Afrika und die neue Weltordnung

Eingestellt, 4.1.2024

04.01.2024
von Jörg Goldberg

Der achtzehnte Gipfel der G20 im September in Indien hat niemanden wirklich zufriedengestellt. Erstmals ist es dem ›globalen Westen‹ nicht mehr gelungen, seine Agenda – Thematisierung und Verurteilung des russischen Angriffskriegs – durchzusetzen. Und seine Vertretungen haben es nicht gewagt, daran eine gemeinsame Abschlusserklärung scheitern zu lassen. Wenn es das noch gebraucht hätte: Der globale Einfluss der ehemaligen Kolonialmächte ist an seine Grenzen gestoßen. Und es gab ein geopolitisch potentiell bedeutsames Ereignis: Die Afrikanische Union (AU) wurde als einundzwanzigstes Mitglied aufgenommen.

In Afrika knüpfen sich daran teilweise hohe Erwartungen. In zentralen globalen Fragen wie der Klimapolitik, dem internationalen Finanzsystem und der Handelspolitik würde Afrika nun stärker gehört werden. »Die Aufnahme Afrikas in die G20 bedeutet, dass Afrika als zentraler Akteur der Weltwirtschaft anerkannt wird«, meinte der sambische Präsident Hichilema: Afrika würde vom Objekt zum Akteur.

Ob sich diese hochgesteckten Erwartungen erfüllen, ist jedoch alles andere als sicher. Denn die 541 Mitgliedsländer der AU sind von einer gemeinsamen globalen Agenda weit entfernt. Wie fragil die afrikanische Einheit ist, zeigen die jüngsten Auseinandersetzungen in der Sahelzone. Der Militärputsch im Niger im Juli 2023 wurde von der von Nigeria dominierten westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS mit wirtschaftlichen Sanktionen und militärischen Drohgebärden beantwortet, auch die AU verurteilte den Sturz des bisherigen Präsidenten. Dagegen stellten sich die Regierungen Malis und Burkina Fasos (ebenfalls durch Militärputsche an die Macht gekommen) an die Seite Nigers. Sie gründeten die »Allianz der Sahel-Staaten« als Militärbündnis. Auch Algerien lehnte militärische Interventionen gegen den Niger ab. Während die drei Staaten sich scharf gegen den bislang dominierenden französischen Einfluss in West- und Zentralafrika wandten (»Françafrique«), kann sich Frankreich in der Region auf ebenfalls autoritär regierte Staaten wie den Tschad und Guinea stützen. Die militärische Präsenz Frankreichs im Tschad wird verstärkt. Und seit dem Militärputsch in Guinea im September 2021, der ein traditionell russlandfreundliches Regime gestürzt hatte, hat Frankreich seine Beziehungen mit Conakry wieder verstärkt, wobei der Ressourcenreichtum des Landes (Bauxit, Eisenerz) neben seiner strategischen Lage an der Grenze zu Mali ein zusätzlicher Faktor ist. Auch in Mauretanien wird die westliche Präsenz verstärkt, wobei dort die USA militärisch sehr aktiv sind. Instrument des westlichen Einflusses in der Sahel-Region ist die 2017 von der EU, Frankreich und Deutschland gegründete »Sahel-Allianz«, die derzeit von Deutschland präsidiert wird. Sie hat aktuell 18 Mitglieder, neben den großen westlichen Ländern auch diverse internationale Institutionen, wie etwa die Weltbank und regionale Entwicklungsbanken, aber auch das UN-Entwicklungsprogramm. Aber auch unabhängig von der Tatsache, dass sich die globalen geostrategischen Konflikte innerhalb Afrikas als politische Konflikte zwischen einzelnen Mitgliedsländern widerspiegeln2, sind die afrikanischen Länder weit davon entfernt, gemeinsame Interessen zu verfolgen. So gilt z. B. gut die Hälfte der AU-Mitgliedsländer nach Weltbank-Kriterien als ressourcenreich, die andere Hälfte aber ist ressourcenarm. Die Veränderung von Rohstoff- und Energiepreisen hat in Afrika durchaus unterschiedliche Folgen. Projekte, denen gemeinsame ökonomische Interessen zugrunde liegen, wie z. B. die afrikanische Freihandelszone (African Continental Free Trade Area – AfCFTA) gibt es, sie stoßen aber auf zahlreiche Schwierigkeiten, die auch mit unterschiedlichen handelspolitischen Interessen einzelner Mitgliedsstaaten zusammenhängen.

Bis heute gelingt es der EU, durch die unterschiedliche Behandlung von afrikanischen Staaten bzw. Staatengruppen afrikanische Integrationsprozesse zu konterkarieren. Bilaterale Handelsabkommen der EU, wie z. B. mit den nordafrikanischen Ländern, stehen im Widerspruch zu den Intentionen einer afrikanischen Freihandelszone.

Auch die besondere Rolle der Republik Südafrika, die zugleich Mitglied der G20 und der BRICS-Staatengruppe ist, erschwert die Formulierung und Umsetzung gemeinsamer politischer und ökonomischer Positionen. Für BRICS-Länder gilt Südafrika vielfach als »Gateway to Africa«, was nicht von allen afrikanischen Ländern gern gesehen wird, und ebenfalls (wie die Frage der Beziehungen EU-Afrika) im Widerspruch zur Priorität der afrikanischen Integration geraten kann. Südafrika als globaler Akteur steht im Spannungsfeld zwischen eigenen nationalen Interessen, Interessen der BRICS-Gruppe und den Anforderungen des afrikanischen Integrationsprozesses. «Südafrika muss seine Interessen innerhalb von BRICS klar definieren – aber vor allem … als gesamtafrikanisches Interessenparadigma«, formuliert eine Analyse der südafrikanischen Beziehungen zur BRICS-Gruppe.3 Insgesamt ist keineswegs sicher, dass die G20-Mitgliedschaft der AU dem jahrhundertealten »Scramble for Africa«4 der Großmächte ein Ende setzen kann. Immerhin ist zu hoffen, dass der mit dieser Rolle verbundene Zwang, gemeinsame afrikanische Positionen zu den zentralen globalen Fragen zu entwickeln, dem afrikanischen Integrationsprozess neue Impulse verleihen wird.

 

1 Eigentlich sind es 55 Mitgliedsländer, aber Marokko bleibt wegen der Annexion der spanischen Sahara ausgeschlossen.

2 Afrika werde verstärkt ein »diplomatischesKampffeld«, zitiert die Zeitung Le Monde(14.9.23) politische Beobachter.

3 Chris Landsberg/Oscar von Heerden, Manna from Heaven! South Africa’s Search for Relevance in the BRICS Constellation, in: David Monyae/Bhaso Ndzendze (Ed.), The BRICS Order. Assertive or Complementing the West? Cham/Switzerland 2021, S. 143.

4 So bezeichnete die Londoner Times am 15. September 1884 die Auseinandersetzungen zwischen den Kolonialmächten im Kontext der Berliner Kongo-Konferenz. Kritiker übersetzten das auch als »Balgerei um Afrika«.