Kapitalismuskritik heute - der Beitrag Jörg Huffschmids (II)

Juni 2010

Zur Erinnerung an Jörg Huffschmid erreichten uns drei weitere Beiträge von Jürgen Leibiger, von Gretchen Binus und Horst Heininger sowie von Leo Mayer und Conrad Schuhler, die wichtige Aspekte seiner theoretisch-politischen Arbeit kommentieren. Mit ihnen setzen wir die Reihe der statements aus Z 81 (S. 11-30) fort, die wir im Vorfeld der Tagung „Kapitalismuskritik heute – zum Forschungsprogramm von Jörg Huffschmid“ (Berlin, 19./20. Februar 2010) veröffentlicht hatten. Der Tagungsaufruf hatte ein großes Echo gefunden – weit über 300 Teilnehmerinnen waren nach Berlin gekommen. Wir fügen einen kurzen Bericht an.

Jürgen Leibiger

Konjunkturzyklus, langfristige Überakkumulation, Finanzkrise

Jörg Huffschmids Beitrag zur Krisentheorie

Als Jörg Huffschmid (JH) 1973 an die Universität Bremen berufen wurde, zeichnete sich bereits die bis dahin schwerste Weltwirtschaftskrise der Nachkriegszeit ab. Er ordnete sie später in den 5. Nachkriegszyklus ein und terminierte sie von 1973 bis 1976. Sie signalisierte das Ende des Nachkriegsbooms und für Westdeutschland nach dem Schock von 1966/67 das endgültige Auslaufen der „Wirtschaftswunderjahre“.

Waren schon die 1960er Jahre durch ein wachsendes Interesse am Marxismus gekennzeichnet, so begann mit dieser schicksalhaften Krise eine Phase breiter Hinwendung zur marxschen Krisentheorie. Die herrschende, vom „Bastard-Keynesianismus“ geprägte Lehre verlor ihre dominierende Rolle und die neoliberal-monetaristische „Konterrevolution“ begann ihren Siegeszug. So war es selbstverständlich, dass kapitalismuskritische Wissenschaftler nach einer Alternative jenseits des alten wie des neuen Mainstream suchten. In rascher Folge erschienen krisentheoretische Arbeiten und es entbrannte eine „marxistische Krisenkontroverse“[1]. Auch der junge Hochschullehrer JH trat in dieser Zeit mit ersten krisentheoretischen Beiträgen auf[2] und mit dem ein Jahr später in Bremen zum Assistenzprofessor berufenen Herbert Schui schob er eine studentische Krisenforschung an, deren Ergebnisse sie unter dem Titel „Gesellschaft im Konkurs? Handbuch zur Wirtschaftskrise 1973-1976 in der BRD“ im Jahre 1976 veröffentlichten.[3]

I.

Lässt man JHs krisentheoretische Arbeiten Revue passieren, fallen zwei Besonderheiten auf. JH begibt sich erstens nicht in die Gefilde abstrakter, allgemeiner Krisentheorien, sondern entwickelt seine Überlegungen anhand konkreter, empirischer Fakten. Der Konstruktion theoretischer Modelle konnte er nie viel abgewinnen, vielmehr konzentrierte er sein wissenschaftliches Vermögen auf die historisch konkrete Analyse. An den Debatten über eine marxistische Krisentheorie[4] beteiligte sich JH nur verhalten; sein Arbeitsschwerpunkt lag nicht auf diesem Gebiet. Zweitens: Seine Überlegungen blieben nie bei der Krisenanalyse stehen. Sie bildete immer nur die Basis für die Suche nach wirtschaftspolitischen Alternativen, das Hauptanliegen aller seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Er suchte nach Ansatzpunkten für eine Krisenprävention bzw. nach Instrumenten zur Abmilderung ihrer Folgen für die Lohnabhängigen. Dabei könne es, wie er schreibt, „nicht darum gehen, die krisenfreie kapitalistische Wirtschaft zu entwerfen. Krisenfreie kapitalistische Wirtschaft hat es nicht gegeben und wird es nicht geben, solange die Kapitalrentabilität das alleinige Steuerungsprinzip der Wirtschaft ist. … Aber wenn man dies feststellt, muss man auch genau sein… Es hängt vom jeweiligen konkreten Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ab, ob und inwieweit es den Unternehmern gelingt, die Profitkrise auf die arbeitende Bevölkerung ... abzuwälzen. … Der Kampf …für eine alternative Wirtschaftspolitik ist Kampf gegen die Belastung der Bevölkerung durch die Krise des Profits.“[5]

JHs Oeuvre[6] zu krisentheoretischen Fragen lassen sich in drei große Themenbereiche gliedern, die sich zwar überlappten, aber zeitlich hintereinander den jeweiligen Schwerpunkt seiner diesbezüglichen Forschung bildeten. Bis in die frühen 1980er Jahre galten seine Arbeiten eher der Analyse zyklischer Krisen im Nachkriegszeitraum, besonders natürlich den Krisen von 1973/76 und 1980/82, danach vor allem überzyklischen Krisenerscheinungen, der strukturellen Überakkumulation sowie der überzyklischen Stagnation und in den letzten zehn, fünfzehn Jahren beschäftigten ihn vor allem die Finanzkrisen. Diese drei Themenbereiche sollen im Folgenden resümiert werden.

II.

JH ordnete die zyklischen Krisen in das jeweilige wirtschaftliche und politische Umfeld ein, um von daher den Zusammenhang von allgemeiner Instabilität und historischen Besonderheiten herauszuarbeiten. Hinsichtlich der Krise 1973/76 analysierte er ausführlich die weltpolitische und weltwirtschaftliche Lage, die Entwicklung der Produktivkräfte und insbesondere die sozialen und politischen Kräfteverhältnisse sowie die Wirtschaftspolitik des Kapitals. Gleichwohl betrachtet er die Krise nicht als das Resultat sich historisch zufällig überkreuzender Prozesse, sondern erklärt sie „aus der Grundstruktur des Kapitalismus …, (seinen) Eigentumsverhältnissen, den aus ihnen resultierenden Organisations- und Steuerungsformen und den in ihnen enthaltenen Widersprüchen“.[7] Diese Regulierungsformen und Widersprüche erzeugen die Tendenz zur Überakkumulation und damit eine Krise des Profits, die das Kapital versucht, auf die Schultern der werktätigen Bevölkerung abzuwälzen und die mit wachsender Konzentration und Zentralisation verbunden sind.

Die Krise manifestiere sich schlussendlich in einer divergierenden Entwicklung von Produktion und Verbrauch. Finden sich im „Handbuch“ von 1976 noch Spuren der Theorie des Profit Squeeze, d.h. einer durch Lohnsteigerung bedingten Krise der Verwertung[8], so betont er später, dass es vom Kräfteverhältnis der Klassen abhänge, ob die Arbeiterklasse Lohn- und Transfersenkungen widerstehen könne und das Missverhältnis von Produktion und Verbrauch verringert würde, wovon auch die Tiefe der Krise abhängt. Die Krise verhindern könne auch eine verbesserte Lohnentwicklung nicht, weil das Auseinanderdriften von Produktion und Markt nur Erscheinung der Krise, nicht ihre Ursache sei, die im Privateigentum an den Produktionsmitteln und der sich daraus ergebenden Konkurrenz liege.[9]

Diese Krisenerklärung lässt einerseits keinerlei Illusion hinsichtlich eines krisenfreien Kapitalismus aufkommen, andererseits ermöglicht sie die Begründung einer sich an den Interessen der Lohnabhängigen ausrichtenden Stabilisierungspolitik, wie sie dann vor allem in den Memoranden entwickelt wird. Damit ist zwangsläufig die Frage aufgeworfen, wie es JH mit dem Keynesianismus hielt, dessen linke Version vielen Vorschlägen der Memoranden-Ökonomen für eine alternative Wirtschaftspolitik zugrunde liegt. Obwohl sich seine Krisenerklärung von der psycho-sozialen Erklärung keynesianisch orientierter Ökonomen unterscheidet, entstand mit der Fokussierung auf die sich in einem Nachfragemangel äußernden Diskrepanz von Akkumulation und Konsumtion die Basis für den theoretischen und wirtschaftspolitischen Schulterschluss mit Ökonomen eher links-keynesianischer Provenienz. Grundlage dafür war auch die Betonung von Gemeinsamkeiten statt von Unterschieden; auch jene bei Marxisten gelegentlich anzutreffende Rechthaberei war ihm fremd. Allerdings macht er auch Grenzen keynesianischer Theorie aus. Zwar forderte er 2003 beispielsweise einen „Eurokeynesianismus als Alternative zum kontraproduktiven Policy-Mix in der EU“ betont aber zugleich, dass man die Antwort auf bestimmte Fragen „nicht bei Keynes, sondern doch eher bei Marx (findet)“.[10] JH würdigt das große Potential der Keynesschen Theorie „für die Kritik am Neoliberalismus und die Entwicklung von Alternativen“; ihr gravierender Mangel sei „die fehlende Auseinandersetzung mit den Macht-, Klassen- und Kräfteverhältnissen kapitalistischer Gesellschaften.“[11]

III.

Im Verlaufe der 1970er Jahre wurde klar, dass die Wirtschaft auch im Aufschwung nicht zur Dynamik der Nachkriegsjahre zurückkehrte. Lage und Kampfbedingungen der Lohnabhängigen verschlechterten sich gravierend. Weltweit setzte die Suche nach den Ursachen dieses „slowdown of economic growth“ ein. JH wandte sich in dem bereits erwähnten Beitrag im Jahrbuch des IMSF 6 von 1983 diesem Phänomen unter der Überschrift „Überzyklische Krisentendenzen“ zu. Darunter verstand er erstens die langfristige Überakkumulation von Kapital, zweitens die Krisentendenzen als Folge monopolistischer Verwertungsstrategien und drittens die ökologische Krise.[12] Den Rückgang des Wirtschaftswachstums interpretiert er als Folge der langfristigen Überakkumulation, die er mit einem überzyklischen Zurückbleiben der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage hinter Akkumulation und Produktion in Zusammenhang bringt. Sie äußere sich in überdurchschnittlich hoher Unterauslastung der Produktionskapazitäten und chronischer Massenarbeitslosigkeit, die wiederum das Wachstum hemme. Die Erklärung dieser Phänomene mit Hilfe der Theorie der langen Wellen, die eine erneute Beschleunigung des Wachstums prognostiziert, hält JH für weniger produktiv als die Gegenthese von Entwicklungsstadien des Kapitalismus[13]. Er betrachtet diese Tendenz als Ausdruck einer „steigenden Unfähigkeit kapitalistischer Wirtschaftsorganisation, den durch Produktivkraftsteigerung und Kapitalwachstum veränderten materiellen Grundlagen der Wirtschaft … gerecht zu werden.“[14] Später verweist er in diesem Zusammenhang auf die von Keynes entwickelte Hypothese der langfristigen Stagnationstendenzen kapitalistischer Systeme infolge einer Abnahme rentabler Investitionsmöglichkeiten bei steigendem Sparen.[15]

IV.

Spätestens in den 1990er Jahren zeigte sich dem aufmerksamen Beobachter, dass der fundamentale Wandel des Kapitalismus seit den 1970er Jahren, die Verlangsamung des Wachstums, die chronische Massenarbeitslosigkeit und die Entfaltung eines neuen Akkumulations- und Regulierungsregimes in einem engen Zusammenhang zur veränderten Rolle der Finanzmärkte und des Finanzkapitals steht. Umfang und Formenvielfalt der Finanzmarktpapiere wuchsen dramatisch und relativ unabhängig vom Konjunkturzyklus kam es zu einer Reihe von Währungs- und Finanzkrisen. Dies sollte fortan das Forschungsfeld sein, auf das sich JH konzentrierte und auf dem er 1999 mit der „Politischen Ökonomie der Finanzmärkte“[16] seine neben der frühen „Politik des Kapitals“ von 1969 und den Memoranden sicherlich wirkungsmächtigste Arbeit vorlegte.

JH gehörte zu der kleinen Handvoll von Wirtschaftswissenschaftlern in Deutschland, die sehr früh und sehr eindringlich vor dem destabilisierenden und krisenträchtigen Potential der „financialisation“ der Wirtschaft warnten und zugleich Vorschläge für eine Gegenstrategie unterbreiteten. Dazu griff er schon 1995 die Idee einer Spekulationssteuer von James Tobin auf und erweiterte sie[17]. Erst Jahre später gewann dieser Vorschlag größeren Einfluss und gaben der attac-Bewegung, die 1998 in Frankreich und 2000 in Deutschland gegründet wurde und in deren Beirat JH mitarbeitete, ihren Namen.

Die Grundlage für die neue Rolle spekulativer Finanzblasen als einem spezifischen Instabilitätsherd sieht JH in verschiedenen Prozessen.[18] Erstens habe sich seit Beginn der 1970er Jahre der Trend der Einkommens- und Vermögensverteilung zugunsten der Spitzeneinkommen und großen Kapitalvermögen umgekehrt. Dies sei zweitens mit einer Internationalisierung der großen Kapitalvermögen verbunden, die sich nationaler Kontrolle zu entziehen vermögen und als eine neue hegemoniale Kraft auftreten. Drittens hat die neoliberale Wirtschaftsstrategie dazu geführt, dass kapitalgedeckte Rentensysteme eine neue Bedeutung erlangten und die Regierungen eine exzessive Politik der Deregulierung, darunter nicht zuletzt der Kapitalmärkte betrieben. Diese Entwicklung vollziehe sich vor dem Hintergrund der Herausbildung eines „finanzmarktgetriebenen – genauer finanzinvestorgetriebenen Kapitalismus“.[19] In diesem „reifen“ Kapitalismus sei nicht mehr die Finanzierung der Unternehmensinvestitionen das Problem, vielmehr werde die Anlagemöglichkeit für die großen Kapitalvermögen zum Engpass; der traditionelle Weg, Mehrwert zu produzieren, bleibe hinter dem Wachstum der Finanzvermögen zurück. Die Folge dieser Konstellation sei die Herausbildung spekulativer Blasen an den Finanzmärkten, verbunden mit Unsicherheit, Instabilität und Labilität. Ihr Platzen führe zu schwerwiegenden gesamtgesellschaftlichen und internationalen Folgen für Wachstum und Beschäftigung und könne ganze Länder an den Rand des Ruins treiben. Schon in der „Politische Ökonomie der Finanzmärkte“ wies JH auf dieses „bedrohliche Zukunftsszenario“ hin. „Es ist allerdings nicht zwingend, dass es Wirklichkeit wird. Die kapitalistische Weltwirtschaft kann noch eine ganze Weile so weitermachen wie bisher, von einer Krise zur anderen dümpeln und sich dadurch am Leben erhalten, dass immer neue Opfer gesucht und gefunden werden. Das ist nicht erfreulich, aber nicht unwahrscheinlich. Um es zu ändern und erfreulichere Aussichten zu eröffnen, ist aktives politisches Handeln erforderlich. Dabei wird es in erheblichen Maße darauf ankommen, dass die Gesellschaft die Kontrolle über die losgelassenen Finanzmärkte und ihre Akteure zurückgewinnt.“[20]

Diese Einschätzung wird von der gegenwärtigen Krise und den sich um sie rankenden wirtschaftspolitischen Diskussionen vollauf bestätigt, was bei JH vielleicht keine Freude, aber zumindest ein grimmiges Lächeln verursacht haben wird. Aber JH warnt: Zwar sei in ihr die Finanzspekulation zusammengebrochen, nicht jedoch der Finanzmarktkapitalismus.[21] Seine Aufforderung nach demokratischer Überwindung von dessen Grundstrukturen und nach einer Weichenstellung für einen anderen Entwicklungstyp von Wirtschaft und Gesellschaft blieben auch hier nicht nur im Allgemeinen, sondern gingen mit konkreten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorschlägen einher. Das ist aber schon ein anderes Thema.

V.

Bei der Recherche für diesen Beitrag in der Bibliothek der TU Dresden fand ich in dem orangefarbenen Band des eingangs erwähnten „Handbuchs“ von 1976 aus dem Pahl-Rugenstein Verlag den verblassten Stempel der damaligen Handbibliothek meines Wissenschaftsbereichs Politische Ökonomie des Kapitalismus an der Sektion Sozialistische Betriebswirtschaftslehre, wo ich nach Studium und Industrietätigkeit von 1978 bis zur Abwicklung 1991 wissenschaftlich tätig war. Sogar meine ausradierten Bleistiftmarkierungen glaube ich noch schwach zu erkennen. Persönlich traf ich Jörg in den 1980er Jahren, als wir gelegentlich einen linken Wissenschaftler aus „dem Westen“ zu unseren Kolloquien einladen konnten. Es war immer ein Höhepunkt, hinter der Mauer aus profundem Mund ökonomische Analysen vorgetragen zu bekommen, die authentisch und sachlich sowie ohne ideologisches Geklingel waren. Alles was er schrieb und an das wir irgendwie herankommen konnten, wurde intensiv studiert.

Als die Mauer gefallen war und eine kleine Gruppe hier in Dresden einen linken Debattierklub gründete, der später in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen aufging, war er einer der Ersten, den ich einlud, um über die AG Alternative Wirtschaftspolitik und das aktuelle Memorandum zu referieren. Ich kann mich noch erinnern, wie er mich dann spät am Abend bei einem Glas Bier über die Abwicklung und unsere Arbeit ausfragte und über den weiten Weg schimpfte, um vor einem kleinen Haufen linker Enthusiasten zu sprechen; von Bremen nach Dresden, da ist für eine Strecke fast ein ganzer Tag weg. Trotzdem kam er wieder, er wurde ja gebraucht; zwei- oder drei Mal ist er dann noch bei uns aufgetreten.

Seine Beiträge zeichneten sich immer durch Aktualität, Klarheit und Verständlichkeit aus. Der theoretische Elfenbeinturm war nicht seine Welt und während andere Wissenschaftler an die Futtertröge des Establishments drängten, hielt er sich unmissverständlich an die Interessen der Lohnabhängigen, blieb bescheiden und liebte karierte Hemden. Und bestimmt waren die jährlichen Memoranden und das Euro-Memo oder seine Arbeit zu den Finanzmärkten nicht nur für mich ganz spezielle Lehrbücher, so wie es damals das „Handbuch zur Wirtschaftskrise“ gewesen war.

Horst Heininger/Gretchen Binus

Jörg Huffschmid und die Theorie des
staatsmonopolistischen Kapitalismus

In den letzten 20 Jahren ist es um die Stamokap-Theorie still geworden. Sie wird entweder mit pauschalen Urteilen über ihren Dogmatismus und ihre Fehlerhaftigkeit abgetan oder einfach totgeschwiegen. Dabei bietet gerade die jüngste Wirtschaftskrise mit einem in seiner Dimension bisher nie gekannten Zusammenbruch der Finanzmärkte und ihren sozialen Folgen einen überzeugenden Anschauungsunterricht für fortschreitender Monopolisierung und einen bedeutend gesteigerten Staatsinterventionismus in der Wirtschaft auf nationaler und internationaler Ebene. Nur wenige Wissenschaftler hatten sich der Mühe unterzogen, das Grundanliegen und die Hauptaussagen der Stamokap-Theorie hinsichtlich ihrer Gültigkeit für die weitere Kapitalismusanalyse einzuschätzen.

Eine kritische Bilanz der Stamokap-Theorie

Für Jörg Huffschmid gebot es die wissenschaftliche Redlichkeit schon bald zu Beginn der 90-er Jahre eine kritische Bilanz dieser Theorie aufzustellen.1 Dabei richtete sich seine Kritik wie die auch weiterer Wissenschaftler gegen die Fehleinschätzung der Rolle des staatsmonopolistischen Kapitalismus in der historischen Entwicklung des Kapitalismus als „unmittelbare Vorstufe zum Sozialismus“ (Lenin) und die Verquickung des irrigen Dogmas von der allgemeinen Krise des Kapitalismus mit dem Konzept der Stamokap-Theorie. Die formations-theoretische Einordnung des Stamokap als eine neue Entwicklungsstufe der kapitalistischen Gesellschaft erwies sich zudem als eine Überhöhung der Veränderungen in den ökonomischen Verhältnissen und eine Unterschätzung der Rolle politischer, ökologischer und zivilgesellschaftlicher Entwicklungen.

Bei aller Anerkennung dieser kritischen Einwände machte Huffschmids Bilanz aber deutlich, dass Grundanliegen und theoretische Hauptaussagen der Stamokap-Theorie weiterhin Bestand haben und für die heutige Kapitalismusanalyse unverzichtbar sind. Man darf ja nicht vergessen, dass die Ausarbeitung der Stamokap-Theorie erst zum Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts einsetzte, als sich die Prognosen marxistischer Zusammenbruchstheoretiker als unzutreffend erwiesen und die Frage entstand, worin die Ursachen für das Ausbleiben solcher Szenarien zu suchen seien. Sehr bald führten die Überlegungen und Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass sie in erster Linie in der neuen Rolle des Staates in der Wirtschaft, in neuen Formen der Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus zu suchen waren. Dazu gehört vor allem die Erkenntnis, dass ein anwachsender Staatsinterventionismus in der Wirtschaft zu einem permanenten Grundzug des Kapitalismus geworden und für ein Funktionieren der wirtschaftlichen Entwicklung mit dem Fortschreiten der Produktivkraftentwicklung unabdingbar ist. Dieser Staatsinterventionismus erfolgt vor allem im Interesse und zugunsten der ökonomisch dominanten Unternehmen, der die Wirtschaft beherrschenden Monopole. Über die verschiedensten Formen von Verbindungen und Verflechtungen zwischen Staat und Großunternehmen werden die Monopolisierungsprozesse und die damit verbundene Umverteilung von Einkommen weiter vorangetrieben. Dieser „Staatsmonopolismus“ bildet heute einen wesentlichen Grundzug des Kapitalismus. Jörg Huffschmid gab für diese neue Entwicklung eine präzise Kennzeichnung: „ …die Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus ist bekanntlich die Reaktion auf weitere objektive Vergesellschaftungsanforderungen, die durch private monopolistische Organisations- und Regulierungsformen nicht realisiert werden können. Die umfassende und dauerhafte Einschaltung des Staates in den Prozess der Kapitalverwertung schafft neue Manövrierspielräume für das Monopolkapital; staatsmonopolistische Regulierung ist somit ein wesentliches Moment bei der zeitweisen Überwindung der Widersprüche und Krisentendenzen und mitverantwortlich für die offensichtliche Lebensfähigkeit des gegenwärtigen Imperialismus.“2

Kernstrukturen des Stamokap

Diese neue Entwicklung im Kapitalismus, des Staatsmonopolismus, weist nach Jörg Huffschmid drei „Kernstrukturen“ auf: erstens die Dominanz des Kapitals als gesellschaftliches Organisationsprinzip, zweitens die ökonomische und politische Vorherrschaft des konzentrierten Großkapitals und drittens die relativ enge Verflechtung der Interessen von Großkapital und Staat“.3 „Wer sie“, so schreibt Jörg Huffschmid4, „nicht zur Kenntnis nimmt, verfehlt den ökonomischen Kern des modernen Kapitalismus und seiner politischen Regulierung“.

In jeder der drei Kernstrukturen gibt es in den letzten Jahrzehnten wesentliche Entwicklungen und Veränderungen, die durch den Staatsinterventionismus maßgeblich geprägt wurden. Auf sie hat Jörg Huffschmid bereits frühzeitig aufmerksam gemacht.5 Auf der einen Seite ist generell eine verstärkte Expansionsstrategie der Monopole festzustellen, die in bestimmten stofflichen Bereichen eine maßgebliche bzw. sogar beherrschende Position auf dem Weltmarkt anstreben wie in der Auto-, Pharma- oder Mineralölindustrie. Das geschieht vor allem durch den wachsenden Umfang beschleunigter Kapitalzentralisation bestehender Unternehmen über Fusionen und Übernahmen - wobei „nicht mehr ins Profil passende“ Konzernbereiche abgestoßen werden - oder durch die Neufiguration von stofflichen Bereichen wie z.B. integrierte Medienkonzerne.

Auf der anderen Seite geht es um die Dominanz des Großkapitals über neue Sphären der Akkumulation, die einen hochgradigen Vergesellschaftungsprozess durch die Komplexität arbeitsteiliger Gebiete erforderlich machen. Das betrifft u. a. zwei große Ebenen der Infrastruktur, zum einen die sozialen Bereiche, die bisher nicht der Profitlogik unterworfen waren und nun durch Privatisierung dem finanzkräftigen Kapital (überwiegend im nationalen Rahmen) unterworfen werden. Dazu zählen die öffentliche Daseinsvorsorge wie das Gesundheitswesen, die Altersvorsorge und andere Bereiche der sozialen Sicherungssysteme wie Energie- und Wasserwirtschaft und eine Vielzahl öffentlich-rechtlicher Einrichtungen der Wissenschaft, Bildung und Kultur. Die andere Ebene sind die sich neu formierenden Märkte im Zusammenhang mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und den globalen Problemen wie Umwelt, Klima, Ernährung, die materielle Lösungen auf einem hohen Vergesellschaftungsgrad verlangen. Es sind Anlagesphären, die über die bisherige, industriell geprägte Realwirtschaft hinausgehen, aber mit deren weiterer Entwicklung eng verknüpft sind. Sie weisen vor allem eine internationale Ausrichtung auf und erfordern riesige finanzielle Mittel.

Als eine solche neue Sphäre hat sich z.B. die Infrastruktur-Industrie herausgebildet, die bereits zu einem Kampfplatz der großen transnationalen Konzerne der führenden Industriestaaten um Machtpositionen geworden ist. Sie entwickelt sich zu einem profitablen Markt für Kapitalanlagen in der Kombination von Teilbereichen der Elektroenergie, der Telekommunikation, des Transports, der Wasserwirtschaft und der Erdgasindustrie. Diese Sektoren sind entscheidend für eine moderne Wirtschaft, gelten heute als Voraussetzungen für Effektivität, Konkurrenzfähigkeit und Wachstum. Für die künftige Entwicklung weniger entwickelter Volkswirtschaften hat die Infrastruktur-Industrie daher fundamentale Bedeutung.6

Derartige monopolkapitalistische Entwicklungsprozesse gehen mit anwachsenden Staatsinterventionen in den verschiedensten Formen einher. Auf der Ebene der Infrastruktur ist eine generelle Zunahme staatlicher Maßnahmen zugunsten der Expansion des Großkapitals in diese Sphäre festzustellen. Zum anderen prägt sich der internationale staatsmonopolistische Charakter auf diesem Gebiet immer stärker aus. Vor allem in den weniger industriell entwickelten Ländern besteht eine ungeheure Kluft zwischen den Notwendigkeiten und den verfügbaren Ressourcen an einer dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik entsprechenden Infrastruktur, was umfangreiche Staatsinterventionen zugunsten des konzentrierten Großkapitals für seine Expansion auf diesem Gebiet voraussetzt.

Finanzmarktkapitalismus

Besondere Verdienste bei der theoretischen Aufarbeitung der jüngsten Entwicklung des Kapitalismus erwarb sich Jörg Huffschmid mit seinen Arbeiten zum „Finanzmarktkapitalismus“. Ein erster Ausweis für seine erfolgreiche Forschungsarbeit auf diesem Gebiet war bekanntlich das 1999 erschienene Buch Politische Ökonomie der Finanzmärkte. Es ist mittlerweile als Standardwerk in die Fachliteratur eingegangen und es ist Jörg Huffschmid auch in dieser Arbeit gelungen, komplizierte ökonomische Zusammenhänge einem möglichst breiten Leserkreis in verständlicher Form zu vermitteln.

Gerade die Entwicklung der Finanzmärkte ist ein markantes Beispiel für die verstärkte Rolle des Staates in der Wirtschaft auf der nationalen und internationalen Ebene. Wie Jörg Huffschmid aufzeigte, bilden die langfristige Akkumulation und Internationalisierung des privaten Finanzvermögens die ökonomischen Grundlagen des Finanzmarktkapitalismus.7 Das gewaltige Finanzvermögen, das sich in den letzten beiden Jahrzehnten im Ergebnis der Umverteilung von Einkommen und Vermögen von unten nach oben, umfangreicher Privatisierungen und der seit Mitte der 70-er Jahre betriebenen Liberalisierung angehäuft hatte, suchte nach möglichst kurzfristiger profitabler Anlage, die in Investitionen in Realkapital nicht zu finden waren. In Finanzspekulationen der verschiedensten Art boten sich aber solche Möglichkeiten. Die Folge war die Lösung der Finanzinvestition von der stofflichen Basis, ihre „Entstofflichung“. Sie bedeutete zugleich, dass das Spekulationsmotiv zunehmend zum Motor der Finanzmärkte wurde.8

Die Entwicklung des Finanzmarktkapitalismus ist mit einer verstärkten Staatsintervention verbunden. Nach neoliberalem Wirtschaftskonzept bieten die einzelnen Staaten den Akteuren auf den Finanzmärkten die notwendigen optimalen Rahmenbedingungen und direkte Unterstützungsmaßnahmen. Hierzu gehören Steuererleichterungen und -befreiungen, umfangreiche Privatisierungen von öffentlichen Unternehmen und vor allem eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs sowie die Deregulierung der nationalen Finanzmärkte, die auch eine ungehinderte Tätigkeit spekulativer Akteure ermöglichten. Dies geschah in der Bundesrepublik von 1991 bis 1998 durch spezielle Finanzmarktförderungsgesetze und im Rahmen der Europäischen Union im letzten Jahrzehnt durch die Finanzmarktintegration als politisches Instrument zur gegenseitigen Öffnung der nationalen Finanzmärkte und der freien Kapitalmobilität.

Als in der jetzigen Wirtschafts- und Finanzkrise Banken und Industrieunternehmen auch und gerade infolge ihrer Spekulationen vor dem Konkurs standen, erhob sich der Schrei nach dem Staat als Retter. Die daraufhin verausgabten Riesensummen verstärken die Staatsschuld und bewirken letztlich eine Belastung der Steuerzahler und damit eine Umverteilung von Einkommen zugunsten des Kapitals. Gleichzeitig übernimmt der Staat unter dem Druck der Wirtschaftskrise ökonomische Funktionen, die bisher von privatkapitalistischen Akteuren ausgeübt worden waren. Ganz offensichtlich geschieht das im System der Geld- und Kreditschöpfung selbst. Die Zentralbanken übernehmen wichtige Funktionen der Geschäftsbanken.

In den USA, Großbritannien und Japan finanzieren die Notenbanken die Großunternehmen direkt. Außerdem haben alle kapitalistischen Staaten die Banken mit Staatsgarantieren versehen.

Entwicklungsvarianten des Stamokap

In ihrer Arbeit zur Reformalternative im Jahr 1988 zeigten Jörg Huffschmid und Heinz Jung, dass sich im modernen Stamokap verschiedene Entwicklungsvarianten herausbilden können, die für die weitere Gestaltung der ökonomischen und politischen Verhältnisse in der Gesellschaft von Bedeutung sind. Die zwei Hauptformen sind die markt-radikalautoritäre, anti-etatistische Variante einerseits und die interventionistisch-reformerische Variante andererseits.9

Jörg Huffschmid ist auf die Bedeutung der Entwicklungsvarianten auch später mehrfach zurückgekommen : „In einer Phase, in der der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus praktisch für absehbare Zeit nicht auf der Tagesordnung steht, kommt es darauf an, konzeptionelle und politische Energie vorrangig auf reformerische Veränderungen innerhalb des Kapitalismus zu richten . Vordringliche Aufgabe der Linken ist es danach, die Durchsetzung und Verfestigung der aggressiv-autoritären Entwicklungsvariante zu verhindern und die Reformvariante zu stärken“.10

Jörg Huffschmid sah keine Alternative zur Orientierung auf praktische Reformen innerhalb des bestehenden Kapitalismus. Das Konzept der Reformalternative behält daher seine Gültigkeit: „ ... die Aufforderung nämlich, linke Politik auf die theoretische Ausarbeitung und politische Durchsetzung praktischer Veränderungen zu konzentrieren, die sich an Kriterien sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verträglichkeit – weiter an Frieden und Demokratie –orientieren.“11

Selbst aus dem kurzen, nur bruchstückhaften Überblick lässt sich erkennen, welchen wichtigen Beitrag Jörg Huffschmid zur Entwicklung der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus geleistet hat – darin ausdrücklich eingeschlossen seine kritischen Anmerkungen zu den Mängeln dieser Theorie.

Leo Mayer / Conrad Schuhler

Reformalternative als antikapitalistische
Transformationsstrategie

Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts entbrannte in der DKP eine heftige ideologische Debatte zwischen den so genannten „Erneuerern“ und den so genannten „Orthodoxen“, vulgo „Betonköpfe“ geheißen. Zu den theoretischen Vordenkern der „Erneuerer“ zählte Jörg Huffschmid, damals Mitglied des Parteivorstands der DKP, der zusammen mit Heinz Jung, dem Leiter des IMSF (Instituts für Marxistische Studien und Forschungen) 1988 die Schrift „Reformalternative. Ein marxistisches Plädoyer“1 herausgab, das sich als Gegenkonzept zum noch gültigen Parteiprogramm der DKP verstand. Zentrale Punkte der Kritik: 1) Es sei falsch, die jetzige Epoche als die historische Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus zu verstehen. Tatsächlich erweise sich der Kapitalismus in der real erfahrbaren Lebenswelt in den entwickelten kapitalistischen Ländern als stabil, während vom realen Sozialismus weder politisch noch wirtschaftlich Attraktivität ausgehe. 2) Die neuen Probleme und sozialen Bewegungen würden aus der traditionellen marxistischen Weltsicht nicht begriffen. Die Zerstörung der Umwelt und die Unterdrückung der Frauen seien nicht mehr in die Klassenfrage zu integrieren, es handele sich um formationsübergreifende Tatsachen und Probleme. Selbst die soziale Frage könne nicht auf das Kapitalverhältnis reduziert werden.

Die zentrale Schlussfolgerung von Huffschmid und Jung: Man müsse sich für „die Gegenwart und absehbare Zukunft“ auf eine lang andauernde Koexistenz zweier entgegen gesetzter Gesellschaftssystem einstellen, wobei es für die Linke im kapitalistischen System nicht darum gehen könne, seine prinzipielle Widersprüchlichkeit und mangelnde Lebensfähigkeit herauszustellen, sondern sich auf Reformen und Gestaltung innerhalb des Kapitalismus einzulassen. Gegen die markt-radikalautoritäre Variante müsse die interventionistisch-reformerische Variante durchgesetzt werden. Als vordringliche Ziele seien auch von MarxistInnen „die gesellschaftliche Gestaltung des Eigentums, das Zurückdrängen des Militarismus und die Erzwingung des Friedens im Kapitalismus sowie ökologisch verträgliche Reproduktionsformen“ zu formulieren. Mit dem Bankrott des Realen Sozialismus sah Huffschmid sich in dieser Sicht bestätigt, nur würden jetzt die Spielräume nach links noch geringer und die ideologische Dominanz und Akzeptanz des Kapitalismus noch unanfechtbarer sein.

Nach den Erfahrungen der noch anhaltenden Großen Krise des kapitalistischen Weltsystems lassen sich zentrale Huffschmidsche Thesen im Pro und Kontra klarer einschätzen:

Erstens ist die Behauptung einer stabilen ideologischen Dominanz der kapitalistischen Ideologie derzeit offenkundig nicht haltbar. In den Umfragen von BBC bis Allensbach erklärt eine große Mehrheit der Befragten, sie machten den Kapitalismus für die Misere verantwortlich und sie versprächen sich von ihm auch keine Lösung. Das heißt nicht, dass sie nun zum Kampf gegen den Kapitalismus übergehen. Aber die Huffschmidsche Einschätzung: „Eine Aushöhlung der Massenbasis des Kapitalismus findet nicht einmal in Krisenperioden statt“, scheint zu pessimistisch. Soziologen sprechen davon, die kapitalistische Ideologie sei nicht mehr „führend“, doch immer noch „herrschend“. Die Einschätzung der „ideologischen Hegemonie“ liefert einen wesentlichen Faktor für die Strategie, die politische Achse möglichst weit nach „links“ zu verschieben.

Zweitens erscheint die Mahnung, grundlegende soziale Strukturmerkmale nicht auf das Klassenverhältnis zu reduzieren, zwar richtig, aber enorm überdimensioniert und kontraproduktiv. Umweltgefährdung und Frauenunterdrückung sind in der Tat „formationsübergreifend“, aber das sind Wucher und Spekulation und Ausbeutung und Kriege auch. Die Frage wäre, ob „formationsübergreifend“ bedeuten soll, diese Probleme wären zu lösen, ohne die spezifische kapitalistische Formation zu überwinden. Dem ist entgegen zu halten, dass alle diese aufgeführten Merkmale in der kapitalistischen Formation ausgeprägt werden und zum Strukturmerkmal eben dieser Formation geworden sind. Huffschmid spricht vom herzustellenden „Frieden im Kapitalismus“, aber tatsächlich ist Frieden nur zu haben gegen die Funktionslogik und die Macht des globalen Kapitalismus, der sich im Rennen um die knapper werden Ressourcen und im Griff nach der weltweiten Sicherung von Pipelines, Meeres- und Luftwegen und Märkten immer stärker auf militärische Mittel stützt und nach seinem Interesse auch stützen muss. Es mag Problemfelder geben, die weniger kategorisch vom Kapitalverhältnis diktiert werden. So ist die Vorstellung, dass Frauen auf dieselbe Stufe gesellschaftlicher Ausbeutung „gehoben“ werden wie die Männer, nicht abwegig. Aber mit Befreiung hat dies letzten Endes so wenig zu tun, wie ein „grüner Kapitalismus“, der nach wie vor auf Wachstum und wachsenden Ressourcenverbrauch setzen muss (denn Wachstum ist das unverzichtbare Lebensprinzip des Kapitalismus), mit der Rettung der Umwelt. Das Kapitalverhältnis bestimmt entscheidend das Schicksal der Menschen in allen wesentlichen Facetten. Formationsübergreifende Hinweise dürfen davon nicht ablenken.

Drittens und damit zusammenhängend muss die Grundthese der „Reformalternative“ präzisiert werden, es ginge darum, „die Fortschrittspotentiale im Kapitalismus real voranzutreiben und damit eine Basis für seine Überwindung zu schaffen“. Die Fortschrittspotentiale im Kapitalismus sind vorhanden, weil der politische Raum von sozialen Klassen und Gruppen genutzt werden kann, um dem Kapital bzw. den dominierenden kapitalistischen Gruppen Kompromisse abzutrotzen. Es kann nicht darum gehen, irgendein fortschrittliches Potential im Kapitalismus zu wecken. Alles, was heute an substantiellem Fortschritt zu erreichen ist, muss gegen die Interessen und gegen die Macht des global dominierenden Kapitals durchgesetzt werden. „Reformfragen sind Machtfragen“, so lautete die Quintessenz im Programm von Huffschmid und Jung. Dem ist ebenso zuzustimmen wie ihrer strategischen Zielsetzung, dass die „Vertiefung des Demokratisierungsprozesses in allen und in alle gesellschaftlichen Bereiche“ die Kampfachse sei, die zum Ausdruck des Klassenkampfes in der Zukunft werden könne. Der Kampf um Wirtschaftsdemokratie und um Demokratie in den Medien gehört ins Zentrum dieser Strategie.

Tagungsbericht: Kapitalismuskritik und Alternativen „Kapitalismuskritik heute – zum Forschungsprogramm von Jörg Huffschmid“ (Berlin, 19./20. Februar 2010)

Der im Dezember 2009 verstorbene marxistische Wirtschaftswissenschaftler Jörg Huffschmid wäre am 19. Februar dieses Jahres 70 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass veranstalteten Attac, die Memorandum-Gruppe, die EuroMemo-Group, die Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen mit den Zeitschriften „Blätter für deutsche und internationale Politik“, „Sozialismus“ und „Z-Zeitschrift Marxistische Erneuerung“ in den Räumen der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin eine wissenschaftliche Tagung „Kapitalismuskritik heute“, die dem Forschungsprogramm von Jörg Huffschmid gewidmet war.

Die Tagung hatte den Anspruch, auf den von Jörg Huffschmid behandelten Forschungsfeldern – Krieg und Militarisierung, Finanzmärkte, Europäische Union – weiterführende Analysen zu diskutieren. Hinzu kamen zwei eher themenübergreifende Fragestellungen, die in JHs Arbeit immer gegenwärtig gewesen sind: das Verhältnis von Ökonomie und Politik einerseits und der Zusammenhang zwischen dem Kampf für Reformalternativen und für eine Systemtransformation andererseits.

Die Tagung zeigte schlaglichtartig Stärken und Schwächen der heutigen Kapitalismuskritik, die, ganz im Sinne von Jörg Huffschmid, als praktischer Kampf für eine Veränderung und/oder Überwindung des Kapitalismus verstanden wurde. Insgesamt einte die ansonsten sehr unterschiedlichen Teilnehmer wohl die Einsicht, dass selbst kleine Veränderungen innerhalb des bestehenden Systems nur gegen den harten Widerstand des Kapitals durchgesetzt werden können. Es besteht ein großer Bedarf nicht nur an Analysen, sondern vor allem an politisch tragfähigen Konzepten.

Dies machte zunächst die von den Organisatoren so nicht erwartete große Teilnehmerzahl (mehr als 300) deutlich, ebenso wie deren Zusammensetzung: Es waren so ziemlich alle relevanten Strömungen und Organisationen der systemkritischen Linken bis in die Gewerkschaften vertreten, was nicht zuletzt die Wirkungsbreite und die Integrationskraft des Menschen und Ökonomen Jörg Huffschmid belegte. Obwohl er seine politische Grundeinstellung als Marxist und ‚traditionalistischer’ Revolutionär zu keinem Zeitpunkt verhehlt hatte, waren seine Analysen und praktischen Handlungsvorschläge Diskussionsgegenstand in allen relevanten, an den Interessen der Lohn- und Sozialabhängigen orientierten Bewegungen und Organisationen. Axel Troost (MdB, LINKE) als Hauptorganisator der Tagung und dem Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel gelang es in ihren Einleitungsbeiträgen, dem Marxisten und engagierten Kämpfer für soziale und ökologische Alternativen im Kapitalismus gerecht zu werden. Sven Giegold, Vertreter von Attac und grüner Europaabgeordneter machte dabei allerdings auf ein Grundsatzproblem aufmerksam: Seiner Ansicht nach darf die ökologische Frage nicht – wie es die auch von Jörg Huffschmid mitgetragenen Alternativen der Memorandumgruppe tun –nur als eine zusätzliche Dimension (unter anderen) behandelt werden, sie verlange vielmehr eine grundlegende Neubetrachtung der Produktionslogik. Dominique Plihon aus Frankreich von der EuroMemo-Group würdigte JH als Motor einer europäischen Alternative – wie die jüngsten Ereignisse um die Herabstufung Griechenlands zeigen, fungieren die europäischen Institutionen derzeit vor allem als Handlanger der Finanzmärkte. Anknüpfend an Huffschmids bekannt nüchterne politökonomische Analysen – auch in der aktuellen Krise vermied er jeden Katastrophismus – zeichnete Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der IG Metall ein eher düsteres Bild der Spielräume zur Durchsetzung von progressiven Reformen. Bezugnehmend auf die die gesamte Tagung durchziehende Frage nach der Rolle des Staatsinterventionismus setzte er den Akzent nicht auf das abstrakte Verhältnis Markt-Staat, sondern stellte unter Bezug auf das Stichwort „Reformalternative“ die Demokratisierung aller Ebenen in den Mittelpunkt. Im Zentrum alternativer Konzepte sollte die Frage der Wirtschaftsdemokratie stehen.

Intensive und oft kontroverse Diskussionen fanden in den Arbeitsgruppen zu den eingangs genannten Arbeitsfeldern und Themen von JHs Forschungsprogramm statt. Von den vielen interessanten Themen sei hier kurz auf die zwei ‚Querschnittsfragestellungen’ eingegangen.

In der Gruppe „Ökonomie und Politik – ‚Politik des Kapitals’ heute wurde auf die erste große Arbeit von Jörg Huffschmid (1969) Bezug genommen. Einen Schwerpunkt der Debatte bildete die Frage, inwieweit die von ihm maßgeblich mitgeprägte Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus heute noch Erklärungswert besitzt. Vor allem Huffschmids wohl ältester wissenschaftlicher Weggefährte, Klaus-Peter Kisker, wandte ein, dass die im SMK unterstellte ‚Politisierung der Ökonomie’ heute einer Gegentendenz Platz gemacht habe, nämlich der Durchdringung der Politik durch die Ökonomie. Dagegen meinte Gretchen Binus, die zusammen mit Horst Heininger ebenfalls eine wichtige Vertreterin des SMK-Ansatzes war, dass dessen Kernelemente, nämlich die Bedeutung politischer Regulierung des ökonomischen Prozesses und die zentrale Rolle von Großunternehmen dabei, nach wie vor wichtige Merkmale des modernen Kapitalismus seien.

Den Zusammenhang zwischen dem Kampf für (teilweise bescheidene) Reformen im Kapitalismus und der von den meisten Teilnehmern durchaus als notwendig betrachteten Systemtransformation behandelte die Arbeitsgruppe „Von der ‚Reformalternative’ zur ‚großen Transformation’“. Man wird jedoch, was die Transformationsfrage angeht, kaum sagen können, dass hier konkrete und an den realen gesellschaftlichen Konfliktpotentialen und Bewegungen ansetzende Politikvorschläge gemacht worden wären.

In einer aus Zeitgründen sehr knapp gehaltenen Schlussrunde wurde nochmals deutlich, wie eng die Spielräume selbst für eine bloße ‚Zivilisierung’ des heutigen Kapitalismus sind, obwohl dessen destruktive Wirkungen in Form von Finanzkrisen, Klimakrise und Ernährungskrise unübersehbar sind. Der von Hans-Jürgen Urban beschworenen „Mosaiklinken“ ist es trotz des weit verbreiteten Missbehagens am finanzmarktgetriebenen Kapitalismus bislang nicht gelungen, für relevante Bevölkerungsgruppen glaubwürdige Handlungsoptionen zu entwickeln.

Jörg Goldberg

[1] Dabei ging es um Ursache und Charakter zyklischer Krisen als Überproduktionskrise, als Krise der Überakkumulation von Kapital oder als Unterkonsumtionskrise sowie um die Frage, welche Rolle dabei ein tendenzieller Fall – sofern es ihn gebe – der Profitrate sowie die Verteilung spiele. Später kam die Frage überzyklischer Stagnation, der Existenz von langen Wellen sowie der Bedeutung „großer“ Krisen hinzu. Und nicht zuletzt spielte die Frage der Unterschiede und Überschneidungen von marxistischer und keynesianischer Wirtschaftstheorie eine bedeutende Rolle. Faktisch war in dieser Kontroverse, wenn auch oft unausgesprochen, die Bedeutung von Krisen für Überleben oder Überlebtheit des Kapitalismus und seine Überwindung bzw. die Chance einer Stabilisierungspolitik angesprochen.

[2] JH, Theoretischer Rahmen und historischer Hintergrund zur Interpretation der gegenwärtigen Wirtschaftskrise in der BRD, in: WSI-Mitteilungen, 12/1974, S. 634ff. Derselbe, Zum Charakter der gegenwärtigen Wirtschaftskrise, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/1975, S. 388ff.

[3] Jörg Huffschmid/Herbert Schui (Hrsg.), Gesellschaft im Konkurs? Handbuch zur Wirtschaftskrise 1973-1976 in der BRD, Köln 1976. Vgl. auch die im selben Jahr publizierten krisentheoretischen Abschnitte in den Beiträgen des IMSF 4, Wirtschaftskrise und Wirtschaftspolitik, Frankfurt a. M. 1976, S. 5-30 und 428-459.

[4] Vgl. dazu beispielhaft: Prokla 30, 32 (1978), 36 (1979), 57 (1984), Das Argument 104 (1977), 108 (1978), Sonderband 35 (1979); Literaturbericht von Jörg Goldberg im Jahrbuch des IMSF 3 (1980); Jürgen Hoffmann (Hrsg.), Überproduktion, Unterkonsumtion, Depression. Analysen und Kontroversen zur Krisentheorie, Hamburg 1983. Ein fast versöhnlicher „Showdown“ (nur „Das Argument“ fehlte) war eine Konferenz im April 1986, die ihren Niederschlag in einer gemeinsamen Veröffentlichung fand: Prokla, SPW, Sozialismus, Memorandum, IMSF: Kontroversen zur Krisentheorie, Hamburg 1986. JH steuerte einen Beitrag über „Entwicklungsstadien im Kapitalismus“ bei (S. 76-82). Vgl. auch den Konferenzbericht von Jörg Goldberg, Krisenerklärungen und die Alternativen der Linken, in: Jahrbuch des IMSF 11 (1986), S. 92 – 99.

[5] Huffschmid/Schui, a.a.O., S. 477f.

[6] Die Memoranden der AG Alternative Wirtschaftspolitik, an denen JH federführend mitarbeitete, liefern nahezu immer auch eine Konjunkturanalyse. Speziell zu ihrer krisentheoretischen Grundlegung vgl. z.B. die Jahrgänge 1978, 1981, 1982, 1983 und insbesondere 1984. Da es sich immer um die wissenschaftlichen Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft handelt (nur in den ersten Ausgaben wurden die konkreten Autoren aufgeführt), kann zwar davon ausgegangen werden, dass JH prägenden Einfluss genommen hat, aber die Fairness gegenüber diesem Kollektiv gebietet es, sie nicht als das Ergebnis seiner persönlichen wissenschaftlichen Arbeit herauszustellen.

[7] Huffschmid/Schui, a.a.O., S. 41.

[8] JH bezeichnet das als „Krise der Produktion von Mehrwert“. Ebenda, S. 46.

[9] JH, Die Wirtschaftskrise in der BRD: Tendenzen und Perspektiven, in: IMSF, Marxistische Studien, Jahrbuch des IMSF 6/1983, S. 237f.

[10] JH, Eurokeynesianismus als Alternative zum kontraproduktiven Policy-Mix in der EU, in: Herbert Schui, Holger Paetow (Hrsg), Keynes heute. Festschrift für Harald Mattfeldt, Hamburg 2003, S. 72f.

[11] Stichwort Keynesianismus, in: Ulrich Brand, Bettina Lösch, Stefan Thimmel (Hrsg.), ABC der Alternativen, Hamburg 2007, S. 98f.

[12] Vgl. JH, Die Wirtschaftskrise…a.a.O., S. 241.

[13] JH, Entwicklungsstadien im Kapitalismus, in: PROKLA, SPW usw., a.a.O., S. 82.

[14] JH, Die Wirtschaftskrise…, a.a.O., S. 244.

[15] JH, Keynesianismus, a.a.O., S. 98.

[16] JH, Politische Ökonomie der Finanzmärkte, Hamburg 1999.

[17] JH, Steuern gegen die Spekulation? Der Tobin-Vorschlag und seine Erweiterung, in: Memo-Forum Nr. 23 Bremen 1995, S. 53-65.

[18] Vgl. aus der Vielzahl einschlägiger Veröffentlichung der letzten Jahre dazu z.B.: JH, Nach der Krise: Das Ende des Finanzmarktkapitalismus? In: Z, Nr. 78, Juni 2009, S.37-51, JH, Europäische Perspektiven im Kampf gegen Wirtschafts- und Finanzkrise, in: Elmar Altvater u.a., Krisen Analysen, Hamburg 2009, S. 105-118 oder JH, Arbeitshilfe Finanzmarktkrise auf der Homepage der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=17719. (Abruf 30.01.2010)

[19] JH, Arbeitshilfe, a.a.O., Abschnitt 3.

[20] JH, Politische Ökonomie…a. a. O., S. 126.

[21] JH, Nach der Krise…a. a. O., S. 44.

1 Siehe Jörg Huffschmid, Weder toter Hund noch schlafender Löwe, in: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Heft 82, 1995; Ulrich Dolata/Jörg Huffschmid, Deterministische Phasentheorie und unter-komplexes Verflechtungsmodell? in: Z Nr.10, Juni 1992.

2 Jörg Huffschmid, Friedensfähigkeit des Kapitalismus und Imperialismustheorie, in: Marxistische Studien, Jahrbuch des IMSF 15, Frankfurt am Main, 1989, S. 92.

3 Jörg Huffschmid, Reformalternative – Noch ein Abschied von noch einer Illusion? in: Neue Realitäten des Kapitalismus. Linke Positionsbestimmungen, IMSF Forschungen & Diskussion 11, Frankfurt am Main, 1995, S.12.

4 Jörg Huffschmid, Weder toter Hund noch schlafender Löwe, a .a. O., S. 35.

5 Jörg Huffschmid, Strukturpolitik ohne Staat? Widersprüche in der jüngsten Fusionsbewegung, Diskussionsunterlage, Mai 2000.

6 Siehe: UNCTAD World Investment Report, Transnational Corporations and the Infrastructure Challenge, Geneva, 2008, S. 85 ff.

7 Siehe Jörg Huffschmid, Nach der Krise: Das Ende des Finanzmarktkapitalismus? Z, Nr.78, Juni 2009, S.36 ff.

8 Siehe Jörg Huffschmid, Politische Ökonomie der Finanzmärkte, Hamburg 1999, S. 14-15.

9 Siehe Jörg Huffschmid/Heinz Jung, Reformalternative. Ein marxistisches Plädoyer, Arbeitsmaterialien des IMSF 28, Frankfurt am Main 1988, Reprint 2010, S. 41-42.

10 Jörg Huffschmid, Reformalternative – Noch ein Abschied von noch einer Illusion ? A.a.O., S. 12-13.

11 Ebenda, S. 25.

1 Jörg Huffschmid/Heinz Jung, Reformalternative. Ein marxistisches Plädoyer, Arbeitsmaterialien des IMSF 28, Frankfurt am Main 1988, Reprint 2010.