Regionalwahlen in Italien: Die „organische Krise" geht weiter

Eingestellt 17.02.2020

17.02.2020

Die „organische Krise“ der herrschenden Klassen in Italien geht unaufhaltsam weiter – das ist ein Ergebnis der Regionalwahlen in der Emilia-Romagna und in Kalabrien. Die Krise drückt sich vor allem im fehlenden Zusammenhalt und der Unfähigkeit aus, eine stabile Hegemonie auszuüben.

Politisch stehen sich seit einiger Zeit ein Mitte-Links-Block um den Partito Democratico (der in den letzten zehn Jahren für eine spezifische Form des Neoliberalismus steht) und ein Mitte-Rechts-Block gegenüber, der aktuell von der ehemaligen Lega Nord geführt wird. Aus der früheren kleinen und sezessionistischen Partei des reichen Nordens, die für die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen stand, ist unter Matteo Salvini die führende Kraft der Rechten geworden. Mithilfe des Souveränismus und einer neonationalen Politik reagiert sie auf die Ängste und Bedürfnisse einer breiteren Unternehmerbourgeoisie, die den Schutz ihrer gesellschaftlichen Stellung erwartet, sowie einer zunehmend proletarisierten Mittelschicht und breiter Teile der subalternen Klassen, die mittlerweile ohne jegliches Klassenbewusstsein sind.

Entscheidend für die Erosion der Wählerschaft von Mitte-Links, deren Fortschreiten bisher nur durch den Aufstieg des Movimento 5 Stelle (M5S) verhindert wurde, war die Buchstabierung des neoliberalen consensus mit einem partikularistischen Narrativ, das die Gründe für die großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes in der ungebremsten Globalisierung und insbesondere in der EU und in den Migrationsbewegungen sieht. So ist es der Lega trotz ihrer früheren Beteiligung an der von Berlusconi betriebenen Privatisierungs- und Arbeitsmarktpolitik und mithilfe einer geschickten Nutzung der Social Media gelungen, sogar Sympathisanten der Linken sowie kommunistischer Organisationen zu gewinnen, die von der Verteidigung der weißen Arbeiterklasse gegen Globalisierung und die vermeintliche Konkurrenz durch ein migrantisches Subproletariat fasziniert sind.

Nach der kurzen Erfahrung der Regierung Lega-M5S mündete die Regierungskrise des vergangenen Sommers im September 2019 in eine Regierung M5S-PD. Dabei handelt es sich allerdings um eine sehr fragile Regierung, mit einer unklaren politischen Linie, die kein Gespür für die mittlerweile aggressiven Stimmungen im Land hat. In diesem Zusammenhang erlangten die Regionalwahlen in der Emilia-Romagna eine nationale Bedeutung. Salvini selbst hatte die Wahlen nicht nur als Abrechnung mit der Regierung bezeichnet, sondern auch als endgültige Eroberung einer seit 1945 von der Linken dominierten Region dargestellt.

Diese „Wahlschlacht“, in der Salvini systematisch die Auseinandersetzung mit immer neuen Provokationen anheizte, hat aber ein unerwartetes und für Salvini überaus negatives Ergebnis hervorgebracht. Der „Extremismus“ der Lega beängstigte schlussendlich die moderateren Teile der Mittelschichten, und hat es Mitte-Links leicht gemacht, zum Kampf gegen den „Faschismus vor den Toren“ und zur Verteidigung der „Zivilisation“ gegen die „Barbarei“ aufzurufen. Die Lega, die in den letzten Jahren in der Emilia-Romagna Ergebnisse um die 30 Prozent erreicht hatte, hat ihr Wählerpotenzial mit 32 Prozent ausgeschöpft und keine neuen Wähler hinzugewonnen (Mitte-Rechts hat insgesamt 43 Prozent erzielt). Die PD und Mitte-Links, die in der Emilia-Romagna schon seit langer Zeit unter ihren früheren Spitzenergebnissen blieben, vermochten hingegen ihre gesamte Wählerschaft zu mobilisieren, einen Teil der linken Nichtwähler zurück- und große Teile der Wählerschaft des M5S für sich zu gewinnen.

Regierung und PD gehen aus den Wahlen gestärkt hervor und werden demnach bis zum Ende der Legislatur weiterregieren – und wahrscheinlich auch den neuen Staatspräsidenten durchsetzen können.

Für die radikale Linke, die bis vor zehn Jahren aus Rifondazione Comunista und den Grünen bestand, war die Wahl eine Tragödie. Vielleicht als Wiedergutmachung für ihre frühere Unterstützung der PD hat die radikale Linke in der Emilia-Romagna gleich drei Listen aufgestellt, alle ohne jegliche Glaubwürdigkeit, und hat um eine winzige Wählerschaft gebuhlt. Ergebnis war, dass die wenigen übriggebliebenen Wähler doch die PD gewählt haben, um den Sieg von Salvini zu verhindern. So haben die PC von Marco Rizzo 0,4 Prozent und L’Altra Emilia-Romagna (Rifondazione Comunista und PCI) sowie Potere al Popolo jeweils 0,3 Prozent bekommen.

Aus radikal linker Warte ist dies das wichtigste und schmerzhafteste Ergebnis: Die kommunistisch geprägte italienische Linke – ohne politische Linie, unnötig gespalten, unfähig, ein glaubwürdiges und verständliches politisches Projekt zu entwickeln und Geisel von Generälen ohne Truppen, die tausende Niederlagen verursacht haben, befindet sich im Jahre Null und hat insgesamt 1 Prozent der Wählerschaft hinter sich. Wenn nicht schnellstmöglich ein Prozess der Reorganisation und Kooperation eingeleitet wird, der mit einer ernsthaften und realistischen Analyse der italienischen Krise, aber auch einer tief greifenden Erneuerung des Führungspersonals verbunden ist, bedeuten diese Wahlen das Ende dieses politischen Lagers.

Stefano G. Azzarà
(Übersetzung: Nicoletta Negri)