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Gas, Preis, Profit

Eine kleine Ökonomie des CO2-Handels

Dezember 2008

Dieser Beitrag versucht zu zeigen was gehandelt wird, warum gehandelt wird, wer die Akteure sind, welche Möglichkeiten zur Veränderung dem Prozess innewohnen und warum es unwahrscheinlich ist, dass diese progressiven Potentiale genutzt werden.

Grundlagen

„Ein Ding kann Gebrauchswert sein, ohne Wert zu sein. Es ist dies der Fall, wenn sein Nutzen für den Menschen nicht durch Arbeit vermittelt ist. So Luft, jungfräulicher Boden, natürliche Wiesen, wildwachsendes Holz, usw. Um Ware zu produzieren muss er nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert für andere, gesellschaftlichen Gebrauchswert“ (MEW 23:55).

Hat Kohlendioxid (CO2) einen Wert? Das Gas hat sicherlich einen Gebrauchswert, denn Sprudel und Bier schmecken mit „Kohlensäure“ besser und Gemüse könnte ohne Dünger nördlich der Alpen im Winter nicht wachsen. Aber enthält CO2 Arbeitskraft? Eigentlich nicht, denn CO2 ist Bestandteil der Luft, aber halt auch das Ergebnis von Verbrennungsprozessen. Wenn man lange nicht lüftet, steigert z.B. die Maschine Mensch den CO2 Anteil der Luft von 0,04 Prozent auf das 5 bis 10-fache und produziert ca. 0,4 t CO2 im Jahr.[1] Nach Marx hat CO2 somit an und für sich keinen Wert. Wert erheischt die Ware erst, wenn das natürliche Gas durch die Hinzufügung von Arbeit konzentriert wird.

Nun wird jedoch beim CO2-Handel Kohlendioxid nicht verkauft, sondern der Verkäufer verpflichtet sich, weniger CO2 freizusetzen bzw. CO2 zu vernichten, während der Käufer sein Kohlendioxid mit besserem Gewissen ausstoßen kann. Der gesellschaftliche Gebrauchswert ist beim Käufer zu suchen, denn Firmen – vor allem Energieunternehmen etc. – und Regierungen der Industrienationen zahlen dafür, dass sie mehr CO2 freisetzen dürfen als im Kyoto Protokoll vorgesehen bzw. die Verringerung des Ausstoßes langsamer vor sich geht als versprochen. Deswegen sprechen Kritiker hier auch von Ablasshandel, denn letztlich zahlen die Käufer dafür, dass sie Umweltvereinbarungen nicht einhalten. Während ungewiss ist, ob die Seele der Industrienationen aufgrund dieser Zahlungen in den Himmel springt, ist in den letzten Jahren aus stickiger Luft (i.e. CO2) eine Ware mit einem Handelsvolumen von mehr als 40 Mrd. EUR im Jahr geworden.

Der gesellschaftliche Gebrauchswert ist enorm: Experten gehen davon aus, dass wenn nichts gegen den weiteren Anstieg von CO2 Emission und damit den Klimawandel unternommen wird, dies die Welt bis zu jährlich 52 Billionen EUR (Watkiss et al. 2005). Die Ware „CO2-Kredit“ enthält aber nicht nur gesellschaftlichen Gebrauchswert – i.e. die „Erlaubnis“ weiterzumachen wie bisher – sondern teilweise auch Arbeit, denn gemäß dem seit 2005 geltenden Kyoto Protokoll können bislang nur leistungsbasierende CO2-Kredite gehandelt werden (Aufforstungen, bessere Filter, Konversion von Kohle zu Gas, etc.), während die Besitzer von stehenden Wäldern leer ausgehen. Während die Limitierung auf nachweisbare Arbeitsleistungen dem luftigen Geschäft Substanz gibt, macht diese Limitierung vom ökologischen Standpunkt aus keinen Sinn. Die afrikanischen Regenwälder (362 Mil. ha) sind zum Beispiel für den Klimaschutz von zentraler Bedeutung, da sie jedes Jahr 543 Mil. t CO2 sequestrieren, trockene Regionen mit Wasser versorgen (die genauen Mengen sind unbekannt) und 99 Mrd. t Biomasse und 45 Mrd. t CO2 (das sind mehr als die weltweiten Emissionen eines Jahres) dauerhaft einlagern. Diese Dienstleistungen am globalen Klima haben einen hohen gesellschaftlichen Gebrauchswert, auch wenn sie nicht auf Arbeit beruhen. Der Stern Report (2007) geht davon aus, dass wenn die afrikanischen Regenwälder verschwinden würden, dies die Welt €117 Mrd./Jahr bzw. €323/ha*Jahr kosten würde. Eine EU-Studie (Watkiss et al. 2005) vermutet, dass der Marktwert des afrikanischen Regenwaldes sogar noch höher liegt: 2,6 Mrd. EUR/Jahr bzw. 7.000 EUR/ha*Jahr.

Da der gesellschaftliche Gebrauchswert des stehenden Waldes quantifizierbar ist, sollte dies für die auf Arbeit basierenden „CO2-Kredite“ kein Problem sein. Was ist also der Wertmaßstab der Ware „CO2-Kredit“ und wie berechnet sich der Preis dieser Ware? Der Wertmaßstab ist noch relativ simpel, denn was gekauft wird ist die Erlaubnis, eine Tonne CO2 mehr auszustoßen als vereinbart. Im Gegenzug muss der Verkäufer nachweisen, dass er eine Tonne CO2 weniger ausstößt als er nach dem Kyoto Protokoll dürfte bzw. dass er eine Tonne CO2 vernichtet hat. Während die Reduktion z.B. bei Kraftwerken vergleichsweise einfach nachzuweisen ist, da dort alle Emissionen gemessen werden und eine Verringerung der Leistung bzw. die Installation von zusätzlichen Filtern den Ausstoß nachweisbar mindert, gibt es bei der Vernichtung von CO2 keine gesicherten Daten. Man geht zwar davon aus, dass (Wieder)Aufforstungen Kohlendioxid aus der Luft und dem Boden binden und die Photosynthese der Bäume CO2 sequestriert, aber es ist strittig, ob dies ein linearer und kontinuierlicher Prozess ist und wieviel CO2 zum Beispiel ein Hektar Ahornwald pro Jahr vernichtet. Diese Wissens- und Nachweislücke ist extrem problematisch, da es ohne diese Relation unmöglich ist, den Wert der Ware zu bestimmen. Somit konkurrieren auf dem Markt sehr unterschiedliche Prozesse der CO2-Vermeidung und -Vernichtung mit sehr unterschiedlichen in ihnen enthaltenen Arbeitsquanten. Während die Abgasvermeidung am einfachsten nachzuweisen ist und letztlich wohl am ehesten der Grundidee des Kyoto-Protokolls entspricht, ist sie zugleich die teuerste Form, CO2-Kredite zu produzieren. Bei der Umstellung eines 1.000 MW Kraftwerks von Kohle auf Gas kostet jede eingesparte Tonne CO2 um die 50 EUR über einen Zeitraum von 20 Jahren. Weitergehende Verbesserungen von hochwertigen Gaskraftwerken kosten gar bis zu €500/t CO2. Demgegenüber sind (Wieder)Aufforstungen in wenig besiedelten Gebieten mit lokalen „kostengünstigen“ Arbeitskräften ein Schnäppchen, denn über einen Zeitraum von 20 Jahren kosten diese, basierend auf der Annahme das 1 ha 1,5 t CO2 pro Jahr vernichtet, incl. Management und Pflege so um die €10/t CO2, wenn man es mit den nachhaltigen Bewirtschaftung nicht zu genau nimmt, und €20/t CO2, wenn der derzeit höchste Standard angewendet wird. Auf dem von der EU regulierten CO2-Markt (Clean Development Mechanism, CDM) kostet der CO2-Kredit heute (6/10/2008) zwischen €16/t CO2 (nicht zertifiziert) und €24/t CO2 (CDM Gold Standard). Obwohl auf dem CDM mehr als 80% der weltweiten CO2-Transaktionen stattfinden – als CO2-Kredite mit einem Wert von €32 Mrd./Jahr gehandelt werden – ist dies ein hoch spekulativer Markt, da niemand so genau weiß, was der Wert der Ware ist und ob z.B. wirklich 1 ha Wald 1,5 t CO2 pro Jahr vernichtet. Als unlängst in Science ein kritischer Beitrag über den Forschungsstand zum Thema CO2 -Sequestration erschien, gaben die Märkte kurzzeitig nach. Insgesamt ist der Boom jedoch ungebrochen und die Szene geht davon aus, dass sich der Preis in den nächsten 12 Monaten verdreifachen wird. Einige sprechen davon, dass 2009 der Preis über 100 EUR/t CO2 steigen wird. Recht beachtlich für eine Ware, deren Produktionskosten und Wert unbekannt sind und deren gesellschaftlicher Gebrauchswert selbst unter Investmentbankern als hochspekulativ gilt.

Obwohl oder gerade weil der exakte gesellschaftliche Gebrauchswert einer Investition in CO2-Vernichtung aufgrund der ungeklärten ökologischen Nützlichkeit unbekannt ist, ziehen die Märkte Investitionen in die Vernichtung von CO2 Investitionen in bessere Filter oder gar die Umstellung auf nachhaltigere Energieproduktionsprozesse vor, denn es ist gegenwärtig einfach billiger, Bäume zu pflanzen als neue Filter zu installieren. Noch günstiger ist die CO2 Vernichtung und Speicherung mittels existierender Wälder, denn da diese bereits existieren, braucht hier eigentlich nichts gemacht werden. Während Sir Stern und andere davon ausgehen, dass der gesellschaftliche Gebrauchswert stehender Regenwälder gewaltig ist, ist der Preis von auf stehenden Wäldern basierenden CO2-Krediten niedriger als der von auf (Wieder)Aufforstungen basierenden CO2-Krediten, denn außer durch Entwicklungshilfegelder für Umwelt- und Naturschutzprogramme (ca. €1/ha*Jahr), Gelder für Umweltschutzunternehmen (WWF, CI, WCS etc. ca. €0,15/ha*Jahr) und gute Worte und Einladungen zu Kongressen werden diese Dienstleistungen am globalen Klima bislang nicht honoriert. Da aber diese Zahlungen geringer sind als mögliche Einkommen aus Holzeinschlag, Plantagenwirtschaft, lokaler Landwirtschaft etc. geht die Abholzung munter weiter. In Anbetracht dieser Diskrepanz versprach die UN-Klimakonferenz in Bali (2007), dass spätestens ab 2012 CO2-Kredite ohne Arbeitsleistung anerkannt werden und somit existierende Regenwälder als Ware mit anerkanntem gesellschaftlichem Gebrauchswert gehandelt werden können. Nach den Plänen der Experten sollen REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) und PES (Payment for Environmental Services) in der Lage sein, den Besitzern und Nutzern dieser Wälder mehr Geld dafür anzubieten, dass Wälder stehen bleiben als sich durch deren Abholzung erzielen lässt. Das Modell entspricht den EU-Subventionen für die Nicht-Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen in Europa und soll die Nutznießer und Akteure von Abholzungen (Regierungen, Privatwirtschaft, lokale Bevölkerung etc.) in Naturschützer verwandeln. Nachdem sich die moralischen Geißelungen durch WWF, Greenpeace und Co als nutzlos erwiesen haben, soll nun also Mammon Regenwaldnationen dazu bewegen, die Abholzung einzuschränken. Während dieser Ansatz in sich schlüssig ist, denn in einer marktvermittelten Ordnung muss man halt mehr für eine Ware zahlen als andere Interessenten um diese zu nutzen, unterminieren die strukturellen Probleme des Postkolonialismus die progressiven Potentiale dieses Ansatzes und reproduzieren klassische koloniale Aktionsformen, in denen gerade keine Marktpreise für Waren aus der Peripherie gezahlt werden. Der Trick ist, dass die Ware nicht von deren Eigentümern gekauft wird, sondern von Mittelsmännern, die von den Käufern zu Eigentümern der „herrenlosen“ Waren ernannt werden, während die Eigentümer leer ausgehen.

Afrikanische Regenwälder und ihre Abholzung

Die Befürchtung, dass das Ende der Welt naht, ist so alt wie die Menschheit und mag Ausdruck der Urangst des Menschen vor dem Tod sein. Sie treibt Menschen in Glaubensmodelle aller Art. In der Moderne findet sie einen Ausdruck im Glauben an die Allmacht der Wissenschaft sowie in Projektionen, die heute verfügbares Wissen nutzen, um die Zukunft vorherzusagen. Dies Verfahren ist problematisch, da die Komplexität der Welt bislang die technischen Möglichkeiten von Projektionen übersteigt und der Akt der Projektion selbst die Zukunft verändert. Der Niedergang der sozialistischen Planwirtschaft und die unzähligen ökonomischen Krisen unterstreichen dies. Wenn man sich einmal die Mühe macht, die Treffsicherheit von 10-20 Jahre alten Prognosen zu untersuchen, stellt man fest, dass die meisten Aussagen sich als falsch erwiesen haben. So ist es noch keine 10 Jahre her, dass eine neue Eiszeit vorhergesagt wurde, während die gleichen Daten heute eine Erderwärmung anzeigen sollen. Während die Vorhersagegenauigkeit der Wetterdienste nach wie vor kaum größer ist als die der Wetterfrösche, überrascht schon, dass Umwelt- und Klimawissenschaftler im 21. Jahrhundert ernsthaft glauben, genaue Vorhersagen darüber machen zu können, wie sich das Klima in den nächsten 50 Jahren entwickeln wird. Dies stellt nicht in Frage, dass es langfristig zu einer Veränderung des Klimas kommen wird, denn das ist sicher, nur darf bezweifelt werden, dass wir heute schon wissen, wie dies vor sich geht und wie die Natur darauf reagiert.

Wenn man sich afrikanische Regenwälder genauer anschaut, stellt man fest, dass sie dynamisch sind und nichts falscher ist als die Vorstellung, sie hätten immer schon existiert und der Mensch sei erst unlängst als Gast auf der Waldbühne erschienen. Die Regenwälder selbst entstanden vor ca. 65-70 Millionen Jahren, als sich der afrikanische und der amerikanische Kontinent trennten. Seit dem haben sie sich aufgrund von Klimaänderungen mehrfach grundlegend gewandelt. Vor 10 Millionen Jahren trockneten sie soweit aus, dass die meisten Palmgattungen ausstarben; vor 5 Millionen Jahren entstand an ihrem Nordrand die Sahara. In dieser heißen Trockenperiode begann der homo sapiens, sich von den anderen Affen zu trennen und tollte durch die Restwälder und Baumsavannen. Über die letzten 2 Millionen Jahre drangen dann in 21 kleinen Eiszeiten Gletscher bis zu den Alpen vor und kühlten Afrika so weit ab, dass sich die Regenwälder ausgehend von einigen Restwäldern ausdehnten. Die Menschen blieben in der Region. Die ältesten Funde von Werkzeugen im Regenwald sind ca. 400.000 Jahre alt und Archäologen haben an 10.000 Jahre alten Baumresten Spuren von Steinäxten gefunden. Darüber hinaus haben die Siedlungen dieser frühen Menschen die Landschaft gestaltet. Savannen wurden durch Feuer kurz gehalten und die Gartenfeldwirtschaft in den auf Hügeln errichteten Dörfern führte dazu, dass heute fast alle Hügelketten bewaldet sind. Wenn man dort gräbt findet man Holzkohle und Schmelzöfen und andere Zeugnisse, dass der Mensch zumindest teilweise Schöpfer der Regenwälder ist. Basierend auf archäologischen Funden geht man heute davon aus, dass am Beginn unserer Zeitrechnung fast alle afrikanischen Regenwälder als Plantagen genutzt wurden. Das Problem der Abholzung ist also nicht neu und der Prozess nicht unumkehrbar.

Vor ca. 1500 Jahren muss es einen Bevölkerungseinbruch gegeben haben, wobei die Ursachen bis heute ungeklärt sind. Es wird vermutet, dass die Abholzungen der Schlafkrankheit die Tür öffnete und zu einem Massensterben führte. In den folgenden 600 Jahren wuchsen die Regenwälder nach und transformierten große Teile des Feld-Wald Mosaiks in das was wir heute als afrikanischen Regenwald bezeichnen. Menschliche Tragödien häuften sich über die letzten 300 Jahre und der Sklavenhandel entvölkerte nicht nur weite Regionen, sondern die von den Fremden eingeschleppten Krankheiten kosteten Millionen das Leben. Wer das überstand, hatte gute Chancen den Zwangsumsiedlungen, der Zwangsarbeit und anderen „Segnungen“ der Zivilisation zum Opfer zu fallen. So entstanden zum Beispiel die Wälder Ghanas, Liberias und Sierra Leones nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Rinderpest die Rinderherden Westafrikas dezimiert hatten. Die „unberührten Regenwälder“ des Kongobecken entstanden, als die landwirtschaftliche Bevölkerung gezwungen wurde, sich entlang der Straßen anzusiedeln, um den Kolonialherren als Träger und Arbeitskräfte zu dienen.

Über die Jahrtausende entwickelte die Bevölkerung unterschiedliche Formen der Land- und Waldnutzung. Während einige sesshaft wurden und sich der Landwirtschaft widmeten, konzentrierten sich andere auf das mobile Leben als Jäger und Sammler. Das Miteinander dieser zwei Gruppen, die Waren tauschten und klare Grenzen hatten, änderte sich schlagartig als vor 1.000 Jahren die Banane Afrika erreichte. Da die Banane zwanzigmal mehr Stärke enthält als der wilde Yam, veränderte sie die Tauschrelation grundlegend zu Ungunsten der Jäger und Sammler. Diese Ungleichheit wuchs über die Jahre, da die kolonialen Mächte wenig mehr mit Jägern und Sammlern anzufangen wussten als sie auszustopfen und ins Museum zu stellen, während sie den Landwirten neben besseren Werkzeugen Absatzmärkte anbieten konnten. Dies alles führte zu einer Veränderung des Preisgefüges und so fiel zum Beispiel im Kongo der Marktwert der Waldprodukte zwischen 1930 und 1980 um 75 Prozent gegenüber den Preisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Dieser Preisverfall heizte die Nutzung an, da für alle von außen kommenden Waren (Kleidung, Seife, Kerosin etc.) mehr Waldprodukte verkauft werden müssen, und ist bis heute eines der strukturellen Probleme einer nachhaltigen Waldnutzung.

Ein Kernelement der Kolonialökonomie war, dass indigene Arbeit nicht den gleichen Wert hatte und haben konnte wie die Arbeit der Kolonialherren und deswegen Märkte nicht selbstständig im Prozess der ursprünglichen Akkumulation ihr allgemeines Äquivalent suchten und fanden, sondern dieses durch die Kolonialherren gemäß ihrer Prämissen festgelegt wurde. Die bis heute fortdauernde Abwesenheit von auf Arbeitskraft basierenden regionalen Gütermärkten hat den Prozess der Abholzung weiter angeheizt. Wenn der Wert der Waren in den Regenwaldökonomien einzig durch die in ihnen enthaltene Arbeit bestimmt wäre, würden Waldprodukte einen viel höheren Marktwert haben und somit in der Lage sein, gegen andere Nutzungsformen zu bestehen: Während Jäger und Sammler in Afrikanischen Regenwäldern ca. €7/ha*Jahr erzielen, realisieren ihre landwirtschaftlichen Nachbarn mit der gleichen Arbeitsleistung €16/ha*Jahr. Solange dies so ist, darf man sich in einer wertvermittelten Ordnung nicht wundern, dass die Wälder verschwinden. Während der Naturschutz gegenwärtig der lokalen Bevölkerung einen Einkommensverlust von nahezu 100% anbietet (realisierte Einkommen aus Naturschutz betragen durchschnittlich bei €0.01/ha*Jahr), offeriert die Holzwirtschaft einen Mehrertrag von €3/ha*Jahr, die lokale Landwirtschaft einen Mehrertrag von €9/ha*Jahr und Cash-Crop-Plantagen einen Mehrertrag von €11/ha*Jahr. €18/ha*Jahr Gesamtertrag ist immer noch nicht viel und ermöglicht kein Leben oberhalb der ökonomischen Armutslinie (1 US$/Tag*Person), aber sie stellt eine Verdoppelung der lokalen Einkommen dar und ist somit eine starke Motivation, Bäume so schnell wie möglich zu fällen und Plantagen anzulegen. Wenn man berücksichtigt, dass der Gesamtertrag einer Ölpalmplantage €347/ha*Jahr beträgt, während die Gesamtsumme des für Naturschutz angebotenen Ausgleichszahlungen €1,15/ha*Jahr beträgt, wundert man sich nicht, das Wälder verschwinden sondern nur, dass nicht längst der letzte Baum gefällt wurde und Afrika ähnlich wie Südostasien von Ost bis West eine einzige Plantage ist.

Der auf der Einführung der Banane basierende ungleiche Ertrag zwischen Landwirten und Jägern/Sammlern hat nicht nur die ökonomische Armut der Waldbevölkerung geschaffen und perpetuiert, sondern auch zu Konflikten geführt. In allen Ländern des Kongobeckens, in Ostafrika und Madagaskar sind die Jäger und Sammler marginalisiert und werden nicht als vollwertige Bürger und oft nicht als vollwertige Menschen wahrgenommen. In Liberia und Sierra Leone überschattet der Konflikt zwischen den Siedlerkolonien von „zurückgeschickten“ Sklaven und der einheimischen Bevölkerung bis heute jede Form einer sinnvollen Landnutzung. Generell ist in allen Ländern das unter dem Kolonialismus eingeführte und bis heute beibehaltene Landrecht eines der größten Hemmnisse auf dem Weg zu einer Besserung der Lebenssituation der Menschen und einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen.[2]

Die Kolonialmächte und ihre Erben sehen den Staat als alleinigen Eigentümer von Grund und Bodens, während der lokalen Bevölkerung nur Subsistenznutzungsrechte zugesprochen werden. Die Aneignung des traditionell den Gemeinschaften gehörenden Bodens und seiner Ressourcen führt natürlich zu Konflikten. Zum Beispiel wenn der Staat Land und die darauf oder darunter befindlichen Ressourcen an Holzgesellschaften, Plantagen, Naturschutzorganisationen und Minen vermietet oder verkauft, denn dies schränkt die Nutzung durch die lokale Bevölkerung ein und führt so zu Einkommenseinbußen. Während die lokale Bevölkerung als traditioneller Eigentümer wahrgenommen wird, sind sie nicht rechtliche „Eigentümer“ und so zumindest rechtlich nicht in der Lage, die zwischen der Regierung und den Unternehmen ausgehandelten Nutzungsverträge zu stoppen und durch für sie akzeptable und profitable Vereinbarungen zu ersetzen. In der DR Kongo und in Liberia war dies einer der Gründe für die Bürgerkriege. In allen Ländern führt das existierende Landrecht dazu, dass Naturschutzgesetzgebungen, die auf der Konstruktion eines Staatseigentums an Boden und Ressourcen basieren, scheitern. Diese absurde Gesetzeslage führt dazu, dass Staat und Bürger Konkurrenten in der Landnutzung werden. Dies heizt die Abholzung weiter an, da die lokale Bevölkerung nicht sicher sein kann, dass sie an den möglichen Gewinnen einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen teilhaben wird. So entzünden Dörfer Feuer auf für sie unbrauchbaren Savannen um zu verhindern, dass sich dort Wälder bilden, da ihre Nutzungsrechte für Wälder weit geringer sind als für Savannen. Dieses ist alles nicht neu und seit Jahren versuchen Entwicklungsorganisationen die Regierungen zu überreden, die Nutzungsrechte der lokalen Bevölkerung anzuerkennen und die Bevölkerung für Nutzungseinschränkungen zu entschädigen. Da dies jedoch die Einkommen der Regierungen einschränkt und das Wohl der Bevölkerung in den Regenwaldnationen wenig Relevanz hat, sind selbst dort, wo eine Gewinnbeteiligung vorgeschrieben ist, die an die lokale Bevölkerung transferierten Geldmittel unzureichend, um die Einkommenseinbußen auszugleichen. Deswegen respektiert die Bevölkerung dann natürlich auch nicht die ihnen aufoktroyierten partizipativen Land- und Ressourcenmanagementpläne und nutzen ihre Ressourcen munter weiter, ob diese nun in einem Nationalpark, einer von der UNESCO geförderten Man-and-Biosphere Reserve, einer Holzeinschlagzone oder einem Gemeindewald stehen. Um diese „illegale“ Nutzung zu unterbinden, werden schwer bewaffnete Parkwächter etc. ausgesandt, um die Welt zu retten. Diese von Naturschutz- und Entwicklungsorganisationen finanzierte Eskalierung des Problems hat zwei negative Wirkungen (sie kostet Geld und verschärft die Konflikte zwischen dem Staat und seinen Bewohnern) und kann nur dann Wirkungen entfalten, wenn hinter jedem Baum ein Parkwächter steht, ist somit wenig mehr als nutzlose Geldvernichtung.

Nun mag sich der geneigte Leser fragen, was die Relevanz all dieser Geschichten für den Klimaschutz ist, denn die neuen Märkte eröffnen doch gerade die Möglichkeit, Waldbewohner für ihre Dienstleistungen am globalen Klima zu bezahlen. Dass dies leider eine Chimäre aus der Märchentruhe der globalen Gutmenschen ist, wird das nächste Kapitel zeigen.

Wälder, CO2 und warum der Kapitalismus keine Lösung ist

Wälder sind dynamisch. Sie haben sich an Klimaänderung angepasst und werden dies weiter tun, was immer die Menschen mit ihnen anstellen. Darüber hinaus sind die afrikanischen Regenwälder nicht die ersten die abgeholzt werden. Drei Viertel der europäischen und ein Drittel der nordamerikanischen Wälder wurden abgeholzt und mehr als die Hälfte aller tropischen Regenwälder existiert heute nicht mehr.

Graphik 1: Forest transition model (CIFOR 2008: 11).

Grafik in Download-Datei!

Forstwissenschaftler haben gezeigt, dass wo auch immer in der Vergangenheit abgeholzt wurde, um Platz für Felder zu schaffen und Holz zu nutzen, dies früher oder später zu einer solchen Verknappung von Holz führte, dass entweder der Staat und/oder die Märkte (Wieder)Aufforstungen einleiteten. Als mit dem Beginn der Industrialisierung Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft abgezogen wurde und es zu einer Verringerung der landwirtschaftlich genutzten Fläche kam, bildeten sich Wälder auf für Maschinen schwer zugänglichen Regionen zurück (siehe Graphik 1). So sind mit einer Ausnahme die Wälder in Europa keine „Urwälder“, sondern über die letzten 150 Jahre gepflanzt worden. Letztlich kann man die ganze Klimaschutzdebatte als Diskussion darüber verstehen, wie sicher gestellt werden kann, dass ausreichend Wald zur Verfügung steht um die Fortführung der Geschäfte zu erlauben. In einer kapitalistischen Gesellschaft ist es logisch, dass alles – gleichgültig ob es einen Wert hat oder nicht – kapitalisiert und mit einem Preisschild versehen wird.

Das Problem auf höherer Ebene ist, dass sich dieser Prozess bislang nur für jene Regionen nachweisen lässt, bei denen Marktbeziehungen dazu führen, dass (Wieder)Aufforstungen eingeleitet werden und über kurz oder lang besser bezahlte Arbeitsplätze Menschen aus der Landwirtschaft abziehen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Arbeitskräfte Zugang zu diesen Jobs haben. Die restriktive Einwanderungspolitik der industriellen Zentren verhindert dies jedoch, obwohl viele Waldbewohner nichts lieber tun würden, als sich in den industriellen Zentren als doppeltfreie Lohnarbeiter zu verdingen. Während der Waldschutz also einerseits eine autochthone Entwicklung verhindert und anderseits den Abzug von Arbeitskräften unterbindet, ist es richtig, wenn Regenwaldnationen und -bewohner den CO2-Handel als Zahlung für ihre Nichtentwicklung wahrnehmen.

Im Prinzip ist nichts gegen eine Ausgleichszahlung für Nichtentwicklung zu sagen, denn wenn Luft zur Ware wird, werden die Besitzer von stehenden Wäldern oder von Land für (Wieder)Aufforstungen zu Luftproduzenten. Dafür müssten sie jedoch auch als Eigentümer wahrgenommen werden, Kontrolle über ihre Ware und Zugang zu Märkten haben. Theoretisch ist dies möglich und Modelle, wie saubere Luft vermarktet werden kann, existieren (siehe z.B. meinen Artikel in World Development). Diese finden jedoch wenig Zustimmung bei Regierungsvertretern und der Privatwirtschaft, denn wenn die realen Eigentümer der Wälder (d.h. die Bevölkerung) für ihre Dienstleistung der Nichtnutzung von stehenden Wäldern den gesellschaftlichen Gebrauchswert erhalten würden, wäre dies ein recht teures Unterfangen für die Industrienationen (ca. € 1,000/ha*Jahr). Selbst wenn Bevölkerung und Regierungen nur für entgangene Einkommen aus Abholzungen entschädigt werden würden (€400/ha*Jahr), würde dies die Industrienationen ca. 5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts kosten. Da erscheint es günstiger, Regierungen als alleinige Eigentümer anzuerkennen und ihnen im Rahmen von REDD €20/ha dafür zu zahlen, dass sie ihre Bevölkerung davon abhalten, Bäume zu fällen und eine eigenständige Entwicklung zu beginnen. Dass dies nicht ohne Gewalt geht, ist allen Beteiligten bekannt, aber wer interessiert sich schon für das Leben von Regenwaldbewohnern, wenn sie nicht gerade die Trommel schwingen oder Touristen die Tiere des Waldes zeigen?

Nun mag der ökologisch bewusste Leser einwenden, dass viele Menschen in den Industrienationen heute schon für den „CO2-Fußabdruck“ ihrer Flugreisen bezahlen. Das ist schon richtig, aber wären die Leute auch bereit für all ihre Emissionen zu zahlen? 10 t CO2/Jahr stößt der BRD-Bürger im Durchschnitt aus, wobei nur 0,4 t CO2/Jahr auf die physische Person zurückgehen, aber 9,6 t CO2/Jahr (96%) auf seinen Lebensstandard. Beim gegenwärtigen Marktpreis würde deren Vernichtung so um die €200/Jahr kosten. Kein Problem? Fein, aber wäre es immer noch kein Problem, wenn der Preis auch die entgangenen Einkommen der Waldbewohner reflektieren würde (€4.000/Jahr pro Person) oder gar den gesellschaftlichen Gebrauchswert der Wälder (bis zu €70.000/Jahr pro Person)? Obendrein ist dies alles noch etwas komplizierter, denn die Zahlung für Nicht-Nutzung hat eine zweite Ebene: Während die Waldbewohner zurzeit wenig mehr CO2 ausstoßen als ihre Atemluft (0,4 t CO2 /Jahr), würde sich dieser Wert dem Wert der Bewohner der Industrienationen annähern (10 t CO2 /Jahr), wenn sie für ihre Dienstleistungen bezahlt würden und sich damit Lampen, Klimaanlagen und Fernseher kaufen könnten. Als kapitalistische Luftproduzenten würden sie diese Kosten natürlich an ihre Kunden weitergeben, was zu einer weiteren Preiseskalation führen würde. Ist es wahrscheinlich, dass Industrienationen den gleichen Leuten, die gerade noch als Almosenempfänger im Kontext der Armutsminderung konzeptioniert wurden, nun einen signifikanten Anteil ihrer Einkommen zahlen, nur weil man erkannt hat, dass sie einen gesellschaftlichen Gebrauchswert schaffen?

Während es also vom Standpunkt des Klimaschutzes notwendig wäre, Luft zu einer Ware zu machen, welche die, die sie produzieren bzw. die über die Produktionsmittel von Luft verfügen, verkaufen können, ist dies unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen unwahrscheinlich. Deswegen wird uns die Diskussion über Klimaschutz, CO2-Handel und nachhaltige Ressourcennutzung noch lange begleiten, ohne das dieses System eine nachhaltige Lösung finden kann. Kurzfristig mag die Bezahlung von Regierungen für Umweltdienstleistungen ihrer Bevölkerung zwar erfolgreich sein und die gewaltsame Verhinderung der Waldnutzung die Abholzungsraten reduzieren, langfristig wird jedoch der Druck auf die Wälder und der Hunger auf durch Abholzung zu erzielende Einkommen nur gestoppt werden können, wenn Luft zu einer frei verhandelbaren Ware wird und die Waldbewohner als Eigentümer der Produktionsmittel von Luft anerkannt werden. Dies mag 20 Jahre dauern und eine Unzahl von Bürgerkriege kosten, aufzuhalten ist es nicht.

[1] Da Anfang/Mitte 2009 eine ausführliche Diskussion der Literatur und Daten in World Development erscheinen wird („Prospects for pro-poor Carbon markets“), verzichte ich hier auf weiterführende Angaben und bitte interessierte Leser in World Development nachzuschlagen. Die Hintergrundforschung wurden vom „Prince of Wales‘ Rainforest Project“ gefördert.

[2] Während Staatseigentum an Grund und Boden vermutlich von den meisten Lesern von Z als „gerechter“ angesehen wird als Privateigentum, ist in Afrika wie in anderen Ländern des Südens diese Annahme falsch, wie der Autor in einem bald erscheinenden Artikel in Z zeigen wird.

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