentlichen Forschungsbereiche war insbesondere in den 70er und 80er Jahren die kritische Auseinandersetzung mit der neoklassischen Wettbewerbstheorie und -politik. Jörg Huffschmid machte sich schon mit 29 Jahren auf diesem wichtigen Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaft einschließlich der Konzentrationsforschung einen Namen. 1969 veröffentlichte er in diesem Kontext im Suhrkamp Verlag eine bis heute lesenswerte und damals Furore machende empirische Studie unter dem Titel „Die Politik des Kapitals. Konzentration und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik“. Das in 18 Auflagen erschienene Buch hatte das Ziel, so Jörg Huffschmid in der Erstauflage, „die These von der Kontinuität des kapitalistischen Klassensystems bei umfassender Änderung seiner Steuerungsmechanismen an der Entwicklung der Wirtschaft der Bundesrepublik zu belegen“. Dies gelang ihm ohne Zweifel, in einer immer verständlichen Schreibweise bei gleichzeitig hohem wissenschaftlichem Niveau und damit ohne Substanzverlust.. So wurde bereits damals die bis heute vielgelobte „Soziale Marktwirtschaft“ als eine bei Einkommen und Vermögen hoch konzentrierte Gesellschaft von ihm enttarnt. Außerdem konnte Huffschmid nachweisen, dass die bundesdeutsche Wirtschaft schon in den 1960er Jahren in den Händen weniger marktbeherrschender Großunternehmen und Konzerne lag, die nicht nur den Wettbewerbsprozess, das marktwirtschaftlich systemkonstitutive Instrument, selbst angriffen und ausschalteten, sondern auch das in Demokratien einzig legitimierte Primat der Politik für ihre Profitinteressen unterminierten. Dies alles ist heute, wie wir wissen, unter dem herrschenden neoliberalen Regime nur noch schlimmer geworden. Nicht zuletzt wählten auch deshalb die Herausgeber zu seinem 60. Geburtstag, in Anlehnung an sein erstes großes Werk, den Festschrifttitel „Politik des Kapitals – heute“.

Aus seinem großen Fundus an Veröffentlichungen zur Wettbewerbs- und Monopoltheorie, Kapitalakkumulation und Konzentrationsentwicklung sei auch der fundamentale Aufsatz „Begründung und Bedeutung des Monopolbegriffs in der marxistischen politischen Ökonomie“, erschienen 1975 im Argument-Sonderband 6, erwähnt. Hier weist Jörg Huffschmid u.a. nach, dass der von der neoklassischen Wettbewerbstheorie unterstellte „adaptive Wettbewerb“ zur Vermeidung einer statischen Monopolstellung in der wirtschaftlichen Realität nicht zutreffend ist. Einmal im Wettbewerb errungene innovative Vorsprünge werden von Unternehmen vielmehr zu weiteren nicht mehr einholbaren Vorsprüngen und Extraprofiten sowie größerer Kapitalakkumulation und -konzentration ausgebaut. Ebenso hervorzuheben ist die von Jörg Huffschmid im Jahr 1988 maßgeblich initiierte und bearbeitete Sonderveröffentlichung „Wirtschaftsmacht in der Marktwirtschaft. Zur ökonomischen Konzentration in der Bundesrepublik“ der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“. Hier werden umfassend die Entstehungsfragen der Unternehmenskonzentration und -macht in der Bundesrepublik und ihre ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen aufgezeigt. Wer sich wissenschaftlich mit Fragen von Wirtschaftsmacht und ihre Pervertierungen auseinandersetzt, kommt an dieser Veröffentlichung nicht vorbei.

Im Rahmen seiner wettbewerbs- und konzentrationstheoretischen Forschungen hat sich Jörg auch verstärkt mit den interdependenten Verhältnissen und Verflechtungen privatwirtschaftlicher Monopole (marktbeherrschender Unternehmen) mit dem Staat bzw. der herrschenden Politik in der Bundesrepublik auseinandergesetzt. Er sprach hier von „staatsmonopolistischen Komplexen“. „Diese beeinflussen die Aktivität des Staates nicht mehr allein von außen durch Verbände, Lobbies oder die Medien, und ihr Druck auf den Staat von innen erfolgt nicht mehr allein durch Personalverflechtungen, persönliche Beziehungen und Bestechung; sie sind vielmehr direkt im produktiven Bereich durch dauerhafte Kooperation mit dem Staat bzw. wichtigen Teilen des Staates verflochten“. Die zunehmende Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft würde dies forcieren, so seine These. Staaten und ihre nationalen Großunternehmen gingen eine verhängnisvolle „Verbrüderung“ zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit ein. Immer größere Fusionen zur Schaffung von Unternehmensgiganten würden von der Politik nicht bekämpft und verhindert, sondern im angeblich „nationalen Interesse“ gutgeheißen, um insbesondere auch auf einem europäischen Binnenmarkt in höherem Maße als bisher zu expandieren und außenwirtschaftliche Überschüsse zu realisieren. Zu diesem Kontext erweiterter Unternehmenskonzentration und -macht hat Jörg Huffschmid Mitte der 90er Jahre im Distel Verlag zwei wichtige Bücher unter den Titeln „Wem gehört Europa. Wirtschaftspolitik in der EG“ (Bd. 1) und „Kapitalstrategien in Europa“ (Bd. 2) vorgelegt.

Jörg Huffschmid, der mit 33 Jahren einen Lehrstuhl an der Universität Bremen für Politische Ökonomie und Wirtschaftspolitik erhielt, war aber nicht nur ein hervorragender Forscher, sondern auch ein begnadeter Hochschullehrer, der seine Studierenden motivieren konnte und selbst immer hoch engagiert und vorbereitet seine Veranstaltungen abhielt. Ich selbst habe seine Vorlesungen und Seminare genossen. Sie waren dialektisch und dialogisch aufgebaut. Jörg Huffschmid hat als Forscher und Lehrer immer nach einem holistischen Ordnungsweg in der Ökonomie gesucht – nach Alternativen, im Gegensatz zu einer einseitigen kapitalzentrierten Interessenlösung.. Halbe Sachen waren dem ökonomisch vielseitig interessierten Wissenschaftler ebenso ein Graus wie abgehobene ökonomische (ideologische) Luftschlösser ohne Realitätsbezug. Er konnte in der Sache hart streiten, aber er war seinen Diskussionspartnern gegenüber immer fair und auch stets bereit, seine eigenen Positionen kritisch zu überprüfen.

Herbert Schui

Den Begriff der Staatsmonopolistischen Komplexe wieder in die Debatte bringen

Wettbewerb als Steuerungsinstrument

Die Mehrheitsmeinung in der Wirtschaftspolitik vertritt eine recht realitätsferne Wirtschaftswissenschaft: Angebot und Nachfrage, wenn sie unter die Aufsicht eines möglichst vollständigen Wettbewerbs gestellt sind, steuern auf einer umfassenden Anzahl von Märkten den Wirtschaftsprozess. Dies führt zum bestmöglichen Gebrauch der wirtschaftlichen Ressourcen, also zur Maximierung der Allokationseffizienz. Oder anders: Wenn die einzelnen Wirtschaftseinheiten und Individuen frei nach ihren Präferenzen entscheiden (ohne staatliche Einwirkung), dann kombiniert dieses Steuerungssystem die einzelnen Wirtschaftpläne harmonisch miteinander und sorgt für einen reibungslosen, störungsfreien Ablauf des Gesamtprozesses. In der klassischen Variante ist dann der Staat der Nachtwächter, indem er das Privateigentum schützt, den freien Marktzutritt gewährleistet, innere und äußere Sicherheit garantiert. Diese Vorstellung des Laissez-faire hat allerdings, das war die Kritik des deutschen Neoliberalismus (des Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft als seiner politischen Kampfparole), nichts gegen Monopolisierung und damit gegen die Beseitigung der freien Konkurrenz getan. Folglich sollte der Staat als Wächter über den Wettbewerb eine entscheidende Aufgabe dazubekommen: Er sollte mit seiner Ordnungspolitik für vollständigen Wettbewerb sorgen; er sollte den allgemeinen Rahmen setzen, in dem sich Wirtschaft abspielt, ohne aber in die Wirtschaftspläne der Unternehmen und Privatpersonen unmittelbar einzugreifen. Damit würde der Staat frei von den Einflüssen der Wirtschaft. Denn die kleinen Unternehmen der vollständigen Konkurrenz haben zu wenig Macht, um auf ihn einzuwirken. Im Gegenzug sind die Unternehmen und Privatpersonen frei, weil vor staatlicher Intervention geschützt.

Staatsmonopolistische Komplexe als Organisationsbereiche und -formen der Wirtschaft

Eine solche Wirtschaftsordnung aber ist eine Chimäre der Lehrbücher – wie überhaupt die Wirtschaftstheorie oft damit beschäftigt ist, nicht Fragen zu lösen, sondern sie vom Corpus der Wirtschaftswissenschaft abzuweisen. Tatsächlich ist der Gegenwartskapitalismus nicht einfach organisiert durch Wettbewerb auf dem Markt, sondern im Rahmen eines Systems von Gebrauchswertbereichen. In diesen Bereichen hat der Staat in Interaktion mit den Unternehmen Fragen der Entwicklung der Produktionstechnik, der Verteilung der Kapitalrenditen, gegebenenfalls des Schutzes der Verbraucher und – nicht selten – der Befriedung oder Ruhigstellung opponierender gesellschaftlicher Kräfte gelöst. Die Privatwirtschaft allein kann den umfassenden Kooperations- und Steuerungserfordernissen nicht gerecht werden. Sie kann den Kapitalismus in all seinen produktionstechnischen und sozialen Facetten nicht funktionsfähig erhalten, sie kann ihn weder befrieden und stabilisieren, noch die Kapitalverwertung sicherstellen. Eine staatsfreie Wirtschaft kann es nicht geben. Vielmehr erfordert das Funktionieren des Kapitalismus die Mitwirkung des Staates – nicht nur im Interesse der Kapitalverwertung: Der Staat hat alle gesellschaftlichen Interessen in Rechnung zu stellen – sei es, indem er sie unterdrückt oder gewaltsam ausschaltet, sei es, indem er den unumgänglichen Kompromiss organisiert oder, auch das ist möglich in der Demokratie das Interesse der Mehrheit der Bevölkerung gegen das Unternehmensinteresse durchsetzt.

Die Gebrauchswertbereiche sind stofflich eingegrenzt. Beispiele hierfür sind die Energieproduktion, das Verkehrswesen, das Gesundheitswesen, Rüstung und Militär, die Nahrungsmittelversorgung, das Geldwesen, Kommunikation, Medien. Sicherlich haben diese Bereiche umfangreiche Schnittmengen, so Energie und Transport oder Energie und Rüstung und Militär. Innerhalb dieser Bereiche herrscht eine dichte staatliche Normierung vor oder ein System von Verträgen zwischen den einzelnen Elementen des Bereiches, an deren Zustandekommen der Staat maßgeblich mitgewirkt, die er veranlasst, oder deren Inhalt er weitgehend beeinflusst. Traditionell waren umfangreiche staatliche Unternehmen Bestandteile dieser Bereiche. Deren Privatisierung aber bedeutet nicht, dass diese Bereiche nun nicht mehr existierten: Sie sind im Rahmen einer neuen Regulierung (nicht: Deregulierung) anders organisiert. (Ein Schlagwort in dieser Debatte ist die öffentlich-private Partnerschaft.) Der so skizzierte Funktionsmechanismus des Bereiches muss die Steuerung der Produktion sicherstellen, die erforderlichen kollektiven Entscheidungen ermöglichen, die privaten und staatlichen Entscheidungseinheiten miteinander verklammern – dies alles mit dem Zweck, Kapitalverwertung, gesellschaftliche Bedarfsdeckung und die Vermeidung oder Eindämmung von Konflikten miteinander in Einklang zu bringen.

Die Komplexe nutzen für eine andere Ordnung der Wirtschaft

Die wichtige Debatte um diesen Organisationsaspekt der Wirtschaft hat in Leningrad ihren Anfang gefunden. In Westdeutschland wurde sie vor 20 Jahren von Dolata, Gottschalk und Huffschmid in einem Sammelband aufgegriffen, der in Zusammenarbeit mit dem Institut für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) bei Pahl-Rugenstein veröffentlicht wurde.1 Der Titel ist etwas sperrig: „Staatsmonopolistische Komplexe als neue Organisationsform des Kapitals im staatsmonopolistischen Kapitalismus“. Der Sprachduktus aber sollte nicht verschrecken. Denn auch, wenn es die Sowjetunion und den RGW nicht mehr gibt: Die Frage nach dem Zusammenhang von Staat und Wirtschaft, vor allem nach dem Einfluss der Großwirtschaft auf den Staat, nach der Form der Interaktion von Staat und Wirtschaft etwa in den Bereichen Energie, Verkehr, Gesundheitswesen, Landwirtschaft ist ja mit dem Realsozialismus nicht untergegangen. Da wäre es schon an der Zeit, sich erneut ans Erklären, ans Theoretisieren zu begeben, ohne dass dabei vorangegangene intellektuelle Bemühungen einfach ausradiert würden.

1 Ulrich Dolata, Arno Gottschalk und Jörg Huffschmid, Staatsmonopolistische Komplexe als neue Organisationsform des Kapitals im staatsmonopolistischen Kapitalismus, Köln 1986. Hierzu auch: H. Schui , Staatsmonopolistische Komplexe als Gebrauchswertbereiche und die Trennung von Staat und Wirtschaft. In: Politik des Kapitals – heute. Festschrift für J. Huffschmid, Hamburg 2000.

Die Debatte um Gebrauchswertbereiche, d.h. Komplexe, wieder aufzunehmen, ist aus den folgenden Gründen notwendig: Vieles an neuer Entwicklung, wie die öffentlich-private Partnerschaft und die Neuerungen im Gesundheitswesen, ist in diesem theoretischen Rahmen besser zu verstehen. Aber es geht nicht nur ums Erklären. Eine Beschränkung der Eigentumsrechte oder deren Veränderung kann nur im Rahmen dieser Komplexe erfolgen. Denn Bedarfsdeckung im Interesse der Bevölkerung als Ziel des Wirtschaftens ist stofflich bestimmt. Schließlich geht es um die Versorgung mit konkreten, fassbaren Leistungen. Folglich muss die Politik dort ansetzen, wo diese Leistungen erbracht werden, nämlich bei den Komplexen. Wenn es um die weitere Entwicklung geht, ist zu beachten: Mit den Komplexen sind bereits Strukturen entwickelt, die anderen politischen Zwecken dienen können, als dies gegenwärtig der Fall ist. Im Rahmen der Gebrauchswertbereiche sind Institutionen und Regeln entstanden, die einer künftigen – vermehrt öffentlichen, politischen – Wirtschaftsorganisation zustatten kommen können.2 Es hat sich also ein Rahmen herausgebildet, der politisch weiter entwickelt und genutzt werden kann. Die Forderung nach einem größeren öffentlichen Sektor muss sich verbinden mit der Frage, wie denn dieser eingebunden sein soll in den Wirtschaftsprozess. Es wird zur Lösung der Frage beitragen, wenn der Aspekt „Komplexe“ wieder in die Debatte kommt.

2 H. Schui, Gerechtere Verteilung wagen. Mit Demokratie gegen Wirtschaftsliberalismus, Hamburg 2009, S. 152ff.

Karl Georg Zinn

Alternative Wirtschaftspolitik – Jörg Huffschmid und die Memo-Gruppe (1975-2009)

Die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ wurde 1975 gegründet und legt seitdem jedes Jahr Ende April ein „Memorandum“ vor; deshalb auch bekannt als „Memo-Gruppe“. Die Kurzfassung des Memorandums wurde – und wird – im Vorfeld der Veröffentlichung Sympathisanten zur Mitunterzeichnung vorgelegt. Wer dort seine Unterschrift gab, bekannte sich öffentlich zur Kritik sowohl an der offiziellen Wirtschaftspolitik als auch an den Dogmen des ökonomischen Mainstreams. In den ersten Jahren traf das Memorandum nicht nur auf die – allzu verständliche – Ablehnung seitens der Konservativen, sondern auch die SPD und Gewerkschaften hatten mehr als bloße Berührungsängste. So war es den Beschäftigten der DGB-Gewerkschaften untersagt, bei Unterzeichnung des Memorandums ihre gewerkschaftliche Funktion anzugeben, und selbst die Beschränkung auf den Namen war alles andere als gut angesehen beim gewerkschaftlichen Arbeitgeber. Das änderte sich im Laufe der 1980er Jahre, und inzwischen nehmen die jährlichen Memoranden sowie die gelegentlich publizierten Sondermemoranden einen festen Platz in der politökonomischen Debatte des Landes ein. Das erscheint umso beachtenswerter, als die Mehrzahl der elektronischen und der Printmedien auch gegenwärtig noch an ihrer Strategie festhält, kritische Ökonomie im Allgemeinen und kritische Ökonomen im Besonderen vorwiegend zu ignorieren und allenfalls mal Einzelne von ihnen zu Wort kommen zu lassen.

Jörg Huffschmid gehörte zu den Mitbegründern der „Memo-Gruppe“, und er blieb trotz seiner umfangreichen Arbeitsbelastung als Hochschullehrer, Forscher, Organisator internationaler Konferenzen, Initiator und Mitautor des Euro-Memorandums über die vielen Jahre hinweg aktiv an der Arbeit der Memo-Gruppe beteiligt. Nur selten eine Memo-Tagung, auf der er nicht anwesend war; und kaum ein Memorandum, zu dem er keinen Beitrag geschrieben hat. Es versteht sich, dass Huffschmid als Wissenschaftler und als Persönlichkeit mit seinem Profil die inhaltliche Entwicklung der Memoranden wesentlich mitgeprägt hat. In der Anfangszeit erhielt die Konzentrationsfrage, das Problem der monopolistischen Wirtschaftsmacht, stärkeres Gewicht als in den späteren Memoranden. Von den 1980er Jahren an trat die Problematik der wachsenden Divergenz zwischen schwachem realwirtschaftlichem Wachstum und explosionsartiger Ausdehnung des Finanzkapitalismus in den Vordergrund. Huffschmid, dessen einschlägige Publikationen inzwischen zur Standardlektüre für alle gehören, die sich fundiert und ohne die Verzerrungen durch die Globalisierungsapologie über den heutigen Finanzkapitalismus informieren, ihn verstehen wollen, hat wohl als erster im Rahmen der Memo-Diskussionen die historische Bedeutung der relativen Verselbständigung der finanzkapitalistischen Aktivitäten dargelegt und den Zusammenhang mit der neoliberalistischen Wirtschaftspolitik herausgestellt. Dieser argumentative Input wurde von der Gruppe aufgenommen und floss verstärkt in die folgenden Memoranden ein.

Huffschmid hat an seiner klaren marxistischen Grundhaltung niemals Abstriche gemacht. In der Anfangsphase der Memo-Gruppe ergaben sich daraus manche Kontroversen mit jenen Mitgliedern, die stärker an der Keynesschen Theorie orientiert waren. Diese theoretischen Differenzen wurden zwar nicht grundsätzlich beseitigt, aber sie traten in ihrer Bedeutung für die Memorandum-Arbeit in dem Maße zurück, als die durch den Neoliberalismus bestimmte reaktionäre Entwicklung zu einer Neueinschätzung der Situation zwang. Die Vorstellung bzw. Hoffnung, der Kapitalismus ließe sich in absehbarer Zukunft überwinden, schwand, und mehr und mehr ging es um die Verteidigung des Sozialstaates, dessen Unzulänglichkeiten in einem neuen, relativierenden Blick erschienen, als sich die herrschenden Kräfte anschickten, den Sozialstaat zu demontieren. Es kam jedoch noch eine Art Neuentdeckung der Keynesschen Theorie mit ins Spiel. Denn von einigen Mitgliedern der Memo-Gruppe wurde seit Mitte der 1980er Jahre die Keynessche Analyse der langfristigen Entwicklung des Kapitalismus in die Diskussion gebracht. Diese steht selbstverständlich in krassem Widerspruch zum ökonomischen Mainstream, aber sie geht auch weit über die sogenannte „neoklassische Synthese“ und deren Keynes-Interpretation (bekannt als IS-ML-Modell) hinaus, – eine Interpretation, die wohl noch heute von der Mehrzahl derjenigen vertreten wird, die sich als „Keynesianer“ verstehen. Huffschmid hat erkannt, dass mit der Keynesschen Langfristprognose auch eine Neubewertung des Verhältnis von Marxscher zu Keynesscher Theorie notwendig ist. In der Memo-Gruppe dürfte Keynes’‚ Langfristperspektive, dass hoch entwickelte kapitalistische Volkswirtschaften Wachstumsrückgänge bis hin zur Stagnation erleben (werden), nicht nur durchgängig bekannt sein, sondern auch als zutreffende Analyse angesehen werden. Huffschmid konnte diesen Keynes in Einklang mit der Marxschen Krisenerklärung bringen. Jedenfalls findet sich in späteren Veröffentlichungen Huffschmids zweifelsfreie Zustimmung zu der Keynesschen Wachstumsskepsis. Mit dem theoretisch bestimmten Wechsel von „Marx oder Keynes“ zu „Marx und Keynes“ ging in der Memo-Gruppe eine pragmatische Zuspitzung einher: Welche Wirtschaftspolitik ist für die aktuellen Probleme bzw. Problemlösungen am besten geeignet. Huffschmid brachte in diesem Zusammenhang vor allem verstärkt das internationale Moment zur Geltung. Die im Zuge der Europäisierung wachsende Bedeutung übernationaler Interventionen – nicht zuletzt durch die Brüsseler Kommission und den Rat – erfordert(e) eine gewisse Relativierung der rein national ansetzenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen zugunsten der gesamteuropäischen Perspektive. Es war Huffschmid, der hierzu die entscheidenden Blickfelderweitungen initiierte.

Huffschmid verstand sich primär als Wissenschaftler, nicht als einen in der politikwirksamen öffentlichen Präsentation aktiven Ökonomen. Das könnte mit erklären, warum er trotz seiner zentralen Funktion in der Memo-Gruppe die auch zeitaufwendigen Pressekonferenzen, auf denen jährlich das Memorandum vorgestellt wurde, mied und nicht die Rolle eines der Sprecher der Memo-Gruppe übernommen hat. Das mag zu bedauern sein, aber wer Jörg kannte, musste das nicht nur respektieren, sondern konnte es sehr gut verstehen.

Elmar Altvater

Das Biest wird gezähmt oder: die Regulierung
der Finanzmärkte

Auf die Finanzkrise reagieren viele Menschen verstört. Sie verstehen die Ursachen nicht, sie wissen nicht, wie es weitergeht und sie sind von den „Fantastrilliarden“ schockiert, die die Regierungen einfach so ausspucken. Denn sie kennen die Knauserigkeit des gleichen Personals, wenn es um ein paar Cent für Hartz IV-Empfänger und Niedriglöhner geht. Dieser eklatante Widerspruch weckt Aufklärungsbedarf, die Frage ist unausweichlich, in welchen zugänglichen Schriften man von den Ursachen, der Verlaufsform oder von den Konsequenzen der Finanzkrise erfahren kann. Die Antwort ist spontan und einfach: Lies doch Jörg Huffschmids „Politische Ökonomie der Finanzmärkte“, um die Wirkungsweise des finanzgetriebenen Kapitalismus zu verstehen, und lies seine aktuellen Analysen, die er regelmäßig in verschiedenen Zeitschriften publiziert hat. Wenn dem Rat gefolgt wird, ist ein gehöriger Erkenntnisgewinn sicher.

Jörg Huffschmid hat wie kaum ein anderer in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1960er Jahren eine empirisch und politisch-strategisch orientierte Kritik der Politischen Ökonomie voran getrieben. Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft, die staatsmonopolistische Verflechtung von Wirtschaft und Politik oder der militärisch-industrielle Komplex waren seine Themen. Es ging also vor allem um die heute so genannte „Realwirtschaft“ und um soziale Auseinandersetzungen und immer auch um politische Alternativen zu den herrschenden Konzepten.

Doch dann brach in den 1970er Jahren das System der fixierten Wechselkurse (das „Bretton Woods-System“) zusammen. Es hatte den Goldstandard ersetzt, der bis zu seinem Zusammenbruch während der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1931 für feste Währungsrelationen sorgte. Die wollte man auch in der Nachkriegszeit, allerdings ohne die „Goldbindung“. Der US-Dollar wurde als eine Art „Wertanker“ etabliert, auf den sich alle anderen Währungen mit (in Bandbreiten) fixen Wechselkursen beziehen konnten. Diese wurden von den Zentralbanken verteidigt und vom Internationalen Währungsfonds politisch reguliert. Doch seit der Freigabe der Kurse im Februar 1973 sind es private Akteure, die auf den Devisenmärkten die Kurse bestimmen. Je mehr diese schwanken, d.h. je weniger stabil sie sind, desto mehr Chancen auf Spekulationsgewinne gibt es. Die Zeit der Währungsspekulation und der Währungskrisen setzt nun ein. Die gesamte Dritte Welt ist betroffen, das britische Pfund wird endgültig von Herrn Soros und seinem Quantum-Fonds in die zweite Liga hinunterspekuliert.

Das ist nur möglich, weil nicht nur die Devisenmärkte, sondern auch die Finanzmärkte liberalisiert werden. Jetzt wird der Kapitalismus „mit Pauken und Trompeten“ (dem „big bang“) in den „finanzmarktgetriebenen Kapitalismus“ transformiert. Mit Finanzinnovationen erfinden die Banken und Fonds, die Versicherungen, Broker und Rating agencies immer neue Gelegenheiten für hohe Renditen und immer höhere Boni und Prämien für ihre Klientel. Doch die Finanzmarktakteure nutzen die Freiheiten liberalisierter Märkte ohne Maß und Mitte so extensiv, dass sie das Haftungskapital in ihren riskanten Wetten einsetzen – und verlieren. In den USA, in Deutschland und anderswo. Die Finanzkrise war da.

Das kam keineswegs überraschend und wer Jörg Huffschmids Schriften gelesen hatte, war auch in die Geschichte und die einzelnen Facetten der Krisen der Finanzwelt eingeweiht. Diese sind nicht leicht zu durchschauen. Denn vieles, was auf den Finanzmärkten geschieht, ist nicht so transparent wie eine monatliche Gehaltsabrechnung. Die Finanzmarktakteure vernebeln das was sie tun, operieren als Dunkelmänner von den schwarzen Löchern der Weltwirtschaft aus, den Offshore-Finanzzentren, verschwinden, als ob sie eine Tarnkappe anziehen könnten, mit ihren Geschäften aus der Bankbilanz in Zweckgesellschaften, führen die Aufsicht und das Finanzamt und häufig auch ihre Kunden und Geschäftspartner hinters Licht.

In einer kurzen Phase parlamentarischer Aufklärungsbedürfnisse nach dem Antritt der rot-grünen Regierung 1998 bildete der Bundestag eine Enquête-Kommission zur „Globalisierung der Weltwirtschaft“. Jörg Huffschmid wurde sachverständiges Mitglied und arbeitete vor allem in der Arbeitsgruppe, die sich mit den Praktiken der Finanzmärkte auseinander setzte und Empfehlungen zu deren Regulierung erarbeiten sollte. Der Vorzug einer formellen Kommission des Parlaments ist, dass wichtige Akteure angehört werden können, die sich sonst jeder Auseinandersetzung entziehen. Einiges zur Funktionsweise der Finanzkrise war aus den Vertretern der Banken, der Verbände und der Wissenschaft herauszuholen. Aber nicht sehr viel, und daher mussten Jörg Huffschmid und andere wie Archäologen versuchen, aus den hingeworfenen Scherben mit Hilfe theoretischer Einsichten über die Funktionsweise der Finanzmärkte in einer kapitalistischen Wirtschaft das Mosaik zu komplettieren. Aber viele hatten eher Interesse daran, dass der Scherbenhaufen wie eine Art bewundernswerter Zauberberg protokolliert wird, als dass ein realistisches Gesamtbild der Finanzmärkte entsteht und ihre ungeheure und zerstörerische Dynamik erkannt wird. Dennoch kam es zu einem gerade aus heutiger Sicht bemerkenswerten Katalog von Forderungen und Vorschlägen zur Regulierung der globalen Finanzmärkte, die, wenn sie befolgt worden wären, das Desaster der Finanzkrise zwar nicht verhindert, aber weniger verlustreich für die Öffentlichkeit gestaltet hätten. An diesem nützlichen Katalog der Finanzregulierung hatte Jörg Huffschmid einen beträchtlichen Anteil.

Die Enquete-Kommission begann ihre Arbeit 1999. Im Jahr zuvor ist ATTAC Deutschland gegründet worden. Damit erhielt die Kampagne für eine Devisentransaktionssteuer (Tobin-Steuer) Zulauf. Jörg Huffschmid war von Anfang an dabei und er konnte sie mit triftigen Argumenten versorgen. Ihm kam dabei zugute, dass er seine politisch-ökonomische „Alphabetisierung“ in einer Zeit erfahren hatte, als die „Realwirtschaft“ dominant und die Finanzmärkte – wie Neoliberale klagten – „reprimiert“, deren Freiheit zur hemmungslosen Spekulation also „unterdrückt“ waren. Daher war Jörg Huffschmid immer bewusst: die Finanzmärkte mögen zwar als eine Art „Software“ die „Hardware“ des Kapitalismus „finanzgetrieben“ steuern. Letztlich bleiben sie von dem abhängig, was in der „realen Wirtschaft“ produziert wird und – auch an die Finanzmarktakteure in Form von Zinsen und Renditen, von Boni und Prämien – verteilt werden kann. Er unterschied sich da von den in der akademischen Welt verbreiteten monetär-keynesianischen Strömungen.

Die Finanzmärkte sind global und daher war es naheliegend, die Krisentendenzen, aber auch die Regulierungserfordernisse nicht nur in Deutschland, sondern in Europa zu analysieren. Mit erstaunlicher Zähigkeit und viel Arbeitsaufwand hat Jörg Huffschmid eine europäisch operierende Arbeitsgruppe zusammen gebracht, die regelmäßig ein Memorandum Alternative Wirtschaftspolitik in der EU erarbeitet. In diesem Rahmen wird auch die Debatte um die Regulierung der Finanzmärkte fortgesetzt. Von Jörg Huffschmids Erkenntnissen zur Funktionsweise und Krisenhaftigkeit der Finanzmärkte werden Ökonomen und Aktive in den sozialen Bewegungen noch lange zehren.

Hermann Bömer

Jörg Huffschmids europapolitische Aktivitäten
und Schriften

Rolle, Funktion und Politik der EU waren ein zentrales Arbeitsfeld von Jörg Huffschmid. Ausgehend von der Konstatierung unterschiedlicher sozialer Systeme und Kräfteverhältnisse innerhalb der EU und ihrer Staatengruppen, die in dem von Jörg geleiteten EU-Projekt PRESOM [Privatisation and the European Social Model(s)] ausführlich analysiert worden sind (vgl. www.presom.eu), gab es ein langjähriges Ringen um die Hegemonie innerhalb der europäischen Institutionen. Die Position Jacques Delors aus den 1980er Jahren wurde mit einem ‚Big Bang’ verdrängt, der einheitlichen Europäischen Akte von 1986, die statt einer Vereinheitlichung der Regulierung die Konkurrenz der jeweiligen nationalstaatlichen Systeme zum Prinzip erhob (Binnenmarktregulation) und dem Maastrichtvertrag, der eine neoliberale makroökonomische Steuerung und Austeritätspolitik zum Verfassungsrang erhob. Das dritte Standbein dieser Transformation war der Prozess der Vereinheitlichung der Finanzmärkte (Larosière-Prozess) nach dem Vorbild des Wallstreet-Regimes. Wesentlich war hier wiederum die (Teil)Privatisierung des Rentensystems in Form der kapitalgedeckten Rentenversicherung, die den Kapital- und Aktienmärkten enorme zusätzliche Nachfrage zugeschanzt hat. Damit war die Auseinandersetzung in der EU zunächst einmal zugunsten des Neoliberalismus entschieden und durch den Vertrag von Lissabon quasi verfassungsmäßig fixiert. Dagegen regte sich Widerstand, vor allem um die Dienstleistungsrichtlinien, Fragen der Arbeitszeitregulierung (z.B. Maximalarbeitszeiten der Krankenhausärzte) und der Privatisierung. In Irland, Frankreich und den Niederlanden votierten die Bürger gegen den ersten Verfassungsentwurf und konnten so den Durchmarsch der Rechten zeitweise aufhalten. Mit der geballten Macht der westeuropäischen Wirtschaft, der medialen Hegemonie und Ideologie konnten zudem die mittel- und osteuropäischen Staaten und Gesellschaften in eine abhängige, extrem deregulierte Entwicklungsvariante des Kapitalismus gezwungen werden.

Jörg Huffschmids Prognosen bezüglich der destruktiven Wirkungen der ökonomischen und politischen Grundverfassung der EU können heute in der Praxis studiert werden. Die Übernahme des Bundesbankmodells durch die EU in Form der heute gültigen Konstruktion der EZB hat in Kombination mit dem restriktiven makroökonomischen Kurs der Wirtschaftspolitik dazu geführt, dass die schwächeren EU-Länder wie Italien, Spanien, Griechenland und die meisten osteuropäischen Länder mit dem Rücken zur Wand stehen und gegenüber der Bundesrepublik ein hohes Leistungsbilanzdefizit aufweisen. Die Deregulierung der Finanzmärkte und die Zulassung von Hedge Fonds und Private Equity Fonds hat mit dazu beigetragen, dass die Finanzkrise schnell auf Europa übergegriffen hat, zahlreiche Großbanken ins Wanken gerieten und die Staaten ungeheure Geldsummen aufbrachten, um ihren Zusammenbruch zu vermeiden. Schließlich hat die Nichtexistenz einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik dazu geführt, dass die EU lediglich eine Statistenrolle bei der Auflage von Konjunkturprogrammen gespielt hat. Allerdings steht sie bereits wieder ‚Gewehr bei Fuß’ indem sie die Einhaltung der Maastrich-Verschuldungskriterien einfordert, noch ehe sich die Konjunktur positiv stabilisiert hat. Damit würde der wichtigste automatische Stabilisator außer Kraft gesetzt.

Jörg Huffschmid hat in seinen Schriften und Vorträgen diesen Prozess begleitet, analysiert und an den jeweiligen Wendepunkten Alternativen formuliert und popularisiert, und zwar auf europäischer Ebene. Seine exzellenten Sprachkenntnisse (Englisch, Französisch und Spanisch) ermöglichten es ihm, seine Ideen und Kenntnisse wirksam zu verbreiten und ihn zur treibenden Kraft der Gründung der Europäischen Memorandumgruppe (1995) werden zu lassen.

Eine Schlüsselpublikation war „Wem gehört Europa“ (Bd 1: Wirtschaftspolitik in der EG; Bd. 2: Kapitalstrategien, beide 1994, Distel Verlag). In diesen beiden über 400 Seiten umfassenden Bänden werden alle Facetten der europäischen Wirtschaftspolitik und der Strategien der wichtigsten Kapitalgruppen analysiert. Mit seinem Buch „Die Privatisierung der Welt, Hintergründe, Folgen, Gegenstrategien“ (Hamburg 2004) greift Jörg die Komponente neoliberaler Politik auf, gegen die sich noch am ehesten breiter Widerstand entwickeln lässt. In seinem Werk „Politische Ökonomie der Finanzmärkte“ (Hamburg 1999/2002), das beginnend mit der Asienkrise und der Krise der New Economy zu einem Standardwerk der politischen Linken geworden ist und quasi Lehrbuchcharakter hat, werden die Mechanismen, Instrumente und Folgen der neoliberalen Strukturentwicklung dieses Sektors aufgezeigt. Es war und ist ein ausgezeichneter wissenschaftlicher Führer durch den Dschungel der Finanzmärkte. Huffschmid vergaß aber nie, die realwirtschaftlichen Grundlagen dieser desaströsen Entwicklung im Blick zu behalten: die radikale Umverteilung der Einkommen und des gesellschaftlichen Vermögens zugunsten der Reichen und Superreichen, die Umstellung des Rentensystems auf die kapital-gedeckten Formen sowie die Privatisierung des öffentlichen Vermögens. Vor dem Hintergrund dieser Metaanalyse konnten dann Spezialanalysen zur Entwicklung der Sozialpolitik, der Armutsentwicklung, der regionalen Disparitäten usw. erfolgen, die großteils von anderen Mitgliedern der Euromemo-Gruppe geleistet wurden.

Seit 1995 erscheint jährlich im Spätherbst ein Memorandum der European Economists (www.memo-europe.uni-bremen.de). Nach dem Vorbild der deutschen Memorandumgruppe wird in einem jeweils ca. 40-50 Seiten starken Papier die Lage, die herrschende Politik sowie ein alternatives wirtschaftspolitisches Konzept formuliert, für das auch persönliche Unterschriften gesammelt werden. Manchmal werden auch umfassende Untersuchungen publiziert, für die einzelne AutorInnen verantwortlich zeichnen. 2003 z.B. hat Jörg Huffschmid im von der Euromemogruppe herausgegebenen Euromemo 2003 das Kapitel „Ein starker demokratischer und öffentlicher Sektor statt des Vorrangs für Privatisierung und Deregulierung“ geschrieben, das als Vorläufer des EU-Forschungsprojekt PRESOM gelten kann. 2005 war Jörg Mitherausgeber des Wälzers „Economic Policy for a Social Europe. A Critique of Neoliberalism and Proposals for Alternatives, Ergebnis des Thematic Network (TN) „Full Employment for Europe“ der EU, erschienen bei palmgrave macmillan.

Kurz vor seinem Tod schließlich, im November 2009, ist der von Marica Frangakis, Jörg Huffschmid, Christoph Hermann und Karoly Lóránt herausgegebene Band „Privatisation against the European Social Model. A Critique of European Policies and Proposals for Alternatives“, ebenfalls im Verlag palmgrave macmillan erschienen.

Diese breiten wissenschaftlichen und politischen Aktivitäten auf europäischer und globaler Ebene ermöglichten es ihm mit Leichtigkeit, die europapolitische Seite der deutschen Memoranden abzudecken. Hervorzuheben ist hier z.B. das Memorandum 1989, das einen Schwerpunkt, die Analyse des EU-Binnenmarktes 1992, beinhaltet.

Jörg Huffschmid kannte zahllose Wissenschaftler, Gewerkschaftler und Politiker in den meisten europäischen Ländern, in den USA und Lateinamerika. Völlig uneitel hat er viele Konferenzen und Workshops geleitet, hat sich dafür eingesetzt, dass junge WissenschaftlerInnen in diese Netzwerke eingebunden wurden und dass sich nach der Wende kritische WissenschaftlerInnen aus Ostdeutschland und den mittel- und osteuropäischen Ländern der Memorandumgruppe und dem europäischen Netzwerk angeschlossen haben. Er hat in den letzten Jahren stark darauf geachtet, dass die Arbeit auf viele Schultern verteilt wurde, und dies lässt hoffen, dass sie auch in seinem Sinne weitergeführt werden wird.

Joachim Bischoff / Richard Detje

Gewerkschaften und die politische Ökonomie
des Finanzmarktkapitalismus

Spätestens das Platzen der Spekulationsblase der „New Economy“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts hätte mit der Illusion aufräumen müssen, dass der Kapitalismus auf neuer technologischer und finanzmarktbasierter Grundlage den Übergang zu einer neuen Epoche langfristiger Prosperität vollzogen habe. Gleichwohl haben die wirtschaftlichen und politischen Eliten wenig später den neuen Hype auf den internationalen Wertpapier-, Immobilien- und Devisenmärkten mitgemacht. Die große Koalition aller Spielarten des Neoliberalismus war gleichsam gefangen in der Auffassung, dass das „Regime des Vermögensbesitzes“ eine neue Stufe ökonomischer Rationalität darstelle: Großer privater Reichtum und eine davon abgeleitete „Eigentümergesellschaft“ seien Garanten für Investitionen und wirtschaftliches Wachstum. „Asset driven accumulation“ nannte das der damalige Guru auf dem Chefposten der US-Zentralbank, Alan Greenspan. Erneut wurde das Ende der Lohnarbeitsgesellschaft proklamiert: Abhängig Beschäftigte seien Besitzer einer Ware wie alle anderen, entkollektiviert, selbst verantwortlich für die Optimierung ihrer Verkaufs- („Employability“) und Nutzungsbedingungen im Regime indirekter Marktsteuerung („führe dich selbst“). Gewerkschaften? Relikte einer vergangenen Epoche!

Jörg Huffschmid hat von all dem, insbesondere vom vermeintlichen Siegeszug eines neuen kohärenten Akkumulationsregimes, nichts gehalten. Eine von den Finanzmärkten und der politisch beförderten Erhöhung der Vermögenspreise vorangetriebene Akkumulation endet zwangsläufig in einer „systemischen“ Krise. Vorhersehbar, in den Dimensionen, wenn auch nicht zum exakten Zeitpunkt.1 Auch wenn die herrschenden Klassen angesichts der Wucht und der – teilweise die Große Depression nach 1929 noch in den Schatten stellenden – Geschwindigkeit des Absturzes 2008/2009 gleichsam unter Schock nicht die Fehler der Deflationspolitik wiederholten, warnte Huffschmid doch vor zwei Kurzschlüssen auf Seiten der Linken und progressiver zivilgesellschaftlicher Kräfte. Auch in der gegenwärtigen Jahrhundertkrise sah er nicht den wiederholt angekündigten „Tod des Neoliberalismus“ und global das Ende der US-Hegemonie. Zugleich hielt er nichts von politischer Engführung: Die Regulierung der Finanzmärkte kann – bei aller Notwendigkeit – nur ein erster Schritt auf dem Weg aus der Systemkrise des Finanzmarktkapitalismus sein.

1 Zuletzt: Jörg Huffschmid, Fehlverhalten, Regulierungsmängel oder Systemdynamik? Zu den Hintergründen und Ursachen der Finanzkrise, in: T. Sauer/S. Ötsch/P. Wahl (Hrsg.), Das Casino schließen! Hamburg 2009, S. 33-46.

Beides gründet in tieferen, bereits vier Jahrzehnte zurück liegenden Krisenursachen. „Im Rückblick halte ich die 70er Jahre [des 20. Jahrhunderts] für eine ganz entscheidende historische Phase für die Entwicklung des Kapitalismus sowohl in der Bundesrepublik wie auch in anderen Ländern. Denn faktisch stand die Frage nach der Entwicklungsrichtung des Kapitalismus auf der Tagesordnung.“2 In den 1970er Jahren war jener Knotenpunkt in der Nachkriegsgeschichte des Kapitalismus erreicht, an dem der Fall der Profitrate nicht mehr durch eine steigende Profitmasse kompensiert werden konnte. Strukturelle Überakkumulation von Kapital ist die Folge,3 was dazu führt, dass die Entwicklung von Sozialprodukt und Finanzvermögen weltweit immer weiter zugunsten der Vermögenskonzentration auseinander laufen. Dem liegt eine nachhaltige Niederlage und Defensive der Interessenvertretung der organisierten Lohnarbeit zugrunde. In der Triade der hoch entwickelten kapitalistischen Regionen – USA, Japan, EU – gelingt es den Gewerkschaften nicht mehr, den einmal erkämpften Anteil der Lohnabhängigen am gesellschaftlichen Reichtum zu verteidigen. Durch den flächendeckenden Prozess der Prekarisierung wird die kollektive Bestimmung von Wert und Preis der Ware Arbeitskraft in Frage gestellt. Die Lohnquoten stürzen insbesondere seit Beginn der 1980er Jahre ab und Deutschland erweist sich seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre als Weltmeister im verteilungs- und wettbewerbsstaatlichen Dumpingwettlauf.

2 Dieses und nachfolgende Zitate aus Jörg Huffschmid/Elmar Altvater, Ein Gespräch über ‚politischen Kapitalismus’, Stamokap, Wettbewerbsfähigkeit und vieles andere, in: Prokla 113, Dezember 1998, S. 651-669. Zu Recht wird hier die Entwicklung aus dem Rückblick betrachtet. Über die Entwicklungsetappen des Kapitalismus, ihre Begründung und Periodisierung gab es immer eine recht kontroverse Debatte in der Linken. Siehe u.a.: Prokla/spw/Sozialismus/Memorandum/IMSF, Kontroversen zur Krisentheorie, Hamburg 1986.

3 Auch die Herausbildung und das Charakteristische der chronischen Überakkumulation war und ist strittig. Früh siehe: Jürgen Hoffmann (Hrsg.), Überproduktion, Unterkonsumtion, Depression, Hamburg 1983. Zuletzt: Elmar Altvater et al., Krisenanalysen, Hamburg 2009.

Dieser Niedergang der Gewerkschaften in den ökonomischen und sozialen Verteilungsauseinandersetzungen erfolgte vor dem Hintergrund grundlegend veränderter Akkumulationsbedingungen, war hiervon aber – wie Huffschmid immer wieder betonte – nicht determiniert. Die Alternative wäre gewesen, eine Reformkonstellation, die für Huffschmid „in erster Linie das Resultat von Auseinandersetzungen (ist), in denen ... dem Kapital Zugeständnisse abgerungen worden sind“, mit einer Strategie der Ausweitung und Intensivierung der Wirtschaftssteuerung gleichsam aufzuheben. Eine solche Reformalternative hätte auch mit politischen Dogmen auf Seiten der Linken gebrochen. Denn für Huffschmid lässt sich der Staat „nicht einfach auf Kapitalfunktionen reduzieren“, sondern bietet zugleich Raum für die Entfaltung sozialer und demokratischer Bewegungen. „Dieser Aspekt war in der Theorie des staatsmonopolitischen Kapitalismus nicht enthalten.“ Mehr noch: Die Interventionsfähigkeit des Staates erfährt auch im so genannten Zeitalter der Globalisierung keine nachhaltige Schwächung. „Die nationalstaatliche Handlungsfähigkeit des Staates im Sinne der international agierenden Konzerne hat in den letzten 10 Jahren (i.e. 1990er Jahre) enorm zugenommen. Was abgenommen hat, ist die Fähigkeit der Gewerkschaften und anderer sozialer Bewegungen, ihre Ansprüche und Interessen in diesem Nationalstaat gegenüber den Interessen des Kapitals und hier insbesondere des exportorientierten Großkapitals durchzusetzen.“

Die gegenwärtige Jahrhundertkrise kann so als das späte Resultat doppelter Niederlagen beschrieben werden: in den primären Verteilungsauseinandersetzungen mit der Folge beschleunigter Akkumulation des Finanzkapitals und in den politischen Auseinandersetzungen um Rolle und Aufgaben eines ökonomisch intervenierenden und lenkenden Staates.

Jörg Huffschmid ist dabei geblieben: Für die Überwindung der Krise hat die Arbeiterbewegung weiterhin „zentrale Bedeutung“. „Daher sind ... die Gewerkschaften als Organisationen der Arbeiterbewegung nicht nur wegen ihrer Tradition, sondern auch wegen ihrer aktuellen Position im Reproduktionsprozess und als soziale Bewegung ganz zentral.“ Aber auch hier gilt zweierlei. Zum einen hängt die progressive Funktion von Gewerkschaften daran, für einen Richtungswechsel der ökonomischen und sozialen Entwicklung zu kämpfen. Von einer Strategie des Co-Managements, die auf die Lernfähigkeit des Kapitals setzt, hat er nichts gehalten. „Lernprozesse finden nur unter dem Druck der sozialen Basis statt.“ Zum andern hängt Gegenmacht an der Bündelung von Protest und Widerstand und der politischen Kooperation von progressiven sozialen Kräften, die nicht durch einseitige Führungsansprüche und „Abstufungen von Bündnisschichten“ desavouiert wird. Die Überwindung des Finanzmarktkapitalismus hängt nicht zuletzt an der politischen Interventionsfähigkeit der Gewerkschaften, der Wahrnehmung ihres politischen Mandats.