Diskussion Soziale Protestbewegungen II

Der Europäische Aktionstag gegen Sozialabbau und die Hegemonie des Neoliberalismus

Juni 2004

Im Rahmen des Europäischen Aktionstages am 3. April gingen bei den Demonstrationen in Berlin, Stuttgart und Köln insgesamt 500.000 Menschen auf die Straße. Sie folgten den Aufrufen der Initiatoren unter dem Motto „Aufstehen, damit es endlich besser wird!“ und protestierten gegen die von der Bundesregierung betriebene Sozialdemontage.[1][1] Neben dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der als Veranstalter fungierte, hatten auch Attac, Erwerbsloseninitiativen, Sozialverbände und linke Gruppen zur Teilnahme an den Demonstrationen aufgerufen. Vergleicht man die Teilnehmerzahl mit derjenigen der Gewerkschaftsproteste vom Vorjahr, so wird der 3. April zu Recht als großer Erfolg für den DGB und die soziale Bewegung bewertet. Noch im Frühjahr 2003 konnten die Gewerkschaften, als sie zum ersten Mal versucht hatten, mittels Massendemonstrationen Druck auf die rot-grüne Bundesregierung auszuüben, um diese so zu „Nachbesserungen“ bei der Agenda 2010 zu veranlassen, bundesweit gerade einmal 90.000 DemonstrantInnen aufbieten. Daraufhin wurde die nur halbherzig betriebene Mobilisierung von Seiten des DGB Ende Mai offensichtlich als gescheitert angesehen und ganz eingestellt.[2][2] Nachdem die Gewerkschaften ihren Mitgliedern also erst einmal eine „Sommerpause“ verordnet hatten und sich zudem eine politische Wiederannäherung an die Bundesregierung abzeichnete, begann es nun an der Basis zu rumoren. Regionale und kommunale Anti-Hartz-Bündnisse, in denen sich Sozialinitiativen, linke GewerkschafterInnen, GlobalisierungskritikerInnen und linksautonome Gruppen zusammenfanden, initiierten eine Kampagne gegen Sozialabbau, die letztlich in eine Demonstration mündete. 100.000 Menschen demonstrierten am 1. November 2003 in Berlin gegen Schröders Agenda 2010. Die Delegierten auf den Gewerkschaftstagen von ver.di und IG Metall hatten sich dafür ausgesprochen, die Proteste zu unterstützen, was zwar nicht zu offiziellen Aufrufen der Gewerkschaftsvorstände, aber dafür zu Aktivitäten zahlreicher gewerkschaftlicher Untergliederungen führte. Die Demonstration wurde im Nachhinein als überraschend erfolgreich bewertet. Bei dieser Einschätzung spielte nicht nur der Umstand eine Rolle, dass die Gewerkschaftslinken mit relativ bescheidenen organisatorischen Mitteln 40.000 Mitglieder mobilisieren konnten, sondern auch die Tatsache, dass sich unzählige PassantInnen spontan dem Demonstrationszug angeschlossen haben.

DGB: Juniorpartner der Neuen Mitte oder Interessen-
vertretung der Lohnabhängigen?

Die zunehmende Aktivität der gewerkschaftlichen Basis und die sich in Wahlen, Meinungsumfragen und der Austrittswelle bei der SPD manifestierende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik der Bundesregierung[3][3] dürfte schließlich den Ausschlag dafür gegeben haben, dass der DGB auf dem Europäischen Sozialforum in Paris für einen europaweiten Aktionstag gegen Sozialabbau grünes Licht gab und damit wieder offiziell auf Protestkurs einschwenkte. Hinter dem Hin und Her des Gewerkschaftsbunds verbirgt sich ein schwelender innerorganisatorischer Strategiekonflikt, in dessen Zentrum die Frage nach dem Verhältnis der Gewerkschaften zur SPD steht. Die Auseinandersetzung verläuft dabei nicht nur zwischen einzelnen Strömungen im DGB, sondern auch zwischen den Einzelgewerkschaften.[4][4] So erklärte Hubertus Schmoldt, der „nicht den Eindruck erwecken will, die grundsätzliche Linie verändern zu wollen“, angesichts gewerkschaftlicher Kritik an der Agenda 2010: „Insgesamt – und das gilt für alle Gewerkschaften im DGB – kann es am Reformkurs keinen Zweifel geben.“ Beobachter aus den sozialen Bewegungen sehen vor allem in der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) unter ihrem Vorsitzenden Hubertus Schmoldt sowie dem nordrhein-westfälischen DGB Hindernisse für eine gewerkschaftliche Politik, die sich an der Idee eines autonomen politischen Mandats zur Vertretung der abhängig Beschäftigten orientieren würde.[5][5] Während Schmoldt, SPD-Mitglied und persönlicher Freund des Kanzlers, auch zukünftig unverwüstliche Treue zum traditionellen politischen Partner einfordert und von „Sozialabbau“ explizit nicht sprechen möchte, wählen andere Spitzenfunktionäre im Umgang mit der Bundesregierung deutlichere Formulierungen und lassen eine größere Distanz zur SPD erkennen. So forderte der IG-Metall Vorsitzende Jürgen Peters einen „Kurswechsel“[6][6] ein. DGB-Chef Michael Sommer sprach von einem „umfassenden Politikwechsel“[7][7]. In seiner Rede auf der Kundgebung am 3. April erklärte er: „Auf der Basis der Agenda 2010 wird es keinen Schulterschluss zwischen Gewerkschaften und der Bundesregierung geben.“ Frank Bsirske wollte die Demonstration am 3. April gar als „eine klare Antwort auf die asoziale Politik der Sozialdemokraten“ verstanden wissen.[8][8] Als ein weiteres Beispiel für eine Abkühlung des Verhältnisses zwischen DGB und SPD können auch die Reaktionen auf die Pläne zur Gründung einer Wahlalternative links von der SPD angeführt werden.[9][9] Sowohl Peters als auch Bsirske und Sommer ließen es in öffentlichen Stellungnahmen bei dem allgemeinen Hinweis bewenden, dass die Gewerkschaften als Organisation keine Parteien gründen, einzelne Mitglieder hingegen von ihren Bürgerrechten selbstverständlich Gebrauch machen dürfen, und bezweifelten ansonsten die Erfolgsaussichten der einzelnen Initiativen. Günter Bannas bemerkte zu dieser Position in der FAZ: „Sie klingt selbstverständlich, wird aber von maßgeblichen Sozialdemokraten als unzureichend bewertet. Die Distanzierung hätte nach ihrer Auffassung deutlicher ausfallen können.“[10][10]

In der Sache fordert derzeit besonders die Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien für Langzeitarbeitslose die Kritik des DGB heraus.[11][11] Aber die KritikerInnen einer engen Anbindung der Organisation an die SPD, die vor allem in der IG Metall und ver.di zu Hause sind, machen geltend, dass sich die Zusammenarbeit mit der Neuen Sozialdemokratie für die Beschäftigten insgesamt immer weniger auszahle. Die Gewerkschaften fänden in Berlin mit ihren Anliegen immer weniger Gehör und würden zudem von der Neuen Mitte häufig sogar direkt angegriffen, wie z.B. die Androhung des Bundeskanzlers, gesetzliche Eingriffe in die Tarifautonomie vorzunehmen, beweise. Angesichts der massiven Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme, überzeuge das Argument vom „kleineren Übel SPD“ immer weniger. Statt vor dem Hintergrund einer drohenden Regierungsübernahme durch die Konservativen nach den nächsten Wahlen Stillhalteparolen auszugeben, sei es deshalb an der Zeit, ein autonomes politisches Mandat als Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten offensiv wahrzunehmen und schon heute einen Politikwechsel einzufordern.

Gewerkschaften in Bewegung?

Hinter dem Streit um das Verhältnis zur SPD verbergen sich freilich auch unterschiedliche Vorstellungen über die Aufgaben und Ziele von Gewerkschaften im Allgemeinen. Sollen sich die Gewerkschaften in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit und drohender Massenarmut tendenziell als Organisationen der „ganzen Klasse“ verstehen, was auch die Vertretung der Interessen derjenigen Teile der Lohnabhängigen, die nicht oder nicht mehr berufstätig sind (Erwerbslose, Alte, Kranke und Jugendliche) oder in den letzten Jahren in prekäre Arbeitsverhältnisse abgedrängt wurden, beinhalten würde?[12][12] Oder begreifen sich die Gewerkschaften zunehmend als ständische Vertretung privilegierter Beschäftigtengruppen, die im Bündnis mit der Regierung und weltmarktorientierten Kapitalfraktionen auf Kosten großer Teile der Bevölkerung Standortpakte zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Unternehmen und Branchen abschließen?

Es spricht einiges dafür, dass ersteres nicht nur die wünschenswertere, sondern auch die erfolgreichere Perspektive für die Gewerkschaften darstellen würde. Eine Beschränkung auf das gewerkschaftliche Kerngeschäft, zumal unter wettbewerbskorporatistischen Vorzeichen, könnte die Erosion gewerkschaftlicher Macht noch weiter beschleunigen. Auch wenn der Betrieb selbstverständlich weiterhin der Ausgangspunkt jeder gewerkschaftlichen Organisierung bleibt, müssen sich die Gewerkschaften in Zukunft stärker in der Gesellschaft verankern, denn ohne ideologische Hegemonie in der Zivilgesellschaft lassen sich weder erfolgreich Arbeitskämpfe führen, noch auf längere Sicht Mehrheiten für eine alternative Politik gewinnen. Unter linken Gewerkschaftern scheint sich die Ansicht, dass hierfür die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Bündnispartnern eine unerlässliche Vorraussetzung ist, immer mehr durchzusetzen. So erklärte z.B. Detlef Hensche, ehemaliger Vorsitzender der IG Medien, in seinem Referat auf der 6. Tagung der Gewerkschaftslinken, „dass Gewerkschaften kein Hegemon in der Vertretung der Interessen aller Lohnabhängigen sind. Es gibt andere Organisationen, Gruppen, Bewegungen, die viel näher an den speziellen Problemen, die aus der Agenda 2010 resultieren, dran sind als die GewerkschafterInnen. Nur im gleichberechtigten Bündnis mit anderen werden wir zukünftig für unsere Lebensinteressen wirken können. Die Gewerkschaften können sich nur als Teil des gemeinsamen Bündnisses verstehen.“[13][13] Eine Einschätzung, die von ver.di-Chef Frank Bsirske, der sich in einem Zeitungsinterview ebenfalls dafür aussprach, „die Vernetzung voranzubringen“, offenbar geteilt wird. „Das ist für künftige Auseinandersetzungen wichtig. Wir wollen die Isolation überwinden und verbinden, was zusammen gehört.“[14][14] Die IG Metall hat mittlerweile ein Verbindungsbüro für den Kontakt mit der sozialen Bewegung eingerichtet, das von Horst Schmitthenner, der nach dem letzten Gewerkschaftstag freiwillig aus dem Vorstand ausschied, geleitet wird.

Potenzielle BündnispartnerInnen gibt es durchaus. Denn nicht nur in den Gewerkschaften, sondern auch andernorts kam im vergangenen Jahr einiges in Bewegung. Wütende RentnerInnen und Kranke organisieren sich zunehmend in Sozialverbänden und gehen gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen auf die Straße. Die GlobalisierungskritikerInnen von Attac entdeckten neben ihren klassischen Schwerpunkten, wie der globalen Handels- und Finanzpolitik, zunehmend auch das Thema des Sozialabbaus für sich, was sich in der Kampagne „Es ist genug für alle da“ niederschlug. Unter der jüngeren Generation ließ sich im vergangenen Jahr eine neue Lust am Protestieren beobachten. Nicht nur das Comeback der Friedensbewegung während des Irakkriegs, sondern auch die im letzten Herbst landesweit aufflammenden Studierendenproteste, die sich an der geplanten Einführung von Studiengebühren in Berlin und Hessen entzündeten, lassen sich als Beleg für die These einer Rückkehr des sozialen Protests anführen. Was die sozialen Bewegungen insgesamt angeht, so kann man derzeit wohl davon sprechen, dass diese in den letzten zwanzig Jahren nicht mehr so nah an den Verteilungskämpfen um den gesellschaftlichen Reichtum und an den Problemen der Arbeitsgesellschaft dran waren wie heute. Die „soziale Frage“ wird breiter thematisiert und Begriffe wie „Klasse“ und „Klassenkampf“ – im letzten Jahrzehnt selbst von vielen Linken verschmäht – sind langsam wieder im Kommen.

Allerdings wäre für eine längerfristig ausgerichtete erfolgreiche Bündnispolitik ein Wandel des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses nötig. Die bisher gängige Praxis nach dem Motto „take it or leave it“ – erst gibt es einen Vorstandsbeschluss, dann fragt man andere, ob sie auf dieser Grundlage mitmachen wollen – hat bei den Sozialinitiativen in der Vergangenheit erhebliche Zweifel an der prinzipiellen Bündnisfähigkeit der Gewerkschaften ausgelöst.

Im Vorfeld der Demonstrationen vom 3. April wurde dies erneut deutlich. Etliche offene Briefe und Stellungnahmen von Attac, Erwerbsloseninitiativen, Sozialverbänden und Basisgruppen kritisierten intransparente Entscheidungsprozesse, ängstliche Kontrollversuche seitens der Gewerkschaften, eine Tendenz zur inhaltlichen Abschwächung der Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung, sowie den Umstand, dass die Rednerlisten die Vielfalt des Protestes nur unzureichend repräsentieren würden.[15][15] Auch wenn bis auf weiteres nicht abzusehen ist, dass eine Großdemonstration gegen Sozialabbau gleichberechtigt von DGB und sozialen Bewegungen geplant wird und ein gemeinsamer Aufruf erfolgt, kann es aber immerhin als Erfolg gewertet werden, dass auf die teilweise harsche Kritik dann doch noch mit der Öffnung der RednerInnenlisten für einige von den Initiativen vorgeschlagene RednerInnen reagiert wurde. Wohlmeinende Gewerkschafter wie Frank Bsirske, die in öffentlichen Stellungnahmen eine Abkehr vom „Führungsanspruch“ der Gewerkschaften anmahnen, und ein „Bündnis auf gleicher Augenhöhe“ einklagen,[16][16] standen in dieser Sache vermutlich in harten innerorganisatorischen Auseinandersetzungen mit sozialdemokratischen Hardlinern, denen schon die Tatsache, dass VertreterInnen von Erwerbslosengruppen und Attac kostenlos in DGB-Bussen mitfahren dürfen, ein Dorn im Auge ist.

Erosion der neoliberalen Hegemonie?

Auch wenn die Demonstration vom 3. April unseres Erachtens nach Anlass zur Hoffnung geben, sollte deren Bedeutung als Gradmesser einer zunehmenden Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der neoliberalen Politik nicht überbewertet werden. Bereits nach der Demonstration vom 1. November wurde häufig gesagt, dass die neoliberale Hegemonie in Deutschland gebrochen sei. So sprechen Alexander King und Sascha Kimpel von einer wachsenden Minderheit, die die zerstörerische Politik des Neoliberalismus ablehne. „Der diffuse Wunsch nach einer anderen Gesellschaft, nach einem besseren Leben in sozialer Sicherheit, drängt zu einer neuen Artikulation. Daraus folgend wird die „Politik für die Reichen“, und damit das über alles herrschende Profitprinzip von politisch relevanten sozialen Gruppierungen abgelehnt.“[17][17] Auf Meinungsumfragen des vergangenen Jahres sich stützend folgern sie, dass eine Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen der Bundesregierung ablehne, bei einzelnen Maßnahmen erreiche die Ablehnung nahezu 90 Prozent. Im Vorfeld der Demonstration vom 1. November 2003 in Berlin sei von Attac und Gewerkschaften die Position vertreten worden, dass die neoliberale Hegemonie so fest in den Köpfen verankert sei, dass die Demonstration von vorneherein zum Scheitern verurteilt sei. Der unerwartete Erfolg des 1. November 2003 wird folglich mit der gebrochenen neoliberalen Hegemonie erklärt.

Die von King/Kimpel herangezogenen Meinungsumfragen[18][18] erscheinen willkürlich. So besagt die Infratest Dimap Umfrage vom März 2004, dass eine knappe Mehrheit der Befragten für die Fortführung der Reformen der Bundesregierung, ein Anteil von 42% der Befragten jedoch dagegen sei.[19][19]

Differenzierter und realistischer schätzt Sabine Leidig von Attac den Bewusstseinsstand der breiten Bevölkerung ein. Ihr zufolge gibt es einen Widerspruch zwischen Ablehnung und Akzeptanz der Sozialkürzungen. Allgemeine Leistungskürzungen werden in der Regel abgelehnt, unter konkreten Rahmenbedingungen wie der Standortkonkurrenz, Wettbewerbsrhetorik etc. werden sie jedoch akzeptiert.[20][20] Soziale Gerechtigkeit werde nicht mehr als Verteilungsproblem zwischen Kapital und Arbeit, sondern als Teilen innerhalb einer Klasse gesehen.

Der Widerspruch zwischen Ablehnung und Akzeptanz von Leistungskürzungen lässt sich Harald Werner zufolge leicht auf die „öffentliche Debatte zurückführen, in der seit Jahren entgegen aller empirischen Realität schrumpfende Verteilungsspielräume und wachsende Wettbewerbsprobleme unterstellt werden. Die Befragten halten zwar an ihren alten sozialen Deutungsmustern (Wertschätzung des Wohlfahrtstaates, G.S/S.M.) fest, haben sie aber inzwischen durch neue Deutungsmuster erweitert, die dem aktuellen gesellschaftlichen Diskurs entsprechen.“[21][21] Dieser aktuelle Diskurs ist durch die Logik der Betriebswirtschaft, der Vermarktlichung, der Unterordnung und Durchdringung immer weiterer Lebensbereiche unter das Rentabilitätskriterium des Marktes geprägt. Eine Logik, die – will sie wirkungsmächtige Ideologie werden – an die tatsächlichen, wenn auch als verdinglicht oder mystifiziert erscheinenden Lebenswirklichkeit der Menschen anknüpfen will. „Vieles, was der Neoliberalismus zu Glaubenssätzen erhob, etwa die Überlegenheit der Marktregulierung, die Unvermeidlichkeit des Staatsversagens oder die Alternativlosigkeit des globalen Wettbewerbs, wird durch die sinnliche Alltagserfahrung dem Augenschein nach bestätigt und verdankt seinen Eingang ins Massenbewusstsein nicht dem Einsatz der Ideologen, sondern einer neuen Produktionsweise, die das betriebswirtschaftliche Denken aus den Kontors in die industriellen Basisbeziehungen getragen hat.“[22][22]

Aber nicht nur die industriellen Basisbeziehungen werden immer mehr dem neoliberalen Imperativ „Alle Macht den Märkten“ untergeordnet, sondern quasi alle Bereiche der Gesellschaft.[23][23] Die damit einhergehenden Appelle an die Eigenverantwortung, an das „unternehmerische Selbst“ haben Konsequenzen für die Solidarität. Sie wird nicht gänzlich beseitigt, sondern bildet sich nunmehr innerhalb begrenzter Räume aus, sei es in einer Arbeitsgruppe des Betriebs oder des Standort Deutschlands. Diese fragmentierte Solidarität wird gleichzeitig aber oft von einer Entsolidarisierung, Abgrenzung und gar von Rassismus gegenüber so genannten „Sozialschmarotzern“ wie MigrantInnen, Arbeitslosen und sogar Studierenden begleitet.

Diese Ausführungen haben nun insofern mit der Diskussion um die gegenwärtige Einschätzung der neoliberalen Hegemonie und den Perspektiven der sozialen Protestbewegung zu tun, als dass unseres Erachtens von einer Erosion der neoliberalen Hegemonie nicht gesprochen werden kann. Hegemonie im Sinne Gramscis meint die spontane und aktive Zustimmung zu Herrschaft, die vermittels zivilgesellschaftlicher Institutionen wie Presse, Medien, Straßennamen etc. im Alltagsbewusstsein organisiert und reproduziert wird. Gleichzeitig betont Gramsci jedoch, dass Hegemonie über eine subalterne Klasse Zugeständnisse ökonomisch-korporativer Natur einschließt. Der aktive Konsens, „in dem die Interessen der Subordinierten tatsächlich in irgendeiner, wenn auch verrückten Weise, Berücksichtigung finden“, schwindet derzeit. „Was aufrechterhalten wird ist allenfalls noch ein passiver Konsens, mangels politischer Alternative.“[24][24] Die Hegemonie des Neoliberalismus bleibt dennoch stark, da die realen Prozesse in der Lebenswirklichkeit, der Arbeitswelt im Wesentlichen unverändert bleiben. Parallel dazu und dieses bedingend bemühen sich die organischen Intellektuellen des herrschenden Blocks, um potenzielle Legitimationskrisen zu verhindern und letztlich Herrschaft aufrechtzuerhalten, darum, diese durch außerökonomische Mittel zu kompensieren. Es geht ihnen um einen notwendigen Mentalitätswandel, um eine Bewusstseinsbildung und um die Herstellung psychischer Verfasstheiten, die Werte wie Eigenverantwortlichkeit, Selbständigkeit, Individualisierung, Mut, Risikobereitschaft, Leistungsfähigkeit und Flexibilität wieder ernst nehmen.[25][25] King und Kimpel lassen die Differenzierung zwischen aktiver und passiver Zustimmung unter den Tisch fallen und kommen so zu der These, dass die Hegemonie des Neoliberalismus insgesamt seit Mitte der 90er Jahre verloren geht. Als Indiz führen sie die Entstehung der globalisierungskritischen Bewegung an.[26][26]

Die Perspektiven der sozialen Protestbewegung hängen insofern auch entscheidend davon ab, inwieweit es gelingt, die neoliberale Philosophie und deren Menschenbild in Frage zu stellen. Es reicht nicht aus, die jeweiligen konkreten Maßnahmen der Regierung wie beispielsweise die Agenda 2010 zu bekämpfen.[27][27] Gerade dies geschieht seitens der Gewerkschaftsspitzen oftmals mit einer Rhetorik, die sich, wie Mag Wompel schreibt, dem Diktat der Ökonomie unterworfen hat und, wenn es um den eigenen Standort geht, sich kaum von der ihrer Tarifpartner unterscheidet. Aussagen wie „Arbeitsschutz senkt langfristig die Kosten“, „Arbeitslosengeld II verringert die Kaufkraft und schadet so auch der Wirtschaft“, „Mitbestimmung sichert die Innovationsfähigkeit“ sind Beispiele hierfür.[28][28]

Zum anderen sind wir mit Martin Dieckmann der Meinung, dass die bisherige Schwäche der Protestbewegung mit der mangelnden Thematisierung und vor allem mit der mangelnden Einflussnahme auf die skizzierten veränderten Arbeits- und Reproduktionsprozesse zu tun hat. Dieckmann schreibt: „Die Schwäche des bisherigen politischen Protests verweist hier auf die langfristige Perspektive: Wenn es nicht gelingt, in eben diese Basisprozesse einzugreifen, bleiben wir dauerhaft konfrontiert mit einem gespaltenen Massenbewusstsein, dessen Paradoxien – von Unterwerfung und Protest – sich genau diesen Unterwerfungsstrategien verdanken.“[29][29]

Diese beiden Aspekte bedingen einander: Ein Aufbrechen der neoliberalen Hegemonie bzw. die Schaffung einer Gegenhegemonie kann nicht ohne Veränderungen in den Arbeits- und Reproduktionsprozessen und der Lebensweise mit ihren Haltungen, Werten und Gewohnheiten gelingen. Wie oben angedeutet fußen die neoliberale Hegemonie und das Alltagsbewusstsein wesentlich auf den gesellschaftlichen Umbrüchen in der Produktionsweise und der Sozialstruktur – obwohl nicht vergessen werden darf, dass die neoliberale Ideologie auch ein politisches Projekt ist, welches durch Think Tanks, Intellektuelle, Medien Politiker von oben vermittelt wird. Auf der anderen Seite kann eine Veränderung der Lebensweise nicht ohne eine Kritik der neoliberalen Ideologie Erfolg versprechend sein.[30][30]

Eine neue politische Praxis?

Die Frage, die sich nun stellt ist folgende: Wie können diese zugegeben sehr abstrakten Ausführungen in konkrete politische Praxis übersetzt werden? Wir geben zu, dass wir darauf auch keine zufrieden stellende Antwort wissen und auch an keiner anderen Stelle ausgereifte Antworten auf dieses Problem gefunden haben. Wir können lediglich ein paar Ansatzpunkte skizzieren.

Auf der betrieblichen Ebene haben die Gewerkschaften bereits erste kampagnenartige Aktionen durchgeführt, die die neuesten Tendenzen in den Arbeitsbeziehungen thematisieren und dadurch auch bereits einen ersten Schritt zur Veränderung derselben getan haben. Zu nennen wären die Kampagne der IG Metall „Meine Zeit ist mein Leben“[31][31] Diese Kampagne könnte im Bündnis mit anderen sozialen Akteuren wie der globalisierungskritischen Bewegung und Sozialforen aus der betrieblichen in die gesellschaftspolitische Ebene gehoben werden und Fragen nach der Verfügung über Zeit stellen. Insofern könnte das neoliberale Menschenbild des homo oeconomicus in Frage gestellt werden und soziale statt wirtschaftliche Denkweisen unterstützt werden.

Die Perspektive der sozialen Protestbewegung hängt auch davon ab, inwieweit es ihr gelingt, ein zu vermittelndes Gegenkonzept zum neoliberalen Kapitalismus zu formulieren. U.E. geht es darum und nicht, wie King und Kimpel meinen, um eine generelle Alternative zum Kapitalismus. Entgegen den weitläufigen Behauptungen, die Protestbewegung sage nur Nein, ist richtig, dass sie natürlich Gegenkonzepte hat. Aber auch richtig ist, dass vor allem die Gewerkschaften an keynesianistischen Vorstellungen festhalten, die auf Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum setzen, die angesichts der heutigen Verhältnisse illusorisch und aus ökologischen Gesichtspunkten fatal wären.[32][32]

Die von der globalisierungskritischen Bewegung, insbesondere von Attac, ins Spiel gebracht Parole „Ein andere Welt ist möglich“ ist relativ unspezifisch. Sie kann sowohl einen radikalen Bruch mit den kapitalistischen Verhältnissen beinhalten, als auch ein Zurück ins Goldene Zeitalter des Kapitalismus.[33][33]

Die Frage nach den vermittelbaren Gesamtalternativen ist aber vermutlich zu früh gestellt. Denn erstens ist die soziale Protestbewegung in Deutschland noch so fragmentiert, dass sie nicht in der Lage ist, Gesamtalternativen zu formulieren, und zweitens haben wir gezeigt, dass die neoliberale Hegemonie zwar die aktive Zustimmung einbüßt, aber dennoch sehr stark ist und bis in die Protestbewegung hineinreicht.

Was derzeit als Zwischenschritt ansteht, ist das Aufzeigen von Alternativen zur neoliberalen Politik an Einzelpunkten. Kleinere Erfolge gibt es schon. In Hamburg hat die Mehrheit der Bevölkerung eine Privatisierung der Krankenhäuser abgelehnt.[34][34] In naher Zukunft wird es darauf ankommen, dass in den Diskussionen um das Gesundheitssystem, der Bürgerversicherung etc. Alternativen zum neoliberalen Mainstream aufgezeigt werden können. Über solche Einzelfragen könnte auf mittel- bis längerfristige Sicht die Formulierung eines an dem Alltagsverstand der Menschen anknüpfenden alternativen Gesamtkonzepts gelingen.

Was die Diskussion um eine neue linke Protestpartei (bzw. eine Wahlalternative) betrifft, so könnte deren Gründung „als scharfe Schere wirken, die den neoliberalen Vorhang der Alternativlosigkeit aufreißt, wenn auch nur einen Spalt, um die vielfältigen, existierenden Bewegungen in den Medien und damit auch der Bevölkerung sichtbar zu machen.“[35][35] Die Voraussetzung ist aber eine stärkere soziale Protestbewegung, die politischen Druck außerparlamentarisch ausübt.

Ein alleiniges Setzen auf Massenmobilisierungen, um Druck auf Regierungen auszuüben, kann, wie bereits oben angedeutet, nicht ausreichen. Zum einen wäre dies ein Rückfall in traditionelle staatreformistische Politikformen, zum andern garantieren Großveranstaltungen zwar ein paar Tage gesteigerte Medienpräsenz, danach jedoch hat kann der Eindruck entstehen, dass überhaupt nichts geschehen sei.

Es kommt auch darauf an, Alltagspraxen zu entwickeln, die auf eine Veränderung von Arbeits-, Lebens- und Vergesellschaftungsformen, von Konsumweisen und Geschlechterverhältnissen zielen.

Attac bemüht sich derzeit, „massenwirksame Formen der Radikalisierung“[36][36] zu finden und schlägt konkret vor, den „Buß- und Bettag“ am 17. November zum Tag der Wiederaneignung zu machen. „Von Filmabenden über die Landbesetzungen der Zapatistas bis zur demonstrativen Rückeroberung der Freizeit durch die Beschäftigten von Großbetrieben, vom gemeinsamen eintrittsfreien Schwimmbadbesuch bis zur Besetzung einer Bank ist vieles dazu denkbar.“[37][37] Dieses in einem gemeinsamen Bündnis sozialer Bewegungen durchgeführt, wäre ein weiterer wichtiger Schritt, eine Ergänzung des einseitigen außerparlamentarischen Druckausübens im Kampf um die Hegemonie.

Von linker Seite wird häufig ein Generalstreik gefordert, um Kapital und Staat zum großen Showdown herauszufordern. Statt den Mythos des Generalstreiks anzurufen, ist es für die Gewerkschaftsbewegung sinnvoller, sich auf einen konkreten Konflikt mit exemplarischem Charakter vorzubereiten. Ende des Jahres könnte es zu Streiks gegen die geplante Verlängerung der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst kommen, die dafür zum Anlass genommen werden könnten. Da der Vorstoß im öffentlichen Dienst letztlich auf unbezahlte Mehrarbeit für alle Beschäftigten abzielt, bestünde hier für die Gewerkschaften die Chance, einen Konflikt von begrenzter Reichweite, in eine gesellschaftliche Auseinandersetzung um die künftige politische Gesamtausrichtung zu verwandeln. „Wir gehen einer ausgesprochen harten Tarifrunde im öffentlichen Dienst entgegen“, kündigte Frank Bsirske bereits an. „Wenn die Arbeitgeber aus der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes einen Grundsatzkonflikt über die Arbeitszeit insgesamt machen wollen, droht ein Konflikt in bisher nicht bekanntem Ausmaß.“[38][38] Es bleibt am Ende nur zu hoffen, dass den Ankündigungen im Ernstfall auch Taten folgen werden.

[1][39] Auch in Italien und Frankreich, sowie in anderen europäischen Ländern ist es zu Demonstrationen und Veranstaltungen im Rahmen des Europäischen Aktionstags gekommen. Alles in allem, muss der europäische Aktionstag aber in erster Linie als deutsches Projekt bezeichnet werden. GlobalisierungskritikerInnen und GewerkschafterInnen aus Deutschland haben auf dem Europäischen Sozialforum in Paris mit besonderem Nachdruck auf den Aktionstag gedrängt. Dies liegt vermutlich daran, dass es in Sachen sozialer Protestbewegung hierzulande deutliche Anlaufschwierigkeiten gab. In anderen Ländern war ein „Startschuss“ – diese Funktion wurde den Demonstrationen vom 3. April häufig zugewiesen – eigentlich gar nicht mehr notwendig, weshalb z.B. in Italien eine halbe Million RentnerInnen den Aufrufen der Gewerkschaften folgten, um gegen die Regierungspläne für eine Rentenreform zu protestieren. Die Beschäftigten hatten bereits zwei Wochen zuvor an einem eintägigen Generalstreik die Arbeit niedergelegt.

[2][40] Vgl. Frankfurter Rundschau (FR), 3.11.03.

[3][41] Bei der so genannten Sonntagsfrage stagnierten die Umfragewerte der SPD im Februar und März 2004 auf dem historischen Tiefstand von 24%. Vgl. Frankfurter Rundschau 6.03.2004. „Seit dem Regierungswechsel hat die SPD in einem sich beschleunigenden Maße Mitglieder verloren – mehr als 100 000, und es sind vor allem ältere Mitglieder, die der Partei lange angehört hatten.“ FAZ, 13. März 04

[4][42] Vgl. Daniel Behruzi: Steht die Protestfront?, in: junge welt, 6./7. März 2004.

[5][43] Vgl. junge welt, 3. März 2004.

[6][44] Zit. nach Frankfurter Rundschau (FR), 27. März 04.

[7][45] Zit. nach FR, 02. März 04.

[8][46] Zit. nach junge welt, 12. März 04.

[9][47] Die Gründung der „Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ und der „Wahlalternative“ hat in der SPD für Aufregung gesorgt. An den beiden Initiativen sind unzufriedene SPD-Mitglieder und Gewerkschaftsfunktionäre, darunter fünf bayrische Bevollmächtigte der IG-Metall, sowie Ralf Krämer, Gewerkschaftssekretär beim Ver.di-Bundesvorstand und ehemaliger Landesvorsitzende der Jungsozialisten, beteiligt. Dass ein Treffen der Wahlalternative in einem DGB-Gebäude in Berlin abgehalten wurde, wird von sozialdemokratischer Seite als besonders brisant bewertet. Inzwischen sind auch Pläne zur Gründung einer „Sächsischen Arbeiterpartei“ bekannt geworden. Der sächsische DGB-Vorsitzende und SPD-Landtagsabgeordnete Hanjo Lucassen spielt mit dem Gedanken zu den nächsten Landtagswahlen mit einer linken Alternative anzutreten. Vgl. FR 13. April 04.

[10][48] Zit. nach FAZ, 13. März 04.

[11][49] Das Vorhaben, die künftigen Bezieher des Arbeitslosengeldes II, darunter rund 80% derer, die bisher Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatten, zur Annahme jeder Arbeit, die nicht sittenwidrig ist, zu zwingen, könnte eine Abwärtsspirale in Gang bringen, die das gesamte Tarif- und Lohngefüge ins Rutschen bringt. Nach Angaben von Ursula Engelen-Kefer führen die verschärften Zumutbarkeitskriterien dazu, dass Niedriglohnjobs, die bis zu 33 Prozent unter Tarif bezahlt werden, akzeptiert werden müssen. Im Osten liegen die niedrigsten Tariflöhne zur Zeit zwischen 4,60 Euro und 6,50 Euro. Vgl. „DGB will Hartz-Reform entschärfen“, in: FR, 16. April 2004.

[12][50] Die Mitgliedschaft der Gewerkschaften setzt sich schließlich nicht nur aus Erwerbstätigen zusammen. Auch Rentner und Erwerbslose sind beim DGB organisiert. Von den 2,5 Millionen Mitgliedern der IG Metall sind z.B. 290.000 arbeitslos, was einem Anteil von 11% entspricht. Bei ver.di beträgt der Anteil 7,7%. Von den 2,7 Millionen ver.di-Mitgliedern sind 200.000 arbeitslos. Vgl. „Die Kernbelegschaft im Kopf“, in: FR, 02.April 04.

[13][51] Zit. nach Anne Alex: Wer erbt die Demo, und was wird aus der Bewegung?, in: express 2/2004.

[14][52] Zit. nach „Arbeit darf nicht arm machen“, in: FR 02. April 04

[15][53] Vgl. Daniel Behruzi: Steht die Protestfront?, in: junge welt, 6./7. März 2004.

[16][54] Zit. nach „Arbeit darf nicht arm machen“, in: FR, 02. April 2004.

[17][55] Vgl. Alexander King/Sascha Kimpel: Der Wind hat sich gedreht. Zu Bilanz und Perspektiven der sozialen Protestbewegung nach der Berliner Demonstration, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 57, März 2004, S. 78.

[18][56] Vgl. kritisch zu Meinungsumfragen und Demoskopie Harald Werner: Amnesie sozialer Deutungsmuster. Wie der Neoliberalismus das Alltagsbewusstsein dekonstruiert hat, in Z. Nr. 56, Dezember 2003, S. 20.

[19][57] „Etwas mehr als die Hälfte der Bundesbürger (54 Prozent), darunter formal besser Gebildete, Besserverdiener sowie junge Wahlberechtigte, fordert die Bundesregierung zu einer Fortführung des Reformkurses auf. Für dessen Beendigung spricht sich mit 42 Prozent allerdings auch ein erheblicher Teil der Bevölkerung aus. Insbesondere die so genannten ‚kleinen Leute’, d.h. formal weniger Gebildete sowie Facharbeiter, machen sich mehrheitlich für eine Beendigung der von SPD und Grünen eingeleiteten Reformen stark.“ Zit. nach FR, 6. März 2004: Kein Aufschwung in den Köpfen, S. 7.

[20][58] Sabine Leidig: Perspektiven des Protests, in: Sozialismus 3/2004, S. 13.

[21][59] Werner, Deutungsmuster, a.a.O., S. 24f.

[22][60] Harald Werner: Die Bewusstseinsform des Wettbewerbskorporatismus. Ursachen der Plausibilität neoliberaler Strategien für das Massenbewusstsein, in Z. Nr. 41, März 2000, S. 65

[23][61] Mit Rückgriff auf Foucaults Gouvernementalitäts-Theorem wird dieser Prozess auch als „Ökonomisierung des Sozialen“ bezeichnet. Vgl. Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke: Gouvernementaltität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/M 1999 und Christoph Lieber: Die Gute Regierung: „Führe dich selbst!“ Politische Ökonomie der „Gouvernementalität“ und „Responsibilisierung“ der Arbeit als Schlüssel zum Neoliberalismus, in: Sozialismus 4/2004, S. 25-35.

[24][62] Mario Candeias: Wahlalternative 2006 – Ein stark subjektiver Eindruck, in: www.links­net.de/linkslog/?itemid=74[63].

[25][64] Vgl. Thomas Gerlach: Die Herstellung des allseits verfügbaren Menschen. Zur psychologischen Formierung der Subjekte im neoliberalen Kapitalismus, in: UTOPIE kreativ, Heft 121/122, (Nov./Dez. 2000), S. 1054.

[26][65] Vgl. King/Kimpel, a.a.O., S. 83, Fußnote 23.

[27][66] Ähnlich argumentiert Frigga Haug. Die Vision des neuen, flexiblen, neoliberalen Menschenbildes, wie sie exemplarisch in einem Buch Peter Hartz formuliert wird, müsse durch die soziale Protestbewegung stärker thematisiert werden und zweitens andere Vorstellungen eines sinnvollen Lebens entwickelt werden. Ansonsten komme der Protest aus der gegenwärtigen Defensive nicht heraus. Vgl. Frigga Haug: ‚Schaffen wir einen neuen Menschentyp’. Von Henry Ford zu Peter Hartz, in: Das Argument Nr. 253, 2003. S. 617.

[28][67] Vgl. Mag Wompel: Mehr als nur Agenda. Vorbereitungen auf Demonstration gegen den sozialen Kahlschlag am 2./3. April, in: junge welt, 27. März 04.

[29][68] Martin Dieckmann: Zwischen zwei Republiken. Der „Umbau“ des Sozialstaates und die Perspektiven des Widerstandes, in: ak – analyse und kritik Nr. 479, 19. Dezember 2003.

[30][69] Frigga Haug hat mit Rückgriff auf Gramscis Fordismus-Studien folgenden Analysevorschlag gemacht, der als Voraussetzung für Ansatzpunkte einer kulturellen Politik eines gegenhegemonialen Projekts der sozialen Protestbewegung gelesen werden kann: „Im widersprüchlichen Zusammenhang von Arbeits- und Lebensweise sind die Möglichkeiten der Herausbildung neuer Arbeiter- und Menschentypen folgendermaßen zu studieren: 1. als subjektive Tat; 2. als bestimmt durch Arbeitsweise (Entwicklung der Produktivkräfte) und 3. durch Produktionsverhältnisse als ideologische Veranstaltung durch industrielle Apparate (Schule bis Betrieb); 4. schließlich als staatliche Kampagnen, in denen neue Erfordernisse unter Aufnahme von Tradition und herkömmlicher Sitte verdichtet werden zu quasi weltanschaulichen Systemen (Beispiel Puritanismus). Der Stoff, um den gerungen wird, ist die Psychophysis der Menschen, motivierte Verausgabung auf dem geforderten Niveau und subjektive Zustimmung. Das schließt alle Fragen der Haltung zum Körper ein.“

[31][70] Vgl. Peter Stutz: Mehr Fragen als Antworten. Erfahrungen der Arbeitszeitinitiative ‚Meine Zeit ist mein Leben’ aus Bremen, in: Klaus Pickshaus/Horst Schmitthenner/Hans-Jürgen Urban (Hrsg.): Arbeiten ohne Ende. Neue Arbeitsverhältnisse und gewerkschaftliche Arbeitspolitik, Hamburg 2001, S. 210ff.

[32][71] Mohssen Massarrat: „Der klassische Beschäftigungs-Keynesianismus, an dem die Linke immer noch festhält, setzt wegen anhaltend steigender Produktivität, Rationalisierung und Massenentlassungen hohe Wachstumsraten voraus, die in hochentwickelten Industrieländern weder ökonomisch möglich, noch ökologisch zu verantworten sind.“ In: Freitag, 2. April 04.

[33][72] Der Aufruf von Attac Deutschland zum Aktionstag am 03. April .2004 formuliert allerdings eine deutlich Kritik am herkömmlichen Sozialstaat: „Auch der alte Sozialstaat hat sie [Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und dem sozialen Leben, G.S./S.M.] keineswegs umfassend und für alle verwirklicht. Er war mit Kontrolle und Repression ebenso verbunden wie er all denen angemessene Versorgung verweigerte, die nicht (männliche) Standardvollzeiterwerbstätige waren.“ Zit. nach www.alle-gemeinsam-gegen-sozialkahlschlag.de/aktionstag2[73]

[34][74] „Gewerkschaften und SPD hatten sich mit ihrer Initiative ‚Gesundheit ist keine Ware’ gegen den Verkauf von Mehrheitsanteilen stark gemacht. Wie die neue CDU-Alleinregierung mit dem Votum umgeht, ist offen. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hatte schon deutlich gemacht, dass der Verkauf jetzt noch einmal geprüft werden soll. Der Volksentscheid ist rechtlich zwar nicht bindend, aber als praktizierte direkte Demokratie ‚politisch verbindlich.’ Zit. nach taz 02. März 04.

[35][75] Mario Candeias: Wahlalternative 2006 – Ein stark subjektiver Eindruck, in: www.links­net.de/linkslog/?itemid=74[76].

[36][77] Sabine Leidig: Weiter machen, Bewegung schaffen…, in: betrieb&gewerkschaft, April 2004, S. 2.

[37][78] Ebd.

[38][79] Zitiert nach „Arbeit darf nicht arm machen“, in: FR, 02. April 2004.

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