Das heutige Geld im Focus alternativer Theorien und Geschichtsbilder

von Ulrich Busch
Juni 2015

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Die Finanzkrise seit 2008 hat die kapitalistische Weltwirtschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Dies erklärt, warum sie von Anfang an von heftiger Kritik und einer intensiven Suche nach den Ursachen und nach den Schuldigen begleitet war. Anfangs standen die Akteure der Finanzindustrie, Investmentbanker, Fondsmanager und Börsenjobber, im Zentrum der Kritik. Dabei wurde nicht selten der Boden sachlicher Auseinandersetzung verlassen und undifferenziert auf sie eingeprügelt, so als gäbe es kein Systemversagen des Finanzmarktkapitalismus! Inzwischen wurde die Auseinandersetzung prinzipieller und ergreift die Geld- und Kreditwirtschaft als Ganzes, den globalen Finanzkapitalismus, die profit- und zinsgesteuerte Marktwirtschaft – letztlich alles, was mit Geld, Kredit und Finanzen zu tun hat. In diesem Kontext werden die Geschichte des Geldes und der Geldtheorie wieder interessant und damit auch heterodoxe und alternative Ansätze geldtheoretischer Erklärung wie geldwirtschaftlicher Praxis. Häufig verbinden sich in diesen Überlegungen Reformvorstellungen und produktive Gestaltungsabsichten mit radikalen geldkritischen Positionen, alten und neuen Ressentiments gegenüber dem Geld sowie über die traditionelle Geldwirtschaft hinausweisenden Ideen. Die Finanzkrise verschafft derartigen Ideen verstärkt Gehör, wie die Erfolge einschlägiger Titel, die häufig in kurzer Zeit gleich mehrere Auflagen erlebt haben, belegen.

Vollgeld-Konzept

Eine der populärsten Ideen zur Reform der Geldordnung ist das Vollgeld-Konzept. Es geht unter anderem zurück auf den US-amerikanischen Ökonomen Irving Fisher (1867-1947) und dessen Buch „100%-Money“ aus dem Jahr 1935. Dort steht, dass „der Kern des 100%-Plans in der Unabhängigkeit des Geldes von Krediten“ besteht, was nichts anderes heißt, als dass „das Verfahren zur Schöpfung und Vernichtung von Geld von den Bankgeschäften getrennt“[2] werden soll. Seitdem gab es viele Versuche, diese Idee weiterzudenken und zu verfeinern. Herausgekommen ist dabei ein Konzept, das nicht nur die vollständige Deckung des durch die Geschäftsbanken geschöpften Buchgeldes durch Zentralbankgeld verlangt, sondern auch die Aufhebung der kreditmäßigen Geldordnung und deren komplette Ersetzung durch ein Vollgeldsystem. Kern desselben wäre die Auflösung der bisherigen Verquickung von Geld und Kredit und die Übertragung der Giralgeldschöpfung, die im jetzigen System den Banken obliegt, an eine unabhängige staatliche Instanz. Das Giralgeld würde dadurch zu vollwertigem gesetzlichem Zahlungsmittel werden und der Geldschöpfungsgewinn würde vollständig und automatisch dem öffentlichen Haushalt zufallen. Hauptvertreter dieser Richtung in Deutschland ist der Hallenser Ökonom Joseph Huber. Sein Buch „Vollgeld“ erschien 1998; sein Hauptwerk zu diesem Thema liegt inzwischen in vierter Auflage vor.[3]

Bei der hier vorliegenden Publikation (I), verfasst von den beiden Bürgerrechtlern und Initiatoren einer Vollgeld-Initiative in der Schweiz Thomas Mayer und Roman Huber, handelt es sich nicht um ein geldtheoretisches oder finanzwissenschaftliches Werk, sondern um ein propagandistisches Aufklärungsbuch, ein Plädoyer für ein politisches Projekt, die Initiative für sicheres und stabiles Geld in einer von Unsicherheit und Instabilität geprägten Gesellschaft. Reduziert man den Inhalt auf die Feststellung, dass das Giral- bzw. E-Geld heute größtenteils von (Geschäfts-)Banken geschöpft wird und der dabei auftretende Geldschöpfungsgewinn, die Seigniorage, der Allgemeinheit vorenthalten wird, was dadurch geändert werden soll, dass die Geldemission künftig ausschließlich der Zentralbank übertragen wird und der erzielte Gewinn vollumfänglich dem Staat zufließt, so lässt sich dagegen kaum etwas einwenden. Die Autoren belassen es aber nicht bei dieser Reformidee, sondern verbinden damit Überlegungen zur Wirtschaftspolitik, zur Geld- und Finanzordnung, zur Verteilung, Umverteilung usw., was angesichts der Versimpelung komplizierter Zusammenhänge und Funktionsabläufe, nicht hinreichend begründeter Annahmen sowie Trug- und Fehlschlüsse nicht nur Zustimmung findet, sondern auch Kritik und Widerspruch hervorruft.

Die Seigniorage nicht den Banken zu überlassen, sondern sie zu zentralisieren und dem Staat zuzuführen, ist eine Forderung, über die man ernsthaft nachdenken sollte. Die Einführung von Vollgeld könnte ein Weg dazu sein. Die immer stärkere Abwicklung des Zahlungsverkehrs mittels Buchgeld und die faktische Gleichbehandlung von Zentralbank- und Geschäftsbankengeld im täglichen Verkehr sind hierfür starke Argumente. Vollgeld bedeutet „Zentralbankgeld für alle“ (I: 80). Seine Einführung aber wäre ein waghalsiges Experiment, zumal „erhebliche Zweifel am erhofften Nutzen“ bestehen und sich „scheinbar plausible Annahmen als unzutreffend erweisen“ könnten, so der Präsident der Schweizerischen Nationalbank Thomas Jordan am 23.11.2014. Derartige Zweifel zu zerstreuen ist das erklärte Ziel, das die Autoren mit ihrem Buch anstreben. Dazu formulieren sie eingangs einige Thesen, worin Vollgeld als Allheilmittel für die bestehenden Finanzprobleme angepriesen wird, als ein „Wunder“, von dem „fast jede und jeder“ profitieren würde. Mit Vollgeld, so die Autoren, gäbe es mehr Sicherheit, keine Inflation, weniger Spekulation, keine Finanzblasen, dafür aber „zusätzlich 5 Billionen Euro“ zum Verteilen (10f.), mehr Wettbewerbsgleichheit, weniger Wachstumsdruck, Tilgung der Staatsschulden u.a.m. Geld würde dadurch zu einem „positiven und schuldfreien Wert“ und es gäbe endlich „Geldvermögen ohne Verschuldung“ (84).

Obwohl hier einiges durcheinander geht, lassen sich zwei Argumentationslinien ausmachen: die Kritik an der bestehenden Geldordnung und die Herausarbeitung der Vorzüge eines Vollgeldsystems. Das dritte Kapitel vermittelt einen Überblick über die gegenwärtige Geldordnung und die Funktionsweise des zweistufigen Bankensystems. Der Autor (Mayer) geht dabei vom Münzgeld aus, was methodologisch anfechtbar ist, da es sich bei dem heutigen Geld um Kreditgeld handelt. Dahinter steckt aber mehr als ein begriffliches Problem: Kreditgeld taucht hier nur als „Schuldgeld“ (72) auf, was den wirklichen Zusammenhang, die historische Genesis der Banknote aus dem Wechsel und des E-Geldes aus dem Buchgeld der Banken, verkennt. Auch wird der Unterschied zwischen Banknoten und (staatlichem) Papiergeld sowie zwischen Staatsverschuldung und Geldumlauf nicht deutlich. Bezeichnend für die Konfusion sind Aussagen, wonach „Papiergeld […] als Quittung für hinterlegtes Gold“ (77) entstanden sei oder, dass sich die Staaten, da sie „den Banken die Giralgeldschöpfung überlassen haben“, nun verschulden müssen, „damit genug Geld im Umlauf ist“ (69). Schließlich wird noch ausgerechnet, wie viel „schuldfreies Geld“ jeder Bürger „guten Gewissens“ besitzen darf: es sind genau 7.878 Euro (85). Gegen Ende des Kapitels resümiert der Autor: „Alle reden ständig über Geld und kennen nicht einmal die grundlegendsten Zusammenhänge.“ (79) Wie wahr! Schlimmer aber ist, dass einige von denen auch noch darüber schreiben.

Der Hauptteil des Buches ist den „Vorzügen des Vollgeldes“ gewidmet. Der eigentliche Knaller dabei sind die 5.000.000.000.000 Euro, die der Autor den Bürgerinnen und Bürgern im Euroraum im Falle seiner Einführung als „Mehreinnahmen“ in Aussicht stellt. Anfangs hat es den Anschein, als würden diese Mittel einem „Wunder“ (10) entstammen, dann aber ist von einer „Übergangsfrist von 15 Jahren“ (127) bzw. „von 10 bis 20 Jahren“ die Rede, was wohl bedeuten soll, dass sich dieser Betrag kumulativ versteht bzw. als „Gewinn“ erst in Zukunft anfällt. „Vollgeld kommt nicht […] durch Kredite, sondern durch schuldfreie Übergabe an Staat und Bürgerinnen und Bürger in Umlauf.“ (130) Aber der Emissionsgewinn bezieht sich immer nur auf den Zuwachs der Geldmenge M1. Dieser lag zuletzt, in einer Zeit starker Geldmengenexpansion, im Euroraum bei ca. 400 Milliarden Euro jährlich. Zieht man hiervon den Zuwachs des Bargeldumlaufs in Höhe von 40 bis 50 Mrd. Euro ab und rechnet die Restgröße dann hoch auf 15 oder 20 Jahre, so gelangt man in der Tat zu einer Größenordnung von 5 Billionen Euro. Die Rechnung von Mayer geht aber trotzdem nicht auf, denn erstens geht er selbst davon aus, dass heute „zu viel Geld im Umlauf“ (129) ist, zweitens, dass das Wirtschaftswachstum künftig gedämpft verlaufen soll, was die Geldemission einschränken würde, und drittens, dass die Staatsverschuldung sinkt. All das aber hätte zur Folge, dass die Zuwächse der Geldmenge künftig sehr viel kleiner ausfallen würden als bisher. Ganz abgesehen von Substitutionsprozessen zwischen M1, M2 und M3 sowie einer Zunahme des Geldkapitals[4], wodurch spürbar weniger M1-Geld benötigt wird. Gibt es aber keine Expansion von M1, so gibt es auch keinen Geldschöpfungsgewinn, den man über den Fiskus umverteilen könnte!

Überhaupt sind die Vorstellungen des Autors, was sich alles mit Hilfe des Gewinns finanzieren ließe, unrealistisch: Staatsschulden abbauen, Sozialleistungen bezahlen, ein Grundeinkommen für alle usw. J. Huber z.B. ist längst zu der Erkenntnis gelangt, dass diese Mittel „nicht im entferntesten für ein Grundeinkommen“ reichen würden. Man könnte damit „kaum mehr als etwa 1,5 bis 4,5 Prozent“ eines solchen finanzieren (Huber 2013: 131). Trotzdem vertritt Mayer die utopische Auffassung, die Vollgeld-Reform sei ein Billionen-Geschenk, „vermutlich der einzige Free Lunch, den es in der Ökonomie gibt“ (170). Das klingt verheißungsvoll, ist aber falsch. Diese Aussage ist schon deshalb fragwürdig, weil die „5 Billionen Euro“ nirgends in Erscheinung treten. Mayer behauptet, der Geldschöpfungsgewinn falle den Banken zu, aber nicht als Einnahme, sondern lediglich als „vermiedene Kosten“ (58) oder, indem die Banken ihn „an die Kunden“ weitergeben (290). Damit aber erweist er sich als ein theoretisches Konstrukt, das nur zu einem Teil real wird, um wie viel, „weiß niemand genau“ (ebd.). Auf diese nicht belastbare und theoretisch wie praktisch wackelige Konstruktion aber setzen Mayer und Co. ein „politisches Konzept“, das Vollgeldsystem, verbunden mit dem großartigen Versprechen eines Free Lunch für alle in Höhe von „5 Billionen Euro“. Im Ergebnis soll eine stabile „Postwachstumsökonomie“ (268) entstehen, mit Demokratie und viel Sinn für Soziales. Vielleicht aber führt eine solche Reform auch bloß zu viel Chaos und wenig Ökonomie. Die Vollgeld-Idee hat möglicherweise einiges für sich, das soll nicht bestritten werden. Als Konzept gegen Ungerechtigkeit (9), „Materialismus“ (217), „Inflation“ und „Wachstumsdruck“ (268) und für einen „Free Lunch“ in Billionenhöhe scheint es jedoch wenig geeignet und nicht ausreichend begründet.

Geld als soziale Technologie

Einen gänzlich anderen Ansatz vertritt der Autor des zweiten Buches (II), Felix Martin. Er lehnt das Tauschparadigma, die Voraussetzung aller konventionellen Gelderklärungen, als „von Grund auf falsch“ (19) ab und entwickelt eine „alternative Konzeption des Geldes“ (41), in deren Zentrum der Kredit steht. Geld ist danach „eine Sonderform des Kredits“ (25), „übertragbarer Kredit“ (41, 264), ein „System von Kreditkonten und ihrer Verrechnung“ (24). Es ist mithin „kein Ding“, sondern eine „soziale Technologie“ (48). Die Herleitung des Geldbegriffs erfolgt logisch-historisch, indem drei grundlegende Komponenten des Geldes entwickelt und anschließend in ihren historischen Erscheinungsformen erläutert werden. Diese sind „das System der Buchführung“, das auf der Schrift und der Arithmetik basiert und zuerst in Mesopotamien aufkam, ein „universeller Wertmaßstab“ und ein „Standard“ für dessen Messung. Durch die Kombination dieser Komponenten waren die Voraussetzungen für die Erfindung des Geldes erfüllt. Der historische Ort dafür waren die Stadtstaaten des antiken Griechenland, welche so zu den „ersten monetär organisierten Gesellschaften“ (86) wurden.

Die moderne „Naturgeschichte“ des Geldes besitzt nach Martin ihren Ursprung im Handel. Im breiten Erzählstil, ganz ohne Zahlen, Tabellen und Grafiken, wie sie sonst ökonomische Texte zieren, führt er den Leser durch die Jahrhunderte und zeigt ihm, wie Kaufleute und Banker ein „perfektioniertes System der Handelsfinanzierung auf Wechselbasis“ (144) schufen, ein „Kreditnetzwerk“, das nicht auf Edelmetall beruhte, sondern auf „Vertrauen“ und wie hieraus schließlich das moderne Geld hervorging. Bemerkenswert ist seine theoriehistorische Linienführung, womit die historische Entwicklung untermauert wird: Im Unterschied zu der sonst üblichen dogmenhistorischen Ahnenreihe Locke – Hume – Smith – Ricardo – Say – J. St. Mill – Marx usw. setzt er eine alternative Reihe, nämlich: Law – Steuart – Bagehot – Keynes – Fisher – Minsky – Friedman – Goodhart usw. Den entscheidenden geldtheoretischen Fehler lastet er John Locke an, welcher 1696 das Geld zum „Objekt“ erklärte und damit der für die ökonomische Klassik charakteristischen Gleichsetzung von Geld und Gold den Weg bereitet hat (188, 346ff.). Auch Marx blieb bekanntlich dieser Tradition verhaftet und spielt daher im Konzept von Martin keine Rolle. Sein Hauptwerk wird im Literaturverzeichnis nicht einmal erwähnt. Anders der große Neuerer John Law. Dieser sah im Geld einen „übertragbaren Kredit“ (221) und plädierte für einen flexiblen Währungsstandard (241), was eine feste Bindung an ein Edelmetall „von vornherein ausschloss“ (222). Sein Geldkonzept war „originell, innovativ und seiner Zeit Jahrhunderte voraus“ (234). Das daraus hervorgegangene „Fiatgeld“ war, auch wenn es zunächst praktisch scheiterte, letztlich das zukunftsweisende Modell für unser Geldsystem seit 1973 (235).

Bezeichnend für das Werk ist ein fortgesetzter Wechsel der Zeitebenen. Der Autor versucht weder einen historischen Abriss der Geldgeschichte zu geben noch eine theoriehistorische Darstellung. Das Buch ist auch keine Analyse gegenwärtiger Finanzprobleme. Und doch ist es dies alles gleichzeitig. Das macht seine Lektüre spannend und abwechslungsreich, denn erst die aktuellen Bezüge erhellen den Sinn historischer Aussagen und erst praktische Probleme lassen die Problematik theoretischer Defizite, Fehler oder Irrwege erkennen. Anregend und überzeugend arbeitet Martin heraus, dass viele finanzielle Probleme bis heute auch daher rühren, dass unser Geldverständnis hinter der Wirklichkeit des Geldes zurückgeblieben ist. Immer noch dominiert in finanziellen Fragen eine Sicht, die auf Locke, Smith und Marx zurückgeht und die im Geld „eine Sache“ erblickt, aber nicht eine „soziale Technologie“. Dabei steht längst eine alternative Betrachtungsweise des Geldes zur Verfügung, die es erlaubt, dessen „Potenzial als bedeutendstes Instrument der Selbstverwaltung, das je erfunden wurde, zu realisieren“ (364). Trotzdem bleiben einige wichtige Fragen offen. So weist der Autor zwar auf theoretische Aspekte der gegenwärtigen Finanzkrise hin, auf das große Risiko der Schattenbanken, auf ungelöste Strukturfragen im Finanzsektor (338f.), auf den Geldschöpfungsgewinn der Banken und auf Reformansätze, diesen für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Sein Lösungsansatz einer „sachgerechten Restrukturierung des Geld- und Bankwesens“ (341) bleibt jedoch allzu unverbindlich und allgemein, um wirklich etwas zu bewegen.

Theoriegeschichte des Geldes

Der dritte Band (III) ist ein Jubiläumsband, ediert für den Geld- und Wirtschaftstheorienhistoriker Heinz Rieter. Er passt insofern zu den beiden anderen Büchern, als er Theorien und Konzepten gewidmet ist, die außerhalb des Mainstreams angesiedelt sind. Im Unterschied zur herkömmlichen Lesart älterer Texte versteht es der Autor, diese in den Kontext ihrer Zeit zu stellen und sie aus einer zeitgerechten Optik heraus zu deuten. Dies gilt insbesondere für die Aufsätze zur Theoriegeschichte des Geldes, welche gleichermaßen historisch bildend wie in ihrer Aktualität erhellend sind. Theoriegeschichte dient hier „als Instrument für die Analyse gegenwärtiger Probleme“ (9). Dabei ist es erstaunlich, wie viel Potential in den alten Theorien zur Behandlung aktueller Fragen steckt. Wer den Band durchgearbeitet hat, wird den Wert der Dogmengeschichte nicht gering veranschlagen. Außerdem sind die Texte hervorragend geschrieben, was ihre Lektüre zu einem wahren Vergnügen macht.

Ein erster Block ist der Gleichgewichtstheorie, der Rezeption der Kreislaufidee der physiokratischen Ökonomie und dem berühmten Tableau Economique Francois Quesnays gewidmet. Es folgen Aufsätze zu Keynes, Schumpeter und Marshall sowie zum Ordoliberalismus. Im Zentrum steht aber eine Arbeit über Thomas Tooke (1774-1858), den leidenschaftlichen Streiter in der Bullion-Kontroverse und Haupt der Banking-School in der geldtheoretischen Auseinandersetzung in England währen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Autor beschreibt anschaulich, die wirtschaftliche Entwicklung jener Zeit immer im Blick behaltend, wie sich die geldtheoretischen Ansichten Tookes, der nicht nur ein kluger Kopf, sondern auch ein erfahrener Geschäftsmann war, im Widerstreit konträrer Meinungen formten und veränderten. Hieran lässt sich hervorragend demonstrieren, welchen politischen und wirtschaftlichen Interessen die Entwicklung des Geldwesens folgte und wie es zur Herausbildung des Goldstandards kam, als dem letztlich für den Kapitalismus der freien Konkurrenz maßgebenden Geldsystem. Dabei hätte es nichts geschadet, wenn der Autor den Unterschied zwischen dem vom Staat emittierten Papiergeld und den Banknoten, welche „im Wege der üblichen bankgeschäftlichen Kreditgewährung entstehen“ (290), klarer herausgestellt hätte. Dass er auf Aspekte der aktuellen Diskussion wie z.B. die Frage nach der Exogenität oder Endogenität des Geldes eingeht (291), ist zu begrüßen. Am Ende des Kapitels versucht er, den Beitrag Tookes zu Geldtheorie zu bewerten. Dabei gelingt es ihm, die Leistung Tookes zu würdigen, ohne deren Grenzen außer Acht zu lassen. Diese sind in der Ausklammerung der Banknoten aus dem Geldbegriff zu verorten (298). Ferner darin, dass sich in seiner Geldwirkungslehre „die Unterschiede zwischen Geld und Kredit verwischten, weil er es unterließ, eine fest umrissene Kredittheorie in sein Lehrgebäude einzubauen“ (299). Größere Verdienste werden ihm dagegen bei der Bestimmung und Messung des Geldwertes zugestanden (300f.) sowie bei der Formulierung der „Einkommenstheorie des Geldes“ (308) – als Alternative zur Produktionskostentheorie und zur Quantitätstheorie.

Mit Tooke und dessen Geldtheorie thematisierte Rieter ein wichtiges Kapitel ökonomischer Theoriegeschichte in England. Mit dem nachfolgenden Aufsatz wirft er die Frage auf, ob es im 19. Jahrhundert auch so etwas wie eine „deutsche Geldtheorie“ gegeben hat und ob diese „mehr als nur ein Echo englischer Debatten“ war (313). Da ist zunächst die Feststellung, dass sich zwar zahlreiche Beiträge zu „institutionellen Geld- und Kreditthemen“ finden, „die Ausbeute an analytischen Erkenntnissen“ aber mager ist (316). „Die Bilanz ist deprimierend, sie bezeugt Ignoranz und Rückständigkeit.“ (321) Zudem herrschte hier größtenteils ein pragmatisches oder ideologisch vorbestimmtes Geldverständnis, das eine theoretische Diskussion erschwert. Viele der im 19. Jahrhundert verfassten Schriften zum Geld sind sogar „ausgesprochen obskur“, denn – und das galt damals wie heute, siehe I –, „auf keinem anderen Feld der Ökonomie gibt es […] so viele ungerufene Propheten, unbelehrbare Sektierer oder unbedarfte Amateure wie auf dem monetären“ (320)! Unser Autor vermag der deutschen Diskussion aber trotzdem einiges abzugewinnen. Die namhaftesten Vertreter deutscher Geldtheorie sind Büsch, Hufeland, Wagner, Knies und Menger. „Ihre partiellen theoretischen Leistungen sind gleichsam nur Farbtupfer im grauen Einerlei der deutschen Geldliteratur jener Zeit.“ (327)

Bemerkenswert ist die Aussage, dass die angelsächsische Geldliteratur tendenziell „papiergeldfeindlich“ eingestellt war, die deutsche dagegen „papiergeldfreundlich“ (337). Die Begründung dafür ist nicht ganz klar und lässt wiederum die unscharfe Differenzierung zwischen Papiergeld (Zettel) und Kreditgeld (Banknoten) erkennen. Letztlich aber verweist sie auf die verhältnismäßig rückständigen Verhältnisse in Deutschland und den Einfluss der Romantik. So trifft man hier an Stelle einer analytischen Geldtheorie auf eine „Geldwesenslehre“ und prägen dilettierende Philosophen und Juristen wie Fichte und Adam Müller die Ansichten über Papiergeld (338f.) statt geldtheoretisch versierte Ökonomen und Banker.

Rieters Überlegungen zum Geld finden ihre Fortsetzung in dem Aufsatz „Tauschmittel oder Mammon?“, worin er eine Systematisierung der gängigen Geldauffassungen und einen geistesgeschichtlich angelegten Streifzug durch die Geldgeschichte unternimmt. Gelungen sind auch seine aktuellen Bezüge und Anspielungen auf zeitgenössische Diskussionen. So lässt sich seine Darstellung der merkantilistischen, auf einem engen metallistischen Geldbegriff fußenden Geldauffassung (367f.) auch als Kritik der fundamentalistisch verengten Vollgeld-Konzeption (vgl. I) lesen und erscheint seine Wiedergabe sozialistischer Einstellungen gegenüber dem Geld, welche normativ und ideologisch voreingenommen sind, zugleich als aktuelle Kritik an der Occupy-Bewegung in der Gegenwart, welche das Geld wieder einmal für „alle Übel dieser Welt“ verantwortlich macht (384f.). Und die heterodoxen Tendenzen in den Auffassungen vom Geld heute, welche kritisieren, dass die etablierten Geldtheorien die mit den Wörtern „Geld“ und „Währung“ verbundenen Konnotationen bewusst oder unbewusst ausblenden, lassen sich in ihrem Kern zurückführen auf die Denktradition der deutschen Romantik und des Historismus, welche angetreten sind, um „die Seele des Geldes zu entdecken“, wie Georg Friedrich Knapp 1905 zutreffend schrieb (385).

[1] Besprechung zu: Thomas Mayer/Roman Huber, Vollgeld. Das Geldsystem der Zukunft. Unser Weg aus der Finanzkrise, Tectum Verlag, Marburg 2014, 320 Seiten, 18, 95 Euro (I); Felix Martin, Geld, die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck des Kapitalismus, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014, 428 Seiten, 22,99 Euro (II); Heinz Rieter, Ökonomische Theoriegeschichte im zeithistorischen Kontext. Ausgewählte Aufsätze, Metropolis Verlag, Marburg 2014, 449 Seiten, 39,80 Euro (III).

[2] Irving Fisher, 100%-Geld, in deutscher Übersetzung von Klaus Karwat, Kiel 2007, S. 10.

[3] Joseph Huber, Monetäre Modernisierung. Die Zukunft der Geldordnung: Vollgeld und Monetative, Marburg 2014.

[4] Die Geldmengenaggregate sind wie folgt definiert: M1 umfasst Bargeld plus Giralgeld (Sichteinlagen); M2 besteht aus M1 plus Spar- und Termineinlagen; M3 umfasst M2 plus kurzfristig verbriefte Forderungen. Unter Geldkapital werden langfristige Einlagen und Bankverbindlichkeiten verstanden.