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Bundesverfassungsgericht kontra Europäische Zentralbank: Vom Tiger zum Bettvorleger

von Klaus Dräger
September 2016

Mit seiner Vorlageentscheidung vom 7. 2. 2014 hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) deutlich gemacht, dass eine Mehrheit der RichterInnen den Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Staatsanleihen-Aufkaufprogramm (OMT – Outright Monetary Transactions) vom September 2012 für rechtswidrig hielt. Sie folgten im Wesentlichen den Argumenten ordo-liberaler Wirtschaftswissenschaftler, dass damit das im EU-Vertrag festgeschriebene Verbot einer geldpolitischen Finanzierung der Schulden der Mitgliedstaaten verletzt würde. Das BVerfG legte allerdings dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einen Fragenkatalog vor, um dessen Einschätzung vor seinem eigenen abschließenden Urteil einzuholen.[1]

Der Medienwirbel darum war groß. Viele erwarteten, dass das BVerfG bei seiner Einschätzung hart bleiben werde. Der EZB ihre Grenzen aufzeigen und so die ‚Eurorettungspolitik’ der Bundeskanzlerin zu düpieren, was auch immer der EuGH sagen möge – das war der Hype um das BVerfG als unbestechlicher Wahrer von Demokratie, Grundrechten und Volkssouveränität.

Nahezu geräuschlos (und nur spärlich durch die Medien kommentiert) erklärte das BVerfG das Anleihenprogramm der EZB am 21. 6. 2016 jedoch für rechtskonform, sofern die EZB sich an die vom EuGH zuvor gemachten Auflagen halte. Diese Wende um 180 Grad gegenüber seiner ursprünglichen Einschätzung ruft inzwischen keine Diskussion mehr auf den Plan.[2]

Der für diesen Fall zuständige Generalanwalt des EuGH, Pedro Cruz Villalón, gab dem BVerfG schon bei der Annahme des Fragenkatalogs im Januar 2015 einen deutlichen Wink mit dem Zaunpfahl: „Das Vorabentscheidungsverfahren (beim EuGH, KD) ... wurde nämlich niemals als eine dem Gerichtshof gewährte bloße ‚Gelegenheit’ konzipiert, mit dem nationalen Gericht ... ‚übereinzustimmen’, was mit der möglichen Folge verbunden wäre, dass eine etwaige ‚fehlende Übereinstimmung’ seitens des Gerichtshofs der von ihm erteilten Antwort ihre Bedeutung nehmen könnte.“ Er mahnte eine loyale Zusammenarbeit zwischen EuGH und BVerfG an, so dass das deutsche Gericht „die erhaltene Antwort als eine genügende und abschließende betrachten werde.“[3]

Der Generalanwalt wies die vom BVerfG vorgebrachten Argumente der Ordoliberalen zurück. Ironischerweise unterstützte er aber einen Punkt aus der Klage der Bundestagsfraktion der LINKEN, den das BVerfG zuvor verworfen hatte: Wenn die EZB im Rahmen der Troika detailliert an der Ausarbeitung, Überprüfung und Umsetzung der Austeritäts-Memoranden wie z.B. in Griechenland etc. mitarbeite, betreibe sie ‚Wirtschaftspolitik’. Denn die verlangten Auflagen beträfen z.B. Steuer, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik usw., was nicht zu den geld- und währungspolitischen Aufgaben der EZB gehöre. Die Medien waren wieder mal alarmiert: Muss die EZB aus der Troika ausscheiden?

Der EuGH erwies sich aber wie so oft als zuverlässig für die Interessen der EU-Eliten und folgte seinem Generalanwalt in seinem Urteil vom 16. 6. 2015 in dieser Frage nicht. Der OMT-Beschluss der EZB wurde für rechtmäßig erklärt. Die vom EuGH verlangten Auflagen zur Umsetzung des Anleihekauf-Programms sind vage formuliert und vom neo-liberalen Geist inspiriert: die Marktpreisbildung bei Staatsanleihen dürfe nicht verzerrt werden.

Die ‚unabhängige’ EZB kann im Rahmen der Troika also weiter schalten und walten, wie sie will. Im Sommer 2015 stellte sie bekanntlich den Kauf griechischer Staatsanleihen ein – bei einem Land, das die Unterstützung aus dem OMT-Programm mehr als Spanien, Italien etc. benötigt hätte. Danach drehte sie als weitere Disziplinierungsmaßnahme gegen Griechenland diesem den Geldhahn völlig ab, um gegen das Nein der Bevölkerung zum Memorandum Politik zu machen und eine Wirtschaftskrise hervorzurufen. Nachdem die von SYRIZA geführte Regierung kapitulierte und sich seitdem bei der Umsetzung des Dritten Memorandums kooperativ zeigt, wurden mit Beschluss des EZB-Rats vom 22. 6. 2016 auch griechische Staatsanleihen wieder ins Anleihenprogramm aufgenommen.[4] So geht das.

Der Neo-Marxist Perry Anderson, den ich in meinen Beitrag für Z 99 zitierte, hat Recht behalten: „Es ist unwahrscheinlich, dass die Oligarchie der EU jemals einen ernsthaften Rückschlag aus Karlsruhe erfahren muss.

[1] Vgl. meinen Beitrag: Das Bundesverfassungsgericht – heimlicher Machtfaktor in der Eurokrise?, in: Z 99 (September 2014), S. 122ff.

[2] http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2016/06/rs20160621_ 2bvr272813. html

[3] http://curia.europa.eu/juris/celex.jsf?celex=62014CC0062&lang1=de&type=TXT&ancre=

[4] http://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2016/html/pr160622_1.en.html