Staat, Ökonomie, Politik

Zur Rolle und Wirkung von „staatlich administrierten" und „marktgerechten" Konsumgüterpreisen

Anlässlich des 60. Jahrestags der Währungsreformen 1948

September 2008

„In Marktwirtschaften ergeben sich die Preise aus dem jeweiligen Verhältnis von Angebot und Nachfrage“, schreibt André Steiner in der Einführung zu seiner Wirtschaftsgeschichte der DDR, „die Preisentwicklung ist eine unverzichtbare Informationsquelle, an der die Unternehmen ihre wirtschaftlichen Entscheidungen ausrichten. Im Planungssystem der DDR“ sei man dagegen entschlossen gewesen „auf die Preise als unabhängige, aus dem Wirtschaftsprozess selbst gewonnene Informationsquelle zu verzichten. Sie blieben noch als weitgehend starre Recheneinheit für Wertgrößen erhalten, die im Widerspruch zur Dynamik des Wirtschaftsprozesses standen. Die für die wirtschaftlichen Entscheidungen erforderlichen Informationen konnte die Zentrale nur aus dem Planungsprozess selbst gewinnen.“[1] Die staatlich administrierte Preisregulierung aber habe nicht funktioniert und letztlich zum Untergang der DDR geführt.

Das alles ist nicht neu. Neu ist vielleicht, dass wirtschaftstheoretische Leitsätze einer bestimmten Couleur als Vorgaben für wirtschaftshistorische Analysen akzeptiert werden – Zeichen der Unterordnung auch der Wirtschaftsgeschichtsschreibung in der Bundesrepublik unter neoliberale Dogmen.

Lässt sich anhand der historische Entwicklung tatsächlich verifizieren, was Steiner als erwiesen voraussetzt,

- dass bestimmten Wirtschaftssystemen – wie Marktwirtschaft oder Planwirtschaft – konkrete Preistypen wie Marktpreise bzw. staatliche administrierte Preise – entsprechen,

- dass folglich in einem Wirtschaftssystem nur ein Preistyp anzutreffen ist bzw. andere bestenfalls eine marginale Rolle spielen können,

- dass wesentliche Veränderungen im Preistyp auch das jeweilige Wirtschaftssystem in Frage stellen können?

Anliegen dieses Beitrages ist es, anhand der Vor- und Frühgeschichte beider deutscher Staaten diese Hypothesen zu überprüfen. Die Untersuchung am deutschen Beispiel bietet sich insofern besonders an, als West- und Ostdeutschland im Sommer 1948, aus dem weitgehend gleichen Bewirtschaftungssystem der Nachkriegszeit kommend, in engem Zusammenhang mit den Währungsreformen vom Juni 1948 ordnungspolitisch unterschiedliche Entscheidungen trafen – im Westen für die Marktwirtschaft, und zugunsten der Planwirtschaft im Osten Deutschlands. Von Interesse ist vor allem die Frage, welche Konsequenzen die ordnungspolitischen Entscheidungen für die Entwicklung der Preistypen hatten, die sich zuvor in den Westzonen und im Osten Deutschlands kaum voneinander unterschieden. Aus Platzgründen muss sich die Untersuchung auf Konsumgüterpreise beschränken.

Ausgangspunkt: Staatlich administrierte und (Schwarz-) Marktpreise zwischen Kriegsende und Währungsreformen

In den ersten Nachkriegsjahren hatten es die Verbraucher mit zwei Arten von Konsumgüterpreisen zu tun: mit staatlich administrierten Preisen, für die eine limitierte Anzahl von Lebensmitteln (Rationen) auf Karten bzw. andere industrielle Konsumgüter auf Bezugscheinen erworben werden konnten und mit Marktpreisen, die sich entsprechend Angebot und Nachfrage auf dem Schwarzen Markt bildeten. Die Höhe der Schwarzmarktpreise schwankte saisonal und – angesichts unzureichender Verkehrsverbindungen – auch regional beträchtlich. Sie waren unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Kaufkraft selbst innerhalb Berlins differenziert, im Westen der Stadt höher als im Osten.[2]

Dagegen waren Lebensmittel auf Karten deutschlandweit zu einheitlichen Preisen zu erwerben. Die „staatlich administrierten“ Preisen waren das Resultat eines Verwaltungsaktes aus dem Jahre 1936. Der damals verhängte Preisstopp wurde 1944 noch einmal bekräftigt und 1945 von den Alliierten übernommen.[3]

Zur Zeit des ersten Preisstopps – Herbst 1936 – hatte es sich bei den Preisen für Verbrauchsgüter um Marktpreise gehandelt. In der Nachkriegszeit herrschten in Deutschland allerdings ganz andere wirtschaftliche Verhältnisse als 1936. Das Angebot an Konsumgütern war beträchtlich zurückgegangen. Die Ursachen dafür waren vielfältig: Kriegszerstörungen in der Landwirtschaft und der Leichtindustrie, Mangel an Düngemitteln, schlechte Verkehrsverbindungen, verringerte Arbeitsproduktivität. In der Sowjetischen Besatzungszone kamen noch Demontagen und Entnahmen aus der laufenden Produktion hinzu. Deutschlands Bevölkerungszahl war im Vergleich zur Vorkriegszeit dagegen trotz der Kriegsverluste an der Front und im Bombenhagel durch das Hereinströmen der Flüchtlinge vor allem aus den Gebieten jenseits von Oder/Neiße und den Sudeten noch gestiegen. Die eingefrorenen Marktpreise von 1936 entsprachen nicht mehr dem veränderten Verhältnis zwischen Angebot und Nachrage in Nachkriegsdeutschland. Hinzu kamen die Auswirkungen der durch Aufrüstung und Kriegsführung der Nationalsozialisten bewirkten Inflation.[4] Die Kartenpreise standen somit im Widerspruch zur (stark verringerten) „Dynamik des Wirtschaftsprozesses“.

Im Ergebnis war das Preisniveau zwischen rationierten und den auf dem „freien Markt“ erwerbbaren Gütern außerordentlich unterschiedlich. Die Schwarzmarktpreise beliefen sich auf ein Vielfaches der Kartenpreise.[5]

Währungs- und Wirtschaftsreform West: Übergang zu legalen Marktpreisen

Während die am 18. Juni 1948 verkündete Währungsreform für die Trizone eindeutig das Werk der Westalliierten war, trug das am 24. Juni in Kraft getretene Leitsätzegesetz die Handschrift des Direktors der bizonalen Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard. Erhard wollte weg von der staatlichen „Zwangswirtschaft“ und trat für die Selbstregulierung der Wirtschaft über den Markt ein. Die Preise würden, davon war Erhard überzeugt, – an Angebot und Nachfrage orientiert – rasch ihr „natürliches“ Niveau finden und letztlich „Wohlstand für alle“ bringen. Damit sich dieser Prozess ungestört vollziehen könne, blieb erst einmal bei eingefrorenen Löhnen der Arbeitsmarkt weitgehend ausgeschaltet.[6]

In der bundesdeutschen Geschichtsschreibung wird die Aufhebung der Preisbindung hervorgehoben, der Grad der Beibehaltung staatlich administrierter Preise jedoch kaum erwähnt. Der Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt war wohl der erste der geschrieben hat, dass nach der Währungsreform 90 % aller Preisvorschriften außer Kraft gesetzt wurden, ohne allerdings die Herkunft dieser Angabe zu nennen noch darauf zu verweisen, dass die verbliebenen Preisregulierungen den größeren Teil des Verbrauchs betrafen.[7]

Der 90%-Anteil ist seither vielfach – und offensichtlich ungeprüft – übernommen worden. „Schlagartig löst er (Erhard) das Bewirtschaftungssystem auf und führt von heute auf morgen die Marktwirtschaft ein“, heißt es in einem jüngst erschienenen „Streifzug durch 60 Jahre deutsche Wirtschaftsgeschichte“.[8]

Anders aber als behauptet, ging die Bundesrepublik in ihr Gründungsjahr nicht nur mit marktgerechten Preisen, sondern auch mit staatlich administrierten. Eine Zeitlang existierten sogar noch drei Preistypen, wenn man den Schwarzmarkt gesondert zählt. Der britische Deutschlandhistoriker Farquharson hat darauf hingewiesen, dass die Bauern nicht vor Ende 1948 davon überzeugt waren, dass es bei der DM bleiben würde und daher ihre Vorräte vollständig an legale Märkte zu liefern begannen.[9]

Zum Problem für die westdeutsche Entwicklung nach der Währungsreform wurden aber weder die nur allmählich verschwindenden schwarzen Märkte noch die staatlich administrierten Preise, sondern die Entwicklung der Marktpreise. Die Steigerungen waren drastisch. Bei einzelnen Konsumgütern, z. B. Damenstrümpfen, betrug die Teuerungsrate 200 Prozent. Besondere Aufmerksamkeit erregte die Entwicklung des Eierpreises. Für ein Ei, das unmittelbar vor der Währungsreform noch 30 Pfennig gekostet hatte und unmittelbar danach 35 Pfennig, musste die Hausfrau im August 56 Pfennig und im Oktober schon 85 Pfennig herausrücken. Der Eierpreis wurde – anstelle des weiterhin über das Kartensystem stabil gehaltenen Brotpreises – in den Westzonen im Herbst 1948 zum „politischen Preis“, an dem jedermann die Teuerung maß.[10]

Für den Preisanstieg machte die bizonale Zentralbank damals die im Vergleich zum Warenangebot übermäßig hohe Geldmenge verantwortlich. Wirtschaftswissenschaftler haben später den Preisanstieg nach der Währungs- und Wirtschaftsreform vor allem durch den Ausgleich der bestehenden Preisverzerrungen infolge des jahrelang andauernden Preisstopps und der verdeckten Inflation“ erklärt.[11] Für die Betroffenen – Arbeiter, kleine Angestellte sowie „Minderbemittelte“ aus anderen Gesellschaftsschichten –war das kein Trost.

Währungsreform Ost: Die uneingeschränkte Beibehaltung der Kartenpreise

Wenige Tage nach der Währungsreform in den Westzonen musste schon aus fiskalischen Gründen – der Osten drohte von im Westen ungültig gewordenen Reichsmarkbeständen überschwemmt zu werden – auch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) der Währungsschnitt vollzogen worden. Das geschah am 24. Juni. Eine knappe Woche später wurde öffentlich, was bereits seit längerem vorbereitet worden war – die Einführung der Planwirtschaft in der SBZ. Sie begann mit einem Halbjahrplan für den Zeitraum Juli bis Dezember 1948. Dem sollte für 1949 und 1950 ein Zweijahrplan folgen.[12] In der angestrebten sozialistischen Planwirtschaft hatten jedoch der Markt und damit durch Angebot und Nachfrage im Nachhinein bestimmte Preise keinen Platz. Die Preise würden also auch in Zukunft staatlich reguliert bleiben. Unter den gegebenen Umständen schien es den Planern als das Vernünftigste, das Kartensystem und damit die Markenpreise beizubehalten, zumal das Warenangebot im Osten auch nach der Währungsreform deutlich geringer blieb als im Westen.

Doch so ordnungspolitisch nahe liegend und wirtschaftlich gerechtfertigt die uneingeschränkte Beibehaltung der Kartenpreise auch schien – SED und die DWK (Deutsche Wirtschaftskommission), die „Wirtschaftsregierung“ der SBZ – hatten die Rechnung ohne die Arbeiter und Angestellten gemacht. Diese hatten im Jahre 1948 – genau wie ihre Klassengenossen im Westen – die Zeit der Hungerrationen hinter sich gebracht. Ihr Konsum begann sich vom Entbehrten auf das Begehrte zu richten. Beeindruckt hatte die ostdeutschen Arbeiter, wie sich im Westen nach der Währungsreform die bisher leeren Schaufenster über Nacht mit lange vermissten Waren gefüllt hatten. Mochten die Preise in den Westzonen auch noch so hoch sein, sie konnten für den ostdeutschen Arbeiter die Anziehungskraft der vollen Schaufenster kaum schmälern.[13]

Von Monat zu Monat mehr wurde den Verantwortlichen der DKW bzw. der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) bewusst, dass der Bevölkerung bei der Geldumtauschaktion ein ganz wesentlicher Wunsch nicht erfüllt worden war – der nach freiem Einkauf von Waren, deren Palette über das Minimalangebot der Lebensmittelkarten und Bezugsscheine hinausreichte und mit dem Angebot der Läden in „Friedenszeiten“ vergleichbar war.

Preistypenentwicklung West: Die staatlich administrierten Preise verschwinden nicht

In Westdeutschland entlud sich der Unmut der kleinen Leute über die ständig steigenden Marktpreise spontan gegen die unmittelbaren Repräsentanten der Teuerungswelle. In vielen Städten der Westzonen wurden die Händler auf den Straßenmärkten mit Tomaten beworfen. Am heftigsten reagierte sich die Bevölkerung an denjenigen Händlern ab, die Eier zum Verkauf anboten. In Bremen zerstörte die aufgebrachte Menge eine ganze Wagenladung dieses Inbegriffs der Teuerung. „Eiertumulte“ gab es auch in anderen Teilen der Bizone, von Lübeck bis München.[14]

Mit dem beginnenden Herbst richteten sich die Proteste nicht mehr nur gegen Händler, die ihre Waren zu „Wucherpreisen“ an die Kunden bringen wollten, sondern gegen die ganze, durch ihren demonstrativen Konsum (Einkaufstouren in wieder entstandenen Luxusgeschäften) plötzlich identifizierbare Schicht der „Währungsgewinnler“. Die Kritik nahm schließlich auch die Staatsmacht ins Visier. Erhard wurde zum unpopulärsten Mann in Westdeutschland. „Runter mit den Preisen und fort mit Erhard!“, tönte es auf Protestmärschen.[15]

Von den Protestierenden wurden zunächst Preiskontrollen, Preissenkungen und höherer Lohn gefordert. Nach einer (im Dezember 1948) vorgenommenen Meinungsumfrage befürworteten rund 70% der Befragten die Wiedereinführung von Preiskontrollen.[16] Schließlich wurde auf der Straße – kaum verklausuliert – die Rückkehr zur vollen Bewirtschaftung und damit zu staatlich administrierten niedrigen und stabilen Preisen verlangt.

Weder Ludwig Erhard noch der mit ihm ordnungspolitisch auf gleicher Wellenlänge befindliche Lucius D. Clay, der das Triumvirat der westalliierten Militärgouverneure dominierte, ließen sich zunächst beirren. Doch im Laufe der Zeit spitzte sich die Lage zu. Am 28. Oktober 1948 sah sich Clay gezwungen, in Stuttgart Panzer gegen die gegen die Teuerung protestierenden und gewaltsam gegen Luxusgeschäfte (in denen sich kein Lohnabhängiger etwas kaufen konnte) randalierenden Demonstranten einzusetzen.[17] Am 18. November 1948 legte ein von den Gewerkschaften ausgerufener Generalstreik, den Werner Abelshauser einen „Generalstreik gegen die Preistreiberei“ nennt,[18] die Bizone still. Da Clay und der CDU-Vorsitzende Konrad Adenauer erkannten, dass nunmehr in Westdeutschland mehr auf dem Spiel stand, als ordnungspolitische Reinheit der Preise, zwangen sie Erhard zum Verzicht auf seine Bemühungen, die Marktregulierung gegen die Reste „staatlicher Zwangsbewirtschaftung“ so rasch wie möglich durchzusetzen. Das bedeutete nicht nur, dass die Lebensmittelrationierung nicht vor dem 1. Mai 1950, fast zwei Jahre nach der Währungsreform, aufgehoben wurde. Wesentlicher war die Wiedereinführung staatlich administrierter Preise in einem über die Versorgung durch Lebensmittelkarten hinausgehenden Bereich des Konsumgütermarktes in Zusammenhang mit der Initiierung „eines ‚staatlichen Produktionsplans’ unter der Bezeichnung ‚Jedermann-Programm“.[19] Der Grundgedanke des Jedermann-Programms bestand darin, dass der Staat denjenigen Firmen Rohstoffe zuwies, die „ein nach Art und Qualität genau umschriebenes, als Jedermannware zu kennzeichnendes Erzeugnis am billigsten und schnellsten auf den Markt“ brachten – und zwar zu staatlich kontrollierten Endverbraucherpreisen. Ähnliche Anforderungen erfüllte ein anderes Verkaufsprogramm, das StEG-Programm.[20] Für StEG-Waren wurden von der Verwaltung für Wirtschaft Höchstpreise festgesetzt, die mindestens zehn Prozent unter dem im Einzelhandel für entsprechende Waren deutscher Produktion zu zahlenden Preis zu liegen hatten.[21] Zwar verfügen wir weder für das dritte Quartal 1948 noch für die folgenden Jahre über quantitative Angaben zum Mengenverhältnis der Konsumgüter, die zu Marktpreisen bzw. die zu staatlich administrierten Preisen an den Käufer gelangten. Jedoch waren die über Produktions- und Verkaufsprogramme „am Markt vorbei“ angebotenen Warenmengen beträchtlich. Im Dezember 1948 waren bei Schuhen 60% des Angebots, d. h. 1,5 Millionen Paar, über das „Jedermann-Programm“ produziert worden.[22] Das Programm lief Anfang der 50er Jahre, das StEG-Programm Ende 1953 aus. Geschätzt wird, dass Anfang der 50er Jahre „rund 30 Prozent der Güter des privaten Verbrauchs staatlich administriert“ wurden.[23]

Wenn sich Erhard auch angesichts der Forderungen auf der Straße und seitens der Gewerkschaften gezwungen sah, ganze Produktpaletten „aus dem Markt herauszuziehen“, so wollte er die ordnungspolitischen Fremdkörper doch wenigstens rhetorisch in sein Wirtschaftsprogramm eingebunden wissen. So versicherte Erhard, das Jedermann-Programm sei „kein Verrat an marktwirtschaftlichen Prinzipien, sondern … eine vorsorgliche Maßnahme“, die bis zu dem Zeitpunkt, „da der Markt endlich seine volle Funktionsfähigkeit wieder zurückerlangt [...], das soziale Gebot der Sicherung des Verbrauchs durch ein Minimum an Kaufkraft gewährleistet.“[24]

Preistypenentwicklung Ost: Bildung von HO-Preisen unter Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage

Im zweiten Halbjahr 1948 nahm der Druck auf die Funktionäre der DWK, Veränderungen am Preissystem vorzunehmen, zu – nicht nur wegen der vollen Schaufenster im Westen. Die Wirtschaftspläne erforderten eine Erhöhung der im Vergleich zur Vorkriegszeit deutlich gesunkenen Arbeitsproduktivität. Die Aktivistenbewegung sollte das ändern. Als Anreiz für höhere Leistungen wurde die Leistungsentlohnung wieder eingeführt. Der „progressive Leistungslohn“ sicherte den Aktivisten sogar steuerfreien Mehrverdienst im Falle deutlicher Überschreitung der Arbeitsnorm zu. Doch mehr Geld machte nur Sinn, wenn es in Waren angelegt werden konnte. Zusätzliche Konsumgüter waren allerdings weiterhin allein auf dem unverändert existierenden Schwarzen Markt zu erwerben. Die bisherige Preissituation erwies sich unter diesen Bedingungen als nicht mehr vertretbar. Die Lösung, auf die sich SED, DWK und SMAD Mitte November 1948 einigten, nannte sich „Freie Läden“. Diesen Namen erhielten sie, weil man dort ohne Berechtigungsschein (Lebensmittelkarte bzw. Punktkarte für Textilien) einkaufen konnte und weil die erworbenen Waren für den Käufer nicht mehr nach Art und Menge limitiert waren. Die einzige Begrenzung für den Umfang des Kaufs war das Geld, das dem Käufer zur Verfügung stand. Sinn machten die von der Staatlichen Handelsorganisation (HO) eingerichteten Läden natürlich nur, wenn dem durch die Währungsreform nicht völlig abgebauten Geldüberhang auch ein entsprechendes Angebot an Waren gegenüberstand. Vor allem unter diesem Gesichtspunkt waren die Preise für HO-Waren festzulegen. Angesichts des noch niedrigen Produktionsstandes in der SBZ mussten die Preise relativ hoch sein. Als Obergrenze für die HO galten die Schwarzmarktpreise, die möglichst unterboten, in keinem Fall aber überschritten werden sollten.

Einer der Gründe für die relativ späte Einrichtung Freier Läden war die Notwendigkeit, Gewissheit über das aktuelle Erntevolumen zu erhalten. 1948 war die landwirtschaftliche Produktion gegenüber dem Vorjahr um 9% gestiegen. Dieser Zuwachs allein reichte aber nicht aus. Die Sowjetische Besatzungsmacht musste einwilligen, ihre bisherigen Bezüge von landwirtschaftlichen Produkten aus der SBZ einzuschränken – 1946 hatte sie sich noch vollständig aus der Ostzone versorgt. Wichtig für die Bestückung der HO-Läden war auch ein zunehmendes Angebot von Erzeugnissen der Leichtindustrie – von einem Viertel bei Fahrrädern bis zum Vierfachen bei Fotoapparaten.[25]

Ungeachtet dessen lagen die HO-Preise im November 1948 so hoch, dass der in Westberlin erscheinende „Telegraf“ nicht ganz ohne Grund nach der Eröffnung der ersten Freien Läden meinte: „Es darf wohl noch gefragt werden, für wen wurden eigentlich diese Läden eingerichtet? Wer von den Arbeitern verdient Beträge, die es ihm gestatten, für 20 Mark Kuchen zu kaufen?“ Nur in einem Nebensatz verwies der „Telegraf“ darauf, „dass es leider in den Westzonen eine ähnliche Entwicklung gibt.“[26]

Für viele Arbeiter waren die HO-Preise tatsächlich unbezahlbar. „Die Arbeiter und Angestellten müssen aufpassen, dass die Schwarzmarkthändler und Spekulanten nicht die einzigen Kunden der HO bleiben“, konnte man nach der Eröffnung der Freien Läden hören. Eine vermutlich nicht repräsentative Umfrage, in Auftrag gegeben von der Abteilung Werbung, Presse, Rundfunk der SED vom 1. Dezember 1948 , die die Reaktionen der Bevölkerung auf die Öffnung der HO-Läden zum Gegenstand hatte, ergab, dass nicht viel mehr als ein Viertel (28%) der befragten Arbeiter dafür, aber mehr als die Hälfte (53 %) dagegen waren. Anders die Angestellten; hier sprachen sich 55% für und 34% gegen die Freien Läden aus. Bemerkenswerte 78% der Handwerker waren für HO-Läden, nur 22 % dagegen. Die Befragung der Rentner wies die größte Ablehnungsrate auf (80% gegen, 20% für Freie Läden). Insgesamt trat eine knappe Mehrheit der Befragten (51%) für HO-Läden ein, während 38% gegen sie votierten.[27]

Die zuständigen Wirtschaftsfunktionäre waren sich bewusst, wie heikel das Thema Preise war. Der für die HO verantwortliche DWK-Funktionär Erich Freund versprach deshalb, die Preise in den Freien Läden so bald wie möglich herabzusetzen, was jedoch davon abhängig war, ob sich die Leistungen der Volkswirtschaft wie im Plan vorgesehen erhöhten. „Je mehr wir produzieren, desto mehr können die Preise gesenkt werden“, machte auch der FDGB den Arbeitern klar.[28]

Im Jahre 1949 betrug der Umsatz der HO bereits mehr als 2,6 Mrd. Mark, etwa 26% des gesamten Einzelhandelsumsatzes der DDR. Als ausschlaggebend für die wachsende, wenn auch niemals ungeteilte Akzeptanz der HO durch die Arbeiter und Angestellten erwies sich die Realisierung der versprochenen Preissenkungen. Diese folgten in den Jahren 1948 und 1949 rasch aufeinander. Insgesamt handelte es sich um zwölf.[29] Ein Jahr nach Gründung der Freien Läden, im November 1949, lagen die HO-Preise etwa 60% unter dem Niveau des Eröffnungstages. Bis zum März 1950 waren die Preise in den Freien Läden gegenüber dem Erstangebot bei wichtigen Nahrungsgütern um 80 bis 90 % gesunken, bei Industriewaren um 35%.[30] Das Tempo der Preissenkungen war durch die Entwicklung des Angebots wesentlich mitbestimmt. Im Jahre 1949 war die Produktion in der Landwirtschaft noch einmal etwa so stark wie 1948 gestiegen – um 10%, im Jahre 1950 erhöhte sie sich um weitere 20%. Zwischen 1948 und 1950 hatte sich die Erzeugung von Fisch und Fischwaren sowie Fetten um etwa die Hälfte, die von Trinkmilch und Eiern um etwas mehr als die Hälfte, von Fleisch- und Fleischwaren um fast zwei Drittel erhöht. [31]

Der seit Jahren gewohnte Gang zum Schwarzmarkt wurde für die Bevölkerung seltener, je mehr die HO-Preise sanken. Das Jahr 1951 wurde das Jahr, in dem in der DDR der „klassische Schwarzmarkt der Nachkriegszeit“ der Konkurrenz durch die HO nicht mehr standhielt und in der Folgezeit rasch an Bedeutung verlor.[32]

Abschließende Bemerkungen

Die erste und sofort ins Auge fallende Erkenntnis aus der Analyse der Preistypen in Deutschland Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre ist, dass Preistypen – hier wurde zwischen staatlich administrierten und Marktpreisen unterschieden – nicht eindeutig einem bestimmten Wirtschaftssystem zuzuordnen sind. Die westdeutsche Marktwirtschaft wies neben den aus dem Wirken von Angebot und Nachfrage resultierenden „freien“ Preisen in erheblichem Umfang auch „gebundene“, d. h. staatlich administrierte Preise auf. Nur wenige Monate nachdem in Ostdeutschland der Weg zur Planwirtschaft eingeschlagen worden war, mussten dort auch Preise zugelassen werden, die alles andere waren als „weitgehend starre Recheneinheiten“ – die HO-Preise, gebildet und verändert unter Berücksichtigung des volkswirtschaftlich vorhandenen Angebots und angepasst an Konsumwünsche und Kaufkraft eines – wachsenden – Teils der Bevölkerung.

Eine zweite Erkenntnis ist, dass die „Reinheit“ der Preistypen“ nicht zwangsläufig zu größerer Effizienz des Wirtschaftssystems führen muss. Erhards anfängliche Preispolitik, die darin bestand, so rasch wie möglich den Anteil von „Marktpreisen“ zu erweitern und der Preisentwicklung freien Lauf zu lassen, schnitt ein Großteil der Arbeiter und Angestellten von der Versorgung mit einer ganzen Reihe von Warengruppen ab, was auf ihre Leistungsbereitschaft alles andere als stimulierend gewirkt haben dürfte. Erst das Jedermann-Programm bzw. das StEG-Programm erlaubten es der Mehrzahl der Arbeiter, ihren Bedarf an (gewerblichen) Konsumgütern zu befriedigen und wirkten damit auch als Leistungsstimulanz. Ähnlich war die Situation im 2. Halbjahr 1948 im Osten. Die in Zusammenhang mit dem Übergang zur Planwirtschaft durch Leistungslohn bzw. progressiven Leistungslohn gesetzten Anreize waren von geringer Wirkung, solange sich mit zusätzlichem Verdienst nicht (legal) frei wählbar „begehrte“ Waren erwerben ließen. Allerdings schränkten die hohen HO-Preise (deren Niveau vor allem der Angebotssituation geschuldet war), zunächst die Wirkung des Angebots Freier Läden auf die Leistungsbereitschaft der Arbeiter ein, weshalb die Senkung der HO-Preise parallel zum verbesserten Warenangebot für die HO-Preispolitik – etwa gegenüber fiskalischen Gesichtspunkten – Vorrang hatte.

Drittens ging die Zulassung „ordnungspolitisch fremder“ Preistypen nicht mit Erschütterungen oder gar der Gefährdung des jeweiligen Wirtschaftssystems einher. Gerade das aber war von den Verfechtern der „reinen Lehre“ befürchtet worden. Die Zulassung staatlich administrierter Preise führte nicht – wie Erhard und die Befürworter der freien Marktwirtschaft befürchteten und die Gewerkschaften wünschten – zur Rückkehr zur Bewirtschaftung. Auf der anderen Seite machten die Freien Läden die zentralstaatliche Konsumgüterplanung verglichen mit der Kartenzuteilung zu festen Preisen sicher komplizierter, gefährdeten aber keineswegs den Übergang zur Planwirtschaft.

Viertens erweist sich die wirtschaftstheoretisch unbedenkliche Gegenüberstellung von „Marktpreisen“ und „staatlich administrierten Preisen“ für die Wirtschaftspraxis der ersten Jahren nach den Währungsreformen als fragwürdig: In Westdeutschland waren Preise für Jedermannware und StEG-Güter zwar staatlich administriert, waren aber durchaus auf das staatliche organisierte Angebot und die Nachfrage nach billigen Konsumgütern auszurichten. Die gebundenen Preise für „Programmwaren“ standen im Kosten- und Preiswettbewerb mit den Marktpreisen. Schon deswegen sollten sie zwar relativ niedrig und stabil, konnten aber nicht starr sein.

Bei den HO-Preisen dagegen handelte es sich zweifellos um staatlich administrierte Preise. Gleichzeitig aber richteten sich die Güterpreise nach Angebot und Nachfrage – auf volkswirtschaftlicher Ebene.

Fünftens war die Preisgestaltung – einschließlich der Wahl und des Verhältnisses zwischen den Preistypen – nicht allein Sache der Experten. Vielmehr meldete auch „der kleine Mann“ seine Forderungen an – in Ost wie West – und konnte sie bis zu einem gewissen Grade auch durchsetzten.

Schlussfolgern lässt sich aus der Betrachtung der deutschen Wirtschaftsgeschichte nach den Währungsreformen, dass der Spielraum für die Preispolitik, einschließlich der Nutzung unterschiedlicher Preistypen in einem gegebenen ordnungspolitischen System, doch weitaus größer ist, als uns die Wirtschaftstheorie glauben lassen will und zudem Platz lässt für die Berücksichtigung von Forderungen der Werktätigen.

[1] A. Steiner, Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004, S. 13.

[2] J. Roesler, The Black Market in Postwar Berlin and the Methods Used to Counteract it, in: German History 44(1989)1, S. 95.

[3] I. Zündorf, Der Preis der Marktwirtschaft. Staatliche Preispolitik und Lebensstandard in Westdeutschland 1948 bis 1963, Stuttgart 2006, S. 35-36.

[4] W. Zank, Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland 1945-1949. Probleme des Wiederaufbaus in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, München 1987, S. 66-80.

[5] Roesler, The Black Market, S. 95.

[6] A. C. Mierzejewski, Ludwig Erhard. Der Wegbereiter der Sozialen Marktwirtschaft. Biografie, München 2004, S. 117.

[7] K. Borchardt, Grundriss der deutschen Wirtschaftsgeschichte, Göttingen 1978, S. 70-75.

[8] M. Brackmann, D-Mark – der Tag X, in: J. Lichter/Ch. Neßhöver, Wunder, Pleiten und Visionen. Ein Streifzug durch 60 Jahre deutsche Wirtschaftsgeschichte, Berlin 2007, S. 33

[9] J. E. Farquharson, The Western Allies und the Politics of Food. Agrarian Management in Postwar Germany, Leamington Spa 1985 , S. 220-221.

[10] W. Weimer, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von der Währungsreform bis zum Euro, Hamburg 1998, S. 60.

[11] Zündorf, S. 58.

[12] Planmäßige Wirtschaft sichert die Zukunft des deutschen Volkes. Referat von Walter Ulbricht vor dem Parteivorstand der SED am 29. Juni 1948, in: Der deutsche Zweijahrplan für 1949-50, Berlin 1948, S. 17-26.

[13] M. Landsman, „Preisgestaltung“, in: D. Hoffmann und M. Schwartz (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8. 1949-1961, Baden-Baden 2006, S. 325.

[14] Farquharson, S. 62.

[15] V. Hentschel, Ludwig Erhard. Ein Politikerleben, München 1996, S. 74-75.

[16] E. Nolle/E. P. Neumann (Hrsg.), Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1947-1955, Allensbach 1956, S. 154.

[17] J. Roesler, Die Wiederaufbaulüge der Bundesrepublik. Oder: Wie sich die Neoliberalen ihre „Argumente“ produzieren, Berlin 2008, S. 47-70.

[18] W. Abelshauser, Probleme des Wiederaufbaus der westdeutschen Wirtschaft 1945 bis 1953, in: Heinrich August Winkler (Hrsg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953, Göttingen 1979, S. 239l

[19] Zündorf , S. 68.

[20] StEG stand für „Staatliche Erfassungsgesellschaft für öffentliches Gut mbH“.

[21] W. Benz (Hrsg.), Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949/55, Berlin 1999, S. 370.

[22] Zündorf, Der Preis der Marktwirtschaft, S. 71-73.

[23] Ebenda, S. 9.

[24] L. Erhard, Marktwirtschaft moderner Prägung. Referat auf dem 2. Parteitag der CDU für die britische Zone vom 28.-29. August 1948 in Recklinghausen, in: Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone 1946-1949. Dokumente zur Gründungsgeschichte der CDU, bearbeitet von Helmuth Pütz, Bonn 1975, S. 671.

[25] H. Barthel, Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der DDR, Berlin 1979, S. 163, 168.

[26] Telegraf v. 22.11.1948.

[27] K. Pence, Building Socialist Worker-Consumers. The Paradocical Construction of the Handelsorganisation – HO, 1948, in: P. Hübner/K. Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter in der SBZ-DDR, Essen 1999, S. 526.

[28] Warum HO? Die Aufgaben der HO“. FDGB-Schulungs- und Referentenmaterial, Reihe: Betriebsarbeiter fragen – wir antworten, H. 60, Berlin 1950, S.6.

[29] J. Schevardo, Vom Wert des Notwendigen. Preispolitik und Lebensstandard in der DDR der fünfziger Jahre, Stuttgart 2006, S. 108.

[30] Landsmann, S. 329.

[31] Barthel, S. 163, 165.

[32] Roesler, The Black Market, S. 94, 107.