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Linksruck in Südafrika?

Die Wahl von Jacob Zuma zum ANC-Präsidenten

September 2008

Vom 16. bis zum 20. Dezember 2007 richteten sich alle Augen auf Polkwane/Südafrika, denn dort fand die 52. Nationalkonferenz des African National Congress (ANC) statt. Alle fünf Jahre treffen sich die Delegierten aus dem ganzen Land, um die Parteiführung und das National Exekutive Commitee (NEC) zu wählen. Der Machtkampf zwischen dem linken und rechten Flügel des ANC ist schon Jahre zuvor entbrannt. In den vorangegangenen Monaten kam es immer wieder zu Konflikten zwischen dem amtierenden ANC- und Staatspräsidenten Thabo Mbeki und seinem Rivalen Jacob Zuma. Ein Großteil der ANC-Basis entschied sich für Jacob Zuma, der gegen Thabo Mbeki angetreten ist. Die Stimmung innerhalb des ANC und im ganzen Land war aufgeheizt; die Machtspiele in vollem Gange. Während der Eröffnungsrede versuchte Mbeki anhand von Fakten darzustellen, was er in den letzten Jahren mit seiner Politik erreichen konnte. Das Interesse an seinen Worten war bei den Delegierten gering. Ordnung und Ruhe im Saal zu gewährleisten, war für den Sitzungsleiter Kgalema Motlanthe, der später zum ANC-Vize-Parteichef gewählt wurde, nicht einfach (vgl. FES 2007: 4). Viele Delegierte buhten Mbeki aus oder schrien sich gegenseitig an (vgl. Grill 2007) und zeigten damit, dass er für sie keine Alternative zu Zuma ist. Der Machtkampf der letzten Jahre wurde während der Konferenz fortgeführt, u.a. wurden die sechs wichtigsten gewählten Positionen per Hand ausgezählt, was die Wahlprozedur und die Bekanntgabe der Ergebnisse deutlich verlängerte (vgl. FES 2007b: 4; Wittek 2007a). Das Ergebnis war sehr deutlich: Die ANC Mitglieder und Delegierten wählten Jacob Zuma mit 2.329 Stimmen gegenüber 1.505 Stimmen für Thabo Mbeki (vgl. ANC 2007a). Auch die anderen Posten im Parteivorstand konnten mit Personen aus dem Zuma Lager, u.a. Motlanthe, besetzt werden. Fast alle Zuma nahestehenden Kandidaten erzielten Ergebnisse von im Schnitt 60 Prozent der abgegebenen Stimmen. Thabo Mbeki und seine Anhänger mussten eine herbe Niederlage erfahren[1]. Nur noch bis zu den Nationalwahlen 2009 bleibt Mbeki Präsident Südafrikas, wenn die Wahlen nicht vorgezogen werden oder er sein Amt niederlegt (vgl. FES 2007b: 2, 6).

Thabo Mbeki versus Jacob Zuma

Thabo Mbeki und Jacob Zuma sind zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten: „The Thinker“ und „The Poser“ (vgl. Zapiro 2008). Beide sind in jungen Jahren Mitglieder des ANC geworden und engagierten sich auf verschiedene Weise im Befreiungskampf: Jacob Zuma, der „Darsteller“, hat nur eine geringe Schulbildung vorzuweisen. Doch schon seine Eltern waren mit der Gewerkschaftsbewegung verbunden. Zuma unterstützte den bewaffneten Kampf des ANC und wurde beim Versuch, die Grenze Südafrikas zu überschreiten, 1963 verhaftet. Zehn Jahre lang saß er auf Robben Island im Gefängnis. Während der Apartheid war Zuma in Südafrika oder in anderen afrikanischen Staaten für den ANC aktiv (vgl. ANC 2007b). Im Gegensatz dazu hat Thabo Mbeki, der „Denker“ und Sohn des Kommunisten und ANC-Aktivisten Govan Mbeki, seine Karriere im Exil aufgebaut. In Südafrika und im Ausland hat er eine gute Schul- und Universitätsausbildung erworben. In der Endphase der Apartheid arbeitete Mbeki unter dem damaligen ANC-Vorsitzenden Oliver Tambo und spielte eine wichtige Rolle während der Verhandlungen zwischen dem ANC und der Apartheidregierung über den Aufbau der Demokratie. (vgl. ANC o.J.; Calland 2006). Nelson Mandela ernannte ihn schließlich zu seinem Vize-Präsidenten.

Auf der 50. ANC Nationalkonferenz 1997 wählten die Delegierten Thabo Mbeki zum Präsidenten und Jacob Zuma zum Vize-Präsidenten des ANC. Nach den zweiten demokratischen Wahlen 1999 wurde Mbeki vom Parlament zum Staatspräsidenten gewählt und ernannte Jacob Zuma zum exekutiven Vizepräsidenten (vgl. ANC 2007b, ANC o.J.) – keine „powerful position“ (Calland 2006: 53). Mbeki, der als „arrogant“ gilt, ist bekannt dafür, dass er seine politischen Entscheidungen stets im kleinen Kreis seiner Vertrauten trifft und auch seine Reden selbst verfasst. Man sagt ihm nach, er traue niemandem (vgl. Calland 2006: 21; FES 2007b) und habe den Bezug zu Parteibasis und Bevölkerung verloren (vgl. Grill 2007). Sowohl sein Führungsstil als auch die Art und Weise, in der er mit aller Macht versucht hat, seine Funktion als Parteivorsitzender zu halten, wurden häufig kritisiert. In der Politik ist Mbeki vor allem wegen seiner HIV/AIDS Politik (vgl. Lodge 2002: 255-264) und der ‚quiet diplomacy’ Politik gegenüber Robert Mugabe[2] in Simbabwe in die Kritik geraten. Beliebt ist er hingegen aufgrund seiner liberalen Wirtschaftspolitik in den Manageretagen. Diese Politik hat das Verhältnis zur Allianz mit dem Congress of South African Trade Union (COSATU) und der South African Communist Party (SACP) ins Wanken gebracht (vgl. Calland 2006: 140).

Jacob Zuma gilt hingegen als ein „Mann des Volkes“: Viele Menschen hoffen, unter ihm würde es zu einer allgemeinen Verbesserung der Lebenssituation kommen, von der nicht nur eine kleine Elite profitiert. Dennoch ist auch Zuma kein unumstrittener Kandidat. Während seiner Zeit als Vize-Präsident brachte er sich kaum in das alltägliche Politikgeschehen ein und ordnete sich Mbekis Politik unter. Nach Zumas Entlassung im Jahr 2005 wegen Korruptionsvorwürfen band Mbeki seine Nachfolgerin Phumzile Mlambo-Ngcuka wesentlich stärker in die nationale Politik ein. Sie erarbeitete daraufhin das Wirtschaftsprogramm ASGISA (vgl. Calland 2006: 53).

Seine Funktionen innerhalb des ANC übte Zuma bis zu seiner Wahl zum Präsidenten des ANC jedoch weiter aus. Insbesondere hier ereigneten sich jedoch Skandale: So wurde Zumas Finanzberater Shabir Shaik wegen Korruption und Betrug zu 15 Jahren Haft verurteilt (vgl. FES 2007b). Auch Zuma selbst warf man Korruption vor. Das Verfahren gegen ihn wurde zwar zunächst wegen Verfahrensfehlern eingestellt, zu Beginn dieses Jahres präsentierte die Staatsanwaltschaft aber neue Beweise, die ausreichten, das Verfahren erneut aufzurollen. Ursprünglich sollte noch in diesem Jahr der Prozess gegen Zuma beginnen. Inzwischen erwartet man jedoch keinen Verhandlungstermin vor 2009 oder 2010 (vgl. Gordin 2008): Diese Gerichtsverhandlung hat große Auswirkungen auf die Demokratie in Südafrika: Sollte Zuma zum Zeitpunkt der Verhandlung schon Staatspräsident sein, kann er seine Macht nutzen, um sein Verfahren – nach dem Vorbild Berlusconis in Italien – zu beenden, was im Interesse der Entwicklung Südafrikas nicht wünschenswert wäre.

Was Zuma umstritten macht sind jedoch nicht allein die Korruptionsvorwürfe. Kürzlich beschuldigte ihn eine HIV-positive Frau aus seinem Bekanntenkreis der Vergewaltigung. Einige Anhänger gingen davon aus, dass es sich bei den Anschuldigungen um eine organisierte politische Kampagne gegen Jacob Zuma handele, die ihn als Mitglied des linken ANC Flügels aus dem Kandidatenrennen drängen sollte (vgl. Calland 2006: 153). Es kam zum Prozess, in dessen Verlauf sich die Anklage nicht erhärten ließ. Während des Gerichtsverfahrens gab Zuma – der zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des South African National AIDS Council war – jedoch zu, mit der Frau in gegenseitigem Einverständnis ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Für Gesprächsstoff sorgte vor allem seine Aussage, nach dem Sex habe er geduscht, um sich vor dem HI-Virus zu schützen (vgl. Perras 2007).

Trotz dieser Skandale bekam Zuma weiterhin Unterstützung von den Gewerkschaften, die damit Gefahr liefen, ihren eigenen Anti-Korruptionsstandpunkt zu unterlaufen. Auch die Jugendliga und die Frauenliga des ANC unterstützten Zuma auf der Nationalkonferenz im Dezember 2007 bei seiner Kandidatur[3].

Die Sozio-ökonomischen Herausforderungen

Fragt man nach der Bedeutung des Führungswechsels innerhalb des ANC und eines möglichen Wahlsiegs von Jacob Zuma bei den Präsidentschaftswahlen für Südafrika, so ist es notwendig, an die sozio-ökonomischen Herausforderungen zu erinnern, die in Südafrika eng verbunden sind mit der jüngeren Geschichte des Landes. Bis Anfang 1990 betrieb die Nationale Partei (NP) eine Apartheid-Politik, die auf Staatskapitalismus mit Ausbeutung und Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung basierte. Die weiße Apartheid-Regierung orientierte sich im Kalten Krieg an den USA und nutzte seit Anfang der 50er Jahre jede Gelegenheit, die Gegner ihres Systems als kommunistisch zu diffamieren.[4]

Die Antwort der unterdrückten größtenteils schwarzen Bevölkerung war die 1955 verabschiedete „Freedom Charter“ (ANC 1955). Dieses Dokument bildete jahrzehntelang die Grundlage für das politische Handeln des ANC. Bis Mitte der 1980er unterstützte die Sowjetunion den Befreiungskampf mit Waffen, Geld und Trainingsmöglichkeiten (vgl. Kaußen 2003: 109; Terreblanche 2002: 103). Nationalisierung und Umverteilung standen gleichermaßen wie Freiheit und Selbstbestimmung für alle Menschen des Landes und gemeinsames miteinander Leben von ‚Blacks and Whites’ in der Charter. Der ANC forderte vor allem Grundrechte – u.a. ein Recht auf Wohnung und Gesundheitsversorgung – für die gesamte Bevölkerung (vgl. ANC 1955). Außerdem kritisierte die Charter ,,Nationale Unterdrückung und kapitalistische Ausbeutung“ (Suttner/Cronin 1986: 128f in Ansprenger 1994: 40). Beides sei untrennbar miteinander verbunden.

Nach einer langen Tradition als Befreiungsbewegung wurde der ANC nach dem Ende der Apartheid von der ersten Wahl im Jahr 1994 an zur stärksten Partei Südafrikas.[5] Während der Verhandlungsphase von 1990-1994 besprachen ANC-Vertreter, u.a. Nelson Mandela, die politische Zukunft in der „Convention for a Democratic South Africa“ (CODESA) mit der ehemaligen Regierung und allen weiteren politischen Interessengruppen, wie der Inkatha Freedom Party (IFP) (vgl. Kaußen 2003: 135). Im Rahmen von CODESA wurde vor allem über die nötigen politischen Veränderungen sowie über die Verfassung, eine Übergangsregierung und Wahlen diskutiert. Ökonomische Aspekte blieben in dieser Runde jedoch unerörtert und wurden de facto hinter verschlossenen Türen mit den Wirtschaftsakteuren diskutiert (Terreblanche 2002: 100-1). Internationale Organisationen wie IWF und Weltbank (vgl. Peet 2002: 71-72) und (ausländische) Unternehmen setzten viel daran, damit die neue Regierung sich dem kapitalistischen System füge. Da gleichzeitig der sozialistische Block zusammenbrach, schien es auch für die ANC-Elite keinen anderen Weg als das westliche kapitalistische System zu geben.[6] Die ANC-Führung konnte dem internationalen Druck nicht widerstehen, ließ sich von neoliberalen Versprechungen blenden und glaubte, dass die Anpassung an ein kapitalistisches System Wohlstand für die gesamte Bevölkerung bringen und die soziale Situation der Bevölkerung verbessern würde (vgl. Terreblanche 2002: 95, 107; Marais 1998: 150). Noch vor den ersten Wahlen in Südafrika tauschte der ANC den politischen Systemwechsel und die Garantie politischer Regierungskooperation gegen die Sicherung der Eigentumsrechte ein. Der Pakt war gemacht: politische Partizipation gegen Akzeptanz des Kapitalismus (vgl. Peet 2002; Terreblanche 2002; Kaußen 2003; Marais 1998).

Der erste Wahlslogan des ANC ‚A better life for all’ wurde im Reconstruction and Development Programm (RDP) als Maßnahmenkatalog und Zielsetzung für die nächsten fünf Jahre festgelegt. Ziel war es, die Grundbedürfnisse wie Zugang zu Wasser, Strom, Bildung und Wohnraum für die gesamte Bevölkerung zu sichern (vgl. RSA 1994). Allerdings blieb von diesem sozialdemokratischen Programm, das im Wesentlichen nach keynesianischen Grundsätzen konzipiert war, im endgültigen Regierungspapier Ende 1994 nicht mehr viel übrig. Im Gegensatz zu den Entwürfen[7] und Inhalten des Wahlprogramms verfasste die Regierung zwei Kapitel über die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen, Reintegration in die Region und in den Welthandel sind nur einige Indikatoren, welche zu dem versprochenen wirtschaftlichen Erfolg führen sollten, um die soziale Forderungen innerhalb des RDP adäquat umsetzen zu können (vgl. RSA 1994: 20). Das RDP konnte die sozialen Ziele nur bedingt erreichen und wurde 1996 durch ein neues Wirtschaftsprogramm abgelöst. Trevor Manuel, der Finanzminister[8], stellte das Growth, Empowerment and Redistribution (GEAR) Programm im Parlament vor und deklarierte es in den Grundlinien als nicht verhandelbar: Das war ein harter Schlag für die Allianzpartner COSATU und SACP, denn diese hatten bis zu diesem Zeitpunkt nichts von den Plänen des ANC gewusst und vertraten eine andere Auffassung (Marais 2001: 161-3).

GEAR ist ein orthodoxes neoliberales Wirtschaftsprogramm und sieht u.a. Privatisierungen, Liberalisierung der Märkte, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes[9] und Schaffung von Arbeitsplätzen durch Wachstum vor (vgl. Padayachee/Voladia 2001: 72). Statt der geplanten Schaffung von 1,35 Millionen gingen zwischen 1994-2000[10] eine halbe Million Arbeitsplätze verloren (vgl. Marais 2001: 175). Diese Wirtschaftspolitik wurde von Thabo Mbeki weiter verfolgt und unterstützt. Im Frühjahr 2006 stellte Mbeki die Accelerated and Shared Growth Initiative for South Africa (ASGISA) vor: Im Prinzip handelt es sich bei diesem Programm um eine Weiterführung von GEAR (vgl. Terreblanche 2007) mit Rücksichtnahme auf neue Entwicklungen: Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen, Reduktion der Armut und Verbindung zwischen formeller und informeller Ökonomie stehen im Vordergrund (vgl. Hütz-Adams 2007: 23). Der Staat soll wieder in wirtschaftliche Prozesse eingreifen können; allerdings wurde die Umsetzung nicht genauer erläutert und der Staat scheint diese Möglichkeit bisher auch nicht zu nutzen. Die Wirtschaft hat mit Inflation, Stromausfällen und einem eklatanten Mangel an Fachpersonal zu kämpfen und böte so genug Bedarf an staatlichen Interventionen.

Die sozialen Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung können zurzeit nicht befriedigt werden: Arbeitslosigkeit von bis zu 40 Prozent (Legassick 2007: 490), keine Grundsicherung für die arbeitende Bevölkerung[11], 45 Prozent der Bevölkerung verfügt über weniger als 2 US$ am Tag (UNDP 2006)[12], tägliche cut-offs von Wasser und Strom[13], HIV/AIDS breitet sich weiter aus und die Vergabe der lebensrettenden ARV Medikamente verläuft schleppend (vgl. Claar 2007: 43-47). Die soziale Ungleichheit in Südafrika ist gemessen am Gini-Verteilungskoeffizienten neben Brasilien eine der höchsten auf der Welt. Nur eine Minderheit profitiert von der Politik der Regierung. Im internationalen Vergleich rutscht Südafrika Jahr für Jahr beim Human Development Index weiter nach unten (vgl. Butler 2004: 67), obwohl sich die ökonomischen Indikatoren für das Transformationsland verbessert haben. Allerdings haben die meisten jungen Erwachsenen zwischen 15 und 34 Jahren keine feste Anstellung und auch in absehbarer Zeit keine in Aussicht. Die Arbeitslosenquote liegt in dieser Altersgruppe bei ca. 70 Prozent, wenn man von der inoffiziellen Arbeitslosenstatistik[14] ausgeht (vgl. Bhorat 2006). Die Kriminalitätsrate ist eine der Höchsten auf der Welt: Mord, Vergewaltigung und Diebstahl gehören zum Alltag (vgl. M&G 2008b). Fremdenfeindlichkeit und Gewaltausbrüche wie im Mai 2008 gegenüber MigrantInnen aus anderen afrikanischen Ländern wie Simbabwe oder Nigeria sind nicht neu: einige SüdafrikanerInnen sehen sie als Konkurrenten und Lohndrücker im hart umkämpfen südafrikanischen Arbeitsmarkt (vgl. Skriver 2008). Die Regierung unter Thabo Mbeki hat das Problem der (il)legalen Einwanderung – insbesondere aus dem Nachbarland Simbabwe – ignoriert. Die Übergriffe im Mai kamen nicht so überraschend wie es den Anschein hatte. Schon im März 2008 griffen Bewohner einen mosambikanischen Ladeninhaber an, der einen Jungen beim Diebstahl erwischte und diesen deswegen schlug (vgl. IDASA 2008: 2). Die Attacken, die in der internationalen Presse für Furore[15] sorgten, fanden Mitte Mai in dem Township Alexandria in Gauteng statt, eine der ärmsten Regionen (vgl. Grill 2008). Von dort breiteten sich diese zuerst in Gauteng von Township zu Township aus und mit ein paar Tagen Verzug weiter nach Durban und Cape Town. Das Ausmaß der Gewalt ist kaum vorstellbar. Den Betroffenen wurde nicht nur die wirtschaftliche Existenz mit dem Abbrennen ihrer Läden genommen, sondern sie und ihre Familie wurden bedroht, verletzt und getötet. Die Fernsehbilder erinnerten an die letzten Jahre der Apartheid: brennende Häuser, fliehende Menschen und stark bewaffnete Polizei (vgl. Perras 2008b). Die Politik reagierte sehr langsam und Mbeki hielt lange an der Polizei fest, obwohl die Opposition das Militär, welches später zum Einsatz kam (vgl. SZ 2008), in die Region schicken wollte (vgl. Perras 2008). Im Gegensatz dazu zeigten viele SüdafrikanerInnen auf Demonstrationen ihre Abneigung gegen die fremdenfeindlichen Übergriffe; u.a. gingen in Johannesburg Tausende auf die Straße.

Die Lage hat sich mittlerweile zumindest oberflächlich beruhigt und obwohl viele MigrantInnen in ihr Township zurückgekehrt sind, haben viele das Land verlassen oder leben immer noch in provisorischen Flüchtlingslagern (vgl. FES 2008: 1). Bis Ende Juli sollten die Flüchtlinge wieder zurück in ihre Heimat gebracht oder in die Township-Gemeinden reintegriert werden. Die (Nicht-) Akzeptanz von MigrantInnen unter (einigen) SüdafrikanerInnen wird allerdings bei Umfragen sehr deutlich: Viele lehnen Reintegration ab (vgl. FES 2008: 5).

Ursachenforschung zu den Übergriffen wurde sowohl auf der politischen als auch auf akademischer Ebene betrieben. Das Institute for Democracy in South Africa (IDASA) hat Ende Mai einen Hintergrundreport veröffentlicht, in dem die Untersuchungsergebnisse aus Interviews von unterschiedlichen Personen aus den betroffenen Regionen dargestellt werden. Dieser Bericht zeigt zum einen, dass die Gewalt sowohl spontan als auch nach community meetings ausgebrochen war(vgl. IDASA 2008: 3-7).

Die Ursachen für die Gewalttaten/Xenophobie in den sozioökonomischen Bedingungen und der hohen Armut zu suchen ist ein weiterer Ansatz, der viel wahrscheinlicher ist. Die Sozial- und Wirtschaftspolitik unter Thabo Mbeki konnte kaum eine Verbesserung der Lebensbedingungen bewirken: das Black Economic Empowerment (BEE) fördert nur eine kleine schwarze Elite und schafft keine neuen Arbeitsplätze, besonders für kaum/gering ausgebildete/qualifizierte Personen (vgl. Claar 2007: 25). Die Zugangsmöglichkeiten zu Sozialwohnungen sind sehr begrenzt. In Alexandria wurde bekannt, dass einige MigrantInnen Schmiergelder zahlten, um in diesen Wohnungen leben zu dürfen (vgl. FES 2008: 3; IDASA 2008: 6), während viele der Menschen, die schon Jahre auf der Warteliste standen, noch immer in Wellblechhütten hausen müssen. U.a. diese Frustration scheint sich in Form von Gewalt entladen zu haben, was jedoch auch dafür spricht, dass einer neuen Regierung schwere Zeiten bevor stehen dürften (vgl. FES 2008: 1).

Business as usual oder „Chavez in Afrika”?

Sollte Jacob Zuma Staatspräsident werden, übernimmt er keine leichte Aufgabe. Die soziale Lage der Nation muss sich ändern, wenn weitere Ausschreitungen vermieden werden sollen. Zuma ist Kandidat des linken Flügels und hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebensbedingungen zu verbessern. Die Zusammenarbeit mit den Allianzpartnern COSATU und SACP soll wieder intensiviert werden. Die Wahl Zumas zum ANC-Vorsitzenden hat die Wirtschaft verunsichert und die internationale Presse berichtete von einem wirtschaftlichen Linksruck: ein afrikanischer Chavez (vgl. Krüger/Georgy 2007). Wirtschaftsakteure fürchten, dass Zuma Südafrika mit einer sozialistischen Umverteilungspolitik in eine Krise stürzen könnte (vgl. Grill 2007). Kurzfristige Auswirkungen waren an Turbulenzen der Johannesburger Börse sowie beim Wechselkurs des südafrikanischen Rands, der deutlich an Wert verlor, abzulesen.

Die Panik, die verbreitet wurde, versuchte Jacob Zuma mit einer Tour im April 2008 nach Berlin, London und Paris zu beschwichtigen. Bei einem persönlichen Gespräch, das die Verfasserin im April in Berlin mit Zuma führen konnte, machte er abermals deutlich, dass sich seine Wirtschaftpolitik nicht von seinem Vorgänger unterscheiden wird, was auch später in der Landespresse zu lesen war. Viele sehen das stabile Wirtschaftswachstum mit der „Nothing will change“ Politik in Gefahr. In einem offenen Brief an Jacob Zuma schrieb Cees Bruggemann, Chief Economist der First National Bank, Anfang Juli 2008 in der Business Day, dass sich die Wirtschaft auf mögliche wirtschaftspolitische Änderungen vorbereiten müsse und Zuma daherseine wirtschaftspolitischen Pläne bekanntgeben solle. Bruggemann zufolge sollte die Armut durch allgemeine Einkommenssteigerungen verringert werden (vgl. Bruggemans 2008). Der Weg dorthin ginge weiterhin über mehr Wachstum, was zu sozialen Verbesserungen führen würde. Dies war schon eine der Kernaussagen des GEAR im Jahr 1996. Das hierzu notwendige Ziel von 6 Prozent Wachstum verliere Zuma aus den Augen, so der Vorwurf. Positiv erwähnt er Zumas Vorgänger Mbeki, der für ihn die richtigen wirtschaftspolitischen Ansätze verfolge und der das Independent Forum of International Economists eingeladen hat, um Südafrika zu studieren (vgl. Bruggemans 2008). Im Gegensatz dazu gibt es aber auch ganz andere Stimmen, einige befürchten sogar einen Rechtsruck. Ökonom Mike Schussler glaubt, dass die Unternehmenssteuern von einem Zuma Kabinett weiter gesenkt werden könnten, um international wettbewerbsfähiger zu werden (vgl. Pressly 2008).

Die Angst vor einem wirtschaftlichen Linksruck dominiert jedoch die Spekulationen über die wirtschaftliche Zukunft unter Zuma. Eine Veränderung des Politikstils wird es mit Zuma geben, inwieweit sich die politischen Inhalte verschieben, muss abgewartet werden. Zuma versucht in verschiedenen Politikbereichen, die Stimme der Armen zu sein und bringt wichtige Themen auf den Tisch. Er befürwortet den Basic Income Grant, den die Regierung bisher strikt abgelehnt hat (vgl. Wittek 2007b). Er spricht für die Armen und Arbeiter, indem er die Medien kritisiert und ihnen vorhält, dass diese immer nur bei scheinbar negativen Kontexten (wie z.B. bei Streiks) berichteten, bei der Schaffung von wirtschaftlichen Erfolgen aber nicht helfen würden (vgl. IOL 2008). Mit seinem Populismus und Charisma kommt er bei den Menschen an. Er vermittelt das Gefühl, dass er ihre Probleme ernst nimmt. Allerdings hat auch schon Mbeki eine „Talk Left, Walk Right“ (Bond 2004) Politik praktiziert. Die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung von staatlicher Umverteilungspolitik und linksgerichteter Wirtschaftspolitik kann als gering eingeschätzt werden, vor allem, wenn man die Entwicklung der ersten demokratischen Dekade in Südafrika betrachtet. „Business as usual“ ist auch unter einem Präsidenten Zuma in Südafrika wahrscheinlicher als ein neuer Weg à la Hugo Chavez.

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Wittek, Dagmar (2007a): Eine Wahl für die Seele des Landes. Kommentar. In: Tagesschau.de am 19.12.2007 [Online] http://www.tagesschau.de/ausland/kommentarzuma2.html (Zugriff am 09.07.2008).

Wittek, Dagmar (2007b): Ist Jacob Zuma ein Sozialist? In: Tagesschau.de am 19.12.2007 [Online] http://www.tagesschau.de/ausland/portraetzuma2.html (Zugriff am 09.07.2008).

Zapiro (2008): The Thinker. The Poser. In: Mail and Guardian. 17. April 2008. [Online] http://www.mg.co.za/zapiro/fullcartoon/78 (Zugriff am 30.06.2008).

[1] In Konkurrenz zu Zuma versuchte Thabo Mbeki so lange wie möglich an der Macht zu bleiben und konnte erreichen, dass er bei der Policy Konferenz im Juni 2007 die Unterstützung so vieler Delegierter erhielt, dass er im Dezember noch einmal antreten konnte (vgl. FES 2007a).

[2] Robert Mugabe ist seit 1980 Staatschef in Simbabwe. In den letzten Jahren ist der 85jährige immer stärker in die Kritik geraten, da er mit allen Mitteln versucht, an der Macht zu bleiben: Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Hunger, Wahlfälschung und Landenteignungen. Südafrika und insbesondere Mbeki wird für seine Politik gegenüber Simbabwe kritisiert. Die westlichen Staaten sehen Mbeki in der Pflicht, Mugabe zum Rücktritt zu bewegen. Mugabe hat sich gerade Ende Juni zum Wahlsieger der Stichwahl erklärt, obwohl sein Gegenkandidat Morgan Tsvangirai aufgrund der Gewalt gegenüber seinen Anhängern nicht an der Wahl teilgenommen hat.

[3] Julius Malema, der Vorsitzende der ANC Jugendliga, verdeutlichte noch im Juni 2008 in drastischer Weise, dass die Liga Jacob Zuma unterstützt. Die Liga sei „prepared to die for Zuma. We are prepared to take up arms and kill for Zuma.” (zitiert nach M&G 2008a).

[4] Die Apartheid-Regierung hat 1950 den Suppression of Communism Act erlassen, der so weit auslegbar war, dass jeder Oppositionelle wegen kommunistischer Umtriebe verhaftet werden konnte.

[5] 1994 bekam der ANC 62.6 Prozent, die NP 20.4 Prozent und die IFP 10.5 Prozent. Die anderen Parteien bekamen nicht mehr als drei Prozent (vgl. Schmidt 1999: 7).

[6] Terreblanche, Sampie (2002): A history of inequality in South Africa 1652-2002, Scotsville, University of Natal Press, gibt einen guten Einblick in die wirtschaftlichen Verhandlungen.

[7] Die ersten Entwürfe wurden vom Congress of South African Trade Unions (COSATU) and der National Union of Mineworkers (NUM) entwickelt.

[8] Trevor Manuel war von 1996 bis 2008 Finanzminister.

[9] Der Internationalen Labour Organisation (ILO) zufolge war mehr Flexibilität nicht nötig: „South Africa already has a flexible labour market where even large-scale firms resort to ‚informal’ forms of employment, through subcontracting, out sourcing [and] use of casual labour” (zitiert in Marais 2001: 183).

[10] Je nachdem welche Statistiken die Autoren verwenden variieren die konkreten Zahlenangaben. Die Tendenz ist jedoch eindeutig: alle zeigen einen Verlust von Arbeitsplätzen.

[11] Die Regierung hat verschiedene Sozialleistungen für Kinder, Ältere, Kriegsveteranen und Behinderte implementiert. Aufgrund dessen wird von einem afrikanischen Wohlfahrtstaat gesprochen. Die arbeitende Bevölkerung zwischen 14 und 60 Jahren hat jedoch keinen Zugang zu Sozialleistungen, wenn sie nicht in eine der genannten Kategorie fallen. Eine Arbeitslosenversicherung kann sich nur ca. 10 Prozent der arbeitenden Bevölkerung leisten. Die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und die Opposition plädieren daher für einen Basic Income Grant, der aber von der Regierung bisher abgelehnt wird (vgl. Claar 2007: 47-51).

[12] Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Betroffenen weniger als 352 Rand pro Monat zur Verfügung haben. Nach COSATU liegt die Armutsgrenze hingegen bei unter 1.500 Rand im Monat (vgl. Legassick 2007: 508).

[13] Die Stromunternehmen sowie die kommunalen Verwaltungen nehmen die nicht zahlende Bevölkerung von den jeweiligen Netzen. Die Armen können sich Strom und Wasser kaum leisten. Die Regierung stellt 50kwh Strom und sechs Kubikliter Wasser pro Haushalt und Monat kostenlos zur Verfügung. Allerdings reichen diese Mengen nicht für den Unterhalt eines Mehrpersonenhaushalts (vgl. Fiil-Fynn 2001: 1; McKinley 2006b: 11).

[14] Die inoffizielle Arbeitslosenquote hat eine breitere Definitionsbasis und rechnet anders als die offizielle Statistik Bettler nicht als Beschäftigte. Die offizielle Arbeitslosenquote lag im letzen Jahr unter 25 Prozent.

[15] Südafrika ist das Austragungsland für die Fußballweltmeisterschaft 2010 und steht daher im Blickpunkt der internationalen Presse.