Kapitalistische Schwellenländer – Aufstieg der Peripherie?

Chinas Weg zum Staatskapitalismus

September 2006

Die Welt blickt auf China: Das scheinbar unaufhaltsame Wirtschaftswachstum mit einer Steigerungsrate von knapp 10% pro Jahr seit Ende der 1970er Jahre versetzt die Welt in Erstaunen. China, einst eines der ärmsten Entwicklungsländer, avancierte im Jahr 2005 zur viertgrößten Volkswirtschaft hinter den USA, Japan und Deutschland und zur drittgrößten Handelsnation der Welt hinter Deutschland und den USA. In der Tat ist der globale Kapitalismus heute ohne China nicht denkbar. Die gewaltige Wachstumsdynamik Chinas ist – neben der Konsumfreude der USA – ein wichtiges Zugpferd der Weltwirtschaft. Chinas spektakulärer ökonomischer Aufstieg im globalen Kapitalismus wird von allen Seiten, unabhängig von politisch-ideologischen Positionen, anerkannt und meist euphorisch gefeiert. Ursprünglich wurde die China-Euphorie von den internationalen Wirtschaftskreisen in die Welt gesetzt, da sie einen Markt mit 1,3 Mrd. Konsumenten vor sich sahen. Die Begeisterung über China beschränkte sich jedoch nicht nur auf jene Kreise. Joseph Stiglitz, ein prominenter Kritiker des Marktradikalismus, lobt das „Modell China“ als das überlegene Gegenkonzept zum westlichen Neoliberalismus und bescheinigt ihm eine Vorbildfunktion sogar für die gesamte Welt (vgl. Stiglitz 2003: 209-225, People’s Daily, 18.9.2003). Nicht zuletzt prophezeit André Gunder Frank (2005: 175-178) als ein linker Weltsystemtheoretiker den baldigen Untergang der globalen Vorherrschaft der USA und das beginnende ostasiatische Zeitalter, geführt durch die aufstrebende Weltmacht China. Hier beobachten wir eine seltsame Einstimmigkeit zwischen Anhängern der freien Marktwirtschaft und deren Kritikern, einschließlich der linken Kapitalismuskritiker, über die positiven Effekte von Chinas Eintreten in den globalen Kapitalismus.

Unbestreitbar ist, dass China, von der neoliberalen Globalisierung profitiert und an Bedeutung im globalen Kapitalismus gewinnt. Darin liegt die Stärke der chinesischen Wachstumsdynamik, aber auch ihre Schwäche. Chinas Wachstum, das der KP-Staat den „Sachzwängen“ der neoliberalen Globalisierung getreu steuert, kann selbst Opfer jener Zwänge werden.

Chinas Wandlung vom Staatssozialismus zum
Staatskapitalismus

Der offizielle Startschuss für Chinas erfolgreiche Metamorphose von einem armen sozialistischen Entwicklungsland zu einem Wirtschaftsgiganten im globalen Kapitalismus geht auf eine Plenarsitzung des Zentralkomitees der KP im Dezember 1978 zurück. Die KP deklarierte das Ende der „Ära des turbulenten Klassenkampfes“ und den Beginn einer neuen historischen Ära der „Reformen und Öffnung“. Als Ziel der Reformen wurde die Entwicklung der Produktivkräfte zur Verwirklichung der „Vier Modernisierungen“ in Landwirtschaft, Industrie, Wissenschaft und Technologie sowie Landesverteidigung genannt. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Nutzung marktwirtschaftlicher Anreize befürwortet. So kündigte die KP an, dass „alle Aspekte in der Beziehung zwischen Produktion und Überbau, die diesem Ziel im Wege stehen, entscheidenden Veränderungen unterzogen werden sollten.“[1] Dies war eine verspätete Neuauflage des altbekannten Reformkonzepts, das in den späten 1960er Jahren in einigen Ostblock-Staaten „Marktsozialismus“ genannt wurde. Das erste Jahrzehnt der Reformen in China war wenig Erfolg versprechend und endete mit einem schweren ökonomischen und politischen Chaos (vgl. Cheng 1990). Damals schien China das gleiche Schicksal beschieden, wie den Ländern des „real existierenden Sozialismus“. Nach der blutigen Niederschlagung der friedlichen Proteste im Juni 1989 wurde der Reformeifer zunächst geschwächt. Angesichts der Krisensituation Ende 1980er Jahre war es für die KP-Führung notwendig, sich neu zu orientieren. Sie sah sich vor die Wahl gestellt, entweder die marktwirtschaftlichen Reformen und Öffnungen zurückzudrehen, oder sie konsequent durchzusetzen, und entschied sich schließlich für die zweite Option, die im Jahr 1992 den Namen „sozialistischen Marktwirtschaft“ erhielt.

Das Attribut „sozialistisch“ bezog sich auf die Wahrung der „qualitativen“ Führungsposition der Staatsunternehmen in der Gesamtwirtschaft. Hier setzte die KP den politischen Akzent auf eine neu geschaffene Terminologie, nämlich die qualitative Herrschaft. Dies deutet auf einen signifikanten Kurswechsel beim Reformansatz hin. Staatsunternehmen in China hatten traditionell nicht nur die ökonomische Funktion als Produktionseinheit, sondern waren die Träger des Sozialsystems, indem sie flächendeckende soziale Leistungen gewährten, von der lebenslangen Beschäftigung bis zur Grunddaseinsversorgung sowohl für die Beschäftigten als auch für deren Kinder. Im ersten Jahrzehnt der Reformen wurden die Staatsunternehmen mit Hilfe von Krediten durch die staatlichen Geschäftsbanken massiv ausgebaut und ungeachtet ihrer ökonomischen Effizienz und Profitabilität am Leben erhalten.[2] Mit dieser Priorität der sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele vor den Profitinteressen schaffte man eine institutionelle „Pufferzone“, die bis Mitte der 1990er Jahre eine relativ stabile Entwicklung in China ermöglichte. Die Staatsunternehmen mit ihren sozialpolitischen Funktionen, aber zugleich mit steigenden ökonomischen Verlusten, waren sowohl sozialistische Enklave als auch Fremdkörper im immer stärker wachsenden kapitalistischen Umfeld.

Die Reformoffensive in den 1990er Jahren traf mit dem bis dahin verschonten Staatssektor das letzte Bollwerk des chinesischen Sozialismus. Der blinden, quantitativen Expansion des Staatssektors auf Kosten von Effizienz und Profitinteresse sollte nun ein Ende gesetzt werden. Das Motto der neuen Reformagenda lautete „nur die Leistungsstarken überleben lassen“ und „fördern, was gefördert werden muss, ausscheiden, was ausgeschieden werden muss“ (PRC Yearbook 2001: 61). Demnach sollten wenige Großunternehmen in den ausgewählten Schlüsselindustriesektoren in staatlichen Händen bleiben und marktwirtschaftstauglich rationalisiert und modernisiert werden.[3] Die restlichen wurden marktgerechten Lösungen – Schließung, Verkauf, Fusion, Umwandlung in Aktiengesellschaft oder GmbH, etc. – überlassen. Davon waren etwa 90.000 kleinere und mittlere Betriebe von über 120.000 Staatsbetrieben betroffen. Zudem werden Staatsunternehmen von den sozialpolitischen Verpflichtungen befreit, um ihnen die gleichen Wettbewerbsbedingungen wie Privat- und ausländische Unternehmen zu gewährleisten. Die Reformwelle rollte seit Mitte der 1990er Jahre über das ganze Land. Die überwiegend in Händen lokaler Regierungen befindlichen kleineren und mittleren Staatsunternehmen wechselten den Besitzer oder wurden geschlossen. Ausgewählte Staatsunternehmen wurden hingegen durch erhöhte Investitionen und mit Hilfe von privatem und ausländischem Kapital weiter ausgebaut und modernisiert. Hierbei ist die neue unternehmenspolitische Richtung in den strategischen Sektoren zu beobachten, große Staatsunternehmen in regions-, branchen- und eigentumsformübergreifende Industriegruppen nach dem Vorbild der japanischen (keirestu) oder südkoreanischer Konglomerate (chaebol) umzuwandeln. Die Konzentration des Kapitals und der Produktion richtete sich gegen die Struktur der von kleinen Unternehmen dominierten Staatswirtschaft und zielte auf die Formierung einer economy of scale and scope ab (vgl. Cho 2005: 49-69). Der Staat hielt an seinen mehrheitlichen Eigentumsrechten und der Verfügungsmacht über die Industriegruppen fest. Auf diese Weise sollte der KP-Staat in der Lage sein, insgesamt eine qualitativ größere ökonomische Kontrollmacht ausüben zu können (vgl. PRC Yearbook 2000: 57-63).

Die Staatswirtschaft wurde in Anwendung des Rentabilitätsprinzips konsequent abgebaut, während die strategisch wichtigen Sektoren ausgenommen blieben. Damit hat sich die KP vom konventionellen Verständnis sozialistischer Staatswirtschaft verabschiedet. Dies betrifft nicht nur die Eigentumsverhältnisse der Staatsunternehmen, sondern auch ihre sozialpolitischen Verpflichtungen. So bestehen heute verschiedenartige Eigentumsformen, da die Beteiligung von privatem und ausländischem Kapital an großen Staatsunternehmen zur Verbesserung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit erlaubt und gefördert wird. Nach der geänderten Definition werden Unternehmen mit einen mehrheitlich staatlichen Anteil von über 50% als staatseigene Unternehmen klassifiziert und als solche in offizielle Statistiken aufgenommen. Auch die betriebsinternen Sozialsysteme wurden privatisiert oder bei der Beibehaltung formaler staatlicher Eigentumsrechte kommerzialisiert. Dennoch bestehen bisher noch politische Tabus bei der umfassenden Öffnung des Staatssektors für privatkapitalistische Investoren. Hierzu zählen neben der Rüstungsindustrie diverse Dienstleistungssektoren wie z.B. Bildungswesen, Kultur- und Massenmedienindustrie und das Gesundheitswesen. Der Privatisierungsprozess wurde weniger von sozioökonomischen oder politisch-ideologischen Überlegungen bestimmt. Die treibende Kraft war wirtschaftliches Kalkül, und das entscheidende Kriterium die ökonomische Leistungsfähigkeit.[4] Die chinesische Debatte um die Frage, wieweit die Privatisierung der strategisch wichtigen Staatsunternehmen erlaubt werden soll, kennt keine politisch-ideologischen Schranken.[5] Wenn ein Staatsunternehmen keine sichtbaren Erfolge in Bezug auf Effizienz und Profitabilität zeigte, wurde die Privatisierung als die einzige Option zur Lösung des Problems und mit der Hoffnung auf eine Leistungssteigerung durchgeführt. Der gleiche Mechanismus gilt für die noch in staatlichem Besitz befindlichen Unternehmen. Die Zukunft der materiellen Stütze des chinesischen „Sozialismus“, also der staatseigenen Unternehmen, bleibt prekär.

Abschied vom Sozialismus: Wachstum auf Kosten von Gleichheit und Gerechtigkeit

Die Reformen in China seit 1978 haben eine Umwälzung der gesamten Gesellschaft in Gang gesetzt. Die anfänglichen Berührungsängste vor feindlichen kapitalistischen Kräften sowohl im In- als auch im Ausland wichen der Wachstumseuphorie. Sie hat mittlerweile sämtliche maoistisch-sozialistischen Spuren der Vergangenheit weggewischt. Das sozialrevolutionäre Gleichheits­ideal im maoistischen Sozialismus-Projekt wird durch die Norm von „Xianfu“, sich einige zuerst entwickeln lassen, ersetzt. Im damit einhergehenden Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse bekommt China ein neues Gesicht. Es besteht in glitzernden Wolkenkratzern, Einkaufszentren und Luxushotels in großen Städten voller Konsumsymbole, aber ebenso in den frühkapitalistisch-ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen.

Die KP-Führung selbst unterstreicht in Bezug auf den tiefer greifenden Wandel der chinesischen Gesellschaft den revolutionären Charakter, indem sie von der zweiten Revolution nach dem kommunistischen Sieg im Jahr 1949 redet. Das Ziel der beiden Revolutionen, die Errichtung einer sozialistischen Wohlstandsgesellschaft, bleibt unverändert, ebenso wie deren Anführerin, die KP. Die neue Qualität der zweiten Revolution begründet sich darin, dass das erstrebte Ziel nur über einen kapitalistischen Umweg erreicht werden könne und dieser mindestens einhundert Jahre dauern werde (vgl. Zemin 1992: 10-33). So befindet sich China im Verständnis der KP derzeit in einer kapitalistischen Zwischenphase. Diese wird als die notwendige historische Vorbereitung propagiert, um den Sozialismus – nun in weit entfernte Zukunft hinausgeschoben – zu realisieren. Die KP macht deutlich, dass sich die Partei nicht von dieser Zwischenphase loslösen oder sie zu überspringen versuchen dürfe (ebd.: 15f.). Mit Hilfe der Zwischenphase-These führt die KP die kapitalistischen Reformen und ihr Bekenntnis zum Sozialismus „widerspruchsfrei“ zusammen. Das intakte Machtmonopol der KP fungiert gleichermaßen als Wegweiser und Garant für das Fernziel des Sozialismus.

Ich bezeichne die chinesische Transformation seit 1978 als kapitalistische Revolution von oben. Die tiefer greifende Umwälzung der sozioökonomischen Ordnungsstruktur wird von der KP als der alleinig legitimen staatlichen Machtinstanz selbst initiiert, organisiert und gesteuert. Das eigentlich legitime Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung, das jede andere Gesellschaft anstrebt, verselbständigte sich im Verlauf der zweiten chinesischen Revolution. Von der Staatsmacht organisiertes Wirtschaftswachstum ist das zentrale legitimierende und organisierende Prinzip der Gesellschaft geworden, das alle anderen politischen, sozialen und kulturellen Werte in den Hintergrund drängt oder gänzlich ersetzt. Der daraus resultierende „Wachstumstotalitarismus“ ist nicht dem neuen China eigen, sondern gehört zum allgemeinen Charakteristikum des Entwicklungsregimes des ostasiatischen Kapitalismus in seiner Hochwachstumsphase.

China und der ostasiatische Kapitalismus

Nach einem Vierteljahrhundert der chinesischen Reformen finden wir eine kapitalistische Marktwirtschaft vor, in der der Staat noch planerisch eingreift und als zentraler ökonomischer Akteur in mehreren Funktionen – strategischer Führer, größter Kapitaleigner und Investor – tätig ist. Die politische Ökonomie des neuen China lässt sich als einen Staatskapitalismus nach dem Muster des autoritären „Entwicklungsstaates“ charakterisieren, der das „Wirtschaftswunder“ des ostasiatischen Kapitalismus während des Kalten Kriegs ermöglicht hat. Kennzeichnend für den ostasiatischen Typus des Kapitalismus war nicht nur die merkantilistische Handelsstrategie zum Schutz der heimischen Wirtschaft vor stärkerer ausländischer Marktmacht. Die staatliche Intervention geht viel tiefer und umfassender, von der planenden Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung über die strategische Verteilung von Kapital und die Kartellbildung hin zur Unterdrückung der Arbeiternehmerinteressen sowie zur Disziplinierung der Unternehmer.[6]

Die ostasiatische Variante des Kapitalismus war eine institutionelle Mischform von der von sowjetischen Theoretikern propagierten Planwirtschaft und der von amerikanischen Ökonomen befürworteten liberalen Marktwirtschaft und schaffte ein rasantes Wohlstandswachstum. Nach dem Scheitern des maoistisch geprägten Sozialismus-Projekts entdeckte China das erfolgreiche Modell des ostasiatischen Kapitalismus für sich und versuchte es zu imitieren. Die kapitalistischen Entwicklungsstaaten in Ostasien mit all ihren Stärken und Schwächen sind in mehrfacher Hinsicht von zentraler Bedeutung für China.

Erstens bietet die erfolgreiche nachholende Entwicklung der ostasiatischen Nachbarstaaten – insbesondere in Japan, Südkorea, Taiwan und Singapur – der chinesischen Führung vielseitige strategische Referenz- und Orientierungspunkte. Jene Ausnahmefälle in der Nachkriegsgeschichte stehen dafür, dass periphere Gesellschaften trotz der hierarchischen weltwirtschaftlichen Ordnung nicht nur ihre wirtschaftliche Rückständigkeit überwunden haben, sondern auch – im Fall Japans – die ökonomische Dominanz der USA ernsthaft herausforderten. Die chinesische Führung suchte für sie brauchbare Elemente aus den jeweiligen Ländern aus und kombinierte sie nach eigenen Idealvorstellungen. Eine weitere wichtige Anziehungskraft der kapitalistischen Entwicklungsstaaten ist das autoritäre politische Regime, in dem die staatliche Lenkung der Wirtschaft mit der diktatorischen Herrschaft zusammengeht.

Zweitens gab die Asienkrise 1997/98, die die krisenanfälligen Schwachstellen der ostasiatischen Entwicklungsstaaten gezeigt hat, China eine wichtige Lektion, was wirtschaftspolitisch unverzichtbar ist, um einen nachhaltigen Wachstumskurs zu sichern. So versucht die chinesische Führung die staatliche Kontrolle über den Kapitalverkehr und das Währungsregime weiter aufrechtzuerhalten. Die chinesische Verweigerung der sofortigen Liberalisierung der Kapitalmärkte wird international geduldet und erhält sogar eine kleinlaute Unterstützung vom IWF. Dieser steht nach der Asienkrise unter der heftigen Kritik an seiner „Unfähigkeit“ und ist zu einem gewissen Umdenken seiner bisherigen Politik gezwungen (vgl. Blustein 2003; Krüger 2005). Die strukturelle Schwäche des chinesischen Bankensystems ist seit langem wohl bekannt (Die Zeit, 7.04.2004). Niemand will eine Finanzkrise in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt.

Drittens sind die ostasiatischen Schwellenländer als größte Investorengruppe zentral für Chinas Außenhandelsdynamik. Obwohl die Direktinvestitionen aus den entwickelten Industriestaaten im Lauf der 1990er Jahre im absoluten Umfang stark gestiegen sind, kamen über 70 % der ausländischen Investitionen in China aus den asiatischen Nachbarstaaten. Für die Investoren aus den entwickelten Industriestaaten ist der Zugang zu den chinesischen Binnenmärkten mit einem gigantischen Potenzial von 1,3 Mrd. Konsumenten das vorrangige Ziel. Vor dem WTO-Beitritt im Jahr 2001 war der chinesische Binnenmarkt für ausländische Konkurrenten nur schwer zugänglich. Die Investitionen aus den entwickelten Industrieländern kamen im gleichen Tempo, indem die Binnenmarktöffnung (vgl. Cho 2005) vollzogen wurde, die – zunächst nur langsam – für den Technologie-Transfer erfolgte. Für die asiatischen Schwellenländer war China hingegen als Billig-Fertigungsstätte für ihre exportorientierten Industrien von zentraler Bedeutung. Die asiatischen Wirtschaftswunderstaaten sind im Laufe der 1980er Jahre mit einer vergleichbaren exportorientierten Entwicklungsstrategie und durch den Aufbau einer ähnlichen Industriestruktur auf dem Weltmarkt gegenseitig in Konkurrenz geraten, was zur Überproduktion und somit zu einem verstärkten Preiswettkampf führte. Vom Gebot der Kostensenkung getrieben, kam es zur massenhaften Verlagerung der Produktionsstätten in die chinesischen Küstenregionen, die als verlängerte Werkbank der asiatischen Schwellenländer fungieren. Das trug maßgeblich dazu bei, dass China zur „Fabrik der Welt“ geworden ist.

Die doppelte Prägung des Standorts China in der
Weltwirtschaft

Chinas Weltmarktoffensive: Chinesische Stärke und Schwäche

Der Außenhandel stellt die Hauptsäule des chinesischen Wachstums dar. Insbesondere seit Chinas WTO-Beitritt im Jahr 2001 hat die Bedeutung des Außenhandels für das Wirtschaftswachstum stark zugenommen. Der Exportanteil am BIP lag im Jahr 2004 bei 36% gegenüber 22,6% im Jahr 2001. Die Exportabhängigkeit des Landes ist aufgrund der Größe seines Binnenmarkts extrem hoch.[7] Gleichzeitig wächst der Anteil der ausländischen Unternehmen am chinesischen Außenhandel stetig. Er lag im Jahr 1986 bei 0,4% bis 1,2% der Exporte und 1,9% der Importe – und stieg im Jahr 2005 auf 58,3% bis 58,5% der Exporte und 58,7% der Importe. Bis Mitte der 1990er Jahre kamen die Investitionen aus den asiatischen Schwellenländern – Hongkong, Taiwan, Korea, Singapur, etc. – zur Billigproduktion der arbeitsintensiven Güter wie z.B. Schuhe, Sportartikel & Bekleidung. Dann wurde zunehmend die Produktion der Technologiegüter aus diesen Ländern in die Sonderwirtschaftszonen in den chinesischen Küstenregionen verlagert. Dem ist der rasch steigende Anteil der Technologie-Güter am chinesischen Export zu verdanken. Im Jahr 2004 lag der Anteil von Hochtechnologiegütern am Gesamtexport bei 28%. 87,3% davon entfielen auf ausländische Unternehmen. Zudem ist die Produktion der hochtechnologischen Exportgüter auf die Importe von dafür erforderlichen Vorprodukten und Kapitalgütern angewiesen, da entsprechende Binnenressourcen nicht verfügbar sind. So machten die Vorprodukt- und Kapitalgüter-Importe im Jahr 2005 74,7% und 19,4% der Gesamtimporte aus, während die Importe der Konsumgüter einen Anteil von 3,3% hatten. Dabei gehen 43,6% der Exportwerte auf die Importe der Vorprodukte zurück. Bei den ausländischen Exportunternehmen liegt dieser Wert mit über 80% viel höher.[8]

Chinas eindrucksvolle Erfolge im Welthandel spiegeln jedoch auch die Schwäche der Wachstumsstruktur wider. Die chinesische Exportwirtschaft ist als die wichtigste Wachstumsstütze abhängig von ausländischen Direktinvestitionen und vom Import von Technologie, ebenso wie von den USA als „Konsument in letzter Instanz.“ Im Hinblick auf die Kostenfaktoren – niedrige Arbeitskosten, niedrige Umwelt- und Sozialstandards, moderne Infrastruktur- sowie die Stabilitätsfaktoren – stabile Wechselkurse, monetäre und politische Stabilität – sind die Wettbewerbsvorteile des Standorts China gegenüber anderen Billiglohnländern bislang unschlagbar. Ob sich die chinesischen Anstrengungen auszahlen, hängt letzten Endes jedoch von den Absatzchancen für Exportgüter aus China auf dem Weltmarkt und vor allem in den entwickelten Industrieländern ab. So nehmen Chinas Exporte in die USA und in die EU stark zu. In die beiden Märkte flossen im Jahr 1995 etwa 30% der chinesischen Exporte. Im Jahr 2005 waren es ca. 42% – in die USA 22,8% und in die EU 18,9%.[9] Im gleichen Zeitraum ging die Bedeutung der asiatischen Region als Empfänger der chinesischen Exporte hingegen stetig zurück. Chinas Aufstieg zur Fabrik der Welt findet demnach in einer doppelten Abhängigkeit statt. Er hängt vom ständigen Zufluss der ausländischen Investitionen als Triebkraft von Chinas Exportwirtschaft und von der Aufnahmekapazität und -bereitschaft der entwickelten Industrieländer ab.

Des Weiteren ist die zunehmende Weltmarktabhängigkeit des chinesischen Wachstums ein unmittelbarer Ausdruck der fehlenden Massenkaufkraft. Hier kommt die andere Wahrheit offen zu tage. China ist nach Angaben der Weltbank im Jahr 2004 mit dem Pro-Kopf-Nationaleinkommen von 1.290 US-Dollar immer noch ein armes Entwicklungsland. Das Land gilt zwar als Musterbeispiel für Armutsbekämpfung, aber in den ländlichen Regionen steigt die Armut seit einigen Jahren wieder (bgl. Asian Development Bank 2004: 29). Obwohl das Pro-Kopf-Einkommen und die Löhne stark gestiegen sind, spielt der Privatkonsum eine immer geringere Rolle. Auch wenn die chinesische Regierung seit 1998 eine expansive Finanzpolitik und die Förderung von Konsumentenkrediten fortsetzt, zeigte sich diese Politik weitgehend folgenlos. Der Anteil des Privatkonsums am BIP schrumpfte gegenüber 47,9% im Jahr 2000 auf 43,3% im Jahr 2004 und damit auf das niedrigste Niveau in Ost- und Südostasien. Dies deutet auf das zunehmende Einkommensgefälle zwischen Arm und Reich sowie die steigende Arbeitslosigkeit hin, für die die anhaltend hohe Wachstumsrate keine Lösung bietet. China steckt im Zuge der seit 1995 forcierten Strukturreformen in einer Beschäftigungskrise. Zwischen 1995 und 2005 ging die Zahl der im staatlichen Sektor Beschäftigten von 109,5 Mio. und 30,8 Mio. und im kollektiven Bereich auf 64,8 Mio. und 8,1 Mio. zurück. Insgesamt sind in beiden Sektoren 67,4 Mio. Arbeitsplätze weggefallen. Im gleichen Zeitraum wurden insgesamt 32,4 Mio. neue Arbeitsplätze im privaten Sektor geschaffen.[10] Das reicht bei weitem nicht, um die Arbeitsplatzverluste im staatlichen und kollektiven Sektor zu kompensieren. Das einzige beschäftigungspolitische Konzept der chinesischen Regierung, nämlich das Wachstum, entpuppt sich auf diese Weise als Illusion. Zudem bleibt die politisch brisante Frage völlig offen, wie die chinesische Führung den immer größer werdenden Wachstums- und Einkommensunterschied kontrollieren kann.[11]

Im Gegensatz zum sinkenden Anteil des Privatkonsums am BIP schnellte die Investitionsrate in die Höhe und erreichte im Jahr 2005 das weltweit höchste Niveau von 48,6% des BIP, ein Anstieg von 12 Prozentpunkten im Vergleich zu 36,3% im Jahr 2000. Die hohe Investitionsrate ist neben der Exportwirtschaft die zweite Wachstumsstütze. Die privaten Ersparnisse, die auch das weltweit höchste Niveau von 45% des BIP aufweisen, finanzieren Investitionen, deren Sinn oft bezweifelt wird.[12] Das Investitionsvolumen übertraf im Jahr 2004 sogar die privaten Konsumausgaben, was ein einmaliges Phänomen ist. Angesichts der Gefahren, die sich aus der investitionsgetriebenen Überhitzung der Wirtschaft ergeben, ist „zu viel“ Wachstum seit einigen Jahren Chinas Hauptsorge. Die zurecht gestellte Frage, ob und wie es in einem Land wie China, in dem noch 796 Mio. Menschen, 62% der Gesamtbevölkerung, auf dem Land leben, überhaupt zu viel Wachstum geben kann, macht die Grenzen der derzeitigen Wachstumsstruktur deutlich (Die Zeit, 3.06.2004). Die chinesische Regierung antwortet bislang mit geldpolitischen und makroökonomischen Maßnahmen – Zinserhöhung, strengerer Kontrolle der Kreditvergabe –, um das Wachstum zu bremsen. Ob diese auf die Angebotseite orientierten Maßnahmen das grundlegende Defizit in der chinesischen Wachstumsstruktur beheben können, ist jedoch fragwürdig.

Absatzmarkt China

Auch die Bedeutung Chinas als Absatzmarkt für ausländische Investoren aus den entwickelten Industriestaaten hat seit einigen Jahren stark zugenommen. In den 1990er Jahren wurde der Zugang der ausländischen Investoren mit dem Ziel zur technologischen Modernisierung der Staatsindustrien selektiv verbessert. Die Beschränkung ausländischer Investitionen wurde nach dem WTO-Beitritt Chinas weitgehend aufgehoben. Die ausländische Investitionsoffensive ist in den bislang unzugänglichen Dienstleistungssektoren wie z.B. Finanzdienstleistungssektor und Groß- und Einzelhandel besonders bemerkbar. Der chinesische Binnenmarkt wird deswegen heute zwischen heimischen und ausländischen Unternehmen hart umkämpft. Die wachsende Konkurrenz am chinesischen Konsumgütermarkt hat einen hitzigen Preiskampf ausgelöst, der zum Preisverfall und somit zu sinkenden Gewinn-Margen führt.[13] Trotz großer Euphorie ist die Erfolgstory ausländischer Investoren eher rar. Einer Untersuchung zufolge soll nur jedes dritte ausländische Unternehmen in China Gewinne machen (Handelsblatt, 18.05.2005). So endet der China-Traum für viele ausländische Investoren nicht selten im Alptraum.

Vom Verdrängungskampf am bereits gesättigten Binnenmarkt getrieben, schicken sich heimische Unternehmen an, ins Ausland zu expandieren. Die bislang hauptsächlich binnenmarktorientierten chinesischen Unternehmen u.a. in Automobil und Elektronik-Branchen gehen nun auf die Suche nach neuen Absatzmärkten im Ausland. Die eigentliche Exportoffensive Chinas hat gerade angefangen und geht mit der starken Zunahme ihrer Auslandsinvestitionen einher. Damit wollen sie Anti-Dumping-Klagen von anderen Billiglohnländern und unnötige Handelskonflikte mit den entwickelten Industriestaaten vermeiden. Die Elektronikfirmen wie z.B. Haier und TCL begannen Produktionswerke im Ausland wie z.B. Mexiko und Malaysia zu errichten. Chinesische Textilunternehmen gehen u.a. nach Afrika, da diese Region nicht imstande ist, die ihm zugeteilten Textil-Importquoten zu erfüllen. Mit der beginnenden Expansion ins Ausland sind die chinesischen Unternehmen aktiv am internationalen merger & acquisition Markt.[14] Die Übernahme westlicher Unternehmen ermöglicht ihnen den Erwerb entwickelter Technologien viel einfacher. Zugleich werden ihre Weltmarktanteile schnell erhöht. Die Offensive der chinesischen Unternehmen wird auch von der Regierung politisch gefördert. Im Rahmen der Strategie, die chinesischen Großindustriegruppen zu konkurrenzfähigen global players zu machen, hat die Regierung angekündet, bis 2015 die Zahl der chinesischen Unternehmen in der Liste der 500 größten Globalunternehmen von derzeit 20 auf 50 zu erhöhen. Die gigantischen Dollar-Reserven aus dem doppelten Überschuss von der Handels- und Kapitalbilanz stellen genügend Kapital bereit für die Finanzierung dieser Ambitionen. Ob es China gelingen wird, die Erfolgsgeschichten von japanischen und südkoreanischen Konglomeraten zu wiederholen, wird sich in Zukunft zeigen.

Die Bürger in den entwickelten Industriestaaten waren bislang mit billigen Produkten made in China reichlich versorgt, was Inflationsgefahren entschärft und Freiraum für die Lohndrückerei schafft. In Zukunft werden noch billigere Produkte made by China importiert werden (hergestellt von einheimischen statt von in China tätigen ausländischen Unternehmen) und die Unterschichten in den USA und Europa trotz der Verschlechterung der eigenen Finanzsituation zum Konsum anregen. Wenn jedoch die neoliberale Globalisierung ins Stocken gerät, werden nicht die USA, sondern China wird mehr Schaden davon tragen. Denn die Außenabhängigkeit der US-Wirtschaft ist sehr niedrig. Aber ohne den Konsument in letzter Instanz ist Chinas weltmarktabhängige Strategie funktionsunfähig. Das ist der Hauptgrund, warum die chinesische Regierung ebenso wie die anderen asiatischen Staaten trotz des kränkelnden Dollars die Devisenreserven weiter aufstockt. China und die anderen asiatischen Staaten helfen den USA mit, den derzeitigen Wachstumskurs aufrechtzuerhalten, nicht weil sie es wollen, sondern weil sie wegen der eigenen Schwäche dazu gezwungen sind.

Fazit: ein Plädoyer für Demokratie

China hat in einem Vierteljahrhundert eine „erfolgreiche“ Transformation zu einem autoritären Staatskapitalismus zurückgelegt. Das heutige China hat viele Gesichter und ist von extremen Gegensätzen geprägt. Deswegen ist weder ein einheitliches Bild noch ein pauschales Urteil von diesem Prozess möglich: Ein Land, das Wirtschaftsgigant und Entwicklungsland in einem ist, ist ein Novum. Zudem sind Chinas ökonomische Stärke und Schwäche miteinander verzahnt und voneinander bedingt.

China ist gemessen am BIP bereits eine Weltwirtschaftsmacht und wird in absehbarer Zukunft die USA als die größte Volkswirtschaft der Welt überholen, wenn sich der bisherige Hochwachstumskurs aufrechterhalten lässt. Aber das ist eine statistisch-rechnerische Wahrheit, die wenig Aussagekraft besitzt. Auch wenn China zur größten Volkswirtschaft der Welt aufsteigt, bleiben viele Probleme ungelöst, mit denen es als armes und rückständiges Entwicklungsland zu kämpfen hat. Sowohl die internen Probleme als auch die prekäre und krisenanfällige Entwicklung der neoliberalen Globalisierung lassen wenig Optimismus zu. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die sozioökonomischen und ökologischen Missstände in China durch ein wirtschaftspolitisches Umdenken der KP-Führung überwunden werden könnten, wie es André Gunder Frank andeutet (vgl. Keidel 2005; Frank 2003). Die Lösung dieser Probleme setzt eine demokratische und gerechte Gestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung voraus. Es ist kaum zu erwarten, dass diese Option wie ein politisches Geschenk von der KP-Führung kommen wird. Im Gegenteil ist die autoritäre Herrschaft der KP selbst, die die zunehmenden, spontanen Proteste gegen die Missstände mit allen Mitteln unterdrückt und der Überzeugung folgt, dass Demokratie nur auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung möglich sei, das Haupthindernis. Wie am Beispiel der mittlerweile zugrunde gegangenen autoritären Entwicklungsstaaten in Ostasien deutlich wird, liegt die größte Schwäche des „Wachstumstotalitarismus“ darin, dass er sowohl Ursache als auch Opfer innenpolitischer Unruhen werden kann.

In der forcierten neoliberalen Globalisierung verliert Demokratie an Substanz und verkommt zu einem Anhängsel der so genannten good governance. Angesichts der Wachstumsprobleme, von denen die meisten Entwicklungsländer betroffen sind, sind anti-demokratische Positionen salonfähig geworden, die ein geregeltes Wirtschaftswachstum auf Kosten der Demokratie rechtfertigen. Musterbeispiele hierfür sind China und Singapur (vgl. Zakaria 2002; Chua 2003). Ohne demokratische Perspektive jedoch wird sich die selbstzerstörerische Entwicklung des globalen Kapitalismus noch beschleunigen. Die Folge wäre nicht die „Wiederkunft Ostasiens“, wie Gunder Frank (1998) prophezeit, sondern ein düsteres „kapitalistisches Mittelalter.“

Literatur

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Blustein, Paul (2003), The Chastening: Inside the crisis that rocked the global financial System and humbled the IMF, New York.

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Stiglitz, Joseph (2002), Die Schatten der Globalisierung, Berlin.

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[1] Kommuniqué der 3. Plenartagung des XI. ZK der KPCh, in: Beijing Rundschau, Nr.52, Dezember 1978.

[2] Zwar ging der Anteil des Staatssektors an der gesamten Industrieproduktion seit 1978 stetig zurück. Doch wurde der Umfang des Staatssektors hinsichtlich von Vermögen, Investitionen, Beschäftigung und Produktion nicht reduziert, sondern wuchs bis 1995 kontinuierlich an. Die Zahl der Staatsbetriebe stieg von 83.700 im Jahre 1978 auf 127.6000 im Jahre 1996, wo die Expansion des Staatssektors ihren Höchststand erreichte. Die Zahl der im Staatssektor Beschäftigten erhöhte sich von 74,5 Mio. im Jahre 1978 auf 112,6 Mio. im Jahre 1995, was 66,5% der gesamten Beschäftigung entspricht. Wird der kollektive Sektor im Besitz lokaler Regierungen hinzu gezählt, betrug der Beschäftigungsanteil des staatlich kontrollierten Sektors etwa 83%, während der private Sektor nur noch einen mageren Anteil von 10% hatte.

[3] Der strategische Sektor umfasst kapitalintensive Schwerindustrie- und Hochtechnologiebranchen – Energie, Maschinenbau, Elektronik, Automobilbau, Information & Telekommunikation, Rüstungsindustrie – sowie Kulturindustrie und Finanzdienstleistungssektor.

[4] Die Partei- und Regierungsfunktionäre in China vertreten die Meinung, dass Eigentumsverhältnisse nicht entscheidend für Unternehmensleistung sind und daher Staatsunternehmen durch effizientes Management und erfolgsorientierte Unternehmensführung genau so ökonomisch rentabel wie Privatunternehmen sein können. Aus dieser Überzeugung wird die Privatisierung in der Regel als die letzte Option betrachtet. Die Entscheidung wird erst dann getroffen, wenn alle Beteiligten – zuständige Regierung als Eigentümer, Staatsbanken als Kreditgeber, Manager und Beschäftigten – vom jeweils eigenen ökonomischen Nutzen der Privatisierung überzeugt sind. Für alle Beteiligten zufrieden stellende Lösungen zu finden ist, aufgrund deren unterschiedlicher Interessen nicht einfach. Das ist einer der Hauptgründe, warum die Privatisierung in China bis heute nur langsam voranschreitet.

[5] Zu den Strategien und verschiedenen Aspekten des chinesischen Privatisierungsprozesses siehe Green/Guy 2005.

[6] Ausführlich zum Modell des ostasiatischen Entwicklungsstaates siehe Woo-Cumings1999; Pohlmann 2002. Siehe auch zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Ansatz von unterschiedlichen Varianten des Kapitalismus Coates 2000.

[7] Nach Weltbank-Daten hatten z.B. die USA im Jahr 2004 einen Exportanteil am BIP von nur 10%, Brasilien von 18% und Indien von 19%.

[8] Allerdings geht der hohe Importanteil für die Exportproduktion langsam zurück, weil immer mehr ausländische Zulieferer ihre Produktion nach China verlagern.

[9] Diese Werte beruhen auf chinesischen Statistiken. Der tatsachliche Anteil der beiden dürfte viel höher liegen. Nach USA-Handelsstatistiken soll etwa ein Drittel der chinesischen Exporte in die USA fließen. (vgl. http://www.census.gov/foreign-trade/balance/c5700.html) Der höhere Wert in US-Statistiken geht darauf zurück, dass der Transithandel über Hongkong inbegriffen ist.

[10] Zahlen aus dem China Statistical Yearbook.

[11] Nur die Küstenregionen als Exportbasen und Magnet der ausländischen Investitionen florieren, während die Landwirtschaft und die Binnenregionen kaum von der boomenden Exportwirtschaft profitieren. Drei Regierungsdistrikte – Beijing, Tianjin, Shanghai – und sieben Küstenprovinzen – Guandong, Fujian, Shandong, Zhejiang, Jiangsu, Hebei, Liaoning – haben einen Anteil von 92,3% der Gesamtexporte.

[12] Der überwiegende Anteil der Investitionen mit etwa 62% floss in den Aufbau der Infrastruktur. Der Wohnungsbau hatte allein einen Anteil von 17,5% der Gesamtinvestitionen, was eine Blase auf dem Immobilienmarkt zur Folge hatte. Eigene Berechnung nach National Bureau of Statistics of China (http://www.stats.gov.cn)

[13] Das bekannteste Beispiel findet man in der Autoproduktion. China ist der am schnellsten wachsende Automarkt der Welt und wird in den nächsten Jahren die USA als den größten Automarkt der Welt ablösen. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistete der rasante Anstieg der Autokredite. Die Kredite zur Finanzierung von Automobilkäufen sind in China seit 1998 um jährlich 200 Prozent gewachsen und sind hinter den Immobilienkredite die zweitwichtigsten Konsumentenkredite. Von den bis Mitte 2004 vergebenden Autokrediten in Höhe von 183,3 Mrd. Yuan sollen 100 Mrd. faule Kredite sein (www.china-embassy.ch, 23.08.2005). Obwohl die Autoproduktions- und Absatzmengen schnell wachsen, sinken die Pkw-Preise in China seit einigen Jahren um durchschnittlich 15 Prozent pro Jahr. Die Absatzrendite ist dementsprechend kontinuierlich gefallen von 9,11% im Jahr 2003 auf 6,85% im Jahr 2004 und 4% im Jahr 2005. Dies ist niedriger als der Durchschnitt von 4,46 Prozent in den Produktionsindustrien. (Die Welt, 02.07.2005; Die deutschen Auslandshandelskammer, Business & Information, 09.02.2006)

[14] Die Liste der Firmenübernahmen durch chinesische Großunternehmen ist lang. Einige bekannte Fälle sind; die IMB-PC-Sparte wurde im Jahr 2004 von Lenovo, dem größten Computerhersteller Chinas, der bis dahin nur in China tätig war, gekauft. Durch die Übernahme wurde Lenovo nach Dell und Hewlett-Packard zum drittgrößten Computerhersteller der Welt. Der chinesische Elektronikkonzern TCL hat den angeschlagenen deutschen TV-Hersteller Schneider sowie den französischen Konzern Thomson übernommen und wurde zum weltgrößten TV-Produzenten. Zudem fusionierte TCL als Mehrheitseigner seine Handysparte mit der von Alcatel aus Frankreich. Shanghai Automotive Industry Corporation hat im Jahr 2004 den südkoreanischen Autohersteller Ssangyong übernommen. Nanjing Automobil kaufte im Jahr 2005 den letzten britischen Autohersteller MG Rover Gruppe und baut das erste Produktionswerk in den USA.