Editorial

Dezember 2004

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Verlängerung der Arbeitszeiten, das Aufbrechen von Flächentarifen und Lohnsenkungen sind Großkonzerne wie Siemens, DaimlerChrysler, KarstadtQuelle, Opel oder VW als bestimmende Akteure hervorgetreten. Die Herausbildung einflussreicher monopolistischer Unternehmen als Folge des kapitalistischen Akkumulationsprozesses ist ein charakteristisches Strukturmoment des entwickelten Kapitalismus. Ihre Analyse gehört zu den unverzichtbaren Aufgaben der Kapitalismuskritik. Mit den Konzentrations- und Zentralisationsprozessen des Kapitals hatten wir uns in „Z“ zuletzt ausführlicher mit Blick auf die Fusionswelle Ende der 90er Jahre in Z 39 (September 1999) beschäftigt. Im vorliegenden Heft gehen Irene Gallinge und Heinz Bontrup anhand des neuen Berichts der Monopolkommission aktuellen Fragen der Unternehmenskonzentration und der wirtschaftlich-politischen Macht von Großkonzernen nach.

Gallinge stellt Ergebnisse und Defizite des Monopolberichts (Unternehmenskonzentration, Verflechtungen, Gruppenbildung) vor. Dabei macht sie auf wesentliche methodische Probleme der Konzentrationsanalysen der Monopolkommission aufmerksam. Die amtliche Statistik hält an einem längst überholten Unternehmensbegriff aus den zwanziger Jahren fest, mit dem Konzerne und Konzerngruppen, die auch nach Ansicht der Monopolkommission heute dominierende Organisationsformen des Kapitals darstellen, nicht adäquat erfasst werden können. Internationalisierung und Globalisierung werden weder konzeptionell noch empirisch thematisiert. Um wenigstens einige Defizite der amtlichen Statistik auszugleichen, muss die Monopolkommission auf große private Datenbanken zurückgreifen. Heinz Bontrup untersucht die Vermachtung der Energiewirtschaft. Liberalisierung und Deregulierung des Strommarktes haben keineswegs zu mehr Wettbewerb, sondern durch vertikale und horizontale Zusammenschlüsse zu einer weiteren Reduzierung der Zahl der Energieversorgungsunternehmen auf nunmehr nur noch vier „Energiegiganten“ und zu einer Konzentrationssteigerung geführt hat. Dies schlägt sich u.a. in der Preisgestaltung nieder, die nun durch eine staatliche Regulierungsbehörde unter Kontrolle gebracht werden soll; doch fehlen ihr, wie Bontrup im einzelnen darlegt, hierfür wesentliche Informationsquellen und Hebel. Die Auseinandersetzung mit Ergebnissen und Ansichten der Monopolkommission setzen wir im nächsten Heft mit einer Kritik von Jörg Huffschmid am Konzept der „nationalen Champions“ fort, also einer staatlichen Industriepolitik, die auf die Förderung großer nationaler (und europäischer) Konzerne im globalen Konkurrenzkampf setzt.

Von der Analyse bestimmender Konzernmacht zu den Gegenbewegungen. Den mehrmonatigen Demonstrationszyklus der Montagsdemonstrationen untersucht Harald Werner. Er sieht sie als Moment der Formierung einer neuen außerparlamentarischen Opposition und der Herausbildung eines eigenständigen Protestpotentials in Ostdeutschland. An ihrem Beispiel, so Werner, zeigen sich Möglichkeiten und Grenzen, aber auch die Ambivalenz (Öffnung nach rechts) exemplarischer sozialer Lernprozesse in einer Phase gesellschaftlichen Wandels, die durch zunehmende Widersprüche zwischen den gesellschaftlichen Klassen gekennzeichnet ist und neue politische Kräfte hervorbringt.

In der Rubrik „Marx-Engels-Forschung“ stehen diesmal werttheoretische Fragen zur Diskussion. Hans-Peter Büttner nimmt das in „Z“ verschiedentlich thematisierte Problem der Wert-Preis-Transformation neu auf. Jürgen Scheele stellt anhand einer jüngst erschienenen Monographie den meist nur als Korrespondenten von Marx und Engels bekannten Conrad Schmidt als Kritiker der Marxschen Werttheorie und Neukantianer vor. Im nächsten Heft werden wir u.a. über die Neuedition des 3. Bandes des Kapital im Rahmen der MEGA berichten.

Aspekte von Subjektentwicklung, Herrschaft und Emanzipation behandeln Tjaden-Steinhauer/Tjaden, Stiehler und Anneliese Braun. Paläoanthropologie, Hirnforschung und Kognitionswissenschaften haben gegenwärtig für die Selbstverortung der Subjekte in zunehmend unübersichtlichen Zeiten bis in die Feuilletons und Kultursendungen des Fernsehens Konjunktur. Margarete Tjaden-Steinhauer und Karl Hermann Tjaden unterziehen die Theorie von Michael Tomasello (Leipziger MPI für Evolutionäre Anthropologie) über die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens einer eingehenden Kritik. Erscheint hier menschliche Zivilisation samt inneren Widersprüchen und repressiven Zügen als reines Evolutions- und damit Naturprodukt? Um den Zusammenhang von natürlichen Grundlagen menschlichen Verhaltens, Herrschaft in der Gesellschaft/Herrschaft über die Natur und Ansatzpunkten menschlicher Emanzipation geht es im Beitrag von Gottfried Stiehler. Nach Möglichkeiten einer emanzipatorischen Alternative zum alle Lebensbereiche der Diktatur der Warenwirtschaft unterwerfenden neoliberalen Kapitalismus fragt Anneliese Braun; in ihrem Konzept „ganzheitlicher Reproduktion“ integriert sie Elemente marxistischer und feministischer Theorie. Überlegungen zu Veränderungen in der Arbeiterklasse, dem gegenwärtigen Zustand von „Alternativlosigkeit des Kapitalismus“, Brüchigkeit seiner Basis und neuen Subjekten steuert Klaus Maretzky bei.

Zu den „weiteren Beiträgen“: Globalisierungsanalyse und -kritik bleibt eines unserer Dauerthemen. Jörg Roesler untersucht in einer historisch angelegten Studie anhand der Entwicklung Lateinamerikas, inwieweit der heutige Globalisierungsprozess durch Politik beeinflusst oder durch ökonomische Zwänge determiniert ist. Auch als Einführung in klassische Fragen des Verhältnisses von Ökonomie, Staat und Recht kann man die den Arbeiten von Uwe-Jens Heuer gewidmete Literaturbesprechung von Peter Römer lesen, die einen eindrucksvollen Überblick über dessen rechts- und politiktheoretische Studien gibt.

Mit Z 60 schließen wir den 15. Jahrgang ab. Dem Heft liegt ein Z-Prospekt bei, der über die bisher erschienenen Hefte informiert und den für Bestellungen und Werbezwecke zu nutzen wir alle LeserInnen und Leser herzlich einladen. Wer Prospekte bei Tagungen und Seminaren auslegen will, kann sie bei der Redaktion per e-mail anfordern. Vorschau zu Heft 61 auf S. 173.