Historiker befassen sich heute auch mit jenen herausragenden Persönlichkeiten, die in sozialistischen Ländern verehrt worden sind. Ein solches Anliegen ist begrüßens- und anerkennenswert, gleich ob man, was vielleicht besser dem Thema entsprechen würde, von den Vorbildern und Idolen im Sozialismus oder, wie es die Herausgeber tun, von sozialistischen Helden sprechen will. Dem vorliegenden Band gebühren daher Aufmerksamkeit und Beifall.[1] Ihm liegt – immerhin rund zwölf Jahre nach dem Ende der DDR und dem Zusammenbruch sozialistischer Staaten publiziert – letztlich das Erstaunen über fortwährende Wirkungen einiger seiner Idole zugrunde, ein Tatbestand, den Gries bereits im Jahre 2000 so formulierte: „Entfalten Propaganda und Agitation der SED erst Jahre nach dem staatlichen und institutionellen Untergang der DDR spürbar ihre Wirkung? Triumphieren jetzt endlich die einfältig-plumpen Parolen vom ‚Sieg des Sozialismus’ über die flotten Werbeslogans des Westens? Halten sich die Ostbürger an den geschönten optimistischen Szenarien einstiger Partei-Propagandisten fest, statt sich an die allbekannten Defizite und die Tristesse des Alltags im real existierenden Sozialismus zu erinnern?”[2]
Geantwortet wird nicht allein mit der üblichen, zumeist verabsolutierenden Berufung auf die „Gewinnungsstrategie” der Herrschenden, womit alle Betroffenen ausschließlich zu Opfern der Diktatur erklärt werden könnten. Mit Recht betonen die Herausgeber, die Erforschung der Geschichte propagandistischer Medien, Instrumente und Stile – begrifflich als Kommunikatoren gefasst – stelle zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung dar. Es ist vor allem die Akzeptanz der „sozialistischen Helden” durch große Teile der Bevölkerung, die sie interessiert und nach deren sozial- und individualpsychologischen Ursachen sie fragen. Grundsätzlich heißt es auf S. 29 dazu, diese Akzeptanz lasse sich „keinesfalls vordergründig auf eine Angst vor Repressionen zurückführen – nicht einmal in den vom Stalinismus geprägten Jahren.” Solche Abkehr von reinen diktaturtheoretischen, letztlich auch mechanistischen Erklärungsansätzen soll zu einer Propagandageschichte führen, die als Beitrag zur Kulturgeschichte sowohl der Kommunikation als auch der Gesellschaft verstanden werden könne.[3] Indessen wird keine Schlussfolgerung gezogen, die etwa einer Erkenntnis von Hermann Weber – Altmeister bundesdeutscher Kommunismusforschung – gleichen würde. Dieser hatte am 26. Juli 2001 in der „Frankfurter Rundschau” gemeint, die DDR sei „selbst strukturell nicht nur Diktatur einer kleinen Clique” gewesen, sondern habe sich wenigstens zeitweise auf breitere Schichten gestützt. Sie „war stärker verwurzelt, als das manche Darstellung beschreibt.”
Mehr als andere aus der Vielzahl so genannter „aufarbeitender” Bücher bietet der vorliegende – von der Bundeszentrale für politische Bildung, von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Thyssen-Stiftung geförderte – Band überwiegend Sachliches und auch weitgehend Vorurteilsfreies. Zudem wollen die Herausgeber ihre Publikation nicht als Abschluss, sondern als Anfang einer „kulturgeschichtlichen Heldeninventur” (S. 13) verstehen. Fast durchgängig wird untersucht, welche Botschaften von den einer näheren Betrachtung unterzogenen real existierenden „Helden” ausgingen, so dass sie mitsamt ihrer Geschichte und Biographie zu Kunstfiguren gemacht werden konnten. Ebenso soll analysiert werden, was die „Helden” den Bürgern der DDR und anderer sozialistischer Länder bedeuteten, wie diese von ihnen aufgenommen wurden, was abgelehnt oder gar bezweifelt worden ist.
Neben zwei einleitenden Beiträgen[4] bietet der Band Darstellungen zu einzelnen „sozialistischen Helden” aus der Sowjetunion, der DDR, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei.[5] Den Länder-Kapiteln sind jeweils allgemeine Einschätzungen vorangestellt, wobei erhebliche Unterschiede im Herangehen, in der Wahl des Untersuchungsgegenstandes und auch in den Aussagen bemerkbar sind. Konkret geht es in den teils essayistisch, teils narrativ angelegten Ausführungen zu; sie betreffen Soja Kosmodemjanskaja, Denis Bulachow, Juri Gagarin, Ernst Thälmann, Adolf Hennecke, Gustav-Adolf Schur („Täve”), Walentina Tereschkowa[6], Sigmund Jähn[7], Karol Swierczewski, Imre Muszka, Alexej Gussew, Julius Fucik und Jan Palach. Wie kann es anders sein: auch hier ist die Qualität unterschiedlich. Manche Beiträge bestechen durch Solidität und Originalität in der Verarbeitung interessanter Quellen, gehen mitunter über den von den Herausgebern gesetzten theoretischen Rahmen hinaus und suchen nach dem Zusammenspiel von allgemeinen und besonderen Faktoren; andere fügen sich eher dem hierzulande so gern gepflegten Diktum, die DDR und der Sozialismus müssten „delegitimiert” werden[8], und manchem Verfasser mangelt es schlicht an Kenntnissen, so dass Vermutungen herhalten müssen, ungeprüft Behauptungen aufgestellt[9] oder Dokumente aus ihren zeitlichem Kontext gerissen werden.[10] Hinsichtlich der Auswahl an „sozialistischen Helden” und Autoren bleiben sicher Wünsche offen, doch mag dies wissenschaftsorganisatorischen Faktoren geschuldet sein; wer selbst vergleichbare Sammelbände herausgegeben hat[11], weiß um solcherlei Schwierigkeiten.
Die folgenden Überlegungen und Bemerkungen verstehen sich daher auch weniger als Kritik, sondern mehr als ergänzende und fortführende, vielleicht auch als Korrektiv geeignete Überlegungen zur weiterhin notwendigen Arbeit am Thema. Denn der Band regt an, zur Zustimmung ebenso wie zum Widersprechen und zum Problematisieren allzu leicht dahin geschriebener Sätze. In diesem Sinne seien hier einige Bemerkungen vorgetragen; sie orientieren sich grundsätzlich an dem von den Herausgebern selbst gewählten Anspruch, einen Beitrag zu einer „kulturgeschichtlichen Heldeninventur” leisten zu wollen.
Die erste meiner Bemerkungen betrifft Generelles. Zu allen Zeiten wurden die Namen einzelner Herrscher und Krieger, Entdecker und Kolonialherren, aber auch die von Künstlern und Forschern in besonderer Weise zum Klingen gebracht. Bislang kam keine Gesellschaft ohne kultische Herausstellung bestimmter Menschen aus, ohne deren Stilisierung zu Vorbildern und ohne ihre Verehrung als Idealfiguren. Reale, mehr noch fiktive Persönlichkeiten fanden seit frühesten Zeiten Eingang in Literatur, Kunst, Malerei, Architektur, ja in alle Lebensbereiche. Denkmäler hielten Erinnerung und Begeisterung wach, und selbst die schlichtesten der heutzutage so beliebten Quizsendungen verraten mitunter etwas Wissen über jene Personen, die irgendwann einmal ins Rampenlicht der Öffentlichkeit getreten bzw. gestellt worden sind oder heute dort stehen. Bekanntlich will es manchem Denker sogar scheinen, als hätte sich Geschichte ohne Helden überhaupt nicht ereignen können; erinnert sei beispielsweise an die verabsolutierenden, die Persönlichkeiten über- und die Massen unterbewertenden Theorien eines Carlyle oder Nietzsches. Andererseits taten sich marxistische Theoretiker häufig schwer genug mit diesem Thema, zeigten sie sich doch befangen im eklatanten Gegensatz zwischen dem Willen, sich den materialistisch-dialektischen Erkenntnissen Plechanows über die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte nicht vollständig zu verschließen, und einer Realität, die mehrere Jahrzehnte lang von schlimmstem Personenkult geprägt war.
So weit man indessen zurückblickt: Stets wurden die zu Verehrenden sorgfältig ausgewählt, und jeder Kult um einzelne Personen wurde mit speziellen Zielen betrieben. Jede Gesellschaft, jede Klasse oder soziale Schicht schuf im Grunde jeweils ihre Idole. Dies darf angesichts der in jeder Gesellschaft existierenden Widersprüche nicht verwundern. Unterschiedliche Ambitionen sind ebenso erkennbar, wenn herausragende Personen der Geschichte mit moralisierenden Stempeln versehen werden: Dieser sei ein „Guter”, der andere ein „Böser”, jenen dürfe man ehren, jedoch nicht den, dem eine Untat nachgesagt werden kann oder gar nur unterstellt wird. Immer ging es und geht es auch heute noch um das, was einer der Herausgeber des vorliegenden Bandes gelegentlich „das Kriechen ins Gehirn der Massen” genannt hat.[12] Gleich ob es sich um Produktwerbung und Firmenreklame, um das Verbreiten von Schlagwörtern oder Schlachtrufen[13], um das Erzeugen an bestimmte Orte und Ereignisse gebundener Legenden handelt – immer sollten Menschen politisch-geistiger Beeinflussung unterworfen werden. Insofern gehört Propagandageschichte unmittelbar in das, was Historiker seit Jahrzehnten Alltags-, Mentalitäts- oder schlechthin Kulturgeschichte nennen.
Unterschiedlich und gegensätzlich wie die Interessen jeweils herrschender oder beherrschter Klassen, sozialer Schichten und Gruppen nun einmal waren und sind, kann es kaum Vorbilder geben, mit denen sich alle zu identifizieren vermögen. Immer entscheiden Interessen der Mächtigen und Wünsche Ohnmächtiger, an wen Erinnerung aufrechterhalten wird bzw. an wem wahrheitswidrige Prozeduren des Vergessenmachens geübt werden. Das Ergebnis: Es existieren mehrere Traditionslinien, mehrere Linien auch in der Auswahl von Helden und in der Heldenverehrung. So wäre auch von den Autoren zu fragen gewesen, wer denn in der bürgerlichen Gesellschaft vor allem als Held galt, denn erst im Vergleich lässt sich wohl die Spezifik des sozialistischen Heldenwesens richtig erfassen. Da hätte das Grimmsche Wörterbuch viel hergeben können, denn es verstand unter einem Helden den „durch Tapferkeit und Kampfgewandtheit hervorragenden Krieger”, besonders den von „edler Abkunft”.[14] Leider wurde, obwohl häufig aus Briefen zitiert wird, die z.B. an Adolf Hennecke – dargestellt als Prototyp des Arbeitshelden – gerichtet worden sind, ein Text nicht in den Band aufgenommen, der da lautete: „Du hast dem Wort ‚Held’ das wir nur vom Kriege kennen, eine neue Bedeutung gegeben: ‚Held der Arbeit’.”[15]
Die zweite Bemerkung betrifft die Auswahl und die ihr zugrunde liegende Kategorisierung von Persönlichkeitstypen, die hier als „Helden” erfasst sind. Was von Hans Günther[16] übernommen wird, vermag nicht völlig zu befriedigen. Dessen Einteilung in Kulturhelden (denen Satjukow und Gries auch die sozialistischen Arbeits-, Sport-, Flieger- und Kosmoshelden zuordnen), politische Führer-Helden und Kriegshelden (die die Hg. besser als Kriegerhelden bezeichnet wissen möchten) wird der Realität wenig gerecht. Wie überhaupt auffällig ist, dass zwar – zumindest für die Geschichte der DDR – eine ganze „Heldenbühne” skizziert werden soll (S. 84-100)[17], tatsächlich darunter jedoch nicht mehr als eine Summe der behandelten Heldengeschichten verstanden wird. Unerklärlich bleibt das Fehlen solcher „Helden”, die in den sozialistischen Staaten wegen ihrer besonderen und herausragenden Aktivitäten u.a. in der weltweiten Friedensbewegung sowie im antirassistisch-antikolonialisti–schen Befreiungskampf geehrt worden sind. Zu erinnern wäre beispielsweise an Raymonde Dien, Paul Robeson, Ethel und Julius Rosenberg, Martin Luther King, Patrice Lumumba und Nelson Mandela. Ihre Namen fehlen im Register. Von Mahatma Gandhi und Albert Schweitzer ist lediglich einmal die Rede, und zwar im Beitrag über Jan Palach, der als ein von reformsozialistischen Idealen geprägter Held vorgestellt wird.
Sollte solches „Wegsehen” konzeptionell bedingt sein? Mag da vielleicht Unwillen im Spiel gewesen sein, sich mit der Gesamtheit der „Heldenbühne” auseinander zu setzen? Auf jeden Fall wären für die Beantwortung der in den Vordergrund gestellten Frage, weshalb Menschen in den sozialistischen Ländern eine Reihe von Vorbildern und Idolen dauerhaft akzeptiert haben, breiteres Wissen einzubringen und ebenso die unmittelbaren Grenzen der eigenen Optik auf „sozialistische” Helden zu überschreiten gewesen. Die Behandlung des Themas würde sicher mehr Ergebnisse versprechen, wenn auch von system- und epochenübergreifenden Aspekten ausgegangen wird und gesamtgesellschaftliche Ursachen benannt werden. Dass angesichts der neuen Kriege in der Welt jeder Verzicht auf eine Behandlung von „Helden” der Friedensbewegung besonders schmerzlich empfunden werden muss, versteht sich von selbst. Auch über die Herausstellung neuer „Helden” in den Kriegen unserer Gegenwart nachzudenken, hätte sich gelohnt[18], von sinnvollen Vergleichen mit dem alltäglichen und oft bis zum Unerträglichen gesteigerten Star-Rummel ganz abgesehen.
Das Unternehmen von Satjukow und Gries löst nach meinem Eindruck überhaupt das Helden-Thema – insbesondere die Tatsache, dass in den sozialistischen Ländern „Arbeits”-Helden geehrt worden sind – aus dem heraus, was sie selbst „traditionelle Heldengeschichte” nennen. Existierten die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder in einem luftleeren Raum, ohne Vorgeschichte und ohne Umwelt? Offensichtlich kommen da Einseitigkeiten zur Geltung, die bereits in den Darstellungen über die „roten Kapos” zum Vorschein kamen und von allen jenen Ursachen abstrahieren, die im „Zuvor” sowie im „Gegenüber” des real existierenden Sozialismus lagen.[19] Geradezu peinlich muten in diesem Zusammenhang die einleitenden Sätze des Beitrages „Helden des Sozialismus in der Sowjetunion” aus der Feder von Rosalinde Sartori an: „Heldensage und Heldenepos gehören zweifellos längst vergangenen Zeiten an. Sie schienen im 20. Jahrhundert keinen Platz mehr zu haben.” (S. 35) Da ist wohl mehr als nur ein Fragezeichen zu setzen. Auf das Grimmsche Wörterbuch verwies ich bereits, von der Geschichte des Militarismus und von jener der zahllosen Kriege muss nicht gesondert gesprochen werden. Sollte Sartori wirklich nicht wissen, in welchem Ausmaß Heldenkult betrieben worden ist? Wie mag es wohl gekommen sein, dass allein in Deutschland während des Ersten Weltkrieges viereinhalb Millionen Eiserne Kreuze für kriegerische Heldentaten verliehen worden sind? Sollte wirklich unbekannt sein, dass während der Weimarer Republik unzählige Denkmäler zur Erinnerung an die heldenhaften Opfer entstanden[20], dass 1934 in Deutschland ein offizieller „Heldengedenktag” eingeführt worden ist und wie sich der Heldenkult im faschistischen Deutschland während des Zweiten Weltkrieges dargestellt hat?[21] Nein, das Wissen wurde offensichtlich ausgeblendet, nur um behaupten zu können, die Geschichte der Sowjetunion habe der allgemeinen Entwicklung eines Bedeutungsverlustes von Helden entgegen gewirkt.
Wie sehr gerade in der deutschen Geschichte das Rühmen großer Heldentaten mit Waffengeklirr und Kriegsrechtfertigung verknüpft gewesen sind, dürfte nicht nur Kennern der Geschichte des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges geläufig sein. Nein, Gröfaz Hitler und seine „Helden” tauchen im vorliegenden Band nicht auf.[22] Wurde dies gescheut, weil in den sozialistischen Ländern gerade solchem militärisch-kriegerischen Heldenkult sehr bewusst die Sphäre der Arbeit entgegengestellt worden ist? Vielleicht wären da andere Schlussfolgerungen möglich bzw. nötig geworden, ganz abgesehen von der Frage, ob es in kapitalistischen Wirtschaftssystemen überhaupt vorstellbar ist, über die betriebliche Ebene hinaus Arbeiter zu „Helden” zu stilisieren? Und was mag wohl beabsichtigt sein, wenn dort beispielsweise die Möglichkeit eines Aufstiegs vom „Tellerwäscher” zum „Millionär” oder andere „Karriere”-Helden gepriesen werden? Auch mit dem Blick auf die zweistaatliche deutsche Nachkriegsgeschichte mutet das Auslassen sinnvoller Vergleiche[23] zwischen den beiden deutschen Staaten wenig überzeugend an, als hätte es nicht das aufeinander bezogene Agieren selbst im Umgang mit den jeweiligen Vorbildern und Idolen gegeben. Dass in der BRD Kasernen mit den Namen von Nazi-Helden geschmückt wurden, war durchaus Anlass für die Oberen der DDR, dem die Würdigung antimilitaristischer und antifaschistischer Widerstandskämpfer verstärkt und zugleich auch überzogen entgegenzustellen. Wie auch immer die Ehrung von „Helden der Arbeit” abgelaufen sein mag und welche Probleme es dabei gab – der Aspekt, dass damit ein Versuch unternommen worden ist, anders und damit auch besser zu sein, hätte zumindest Beachtung verdient. So aber wird das Urteil gefällt, die „kräftigen Erzählfiguren und die monumentale Ikonographie” der Spezies Arbeiterhelden seien „zweifellos (sic!, M.W.) eine unmittelbare Folge stalinistischer ‚Durchherrschung’.” (S. 26)
Letztlich spielen theoretische Aussagen in den meisten konkreten Darstellungen kaum eine Rolle. Auch bestimmte Entwicklungslinien, zeitlich begrenzte Schwerpunktsetzungen und Kontinuitätsbrüche bleiben unterbelichtet.[24] Zwar tauchen immer wieder mal generalisierende Bemerkungen auf, zumeist jedoch nur in Neben- und Halbsätzen. Dem Band mangelt es an einer Zusammenfassung, worauf auch Arendes verweist. Allein aus einem Vergleich zwischen den Heldengeschichten aus den einzelnen sozialistischen Ländern wäre sicher manches abzuleiten gewesen, was über die verwendeten diktatorischen Herrschaftstechniken hinaus geführt hätte, nicht zuletzt in den großen Bereich sozialpsychologisch zu erfassender menschlicher Gegebenheiten, die unabhängig von unterschiedlichen Gesellschaftssystemen und jeweiligen Herrschaftsformen wirken. Was wäre allein aus der von den Herausgebern zwar benannten, aber nicht untersuchten Tatsache zu schlussfolgern gewesen, dass „Vertrauen” ein Schlüsselbegriff für die Analyse aller „Helden”-Phänomene sei. Völlig berechtigt wird erklärt, Vertrauen sei „eine sozialpsychologische Notwendigkeit für das Funktionieren moderner Industriegesellschaften.” Zu lesen ist jedoch in gleichem Atemzug lediglich von den „real existierende(n) Werbefiguren des Sozialismus” (S. 11) sowie davon, dass es sich bei der „Konstruktion sozialistischer Helden im Regelfall zuerst um eine autoritäre Setzung seitens des Staates sowie der Partei handelte” (S. 18). Möglicherweise wäre sogar zu fragen gewesen, weshalb so viele Menschen gegenwärtig eher von einem abgrundtiefen Misstrauen in Regierende, Parteipolitiker und Parlamentarier erfasst sind, und wie dies die Dauerhaftigkeit des Wirkens früherer Idole beeinflusst.[25]
Wie dem auch sei, trotz der Bereicherung unseres Wissens und vieler Bemühungen zur Verarbeitung des Materials bleibt fraglich, ob wirklich allein am Beispiel einiger ausgewählter „sozialistischer” Helden, noch dazu nahezu losgelöst von vielen dem Leser sich aufdrängenden generellen Fragen das im Buch benannte und berechtigte Anliegen einer „kulturgeschichtlichen Heldeninventur” erfüllt werden kann. Zur Rolle geachteter Vorbilder und Idole sowie zur „Heldenbühne” im Sozialismus sollte weiter geforscht und diskutiert werden. Der Rezensent – geboren in der Zeit des Faschismus, aufgewachsen in der DDR, mit der Geschichte zumindest des 20. Jahrhunderts vertraut und angeregt von Lebenserfahrungen in drei unterschiedlichen deutschen Staaten – empfindet jedenfalls das vorliegende Ergebnis noch nicht als ausreichend.
[1] Siehe die Besprechungen, die er bisher erfahren hat, darunter z.B. die des Wirtschaftswissenschaftlers Jörg Roesler in der Zeitung „Neues Deutschland” vom 08.10.2002, S. 13 und die des Politologen Cord Arendes auf der Webseite von H-Soz-u-Kult.
[2] Rainer Gries, Propagandageschichte als Kulturgeschichte. Methodische Erwartungen und Erfahrungen, in: Deutschland Archiv, H. 4/2000, S. 559.
[3] Ebenda, S. 559f.
[4] In ihnen wird darauf verwiesen, dass sich das Instrumentarium für die Erfassung der „vielfältigen Kommunikationen rund um die Konstruktion eines sozialistischen Helden” an ein kulturwissenschaftlich geprägtes Modell der Massenkommunikation anlehnt, welches Rainer Gries im Band „Produkte als Medien. Kulturgeschichte der Produktkommunikation in der Bundesrepublik und der DDR” (Leipziger Universitätsverlag, 2003, 623 S.) entwickelt hat.
[5] Die meisten Beiträge fußen auf Vorträgen, die für eine internationale Tagung erarbeitet worden sind. Diese fand im September 2001 in Krakau statt.
[6] Sie wird nicht im Teil über die Sowjetunion, sondern in dem der DDR gewidmeten behandelt.
[7] Verwiesen sei hier auch auf den Film „Good bye, Lenin”, der dem DDR-Bürger und ersten Deutschen im Weltall eine besondere politische Rolle zuweist.
[8] Der damalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel erklärte am 23.09.1991 während einer Ansprache vor dem in Köln stattfindenden 15. Deutschen Richtertag: „Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das ... in weiten Bereichen genauso unmenschlich und schrecklich war wie das faschistische Deutschland”.
[9] Da wird z.B. recht pauschal von „Hunderttausenden” (S. 116) gesprochen werden, die in der DDR als „Helden der Arbeit ausgezeichnet worden seien. Nach Auskunft eines Phalaristikers wurde bereits 1950 der mit 10.000 Mark dotierte Orden „Held der Arbeit” geschaffen und jährlich an 50 Arbeiter verliehen und nur 1974, 1979 und 1984 auf 1000 Stück aufgestockt. Vom Orden „Banner der Arbeit” sind von 1954 bis 1960 ca. 330 Stück ausgegeben worden, erst danach in wesentlich höherer Auflage. Zudem bleibt unberücksichtigt, dass die Nationalpreise der DDR zu den wichtigeren Auszeichnungen gehörten.
[10] Vermutungen werden häufig ausgesprochen, wenn die allmächtige „lenkende Hand von Partei und Staat” bemüht wird, dafür aber keine Belege zu erbringen sind oder für überflüssig gehalten werden. Mitunter werden recht sorglos Zahlen genannt, z.B. in den Beiträgen über Adolf Hennecke und Jan Palach, oder die Bezeichnungen von Orden auch für Zeitabschnitte verwendet, in denen es sie noch gar nicht gab.
[11] Meine Erfahrungen beziehen sich auf die Mitherausgeberschaft beim vierbändigen „Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789-1945)”, Leipzig 1983-1986, sowie auf das zweibändige Werk „Schlagwörter und Schlachtrufe. Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte”, Leipzig 2002
[12] Rainer Gries, Volker Ilgen und Dirk Schindelbeck, Ins Gehirn der Masse kriechen. Werbung und Mentalitätsgeschichte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995.
[13] Siehe die beiden vom Verfasser gemeinsam mit Kurt Pätzold herausgegebenen Bände „Schlagwörter und Schlachtrufe. Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte”. In ihnen wird manches behandelt, wozu sich auch Autoren des vorliegenden Bandes äußern, so z.B. zu Thälmann sowie zu den Schlagwörtern „Vom Ich zum Wir”, „Erst besser arbeiten, dann besser leben”, „Plane mit, arbeite mit, regiere mit”, „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen” und „Wir sind das Volk”.
[14] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Vierten Bandes zweite Abtheilung H. I. J., bearb. von Moritz Heyne, Leipzig 1877, Sp. 930.
[15] Silke Satjukow und Rainer Gries, „Sozialistische Helden. Figuren der Propaganda und Personen des Vertrauens”, in: Deutschland Archiv, H. 5/2002, S. 789.
[16] Hans Günther, Der sozialistische Übermensch. Maxim Gorkij und der sowjetische Heldenmythos, Stuttgart und Weimar 1993.
[17] Dieser Abschnitt erschien den Herausgebern so wichtig, dass sie ihn mit geringfügigen Veränderungen und einigen Ergänzungen auch im Deutschland Archiv veröffentlichten; siehe Fußnote 15.
[18] Zum Zeitpunkt der Erarbeitung dieser Rezension stehen die US-geführten Truppen in Bagdad, was die Frage provoziert, wie wohl nach dem zu erwartenden militärischen Erfolg (auch wenn der politische ausbleiben muss) die große Konfetti-Parade und Heldenzurschaustellung in den Straßen New Yorks ausfallen wird.
[19] Siehe Lutz Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte” Antifaschismus. Die SED und die roten Kapos von Buchenwald, Berlin 1994. Eine Auseinandersetzung mit dieser Auffassung findet sich auch in dem Beitrag, den Hans Canjé für Band 2 der von Kurt Pätzold und mir herausgegebenen „Schlagwörter und Schlachtrufe” (siehe Fußnote 11) verfasst hat.
[20] Einen guten Einblick bietet Peter Franz, Martialische Idole. Die Sprache der Kriegerdenkmäler in Thüringen. Eine landesweite Darstellung des Bestands und eine kritische Analyse ihrer ikonografischen und verbalen Botschaften. Eine Studie des Thüringer Forums für Bildung und Wissenschaft e.V., Jena 2000.
[21] Siehe dazu u.a. Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin und New York 1998, S. 303-308.
[22] Satjukow und Gries beziehen an anderer Stelle dazu Position (Deutschland Archiv, H. 5/2002, S. 784f.) Sie betonen, dass per Besatzerdekret nach Kriegsende alle monarchistischen, nationalistischen und faschistischen Helden „in der Versenkung zu verschwinden” hatten und bereits während „des Nationalsozialismus ... tradierte Helden regelrecht weggeräumt” worden seien. Ohne den Blick auf alle Sieger- und Besatzungsmächte zu richten, heißt es anschließend: „Unter der ideologischen Ägide der Partei wurde die entleerte Bühne Zug um Zug neu bevölkert und belebt.”
[23] Wenig sinnvoll erscheint der Vergleich, der auf S. 89 angestellt wird. Da heißt es: „Doch nicht nur die DDR verfügte über Helden des Widerstandes. Auch auf der bundesdeutschen Bühne sollten – zumindest nach dem Willen interessierter Gruppen und Parteien – ebenfalls Helden des Widerstandes auftreten. Hier boten sich die Opfer des 17. Juni 1953 an.” Von den fehlenden Ehrungen für antifaschistische Widerstandskämpfer in der BRD wird nicht gesprochen, obwohl nahegelegen hätte zu fragen, weshalb lange Zeit nicht einmal die Männer und Frauen des 20. Juli 1944 akzeptiert worden sind.
[24] Siehe Fußnote 1. Arendes schreibt u.a.: „Für das Feld der ostdeutschen Helden bleibt anzumerken, dass die deutsch-deutsche Systemkonkurrenz zwar als wichtige Besonderheit thematisiert, in den einzelnen Beiträgen des Länderblocks zur DDR aber nicht weiter verfolgt wird. Diesbezügliche inhaltliche Überlegungen mögen vielleicht über das eigentliche Thema hinaus verweisen, sie nicht zu erwähnen bedeutet aber gleichzeitig, entscheidende Aspekte im Dunklen zu lassen. So gibt es fernab von ‚Täve’ Schur und Adolf Hennecke auch ‚große Deutsche’, die quasi posthum zu heldenhaften Vorkämpfern des Sozialismus wurden. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang nur kurz auf die doppelten Feierlichkeiten zu Goethes 200. Geburtstag 1949 oder die Diskussionen um eine gemeinsame Gestaltung des Lutherjahres 1983. Auch die oben skizzierte Heldenflaute der siebziger und achtziger Jahre zeigte sich im öffentlichen Raum der DDR so nicht. Im Zuge der Diskussion um ‚Tradition und Erbe’ traten nun auch hier nationale Freiheitshelden (zum Beispiel Thomas Müntzer) zutage, bis zu deren Wirken hin die sozialistische Tradition des besseren Deutschland in die Vergangenheit hinein verlängert wurde. Ihren Höhepunkt erreichte diese Welle in der sogenannten Preußenrenaissance und der Wiederaufstellung von Denkmälern ‚fortschrittlicher’ preußischer Generäle und Reformer.”
[25] Bernd Kauffmann, als langjähriger Direktor der Weimarer Klassik-Stiftung sicher keiner „Ostalgie” oder als Verteidiger des Sozialismus vergangener Zeiten zu verdächtigen, schrieb am 05.04.2003 in der sich liberal gebenden „Thüringischen Landszeitung” die gerade in dieser Hinsicht bedenkenswerten Sätze: „Die zeitgenössischen Desaster und Konflikte gründen allesamt in einem massiven Verlust an Vertrauen. Kaum eine Zuspitzung, die sich nicht ihrem innersten Motiv nach als Bruch eines vorbestehenden, verlässlich gefügten Vertrauensverhältnisses beschreiben ließe. Selten zuvor wurde sowohl der Glaube an die Verlässlichkeit der Verantwortung tragenden Akteure als auch jener an die Gestaltbarkeit der Verhältnisse so nachhaltig erschüttert wie gegenwärtig: das Verhältnis zwischen Wählern und der Politik: zerrüttet (‚wer glaubt, was Politiker vor Wahlen versprechen, ist selber schuld’)”.