Soziale und politische Aspekte der Krise

Wohin mit der Autoindustrie?

Gesellschaftliche Planung für Transformation von Produktion und Arbeit!

Dezember 2009

Die Krise der Autogesellschaft ist komplex und die Wege aus ihr, die Alternativen, sind derart folgenreich, dass an gesellschaftlicher Planung von Produkten und Produktion kein Weg vorbei führt. Grundlagen für diesen aktuellen und unverzichtbaren Anspruch auf Mitbestimmung und wirtschaftliche Demokratie, eben auf gesellschaftliche Planung, sind sowohl unser Grundgesetz (Art. 14/15/20) als auch die Grundsatzprogramme der Gewerkschaften (Vergesellschaftung der Schlüsselindustrie). Der antimonopolistische Auftrag des Grundgesetzes kann und muss in dieser Situation, in der der neoliberale Kapitalismus, die Banken und Konzerne wieder versagt haben, umgesetzt werden, bevor der Schaden noch größer wird und wieder in einer Katastrophe für die Menschheit endet.[1]

Auch wenn das schwarz-gelbe Regierungsprogramm ganz andere Schwerpunkte setzt, so liegt es doch an den Menschen selbst, ob aus der Krise etwas Neues entsteht, oder ob das Alte sich mit noch hässlicherem Gesicht und menschenfeindlicher wieder erheben kann.

Jetzt, nach dem Auslaufen der „Umweltprämie“ in Deutschland und anderen Ländern, wird die strukturelle Seite der Krise in der Automobil- und Zulieferindustrie, die in riesigen Überkapazitäten besteht, für alle sichtbar. Die Branche wird nach dieser Krise nicht mehr sein wie vorher: Schon jetzt werden zehntausende weniger Menschen dort beschäftigt, der Belegschaftsabbau wird sich beschleunigen, es gibt weniger Standorte, weniger Betriebe und Konzerne. Die Kapazitäten wurden zwischen 2000 und 2007 noch um 15 Millionen Fahrzeuge pro Jahr erhöht (überwiegend in Asien und Mittel-Ost-Europa), allerdings ohne dass damit ein Zuwachs an Beschäftigung einhergegangen wäre[2]. Nun beträgt der Absatzrückgang zwischen 2005 und 2009 bis zu 50 Prozent und die Talsohle ist noch nicht erreicht. Wir stehen am Beginn eines großen Umbaues der Industrie; die Pleiten von GM und Chrysler (nach dem Ausstieg von Daimler), die Verkäufe von Opel, Saab und Volvo, von Delphi und Saturn, die Verluste von Toyota, Ford, Daimler, Lada und Renault, von Bosch und Conti sind die Ouvertüre der großen Krise, in der bereits jetzt Milliarden-Werte vernichtet wurden. Der Umbau muss, wenn er zum Wohle der Menschheit gelingen soll, von Visionen der Menschen getragen werden, nicht von den Profitinteressen des Kapitals: Die menschliche Vision davon, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen und wie wir überleben können! Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist, dass die Automobil- und Zulieferindustrie die Überkapazitäten, die nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern – mehr noch – ein ökologisches Problem sind, abbauen muss und abbauen wird. Das Ergebnis kann nicht nur eine Schrumpfung sein, sondern erforderlich sind auch andere Produkte und eine andere Produktion.

Wie aber kann dies aussehen? Ohne Ideen und Vorstellungen davon, wie wir uns die Zukunft vorstellen, wie wir leben und arbeiten wollen, werden allein die „Herren der Welt“, die Konzernlenker und ihre Vertreter in Regierungen und Finanzinstitutionen über die Zukunft entscheiden.

Das Recht auf Mobilität statt Zwang zur Mobilität

Einleitend einige Ideen, die vervollständigt und wissenschaftlich abgesichert werden müssen: Alle Menschen haben das Recht auf Mobilität, niemand wird zu schädlicher Mobilität gezwungen! Die Transporterfordernisse in größeren Räumen sind durch andere Siedlungs- und Produktionsstrukturen stark reduziert (Regionalökonomie) und im Wesentlichen auf menschliche Begegnungen beschränkt. Transport von Material und Energie wird, soweit noch erforderlich, mit Pipelines, Schiffen und Güterzügen realisiert. Die Menschen fahren in bequemen Personenzügen oder mit dem Schiff, weil Zeit dafür ausreichend vorhanden ist und das Erleben verschiedener Landschaften, Klimazonen und Kulturen intensiv möglich macht. Die Zentren sind durch kurz getaktete S-Bahnen mit kleineren Ortschaften verbunden, die innerörtliche Mobilität wird durch Straßenbahnen und Hybrid-Busse realisiert, verschiedene zwei-, drei und vierrädrige Fahrzeuge werden für bestimmte Strecken gemietet und emissionsfrei durch Menschen, bei starkem Wind sowie bei schwächeren Personen durch kleine Elektromotoren angetrieben. Die Innenstädte sind autofrei, aus Gründen der Bequemlichkeit gibt es viele Straßenzüge mit elektromagnetisch angetriebenen Laufbändern. Notwendige Besorgungen werden mit elektrisch betrieben größeren und kleineren Taxen durchgeführt, die ausreichend und flexibel zur Verfügung stehen. Zeitverschwendung in Staus gehören der Vergangenheit an. Noch stößt sich diese Vision hart an der Realität, die bisher von der Auto- und Erdölindustrie gesetzt wird. Umso wichtiger wird es, nicht nur die tatsächlichen Bedürfnisse von uns Menschen zu definieren, sondern demokratische Strukturen zu schaffen, in denen diese Bedürfnisse sich gegen die Profitinteressen und die Logik des Kapitals durchsetzen können.

Die Automobilindustrie: Augen auf und durch!

Die Automobilindustrie, die verbliebenen selbständigen Konzerne, verfahren nach der Devise, dass es womöglich zu viele Autos und Unternehmen gäbe, aber nicht von ihrem Stamm. Neu in dieser scharfen Krise ist, dass bei GM und anderen Herstellern Produktionskapazitäten, Belegschaften und Standorte in Größenordnungen aufgegeben werden, um zunächst die nackte eigenen Existenz zu sichern und im Kampf um Marktanteile überhaupt noch mithalten zu können. Verbunden wird das mit brutalen sozialen Einschnitten für die übrig bleibenden Belegschaften, mit direktem Lohnabbau, wie das in den vergangenen Jahrzehnten nie möglich war. Das sind nicht nur Überlebenskämpfe im Rahmen der kapitalistischen Logik, sondern es ist eine ungeheuere Verschärfung der Konkurrenz zwischen den Unternehmen und Standorten: der Personal- und Sozialabbau, die Erpressung der Belegschaften ist ein wesentliches Mittel dazu. Nach dieser Logik tragen die Beschäftigten und die (ehemaligen) Standortregionen die Hauptlast dieses Gemetzels, dieser kapitalistischen Schrumpfung.

Das „grüne Auto“ – ein Paradoxon

Ein weiterer Rettungsring, nach dem die Herren der Konzerne greifen, ist das grüne Mäntelchen, das sie sich jetzt alle umhängen. Erstaunlich, wie schnell es nach dem Absatzeinbruch gelang, „grüne“ Autos auf den Markt zu bringen. Alles Öko – oder was? Tatsächlich haben die Konzerne in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten möglich Veränderungen am Produkt in Richtung weniger Klimaschädlichkeit verschlafen beziehungsweise aus Profitgründen unterlassen. Noch immer gibt es keine wirkliche Alternative zum Verbrennungsmotor, noch immer wird keine Alternative zur Mobilität in einem Käfig aus Metall auf vier Gummirädern mit unterschiedlich viel Komfort angeboten. Ursächlich für dieses „verschlafen“ ist die im kapitalistischen System bedingte Jagd nach Profit, nach Maximalprofit. Mit der bisherigen Produktion waren Gewinne zu realisieren, je größer und klimaschädlicher das Auto, desto höher der Gewinn; warum also ändern, warum in etwas investieren, was weniger Gewinn verheißt, wenn doch nur in Quartalszahlen abgerechnet wird? Zu Lasten des Klimas und künftiger Generationen haben die Konzerne in den zurückliegenden Jahren Milliarden-Profite gescheffelt – und solange das gewährleistet war, gab es für sie keinen Anlass, von den zerstörerischen Produkten und Produktionsmethoden Abstand zu nehmen.

Eine gar nicht neue Lehre daraus ist, dass das Kapital durch äußere Umstände, durch den Staat, die Gewerkschaftsbewegung, die ökologische Bewegung, durch politischen Kampf also, gezwungen werden muss, falsche Pfade zu verlassen. Wegen des noch nicht entfalteten politischen und gewerkschaftlichen Kampfes preisen die Autokonzerne sich selbst schon wieder als Retter, versprechen neue Antriebe, geringe Energieverbräuche – aber „die Freiheit“ auf vier Rädern soll unter allen Umständen erhalten und verteidigt werden.

Ein wesentliches Element in der Art der Krisenbewältigung ist – neben der Vernichtung der Konkurrenz – das Elektroauto. Abgesehen davon, dass die Energiequelle dafür noch nicht gefunden ist, löst das Elektroauto das Problem der Überkapazität nicht. Ein nur auf der Antriebsseite verändertes Produkt wird zur neuen Grundlage des fortgesetzten mörderischen Konkurrenzkampfes. Ganz langsam kommen einige Unternehmen auch auf die Idee, statt Autos Mobilität anzubieten – aber dabei steht für sie das Auto als persönliches Eigentum immer noch und immer wieder im Mittelpunkt. Mehr noch, das Auto und das „Bedürfnis danach“ wird immer wieder „neu erfunden“ als wesentliche Voraussetzung von „Freiheit und Souveränität“. Beispielhaft sei hier die fast religiös-andächtig anmutende und Ehrfurcht einflößende Werbung von Volkswagen angeführt: „Autokäufer von heute wünschen sich Autos, die nachhaltig, sparsam und erschwinglich sind. Aber sie fordern auch Autos, die mehr denn je auf die persönliche Lebenssituation und den individuellen Lebensstil zugeschnitten sind. Sie wollen maximalen Nutzen, maximalen Spaß und die Freiheit, aus einem riesigen Angebotsspektrum wählen zu können … Wer Luxus mit den Sinnen erleben will, muss fähig zum Genuss sein. Für solche Menschen ist gerade auch das Automobil ein Stück Lebensart. Luxus im Auto bedeutet individuelle Mobilität und Fortbewegung in Souveränität.“

In dieser Krise verändern sich auch die Strukturen und Beziehungen zwischen Herstellern und Zulieferern, wie das am Beispiel Opel und Magna deutlich wird. Unternehmen, die zu den großen aufsteigen wollten, haben sich übernommen wie Conti und Schäffler, aber selbst der Zuliefererprimus Bosch kämpft inzwischen mit riesigen „Verlusten“. Der Versuch „der Kleinen“, „die Großen“ zu fressen, ist ebenso gescheitert wie der Versuch „der Großen“, die Kosten straflos auf „die Kleinen“ zu schieben.

Ein langer Weg in die Zukunft

Im Sommer 2009, zwischen dem ersten und zweiten „endgültigen“ Durchbruch zur Rettung von Opel durch die Bundesregierung – bei Redaktionsschluss dieses Aufsatzes war immer noch kein Vertrag unterzeichnet, in dem ohnehin nichts Verbindliches stehen soll, die Bundestagswahl ist ja auch überstanden, – fand in Bochum eine Debatte unter der Überschrift „Wohin mit Opel?“ statt. Auf Initiative von Attac fanden sich der Opel-Betriebsrat, die örtliche IG Metall und die Attac Arbeitsgruppe ArbeitFairTeilen zusammen, um öffentlich über die Lage und über Perspektiven zu diskutieren. Inzwischen ist weit mehr als ein Jahr „Opel-Krise“ vergangen, ohne das es eine Lösung für die 25.000 Beschäftigten gibt – ein unglaublicher Zynismus, wie mit den Menschen umgegangen wird! Aber nicht nur Opel steht in der Krise, es geht tatsächlich um viel mehr – sowohl für das (Auto- und Öl-) Kapital als auch für die Menschen; diejenigen, die in der Branche beschäftigt sind wie diejenigen, die zu irrer Mobilität gezwungen werden. Es geht um das Klima, das zerstört wird; um die Ressourcen, die zur Neige gehen; um Kriege, die darum geführt werden; um Nahrungsmittelpreise, die wegen Bio-Spritanbau explodiert sind; um die Menschen, welche von Mobilität ausgeschlossen werden; es geht um Konzentration, Konkurrenz, Konkurse und Kriege.

Möglichkeiten und Grenzen gewerkschaftlicher Sichtweisen

Gewerkschaften in Deutschland, die überwiegend zuständige IG Metall zumal, stehen vor einem zum Teil selbstverschuldeten doppelten Dilemma: Bereits in den 80er Jahren wurde die Diskussion um einen notwendigen Umbau der Automobilindustrie begonnen. Wichtige und richtige Positionen wurden erarbeitet und in dem Programm „Auto, Umwelt und Verkehr“ festgehalten[3]. Eine kurze Darstellung des Inhaltes lohnt, weil diese Broschüre fast völlig vergriffen ist. Einleitend sind drei Thesen zur Problemanalyse benannt:

1. Der sinkende Nutzen des Autos wegen wachsender Verkehrsdichte

2. Schäden und Belastungen aus dem Automobilverkehr

3. Mangelnde Vorsorge für Umwelt, Mobilität und Arbeitsplätze

Daraus wurden 10 Vorschläge und Forderungen der IG Metall für „ein humanes, umweltverträgliches und effizientes Verkehrssystem“ entwickelt:

- Gift- und Schadstofffreie Produktion

- Systematisches Recycling

- Verringerung von Emission und Verbrauch

- technische Geschwindigkeitsreduzierung

- Kooperation aller Verkehrsträger

- Ausbau des öffentlichen Verkehrs

- Vernetzung der Verkehrsträger

- Neue Fahrzeugkonzepte und gesellschaftliche Verantwortung

- Änderung des Verbraucherverhaltens

- Politische Rahmensetzungen und demokratische Beteiligung

Sicher würden wir heute einiges anders und weitergehender formulieren, bemerkenswert und erinnerungswert ist aber, dass es also bereits vor 20 Jahren eine intensive gesellschaftliche Debatte gegeben hat. Das wird auch an solchen Publikationen deutlich wie der des vor 6 Jahren verstorbenen Frederic Vester „Ausfahrt Zukunft“.[4] Wie in vielen anderen Problemlagen auch wurde die Chance vertan, mit dem Anschluss der DDR auch eine neue Verkehrspolitik einzuleiten.[5] Eine weitere Chance wurde vertan, als Daniel Goedevert wegen seines integrierten Denk- und Strategieansatzes nicht Chef von Volkswagen wurde.[6]

Am Beginn der 90er Jahre wurde die Diskussion abgebrochen, obwohl die einsetzende Krise Grund gewesen wäre, sie zu intensivieren und zu beschleunigen. Eine zu lösende Aufgabe, bevor wieder Fehler gemacht werden, besteht in der Analyse der Umstände und Diskurse, die zum Abbruch der damaligen Debatte geführt haben. Es reicht nicht aus, auf den Zusammenbruch der DDR und das anschließende Großmachtgehabe der BRD und der Automobilindustrie zu verweisen, denn die Positionen in der Kritik der Autogesellschaft waren schon tiefgründiger. Es gilt zu analysieren, wie es den Autokonzernen gelingen konnte, die Diskussion zu überlagern und diejenigen, die Veränderungen herbeiführen wollten, zum Schweigen zu bringen. Zu untersuchen sind in diesem Zusammenhang der gewerkschaftliche Diskurs, der gesellschaftliche Diskurs ebenso wie die materiellen und personellen Veränderungen in den Unternehmen[7].

Zum gewerkschaftlichen Dilemma gehört, dass sie es nicht geschafft haben, dass wir es nicht geschafft haben, uns europäisch oder international zu organisieren! Die Gewerkschaft jedes Landes, schlimmer noch: jedes Betriebes, kämpft für „ihr“ Land, für „ihren“ Betrieb, oder – nicht viel besser – für „ihre“ Mitgliedschaft. Internationale Solidarität ist völlig unterentwickelt, in den offiziellen Gewerkschaften auf einige wenige hauptamtliche Sekretäre beschränkt, die personellen und finanziellen Ressourcen von supranationalen Gewerkschaftsbünden sind so knapp (gehalten), dass diese lediglich zum „sozialen Dialog“ in der Lage waren, den die Unternehmerverbände in der Krise aber überhaupt nicht mehr wollen. Wie auf nationaler Ebene ist auch auf internationaler Ebene der Korporatismus beendet, ohne dass Gewerkschaften das wahrnehmen oder wahr haben wollen.

Wir zahlen nicht für Eure Krise – keine Entlassungen!

Trotz dieses doppelten Dilemmas gibt es partielle Bemühungen, angemessen auf die Krise und das Erfordernis des Umbaues der Industrie zu reagieren:

Eine richtige Position und prägend für das Jahr 2009 war die gewerkschaftliche Forderung, keine Entlassungen zu akzeptieren. Wenngleich diese Forderung nicht durchgehalten bzw. durchgesetzt werden konnte – über 300.000 befristet Beschäftigte und Leiharbeiter haben ihren Arbeitsplatz verloren, in der süddeutschen Maschinenbauindustrie wird Personal abgebaut, ebenso in der Automobilzulieferindustrie, – so hat diese Forderung in der Defensive und aus der Defensive doch bewirkt, dass durch Kurzarbeit (befristete Arbeitszeitverkürzung) und Abwrackprämie (Konjunkturprogramm) die Beschäftigung noch nicht total abstürzte. Im Forderungssortiment fehlt allerdings noch eine laute Stimme für den sofortigen Umbau der Automobil- und Zulieferindustrie aus der Erkenntnis heraus, dass ein Festhalten an überkommenen Strukturen die Niederlage nur etwas hinauszögert, der Aufprall dann aber um so härter sein wird. Nicht der Umbau der Industrie gefährdet die Arbeitsplätze, sondern das festhalten an überkommenen Produkten und die Konkurrenz selbst führen zur Liquidierung zehntausender Arbeitsplätze. So droht es Opel nun zu gehen, weil keine Perspektiven über die Automobilproduktion hinaus erwogen oder gar gefordert wurden. An diesem Beispiel erweist sich die zwingende Notwendigkeit, die Produktion an der gesellschaftlichen Nützlichkeit zu orientieren – und dafür auch seitens der Gesellschaft die Kosten zu tragen. Dies ist durchaus möglich, wenn die 4,5 Milliarden Euro nicht zur Profisicherung und zur Vernichtung von Arbeitsplätzen ausgegeben werden, sondern für den Umbau der Produktion, für die Umprofilierung und Qualifizierung der Beschäftigten. Für das Geld sollten die Beschäftigten von Opel die Chance bekommen, ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen.

Die Ansätze, Beschäftigung zu sichern und Entlassungen zu vermeiden sind richtig und Erfolg versprechend, wenn sie weiter ausformuliert, konsequent eingefordert und erkämpft werden:

- kontinuierliche Verkürzung der Arbeitszeit entsprechend den Produktivitätssteigerungen bis zur Schaffung von „kurzer Vollzeit“ als vorläufig neues Normalarbeitsverhältnis. Die entsprechende Losung könnte lauten: Halbzeit für alle!

- Staatliche Förderungen, Forderungen und Anreize zur Konversion der Automobilindustrie weit über andere Antriebstechniken hinaus; Konjunkturprogramme und Unternehmenskredite oder -bürgschaften sind an Veränderungen von Produkt und Produktion in Richtung „integrierte Mobilität“ zwingend zu binden.

- Demokratische Beteiligung der Belegschaften, der Regionen sowie der Nutzer_innen und Anspruchsberechtigten von Mobilität ist zu gewährleisten; der Profit darf nicht weiter im Mittelpunkt der Produktion stehen, sondern der Nutzen für die Menschen, die Menschheit, die Naturverträglichkeit und Nachhaltigkeit.

Mehr Fragen als Antworten

Die IG Metall und andere (z.B. Gruppen in Attac) beschäftigen sich in dieser Situation mit einer Reihe von Fragen, ohne schon ausreichend Antworten gefunden zu haben, deshalb auch ohne diese Antwort mit weiteren notwendigen Bündnispartnern abgestimmt zu haben. Diese Fragen sind u.a.:

- Wie kann ein solidarischer Ausweg aus dieser Krise gefunden werden? Wie kann der Strukturwandel solidarisch gestaltet werden; und was ist in diesem Zusammenhang „solidarisch“ – gegenüber Erwerbslosen, gegenüber den weniger entwickelten Ländern, gegenüber denjenigen, die schon von Klimaveränderungen bedroht sind?

- Wie kann dieser Strukturwandel gestalten werden, ohne dass viele Menschen auf dem Weg verloren gehen, „überflüssig“ werden? Wie kann also eine andere Produktion mit anderen Produkten gestaltet werden, wie kann eine Konversion dieser „Schlüsselindustrie“ betrieben werden, ohne industrielles und soziales Brachland zu hinterlassen?

- Wie kann verhindert werden, dass dieser Strukturwandel zu mehr Ungerechtigkeit und mehr sozialer Ungleichheit führt – und das nicht nur bezogen auf Ungleichheit in Deutschland, sondern weltweit?

- Wie kann erreichet werden, dass dieser Strukturwandel auf einen Weg des nachhaltigen, ökologisch vernünftigen Wirtschaftens führt, obwohl die Industrie / das Kapital nur an Maximalprofiten interessiert und orientiert ist und das Bewusstsein in den Belegschaften für notwendige Veränderungen nur sehr gering entwickelt ist?

- Wie kann das geringer werdende Volumen für Erwerbsarbeit gerechter verteilt werden? Kann bzw. muss dann nicht alle Arbeit (Leben erzeugende und bewahrende Arbeit wie Pflege-, Erziehungs- und Hausarbeit, Beziehungsarbeit, Bildungsarbeit, Eigenarbeit, ehrenamtliche Arbeit etc.) die bisher unbezahlt geleistet wird, ebenfalls anders verteilt werden?

An diesen Fragen arbeiten Gewerkschaften in verschiedenen lockeren, nicht sehr zielgerichteten und wirksamen Zusammenhängen. Denn für Gewerkschaften stehen tarifpolitisch die Themen Beschäftigungssicherung und Entgelterhöhung an vorderer Stelle und es ist bei weitem nicht klar, dass Beschäftigungssicherung und guter Lohn ohne den Umbau der Autoindustrie für immer weniger Menschen gesichert werden können bzw. umgekehrt: für immer mehr Menschen werden weder Beschäftigung noch Entgelt gesichert, wenn die Konversion unter demokratischer Beteiligung und Kontrolle nicht entschieden vorangetrieben wird! Vor diesem Hintergrund wäre eine neu begonnene Arbeitszeitdebatte ein eminent wichtiger beschäftigungspolitischer Beitrag.

Belegschaften und Betriebsräte brauchen konkrete
Unterstützung

Die Debatte im Sommer 2009 in Bochum hat bei Beteiligten mit kritischer Distanz, jedoch mit entwickelter Empathie zu folgenden Erkenntnissen geführt: Der Betriebsrat ist in dieser Situation mit der Bewältigung der Tagesaufgaben stark gefordert; dazu gehört die Beantwortung der Fragen der Beschäftigten, ob demnächst noch Autos gebaut werden bei Opel und in Bochum, ob das Entgelt bezahlt werden kann, ob das Urlaubsgeld zur Auszahlung kommt, wie die Kurzarbeit geregelt wird und vieles mehr. Mehr als ein Jahr dauert die Hängepartie, nicht nur die Nerven liegen blank, sondern teilweise machen sich Resignation und Fatalismus breit und gewinnen Überhand, wenn nicht gezielt dagegen an gearbeitet wird. Zur Beantwortung aller offenen Fragen muss der Betriebsrat mit Werkleitung, Unternehmensleitung, Gesamtbetriebsrat, Europäischem Betriebsrat und der IG Metall auf allen Ebenen reden und verhandeln, dann muss man sich innerhalb des Betriebsrates auf eine Linie zu diesen tagesaktuellen Problemen verständigen. Wahrlich keine leichte und vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe.

Die örtliche IG Metall war eher ratlos, was die Perspektive betrifft und schränkte bei dem als notwendig erachteten „Strukturwandel“ ein, dass man leider keinen Einfluss auf den Öffentlichen Verkehr habe, hoffte auf „Rettung“ durch die Politik, auf weitere Bürgschaften und Investitionen in neue Modelle von Astra, Zafira und dem Elektroauto Ampera. Allerdings seien das Handelungsfelder, bei denen die IG Metall keine Mitbestimmung habe. Der Standortkonkurrenz innerhalb von Opel und der Automobilindustrie wird nicht entgegengewirkt, indem die Rentabilität und kostengünstige Arbeitsorganisation des einen Werkes durch die IG Metall unterstrichen wird.[8]

Jedoch genau das liegt auf der Linie, die auf einer kaum beachteten so genannten „Autokonferenz“ der Hans-Böckler-Stiftung im März 2009 in Berlin beraten und veröffentlicht wurde. Die IG Metall wollte „Autos auf neue und sichere Bahnen lenken“[9]. Mehr und anderes war nicht zu erwarten, wenn Daimler-Vorstand Zetsche und der damalige Bundesminister Gabriel als Referenten vor 350 Betriebsräten eingeladen wurden. „Die Politik“ wurde aufgefordert, die „industriellen Kerne“ (Autoindustrie) mit Bürgschaften, Krediten und „öffentlicher Beteiligung“ oder „stiller Beteiligung“ (Huber bei der IAA) zu erhalten und die Entwicklung von Elektro-Autos durch „neue Verkehrskonzepte“ zu unterstützen.

Unterschiedliche Ansätze und Positionen in der Gewerkschaft scheinen sich gegenseitig zu paralysieren – die Konzernherren freut es, können sie doch ihren Krieg ohne gewerkschaftliches Störfeuer unbehelligt weiter führen zu Lasten der Belegschaften, der Standorte und der Zukunft.

Die Veranstaltung in Bochum hat einen Beitrag dazu geleistet, die Relevanz der Autoindustrie, des Strukturwandels bzw. des Umbaues der Autoindustrie für die Beteiligten, vor allem auch für Attac, deutlich zu machen. Es gibt jetzt eine größere Sensibilität für dieses Thema und deshalb auch eine größere Bereitschaft, Solidarität zu entwickeln, wenn es darauf ankommen wird. Diese Solidarität wird nicht unkritisch sein, weil ein „weiter so“ der Autoindustrie – womöglich dann eben nur ohne Opel – tatsächlich nur zu einer Verschärfung der Konkurrenz und der Umweltprobleme beitragen würde.

Arbeitszeitverkürzung und Branchenrat

Als konkrete Ansatzpunkte für Veränderungen werden vorgeschlagen:

Radikale Arbeitszeitverkürzung – am besten in der gesamten Branche, notwendiger Weise bei Opel in Europa, mindestens aber in Bochum.

Zum Entgeltausgleich schlagen wir vor, für all jenes Geld zu kämpfen, was Entlassungen auch kosten würden: Arbeitslosengeld, ausgefallene Steuer- und SV-Beiträge, eingesparte Sozialplankosten. Uns ist klar, dass diese Debatte schwierig ist, wenn ein Betrieb fast pleite ist und die Arbeitgeber – mal wieder – Arbeitszeitverlängerung auf die Tagesordnung setzen. Aber genau dem könnte und sollte die volkswirtschaftliche Vernunft von weiterer Arbeitszeitverkürzung bei steigender Produktivität entgegengesetzt werden.

Umbau (von Teilen) der Automobilindustrie unter
Berücksichtigung der ökologischen Herausforderungen

Wir gehen davon aus, dass dieses eine gesellschaftliche Aufgabe ist, die von einem (fast bankrotten) Unternehmen natürlich nicht gestemmt werden kann. Die Konzerne sind ohne großen öffentlichen Druck dazu ebenso wenig bereit wie die zurzeit Regierenden. Also schlagen wir vor, dass diejenigen, die diese notwendige Wende herbeiführen wollen, mit der Planung beginnen und dies öffentlich machen. Gewerkschaft, attac, BR’s, Mobilitäts- und Umweltverbände (BUND, VCD, „Bahn für alle“ etc.pp.) und Wissenschaft bzw. interessierte Leute aus diesen Bereichen setzen sich zusammen und beginnen mit einem „Branchenrat“, melden den qualifizierten Anspruch auf Mitbestimmung und demokratische Teilhabe bei den notwendigen strukturellen Veränderungen an. Bemerkenswert und – wenn es konkret angegangen wird – erfolgreich ist die Forderung nach einem „Branchenrat Automobile Zukunft“, auch deshalb weil sie vom Gewerkschaftsvorsitzenden Huber bei der IAA wiederholt und unterstrichen wurde[10]. Vielleicht kann in solchem Zusammenhang ein Investor für produktionsreif entwickelte Solarfahrzeuge gefunden bzw. geboren werden?

Denken ohne Geländer –
Mitbestimmung und gesellschaftliche Planung

Vom langfristigen Ziel her, von der Vision aus, müssen die nächsten Schritte abgeleitet werden; sie müssen kompatibel sein mit diesem Ziel, dürfen der Vision nicht zuwider laufen.

Innerhalb von attac, bei NGO’s wie VCD, ADFC, BUND haben wieder Diskussionen begonnen, in der Gewerkschaft gibt es wie beschrieben Ansätze einer notwendigen Debatte. Bei all diesen Debatten spielen soziale Aspekte eine gewichtige Rolle, aber ebenso wichtig sind ökonomische wie auch ökologische Gesichtspunkte. Thematisiert werden u.a. solche wichtigen Fragen:

- Welche Mobilität für wen? Für das Recht auf Mobilität ohne Ausschluss von ärmeren Menschen, Frauen, Migranten, den Menschen in wenig entwickelten Ländern; gegen den Zwang zur Mobilität durch Zersiedlung und räumliche Trennung von Arbeit und Leben.

- Wie können wir leben, ohne das Klima zu schädigen und Ressourcen zu verbrauchen, die auch künftige Generationen noch benötigen?

- Welche Wirkungen hat die Exportstrategie hier und anderswo auf der Welt, ist diese Strategie für die Menschen weiterhin vertretbar?

- Welche Verkehrsmittel und Verkehrsträger können / müssen zu einem integrierten Verkehrssystem entwickelt werden, welche neuen Verkehrsträger sind zu entwickeln und zu konstruieren?

- Wie kann die Qualifizierung / Umprofilierung der Beschäftigten in der „alten“ Automobil- und Zulieferindustrie bewältigt werden, welcher Zeitraum und welche Mittel sind dazu erforderlich?

- Wie kann eine Radikale Verkürzung der Arbeitszeit einhergehen mit einer gerechten Verteilung aller Arbeit auf globaler Ebene, wie kann „Halbzeit für alle“ bei uns in die Köpfe und in die Betriebe einziehen?

- Wie können wir die Kritik an der Werbe- und Verkaufsstrategie der Auto- und Energiekonzerne so formulieren, dass die Menschen ihre eigentlich menschlichen Bedürfnisse als wesentlich wahrnehmen, wie können wir also den Angriff der Konzernstrategien auf die Köpfe und die Sinne der Menschen abwehren?

- Wie sieht eine Kosten-/Nutzen-Analyse aus, wenn Automobilindustrie und Mobilitätsverhalten / Mobilitätserfordernisse derart umgebaut werden? Was kostet dieser Umbau und was wird gesamtgesellschaftlich eingespart / umgeschichtet, um ein besseres Leben zu ermöglichen?

- Wie können gute Beispiele für Verkehrsminderung und integrierte Verkehrssystem sowie wesentliche Stärkung des Fahrradverkehrs studiert und verallgemeinert werden (beispiele aus Zürich, den Niederlanden, der Gemeinde Bohmte (Shared Space) und anderen Beispielen auch der Regionalökonomie)?

- Wie können wir einen kollektiven Prozess für eine positive Utopie / Visionen gestalten, an dessen Ende vielleicht eine ganz andere Mobilität steht, als wir uns heute vorstellen können?

Viele offene Fragen, wahrscheinlich nicht mal vollständig; aber die Arbeit an diesen Fragen könnte der Anfang einer dringend notwendigen Debatte und Aktion sein, wenn der gemeinsamer Anspruch der Beschäftigten in den Betrieben umgesetzt werden soll, dass „wir“ nicht für die Krise zahlen wollen. Sicher gehört noch mehr dazu, aber für die jetzt ganz konkret Betroffenen bei Opel, Daimler, Ford und den vielen Zulieferbetrieben muss es konkrete Perspektiven geben – sonst kann der Kampf um eine neue Verkehrspolitik, um eine andere Produktion und gute Arbeit nicht gewonnen werden.

[1] Der Autor war lange Zeit Mitglied im Betriebsrat von VW in Wolfsburg, ist z.Zt. Mitglied im attac-Rat sowie im Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen.

[2] Winfried Wolf: 8,5 Mio. Beschäftigte weltweit; in: Weltwirtschaftskrise & Krise der Autoindustrie; Lunapark 21 Extra 02, Oktober 2009.

[3] Auto, Umwelt und Verkehr – Umsteuern, bevor es zu spät ist. Schriftenreihe der IG Metall; ohne Datum (1990), Redaktion: Gewerkschaftssekretär Horst Neumann – heute Personalvorstand der VW AG.

[4] F. Vester: „Ausfahrt Zukunft“, München 1990. Weitere Publikationen sind u.a. R. Doleschal/R. Dombois (HG), „Wohin läuft VW?“, Reinbek 1982; H. Buhmann et al, „Geisterfahrt ins Leere, Hamburg 1984; M. Muster/U. Richter: „Mit Vollgas in den Stau“; Hamburg 1990.

[5] Winfried Wolf: „Neues Denken oder Neues Tanken?“, Frankfurt / Main 1990.

[6] D. Goedevert: „Ökologische Verkehrssysteme- eine Zukunftsaufgabe der Automobilindustrie“ in der Dokumentation „Zukunft der Automobilindustrie – 2. Symposium der IG Metall Wolfsburg“ am 6./7.2.1990 im Congresspark Wolfsburg (Archiv des Autors).

[7] Die Ablösung von Goedevert und die Inthronisation von Piëch als jemand mit „Benzin im Blut“ und dem Porsche-Hintergrund mit Unterstützung der IG Metall sind Beispiele dafür.

[8] Positionspapier der IG Metall Bezirksleitung NRW, der IG Metall Bochum und des Betriebsrates von Opel Bochum vom Sommer 2009.

[9] direkt 5/2009, Infodienst der IG Metall.

[10] „Die IG Metall schlägt deshalb einen Branchenrat „Zukunft der Mobilität“ vor. Gemeinsam mit Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und auch Wissenschaft und Umweltverbänden müssen wir uns Gedanken über die Zukunft der Branche machen.“

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