Atomausstieg und Energiewende

Konsequent für neue Energien?

Das Gesetzespaket der Bundesregierung zur „Energiewende" zementiert den Status Quo

von Bernd Brouns
Dezember 2011

„Neue Energie für Deutschland“. Unter diesem Titel schaltete die Bundesregierung Anfang Oktober 2011 bundesweit Zeitungsanzeigen. Anlass war die eine Woche zuvor veröffentlichte Halbzeitbilanz der schwarz-gelben Koalition. Auch auf der Webseite www.bundesregierung.de diente die „Energiewende“ als Aufmacher für die Halbzeitbilanz. Nach Fukushima und den Wahlschlappen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vollzog die Bundesregierung eine Kehrtwende in ihrer Atompolitik. Ihre positive Botschaft lautete nun: Wir tun alles, um die Energiewende zu beschleunigen. Und es wurde prompt geliefert: Der Bundestag beschloss ein umfassendes Gesetzespaket zur Energiepolitik. Der Präsident des Wuppertal-Instituts spricht von „politisch mutigen Entscheidungen“.[1] Ein Blick in die einzelnen Gesetze lässt die angekündigte Energiewende jedoch in einem anderen Licht erscheinen.

Mit der Novelle des Atomgesetzes vollendete der Bundestag am 30. Juni 2011 die Rolle rückwärts der schwarz-gelben Koalition in der Atompolitik. Zeitgleich verabschiedete der Bundestag sieben weitere Gesetzesvorschläge der Bundesregierung, mit denen laut Bundeskanzlerin Angela Merkel die Energiewende beschleunigt werden sollte. Beschleunigt war jedoch allein die Geschwindigkeit, in der das Gesetzespaket innerhalb von zwei Plenarwochen durch den Bundestag gepeitscht wurde. Die Gesetze selber sind aber weder ökologisch ambitioniert noch sozial ausgewogen.

Nichts ist gut – elf weitere Jahre Atomkraft

Am 15. März, vier Tage nach dem verheerenden Erdbeben in Japan, verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die sieben ältesten Atomkraftwerke sowie das AKW Krümmel im Rahmen eines „Atom“-Moratoriums vorübergehend vom Netz gehen sollen. Durch die vom Bundestag beschlossene Atomgesetznovelle wurden diese Meiler dauerhaft stillgelegt. Die erst im Oktober zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Deutschland wurde rückgängig gemacht, das letzte AKW soll nunmehr im Jahr 2022 vom Netz gehen.

Gegenüber dem rot-grünen Atomkonsens bedeutet die Stilllegung der acht Moratoriumsmeiler eine Beschleunigung. Vier der Atomkraftwerke – Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser und Philippsburg 1 – wären laut Rot-Grün erst 2012 bzw. 2013 vom Netz gegangen. Die übrigen Atomkraftwerke sollen in fünf Etappen bis zum Ende des Jahres 2022 stillgelegt werden[2] Verglichen mit dem alten „Atomkonsens“ bedeutet dies deutlich längere Laufzeiten. Immerhin sind die Abschaltdaten zumindest fix, d.h. ein Weiterbetrieb wie unter dem Rot-Grünen Konsens durch die Übertragung von Restlaufzeiten anderer AKWs ist über dieses Jahr hinaus nun nicht mehr möglich.

In der Atomgesetznovelle wird der „Atomausstieg“ bis Ende 2022 als „frühestmöglicher Zeitpunkt“ beschrieben. In der Gesetzesbegründung behauptet die Bundesregierung gar, dass „ein vollständiger Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie (…) faktisch vor dem Jahr 2022 nicht möglich ist“. Prompt wurde in einigen Medien die Gefahr einer drohenden Stromlücke heraufbeschworen, Ängste wurden geschürt: gehen bald die Lichter aus? Dabei wurde doch nicht mehr als der „status quo ante“ hergestellt.

Blicken wir zurück in den Sommer 2010. Der rot-grüne Atomkonsens war geltendes Recht, die Energiewirtschaft auf ein Auslaufen der Atomenergie in den nächsten zehn Jahren vorbereitet. Die Energiekonzerne hatten im Jahr 2000 diesem Ausstiegspfad explizit zugestimmt. Bis zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten im Oktober 2010 war der Planungshorizont für die Energiewirtschaft also klar: Die sieben ältesten Atomkraftwerke werden bis zum Jahr 2013 abgeschaltet, das letzte Atomkraftwerk voraussichtlich im Jahr 2022 stillgelegt. So unzureichend dieser Atomkonsens war, so absurd ist es, ein Ausstiegsszenario bis zum Jahr 2020 als „Turbo-Ausstieg“[3] zu bezeichnen.

Es ist daher auch nur auf den ersten Blick erstaunlich, dass der Branchenverband der Energiewirtschaft (BDEW), dem auch die vier großen Atomkonzerne angehören, im April 2011 per Mehrheitsbeschluss einen vollständigen Atomausstieg bis zum Jahr 2020 forderte.[4] Denn ein Großteil der Investitionen in den Umbau des Kraftwerkparks wurde durch den Beschluss zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten stark gefährdet. Insbesondere viele Stadtwerke hatten sich daher dagegen positioniert.

Doch wie kommt die Bundesregierung zu ihrer Einschätzung, dass ein Atomausstieg vor dem Jahr 2022 nicht möglich sei? Dass eine schwarz-gelbe Bundesregierung die vorgelegten Ausstiegsszenarien von Greenpeace, des Öko-Instituts oder der Universität Flensburg mit deutlich früheren Zeitpunkten für den Atomausstieg ignoriert, musste befürchtet werden. Doch auch die Expertise der eigenen Fachbehörde, des Umweltbundesamtes (UBA), hielt das Bundesumweltministerium „nicht für realistisch“. Das UBA hatte in einer zunächst unter Verschluss gehaltenen Studie die Möglichkeit eines vollständigen Atomausstiegs bis zum Jahr 2017 nachgewiesen.[5] Dem Ausstiegsfahrplan der Koalition lag hingegen gar kein durchgerechnetes Ausstiegsszenario zugrunde.

Es ist viel profaner. Wie schon im rot-grünen Atomausstieg richten sich die AKW-Restlaufzeiten nach den Profitinteressen der Betreiber. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu explizit: „Auch die nunmehr vorgesehene zeitliche Befristung der Berechtigung zum Leistungsbetrieb ist (...) so ausgestaltet, dass die von dieser Regelung betroffenen Unternehmen nicht unverhältnismäßig belastet werden und den Betreibern eine Amortisation der Investitionen sowie die Erzielung eines angemessenen Gewinns weiterhin ermöglicht wird.“

Nun könnte man der Bundesregierung zugute halten, sie wolle mit einer solchen Regelung den Atomausstieg gegenüber Ansprüchen der Energiekonzerne möglichst rechtssicher gestalten. Dieser Vorsatz scheint die Feder der Gesetzesschreiber aber nicht durchgehend geführt zu haben. So findet sich im Gesetz keine Begründung dafür, dass Atomkraftwerken gleichen Alters unterschiedliche Laufzeiten zugesprochen werden. Wolfgang Renneberg, der ehemalige Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, bezeichnete in der Anhörung des Bundestags zur Atomgesetznovelle eben diese mit Blick auf mögliche Klagen der Energiekonzerne als nicht gerichtsfest. Wörtlich gab er zu Protokoll: „Meines Erachtens ist das offensichtlich. Wenn man den Ausstieg tatsächlich möchte, aber das Bundesverfassungsgericht hinterher auf Antrag darüber entscheiden lassen will mit dem Tenor: ‚Rechtlich geht das eben nicht’, dann muss man das so lassen. Wenn man das nicht will, dann muss man das ändern. Meine Voraussage ist: Wenn das nicht geändert wird, dann wird es den Betreibern nicht schwerfallen, dieses Gesetz zu kippen.“[6]

Zuständig für die Atomgesetznovelle im Bundesumweltministerium war Rennebergs Nachfolger Gerald Hennenhöfer. Eben jener Hennenhöfer, der ein Jahrzehnt zuvor als Generalbevollmächtigter für Wirtschaftspolitik des Energiekonzerns Viag, einem Vorläuferunternehmen von E.ON, noch den rot-grünen Atomkonsens auf Seiten der Atomkonzerne verhandelt und sich über die Jahre den Ruf eines ausgewiesenen Atomlobbyisten erworben hatte.

Ist mit der schwarz-gelben Kehrtwende in der Atompolitik der Ausstieg nicht zumindest mittelfristig sicher, politisch quasi unumkehrbar? So hatte die Bundesdelegiertenkonferenz der Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN Ende Juni 2011 im Beschluss zur Unterstützung des Merkelschen Atomkompromiss argumentiert: „Für uns Grüne ist der breite Konsens möglichst aller politischen Parteien im Bundestag für den Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie Atom ein Wert an sich. Damit wird vor einem erneuten Ausstieg vom Ausstieg eine extrem hohe politische Hürde errichtet.“[7] Der stufenweise Ausstiegsfahrplan ist jedoch so gestaltet, dass kurz nach der Bundestagswahl im Jahr 2021 innerhalb von 13 Monaten sechs Atomkraftwerke vom Netz gehen müssten. Zehn Jahre nach Fukushima ist dann ein erneuter parteipolitischer Stimmungswandel nicht auszuschließen. Am Rande des Grünen-Parteitags waren schon fiktive CDU-Wahlkampfplakate aus dem Jahre 2021 zu sehen: „Stromversorgung sichern! Laufzeitverlängerung jetzt!“.

Um ein solches Szenario ausschließen zu können, müsste die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien tatsächlich und nicht nur rhetorisch beschleunigt werden. Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzespaket stimmt da wenig zuversichtlich.

Keine Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien

Das zentrale Förderinstrument zum Ausbau erneuerbarer Energien im Strombereich ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Das EEG schreibt Stromnetzbetreibern vor, Strom aus erneuerbaren Energien vorrangig abzunehmen und feste Vergütungssätze je Kilowattstunde eingespeisten Stroms aus Anlagen erneuerbarer Energien über einen Zeitraum von zwanzig Jahren zu zahlen. Die Höhe der Vergütungssätze hängen vom Zeitpunkt der Installation der Anlage ab. In der Regel vermindern sie sich jährlich um einen bestimmten Prozentsatz. Dies folgt der Annahme, dass auch die Anlagenkosten im Laufe der Jahre sinken.

Die festen Einspeisetarife modellieren quasi einen Markt für Strom aus erneuerbaren Energien. Um auf Marktentwicklungen reagieren zu können sieht das EEG vor, dass die Bundesregierung in regelmäßigen Abständen die Wirkungen des Gesetzes im Rahmen eines Erfahrungsberichtes evaluiert und in der Folge entsprechende Anpassungen im Gesetz vornimmt. Da der letzte Erfahrungsbericht laut EEG Ende 2010 fällig war, stand eine Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2011 lange vor Fukushima auf der Agenda von Bundesregierung und Bundestag.

Anders als von der Bundesregierung in die Öffentlichkeit kommuniziert, stand die Neufassung des EEG in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Gesetzesnovelle zum „Atomausstieg“. Umso ärgerlicher war es für viele am Gesetzgebungsverfahren Beteiligte, dass das EEG ohne fachliche Notwendigkeit an die Beratung des Atomkompromisses gekoppelt und damit in zwei Plenarwochen durch den Bundestag gepeitscht wurde. So fand die Sachverständigen-Anhörung des Bundestages zum EEG bereits 48 Stunden nach Vorliegen des über 200-seitigen Gesetzesentwurfs statt. Ausschlaggebend dafür war der politische Wille der Koalition, das Thema „Atom/Energie“ vor der parlamentarischen Sommerpause vom Tisch und aus der Öffentlichkeit zu haben. Das geplante Inkrafttreten des novellierten EEG zum 1. Januar 2012 hätte auch eine längere, der Komplexität des Gesetzes angemessene parlamentarische Beratung problemlos ermöglicht. Jenseits des äußerst fragwürdigen Umgangs der schwarz-gelben Koalitionäre mit der legislativen Hoheit des Bundestages wurden so fahrlässig handwerkliche Fehler im Gesetz mit potenziell erheblichem Einfluss auf die Zukunft einzelner Branchen im Bereich der erneuerbaren Energien in Kauf genommen. Das Bundesumweltministerium bat denn auch Anfang Oktober den Bundestagspräsidenten um die Einwilligung zu Korrekturen an der EEG-Novelle – ohne erneute Behandlung im Bundestag.

Die EEG-Novelle weist drei zentrale Schwachpunkte auf. Sie ist erstens, entgegen der Merkelschen Ankündigung von der beschleunigten Energiewende, wenig ambitioniert. Das im EEG nun verankerte Ausbauziel für Strom aus erneuerbaren Energien ist das des alten Energiekonzepts von Herbst 2010. Bis zum Jahr 2020 soll 35 Prozent der Stromversorgung aus erneuerbaren Quellen stammen. Im Zentrum des Energiekonzepts 2010 stand jedoch die AKW-Laufzeitverlängerung. Deren zwischenzeitliche Rücknahme ging nicht einher mit einer anspruchsvolleren Zielsetzung beim Ausbau erneuerbarer Energien. Weniger Atomstrom im Jahr 2020 bei unveränderter Zielsetzung für den Ausbau erneuerbarer Energien bedeutet aber zwangsläufig eine Steigerung des Anteils fossiler Kraftwerke bei der Stromversorgung. Die beschleunigte Energiewende á la Schwarz-Gelb zielt also zuvorderst auf einen Zubau von Kohle- und Gaskraftwerken.

Dabei wäre, die richtige politische Rahmensetzung vorausgesetzt, viel mehr möglich. Im ersten Halbjahr 2011 überstieg der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung erstmals die 20 Prozent-Marke. Im letzten Jahrzehnt verdreifachte sich damit der Beitrag von Wind, Sonne & Co.. Laut Ausbauprognose des Bundesverbandes Erneuerbare Energien ist ein Anteil von 47 Prozent am Stromverbrauch bis 2020 möglich.[8] In der Vergangenheit wurden die Branchenprognosen immer übertroffen. Die Deutsche Energieagentur hat aus Prognosen der Bundesländer abgeleitet, dass erneuerbare Energien bis zum Jahr 2020 einen Anteil von über fünfzig Prozent zur Stromversorgung beisteuern können.[9]

Das novellierte Erneuerbare-Energien-Gesetz spielt, zweitens, den großen Energieversorgern in die Hände und geht zu Lasten mittelständischer, dezentraler Strukturen. Kapitalintensive Anlagetypen wie offshore-Windparks und große Biogasanlagen werden besser gestellt, Windenergie an Land als die – von Wasserkraft abgesehen – mit Abstand kostengünstigste erneuerbare Energie wird dagegen schlechter gestellt. Damit werden insbesondere den Energiekonzernen neue Investitionsfelder geboten. Die Einspeisevergütung für (dezentralen) Photovoltaikstrom wurde hingegen seit Juli 2010 bereits in mehreren Schritten so drastisch gekürzt, dass der Zubau an Solaranlagen im ersten Halbjahr 2011 eingebrochen ist.

Das erneuerte EEG weist, drittens, eine soziale Schieflage auf. Die EEG-Kosten werden durch eine Umlage von gegenwärtig 3,5 Cent pro Kilowattstunde von den Stromverbraucherinnen und -verbrauchern getragen. Die Übernahme der EEG-Kostenumlage für die energieintensive Industrie ist hingegen auf ein Minimum beschränkt. Anstelle von gegenwärtig 3,5 Cent pro Kilowattstunde müssen die energieintensiven Konzerne nur einen ermäßigten Satz der EEG-Umlage in Höhe von 0,05 bis 0,35 Cent pro Kilowattstunde übernehmen. Dem steht die preisdämpfende Wirkung erneuerbarer Energien an der Strombörse gegenüber, die das Bundesumweltministerium auf gegenwärtig etwa 0,6 Cent pro Kilowattstunde beziffert.[10] Das EEG senkt damit im Saldo die Stromkosten der Industrie in beträchtlichem Umfang. Mit dem Argument der internationalen Wettbewerbsfähigkeit wurde die sog. EEG-Ausgleichsregelung nichtsdestotrotz massiv ausgeweitet. Dies zieht nicht nur einen geringeren Anreiz zum Energiesparen in diesen energieintensiven Industriezweigen nach sich, sondern führt auch zu einer Erhöhung der EEG-Umlage für kleine und mittlere Unternehmen sowie private Haushalte.

Energie- und Klimafonds – verdient er seinen Namen?

Weitere Neuerungen betreffen den „Energie- und Klimafonds“ der Bundesregierung. Im Herbst 2010 eingerichtet zielte er insbesondere auf die Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Der Fonds war Resultat des Kuhhandels zwischen Regierung und Atomkonzernen um die AKW-Laufzeitverlängerungen. Im Gegenzug für die verlängerte Lebensdauer ihrer Atommeiler verpflichteten sich die Energieversorger zur Zahlung von Abgaben. Eben diese sollten den Fonds speisen. Diese Gelder fielen nun weg. Durch die Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ fließen ab dem Jahr 2012 alle Einnahmen aus der Versteigerung der CO2-Zertifikate im Emissionshandel in den Fonds. Bislang waren Geldflüsse aus den Emissionshandelseinnahmen nur vorgesehen, wenn diese 900 Mio. Euro im Jahr übersteigen.

Neben zahlreichen sinnvollen Ausgaben des Fonds soll ab dem Jahr 2013 eine halbe Milliarde Euro jährlich der energieintensiven Industrie zum Ausgleich emissionshandelsbedingter Strompreiserhöhungen zugutekommen. Dies ist nach den Sonderregelungen im EEG (s.o.), den Privilegien bei der Ökosteuer und der weiterhin kostenlosen Vergabe der CO2-Zertifikate im Emissionshandel der vierte Mechanismus zur Subventionierung der energieintensiven Industrie. Diese wird daher in der Summe durch klimapolitische Maßnahmen nicht belastet, sondern netto in bedeutendem Umfang entlastet. Damit werden Klimaschutzinstrumente in ihr Gegenteil verkehrt.

Aber damit nicht genug. Durch den vermeintlichen Klimaschutzfonds sollen zukünftig auch neue Kohle- und Gaskraftwerke gefördert werden. In den Jahren 2013 bis 2016 soll der „Neubau hocheffizienter, flexibler und CCS-fähiger fossiler Kraftwerke, vorrangig mit Kraft-Wärme-Kopplung, mit bis zu 5 Prozent der jährlichen Ausgaben des Energie- und Klimafonds“ gefördert werden, so die Bundesregierung.[11] Die Fördergelder werden im Haushaltsplan des Fonds aus dem Haushaltstitel „Energieeffizienzfonds“ entnommen. Anstatt die Stromnachfrage durch einen sparsamen und effizienten Umgang mit Energie zu verringern, wie es der Budgettitel suggeriert, wird also fleißig die Angebotsseite, die Stromerzeugung in konventionellen Kraftwerken, subventioniert. Eine Unterstützung soll dabei bis zu einer Höhe von 15 Prozent der gesamten Investitionskosten möglich sein. Immerhin sollen in den Genuss der Förderung nur Energieversorger mit einem Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland von weniger als fünf Prozent kommen. Die Großen Vier – RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall – sind also außen vor. Ein Kohlekraftwerk wird jedoch auch dann nicht zu einer Klimaschutzinvestition, wenn es von Stadtwerken erbaut und betrieben wird.

Netzausbaubeschleunigungsgesetz

Dieser Gesetzestitel lässt wenig Gutes erwarten. Schließlich wurden in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Planungsbeschleunigungsgesetze erlassen, die insbesondere den Abbau der Öffentlichkeitsbeteiligung nach sich zogen. Doch dem ist diesmal nicht so. Der Einbezug der Öffentlichkeit in die Planung neuer Stromnetze wurde leicht verbessert, die Möglichkeit der vor Ort oftmals weniger kontroversen Erdverkabelung für Hochspannungsleitungen auf der 110 Kilovolt-Ebene erleichtert. Der Geltungsbereich des neu geschaffenen Gesetzes umfasst allerdings nur solche Netzausbauten, die über Bundesländergrenzen hinweg gehen. Über eine Zentralisierung der Planungsverfahren durch eine Verlagerung von Zuständigkeiten von der Landes- auf die Bundesebene soll die namensgebende Beschleunigung des Netzausbaus erfolgen.

Unbestritten ist, dass die Infrastruktur aus Stromnetzen und -speichern auf dem Weg zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien umgebaut werden muss. Die Vorstellungen davon, wie diese Anpassung geschehen soll, liegen allerdings weit auseinander. Die Bundesregierung lehnt sich an die Netzausbau-Studie der Deutschen Energieagentur (dena) [12] an und kommt so auf einen Ausbaubedarf der Höchstspannungsnetze von 3.600 km. Andere Studien gelangen mit leicht geänderten Annahmen auf nur 500 km Ausbaubedarf.[13] Die sogenannte „dena-II-Netzstudie“ ist dabei nicht frei von Lobbyinteressen, im Gegenteil: sie wurde zusammen mit den vier Netzbetreibern und anderen Unternehmensverbänden erstellt. Sie hat zudem große methodische Schwächen: Der Zeithorizont ist zu kurz, sie ist aus einer betriebs- statt gesamtwirtschaftlichen Perspektive heraus geschrieben und vernachlässigt die Frage der Integration in den europäische Netzverbund. Vor allem zielt die „dena-II-Studie“ nicht primär auf die Integration erneuerbarer Energien ab.

Statt den Netzausbau auf einer wackeligen Datengrundlage voranzutreiben, die sich zudem nicht am konsequenten Umstieg auf erneuerbare Energien orientiert, hätte es einer neuerlichen Feststellung und Bewertung des tatsächlichen Um- und Ausbaubedarfs als Basis für eine Bundesnetzplanung bedurft. Angesichts der anstehenden Weichenstellungen über den Umbau der Infrastruktur für die Stromversorgung drängt sich zudem die Frage auf, ob dieser in den Händen von privaten Unternehmen mit jeweils ganz eigenen Interessen gut aufgehoben ist.

Vier weitere Gesetze wurden beschlossen…

Das Paket zum Atomausstieg und zur „Energiewende“ enthielt vier weitere Gesetzesvorlagen, die allesamt innerhalb von zwei Sitzungswochen im Juni 2011 durch den Bundestag geschleust wurden.

Das „Energiewirtschaftsgesetz“ wurde an EU-Vorgaben angepasst. Energieversorger haben u.a. zukünftig erhöhte Informationspflichten, was zu mehr Transparenz für die Kundinnen und Kunden führt. Kommunen erhalten bei auslaufenden Konzessionsverträgen zur Nutzung der lokalen Stromnetze mehr Rechte. Über die Umsetzung der EU-Vorgaben hinaus setzen die Gesetzesänderungen aber keine Impulse für ein schnelles Umsteuern in Richtung erneuerbare Energien. Die für die strategische Netzum- und -ausbauplanung erforderlichen Daten der Stromnetzbetreiber müssten öffentlich zugänglich sein – sonst wird der Netzumbau zum Flaschenhals für den Ausbau erneuerbarer Energien. Der bestehende fossile und nukleare Kraftwerkspark müsste klare Pflichten zum flexiblen Einsatz mit Blick auf den steigenden Anteil erneuerbarer Energien auferlegt bekommen. All dies ist nicht geschehen.

Darüber hinaus wurden schiffahrtsrechtliche Vorschriften zugunsten eines beschleunigten Ausbaus der Windenergie in Nord- und Oststee (offshore) geändert. Positiv ist die zeitliche Befristung von Genehmigungsbescheiden für offshore-Windparks. Denn die bisherige Praxis der Vorratsgenehmigung ist unbefriedigend: Unternehmen holen die Genehmigung ein, sind dann über Jahre untätig, ohne dass jemand anders auf den genehmigten Flächen investieren könnte. Bedenklich ist aber eine neue Gesetzespassage, die der Bundesregierung per Verordnung Abweichungen vom Verwaltungsverfahrensgesetz ermöglicht. Dies kann die Einschränkung der Beteiligungsrechte von Umweltverbänden ebenso wie verringerte Anforderungen an Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) bedeuten. Auf hoher See in der Ausschließlichen Wirtschaftszone gibt es keine Anwohnerinnen und Anwohner mit Beteiligungsrechten. Gerade deshalb ist die formale Beteiligung der Umweltverbände sowie eine reguläre UVP von großer Bedeutung, damit der Ausbau der offshore-Windenergie nicht zu Lasten der Meeresumwelt geht.

Durch das „Gesetz zur Stärkung der klimagerechten Entwicklung in den Städten und Gemeinden“ wurde eine Klimaschutzklausel im Baugesetzbuch verankert. Der Einsatz von erneuerbaren Energien in urbanen Räumen, insbesondere Photovoltaik-Anlagen an oder auf Gebäuden, wird dadurch erleichtert. Auch wenn der Fokus auf die Energieversorgung den Herausforderungen des Klimawandels für die Stadtentwicklung nicht gerecht wird, ist dies zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

Last but not least sah ein weiteres Gesetz Steuererleichterungen für die energetische Sanierung von Mietshäusern und Eigenheimen vor, die vor 1995 erbaut wurden. Großverdiener und Wohnungsbauunternehmen würden dadurch bevorteilt, weniger gut Betuchten aber nicht die Mittel für eine erforderliche Gebäudesanierung verschafft. Da der Bundesrat dieses Gesetz aber vorläufig stoppte, ist sein Inkrafttreten gegenwärtig nicht absehbar.

Systementscheidung verschoben

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) hat die Mindestanforderungen an eine wirkliche Energiewende in seinem Gutachten „Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung“[14] prägnant beschrieben. Der SRU spricht von der „Notwendigkeit einer Systementscheidung“. Große Grundlastkraftwerke, also Atom- und Kohlemeiler, blockieren den Ausbau erneuerbarer Energien. Schwer regelbare Atom- und Kohlekraftwerke, die technisch-ökonomisch auf die beständige Erzeugung von Grundlaststrom angelegt sind, passen nicht zu stark fluktuierenden regenerativen Energiequellen. Ein konsequenter Umbau hin zu erneuerbaren Energien ist nicht mit einer vermeintlichen Übergangsstrategie des Baus neuer Kohlekraftwerke vereinbar.

Eben diese Weichenstellung hat die Bundesregierung mit ihrem Gesetzespaket zur Energiewende nicht vollzogen. Im Gegenteil: Sie setzt auf Investitionszuschüsse für neue Kohlekraftwerke, um den Übergang zu gestalten. Sie nimmt dabei in kauf, dass diese Kraftwerke mit Betriebszeiten von vierzig Jahren den Entwicklungspfad hin zu einer erneuerbaren Vollversorgung buchstäblich verbauen. Auch das Setzen auf die vermeintliche Zukunftstechnologie der CO2-Abtrennung und -Speicherung (CCS) würde zukünftige Kohlekraftwerke womöglich etwas emissionsärmer machen, aber eben doch den Bau weiterer Grundlastkraftwerke befördern – ganz abgesehen von den mit der unterirdischen CO2-Verpressung einhergehenden Risiken und des dadurch beförderten Abbaggerns von Dörfern und Landschaften bei der Braunkohleförderung.

Das kurze Intermezzo der AKW-Laufzeitverlängerungen wurde beendet und das ist gut so. Die „Neue Energie für Deutschland“ ist aber erstmal die alte aus der Zeit vor der atompolitischen Irrfahrt der Bundesregierung.

[1] Bild der Wissenschaft, 10/2011, S. 93.

[2] Ende 2015: AKW Grafenrheinfeld; 2017: AKW Gundremmingen B; 2019: AKW Philippsburg 2; 2021: AKW Grohnde, Gundremmingen C und Brokdorf; 2022: AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2.

[3] Spiegel-online, 17. März 2011.

[4] Beschluss des Vorstands des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, BDEW: Zur aktuellen energiepolitischen Lage. 8. April 2011, Berlin.

[5] Umweltbundesamt: Hintergrundpapier zur Umstrukturierung der Stromversorgung in Deutschland. Mai 2011, Dessau-.Roßlau.

[6] Deutscher Bundestag, Protokoll-Nr. 17/46, S. 18.

[7] BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: Energiewende in Deutschland – Grün geht voran. Beschluss der Außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz, 25. Juni 2011, Berlin.

[8] Stromversorgung 2020. Wege in eine moderne Energiewirtschaft. Strom-Ausbauprognose der Erneuerbare-Energien-Branche. Januar 2009, Berlin.

[9] Deutsche Energie-Agentur: Zusammenführung der Zielsetzungen/Ausbauerwartungen der Bundesländer (bottom up-Analyse). Präsentation bei der Plattform „Zukunftsfähige Netze“ des Bundeswirtschaftsministeriums, Juli 2011, Berlin.

[10] Deutscher Bundestag, Drucksache 17/6954, S. 129.

[11] Deutscher Bundestag, Drucksache 17/6779, S. 2.

[12] Deutsche Energie-Agentur: dena-Netzstudie II. November 2010, Berlin.

[13] Consentec/r2b: Voraussetzungen einer optimalen Integration erneuerbarer Energien in das Stromversorgungssystem. Juni 2010, Aachen/Köln.

[14] Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung: Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung. Sondergutachten. Januar 2011, Berlin.