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Hegels Begriff der Negativität (II)

Juni 2006

Vorbemerkung: ‚Negativität’ ist einer der methodischen Grundbegriffe, wenn nicht der methodische Grundbegriff der hegelschen Philosophie. Da es bei Hegel davon keine zusammenhängende Explikation gibt, muss man sich die Bedeutung aus unterschiedlichen Kontexten zusammensuchen, was einige Schwierigkeiten bereitet. Teil I dieses Beitrags (Z 65, März 2006, S. 174-184) hatte sich mit der Phänomenologie des Geistes und der Wissenschaft der Logik beschäftigt.[1]

Die ‚negative Natur’ des Wesens. ‚Absolute Negativität’
in der Begriffslogik

In der Wesenslogik wird Selbstkonstitution selber Thema. Das Wesen gibt sich selbst sein Dasein, durch Insichgehen des Seins, d.h. die Bewegung des Intensivwerdens, die schon beim Übergang zum Unendlichen deutlich wurde, wird hier explizit. Das Wesen ist die Sphäre der Vermittlung, der vermittelten oder reflektierten Unmittelbarkeit und des Ineinanderscheinens der Relate. Im Aufbau der WdL repräsentiert die Wesenslogik speziell die Sphäre der Negativität oder des Nichtidentischseins, Hegel spricht hier von ‚negativer Natur des Wesens’. Das Sein wird in den Schein übersetzt, d.h. aber in das Scheinen des Wesens in ihm selbst, seine Selbstexplikation, sein Sichzeigen und Sichoffenbaren: „Das Sein ist Nichtsein in dem Wesen. Seine Nichtigkeit an sich ist die negative Natur des Wesens selbst“ (6,21). Die beiden Momente des Scheins, „die an sich seiende Negativität und die reflektierte Unmittelbarkeit“, sind „die Momente des Wesens selbst“ (6,22). Das Wesen ist negative Selbstvermittlung: „Denn das Wesen ist das Selbständige, das ist als durch seine Negation, welche es selbst ist, sich mit sich vermittelnd; es ist also die identische Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit“ (ebd.). Als Reflexion, verstanden als strukturelles Sich-auf-sich-Zurückbeugen, ist das Wesen „die Bewegung des Werdens und Übergehens, das in sich selbst bleibt“ (6,24), also nicht das Übergehen in Anderes, sondern das Scheinen des Anderen in ihm selbst, Internstruktur der Negation der Negation (die in der Seinslogik bereits als ‚absolute Negativität’ charakterisiert wurde, vgl. 5,124). Nicht hier das Eine, da das Andere, dazwischen die Schranke, sondern der interne Unterschied, der in den Selbstbezug der Negation der Negation fällt, als Bewegung zwischen dem Negierenden und dem Negierten: „Die reflektierende Bewegung hingegen ist das Andere als die Negation an sich, die nur als sich auf sich beziehende Negation ein Sein hat. (...) Das Andere ist hier also nicht das Sein mit der Negation oder Grenze, sondern die Negation mit der Negation. Das Erste aber gegen dies Andere, das Unmittelbare oder Sein, ist nur diese Gleichheit selbst der Negation mit sich, die negierte Negation, die absolute Negativität. (...) Das Werden im Wesen, seine reflektierende Bewegung, ist daher die Bewegung von Nichts zu Nichts und dadurch zu sich selbst zurück“ (ebd.).

Dass Negativität hier sich selbst thematisiert, drückt der Ausdruck „sich auf sich beziehende Negativität“ (6,25) oder „sich nur auf sich beziehende Negativität“ (6,23) aus, ungeachtet dessen, dass ‚Negativität’ sowieso den Selbstbezug impliziert; es ist ein Hinweis darauf, dass die Bestimmungen der Wesenslogik ganz aus der Negativität des Wesens entwickelt sind. Die Dialektik von Setzen und Voraussetzen in der ‚setzenden Reflexion’ lässt sich nun als eine Bewegung zwischen dem Explikans und dem Explikandum verstehen, als Erläuterung von Selbstexplikation: Die Reflexion „findet ein Unmittelbares vor, über das sie hinausgeht und aus dem sie die Rückkehr ist. (...) Dies Vorgefundene wird nur darin, dass es verlassen wird; seine Unmittelbarkeit ist die aufgehobene Unmittelbarkeit“ (6,27). Man kann hier an das ‚A = A’ der Identität denken: das A ist als „Sich-Abstoßen von sich selbst“ (ebd.) ein „Zusammengehen mit sich“ (6,28); es ‚wird’, indem es ‚verlassen’ wird. Es wird axiomatisiert, d.h. per ‚äußere Reflexion’ (d.i. die abstrahierende Reflexion) wird äußerlich ein Unmittelbares vor die Vermittlung gesetzt und damit ein absoluter Anfang versucht. Die Reflexion ist negative Tätigkeit, aber „im Negieren das Negieren dieses ihres Negierens“ (6,29). Die ‚bestimmende Reflexion’ schließlich zeichnet die Fixierung der ‚Reflexionsbestimmungen’ nach (Identität, Unterschied, Widerspruch): „In ihnen hat sich die Bestimmtheit durch die Beziehung auf sich befestigt und unendlich fixiert. Es ist das Bestimmte, das sein Übergehen und sein bloßes Gesetztsein sich unterworfen oder seine Reflexion-in-Anderes in Reflexion-in-sich umgebogen hat“ (6,34). Die bestimmende Reflexion ist „die außer sich gekommene Reflexion“ (ebd.), weil sie sich von ihren eigenen Bestimmungen bestimmen lässt. Die Reflexionsbestimmung hat „zwei Seiten“, sie ist „Gesetztsein“, Explikationsprodukt, und „Reflexion-in-sich“ (ebd.), „unendliche Beziehung auf sich“ (6,35), Verfestigung. Hegels Kritik der abstrakten Identität ist im Ansatz verblüffend und von ungewöhnlicher Radikalität: „die eigentliche Bestimmung ist der Unterschied“ (6,36). Ein Hauptsinn der Prozedur, das A als ‚in sich reflektiertes’ (d.h. pseudo-autarkes, sich angeblich nur auf sich beziehendes) dadurch zu generieren, dass man es sozusagen außer sich gehen, durch Selbstverdopplung sich gegenüber treten lässt und dann als gleich mit dem anderen A aussagt – gemeint ist aber in jeder Hinsicht dasselbe – ist abstraktes Hervorheben und Zeigen, dass dies nun zum Gesetz fixiert sei. Schon in seinen Entwürfen zur Logik, Metaphysik und Naturphilosophie von 1804/05 hat Hegel den Satz der Identität in einem auf die WdL-Analysen vorausweisenden Sinne thematisiert. „Das Sichselbstgleiche“, heißt es dort, „ist es mit Gleichgültigkeit gegen jede Bestimmtheit: A = A; dies A bedeute, was es wolle“ (JS II,137)[2] – es ist nur sich selbst gleich; dabei geht es nicht um das A, sondern um die Sichselbstgleichheit selbst: „Nicht die Bestimmtheit A ist an sich, sondern dass sie sich selbst gleich ist, dies ist an sich“ (ebd.). Nun ist zwar die „Vertilgung aller Verschiedenheit“ dem Satz der Identität nicht gelungen, insofern „A = A eine Verschiedenheit, zwei A ausdrückt“, doch der Satz versucht zugleich auszudrücken, dass dieses Verschiedensein der beiden A, „die Verschiedenheit, dies Anders unmittelbar“ ebensosehr „nicht ist“ – „es ist dasselbe A, das auf beiden Seiten ist; (...) jedes ist das Eine und das Andere“ (JS II, 137f.). Der Satz benötigt zweimal den gleichen Ausdruck (zwei Exemplare von ‚A’), um dasselbe im Sinne einer Selbstexplikation abstrakter Selbigkeit zu verfestigen. Das andere A ist kein anderes, es handelt sich im strengen Sinne um Selbstunterscheidung: „Aber das Nichtsein des Anderen ist Aufheben des Anderen und somit des Unterscheidens selbst. So ist aber das Unterscheiden hier vorhanden als sich auf sich beziehende Negativität“ (6,40); Hegel drückt das auch so aus, die Identität sei die Identität der Nichtidentität, die nur sich selbst enthält, aber sie sei die „Bestimmung“ der Identität gegen die absolute Nichtidentität, die sie „an ihr selbst“ ist (6,41). Die Form des ‚A = A’ zeigt das Verschieden-von-sich-selbst-Sein und zugleich die Unterdrückung (Negation) des Andersseins (also „Negation der Negation“, 6,45); es wird damit „nichts gesagt“ (6,43). Wird angesetzt ‚A ist...’, so erfordert die Bedingung für Nichttrivialität, dass ein Verschiedenes von A ausgesagt wird, „aber es kommt nicht zu dem Verschiedenen“, die Verschiedenheit, das Anderssein, „ist nur ein Verschwinden“, die Bewegung „geht in sich selbst zurück“ (6,44). In der „Form des Satzes“ liegt „mehr als die einfache, abstrakte Identität“, es liegt darin die „reine Bewegung der Reflexion“, die „Notwendigkeit“ eines Nicht-A (ebd.), aber dieses „zeigt sich nur, um zu verschwinden“, die Bewegung ist so „die einfache Negativität“ (6,45).

Hegels Argumentation zur Identität kann hier nicht weiterverfolgt werden, und auch der Übergang zum ‚absoluten Unterschied’ kann nur sehr knapp betrachtet werden.[3] Dieser liegt schon in der Identität: „Der Unterschied ist die Negativität, welche die Reflexion in sich hat, das Nichts, das durch das identische Sprechen gesagt wird, das wesentliche Moment der Identität selbst, die zugleich als Negativität ihrer selbst sich bestimmt und unterschieden vom Unterschied ist“ (6,46). Das ‚A = A’ zeigt Gleichheit unter einem Gesichtspunkt, „derselben Rücksicht“, die hier die Selbigkeit selber ist. Die ‚Rücksicht’ ist die Selbigkeit der abstrakt Auseinandergehaltenen. Der Unterschied wird nun rein auf sich selbst angewandt, das heißt aber die Identität wird auf ihn angewandt, dabei zeigt sich, dass er die Identität als Moment an sich hat: „Der Unterschied an sich ist der sich auf sich beziehende Unterschied; so ist er die Negativität seiner selbst, der Unterschied nicht von einem Anderen, sondern seiner von sich selbst; er ist nicht er selbst, sondern sein Anderes. Das Unterschiedene aber vom Unterschied ist die Identität. Er ist also er selbst und die Identität. Beide zusammen machen den Unterschied aus; er ist das Ganze und sein Moment“ (6,46f.). Es wird also das Schema der Identität der Identität und der Nichtidentität auf den Unterschied angewandt, der somit der Unterschied des Unterschieds und der Identität ist. Die ‚Verschiedenheit’ wird dann ganz von der Identität aus konstruiert. „Die Identität zerfällt an ihr selbst in Verschiedenheit, weil sie als absoluter Unterschied in sich selbst sich als das Negative ihrer setzt und diese ihre Momente, sie selbst und das Negative ihrer, Reflexionen-in-sich, identisch mit sich sind“ (6,47f.). Die Verschiedenheit ist gleichgültiges Gegeneinanderfixiertsein der Momente, Getrenntheit des abstrakt Auseinandergehaltenen. „Die äußere Reflexion bezieht das Verschiedene auf die Gleichheit und Ungleichheit. Diese Beziehung, das Vergleichen, geht von der Gleichheit zur Ungleichheit und von dieser zu jener herüber und hinüber“ (6,50). Die sich entfremdete Reflexion trennt die Relate, „indem sie sie auf ein und dasselbe bezieht, durch die Insoferns, Seiten und Rücksichten“ (ebd.): zwei Relate sind gleich in bestimmter Hinsicht, in anderer Hinsicht nicht. Dieser äußerliche Unterschied hebe „sich selbst auf“ und sei „die Negativität seiner an sich selbst“ (6,51); zu setzen sei die negative Einheit der verschiedenen Momente, mithin der bestimmte Gegensatz: seine Momente sind „in einer Identität verschiedene“ (6,55). Im Gegensatz kommt das „an und für sich“ Positive und Negative zum Ausdruck (6,59), die im Widerspruch gleichwohl als „dasselbe“ (6,70) gesetzt sind (vgl. das wechselseitige Hervorbringen und Ineinanderschillern in der Antinomie: positiv genau dann, wenn negativ, und umgekehrt). Das reflexionslogische Substrat (M.Wolff[4]), das A, ist explizit weder A noch -A und implizit beides, und es bestimmt sich zum Grund und Bedingungszusammenhang weiter (das Unbedingte, das Absolute, ist die negative Einheit des Bedingenden und Bedingten, interne Strukturkomplexität der Negation der Negation). Die Wesenslogik endet mit der Wechselwirkung, zunächst eine gegenseitige Kausalität sich bedingender Substanzen, dann aber als Vermittlungsverhältnis von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, das schon der Begriff ist, „das Reich der Subjektivität und Freiheit“ (6,240) – mit diesem Wort endet die Selbstexplikation der wesentlichen Negativität.

Das Wesen hatte „sich“ selbst „Dasein und dann sein Fürsichsein zu geben“ (6,15), es „ist das, was es ist, nicht durch eine ihm fremde Negativität, sondern durch seine eigene, die unendliche Bewegung des Seins“ (6,14). Nun hat der Begriff sich explizit „zur Grundlage gemacht“ (6,245); schon für Sein und Wesen leistete er die selbstreferenzielle Entfaltung von Formtätigkeit, doch nunmehr realisiert er sich selbstreferentiell als das, was er an und für sich ist. Das Sein ist Anundfürsichsein (des Begriffs) im Stande des Ansichseins (als scheiternder Versuch, im Stande der einfachen Unmittelbarkeit bei sich zu bleiben); das Wesen ist Anundfürsichsein (des Begriffs) im Stande des Fürsichseins (d.h. eines scheiternden Versuchs, sich durch Reflexion auf und in sich rein auf sich zu beziehen und durch Selbstvermittlung, vermittelte Unmit-telbarkeit, in und bei sich zu bleiben); der Begriff aber ist Anundfürsichsein seiner selbst im Stande des Anundfürsichseins (d.h. des sich selbst Erreichens und Einlösens), und seine spezifische Unmittelbarkeit besteht darin, „aus der Aufhebung der Vermittlung sich zum Unmittelbaren gemacht“ zu haben, d.h. in der aufgehobenen Unmittelbarkeit. In diesem Sinne ist hier von ‚Identität’ die Rede: „Sein und Wesen sind insofern die Momente seines Werdens; er aber ist ihre Grundlage und Wahrheit als die Identität, in welcher sie untergegangen und enthalten sind“ (6,245).

Um eine Komplexitätssteigerung in puncto Intensität und Sichdurchsichtigwerden (bis zur resultativen Selbstdurchsichtigkeit) anzuzeigen, spricht Hegel hier nun viel von ‚absoluter Identität’ und ‚absoluter Negativität’ (vgl. 6,251: „indem sie durch das Moment der absoluten Negativität sich setzt, wird sie manifestierte oder gesetzte Identität und damit die Freiheit, welche die Identität des Begriffs ist“). Indes war ja schon die „Negation der Negation“ als solche als „absolute Negativität“ (5,124) und dann das Wesen als „die identische Einheit der absoluten Negativität und der Unmittelbarkeit“ charakterisiert worden (6,22), insofern ist eine Steigerung hier durch ‚absolute Negativität’ schwer auszudrücken. Der Ausdruck kann hier, zumal in restringierender Verbindung mit ‚Moment’, als unglücklich empfunden werden, denn ‚absolute Negativität’ müsste vielmehr das sein, gegenüber dem auch die spezifischen Negativitätsstrukturen der Begriffslogik ‚nur’ selbstabstraktiv sind. Hegel aber geht es darum, im Bereich der Begriffslogik absolute Negativität als die des Begriffs offenzulegen und dieses Vorinterpretiertsein auch rückwirkend als das Sichselbstmanifestieren des Begriffs aufzuzeigen. Man kann davon ausgehen, dass erst der Durchgang durch den Selbstbezug der Negation der Negation in der Wesenslogik Hegel dazu berechtigt, nun den Begriff als ‚absolute Negativität’ zu charakterisieren, wobei ‚absolute Negativität’ nunmehr gegenüber der Seins- und Wesenslogik weiterexpliziert wird. Dieser Wortgebrauch kann nun auch darauf rekurrieren, dass ‚das Absolute’ in der Wesenslogik relationslogisch explizit thematisiert worden war und hier nun als in jedweder Relativität gesetzt und in seiner Tätigkeit vorläufig durchsichtig geworden gelten kann („In der Tat aber ist das Auslegen des Absoluten sein eigenes Tun, und das bei sich anfängt, wie es bei sich ankommt“, 6,190). Die Intensität des ‚Insichgehens’ der Wesenslogik muss dabei durch ein explizites Aus-sich-Heraustreten konterkariert und zugleich aufbewahrt werden, das die Form konkreten Sichobjektivierens gewinnen soll (so jedenfalls Hegels Ziel). Bleibt festzuhalten, dass die Selbstexplikation absoluter Negativität als explizit begrifflicher, die im Modus von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit geschieht, erst in der Begriffslogik erfolgt, wo ‚Intensität’, ‚Freiheit’, ‚Subjektivität’ nun explizit als die des Begriffs ins Spiel kommen. Hegel scheint hier, wenn man diese Stelle verallgemeinern darf, ‚absolute Negativität’ im Sinne von ‚unendliche Einheit der Negativität mit sich’ zu verwenden: „Der Begriff ist daher zuerst so die absolute Identität mit sich, dass sie dies nur ist als die Negation der Negation oder als die unendliche Einheit der Negativität mit sich“ (6,274). Dies ist eine neue Fassung des Mottos ‚Identität ist Negativität’ aus der Wesenslogik, das sofort greift, wenn man versucht, den allgemeinen Begriff in seiner Unmittelbarkeit, dem Moment reiner Selbstidentität, zu explizieren. Der Begriff ist „als absolute Negativität das Formierende und Erschaffende“ (6,277).

„Das wahrhafte, unendliche Allgemeine, welches unmittelbar ebensosehr Besonderheit als Einzelheit in sich ist, ist nun zunächst näher als Besonderheit zu betrachten. Es bestimmt sich frei; seine Verendlichung ist kein Übergehen, das nur in der Sphäre des Seins statthat; es ist schöpferische Macht als die absolute Negativität, die sich auf sich selbst bezieht. Es ist als solche das Unterscheiden in sich, und dieses ist Bestimmen dadurch, dass das Unterscheiden mit der Allgemeinheit eins ist. Somit ist es ein Setzen der Unterschiede selbst als allgemeiner, sich auf sich beziehender“ (6,279). Nun, dass die (absolute) Negativität in der hegelschen Dialektik die eigentlich „schöpferische Macht“ ist, wissen wir bereits aus der PhG und der ganzen Logik (vgl. 6,78: „die Negativität, welche die inwohnende Pulsation der Selbstbewegung und Lebendigkeit ist“); „absolute Negativität, die sich auf sich selbst bezieht“ scheint mir explikativ gemeint zu sein (‚die sich immer, grundsätzlich auf sich selbst bezieht’) und weniger im Sinne von Steigerung. Der ‚absoluten’ Negativität, die dadurch angeblich erst wahrhaft als ‚absolute’ sich begreifen lässt, wird die Rolle zuteil, spezifisch den Begriff in seiner Besonderheit (als Sich-von-sich-Unterscheiden) und Einzelheit darzustellen. „Es ist aber gerade die Natur des Allgemeinen, ein solches Einfaches zu sein, welches durch die absolute Negativität den höchsten Unterschied und Bestimmtheit in sich enthält“ (6,275). Die Einzelheit, so Hegel, „ist der aus dem Unterschiede in die absolute Negativität sich reflektierende Begriff“ (6,274). Weil der Begriff „die absolute Negativität ist, so dirimiert er sich und setzt sich als das Negative oder als das Andere seiner selbst“ (6,272).

Schluss: Erste und zweite Negation in der Philosophie
des Geistes. Das Abschließen der Logik zum Kreis

Aus Hegels Charakterisierungen des Geistes im dritten Teil der Enzyklopädie lässt sich das Zusammenspiel von erster und zweiter Negation in einem für Hegels gesamte Denkweise aufschlussreichen Sinne ablesen. Der ‚Geist’ figuriert als leitender Totalitätsbegriff des hegelschen Systems im Sinne eines strikten Monismus: „Ein durchaus Anderes ist für den Geist gar nicht vorhanden“ (10,10 - § 377 Z.). Dass der Geist durch Negativität charakterisiert ist, zeigen zahlreiche Stellen: „Der Geist ist nicht ein Ruhendes, sondern vielmehr das absolut Unruhige, die reine Tätigkeit, das Negieren oder die Idealität aller festen Verstandesbestimmungen, – nicht abstrakt einfach, sondern in seiner Einfachheit zugleich ein Sich-von-sich-selbst-Unterscheiden“ (10,12 - § 378 Z.). Naturbehaftetheit ist das Mangelhafte des Geistes (erste Negation); dass der Geist die Natur voraussetze, ist Schein, denn das Wesen, das diesen Schein produziert, ist er selbst. Er setzt in seinem Anderen sich selbst voraus, indem er sich zu sich entwickelt und dabei nur in sich zurückkehrt (zweite Negation). „In dieser Wahrheit ist die Natur verschwunden, und der Geist hat sich als die zu ihrem Fürsichsein gelangte Idee ergeben, deren Objekt ebensowohl als das Subjekt der Begriff ist. Diese Identität ist absolute Negativität“; der Geist „ist diese Identität somit zugleich nur als Zurückkommen aus der Natur“ (10,17 - § 381). Alle Äußerlichkeit des Geistes, auch sein bestimmtes Sein (Dasein) selbst, ist nur erste Negation (Grenze, Schranke, Mangel), der Geist kann davon abstrahieren und erweist sich so als das Konkrete schlechthin; „er kann die Negation seiner individuellen Unmittelbarkeit, den unendlichen Schmerz“ – das ist erste Negation – „ertragen, d.i. in dieser Negativität affirmativ sich erhalten und identisch für sich sein“ (10,25f. - § 382), dieses Beisichsein ist die zweite Negation oder Negation der Negation. Man darf sich also nicht dadurch verwirren lassen, dass die Ausdrücke ‚negativ’, ‚das Negative’ und ‚Negativität’ mal im Sinne der ersten und mal im Sinne der zweiten Negation gebraucht werden, sondern muss aus dem Kontext im Einzelnen analysieren, wie es jeweils gemeint ist. Hegel nähert sich umgangssprachlichen bewertenden Redeweisen vom ‚Negativen’ an, wenn als ‚negativ’ im Sinne der ersten Negation der Tod (als „negative Macht“, 10,25 - § 381 Z.), der Schmerz („die Negativität eines plötzlich hereinbrechenden Schmerzes“, 10,112 - § 401 Z.), das Böse (als „das Negative des an und für sich seienden unendlichen Geistes“ ist das Böse „der sich auf die Spitze seiner Einzelheit stellende Geist“, 10,26 - § 382 Z.) und die Verrücktheit (als Beschränkung, sich im Geist festsetzende Endlichkeit, vgl. 10,161ff. - § 408) bezeichnet werden. Konkrete, absolute Negativität integriert, enthält und überschreitet die abstrakte Negativität, das wird als der Kern des ‚Idealismus’ des Geistes offengelegt: die Schranke ist und ist zugleich nicht, denn sie ist nur als schon aufgehobene. „Die Schranke ist also nicht in Gott und im Geiste, sondern sie wird vom Geiste nur gesetzt, um aufgehoben zu werden. Nur momentan (im strukturellen Sinne von ‚Moment’, zu dem er alle Einseitigkeiten herabsetzt, T.C.) kann der Geist in einer Endlichkeit zu bleiben scheinen; durch seine Idealität ist er über dieselbe erhaben, weiß er von der Schranke, dass sie keine feste Schranke ist. Daher geht er über dieselbe hinaus, befreit sich von ihr, und diese Befreiung ist nicht, wie der Verstand meint, eine niemals vollendete, eine ins Unendliche immer nur erstrebte, sondern der Geist entreißt sich diesem Progress ins Unendliche, befreit sich absolut von der Schranke, von seinem Anderen, und kommt somit zum absoluten Fürsichsein, macht sich wahrhaft unendlich“ (10,37 - § 386 Z.). Hier ist das Zusammenspiel von erster und zweiter Negation erneut klar bezeichnet. Die zweite Negation leistet ein ‚Vernichten des Nichtigen’, ‚Töten des Todes’, ‚Vereiteln des Eitlen’ usw. Vernunft ist, so Hegel, das eo ipso Unbeschränkte, alle Schranken Übersteigende: „Wenn man daher von den Schranken der Vernunft spricht, so ist dies noch ärger, als ein Sprechen von hölzernem Eisen es sein würde“ (10,233 - § 441 Z.). Mit einer modernen Position, für die Vernunft sprachlich und gesellschaftlich bestimmt und damit auch begrenzt ist, ist dieser Standpunkt unvereinbar.

Am Ende der WdL wird Negativität weitgehend in Identität zurückgenommen. Die Idee ist „das Vernünftige“ als „die Totalität des Begriffs und der Objektivität“ (6,462f.) – nach dem hegelschen Kohärenzprinzip benötigt sie keinen „kongruierende(n) Gegenstand in der Sinnenwelt“, da ihre Kongruenz mit sich selbst, in diesem Sinne ihr Sich-nur-auf-sich-Beziehen, bemisst, was als bloße Erscheinung, als „das unwahre Sein der objektiven Welt“ zu gelten habe (6,463). Was die Idee nicht adäquat ausdrückt, ist insoweit ‚nichtig’. Das gilt für die gesamte Sphäre der Natur, die von der absoluten Idee ‚frei’ entlassen wird, aber nur, damit sich am Ende der Geist aus ihr über sie erhebt und frei in sich zurückkehrt (der Geist vollzieht also die Negation des Negativen). In der absoluten Idee teilt sich die Selbst-Struktur gleichsam auf: das protensive (vorwärtsgewandte) Moment ist nun das Hervorbringen der Natur (und somit Hort von Negativität, im doppelten Sinne), retensiv (rückwärtsgewandt) wird die Selbstaufhebung der Selbstvermittlung zur einfachen Unmittelbarkeit als abstrakt-formeller Zusammenschluss mit dem Anfang und damit Schließen des Kreises der Logik konstruiert („Dies Resultat hat nun als das in sich gegangene und mit sich identische Ganze sich die Form der Unmittelbarkeit wiedergegeben“, 6,566). Dialektik wird somit auf einen anderen Systemteil vertagt, doch es ist klar, dass sich mit der Schließung des Gesamtsystems zum „Kreis von Kreisen“ (6,571) am Ende das Problem des Übergewichts von Identität über Negativität reproduzieren wird. Exteriorisiert ist dann die objektive, reale Geschichte (als Natur- und Menschengeschichte, von Menschen im Rahmen ihrer Naturabhängigkeit gestaltete Geschichte), insofern sie über das hegelsche System und seinen Vernunftbegriff hinaus weitergeht, und so ist es eine dialektische Konsequenz ‚mit Hegel (d.h. das Motto ‚Identität ist Negativität’) gegen Hegel’, wenn sie, als nicht letztgültig fixierbare (nicht auf den reinen Begriff festlegbare) ‚Negativität’ (Selbstbewegung, Sich-von-sich-Unterscheiden), das System sprengt. Die großen materialistischen Uminterpretationen Hegels haben denn auch bei der ‚Negativität’ eingehakt und von da aus den absoluten Idealismus kritisiert: durch Aufgreifen des Tätigkeitsaspektes (bei Marx: Tätigsein der Natur, Tätigsein des Kapitals als sich verwertender Wert, Selbstkonstitution des Gattungssubjekts durch Arbeit, Werden der Klasse-an-sich zur Klasse-für-sich), durch Betonung von Totalisierung gegen Totalität (bei Sartre: die Aktion der Gruppe in der Kritik der dialektischen Vernunft), oder durch den Versuch, zu einem neuen Dialektikmodell ohne Systemfigur zu gelangen aus der Einsicht, dass Hegels Dialektik ‚nicht negativ genug’ war (bei Adorno, der Hegels Begriff der Negativität für seine Negative Dialektik allerdings nicht analysiert hat).

[1] Ich zitiere Hegel nach den Werken in 20 Bdn. ed. Moldenhauer/Michel, Frankfurt/M. 1969ff. (u.ö.): Bd.3: Phänomenologie des Geistes; 5/6: Wissenschaft der Logik I/II (Text von 1831 bzw. 1813-16); 10: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830) III.Teil: Die Philosophie des Geistes (Z. = mündlicher Zusatz); 19: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Michelet 1833-36) Bd.II

[2] JS II = Jenaer Systementwürfe II. Logik, Metaphysik, Naturphilosophie (1804/05), ed. R.-P.Horstmann, Hamburg 1982.

[3] Ausführlicher zu diesen Themen: Thomas Collmer, Hegels Dialektik der Negativität. Untersuchungen für eine selbst‑kritische Theorie der Dialektik, Gießen 2003.

[4] Siehe Michael Wolff, Der Begriff des Widerspruchs. Eine Studie zur Dialektik Kants und Hegels, Königstein/Ts. 1981.