Berichte

„Neuer Kapitalismus – alte Lohnarbeit"?

Hamburg., 13./14. April 2007

Juni 2007

Es war die erste und zugleich letzte Konferenz, die die Gewerkschafter der Linkspartei.PDS und der WASG vorbereitet und durchgeführt haben, bevor im Juni mit der Parteigründung der „Linken“ der Zusammenschluss offiziell wird. Geht man von den bisherigen Erfahrungen miteinander aus, so lässt das Gutes für die Zusammenarbeit in der Linkspartei hoffen; Störmanöver gegen die neue Partei und deren (vermutlichen) Vorsitzenden Oskar Lafontaine wird es aus dieser Richtung nicht geben. Das gilt insbesonders für die Forderungen nach einem „gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro plus“ und nach der Verankerung des politischen Streiks im Arbeitskampfrecht der Bundesrepublik, die in dieser Hinsicht zu den europäischen Schlusslichtern gehört.

Peter Deutschland, DGB-Vorsitzender Nord, betonte in seinem Grußwort, dass sich die Gewerkschaften von keiner Partei ans Gängelband nehmen lassen dürften, auch nicht von seiner eigenen, der SPD.

Erstmals nach 14 Jahren war Hamburg wieder Gastgeberstadt dieser Konferenz. Gerald Kemski, einem der Bundessprecher der AG, machte es sichtlich Freude, den Hamburger Hafen als Austragungsort von erfolgreich geführten betrieblichen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen zu präsentieren: die Verhinderung des neoliberalen „Port Package“ durch die europäischen Hafenarbeiter und der bedeutsame Teilerfolg der Beschäftigten der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA) gegen die vom Beust-Senat geplante Vollprivatisierung. Thomas Meendrik (BR-Vorsitzender vom „Container Terminal Altenwerder“, stellvertretender KBR-Vorsitzender im HHLA-Konzern und AfA-Vorsitzender im Hamburger Hafen) nannte die Voraussetzungen für diesen Erfolg: Konsequente betriebliche und gewerkschaftliche Mobilisierung und eine Öffentlichkeitsarbeit, die von der Hamburger Bevölkerung verstanden und unterstützt wurde, so dass sich der CDU-Senat schließlich zum Rückzug gezwungen sah. Unter dem Beifall der 260 Anwesenden wurde den betrieblichen und gewerkschaftlichen Hauptakteuren dieser Hafenkämpfe ein „Tampen“ (für Nicht-Norddeutsche: ein Festmacherseil für große Pötte) überreicht und hochgehalten. Eine „Seilschaft“, die bei den Teilnehmern durchaus positive Assoziationen erzeugte.

Als Gastreferent sprach Prof. Elmar Altvater über „Was ist neu am Kapitalismus – Konsequenzen für gewerkschaftliche Strategien“. Altvater referierte seine Auffassungen über den Zusammenhang von Kapitalismus und Fossilismus. Eine sich auf Einkommens- und Tarifpolitik beschränkende Gewerkschaftspolitik greife wesentlich zu kurz und könne kaum noch Erfolge erzielen. Das globale Arbeitsangebot habe sich in der vergangenen zwei Jahrzehnten vervierfacht; durch Outsourcing, Auslagerung und Migration werde permanent ein starker Druck auf die Löhne in den kapitalistischen Hauptländern ausgeübt. Die „Wohlstandsgewinne“ des freien Handels, des freien Kapitalverkehrs und der Deregulierung hätten sich höchst ungleich und zugunsten der Investoren verteilt, vor allem zugunsten der global agierenden finanzkapitalistischen Großinvestoren („Heuschrecken“). Die veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen und eine sich abzeichnende ökologische Krise (Knappheit und Verteuerung der fossilen Energien, Notwendigkeit der CO2-Reduktion) werden es auch nicht mehr zulassen, über „qualitatives“ Wachstum positive Beschäftigungseffekte zu erzielen. Eine neoliberale Angebotspolitik könne daher weder genügend Arbeitplätze schaffen noch eine angemessene Beteiligung am wirtschaftlichen Fortschritt ermöglichen. Auch eine „keynesianische“ Nachfragepolitik könne nur „politikleitend werden, wenn sie den ökologischen Restriktionen mehr Rechnung trägt als in der Vergangenheit“. Daher sei die Einführung von Mindestlöhnen eine „notwendige Bedingung gegen die Senkung der Arbeitseinkommen, gegen die Verwandlung von immer mehr Menschen in arbeitende Arme, die trotz Arbeit auf Hartz IV angewiesen sind. Löhne müssen so hoch sein, dass sie Arbeit und Leben in Würde, entsprechend den ILO-Anforderungen, erlauben.“ Die Dramatik der Situation machte Altvater dadurch deutlich, dass 20 Prozent des Sozialprodukts verloren gehen könnten, wenn nichts gegen den „Klimakollaps“ unternommen würde. Die Gewerkschaften seien in gewissem Sinne wieder da angekommen, wo sie in der Frühzeit der Arbeiterbewegung schon einmal standen: sie und ihre Organisationen müssten die Gestaltung der Arbeits- und Lebensbedingungen wieder in die eigenen Hände nehmen und das Genossenschaftswesen neu beleben; Beispiele aus anderen europäischen und südamerikanischen Ländern zeigten die Möglichkeit.

Zweifellos war das Referat von Altvater das eindruckvollste „Event“ dieser Konferenz und gab vielen Anwesenden, zumeist gestandenen GewerkschafterInnen, eine Fülle von Anregungen zur kritischen Selbstreflexion betrieblicher und gewerkschaftlicher Politik und Praxis. In zwei Punkten allerdings vermochte auch Altvater nur sehr allgemeine und vage Ausführungen zu machen, nämlich zur Frage, wie die Gewerkschaftsbewegung in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern wie der Bundesrepublik kapitalismusüberwindende Politikkonzeptionen (Wirtschaftsdemokratie, Ausbau der Mitbestimmung usw.) weiterentwickeln kann und welche strategischen Gesichtspunkte dabei zu berücksichtigen sind. Auch zum Thema „alte Lohnarbeit?“ (in Frageform!) verzichtete der Referent darauf, das Thema „neue Lohnarbeit“ (Flexibilisierung, Vermarktlichung betrieblicher Arbeitsverhältnisse, Selbstausbeutung durch Subjektivierung der Arbeit usw.) zu beleuchten. Aber dieser Mangel war leider auf der ganzen Konferenz feststellbar. Auch Ulla Lötzer, die sehr interessante Ausführungen zum Thema „neue Arbeitsverhältnisse – neue Kampfbedingungen“ vortrug und die Initiativen der Bundestagsfraktion der „Linken“ ansprach, konnte dazu wenig beisteuern. Einzig Klaus Pickshaus, ging in seinem Beitrag über „Entgrenzung der Arbeit(szeit)“ und „Gute Arbeit“ auf diese Frage näher ein.

Alle fünf Arbeitsgruppen („Betriebsräte – nur noch vom Finanzmarkt getrieben?“, „Lohnpolitik – Dumping ohne Ende?“, „Arbeitszeitverkürzung – nur eine Erinnerung an die Vergangenheit oder brauchen wir eine gesetzliche Höchstarbeitszeit?“, „Europäische Gewerkschaften – Generalstreik oder sozialer Dialog?“, „Berufsausbildung nur noch zu Dumpingpreisen?“) waren gut besucht und hatten dem Vernehmen nach interessante bis spannende Diskussionen und Ergebnisse, die an dieser Stelle allerdings nicht referiert werden können. Eine Dokumentation der Beiträge findet sich auf der Homepage der AG Betrieb & Gewerkschaft: http://www.betriebundgewerkschaft.de.

Der Verfasser dieses Berichts, Betriebsrat in einem Hamburger Airline-Logistikunternehmen, nahm an der ersten AG teil. Hier sprach u. a. Johannes Müllerschön, Betriebsrat bei Fiat, in seinem sehr eindrucksvollen Beitrag über die veränderten betrieblichen Kampfbedingungen und gab auch wertvolle Erfahrungen weiter, die für die „Europäisierung“ der betrieblichen und gewerkschaftlichen Arbeit aufschlussreich sind: „Viele Belegschaften und Betriebsräte haben vor Ort keine kompetenten Ansprechpartner mehr auf Arbeitgeberseite, sondern gut bezahlte Befehlsempfänger und -vollstrecker, die von Konzernzentralen ferngesteuert sind. Die Verhandlungspartner von Betriebsratsgremien vor Ort haben oft nichts zu sagen und an die Leute, die was zu sagen haben, kommt man nur, wenn überhaupt, über GBR, KBR oder gar EBR-Gremien ran, die wiederum den Nachteil haben, dass sie weiter weg sind von der Basis und auch oft wegen unterschiedlicher, manchmal auch direkt gegensätzlicher Interessenslagen geschwächt sind. Standortlogik ist ja nicht nur eine verwerfliche Ideologie, sondern tatsächlich oft genug auch echter Interessenskonflikt.“

Und auch seine Schlussfolgerungen lohnen sich, hier wiedergegeben zu werden: „Sicher, Betriebsratsarbeit im real existierenden Kapitalismus hat Risiken. Oft genug ist es eine Gratwanderung zwischen forschem Organisieren von Widerstand und opportunistischem Zurückweichen. Im Zeitalter der Globalisierung können wir als neue Linke vor allem auch mit der europäischen Dimension von Linkspartei einiges beitragen.“

Das von Richard Detje moderierte Schlusspodium „Politik und Gewerkschaft – gemeinsam neu denken“ mit Karin Antlanger (KPÖ), Franz-Josef Möllenberg (Vors. NGG), Michael Schlecht (WASG) und Harald Werner (Gewerkschaftspolitischer Sprecher der Linkspartei.PDS) kam etwas blutleer daher und litt unter zu langen Statements, die häufig das Thema der Konferenz aus dem Auge zu verlieren drohten, woran sie vom Moderator leider nicht gehindert wurden.