Demokratie und Sozialismus im 21. Jahrhundert

Sozialismus aus dem Computer?

Über äquivalenten Tausch, gesamtwirtschaftliche Planung und direkte Demokratie

März 2007

Zu den diskutablen Utopien einer nachkapitalistischen Gesellschaft gehört seit Arno Peters’ Gesprächen mit Konrad Zuse – Was ist und wie verwirklicht sich Computer-Sozialismus (2000) – die eines „Computer-Sozialismus“. Nachfolgend sind in Deutschland vor allem zwei Veröffentlichungen erschienen, deren Verfasser schon im Januar 2006 in Berlin auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz zum doppelsinnigen Thema „Mit dem Sozialismus rechnen“ Aufmerksamkeit hervorgerufen hatten[1]: Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie nach dem globalen Kapitalismus (2006) sowie W. Paul Cockshott/Allin Cottrell, Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie (2006)[2]. Die Bücher wurden inzwischen zwar besprochen (siehe eine Auswahl im Literaturverzeichnis), aber ihre Inhalte verdienen eine eingehendere Analyse, auch wenn sie mehr Fragen aufwerfen als beantworten.

Die Autoren ziehen aus den Fortschritten der Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnologien weit reichende Schlüsse für die Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse und für den Übergang zur direkten Demokratie. Für Peters ist der Computer-Sozialismus ausdrücklich nicht nur „das Gegenteil des Kapitalismus, sondern das Gegenteil der Marktwirtschaft insgesamt …“ (S. 25). Dieterich geht sogar soweit zu behaupten: „Und wissenschaftlicher Sozialismus ist nun einmal die quintessentielle kybernetische Wissenschaftstheorie.“ (2006a, S. 86).

Weitgehend übereinstimmend konzipieren die Autoren drei konstituierende Elemente eines computergestützten sozialistischen Systems, die unterschiedlich detailliert dargestellt werden:

- das arbeitszeitbasierte Äquivalenzprinzip,

- eine umfassende gesamtwirtschaftliche Planung und

- die direkte Demokratie, speziell die Wirtschaftsdemokratie.

Cockshott/Cottrell sehen darin „eine Alternative zur liberalen Dreieinigkeit von Preis, Markt und Parlament“ (S. 11).

Äquivalenter Tausch ungeschmälert?

Das Anliegen einer sozialistischen Ökonomie sei es, die Logik des marktwirtschaftlichen Systems mittels der schrittweisen Ersetzung des monetären Preis-Profit-Mechanismus durch den gerechten Austausch gleicher, in den Produkten verkörperter Quanta von Arbeitszeit zu brechen. Damit würden auch die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die Lohnarbeit und die Ungleichheit in den Einkommen beseitigt (vgl. Dieterich 2006a, 157f., und Cockshott/Cottrell S. 27, 43ff.).

Dazu wird der „Arbeitswert“ neu definiert und seiner Bestimmung die Arbeitszeit zugrunde gelegt – allerdings rein quantitativ. Die Grundzüge dieser Methodik sind: Im Betrieb, Verein, Haushalt u. ä. wird die verausgabte Arbeitszeit je erzeugtem Produkt (Einheit des Erzeugnisses bzw. der Dienstleistung) ermittelt. Um den gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeitaufwand für die jeweilige Produkteinheit zu ermitteln, erfolgt zentral die Hinzurechnung der in den externen Vorstufen in den Produktionsmitteln (Bauwerke, Ausrüstungen, Materialien, Software usw.) vergegenständlichten Arbeitszeit. Die mit der produktbezogenen Ermittlung der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit verbundene Komplexität der Berechnungen und die dazu erforderlichen Informationsflüsse sind sicherlich bereits heute in der notwendigen Schnelligkeit mit modernen mathematischen Methoden sowie mit der EDV-Technik und dem Internet beherrschbar. Dennoch sollten die mit der Arbeitszeitmessung verbundenen Schwierigkeiten – sowohl die praktischen Probleme der Primärerfassung auf betrieblicher Ebene[3] als auch die für die gesamtwirtschaftliche Aggregation der produktbezogenen Zeitangaben notwendige Aufhebung des Datenschutzes für Privateigentümer – nicht unterschätzt werden.

Nach dieser Vorstellung, die sich an das von Marx (MEW 19, S. 20) skizzierte Stundenzettel-Modell anlehnt, bekäme jede/jeder die von ihm/ihr geleisteten Arbeitsstunden gutgeschrieben (auf „Arbeitszetteln“ oder moderner auf elektronisch geführten Konten). Im Umfange dieses Arbeitszeitguthabens hätte er/sie dann Anspruch auf eine Menge an Konsumgütern (einschließlich entgeltlicher Dienstleistungen) entsprechend der darin enthaltenen gesellschaftlichen Arbeitszeit. Dieser Tausch erfolgt nur für Konsumgüter, während die Produktionsmittel den Betrieben von der zentralen Planungsbehörde zugewiesen werden.

Zwei Behauptungen der Autoren sind zu hinterfragen: a) Erhalten die Arbeitenden nach diesem Prinzip tatsächlich ihren Arbeitsertrag ungeschmälert? b) Ist der bloß quantitativ bestimmte Arbeitszeitaufwand der eigentliche Arbeitswert?

Peters vertritt das Äquivalenzprinzip absolut: „Damit erfüllt der Computer-Sozialismus […]: Für alle arbeitenden Menschen den ungeschmälerten Arbeitsertrag.“ (S. 44. Hervorhebung i.O.). Dieterich (2006a, S. 151) sieht die mit der „rigorose Äquivalenz“ verbundenen Probleme, ohne dass er die Widersprüche hinreichend klärt: Für den Leser überraschend beschreibt er gegen Ende seiner Darstellung Instrumente zur Umverteilung von Mehrprodukt – Staatshaushalt, Steuern u. ä. Dagegen bezeichnen Cockshott/Cottrell (S. 27ff., 44ff ) die Äquivalenz als das ursprüngliche Prinzip und schränken sie mit ihrem Planungsmodell (s. u.) wesentlich ein.

Die Befürworter des absoluten Äquivalenzprinzips übersehen die daraus folgenden ökonomischen und sozialen Konsequenzen: Wovon würden die aus Alters- und Gesundheitsgründen Nichtarbeitsfähigen leben, was würde aus dem Bildungs- und Gesundheitswesen usw. usf., wenn die unmittelbaren Produzenten das Äquivalent für ihre Arbeit ungeschmälert erhielten? Schon Marx kritisierte in den Randglossen zum Gothaer Programm (MEW 19, S. 18f.) die Phrase vom „unverkürzten Arbeitsertrag“ aufs schärfste; auch heute wird sie mit Recht vielfach zurückgewiesen (vgl. u. a. Wenzel 2006, S. 820f.).

Cockshott/Cottrell lösen das Problem, aber nicht über einen primären anteiligen Abzug an Arbeitszeit, sondern über eine nachfolgende „Einkommenssteuer“ (S. 17ff., 46ff., 57, 134ff., 147ff., 150). Das Verhältnis der Mehrarbeitszeit zur unmittelbar notwendigen Arbeitszeit – die Mehrarbeitsrate – ist in einer hoch entwickelten Gesellschaft von erheblicher Größenordnung. Nach den von Cockshott/Cottrell für Großbritannien angegebenen Daten (S. 28ff.) und nach den aus den skandinavischen Staaten bekannten Relationen blieben nach der „Einkommenssteuer“ noch 50-60 Prozent der primär gut geschriebenen Arbeitszeiten übrig. Das entspräche einer Mehrarbeitsrate von 80-100 Prozent. Der Wegfall gesellschaftlich überflüssiger Aufgaben (einschließlich repressiver Funktionen des Staates) würde voraussichtlich durch die notwendige Ausweitung anderer Bereiche – wie des Bildungswesens, der Umweltreproduktion u. ä. – kompensiert werden. Angesichts solcher Größenverhältnisse kann nicht mehr von der „Entlohnung“ nach dem Äquivalenzprinzip gesprochen werden.

Was kann unter diesen Bedingungen vom Übergang von der monetären Entlohnung auf die arbeitszeitbasierte Vergütung erwartet werden? Für Dieterich „[…] liegt die wesentliche Befreiungsproblematik sozialistischer Ökonomie […] in der demokratischen Selbstbestimmung des unmittelbaren Produzenten über den Exploitationsgrad seiner Arbeit, d. h. die Mehrarbeitsrate.“ (S. 160f.) Diese Aussage ist widersprüchlich: Zum einen wäre bei absoluter Äquivalenz die Mehrarbeitsrate gleich null; also hätten die unmittelbaren Produzenten nichts zu entscheiden. Wenn aber – zum anderen – auf die Arbeitszeitvergütung eine Einkommensteuer erhoben wird, dann muss die Gesamtheit der Bürger über die Verfügbarkeit gesellschaftlicher Mehrarbeitszeit entscheiden.

Zur zweiten der zu hinterfragenden Behauptungen der Autoren: Ist der rein quantitativ bestimmte Arbeitszeitaufwand tatsächlich der Arbeitswert?

Dazu sind die von Marx in der politischen Ökonomie entwickelten Zusammenhänge und Unterschiede zwischen Gebrauchswert, Arbeitszeit und Wert zu beachten. Dieterich vereinfacht diese Beziehungen: „Gebrauchswert ist die Fähigkeit eines Produktes, ein Bedürfnis zu befriedigen; Wert ist eine quantifizierte Zeitspanne, z. B. zwanzig Minuten, eine Stunde, zwei Tage, usf., die zur Produktion eines Gebrauchswerts erforderlich ist und Tauschwert ist die ‚notwendige Ausdrucksweise oder Erscheinungsform des Werts’, so wie er sich im konkreten Austausch manifestiert. Der objektive Wert eines Produktes liegt demnach in der zu seiner Produktion gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit […].“ (S. 158, Herv. J. T.). Damit abstrahiert er aber – wie auch Peters (S. 41f.), Hoss (2005, S. 233f.) u. a. – von der Qualität der Arbeit, d. h., er unterscheidet nicht „einfache“ und „komplizierte Arbeit“. Das ist im Sinne des Gleichheitsziels ausdrücklich beabsichtigt, um für gleiche Arbeitszeiten unabhängig von der Qualifikation des Produzenten sowie der Intensität und Kompliziertheit der Arbeit gleiche Einkommen zu begründen.

Bei ihrer Definition des Arbeitswertes dürfen die Autoren sich aber nicht auf Marx berufen. Zwar heißt es auch bei ihm zunächst noch in der ersten Auflage des „Kapital“: „Wir kennen jetzt die Substanz des Wertes. Es ist die Arbeit. Wir können sein Größenmaß. Es ist die Arbeitszeit.“ (MEW 23, S. 55, Herv. i. O.). Diese Passage fehlt in den späteren Auflagen! Aber wenige Seiten danach steht dann in allen Auflagen: „Kompliziertere Arbeit gilt nur als potenzierte oder vielmehr multiplizierte, einfache Arbeit, so dass ein kleineres Quantum komplizierter Arbeit gleich einem größeren Quantum einfacher Arbeit. […] Die verschiedenen Proportionen, worin verschiedne Arbeitsarten auf einfache Arbeit als ihre Maßeinheit reduziert sind, werden durch einen gesellschaftlichen Prozess hinter dem Rücken der Produzenten festgesetzt und scheinen ihnen daher durch das Herkommen gegeben. Der Vereinfachung halber gilt uns im Folgenden jede Art Arbeitskraft unmittelbar für einfache Arbeitskraft, wodurch nur die Mühe der Reduktion erspart wird.“ (MEW 23, S. 59. Hervorh. J. T.). Der didaktisch begründete Verzicht auf die Reduktion komplizierter in einfache Arbeit kann aber bei der praktischen Umsetzung nicht beibehalten werden[4]. Was bisher hinter dem Rücken der Produzenten geschieht, müsste alternativ durch die sozialistische Planung erfolgen. Die Wertbestimmung nur durch die Arbeitszeit ohne Reduktion der komplizierten auf einfache Arbeit wäre eine weitere Definition des Arbeitswertes[5], die vielleicht zur Unterscheidung von den anderen als „Arbeitszeitwert“ bezeichnet werden könnte. An dieser Art der Wertbestimmung reiben sich Rezensenten und Kritiker (so z. B. Heiko Feldmann S. 568).

Dieterich sieht allerdings die Notwendigkeit, „komplexe bzw. komplizierte Arbeit“ in der Übergangsphase bis „zum ethischen Menschen der zukünftigen Demokratie“ zu berücksichtigen (vgl. S. 150-153). Und Cockshott/Cottrell kommen bei ihrem Planungsmodell nicht umhin, die Ungleichheit der Arbeit zu beachten und drei Ausnahmen von der einfachen Arbeitszeit zu machen:

(1) Unterschiede in der Arbeitsbereitschaft (in der Arbeitsintensität) könnten durch ein System der Arbeitsbewertung mit Auf- bzw. Abschlägen der gutzuschreibenden Arbeitszeit für die unmittelbaren Produzenten berücksichtigt werden – ohne Verrechnung auf die Produkte (S. 58f.).

(2) Für die Volkswirtschaftsplanung müssten die unterschiedlichen Aufwände für die Ausbildung der Arbeitskräfte und deren ökonomischer Einsatz berechnet werden. Z. B. wäre die einfache Arbeitszeit einer Ingenieurin mit dem Faktor 1,33 zu multiplizieren, ohne diese auf die Produkte zu verrechnen oder als Maß für das Einkommen zu verwenden (S. 61).

(3) Hinzu kommen ggf. zwecks Regulierung des „Konsumgütermarktes“ Auf- oder Abschläge auf den ermittelten gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeitaufwand für bestimmte Produkte mittels „Gleichgewichtspreisen“, „Verbrauchssteuern“ o. ä. (S. 150, 153f., 160).

Diese Ausnahmen zeigen die eingeschränkte Funktionstüchtigkeit des einfachen Arbeitszeitwertes. Er hat mit dem marxschen Wertbegriff offensichtlich nicht mehr viel zu tun und spiegelt die Wertverhältnisse ebenso wenig adäquat wider wie das heutige Preisbildungssystem. Es gilt wohl weiter: Der Wert als gesellschaftliche Substanz der Ware ist nicht direkt erfassbar. Als Hoffnung bleibt, dass ein demokratisch von den Bürgerinnen und Bürgern durchgesetzter Wechsel von der Geld- auf die Arbeitszeitrechnung transparenter und sozial gerechter als das heutige System ist.

Gesamtwirtschaftliche Planung als zentrale Administration?

Peters stellt kategorisch fest: „Sozialistische Planwirtschaft bewirkt die direkte Entsprechung von Produktion und Konsum. Mit seiner Fähigkeit, in einem einzigen Gerät Milliarden von Rechenoperationen pro Sekunde vorzunehmen, kann der Computer schon heute die Bedürfnisse der Menschen erfassen und ordnen sowie ihre Befriedigung durch die Planung und Organisation von Produktion, Dienstleistung und Verteilung ins Werk setzen. Die bisherige Steuerung der Produktion durch die Annäherung von Angebot und Nachfrage ist damit ebenso überflüssig wie die ihr zugrunde liegende Marktwirtschaft samt unternehmerischem Risiko, Kapital, Profit, Kredit und Zins.“ (S. 129). Ähnlich äußert sich Dieterich (vgl. 2006a, S. 157f.).

Cockshott/Cottrell entwickeln ein relativ ausführliches und detailliertes Planungskonzept, dessen Kern getreu ihrem Grundansatz nicht mehr von monetären Größen, sondern von einer Arbeitszeitrechnung gebildet wird. Es besteht aus Zielen erster Ordnung, der strategischen Planung, der detaillierten Planung, der Haushalts- und Steuerpolitik, dem Marketing für Konsumgüter und schließlich der Planung des Außenhandels (vgl. S. 87-214).

Vieles in den Ausführungen von Cockshott/Cottrell erinnert an die umfangreiche Forschung für die mathematische Modellierung und Optimierung der volkswirtschaftlichen Planung in den sozialistischen Staaten. Aus der UdSSR sind nicht nur die frühen, oft erwähnten Arbeiten von Wassily W. Leontief und Stanislaw G. Strumilin, sondern auch spätere Veröffentlichungen von Autoren wie Walentin W. Nowoshilow[6] und Wassili S. Nemtschinow[7] zu nennen. – Aus Ungarn sind besonders die Untersuchungen und Vorschläge von János Kornai (1969) hervorzuheben. Und in der DDR waren methodologische Ansätze für gesamtwirtschaftliche Vorausberechnungen und Planungsmodelle weit gediehen: von ersten Darstellungen – u. a. von Eva Müller[8] und Manfred Wölfling[9] – bis zu den Arbeiten von Hans Knop und Rolf Pieplow[10] sowie Helmut Koziolek und seinen Mitarbeitern[11].

Ein tief gegliedertes System für die Bilanzierung von Bedarf und Aufkommen sowie wichtige für das Planinformationssystem erforderliche Instrumente (wie Erzeugnisnomenklaturen und Schlüsselsystematiken der Volkswirtschaftszweige) waren in Planwirtschaften weit entwickelt. Jedes Erzeugnis müsste zudem zukünftig neben dem Erzeugniscode anstelle des Preises mit der Angabe des gesellschaftlichen Arbeitszeitaufwandes versehen werden (optisch bzw. elektronisch).

Dieterich verweist zwar auf die wertvollen Erfahrungen aus der Sowjetunion und der DDR, dringt aber – ebenso wie weder Peters noch Cockshott/Cottrell – nicht zu deren Erfahrungen mit dem „Prinzip des demokratischen Zentralismus“ vor: Die ungelöste Problematik war und ist nicht in erster Linie die Leistungsfähigkeit der Rechentechnik, sondern wie sozialistische Planung und direkte bzw. partizipative Demokratie miteinander verbunden werden können.

Die Planungskonzepte „aus dem Rechner“ haben einen ausgeprägt zentralistischen und administrativen Charakter. Für Peters erscheint das selbstverständlich: „Die Lenkung der Wirtschaft reduziert sich durch den Computer auf einen technisch-organistorischen Vorgang, der von Verwaltungen durchgeführt wird.“ (S. 130) Auch Cockshott/Cottrell konstituieren verschiedene zentrale Ämter (S. 158f.). Wenn aber sowohl die strategische als auch die detaillierte Planung zentral durchgeführt werden, sind die daraus resultierenden Produktionsaufgaben und Ressourcenzuteilungen auf administrativem Wege dezentral in den Regionen und produzierenden Einheiten durchzusetzen und von diesen verbindlich durchzuführen. Welche Eigenverantwortung, welche demokratischen Entscheidungsspielräume verbleiben unter solchen Bedingungen den Kommunen und den unmittelbaren Produzenten?[12]

Peters erkennt klar: „Deshalb darf als historisch erwiesen gelten, dass der Staat […] fortbesteht und seine Macht auf die Wirtschaft und andere Gebiete des öffentlichen Lebens ausweitet.“ (S. 80). Dagegen glaubt Dieterich noch: „Die demokratisch geplante Äquivalenzökonomie repräsentiert eine […] qualitativ neue Strategie, in der soziale und ökonomische Gerechtigkeit nicht mehr primär über die Intervention des Staates geschaffen wird, sondern durch die Institutionalität des Wirtschaftssystems selbst.“ (2006a, S. 108). Aber: Eine Selbstverwaltung mit Weisungsfunktionen der zentralen Behörden ist letztlich ebenfalls „Staat“, wenn auch ohne Repressionsfunktion.

Wenn den Regionen und produzierenden Einheiten reale demokratische Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt werden sollen, dann dürfen die im Konzept von Cockshott/Cottrell vorgesehenen Unterscheidungen zwischen strategischer und detaillierter Planung oder der auch bereits bei Kornai vorhandene Ansatz für eine Zwei-Ebenen-Planung (vgl. S. 329ff.) nicht nur als Aufgabe des zentralen Planungsamtes aufgefasst werden, sondern muss eine mehrstufige Entscheidungs- und Planungspyramide geschaffen werden. Dann lässt sich die detaillierte Planung als eine demokratische Wechselbeziehung zwischen Vorschlägen der wirtschaftenden Einheiten und Kommunen einerseits und der Rahmensetzung durch das zentrale Planungsamt andererseits gestalten. Von den damit verbundenen vielfältigen Aspekten sei auf zwei verwiesen, auf die Probleme der Aggregation/Desaggregation der Daten und auf den Einfluss der ökonomischen Interessen.

Aggregation und Desaggregation von Plandaten beeinflussen die Qualität der Informationen und die Möglichkeiten der Wirtschaftsdemokratie: Soll auf der obersten Planungsebene nur mit zusammengefassten Daten operiert werden und je weiter unten, desto detaillierter die Daten, oder schon auf der obersten Ebene mit detaillierten Daten? Je nachdem würden die Entscheidungsmöglichkeiten und damit die Wirtschaftsdemokratie auf unteren Ebenen ermöglicht oder eingeschränkt werden. EDV-technisch wäre die Detailplanung auf oberster Ebene möglich, aber damit wäre auch die Produktionsdurchführung zentral bestimmt; somit wäre es den unmittelbaren Produzenten vor Ort nicht mehr möglich, über die zweckmäßigste Ausführungsvariante zu entscheiden. Umgekehrt wäre die zentrale Planung nur hochaggregierter Daten mit dem aus der Planungspraxis bekannten Nachteil verbunden, dass bei ihrer Desaggregation die detaillierten Daten zwischen Bedarf und Aufkommen nicht mehr vollständig bilanzieren. Aber im Sinne einer Wirtschaftsdemokratie wird eine Mehr-Ebenen-Planung unerlässlich sein, um den Produzenten und Verantwortlichen der jeweiligen Ebene Entscheidungsmöglichkeiten einzuräumen.

Eine Planungspyramide, die allen Ebenen definierte Entscheidungsmöglichkeiten einräumt, kommt nicht umhin, die differenzierten Interessen der jeweiligen Produzenten und Verantwortlichen zu berücksichtigen. Aus psychologisch verständlichen Gründen wird der Bedarf an knappen Ressourcen oft überhöht angegeben, um zu erwartenden Kürzungen der Zuteilungen vorweg zu begegnen, wie umgekehrt die eigene Leistungsfähigkeit häufig zu niedrig angesetzt wird, um bei unvorgesehenen Störungen noch auf der „sicheren“ Seite zu sein. Die Interessen der „Werktätigen“ und ihrer „ökonomischen Stimulierung“ standen so im Staatssozialismus nicht nur während der Leistung, sondern auch im Planungsprozess immer wieder zur Debatte[13], ohne bis zu dessen Ende befriedigend gelöst zu werden.

Ist direkte Demokratie vor allem ein informationstechnologisches Problem?

Die Verwandlung der formalen in die reale Demokratie wird als ein Schlüsselprozess gesehen. So schreibt Peters sehr euphorisch: „Der Computer kann alle Erdenbürger zur direkten Entscheidung über Sachfragen, die den ganzen Weltstaat betreffen, zusammenführen, und er kann jede Frage, die nur einen Teil der Erdbevölkerung betrifft, auf regionaler oder betrieblicher Ebene in gleicher Weise einer unmittelbaren Entscheidung der Gesamtheit der Betroffenen zuführen. Damit verlieren Parlamente, Parteien und Berufspolitiker ihre Daseinsberechtigung.“ (S. 132f.) Und Dieterich formuliert: „ In der partizipativen Demokratie wird dieses Teilhaberecht an der Entscheidungsnahme […] permanent und ausgedehnt sein auf alle Sphären sozialen Lebens, von den Fabriken und den Kasernen bis zu den Universitäten und Massenkommunikationsmitteln. Es handelt sich um das Ende der repräsentativen […] Demokratie und ihre Überwindung durch die direkte oder plebiszitäre Demokratie.“ (2006a, S. 118).

An dieser Stelle ist eine begriffliche Klarstellung erforderlich. Nach Theo Schiller ist der Wesensinhalt der direkten Demokratie das Recht auf Sachentscheidungen (S. 13); er billigt ihr aber ausdrücklich nur „einen Ergänzungsstatus im Rahmen repräsentativer Demokratie“ (S. 157) zu. Andererseits fragt Feldmann (S. 568) berechtigt, wieso eigentlich „partizipative“ Demokratie, wenn die repräsentative Demokratie abgeschafft wird? Deshalb sollte klar unterschieden werden: Bei bloßer Teilhabe an der repräsentativen Demokratie mittels Volksbegehren oder punktueller Volksentscheide handelt es sich um partizipative Demokratie, und nur bei Ersatz der repräsentativen sollte von „direkter“ Demokratie gesprochen werden.

Die Vorschläge für den Übergang von der parlamentarischen zur direkten bzw. realen Demokratie werden von den Rezensenten im Unterschied zur Ablehnung der arbeitszeitbasierten Äquivalenz überwiegend positiv aufgenommen. Aber auch hier liegen die eigentlichen Hürden nicht in erster Linie in der Leistungsfähigkeit der Informationstechnik. Schließlich kennt die Schweiz auch ohne das Internet schon seit dem 19. Jahrhundert Volksrechte; im Zeitraum von 1967 bis 2005 wurden 159 Volksinitiativen (bundesdeutsch: Volksbegehren) behandelt und 379 Volksabstimmungen durchgeführt (s. Wili, S. 20).

Da hochentwickelte Gesellschaften ein komplexes System von Regulierungen benötigen, sind Gremien mit öffentlicher Autorität erforderlich, die die Volksentscheide mit Hilfe von Verwaltungsämtern für funktionale Bereiche vorbereiten und umsetzen. Das könnten nach Cockshott/Cottrell (S. 229-231) Bürgerkomitees oder -räte sein, deren Mitglieder nach dem Zufallsprinzip bestimmt werden. Die direkte Demokratie soll der Bevölkerung auf wirtschaftlichem Gebiet die reale Entscheidungsfindung sowohl über makroökonomisch relevante Faktoren als auch auf Betriebs- und Gemeindeebene ermöglichen.

Für die makroökonomische Planung stellen sich Cockshott/Cottrell „ein System vor, in dem Teams von professionellen Ökonomen alternative Pläne aufzeigen, um sie einem Planungsausschuss vorzulegen, der dann daraus auswählt. Nur die grundlegenden Entscheidungen (die Höhe der Steuern; der für Investitionen, Gesundheit, Bildung usw. vorgesehenen Prozentsatz des Nationaleinkommens) würden durch direkte Volksabstimmung herbeigeführt werden.“ (S. 227). Dabei ist Vorsorge zu treffen, dass nicht sich gegenseitig ausschließende Ergebnisse zustande kommen, also z. B. Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Ausgaben und gleichzeitig Senkung der Steuern; Cockshott/Cottrell sehen deshalb eine automatische Kopplung beider Parameter vor (S. 228). Solche Regelungen sind auch nach den Erfahrungen der staatssozialistischen Ländern erforderlich, um kurzsichtige Entscheidungen zu Gunsten der Konsumtion und zu Lasten der notwendigen Akkumulation zu vermeiden.

Dieterich hat die Illusion, dass der Staatshaushalt vielleicht am einfachsten in den demokratischen Diskussions- und Entscheidungsprozess einzubeziehen ist; die Prozedur sei relativ einfach: „Die verschiedenen Haushaltsinitiativen werden einige Monate lang in ihren wesentlichen Komponenten über öffentliche und private Medien (Fernsehen, Radio, usf.) debattiert und dann in einem elektronischen Plebiszit entschieden.“ (2006a, S. 157). Ähnliches gelte für andere Parameter, deren Kontrolle durch die Bevölkerung unabdingbar für eine demokratische Produktionsweise ist. Erste praktische Erfahrungen gibt es nur auf der kommunalen Ebene. Die brasilianische Arbeiterpartei praktiziert seit etlichen Jahren einen „partizipativen Haushalt“ in den Gemeinden, in denen sie die Gemeindeverwaltung stellt (Dieterich, S. 156f.). Auch in einigen bundesdeutschen Gemeinden wurden erste Versuche gestartet. Der Ansatz ist richtig, doch unzureichend, denn die eigentliche ökonomische Macht liegt nicht auf der Gemeinde-, sondern auf der Bundesebene. Und da sind die Schwierigkeiten ungleich größer.

Angesichts der außerordentlich hohen Komplexität des Staatshaushaltes und anderer gesamtwirtschaftlicher Parameter wird die Diskrepanz zwischen der detaillierten Sachkenntnis der Ämter und dem Wissen der durch Los zustande gekommenen Bürgerkomitees zu einer großen Hürde. Wie schon jetzt bei den Parlamenten zu beobachten ist, entstehen daraus reale Einschränkungen für die Demokratie; um diesen Gefahren zu entgehen, ist ein höheres Maß an ökonomischer Allgemeinbildung und damit ein viel tieferes Verständnis für ökonomische Grundzusammenhänge erforderlich, als heute gemeinhin vorhanden ist.

Die Möglichkeiten für mikroökonomische Grundsatzentscheidungen durch die unmittelbaren Produzenten hängen vor allem von den Rahmenbedingungen ab, die durch die gesamtwirtschaftliche Planung gesetzt werden. Wie bereits ausgeführt, existiert bei detaillierter zentraler Planung und verbindlicher Steuerung von oben nach unten – also bei einem von den Autoren anscheinend favorisierten rechnergestützten administrativ-zentralistischen Planungssystem – in den Betrieben, Einrichtungen und Kommunen nur wenig Entscheidungsspielraum. Dieser kann nur vergrößert werden, wenn ein Mehrebenen-Planungs- und Entscheidungsmodell installiert wird.

Schließlich stellt sich die Zuordnung der Entscheidungskompetenz zur entsprechenden Ebene bzw. zu bestimmten Bevölkerungsgruppen als Problem heraus. So verknüpft Dieterich die reale Demokratie auf Betriebsebene mit der Entscheidung über die Mehrarbeitsrate – Surplusarbeitszeit zu notwendiger Arbeitszeit (vgl. S. 160f.). Dem wurde bereits entgegen gehalten, dass mit der Entscheidung über die Mehrarbeitsrate zugleich der mögliche gesellschaftliche Gesamtumfang der Investitionen, der kulturell-sozialen Bereiche u. ä. sowie das Lebensniveau der Nichtarbeitsfähigen bestimmt wird. Dieses Beispiel belegt erneut, dass unmittelbar Betroffene nicht alleine entscheiden dürfen, wenn übergeordnete gesellschaftliche Interessen zu berücksichtigen sind. So ist eine demokratisch zustande gekommene Verfassung mit klar geordneten Regularien auch für Volksbegehren und Volksentscheide – ggf. ein neuer „Gesellschaftsvertrag“ – notwendig, um zur computergestützten direkten Demokratie übergehen zu können.

Ausblick und Fazit

Hinsichtlich der Zukunft des Computer-Sozialismus gibt sich Peters sehr sicher: „So scheint eine Entwicklung denkbar, die über eine Veränderung der öffentlichen Meinung die formalen (= parlamentarischen) Demokratien allmählich in reale (= direkte) Demokratien überführt und damit den gewaltlosen Weg in die äquivalente Ökonomie wie in den Weltstaat freimacht. Und die mit dem Computer verbundene weltweite Vernetzung begünstigt diesen Weg […].“ (S. 141f.)

Dieterich stellt eine strukturelle Erschöpfung der bürgerlichen Institutionen „Nationale Marktwirtschaft“, „formal-repräsentative Demokratie“, „Klassenstaat“ und „bürgerliches Subjekt“ fest und kreiert deshalb (S. 34ff.) ein „Neues Historisches Projekt“ (NHP, s. a. 2006b). „Der Begriff umfasst die vier grundlegenden gesellschaftlichen Dimensionen oder Beziehungen in den der Mensch sich reproduziert: die ökonomische, die politische, die kulturelle und die militärische.“ (S. 65) Er sieht als Weg, die Gesellschaft mittels der Veränderung jener Institutionen, die das menschliche Handeln leiten, zu transformieren und so zum „rational-ethisch-ästhetischen Subjekt“ (S. 120) zu gelangen: „Veränderung von Gesellschaft bezieht sich unvermeidlich auf die Modifikation ihrer Institutionalität, denn Gesellschaft ist im Grunde nichts anderes als das Produkt wechselseitigen Handelns der Menschen, welches einerseits, in einer dialektischen Beziehung, über Institutionen normiert und organisiert wird und andererseits, Institutionen erzeugt und formt. […] Antisoziales Verhalten abzuschaffen heißt also, die Institutionen abzuschaffen, die es erzeugen oder tolerieren und durch bessere zu ersetzen. Wer, beispielsweise, die ökonomische Ausbeutung des Menschen durch den Menschen verhindern will, muss ökonomische Einrichtungen schaffen, die die Ausbeutung unmöglich machen und nicht, wie heute der Fall, sie prämieren.“ (S. 122).

Nach Dieterich „[…] errichtet sich das neue System in einem Sektor des herrschenden Systems, um dann schrittweise zu expandieren und sich von Subsystem oder neuer Ordnung (Heterodoxie) zu verwandeln in System oder Hauptordnung (normal): die neue Orthodoxie. […] Die Ökonomie der Übergangsphase wird deswegen notwendigerweise einen Mischcharakter haben. Die Operationsbasis der fortgeschrittensten Faktoren der neuen nationalen oder regionalen Ökonomie wird von monetären Kosten-Preisen übergehen auf objektive Werte (Arbeitszeit), während die rückständigsten Sektoren und der Weltmarkt weiterhin über Preise-Kosten operieren werden.“ (S. 144)

Auch wenn die Entwicklung der Datenverarbeitungs- und Informationstechnologien bessere Möglichkeiten schafft: Entscheidend bleiben die gesellschaftlichen Veränderungen. So machen sich Peters und Dieterich auf dem Weg in die Zukunft hinsichtlich der Eigentumsfrage große Illusionen: „Der Computer-Sozialismus setzt nicht die Überführung des Eigentums an den Produktionsmitteln in Gemeinbesitz voraus. Er entzieht nur [?? J. T.] den Eigentümern durch die Planwirtschaft die Verfügung über Art und Menge der Produktion sowie durch das Äquivalenzprinzip die Festsetzung der Preise und Löhne.“ (Peters, S. 43f.; s. a. Dieterich, S. 106f.) Damit ist auch die Aufhebung des Schutzes der Unternehmensdaten und vor allem der Verlust jeglichen Einkommens aus Eigentum an Produktionsmitteln verbunden. Das alles ist doch aber der wesentliche Inhalt des bürgerlichen Eigentums! Deshalb stellt Kay Müller in seiner Rezension berechtigt fest: „Vom Privateigentum bleibt so wohl nur der Rechtstitel.“ (S. 1139). – Cockshott/Cottrell wiederum erkennen diese Problematik und konstatieren (S. 98), dass eine sozialistische Regierung im Prinzip über die Eigentumsrechte an den Produktionsmitteln verfügen sollte; im Weiteren (S. 235-259) detaillieren sie ihre diesbezüglichen Vorstellungen.

Wer sich tiefer in die Voraussetzungen für den Übergang von einer monetären auf eine arbeitszeitbasierte Ökonomie, auf eine gesamtwirtschaftliche Planung und auf eine vollständige direkte Demokratie hinein denkt, wird erkennen, dass der Übergang nicht ohne Umwälzung der Eigentumsverhältnisse erfolgen kann. Und zugleich ist festzuhalten, dass die Hürden dafür außerordentlich hoch sind; schließlich ist dabei nicht nur an die Großkonzerne zu denken, sondern auch an die Tatsache, dass zumindest in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern erhebliche Teile der Bevölkerung direkt und indirekt über nennenswerte Vermögenswerte verfügen und die repräsentative Demokratie in diesen Ländern im Kern faktisch vor allem von Vermögensbesitzern verkörpert wird.

Angesichts der Prämissen, die den Bruch mit dem bisherigen Wirtschaftssystem bedeuten, und der hohen Hürden für den Übergang ist es notwendig, auch an andere Passagen der Marxschen Kritik des Gothaer Programms zu erinnern. Er unterscheidet dort bekanntlich zwei Phasen der kommunistischen Gesellschaft, die erste Phase, wie sie aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht (meist als Sozialismus bezeichnet), und die höhere Phase: Erst „[…] nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont überschritten werden […]“. (MEW 19, S. 22)

Unter Berücksichtigung der Erfahrungen der staatssozialistischen Länder lässt sich der Übergang von einer monetären auf eine arbeitszeitbasierte Ökonomie, auf eine durchgängige gesamtwirtschaftliche Planung und auf eine vollständige direkte Demokratie nur der zweiten Phase, also dem eigentlichen Kommunismus zuordnen. So gesehen wird aus dem heutigen entwickelten Kapitalismus wohl erst eine staatlich regulierte Marktwirtschaft auf Basis von Ware-Geld-Beziehungen mit einer makroökonomischen Planung und einem wieder wachsenden Anteil öffentlichen Eigentums (irgendeine „sozialistische Marktwirtschaft“) sowie eine reale partizipative Demokratie mit umfassenden Volksentscheiden hervorgehen müssen. Wann dann der Übergang in die höhere Phase mit der Auflösung der auf dem Tauschwert gegründeten Produktionsweise und Gesellschaftsform (vgl. Marx, MEW 23, S. 92ff.) erfolgen kann und in welchen Regionen der Erde zuerst, bleibt offen. Zumindest ist Skepsis angebracht, ob das noch in diesem Jahrhundert und ob das zuerst in Europa geschehen wird. So ist der „Computer-Sozialismus“ wohl im 21. Jahrhundert noch nicht realisierbar, sondern Vision eines Kommunismus in späteren Zeiten.

Literatur

Behrens, Fritz (1961): Wie ist der Wert messbar? In: Wirtschaftswissenschaft 9(1961)3, S. 420-421.

Cockshott, W[illiam] Paul / Cottrell, Alin (2006): Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie. Köln. (Im Original: Towards a New Socialism. 1993).

Cockshott, W. Paul (2006): Die Technik des Sozialismus existiert. In: Rosa-Luxemburg-Konferenz 2006. Beilage der Tageszeitung junge Welt v. 1.02.2006.

Dieterich, Heinz (2006a): Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie nach dem globalen Kapitalismus. Berlin.

Dieterich, Heinz (2006b): Für ein neues historisches Projekt. Die Bedingungen für eine nicht-kapitalistische Ökonomie sind erstmals gegeben. In: Rosa-Luxemburg-Konferenz 2006. Beilage der Tageszeitung junge Welt v. 1.02.2006.

Feldmann, Heiko (2006): Buchbesprechung zu Dieterich (2006). In: UTOPIE kreativ, H. 188 (Juni 2006), S. 566-569.

Hoss, Wolfgang (2005): Werttheoretische Überlegungen im gesamtgesellschaftlichen Reproduktionszusammenhang. In: Das PRAXIS-Konzept im Zentrum gesellschaftskritischer Wissenschaft. Hg. Horst Müller. Norderstedt 2005. S. 229-253.

Kornai, Janos (1967): Mathematische Methoden bei der Planung der ökonomischen Struktur. Berlin. (Übers. a. d. Ung.).

Koziolek, Helmut / Bernd Matthes / Rainer Schwarz (1988): Grundzüge einer Systemanalyse von Reproduktionskreisläufen. Berlin.

MEW 19: Marx, Karl: Kritik des Gothaer Programms. Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei. In: MEW 19, S. 15-23.

MEW 23: Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Bd.

Müller, Kay (2001): Buchbesprechung zu Peters (2000). In: UTOPIE kreativ, H. 134 (Dez. 2001), S. 1138f.

Peters, Arno (2000): Was ist und wie verwirklicht sich Computer-Sozialismus. Gespräche mit Konrad Zuse. Berlin.

Schiefer, Carsten (2006): Sozialismusvorstellungen. Buchbesprechung zu Dieterich (2006) und Cockshott/Cottrell (2006). In: Z Nr. 66 (Juni 2006), S. 205-208.

Schiller, Theo (2002): Direkte Demokratie. Eine Einführung. Frankfurt a. M. / New York.

Steigerwald, Robert (2006): Anmerkungen zu dem Buch Heinz Dieterichs (2006). In: Marxistische Blätter, H. 2/2006, S. 107f.

Wenzel, Siegfried (2003): Die Sozialismusvision eines bedeutenden Historikers. In memoriam Arno Peters. In: UTOPIE kreativ, H. 150 (April 2003), S. 365-367.

Wenzel, Siegfried (2006): Sozialismus des 21. Jahrhunderts? In: UTOPIE kreativ, H. 191 (Sept. 2006), S. 811-822.

Wili, Hans-Urs (2006): Direkte Demokratie in der Schweiz … im Vergleich mit anderen Referendumssystemen rund um den Erdball. In: mehr demokratie, H. 3/2006, S. 20-23.

[1] Siehe die Konferenzbeiträge von Heinz Dieterich (2006a) und W. Paul Cockshott (2006). Weitere bibliografische Angaben im Literaturverzeichnis.

[2] Das Original erschien mit dem zutreffenderen Titel Towards a New Socialism bereits 1993 in Großbritannien.

[3] In der DDR wurden die damit verbundenen Probleme offensichtlich, als versucht wurde, die Messung der Arbeitsproduktivität konsequent auf eine Arbeitszeitbasis umzustellen. Vgl. Fritz Behrens / Albert Franke / Ernst Domin: Die Zeitsummenmethode, Berlin 1961, bes. S. 79ff., S. 136ff.

[4] Dazu hat es auch in der DDR in den Jahren 1958 bis 1961 eine heftige Auseinandersetzung zwischen Ottmar Lendle, der für die Wertbestimmung über die einfache Arbeitszeit plädierte, Fritz Behrens und anderen geben (vgl. Wirtschaftswissenschaft 1961, Heft 3, S. 389ff., 410ff. u. 420ff.).

[5] Karl Kühne zählte 1972 schon acht Hauptinterpretationen des Begriffes Arbeitswert auf. Vgl. Ökonomie und Marxismus, Neuwied und Berlin 1972, S. 99ff.

[6] Die Messung von Aufwand und Ergebnis. Probleme der Messung von Aufwand und Ergebnis in der optimalen Planung, Berlin 1970 (Übers. a. d. Russ.).

[7] Ökonomisch-mathematische Methoden und Modelle, Berlin 1965 (Übers. a. d. Russ.).

[8] Volkswirtschaftlicher Reproduktionsprozess und dynamische Modelle. Berlin 1973.

[9] Ein ökonometrisches Modell der Volkswirtschaft der DDR, Berlin 1977.

[10] Volkswirtschaftliche Modelle I. Forschungsinformation der Hochschule für Ökonomie Berlin 1987, Heft 38.

[11] So entstand unter Federführung von Koziolek ein mehrsektorales Reproduktionsmodell der Volkswirtschaft, das als Spezialfall das dynamische LEONTIEF-Modell enthielt (vgl. Koziolek 1988).

[12] Auch dieses Problem wurde in der DDR gesehen (vgl. Wolfgang Berger / Otto Reinhold: Zu den wissenschaftlichen Grundlagen des neuen ökonomischen Systems, Berlin 1966, S. 141f.) und nicht gelöst.

[13] Siehe u. a. E. G. Liberman: Ökonomische Methoden zur Effektivitätssteigerung der gesellschaftlichen Produktion, Berlin 1973 (Übers. a. d. Russ.); Ota Šik: Ökonomie – Interessen – Politik, Berlin 1966 (Übers. a. d. Tschech.), bes. S. 505ff. – Ders.: Sozialismus – Theorie und Praxis. In: Die sozialgerechte Marktwirtschaft – ein Weg für Osteuropa, Freiburg i. Breisgau 1990, S. 13-52.