Klassentheorie

Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung im 21. Jahrhundert

Juni 2003

Am Anfang des 21. Jahrhunderts befindet sich der Marxismus – sowohl als eine wissenschaftliche Schule der Politischen Ökonomie und der sozialwissenschaftlichen Forschung als auch als ein Konzept zur politischen Organisation und Aktion – in der ganzen Welt nicht in einem guten Zustand. Eine neuere englische Veröffentlichung mit dem Titel „Marxism and Social Sciences” beginnt mit der folgenden These: „Der Marxismus wird weitgehend als in der Krise wahrgenommen – und viele sind der Auffassung, daß diese Krise unheilbar sei.” (Gamble et al. 1999: 1) Während ein Zweig der Internationalen Politischen Ökonomie, der sich auf den „Historischen Materialismus” sowie auf die Hegemonietheorie von Antonio Gramsci bezieht, in den letzten Jahren eine gewisse Anerkennung gefunden hat (Gill 1993; Bieling/Deppe 1996; Cox 1998), scheint eine an Marx orientierte Klassenanalyse, die sowohl Analysen der sozialökonomischen Transformationen als auch der Kultur und der Politik der Arbeiterklasse beinhaltet, vollständig an den Rand gedrängt zu sein. In einem Artikel mit dem Titel: „Die Klassendimension des Politischen” (Deppe 2001) habe ich diese These ausführlicher diskutiert: In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat die Klassenanalyse in der Soziologie wie in der Politikwissenschaft keine bedeutende Rolle gespielt hat. Analysen der Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland wurden ebenso wie theoretische Reflexionen über den Wandel der Klassenverhältnisse in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften vernachlässigt oder in den Mainstream-Diskursen „einschlägig” beschwiegen.

Gleichwohl hat – etwa seit Mitte der 90er Jahre – das Interesse an den Realitäten sozialer Ungleichheit und sowie an den neuen Prozessen „sozialer Exklusion” bei Sozialwissenschaftlern – wenn auch in bescheidenem Maße – zugenommen (Bieling 2000; Bischoff et al. 2002; Kronauer 2002; Dörre 2002). Dies resultiert zum einen aus der Wahrnehmung und Erfahrung des heutigen „globalen High-Tech-Kapitalismus” sowie aus den sozialen und politischen Konsequenzen der neoliberalen Politik der Liberalisierung, Deregulierung und Entstaatlichung seit den frühen 80er Jahren. Zum anderen haben kritische Interventionen prominenter Soziologen – z. B. von Pierre Bourdieu – gegen das Einheitsdenken des Neoliberalismus („pensée unique”) nicht nur den Blick auf die Herrschafts- und Klassenverhältnisse des heutigen Kapitalismus, sondern auch auf die zunehmende soziale Polarisierung und damit auch auf das „Elend der Welt” gelenkt und geschärft.

Zur thematischen Verschiebung in den öffentlichen Debatten mag auch beigetragen haben, daß in den letzten drei Jahren, also seit „Seattle 1999”, die Kraft und die Dynamik neuer sozialer Bewegungen (der sog. „Globalisierungsgegner”) zugenommen hat. Zuletzt haben diese Anfang des Jahres 2003 in Porto Alegre ihre Kritik der Weltordnung (und der globalen Widersprüche) des Kapitalismus formuliert und zugleich Alternativen zur „Welt als einer Ware” diskutiert. Diese Entwicklungen legen die Hypothese nahe, daß die mit der neuen Formation des globalen Kapitalismus verknüpfte „neue soziale Frage” sich zuspitzt und auch immer mehr ein politisches Sprachrohr findet. Selbstverständlich werde ich am Ende dieses Aufsatzes noch einmal auf diese These zurückkommen.

1. Die Krise des Marxismus und der Arbeiterbewegung

Die Gründe für den Niedergang der am Marxismus (und am Leninismus) orientierten Arbeiterbewegung sind hinreichend bekannt: zunächst der Untergang des Kommunismus und das Verschwinden der Sowjetunion und des sowjetischen Blockes bis zum Jahre 1991. Auch die Entwicklungen in der Volksrepublik China, wo unter der Führung der Kommunistischen Partei in den letzten beiden Jahrzehnten ein rasanter Übergang vom System des Staatseigentums und der Planwirtschaft zum Privateigentum und zur kapitalistischen Marktwirtschaft (einschließlich der Weltmarktintegration und der Zugehörigkeit zur WTO) vollzogen wird, haben die Theorien von Marx, Engels und Lenin, auf die sich die regierenden Kommunistischen Parteien immer wieder bezogen, um ihr Regime zu rechtfertigen, schwer beschädigt.[1]

Ein zweiter Faktor hängt sehr stark mit der Geschichte der Arbeiterbewegung selbst zusammen. In Europa war die politische Linke seit den europäischen Revolutionen von 1848 – mehr als hundert Jahre lang – hauptsächlich ein Ausdruck der Arbeiterbewegung, Ausdruck einer Beziehung zwischen politischen und sozialen Kräften, die durch das System der Interessengegensätze zwischen Kapital und Arbeit (jeweils innerhalb „sozialer Blöcke”, die andere Klassen und Klassenfraktionen einschlossen) dominiert war. Diese Geschichte folgte nicht der Logik einer linearen Evolution und Modernisierung bzw. einer funktionalen Differenzierung (wie es Varianten der Modernisierungstheorie unterstellen). Vielmehr handelte es sich um einen diskontinuierlichen und ungleichzeitigen Prozeß, der immer wieder von Perioden des Krieges und der Revolution, der Wirtschaftskrisen, des Faschismus und anderer Formen politischer Diktatur unterbrochen wurde. Die Geschichte der Arbeiterbewegungen und der Klassenkämpfe ist also eingebettet in die Gesellschaftsgeschichte des 19. und des 20. Jahrhunderts.

Im Übergang zum 21. Jahrhundert ist dagegen festzustellen, daß die traditionelle Arbeiterbewegung als eine politische Bewegung (Parteien), eine soziale Bewegung (Gewerkschaften), eine Genossenschaftsbewegung und eine kulturelle Bewegung, die in ihrem Kern auf der industriellen Arbeiterklasse beruht, nicht mehr besteht.[2] Natürlich bestehen noch Gewerkschaften als Organisationen der Arbeiterklasse und auch für das Wahlverhalten der Arbeiter gilt nach wie vor, daß sie eher linke Parteien unterstützen (obwohl es immer schwieriger geworden ist, sozialdemokratische Parteien und ihre Führer als Repräsentanten linker, d.h. sozialistischer Politik anzusehen). Gleichwohl ist der universelle und emanzipatorische Anspruch der Arbeiterbewegung als einer sozialen und politischen Bewegung schon seit langer Zeit zerbrochen. Eine sozialistische oder kommunistische Arbeiterbewegung, die als eine relevante politische Kraft in den entwickelten kapitalistischen Ländern in dem Bewußtsein wirkt, daß sie ihre historische Mission als „Totengräber des Kapitalismus” erfüllt, wie es von Marx und Engels im Kommunistischen Manifest von 1848 postuliert wurde, existiert also nicht mehr. Daraus folgt keineswegs, daß es keine Klassen – und keinen Klassenkampf – mehr gebe. Natürlich gibt es Klassenlagen und Klassenkonflikte; der Prozeß der Auflösung und der Neubildung von Klassenformationen wirkt nach wie vor – nur, diese Prozesse finden nicht denjenigen politischen Ausdruck, den insbesondere die Theorie des Marxismus-Leninismus der Beziehung zwischen Avantgardepartei und proletarischer Klasse zugeschrieben hatte (Deppe 1999, 282 ff.). Selbstverständlich gibt es noch Organisationen, die sich auf diesen Anspruch beziehen; sie lassen sich jedoch kaum als Artikulationsform einer Bewegung verstehen.

Der Kampf der Arbeiterklasse während und nach der bürgerlichen Revolution war am Anfang auf die Durchsetzung von fundamentalen politischen und demokratischen Rechten gerichtet (Wahlrecht, Koalitionsrecht, Rechte, kollektive Vereinbarungen abzuschließen). Im Verlaufe des 20. Jahrhunderts setzte die Arbeiterbewegung – vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem in West- und Nordeuropa – Elemente „sozialer Staatsbürgerschaft” durch. Das war ein wichtiges Moment der Transformation des entwickelten Kapitalismus durch die Sozialdemokratie, durch den Reformismus, der immerhin in den entwickelten kapitalistischen Staaten gegenüber den revolutionären Strömungen in der Mehrheit blieb. Die fordistische Formation des Golden-Age-Kapitalismus war ein Produkt der Klassenkämpfe und sie drückte ein spezifisches Kräfteverhältnis der Klassen aus, das durch den demokratischen (immer noch kapitalistischen) Staat reguliert wurde. Dieses Kräfteverhältnis war aber auch – was erst nach 1991 offenbar wurde – auf die Existenz der Sowjetunion und des sozialistischen Staatensystems sowie auf den Kalten Krieg als ein Element der globalen Beziehungen von Klassenkräften zurückzuführen. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg war es die Arbeiterklasse, die einen „Klassenkompromiß” mit der Demokratie und mit dem modernen Wohlfahrtsstaat einging. Dieser institutionalisierte nicht nur die sozialen Sicherungssysteme, sondern auch Mitwirkungs-, Mitbestimmungs- und Kontrollrechte der Arbeiter und der Gewerkschaften.

Auf der anderen Seite vollzog sich die Erosion der klassischen Arbeiterbewegung im Prozeß der „Modernisierung” der kapitalistischen Gesellschaften selbst. Diese sind komplexer geworden; soziale Konflikte, Hierarchien und Herrschaftsverhältnissen lassen sich nicht eindimensional auf Klassenkonflikte reduzieren. Traditionelle „Klassenmilieus” (also: Klassenkulturen in Stadtvierteln, in den Fabriken, in den Familien mit ihren Erziehungsstilen, mit den Alltagskulturen von Sport- und Kulturvereinen oder von Kneipen etc.) haben sich mehr und mehr aufgelöst. Ulrich Beck hatte schon in seiner Studie zur „Risikogesellschaft” (1986) diese Entwicklung als eine Tendenz zur Individualisierung über „Enttraditionalisierung ... jenseits der Klassen” beschrieben. Die Prozesse können natürlich auch klassentheoretisch gedeutet werden – außerdem überzeugt heute die These von Beck nicht mehr, daß die sozialen Einkommensgruppen gleichermaßen – wie in einem Fahrstuhl – nach oben gefahren sind. Offensichtlich faßte Beck jedoch in den 80er Jahren die Position der meisten Soziologinnen und Soziologen zusammen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten mit den Klassenstrukturen der modernen kapitalistischen Gesellschaften auseinandergesetzt haben (vgl. kritisch Bieling 2000: 84 ff.).

Für die Sozialhistoriker der Arbeiterbewegung sind solche Fakten überhaupt nicht neu[3]. Der britische Historiker Donald Sassoon veröffentlichte 1997 ein Buch mit dem Titel „Hundred Years of Socialism. The West European Left in the Twentieth Century”. Seine zentrale These kann wie folgt zusammengefaßt werden: Die sozialistische Arbeiterbewegung in Westeuropa hat ihre historische Aufgabe, den Kapitalismus durch Demokratie und den Wohlfahrtsstaat zu zivilisieren, erfüllt. Am Ende des 20. Jahrhunderts ist die industrielle Arbeiterklasse allerdings zu einer minoritären Fraktion der lohnarbeitenden (und arbeitslosen) Bevölkerung geschrumpft. Sie ist nicht länger der Motor, das „Power House” („Kraftwerk”) des Sozialismus. Da die Errungenschaften des zivilisierten Kapitalismus seit dem Wahlsieg des Thatcherismus in Großbritannien erheblichen Angriffen ausgesetzt sind, ist es heute zur Hauptaufgabe der Linken geworden, diese Errungenschaften (oder zumindest Teile davon) zu verteidigen.

Es mag freilich bezweifelt werden, ob Tony Blair und „New Labour” diese Zivilisation (eines „europäischen Gesellschftsmodells”) verteidigen oder seine Zerstörung zugunsten von Privatisierung und Entstaatlichung vorantreiben. In der eigenen Partei begegnet Blair einem wachsenden Widerstand nicht nur gegen seine Außenpolitik, sondern auch gegen seine Pläne, den öffentlichen Dienst durch Teilprivatisierung zu „reformieren”. Außerdem wurde England seit dem Spätsommer 2002 von einer Welle von Streiks überzogen, die sich sowohl gegen die Privatisierungspolitik richteten als auch radikale Lohnforderungen erhoben[4]. Das Problem, das in diesem Zusammenhang auftaucht, wurde von den Herausgebern des „Socialist Register” (Leo Panitch und Colin Ley) im Vorwort zur Ausgabe des Jahres von 2001, die dem Thema „Working Classes - Global Realities” gewidmet war, präzise formuliert. Auf der einen Seite ist die die Arbeiterklasse betreffende globale – soziale und politische – Realität extrem komplex und differenziert; sie korrespondiert der regionalen und/oder nationalen Entwicklung des Kapitalismus. Das bedeutet: „Als ein System sozialer Verhältnisse ist der Klassenbegriff zum Verständnis der Dynamik des heutigen Kapitalismus so zentral wie eh und je. Auf der anderen Seite aber, verstanden als eine politische Beziehung – in dem Sinne, daß Arbeiter bewußt eine Klasse bilden, die sich zu einem alltäglichen Kampf gegen eine andere Klasse zusammenschließt, d.h. als ein Akteur, der zu politischen und ökonomischen Alternativen zu Neoliberalismus und Kapitalismus voranschreitet - als eine solche Beziehung verstanden ist der Klassenbegriff in einer tiefen Krise” (Panitch et al. 2001: VIII)[5].

2. Fragestellungen und marxistische Analyse in der
Übergangsphase

Bevor auf diese Zusammenhänge detaillierter eingegangen wird, sollen einige Fragestellungen angesprochen werden, die gleichsam als Leitfaden für die nachfolgende Analyse gelten können. Was ist vom Marxismus zu lernen, um diese Widersprüche zu verstehen, sie zu erklären und sie – vielleicht sogar – zu überwinden? Bedeutet das Ende der traditionellen Arbeiterbewegung (die in der Tat ein ziemlich rein europäisches Phänomen war), daß die Arbeiterklasse, der Klassenkampf und die Arbeiterbewegung nicht mehr existieren und dementsprechend auch keine Zukunft mehr haben? Natürlich gab und gibt es Arbeiterbewegungen außerhalb Europas – zum Beispiel in den USA, in Lateinamerika (wo – in Brasilien – gerade ein ehemaliger Arbeiter und Gewerkschaftsführer als Kandidat der „Arbeiterpartei” zum Präsidenten gewählt wurde) oder in Korea, wo sie sich schon unter der japanischen Okkupation entwickelte und gerade in den letzten Jahren – auch als der sozialer Ausdruck der rasanten Industrialisierung des Landes – immer wieder weltweit auf sich aufmerksam gemacht hat. Gleichwohl folgte keine dieser Bewegungen außerhalb Europas – nicht einmal in den USA – genau jenen Pfaden, die durch die frühe kapitalistische Industrialisierung, durch die „Entstehung der englischen Arbeiterklasse” (E.P. Thompson) oder durch den Weg der deutschen Sozialdemokratie seit der Reichsgründung im Jahre 1871 in Europa vorgegeben wurden.

Im folgenden werde ich die These vertreten, daß wir in einer Periode des Übergangs zu einer neuen kapitalistischen Formation leben – in Bezug auf die Struktur moderner Gesellschaften, das System der Weltpolitik ebenso wie in Bezug auf die Beziehung zwischen Akkumulation und politischer Regulation. Diese „turbulente” Übergangsphase zeichnet sich durch eine klare hegemoniale Struktur aus, die – mehr oder weniger genau – mit den Begriffen des Neoliberalismus und des US-amerikanischen Unilateralismus zu charakterisieren ist. Etwas zugespitzt formuliert: In der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts war das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit niemals so eindeutig und dramatisch zugunsten des Kapitals verschoben. Niemals – so scheint es – waren die sozialen und politischen Kräfte, die sich für eine nichtkapitalistische Gesellschaft und für eine radikale Demokratisierung einsetzen, so schwach wie in der gegenwärtigen Transformationsperiode nach dem Kollaps des sowjetischen Blockes.

Die Zukunft der Arbeiterklasse und der Arbeiterbewegung muß natürlich im Kontext der Zukunft der modernen Gesellschaften und des Weltsystems gedacht werden. Sie wird in hohem Maße von der Art und Weise abhängen, in der Kräfte der Arbeiterklasse und soziale Bewegungen, die auf einem Bündnis zwischen Fraktionen der Arbeiterklasse und anderen Klassenfraktionen (in der ganzen Welt) beruhen, auf die – dem Kapitalismus und dem Imperialismus – immanenten Widersprüche dieser Übergangsperiode reagieren werden und dabei einen alternativen Weg der sozialen Reproduktion und der Demokratie zur Sprache bringen. Selbstverständlich können im Rahmen dieses Beitrages nur einige exemplarische Überlegungen angestellt werden, die ich eher als Skizze eines Forschungsvorhabens – mit praktischer Absicht – zum Studium globaler Probleme der Arbeiterklasse und des Klassenkampfes verstanden wissen möchte.

Erinnern wir uns kurz einiger Prinzipien des historischen Materialismus bei der Analyse des Kapitalismus und der Arbeiterbewegung. Der Nachweis der sozialen Ungleichheit und des Klassenantagonismus auf der Basis des Privateigentums war schon vor Marx gut bekannt. Rousseau widmete seinen berühmten zweiten Diskurs „Über die Ungleichheit” (1754) dieser Frage – und Hegel sprach in den Artikeln 245 und 246 der „Rechtsphilosophie” von der Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft, die den Gegensatz zwischen Reichtum und Armut produziert und reproduziert. Diese Dialektik – so die Schlußfolgerung Hegels – treibt die bürgerliche Gesellschaft „über sich selbst hinaus”. Die Linkshegelianer (und Frühsozialisten) haben dies als die historische Tendenz und Möglichkeit des revolutionären Übergangs zu einer neuen Gesellschaftsform, in der Privateigentum, Klassen und Elend aufgehoben sind, interpretiert. Der historische Materialismus von Marx und Engels hatte sich vorgenommen, die soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit im modernen Kapitalismus – in ihrer spezifischen Form des Klassenantagonismus von Bourgeoisie und Proletariat – wissenschaftlich zu erklären.

In seinem berühmten Aufsatz „Geschichte und Klassenbewußtsein” (1923) wies Georg Lukacs darauf hin, daß der Marxismus ein wissenschaftliches Konzept zur Erklärung der kapitalistischen Gesellschaft in ihrer Totalität sei. Dieser Hinweis scheint um so wichtiger in der heutigen Zeit, in der insbesondere in der Politikwissenschaft der Institutionalismus und der „Rational-Choice-Individualismus” die methodologischen Grundkonzepte dominieren. Für Marx gilt: Die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft – d.h. die Politische Ökonomie – enthüllt – im weitesten Sinne – den sozialen Inhalt bzw. den Klasseninhalt politischer, kultureller und intellektueller Phänomene. Daher sagt er im „Kapital”, „daß das Kapital nicht eine Sache ist, sondern ein durch Sachen vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen.” (MEW 23: 793) Kapital ist keine Sache (Produkt, Technologie oder Geld), sondern eine soziale Beziehung, ein Klassenverhältnis zwischen der produktiven – aber abhängigen – Lohnarbeit und der Aneignung von Mehrarbeit unter spezifischen Bedingungen der Entwicklung der Produktivkräfte (unter letzterem ist der historische Entwicklungsstand der Naturwissenschaft, der Technologie und die Qualifizierung der Arbeitskraft zu verstehen). Dazu bemerkt Marx, um die Bedeutung des permanenten sozialen Wandels als Charakteristikum einer kapitalistischen Marktwirtschaft zu betonen, „daß die jetzige Gesellschaft kein fester Kristall ist, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffener Organismus.” (MEW 23: 16)

Wenn das Kapital eine soziale Beziehung ist, dann umfaßt der historische Prozeß der Kapitalakkumulation die Bewegung ihrer Widersprüche, deren je konkrete Formen historisch genau und differenziert studiert werden müssen. Der zentrale Widerspruch in dieser sozialen Beziehung ist der zwischen den Reproduktionsinteressen der Arbeitskraft und dem Verwertungsinteresse des Kapitaleigners. Die Kapitalakkumulation steht einerseits unter den Zwangsgesetzen der Konkurrenz; denn kein Kapitalist kann überleben, wenn er in der Entwicklung der Produktivkräfte (und damit der Produktivität) zurückbleibt. Gleichzeitig wird die Entwicklung der Produktivkräfte aber auch durch die Klassenkämpfe selbst angetrieben; denn das Kapital reagiert auf erfolgreich durchgesetzte, gewerkschaftlichen Forderungen (z.B. Lohnerhöhungen) mit der Reduzierung der (relativen) Lohn(stück)kosten durch Rationalisierung, d.h. durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die Geschichte der Arbeiterklasse ist daher – ebenso wie ihre Zukunft – auch eine abhängige Variable der Kapitalakkumulation und ihrer Widersprüche. Die Größe der Arbeiterklasse, ihre innere Struktur, ihre Verteilung über die Welt, ihre Verhältnisse zu anderen Klassen sind so historisch-dynamische Momente, objektive Bedingungen des Prozesses der Klassenformierung. Selbstverständlich erklären diese nicht allein die Intensität der Klassenkämpfe und/oder das Organisationsverhalten der Arbeiter.

Gleichwohl finden wir in der Geschichte der Arbeiterbewegung immer wieder verschiedene Klassenfraktionen, die – in bestimmten historischen Perioden – jeweils die Rolle von „Avantgarden” – sowohl in den Gewerkschaften als auch in den politischen Organisationen, in Streikbewegungen und anderen Kämpfen – wahrnehmen. Solche Veränderungen sind z.B. im Übergang von den „alten”, auf handwerklich qualifizierter Lohnarbeit beruhenden Gewerkschaftsorganisation zu den „neuen Gewerkschaften” festzustellen, die die angelernten „Massenarbeiter” (in der fordistischen „Massenproduktion”) organisieren. Später – bis in die Gegenwart – vollziehen sich Veränderungen im Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Seit den großen Streiks in Frankreich 1995/96 sind es vor allem die Beschäftigten und die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, die an der Spitze sozialer und politischer Auseinandersetzungen (beim Abbau des Sozialstaates) stehen.

Jede Periode der kapitalistischen Entwicklung (und ihrer nationalen und regionalen Konfigurationen) ist also durch ein bestimmtes – historisch je konkret zu untersuchendes – Verhältnis der Klassen, der inneren Struktur der Arbeiterklasse sowie durch spezifische Bedingungen des Klassenkampfes charakterisiert. Gramsci sprach von der notwendigen Erforschung des (nationalen, lokalen etc.) Terrains, auf dem die fortschrittlichen Kräfte der Arbeiterklasse operieren. Die (auf dem historischen Materialismus basierende) Analyse der konkreten historischen Situation muß also in Bezug auf die verschiedenen Akteure, ihre Interessen und ihre Projekte, die Faktoren, die die Kräfteverhältnisse bestimmen, die Stabilität des politischen Systems usw. sehr präzise sein. Wenn wir uns jedoch an den Hinweis von Lukacs auf die Totalität der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft als dem Objekt der historisch-materialistischen Analyse erinnern, so muß selbstverständlich die Rolle des Staates bei der Strukturierung und Formierung dieser Prozesse mit bedacht werden. Alle Prozesse der Klassenformierung werden immer auch durch den Staat strukturiert; allgemeiner: sie werden durch das politische System und durch den politischen Kampf mit dem Ziel, Machtverhältnisse innerhalb des politischen Systems zu ändern, gleichsam „gefiltert”.

Daraus ergibt sich eine wichtige Schlußfolgerung. Obwohl der historische Materialismus immer wieder die Frage nach dem sozialökonomischen Gehalt von Formen des politischen und ideologischen, kulturellen Überbaus (von denen die Klassenorganisationen ein wichtiger Bestandteil sind) thematisiert („Formbestimmung”), sollte sich dennoch die Analyse konkret historischer Prozesse und Kämpfe stets davor hüten, sich in den Fallstricken eines mechanistischen und/oder reduktionistischen Denkens zu verfangen. Die sozialen Klassen sind eben keine kollektiven Akteure, die – wie die Arbeiterklasse – mit Blasmusik durch die Straßen marschieren und dabei Rote Fahnen schwenken.[6] Schließlich ist (und war) der Klassenkampf niemals eine bloße Widerspiegelung ökonomischer und sozialer Strukturen und Widersprüche (Deppe/ Dörre, 1991). Das Grundproblem der modernen Sozialwissenschaften, das der Vermittlung von Strukturalismus und Handlungsanalyse, darf vom historischen Materialismus weder übergangen noch beschwiegen werden, indem – wie so oft geschehen – die konkrete Analyse durch die (philosophisch schlechte) Interpretation der Schriften des jungen Marx mit dem Hinweis auf die „historische Mission des Proletariats”, seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben, ersetzt wird.[7]

3. Der Übergang zu einer neuen kapitalistischen Formation

Die Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus muß an die Fragestellungen anknüpfen, die in den vorangehenden Abschnitten entwickelt wurden. Dabei kann hier nicht systematisch, sondern nur exemplarisch vorgegangen werden. Was bedeuten die Strukturen und die Dynamiken des heutigen Kapitalismus für die Struktur der Arbeiterklasse, die Reproduktion von Widersprüchen und für die Artikulation von Widerstand auf der Basis der Interessen der Arbeiterklasse? Die Beschäftigung mit diesen Fragen wird – davon bin ich überzeugt – auch Erkenntnisse über – mögliche oder wahrscheinliche – Zukunftstendenzen der Entwicklung der Arbeiterklasse und der Klassenkämpfe im 21. Jahrhundert vermitteln.

Marxistische Ökonomen und Sozialwissenschaftler diskutieren derzeit durchaus kontrovers über den Charakter des Übergangs des transnationalen Kapitalismus in eine neuen historischen Periode bzw. zu einer neuen Formation eines „postfordistischen” Kapitalismus (Candeias/Deppe 2001). Zugleich besteht aber ein weiter Konsens bei der Analyse wesentlicher Elemente des heutigen „transnationalen High-Tech-Kapitalismus” (W. F. Haug), der sich aus der Krise des Fordismus in den späten 60er und in den 70er Jahren entwickelt hat.

- Die „mikroelektronische Revolution” hat den Charakter der Arbeit sowohl in der industriellen Produktion als auch im Dienstleistungsbereich weitgehend verändert. Sie bedeutet zunächst eine außerordentliche Steigerung der Produktivkraft der lebendigen Arbeit. Die „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit” wird drastisch reduziert. Der Mensch „tritt neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein ... Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufhört, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert das Maß des Gebrauchswerts.” (Marx, Grundrisse, 593) Für die Kapitalverwertung liegt darin ein enormes Rationalisierungspotential, um die Kosten der Produktion, der Verwaltung und des Managements zu senken. Bei gleichbleibendem oder sinkendem Wachstum und/oder bei gleicher Arbeitszeit kommt es daher zu Massenentlassungen. Auf der anderen Seite bilden diese Produktivitätsgewinne die Basis für die gewerkschaftlichen Forderungen nach der Verkürzung der Arbeitszeit, für die die IG Metall zum ersten Mal 1984 in einen längeren Streik (für die „35-Stunden-Woche”) eingetreten ist.[8]

Die mikroelektronische Revolution transformiert den Charakter der Lohnarbeit sowie der Qualifizierung der Arbeitskraft: von der Produktion materieller Güter zur Produktion von Information und Wissen. Kommunikation und Wissensproduktion werden zu zentralen Voraussetzungen des Funktionierens der materiellen Produktion, der Märkte, vor allem aber der globalen Finanzmärkte. Gleichzeitig wandelt sich das Profil und die Zusammensetzung des gesellschaftlichen Arbeitskörpers. Der globale „Casino-Kapitalismus” (Susan Strange) hat eben diese Veränderungen in der Struktur der Produktivkräfte zur Voraussetzung. Schließlich vollzieht sich vermittels dieser Prozesse eine gewaltige Umverteilung der Arbeit vom industriellen zum Dienstleistungssektor. Dieser ist freilich zwischen stabilen und instabilen Beschäftigungsverhältnissen, zwischen Tätigkeit mit hoher und niedriger Qualifikation, zwischen gut und schlecht bezahlten Arbeitsplätzen etc. hoch polarisiert.

Im Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft verändern sich die Strukturen der Informationen und der Kommunikation. Das hat z.B. für die gesamte Analyse der Überbauten und der Ideologie im modernen Kapitalismus erhebliche Konsequenzen. Ich denke dabei an die Bedeutung des Internet, aber auch an die Rolle der privaten Medien, Fernsehkanäle (wie CNN), die für die ganze Welt Informationen über die politische und soziale Realität vermitteln (z.B. über die Kriege), dabei Bilder und Vorstellungen konstruieren, die ihrerseits direkte politische Implikationen haben. Der „Stellungskrieg” um Hegemonie, der für die Analysen von Gramsci so wichtig gewesen ist, gewinnt auf diese Weise ganz neue Dimensionen. Immerhin ist es in den letzten Jahren gelungen, Gegenöffentlichkeiten (z.B. beim Weltsozialforum in Porto Alegre) gegen die herrschenden, neoliberalen Meinungen über die sog. „Globalisierung” herzustellen und wirksam werden zu lassen.

- Bei der Analyse der Struktur der Akkumulation zeigt sich zuerst, daß die Kapitalakkumulation neue Bereiche des Lebens, der sozialen Reproduktion und der Kultur durchdringt, die bislang nicht dem Waren- und dem Profitprinzip unterworfen waren. Die klassischen Imperialismusanalysen zu Beginn des 20. Jahrhunderts – so z.B. auch die von Rosa Luxemburg – waren stets von den absoluten Schranken der Kapitalakkumulation ausgegangen. Immer wieder wurden solche Auffassungen dadurch widerlegt, daß die Grenzen des Systems des Privateigentums, des Waren- und des Profitprinzips extrem ausgeweitet wurden. Mit anderen Worten: Die Kapitalakkumulation hat neue Bereiche durchdrungen und erschlossen – von der fordistischen Massenproduktion von Automobilen über die Kapitalisierung des Handels und der Dienstleistungen, des Kommunikationssektors und der Freizeit bis hin zur Durchkapitalisierung des Körpers durch „Biopolitik”. Diese Prozesse werden von einer Ausweitung der Lohnarbeit auf neue Bereiche begleitet.

Zugleich hat die Bedeutung des Finanzkapitals innerhalb der globalen Reproduktion des Kapitalismus zugenommen. Noch bleibt offen, ob sich tatsächlich ein neues „finanzgestütztes Akkumulationsregime” (Aglietta) durchgesetzt hat. Gleichwohl verweisen die Hinweise auf den Shareholder-Kapitalismus und auf das „Dollar-Wall-Street-Regime“ (Peter Gowan) auf neue Strukturen und Interdependenzverhältnisse auf den Weltmärkten, auf die globalen Finanzmärkte etc. Dabei wächst der Druck zur Anpassung der nationalen Systeme der Corporate Governance, worunter nicht nur die Managementsysteme (und darin eingeschlossen z.B. die Beziehungs- und Machtstrukturen zwischen Vorständen und Aufsichtsräten, zwischen Eigenfinanzierung und Fremdfinanzierung, d.h. durch die Banken), sondern auch die Organisationsformen der „industriellen Beziehungen” (also die verschiedenen Systeme der „industriellen Demokratie” und der „Mitbestimmung”, speziell in Deutschland) zu verstehen sind (Beckmann/Bieling 2002).

Das Lohnverhältnis, das im Zentrum von Agliettas Analyse der fordistischen Regulation stand, wurde deutlich abgewertet. Die Löhne sind durch Rationalisierung und Arbeitslosigkeit, aber auch durch die Verschiebung der Finanz-
aktivitäten und durch die Politik von Regierungen unter Druck geraten. Die Gewerkschaften haben – seit dem Ende der 70er Jahre zumindest in den USA und Westeuropa – erheblich an Macht verloren, d.h. sie sind wesentlich schwächer geworden, um die Verteilung zwischen Löhnen und Profiten zu verändern und um erfolgreich für kontinuierliche Erhöhungen der Reallöhne (oder zumindest für die Ankopplung der Lohnerhöhungen an das Wachstum der Produktivität) zu wirken. Die sinkende Lohnquote illustriert diesen Sachverhalt auf einer sehr abstrakten – statistischen – Ebene. Hier zeigt sich besonders deutlich die enge Verbindung zwischen den Veränderungen in der Struktur der Akkumulation und den Veränderungen in den gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnissen zwischen Kapital und Arbeit bzw. zwischen den Verbänden, die diesen Interessenkonflikt repräsentieren.

- Das Verhältnis zwischen der kapitalistischen Ökonomie und dem Staat hat sich verändert. Bob Jessop und Joachim Hirsch z. B. haben die Transformationen des „nationalen keynesianistischen Wohlfahrtsstaates” zum „Wettbewerbsstaat”, der auf den Druck transnationaler Konkurrenz reagiert, gründlich analysiert (Hirsch et al. 2001; Hirsch 2002; Jessop 2002). Die für den Fordismus charakteristische Parallelität von nationalem Keynesianismus und Weltmarktliberalismus (unter US-amerikanischer Hegemonie), also das System des „embedded liberalism”, wurde mit der Fordismuskrise aufgebrochen. Die Aufgabe des kapitalistischen Staates besteht fortan gerade darin, die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen „Standorte” zu sichern bzw. zu optimieren.

Die Arbeiterklasse wird im Zuge dieser Veränderungen (die immer auch ein Ergebnis von politischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen, also von realen Akteuren und Akteurskonstellationen in der Politik sind) mit der Erosion des fordistischen Klassenkompromisses konfrontiert, der im Zeitalter des „Golden Age” (1948 - 1975) auf dem „Tauschgeschäft” zwischen der Anerkennung des Kapitalismus durch die reformistische Arbeiterbewegung und der Anerkennung der Vollbeschäftigungspolitik und des Sozialstaates durch die Repräsentanten der organisierten Kapitalinteressen beruhte. Nunmehr vollzieht sich eine Verschiebung von ökonomischer, politischer, sozialer, kultureller und ideologischer Macht von der Lohnarbeit zum Kapital. Die Hegemonie des Neoliberalismus, der eine Politik der Privatisierung, Deregulierung, des Monetarismus und der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik verfolgt, reflektiert diese Veränderung der Kräfteverhältnisse. Das politische System hat in seinen Entscheidungen die Dominanz der Gesetze des Marktes anzuerkennen. Darin liegt im Kern der sogenannte „Imperialismus des Ökonomischen” gegenüber allen anderen Sphären der Gesellschaft und der Politik. Die Politik – insbesondere die Demokratie – stellen eine permanente Bedrohung für die Rationalität der Gesetze des Markts dar. Das ist die – neoliberale – Botschaft der Lehrbücher, die in den Sozial- und den Wirtschaftswissenschaften im Umlauf sind, und die von der Neuen Politischen Ökonomie („New Political Economy”) und der Ideologie des „Rational Choice” und des methodologischen Individualismus dominiert werden.

Die Hauptfunktionen des „Wettbewerbsstaates” sind – innerhalb der Weltmarktkonkurrenz – (a) die Deregulation des Arbeitsmarktes („Flexibilität”; und damit die zunehmende Schaffung prekärer Beschäftigungsverhältnisse bzw. eines Niedriglohnsektors) und (b) die Umwandlung der wohlfahrtstaatlichen Politik zugunsten von privater Absicherung und Individualisierung (an Stelle von kollektivem Schutz und auch kollektiver Solidarität, die das moralisch-politische Prinzip der Arbeiterbewegung war; (c) der Abbau von Arbeiter- und Gewerkschaftsrechten im Bereich der industriellen Demokratie bzw. die Blockade von Reformen in diesem Bereich: z.B. Arbeiterkontrolle durch gewählte Vertreter/gewerkschaftliche Vertrauensmänner etc.; die Erweiterung von Mitbestimmungsrechten für die „Eurobetriebsräte”, die Freiheit kollektiver Verhandlungen, der Ausbau des kollektiven Arbeitsrechts und die Selbstverwaltung von Institutionen der sozialen Sicherungssysteme.

Deregulierung und Privatisierung wirken nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch in den Bereichen von Bildung und Wissenschaft. Diese werden „ökonomisiert”, in dem die Effektivität der Institutionen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien evaluiert wird, Privatschulen/-universitäten und Elitenförderungen werden aufgewertet, die Inhalte der Bildung und der Wissenschaft selbst werden immer mehr den Kapitalinteressen direkt untergeordnet. Die Kriterien einer progressiven Bildungs- und Wissenschaftsreform der 70er Jahre werden damit einer „großen Revision” unterzogen: Gleichheit der Bildungschancen, Öffnung der Universitäten für die Kinder der Arbeiterklasse, neue pädagogische Konzepte, die statt autoritären Lernformen Selbständigkeit, kollektives Arbeiten und demokratische Kommunikationsprozesse im Wissenschaftssystem selbst fördern, kritische Reflexion der Interessengebundenheit von Inhalten der Wissenschaften, vor allem in den Sozialwissenschaften, gleichberechtigte Berücksichtigung ökologischer Kriterien usw. Der Begriff der „Reform” ist in den herrschenden Diskursen längst ein Synonym für Rückschritt und Reaktion geworden ist.

- Der Kapitalismus der Gegenwart hat eine neue Stufe der Internationalisierung bzw. Transnationalisierung der Produktion und des Austausches, der Mobilität des Kapitals, der Information, des Geldes und auch der Menschen („transnationale Migration”) erreicht. Es gibt viele Gründe, den herrschenden Diskursen über Globalisierung und über „Empire” sehr kritisch zu begegnen.[9] Gleichwohl muß zur Kenntnis genommen werden, daß der Kapitalismus in den vergangenen Jahrzehnten – nach dem Ende der Systemkonkurrenz und des Kalten Krieges, also in der Folge der Umgestaltung der ökonomischen und politischen Strukturen des „Weltsystems” – in eine neue Phase eingetreten ist. Für die Veränderung der Klassenverhältnisse sind dabei vor allem zwei Aspekte zu erwähnen: (a) Mit den Strategien des Global Sourcing hat sich der Handlungsspielraum für die transnationalen Konzerne – insbesondere im Verhältnis zu den Beschäftigten und den Gewerkschaften – erheblich erweitert. Die „Exit-Option” des Kapitals (Abwanderung ins Ausland) wird zwar gelegentlich übertrieben; dennoch existiert sie und bildet ein Druckinstrument gegen die Macht der Beschäftigten. (b) Indem die neoliberale Politik sich als „alternativlos” darzustellen vermag, wird die Weltmarktkonkurrenz als quasi-unveränderliche Naturkonstante akzeptiert und verinnerlicht. Das wiederum stärkt die Position des Management gegenüber den Beschäftigten, Betriebsräten und Gewerkschaften. Deren strategische Schwäche wird durch die weitgehende Akzeptanz der Politik des Wettbewerbskorporatismus in der westeuropäischen Gewerkschaftsbewegung widergespiegelt (Bieling/Deppe 1999).

Die Entwicklung der Direktinvestitionen, der Finanzmärkte, des Handels und der transnationalen Kommunikation in den letzten beiden Jahrzehnten läßt zweifellos erkennen, daß die Kapitalismus in eine neue Periode der Internationalisierung eingetreten ist. Dieser Periodenumbruch wird noch dadurch unterstrichen, daß mit dem Ende der Sowjetunion (und ihres „Lagers”, 1991) zugleich das Ende der biopolaren Welt und ihrer gegensätzlichen Ordnungen besiegelt wurde. Die „One World” des Kapitals bringt neue Formen der Internationalisierung, aber auch von Widersprüchen und von sozialen und politischen Bewegungen hervor, die diese Widersprüche und die Kritik an der herrschen Ordnung artikulieren. Die Finanzkrisen, die z.B. seit Ende der 80er Jahre rund um den Globus die internationalen Finanzmärkte erschüttern, haben nicht nur ökonomische, sondern auch soziale – klassenpolitische – Wirkungen: Während die Verschuldungskrise seit den frühen 80er Jahren generell die Positionen der Entwicklungsländer (z.B. über die UNO und die UNCTAD) gegenüber den Metropolen – besonders gegenüber den USA – schwächte, treffen die Währungs- und Finanzkrisen der neuen Zeit (z.B. die Asienkrise 1997) vor allem die Armen und die Unterschichten. Josef Stiglitz (2002: 86) hebt besonders diese Dimension hervor: „Die Instabilität des Kapitalmarktes ist nicht nur schlecht für das Wirtschaftswachstum, sondern die Kosten der Instabilität werden auch überproportional von den Armen getragen.”

Diese Entwicklungstendenzen legen die Notwendigkeit einer neuen „Imperialismusdebatte” der Linken nahe (Gowan/Panitch/Shaw 2001). Dabei wäre freilich zu berücksichtigen, daß die Internationalisierung des Kapitals die Arbeitsmärkte nur partiell erfaßt. Natürlich ist die Aktivität der Transnationalen Konzerne (mit ihren Hunderttausenden von Beschäftigten) auf der einen, die massenhafte Migration von Menschen, die Arbeit suchen, auf der anderen Seite Ausdruck einer neuen Interrnationalisierungstendenz. Gleichwohl bleibt diese ganz eindeutig hinter der Internationalisierung der Ökonomie (im engeren Sinne) zurück. Harrod und O’Brien (2002: 13/14) bestätigen, daß die Zahl der Migranten in der Welt sich seit 1965 um 60 Prozent erhöht hat. Allerdings macht der Gesamtanteil der Migranten an der Arbeiterklasse in der Welt weniger als 5 Prozent aus. Die Arbeiter in den TNKs und diejenigen, die für die Exportindustrien arbeiten, machen einen Anteil von 10 bis 15 Prozent der globalen Arbeiterklasse aus. Daß die Gewerkschaften ihren Schwerpunkt auf der Ebene des Betriebes, der Branche und der Nationalstaates haben und ihre internationalen Organisationen immer noch relativ schwach sind, reflektiert auch den Widerspruch zwischen der Globalisierung der Kapitalbewegung auf der einen und der nach wie vor überwiegend nationalstaatlich verfaßten Struktur der Arbeitsmärkte.

4. Die neue soziale Frage und die Zukunft der Arbeiterbewegung

Wie lassen sich diese Befunde einer – natürlich sehr bruchstückhaften – Analyse der neuen Kapitalismusformation für die Reflexion auf die Zukunft der Arbeiterklasse interpretieren? Was bedeuten sie für eine am Marxismus orientierte Klassenanalyse, die wir im zweiten Abschnitt charakterisiert haben?

Eine erste Feststellung scheint banal zu sein: Die Arbeiterklasse ist keineswegs verschwunden. Obwohl der Kapitalismus durch eine Revolutionierung der Produktivkräfte und die weltweite Konkurrenz angetrieben wird, und obgleich er sich in einem Prozeß der ständigen und rapiden Veränderung befindet, ist er nach wie vor – per definitionem – von der Lohnarbeit und ihrer Ausbeutung, sowie von den natürlichen, sozialen und politischen Bedingungen, die für die Produktion und Aneignung des Mehrwerts (in der Form des Profits) vorteilhaft sind, abhängig. Die Zahl der abhängig Arbeitenden in der Welt hat sich zwischen 1970 und 2000 fast verdoppelt; sie umfaßt ungefähr die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung (Harrod/O’Brien 2002: 10). Das ist in erster Linie auf die Entwicklung in China und in andere Teilen Asiens zurückzuführen, wo infolge der Industrialisierung große Teile der Landbevölkerung „freigesetzt” und umverteilt wurden. In den entwickelten kapitalistischen Ländern beträgt der Anteil der Lohnarbeit inzwischen 90 Prozent und mehr. In letzter Zeit ist dort freilich die Tendenz auszumachen, daß die Zahl der Selbständigen wiederum leicht zunimmt. Das ist u.a. darauf zurückzuführen, daß die Zahl der Kleinstunternehmen im Bereich der „New Economy” und des Dienstleistungssektors zugenommen hat. Auf der andere Seite verfolgen viele Unternehmen die Strategie des „Outsourcing”: Sie verteilen Arbeitsaufträge an formelle Selbständige, die aber de facto von den Konzernen angestellt sind. Diese sparen aber Kosten, weil sie damit billige und temporäre Arbeit kaufen, die von den „Lohnnebenkosten” des Normalarbeitsverhältnisses entlastet sind.[10]

Auf der anderen Seite hat sich der Anteil von Frauen an den abhängig arbeitenden weltweit erhöht - von 33 Prozent im Jahre 1970 auf 40 Prozent im Jahre 2000. Darin reflektieren sich gewaltige Veränderungen in den Familienstrukturen, den Einstellungen von Frauen zu ihrer Arbeitsbiographie, Veränderungen im Bildungssystem, aber auch tiefgreifende Veränderungen in den Strukturen weltweiter Arbeitsmärkte selbst; denn die Frauen sind überproportional in Niedriglohn- und Teilzeitsektoren beschäftigt. Die Zunahme von sog. „prekären Beschäftigungsverhältnissen”, von illegaler Arbeit (von der Hausarbeit bis zur Prostitution), insgesamt die „Informalisierung” der Arbeit wird vor allem durch die Integration weiblicher Arbeitskräfte in die Arbeitsmärkte vorangetrieben.

Darin deuten sich schon jene „Metamorphosen der sozialen Frage” an, die der französischen Soziologe Robert Castel (2000) in einem neueren Buch untersucht hat. Die Idee einer weltweiten Arbeiterklasse, definiert durch das Merkmal der Lohnabhängigkeit, ist natürlich außerordentlich abstrakt. Deren Analyse erfordert vielmehr einen „Mehrebenenansatz” – in einer horizontalen wie vertikalen Dimension. Für Castel z.B. bewegt sich die „Exklusion” – als die Form, in der soziale Ungleichheit Gestalt gewinnt – entlang zweier Achsen – einmal der Einbindung in das Erwerbssystem (Lohnarbeit), andererseits der sozialen Einbindung in „Zonen”, um die räumliche Dimension von „Zentrum” und „Peripherie” – in globalen Dimensionen ebenso wie in den Klassenverhältnissen der entwickelten Metropolen des Nordens – zu betonen, von der Zone der „Integration” über die Zone der „Verletzbarkeit” (vulnérabilité) bis zur Zone des „Ausschlusses” (désaffiliation) oder der Marginalisierung, wie sie in den Ghettos der Großstädte – vor allem unter den Jugendlichen der zweiten Immigrantengeneration – massenhaft anzutreffen sind.

Im heutigen Kapitalismus manifestiert sich der Klassenkonflikt nicht im Aufeinandertreffen zwischen einer (ziemlich) homogenen (industriellen) Arbeiterklasse und einem Herrschaftsblock aus Bourgeoisie, Aristokratie und Kleinbürgertum. Sogar in den Zentren produziert die Kapitalakkumulation – unterstützt durch die politischen Strategien des Neoliberalismus (d.h. Deregulierung und Flexibilisierung) eine stetige Destabilisierung der Arbeitsbedingungen und den Ausschluß eines wachsenden Anteils der Bevölkerung (insbesondere junger Menschen), der nicht mehr als Reservearmee des Arbeitsmarktes funktioniert, sondern eine wachsende Gruppe von Überflüssigen der Bevölkerung bildet, die von staatlichen Unterstützungen oder informeller Arbeit – das schließt Kriminalität und andere Formen der von der Normalität abweichenden Reproduktion mit ein – abhängig sind. Die französische Autorin Viviane Forrestier hat dies vor einigen Jahren als den „ökonomischen Horror” des „postmodernen, globalen Kapitalismus” bezeichnet.

Wenn wir die Arbeiterklasse als sozialen und politischen Akteur in den Blick nehmen, geht der Mehrebenenansatz zunächst einmal von der Hypothese aus, daß die Konstitution von Arbeiterklasse gleichsam „von unten”, von der Ebene des Betriebes, der Lokalität aus erfolgt, daß über die gewerkschaftlichen Organisationen und ihre Kämpfe die Vermittlungen zur Branchenebene, zur nationalen Ebene insgesamt hergestellt werden. Schon hier sind komplexe Vermittlungen im Sinne der Aggregation von individuellen und kollektiven Interessen notwendig. Die Ebene des Internationalismus hingegen hat sich in der Geschichte der Arbeiterbewegung und ihrer Internationalen stets als äußerst fragil und widersprüchlich erwiesen: auf der einen Seite durchaus beeindruckende Beispiele für grenzüberschreitende Solidarität, auf der andere Seite Versagen der „Internationalen” (August 1914), Dominanz nationaler Interessen, auch in den inneren Machtstrukturen der Internationalen selbst.

Die klassische Arbeiterbewegung (der 2. und 3. Internationale) war davon überzeugt, daß das quantitative Anwachsen der Arbeiterklasse zur zahlenmäßig stärksten Klasse der kapitalistischen Gesellschaft zugleich einen Prozeß der Vereinheitlichung der Arbeits- und Lebensbedingungen, der Qualifikation und des Klassenbewußtseins vorantreibt. Diese Vorstellung war immer falsch; denn die Geschichte der Klasse ist eine der permanenten Um- und Restrukturierung ihrer inneren Sozialstruktur. Heute sind jedoch diese Strukturen extrem fragmentiert. Während der „Fordismus” noch durch universelle Standards für die Massenproduktion und für die Reproduktion der Arbeitskraft charakterisiert war, verstärkt sich im „Postfordismus” – im Prozeß der neoliberalen Globalisierung – die Aufspaltung in Gewinner und Verlierer, zwischen der oberen und unteren Klasse und innerhalb der Arbeiterklasse selbst.

Diese Fragmentierung ist eine der Bedingungen neoliberaler Herrschaft; denn sie löst die Einheitlichkeit sozialer Erfahrung als Voraussetzung für Klassenbewußtsein und Klassensolidarität auf. Mit anderen Worten: Das Verhältnis von individuellen, partikularen und kollektiven Interessen muß durch die Organisationen und als Erfahrung in den Kämpfen und Bewegungen selbst neu begründet werden. Dabei spielt die Kritik des neoliberalen Globalisierungsprojektes, seiner Widersprüche und Krisen, eine zentrale Rolle; denn in allen Teilen der Welt erfahren Lohnarbeiter und kleine Bauern, wie sich infolge der Finanzkrisen und des Schuldenmangements, der Öffnung zum Weltmarkt, der Privatisierung und Liberalisierung, des Abbaus von Schutzrechten und der Einschränkung der Staatstätigkeit im Zuge des Schuldenmanagements usw. ihre Arbeits- und Lebensbedingungen – oftmals auf dramatische Weise – verschlechtern.

So wird auch verständlich, warum sich beim großen Weltsozialgipfel in Porto Alegre, wo Anfang 2003 mehr als 100.000 Menschen zusammenkamen, Frauen aus Indien, landlose Bauern aus Brasilien, Arbeiter und Gewerkschafter aus Westeuropa, Intellektuelle aus Nordamerika trotz der außerordentlich unterschiedlichen Erfahrungen in den jeweiligen Lebens- und Arbeitskontexten schnell auf eine gemeinsame Interpretation und Kritik kapital- und profitdominierter Globalisierungsstrategien einigen konnten: Überall hat die Polarisierung von Armut und Reichtum zugenommen, Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung werden nicht ernsthaft angegangen, der Druck zur Migration (bei den Ärmsten der Welt) nimmt zu – und in den Metropolen des Kapitals wird die Exklusion eines wachsenden Teils der Gesellschaft zur Bedingung von Herrschaftsverhältnissen, die ohne solche Spaltungen und deren politisch-ideologische Wirkungen (bis hin zum stärkeren Rassismus bei den vom Abstieg bedrohten Teilen der traditionellen Arbeiterklasse) keinen Bestand haben.

Zugleich nimmt die Kriegsgefahr zu – sowohl in der neuen Form von ethnischen Konflikten und Bürgerkriegen in der Folge des Zerfalls alter staatlicher Ordnungen als auch in der klassischen Form des Interventions- und Angriffskrieges, wie er von den USA und ihren NATO-Verbündeten seit dem Jugoslawienkrieg praktiziert wird. Mit der neuen Militärdoktrin der USA vom September 2002 und der Vorbereitung des Irakkrieges gewinnt die Anerkennung des Mittels des Krieges (des „präemptiven Schlages”) zur Durchsetzung von Interessen, die mit (a) dem neoliberalen Globalisierungsprojekt (z.B. Sicherung der Ölversorgung, Sicherung von Einflußzonen, Schaffung von Protektoraten etc.), und (b) mit dem Weltherrschaftsanspruch der USA verbunden sind, eine ganz neue Dimension, die ihrerseits auch neue und äußerst gewaltsame Formen des Widerstandes hervorrufen wird. Immer deutlicher wird, wie das Verschwinden der Sowjetunion und des sozialistischen Lagers, das Ende der „Bipolarität”, eine Epoche der Barbarisierung der internationalen Politik ermöglicht und eingeleitet hat.

5. Klassenverhältnisse im Umbruch

Der zeitgenössische Kapitalismus ist ein äußerst dynamisches ökonomisches und soziales System. Der Prozeß der Umstrukturierung und Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse überschreitet in seiner horizontalen Dimension die nationalen Grenzen; in seiner vertikalen Dimension schafft er neue Formen sozialer Ungleichheit, neue Formen sozialer Hierarchien. So entsteht ein neuer „Block der Subalternen”, der sich allerdings als Block politisch noch nicht artikuliert; denn er verfügt noch nicht über ein alternatives Programm sowie über eine Handlungskompetenz gegenüber dem Neoliberalismus, durch die die verschiedenen Fraktionen dieses Blockes zusammengeschweißt werden könnten.

An seiner Spitze befinden sich Fraktionen der lohnabhängigen Mittelklasse und eher „aristokratische” Facharbeiterschichten mit hoher Qualifikation, relativ sicheren Arbeitsplätzen und relativ hohen Einkommen. Der Informations- und Kommunikationssektor der Wissensproduktion, wo die von Robert Reich so genannten „Symbolanalytiker” tätig sind, hat dabei an Bedeutung gewonnen, obwohl seine quantitative Bedeutung für das Beschäftigungssystem oftmals überschätzt wird.[11] Viele von ihnen verstehen sich als Teil der Mittelklassen und ihrer Kultur. Sie praktizieren den Lebensstil der Mittelklasse und unterstützen vielfach (soweit sie sich zu den „Gewinnern” der Globalisierung rechnen können) die neoliberale Politik, vor allem sind sie überzeugte Anhänger der Individualisierungsphilosophie. Viele von ihnen sind aber auch gegenüber den „neuen sozialen Bewegungen” (Feminismus, Ökologie) aufgeschlossen und unterstützen grüne Parteien. In ihrer Jugend haben sie oftmals selbst an den radikalen Bewegungen der späten 60er und frühen 70er Jahre teilgenommen. Heute erscheint ihnen diese „Revolution” als eine „Kulturrevolution”, die wesentlich zur Modernisierung der entwickelten kapitalistischen Gesellschaften und des Lebensstils ihrer Eliten beigetragen hat.

Eine zweite Fraktion umfaßt den industriellen Kern der traditionellen Arbeiterklasse mit ihren Untergliederungen. Sie war die dominante Fraktion der Arbeiterbewegung während der fordistischen Periode des Kapitalismus. In ihrem Umfang wie in ihrem politischen Gewicht hat sie einen beträchtlichen Bedeutungsverlust hinnehmen müssen. Ihre untere Schicht gehört zu den Verlierern der postfordistischen Transformation. Dennoch besitzt diese Fraktion der industriellen Arbeiterklasse in einigen Ländern noch relativ starke Gewerkschaften und sie erfreut sich einer relativ stabilen Beschäftigung. Viele dieser Gewerkschaften verteidigen die Arbeitsplatz- und Lohninteressen ihrer Mitglieder durch eine „korporatistische” (und konservative) Politik. Sie verteidigen die relativ privilegierten Positionen, die diese Fraktionen und ihre Organisationen in der Vergangenheit erkämpft haben, durch Kooperationsangebote an Staat und Kapitalverbände, die für die Arbeitsplatzerhaltung die Bereitschaft zum Lohnverzicht ebenso signalisieren wie den Verzicht auf Streiktätigkeit und auf gesamtgesellschaftliche und politische Reformprojekte. Mit der Verbetrieblichung der Interessenvertretung wird die Vertretungsmacht der Gewerkschaften in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und im Staat geschwächt.

Eine dritte Fraktion besteht aus unterqualifizierten und schlechtbezahlten, zumeist nicht vollzeitarbeitenden Beschäftigten in den unteren Segmenten des Dienstleistungsbereiches. Die Mehrzahl dieser Beschäftigten sind Frauen, viele von ihnen MigrantInnen aus sehr armen Ländern – entweder aus Osteuropa oder aus „Drittweltländern” in Afrika, Lateinamerika oder Asien. Das Anwachsen solcher prekärer Beschäftigungsverhältnisse ohne Stabilität des Arbeitsplatzes, ohne soziale Absicherung und gewerkschaftliche Repräsentation hat die weibliche Fraktion der „working poor” in der Arbeiterklasse geschaffen. Die amerikanische Soziologin Barbara Ehrenreich (2001) hat – durch teilnehmende Beobachtung – die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser Frauen eindrucksvoll dargestellt. Diese Schicht eines neuen „Dienstleistungsproletariats” hat im Zeichen der „mikroelektronischen Revolution” am stärksten zugenommen – je mehr Arbeiter im industriellen Kernsektor durch steigende Produktivität „freigesetzt” werden und die Funktionen der Programmierung, Planung, des Managements und vor allem der Werbung und des Verkaufs an Bedeutung gewinnen, um so mehr hat – gleichsam als Kehrseite dieser Tendenz – die Nachfrage nach einfachen Dienstleistungen – vom fast food bis zum Gaststätten- und Hotel-, zum Reinigungs- und Pflegepersonal – expandiert.

Schließlich wächst die „Underclass” (Kronauer 2002: 52 ff.), jener dauerhaft arbeitslose oder allenfalls unterbeschäftigte Teil der Bevölkerung, der zunächst als typisches Phänomen der Armut in der Dritten Welt gewertet wurde, sich inzwischen aber auch in den Metropolen des Kapitalismus als Unterschicht in der Sozialstruktur etabliert hat. Es handelt sich nicht um eine „industrielle Reservearmee”, denn sie hat kaum noch eine Chance, die Exklusion vom offiziellen Arbeitsmarkt zu durchbrechen. Ihre Existenz ist weitgehend durch die fortschreitende Ausweitung des sogenannten informellen Sektors bestimmt – in der Peripherie sowie in den Zentren des Kapitalismus (Dickinson/Schaeffer 2002).

Auf der anderen Seite sind die Angehörigen dieser Schicht auch nicht zum gleichsam klassischen „Lumpenproletariat” zu rechnen, denn die neue großstädtische Armut – z.B. die alleinerziehenden jungen Mütter, die Obdachlosen und Suchtkranken, die zeitweilig aus den Gefängnissen entlassenen schwarzen Jugendlichen aus den Ghettos (Duster 1999) – wurde von konservativen Sozialkritikern in den USA gerade als Produkt des Wohlfahrtsstaates und der hedonistischen „Kulturrevolution” seit den 60er Jahren bezeichnet. Dem ist entgegengehalten worden, daß die Konstitutionsbedingungen der Underclass „Marginalität am Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Isolation” sind – und daß beide Determinanten nur durch eine erweiterte staatliche Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Sozialpolitik zu beseitigen sind, die freilich durch die Vorherrschaft des Neoliberalismus blockiert werden.

Die Fraktionen bzw. Schichten dieses „Blocks der Subalternen”[12] sind über die Welt ungleich verteilt – nicht nur zwischen den Zentren und der Peripherie, in der der informelle Sektor und die Masse von landlosen und armen Bauern eine weitaus bedeutendere Rolle spielen, sondern auch zwischen den Global Cities mit ihren riesigen Einwohnerzahlen (vor allem von jungen Menschen), zwischen eher traditionell-industriellen und ländlichen Regionen und neu-industrialisierten Regionen, die – zumindest in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten – die Zentren der boomenden „New Economy” waren („Silicon Valley” und andere). Wenn wir die Determinanten der Zugehörigkeit zu diesen verschiedenen Fraktionen genauer beschreiben wollen, dann zeigt sich, daß die bloße Lohnabhängigkeit als Merkmal völlig unzureichend ist. Die Position in der Hierarchie der Lohnarbeit entscheidet sich mehr noch über die Merkmale Geschlecht und Ethnie. Das heißt: In den unteren Segmenten des Blocks der Subalternen nimmt der Anteil der Frauen und der farbigen MigrantInnen zu. Auf jeden Fall verstärken diese verschiedenen Fragmentierungstendenzen die Erosion der traditioneller Formen und Inhalte des Klassenbewußtseins – und: Sie wirken (z.B. über den Rassismus, die Ausländerfeindlichkeit, die Diskriminierung von MigrantInnen usw.) als ein Faktor, der die Schaffung neuer Solidaritäten zwischen den Fraktionen der weltweiten Arbeiterklasse erschwert.

6. Neue Bewegungen – neue Widersprüche

Überall in der Welt haben die Widersprüche des globalen Kapitalismus, die die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse durchdringen und restrukturieren, verschiedene Formen des Widerstandes, von Gewerkschaftsaktivitäten, Generalstreiks und Massendemonstrationen hervorgebracht. Auch die intellektuelle Kritik des Neoliberalismus – als der herrschenden und in der Politik praktisch wirksam werdenden Ideologie – hat sich verstärkt. Selbstverständlich variieren die Inhalte dieser Konflikte deutlich und entsprechen den je spezifischen Bedingungen innerhalb des globalen Kapitalismus und innerhalb des „Blocks der Subalternen”: Proteste landloser Bauern in Brasilien, der Aufstand in Chiapas, Widerstand von Bauern gegen die Privatisierung des Zugangs zu Wasser (in Peru), Gewerkschaftsstreiks und Demonstrationen für höhere Löhne und soziale Absicherung in Westeuropa (und im Jahre 2002 vor allem in Deutschland), aber auch z.B. in Südkorea, Massendemonstrationen und Generalstreiks in Italien und Spanien gegen Arbeitslosigkeit, Abbau des Wohlfahrtsstaates und gegen neue Rechtsregierungen und deren Politik (z.B. die Berlusconi-Regierung in Italien). Seit Ende 2002 sind Massendemonstrationen gegen die Kriegsgefahr hinzugekommen. Beim Europäischen Sozialforum in Florenz wurde nicht allein die Kritik am neoliberalen Globalisierungsmodell – und seiner Konkretisierung im Kontext der europäischen Entwicklung – vorgetragen; die Konferenz schloß mit einer Massendemonstration gegen den Krieg, gegen die Politik der US-Regierung und ihre Unterstützung durch die italienische Regierung, an der sich mehr als eine Million Menschen beteiligten.

Stephen Gill (2001) hat sich mit dem Charakter der neuen sozialen Bewegungen auseinandergesetzt, die sich seit „Seattle” (1999) bis zum Weltsozialforum (2002) in Porto Alegre kontinuierlich weiter entwickelt haben (vgl. Green/Griffith 2002; Seona/Taddei 2002; Waterman 2002; Boris 2002: 64-84). Er unterscheidet vier Gruppen von Widersprüchen, auf die sich Protest und Widerstand konzentrieren:

1. Der Widerspruch zwischen Großkapital und Demokratie. Die Demonstrationen seit Seattle haben die Politik internationaler Organisationen wie der WTO, der Weltbank, des IWF, der OECD und der EU scharf angegriffen. Diese Organisationen schaffen optimale Bedingungen für die freie Bewegung des Kapitals, für den weltweiten Schutz von Eigentumsrechten (MAI) auf Kosten der nationalen Souveränität und der Demokratie als auch auf Kosten der Arbeiterrechte und der sozialen Absicherung der Bevölkerungen.

2. Der disziplinierende Neoliberalismus intensiviert die Arbeit und die Ausbeutung. Zur gleichen Zeit haben ökonomische und finanzielle Krisen auf der ganzen Welt Millionen von Menschen in die Armut getrieben. Dieser Widerspruch erklärt den wachsenden Widerstand der Gewerkschaften gegen den Neoliberalismus – nicht nur in den USA („Seattle”), sondern auch in Westeuropa, wo zumindest in den letzten zwei oder drei Jahren jedes wichtige Treffen der Europäischen Union von Massendemonstrationen für einen Politikwechsel, für ein „soziales Europa”, begleitet war.

3. Eine dritte Gruppe der Widersprüche hängt mit der Intensivierung der Krise der sozialen Reproduktion zusammen. Insbesondere die feministische Politische Ökonomie hat gezeigt, wie die Armut an der Peripherie und der Abbau des Wohlfahrtsstaates in den kapitalistischen Zentren zunächst einmal die Frauen und ihre Arbeit in der Reproduktionssphäre – vor allem in der Subsistenzökonomie, im Haushalt und bei der Kindererziehung – trifft (Dickinson/Schäffer 2001). Neue Formen der globalen Ausbeutung der Arbeit wie der Körper von Frauen (durch Hausarbeit und Prostitution) charakterisieren überall die Ausweitung des informellen (und kriminellen) Sektors der globalen Ökonomie.

4. Schließlich betrifft eine vierte Gruppe von Widersprüchen die Aktivitäten der transnationalen Konzerne im Bereich der Nahrungsmittelindustrie. Sie monopolisieren die Kontrolle über die Nahrungsmittel, die mit den Methoden des Biological Engineering und von genetischen Veränderungen angebaut werden. Dabei geht es nicht allein um die Nahrungsmittel, sondern auch zunehmend um eine „Biopolitik”, die diese Kontrolle (durch Genmanipulation und Experimente mit Embryonen) auf die menschlichen Körper selbst überträgt. Diese Problematik spielte schon bei den Demonstrationen gegen die Politik der WTO und der OECD, die geheim über das Multinationale Abkommen über Investitionen (MAI) verhandelten, eine wichtige Rolle. Dabei zeigt sich auch, in welchem Ausmaße globale Kritik und Information heute auf die Nutzung der elektronischen Kommunikationsmittel – vor allem das Internet – angewiesen sind.

Die neuen sozialen Bewegungen, die den Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung theoretisch und praktisch artikulieren, können als embryonale „Frühwarnsysteme” zukünftiger sozialer, politischer, ökonomischer, ökologischer, aber auch kultureller Konflikte angesehen werden, in denen die Arbeiterklasse eine wichtige – mehr noch: eine unentbehrliche – Rolle übernehmen muß. Diese Konflikte konzentrieren sich auf Fragen der Demokratie, der Partizipation und der nationalen Souveränität; sie betreffen die Rolle internationaler Organisation (Multilateralismus) und den Kampf um die Verhinderung einer imperialen Weltherrschaft durch die USA. Diese Konflikte und Kämpfe betreffen jedoch auch die Verteilung und Umverteilung von Reichtum, Information, Wissen, Gesundheit, den Zugang zu Trinkwasser, frischer Luft und anderen natürlichen Ressourcen. Die erneute Einbettung der Ökonomie in Institutionen sozialer und politischer Kontrolle verlangt zunächst einmal, daß der Prozeß der unbeschränkten Ausdehnung der Warenproduktion („Kommodifizierung”), der Deregulierung und Privatisierung, mit der Profitproduktion und Marktradikalismus verbunden sind, aufgehalten wird. In einem positiven Sinne bedeutet dies, daß Demokratie und ein hohes Zivilisationsniveau stets eines breiten Sektors der „Dekommodifizierung” (d.h. des Zugangs zu öffentlichen Gütern von hoher Qualität für alle) und eines breiten Sektors des „dekommodifizierten” Arbeitsmarktes – insbesondere im Bereich der Bildung und der Wissenschaften, der Gesundheit, der Infrastruktur usw. – bedürfen.

Stephen Gill bezeichnet die Potentiale der zeitgenössischen Bewegungen als die eines „Postmodernen Fürsten”. Dabei folgt er natürlich Gramscis Reflexionen über Machiavelli („Il Principe”) und seinen Vorstellungen über die moderne kommunistische (leninistische) Partei als der „Moderne Fürst”. Nach Gramsci hatte der „moderne Fürst” die Aufgabe, die Bildung eines „Blocks der Subalternen” – hauptsächlich aus Arbeitern und Bauern bestehend –, auf der nationalen Ebene zu organisieren und dabei die Hegemoniefrage zu stellen, das heißt: für das Programm einer neuen, nicht kapitalistisch dominierten Ordnung, für einen neuen Staat der fundamentalen Demokratie zu kämpfen. Für die Formierung eines solchen Block sind die „organischen Intellektuellen” – aufgrund ihres Wissens und ihres Bewußtseins um die Notwendigkeit und Möglichkeit einer neuen Ordnung – unentbehrlich.

Der „postmoderne Fürst” dagegen (man könnte wohl auch sagen: nach dem Ende des Staatssozialismus und der leninistischen Avantgardekonzepte) ist nach Gill pluralistischer, viel differenzierter und transnational. Er kann nicht länger dem Modell der Organisationen der klassischen Arbeiterbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts nachgebildet werden. Es handelt sich dabei vielmehr um eine komplexe Netzwerkstruktur von progressiven – sozialen und politischen – Kräften. Die wichtigste Funktion des „postmodernen Fürsten” besteht darin, Bündnisse zwischen diesen Kräften und Bewegungen zu schaffen, die Kommunikation zwischen ihnen und den verschiedenen Aktivitäten zu organisieren, ein Bewußtsein über die innere Beziehung und die Interdependenz von Konflikten, die auf den ersten Blick zunächst einmal völlig disparat zu sein scheinen, zu schaffen. Dabei spielen die kritischen Intellektuellen möglicherweise eine noch größere Rolle als zu den Lebzeiten von Gramsci. Ihre Aufgabe, das Selbstbewußtsein dieser neuen globalen Bündnisse sozialer, politischer und kultureller Kräfte zu artikulieren, kann nur dann erfolgreich wahrgenommen werden, wenn sie auf dem fortgeschrittenen Stand der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien stattfindet. Die praktische und theoretische Arbeit in dieser Richtung wird den Intellektuellen gewiß auch neue Erkenntnisse über die zukünftige Rolle der Arbeiterklasse im kapitalistischen Weltsystem des 21. Jahrhunderts vermitteln.

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[1] Schon am Ende der 70er Jahre war in der entwickelten kapitalistischen Welt – in den USA und in Westeuropa – deutlich geworden, daß der Sieg Thatchers in Großbritannien (und der von Reagan in den USA) nicht nur den Beginn einer ganzen Epoche neoliberaler Hegemonie ankündigte, sondern auch eine Epoche von Niederlagen und Rückzugsgefechten der Arbeiterbewegung. Der letzte Abschnitt in Eric Hobsbawms Zeitalter der Extreme lautet „Der Erdrutsch“. Das heißt: die Welt hat „ihre Orientierung verloren und (ist) in Instabilität und Krise geschlittert” (Hobsbawm 1998: 503). Dieser Erdrutsch beginnt Mitte der 70er Jahre. In seiner Autobiographie hat Hobsbawm (2002: 263 ff.) inzwischen den Reflex dieser Krisenprozesse in der britischen Labourparty sowie in der KP Großbritanniens analysiert.

[2] Dies ist keine sonderlich überraschende Feststellung. In der gesamten Nachkriegsepoche haben sich Soziologen und Zeithistoriker immer wieder mit der These vom Ende der Arbeiterbewegung auseinandergesetzt. Einige Autoren sind der Überzeugung, daß sich die deutsche Arbeiterbewegung z.B. niemals von der Niederlage des Jahres 1933 und den Folgewirkungen des Faschismus (1933 - 1945) erholte. Andere – hauptsächlich Soziologen – haben die Erosion des Klassenbewußtseins der Arbeiterklasse auf die wirtschaftlichen Folgen (Vollbeschäftigung, Reallohnsteigerung, Ausbau des Sozialstaates) im sog. „Goldenen Zeitalter (Golden Age) des Nachkriegskapitalismus” zurückgeführt. In den 70er Jahren mußten solche Positionen freilich – vor dem Hintergrund des Aufschwungs der Arbeiterbewegung und der Zuspitzung der Klassenkämpfe in Westeuropa – korrigiert werden (Mooser 1984; Deppe 1984; zu den historischen Zyklen vgl. auch Deppe/Dörre 1991).

[3] Im Jahre 1984 habe ich ein Buch mit dem Titel „Ende oder Zukunft der Arbeiterbewegung” veröffentlicht. Damit wollte ich einerseits auf die – vor allem durch das Buch von André Gorz Abschied vom Proletariat. Jenseits des Sozialismus angeregte Debatte über das„Ende der Arbeiterbewegung” eingehen. Auf der anderen Seite reagierte diese Debatte auf den Aufschwung der „neuen sozialen Bewegungen” (Frauen-, Ökologie- und Friedensbewegungen), die in der Partei der GRÜNEN einen politischen Ausdruck fanden.

[4] Vgl. dazu Martin Beckmann, Ein „summer of discontent”? in: Sozialismus 9/2002, S. 60 ff.; Gero Maass, Familienstreit. Britische Gewerkschaften und Blair-Regierung, in: Die Mitbestimmung, 12/2002, S. 45ff.

[5] Vgl. dazu auch Frank Deppe, „Ein Gespenst geht um...”, in: Eric Hobsbawm, Samir Amin et. al., Das Manifest – heute, Hamburg 1998, S. 234ff. Die Erinnerung des 150. Jahrestages des Kommunistischen Manifestes (Marx und Engels, 1848) war ziemlich interessant: Auf der einen Seite wurden die Autoren für ihren präzisen Ausblick auf die Zukunft der kapitalistischen Globalisierung gepriesen. Auf der anderen Seite wurde ihre politische Erwartung (von einer proletarischen Revolution und der Schaffung einer neuen, klassenlosen Gesellschaft) als ein gewaltiges Mißverständnis mit fatalen Konsequenzen zurückgewiesen. Diese Behauptung entspricht freilich nicht der Realität. Das 20. Jahrhundert kann durchaus – mit Eric Hobsbawms Zeitalter der Extreme – als ein Jahrhundert interpretiert werden, das durch die Realität (seit dem russischen Oktober 1917) und den permanenten (sich gleichwohl wandelnden) Druck der proletarischen und antiimperialistischen Revolutionen (auf die kapitalistische Welt) charakterisiert ist.

[6] Es war der Marxismus der Zweiten Internationalen (vor 1914) – interpretiert mit der Autorität eines Karl Kautsky –, der fest an die „Naturgesetzlichkeit” der kapitalistischen Entwicklung und des Übergangs zum Sozialismus glaubte. Diese Überzeugung war natürlich ein Reflex auf die frühen Siege der Arbeiterbewegung (z.B. im Kampf gegen das „Sozialistengesetz” Bismarcks) und auf die Erfolge bei den Wahlen sowie bei der Organisierung einer Massenbewegung durch Partei und Gewerkschaften. Die Sozialisten waren um 1900 fest davon überzeugt, daß die „ehernen Gesetze der historischen Entwicklung” zugunsten der Arbeiterklasse und des Sozialismus wirkten. In der Zeit zwischen den Kriegen inspirierte diese Vorstellung auch die Anhänger der Kommunistischen Internationale; aber sie lag auch immer noch Hilferdings Theorie des Organisierten Kapitalismus – als einer Übergangsphase zum Sozialismus – zugrunde.

[7] Die Artikulierung von Klasseninteressen in der Politik ist ein komplexer Vermittlungsprozeß zwischen der Basis und den Elementen des Überbaus. Die Bedeutung der Gefängnishefte von Antonio Gramsci besteht gerade darin, daß sie dieser Komplexität in verschiedenen Analysekontexten gerecht zu werden versuchen. Nikos Poulantzas hat diesen Ansatz eines modernen marxistischen Denkens – in den 70er Jahren – in seinen politik- und staatstheoretischen Arbeiten fortgeführt und dabei sowohl Bob Jessop als auch Joachim Hirsch zu weiteren Arbeiten angeregt. Die Auseinandersetzung mit der neoliberalen Hegemonie wurde sowohl in den Arbeiten von Wolfgang Fritz Haug (Projekt Ideologietheorie, PIT) als auch des britischen Soziologen Stuart Hall mit der Rezeption von Gramscis Beitrag zum Marxismus des 20. Jahrhunderts verbunden.

[8]Jeremy Rifkin hat vor einigen Jahren in einem beeindruckenden Buch über die „Zukunft der Arbeit“ die These von der letztlich technologisch produzierten Arbeitslosigkeit vertreten. Diese These ist nicht überzeugend; denn es sind nicht die neuen Technologien, sondern die Verwertungsstrategien des Kapitals und vor allem die neoliberale Politik der Regierungen, die für die Massenarbeitslosigkeit in den Metropolen des Kapitals seit Mitte der 70er Jahre verantwortlich sind.

[9] Vgl. dazu u.a. den Aufsatz von Michael R. Krätke, Die Mythen der Globalisierung, in: Z 52, Dezember 2002, S. 16-33; aus der Fülle der kritischen Besprechungen zu „Empire” (Hardt und Negri, 2000) vgl. Gindin/Panitch 2002.

[10] Das Konzept des „Arbeitskraftunternehmers“ bezieht sich auch auf neue Vorstellungen von Lohnarbeit, bei der mehr und mehr Verantwortung und Autonomie auf den einzelnen Arbeiter übertragen wird, der (angeblich) frei darüber entscheiden soll, wie er seine Arbeit organisiert, wie er die Projekte, für die er verantwortlich ist, durch autonome Regelung der Arbeitszeit (Vertrauensarbeitszeiten) realisiert. Obwohl es sich dabei um eine Variante der Individualisierungstendenzen handelt, über die Soziologen seit den frühen 80er Jahren intensiv diskutieren, ist die damit verbundene These von der Höherqualifizierung selbständiger Arbeit ideologisch. Sie verschleiert die Tatsache, daß mehr individuelle Freiheit am Arbeitsplatz in der Realität mehr Streß und mehr (indirekten) Druck bedeutet. Es könnte sich dabei freilich um ein neues Modell der Hegemonie (die „von der Arbeit selbst” ausgeht) handeln, denn hier wird ein „Arbeitnehmer” unterstellt, der sich völlig mit seiner Arbeit und mit seinem Auftraggeber/Unternehmer identifiziert. Die Hegemonie des Neoliberalismus würde so – auf der Ebene der Individualität – fundiert durch ein Modell der Selbstausbeutung ohne Widerstand. Daß in vielen Betrieben die „Stechuhren” zur Kontrolle der individuellen Arbeitszeit mit der Begründung abgeschafft werden, daß die Leute ja eh’ freiwillig mehr (als die tarifvertraglich vereinbarte Arbeitszeit) arbeiten, wäre dann ein Beispiel für das Wirken dieser Hegemonie.

[11] Gindin und Panitch (2002: 18) haben in ihrer Kritik von Empire (Hardt/Negri) darauf hingewiesen, daß die Autoren die Tendenz zur „immateriellen Arbeit” unzulässig überschätzen. Sie stützen sich dabei auf Angaben aus dem Monthly Labor Review des US Department of Labor. „Der Anteil von Jobs im Bereich der Informationstechnologie am gesamten Arbeitsmarkt (in den USA) wird (trotz einer Verdoppelung zwischen 2000 und 2010) auch im Jahre 2010 weniger als 2,4 Prozent betragen. – Im Jahre 2010 wird es jeweils genau so viele Bankkaufleute, Beschäftigte bei Schutz- und Sicherheitsdiensten (Polizei, Feuerwehr, Wachleute) sowie KassiererInnen geben wie Beschäftigte in der Informationstechnologie; etwas mehr werden es in der Personenbeförderung sein; 40 Prozent mehr in der Gebäudepflege und Flächenreinigung; ebenfalls 60 Prozent mehr in der Gastronomie; doppelt so viele Menschen werden im Baugewerbe beschäftigt sein; und zweieinhalbmal so viele als Sekretärinnen. – Obwohl viele neue Jobs Hochschulbildung voraussetzen, werden 2010 drei von fünf Jobs immer noch weniger als die Hochschulreife und über die Hälfte der Jobs nur ein kurzes bis mittleres training on the job erfordern... Von einem Paradigmenwechsel bei den Arbeitsplätzen, an denen die Mehrzahl der Erwerbstätigen ihren Lebensunterhalt verdient, kann (also) keine Rede sein”.

[12] Es kann hier keine systematische Analyse dieses Blocks vorgenommen werden; über den neueren Stand der empirischen Sozialstruktur- und Milieuforschung vgl. Bischoff u.a. 2002: 114 ff. Der Hinweis auf Fraktionen dient hier zunächst der Illustration wichtiger Tendenzen der Veränderung in der Zusammensetzung dieses Blockes.