Corona-Krise, Kapital und Politik in der Bundesrepublik

von Jörg Goldberg, André Leisewitz, Jürgen Reusch
September 2020

Das Jahr 2020 wird global und in Deutschland den tiefsten Produktionseinbruch nach dem zweiten Weltkrieg bringen. Darüber hinaus aber können derzeit weder über den weiteren Verlauf der Pandemie noch über die wirtschaftlichen Folgen dieser Krise zuverlässige Aussagen getroffen werden. Es zeichnen sich jedoch auf verschiedenen Gebieten Tendenzen ab, die die zukünftigen Auseinandersetzungen prägen werden. Dazu zählen die Folgen hegemonialer Verschiebungen, eine veränderte Rolle des Staates und eine Umverteilungsoffensive des Kapitals, mit welcher der krisen- und modernisierungspolitisch verursachte Druck auf die Renditen aufgefangen werden soll. Die folgenden drei Beiträge beleuchten diese erst in groben Umrissen sichtbaren Veränderungsprozesse.

Kapitalismus nach Corona: Vom Neoliberalismus zum Neoimperialismus?

Die von der Pandemie und den Gegenmaßnahmen ausgelöste aktuelle Krise besitzt sicherlich besondere Züge und ist in diesem Sinne einmalig. Analysiert man aber ihre mittelfristig wirksamen Ausdrucksformen, so ist festzustellen, dass viele der auftauchenden strukturellen Widersprüche nicht eigentlich neu sind. Auf vielen Feldern wirkt die Corona-Krise vielmehr wie ein ‚Brandbeschleuniger‘ von Widersprüchen, die schon in der Finanzmarktkrise von 2008 aufgebrochen waren und die in der konjunkturellen Belebung nach 2010 nicht gelöst werden konnten. Daher müssen die ‚Corona-Krise‘ und ihre Folgen immer auch im Kontext der Finanzmarktkrise 2008ff. analysiert werden.

Im Folgenden werden drei zentrale Widerspruchsfelder diskutiert, die älter sind als die Corona-Krise, durch diese aber erneut in den Mittelpunkt der Politik gerückt wurden. Es sind dies die marktgetriebene Globalisierung, die Finanzialisierung und die wirtschaftlichen Aspekte des Klimawandels.

Formwandel der Globalisierung

Zum 75. Geburtstag des Bretton Woods Systems im Juni 2019 machte sich das Organ des Internationalen Währungsfonds (IWF), Finance & Development, große Sorgen um die Zukunft des Welthandels: „Bedeutet der jüngste Anstieg des Protektionismus das Ende des offenen, regelbasierten Handelssystems, welches die Globalisierung vorangetrieben hat?“ fragt F&D (Goldberg, 20). Der Jubiläumsaufsatz behandelte ein Thema, das seit 2015 intensiv diskutiert wird: Wie erklärt sich die Tatsache, dass der an der Handelsverflechtung gemessene Internationalisierungsgrad, der bis zur Finanzkrise stetig zugenommen hatte, ins Stocken gekommen ist? Insbesondere der seit dem Einbruch 2010 stagnierende Handel mit Zwischenprodukten zeigt, dass die bis zur Finanzkrise zunehmende Arbeitsteilung im Kontext von internationalen Liefer-/Wertschöpfungsketten an Grenzen gestoßen ist. Die Corona-Krise hat die negative Seite der internationalen Arbeitsteilung ins öffentliche Bewusstsein gehoben: Versorgungsunsicherheit, die Fragilität globaler Lieferketten, Abhängigkeit von internationalen Zulieferern usw. bestimmten zeitweilig die wirtschaftspolitischen Debatten, die eine zumindest partielle bzw. auf ‚strategische‘ Produktionen orientierte ‚Renationalisierung‘ von Versorgungsketten forderten und für mehr nationale Vorratshaltung plädierten.

Diese Debatten wurden befeuert von internationalen Konflikten, die vor allem, aber nicht nur, eine angeblich drohende chinesische Übermacht skandalisierten. Allerdings hat die Corona-Krise die hegemonialen Konflikte lediglich zugespitzt: Entscheidend war die Finanzkrise von 2008, aus der „China … als der große Gewinner“ hervorgegangen war (Schmalz, 272). Wenn Henry Kissinger heute einen „zweiten Kalten Krieg“ heraufbeschwört (NZZ v. 13.7.2020), so ist anzumerken, dass es sich dabei nicht – wie beim Ost-West-Konflikt – um die Wiederauflage des Gegensatzes zwischen zwei Blöcken handelt: Heute gibt es viele relativ selbständige Akteure, die jeweils eigenständige Ziele und Interessen verfolgen. Dies gilt natürlich für Mächte wie Russland oder Indien, aber auch für den ‚Westen‘: Es spricht wenig dafür, dass sich die ‚Verbündeten‘ der USA in wirtschaftlichen Fragen der ‚Führungsmacht‘ einfach unterordnen werden1 – auch wenn der zukünftige US-Präsident nicht Trump heißen sollte.

Dies bedeutet nicht das Ende der Globalisierung. Es zeichnet sich aber ab, dass der internationale Wettbewerb und die internationale Arbeitsteilung stärker als vor 2008 bzw. 2020 von nationalen Interessen der Weltmarktakteure geprägt sein werden. Symptomatisch für den Formwandel der Globalisierung ist die Krise der WTO. In einer Analyse des Kieler Instituts für Weltwirtschaft von Dezember 2019 heißt es: „Die USA und vermutlich auch europäische Staaten hätten dem Beitritt Chinas (zur WTO im Jahre 2001) niemals zugestimmt, wenn sie damals gewusst hätten, dass das Land sie binnen eines Vierteljahrhunderts hinsichtlich der gesamten Wirtschaftskraft überholen könnte und dabei auf einen ganz anderen, rivalisierenden Gesellschaftsentwurf setzt. Spätestens seit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2009 hat China aufgehört, sein Wirtschaftssystem dem westlichen Modell anzugleichen.“ Die Krise 2020 und deren Bewältigung hat diesen Eindruck verfestigt, zumal China auch dieses Mal besser abzuschneiden scheint als der ‚Westen‘. Die Krise der WTO ist zugleich die Krise eines Welthandelssystems, das auf der regelsetzenden Vormacht der USA basierte: Nur unter diesen Bedingungen konnte der Anschein entstehen, als handele es sich bei der Globalisierung um einen offenen, marktgetriebenen Prozess. Als Bill Clinton im Jahre 2000 den Beitritt Chinas feierte, da war dies mit ganz bestimmten Erwartungen verbunden: „Mit dem Eintritt in die Welthandelsorganisation stimmt China nicht nur zu, mehr unserer Produkte zu importieren. China importiert auch einen demokratischen Wert, der hochgepriesen wird: die ökonomische Freiheit.“ (NZZ v. 30.7.2020) Freie Märkte, d.h. „der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ (MEW 23, S, 765), so die Erwartungen im ‚Westen‘, würden die wirtschaftliche und technologische Vormacht der transnationalen Konzerne des Westens festigen und China und andere Länder des Südens dauerhaft in ihrer Rolle als ‚verlängerte Werkbank‘ bzw. als Rohstofflieferanten festhalten. Dies ist nicht eingetreten. „Die Werkbank wandelt sich zum Wissens-Hub“ titelt ein Beitrag, der beschreibt, in welchem Tempo China technologisch aufholt (NZZ v. 29.7.20). Silicon Valley muss erleben, wie digitale Plattformen aus China Amazon & Co ernsthaft Konkurrenz zu machen beginnen. ‚Marktfreiheit‘ reicht ganz offensichtlich nicht aus, um die Dominanz der ‚westlichen‘ Konzerne zu sichern. Damit steht und fällt einer der Pfeiler des Neoliberalismus. Insofern läutet die Krisenperiode 2008/2020 eine neue Form der Internationalisierung ein, in der unterschiedliche strategische Interessen großer nationaler Akteure die Richtung bestimmen und die systematisch mit nicht-ökonomischen Mitteln durchgesetzt werden. Der erwähnte Jubiläumsartikel des IWF konstatiert, dass der der WTO ursprünglich zugrunde liegende Gedanke eines nach einheitlichen, marktbasierten Regeln ablaufenden Welthandels obsolet geworden ist, weil „die zunehmende Ungleichheit zwischen den fortgeschrittenen Ländern (nicht bloß im Verhältnis zu China, JG.) zur Entstehung eines Umfelds beigetragen hat, in dem Protektionismus gefördert wenn nicht sogar erforderlich geworden ist.“ (ebd. 22) Statt des auseinanderfallenden multilateralen Regelwerks plädiert der IWF für einen „Plurilateralismus“ (Goldberg, 23), d.h. Regeln, die nur für jene Marktteilnehmer gelten, die sich jeweils aktiv darauf einigen. Im Ergebnis entstünden Blöcke, die multilaterale, d.h. für alle Handelspartner geltende Regeln überlagern. Damit wird Tür und Tor für protektionistische Maßnahmen geöffnet, die gezielt gegen bestimmte Länder bzw. regionale Blöcke eingesetzt werden können, um wirtschaftliche und politische Interessen durchzusetzen. Man könnte dies auch als Neoimperialismus bezeichnen.

Finanzialisierung und Industriepolitik

Die Finanzmarktkrise 2008 war eine Folge der Finanzialisierung der Weltwirtschaft und hat diese gleichzeitig vorangetrieben. Lag die globale Verschuldung vor 2008 bei etwa 280 Prozent der Weltproduktion (168 Billionen US$), so stieg sie bis Ende 2019 auf 322 Prozent (255 Billionen). Covid-19 wird den Verschuldungsgrad auf allen Ebenen nochmals „raketenhaft“ (IIF) ansteigen lassen. Im Global Financial Stability Report des Bankeninstituts IIF v. Juni 2020 heißt es: „Inmitten gewaltiger Unsicherheiten haben sich die Finanzmärkte von der Entwicklung der Realwirtschaft losgelöst, was die wirtschaftliche Erholung bedrohen könnte, wenn sich der Risikoappetit der Investoren abschwächt.“ Ausdruck dieser Loslösung sind überschuldete Unternehmen, boomende Finanz- und Immobilienmärkte und Zinsen nahe Null bei stagnierenden Realinvestitionen. Die Corona-Krise hat die Grundproblematik der neoliberalen Phase des Kapitalismus akzentuiert: Während die Realwirtschaft einen tiefen Einbruch erfährt, erreichten die Finanzmärkte – nach kurzem Einbruch – neue Rekordstände. Gleichzeitig sind die realen Investitionen, deren Niveau schon im vorangegangenen Jahrzehnt niedrig geblieben war, erneut eingebrochen. Eine „Exit-Strategie“ aus dieser widersprüchlichen Situation zeichnet sich nicht ab: Zwar sei aktuell eine „lockere Geld- und Finanzpolitik“ angebracht, um Liquiditätskrisen zu verhindern, langfristig aber könnte „die Verlängerung der ultra-lockeren Geldpolitik … zu noch größeren Schuldenungleichgewichten und Vermögens/Einkommensunterschieden führen“ (IIF). Ohne gezielte Wachstumspolitik, das hat die Periode nach 2008 deutlich gezeigt, kann dieser Widerspruch nicht gelöst werden.

Sowohl im Kontext der verschärften und zunehmend politisch ausgetragenen internationalen Konkurrenz als auch der Finanzialisierung wächst daher seit einiger Zeit der Stellenwert staatlicher Industriepolitik. Gemeint ist eine Politik, deren Gegenstand der gesamte Unternehmenssektor ist, nicht bloß die Industrie (SVR, Ziffer 248). Unterschieden wird zwischen „horizontaler“ und „vertikaler“ Industriepolitik, wobei erstere sektorunabhängig ist und nichts anderes meint als unterschiedslose Begünstigung der Privatwirtschaft. Die vom SVR beklagte „begriffliche Unklarheit“ bei der Diskussion über Industriepolitik ist beabsichtigt: So kann jede kapitalfreundliche Wirtschafts- und Sozialpolitik der Öffentlichkeit als Modernisierungs- und Wachstumspolitik verkauft werden. Dies ist nicht neu. Im Folgenden geht es ausschließlich um „vertikale Industriepolitik“, d.h. um die gezielte Förderung bestimmter Sektoren und Unternehmen (ebd., Ziffer 267 ff.). Forderungen nach Industriepolitik in diesem Sinnen sind ebenfalls nicht völlig neu, schon die Vereinbarung der Großen Koalition von 2013/2014 hatte „Schlüsselindustrien“ identifiziert (vgl. Z, März 2014, 154), die staatlich besonders gefördert werden sollten.

Die Corona-Krise aber hat in fast allen Ländern die gezielte staatliche Förderung vor allem zukunftsrelevanter Wirtschaftszweige verstärkt auf die Tagesordnung gesetzt, wobei sowohl die mit unzureichenden Realinvestitionen und niedrigem Produktivitätswachstum verbundene Finanzialisierung als auch der Formwandel der Globalisierung eine Rolle spielen (s. Beitrag von Leisewitz).

In Deutschland hatten Unternehmerverbände im Herbst 2019 eine staatliche „Investitionsoffensive“ gefordert, ‚schwarze Null‘ und Schuldenbremse galten nun als Entwicklungshemmnis: „…die Schuldenregeln im Grundgesetz (sollten) um eine goldene Regel erweitert werden, die eine Kreditaufnahme im Umfang der Nettoinvestitionen erlaubt“, hieß es in einem von BDI und DGB gemeinsam initiierten Gutachten des unternehmernahen IW und des gewerkschaftsnahen IMK (IMK, 11). Hintergrund waren die Rezessionstendenzen des Jahres 2019, die insbesondere die industrielle Produktion betroffen hatten. Mehr öffentliche Investitionen galten nun nicht mehr – im Sinne des crowding-out(Verdrängungs-)Effekts – als schädlich für private Investitionstätigkeit, sondern ganz im Gegenteil als komplementär: Öffentliche Investitionen erhöhen demnach die Produktivität privater Kapitalanlagen (ebd., 4), sind eine Voraussetzung für verstärkte private Investitionstätigkeit.

Schon 2016 hatte der BDI in einem Gutachten die Notwendigkeit einer verstärkten staatlichen Industriepolitik mit zu geringen gesamtwirtschaftlichen Investitionen begründet: „Das schwächelnde Produktivitätswachstum ist zu einem Teil jedenfalls auf die wenig dynamische Investitionstätigkeit zurückzuführen.“ (BDI, 7). Auch wenn die Darstellung in besagtem Papier empirisch nicht ganz überzeugen kann, so ist entscheidend, dass der BDI hier für eine „konsequente Industriepolitik auf allen Ebenen“ eintritt. Auch wenn damals noch die Forderung nach mehr öffentlichen Investitionen und allgemeinen besseren „Rahmenbedingungen“ für die Privatwirtschaft (im Sinne „horizontaler Industriepolitik“) im Vordergrund stand, wurde schon hier deutlich, dass der BDI sich mehr staatliche Eingriffe wünscht, vor allem zur Förderung von Forschung und Entwicklung und des Außenhandels. Es ist kaum zu erwarten, dass öffentliche Sparpolitik im Sinne des neoliberalen Dogmas vom ‚schlanken Staat‘ nach Corona wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatten rücken wird – womit allerdings nicht die Rückkehr des „keynesianischen Paradigmas“ in seiner wohlfahrtsstaatlichen Form (Grunert/Tobergte, 4) gemeint ist. Angesichts wachsenden Drucks auf Kapitalrenditen und erhöhter Anforderungen an Modernisierungsinvestitionen dürfte der Umverteilungsdruck zunehmen (s. Beitrag von Reusch).

Klimaerwärmung und Modernisierung

Nur kurzzeitig schien es, als trete der die politischen Debatten vor Corona prägende Klimawandel in den Hintergrund. Tatsächlich hat die Corona-Krise einige jener Wirtschaftszweige besonders getroffen, deren ‚traditionelle‘ Geschäftsmodelle schon vorher als klimapolitisch obsolet galten: Die Automobilindustrie, die Energiewirtschaft, den Verkehrssektor, die Landwirtschaft und den Tourismus, Sektoren, die Hauptverursacher klimaschädlicher Emissionen sind. Wie u.a. die Diskussion über Kaufprämien für PKW gezeigt hat, haben sich jene Kräfte, die den Strukturwandel der Automobilindustrie vertagen wollten, nicht durchsetzen können. Es scheint vielmehr, als würde die Corona-Krise ohnehin anstehende Modernisierungsprozesse beschleunigen, wobei auch die Klimaproblematik eine Rolle spielt. Da klar ist, dass diese nur im Kontext intensiver staatlicher Fördermaßnahmen gelingen können, entfaltet sich ein scharfer internationaler Wettbewerb um technologische Spitzenpositionen und um die Fähigkeit, dabei internationale Regeln setzen zu können. Ein Beispiel dafür ist das europäische Projekt Gaia-X, das europäische Unternehmen von den Cloud-Leistungen der bislang dominierenden US-amerikanischen Plattformgesellschaften unabhängiger machen soll (NZZ v. 30.6.20). Eine zentrale Stellung im Wettlauf um technologische Spitzenpositionen, nicht selten auch mit der Notwendigkeit des Übergangs zu klimafreundlicheren Produktions- und Konsumtionsformen begründet, nimmt die 2015 gestartete chinesische Initiative „Made in China 2025“ ein. China versucht so, seine immer noch relativ niedrige Position in globalen Wertschöpfungsketten zu verbessern. Dies wird im ‚Westen‘ als „echte existentielle Bedrohung für die Technologieführerschaft der USA“ gewertet (Council on Foreign Relations) und entsprechend bekämpft.

Tatsächlich verweist die zunehmende internationale Konkurrenz um wirtschaftliche und technische Spitzenpositionen im Kontext der Klimakrise aber auf ein Grundproblem: Wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen der Klimaerwärmung erfordern mehr statt weniger globale Kooperation. In dem Maße, wie die ökonomischen Hauptakteure sich von multilateralen Vereinbarungen abwenden und im Sinne des oben erwähnten „Plurilateralismus“ Blöcke bilden, die sich bekämpfen, rücken international abgestimmte Politiken in der Klimafrage in weite Ferne: Unter kapitalistischen Bedingungen ist der Umbau der Wirtschaft im Sinne eines ‚grünen Kapitalismus‘ (mehr ist gegenwärtig kaum zu erwarten) nicht vom Kampf um technologische Spitzenpositionen zu trennen.

Literatur

BDI: Industriepolitik Dossier, Produktivitätswachstum in Deutschland. Wege aus der Sackgasse, November 2016

Council on Foreign Relations: Why Does Everyone Hate Made in China 2025? New York/Washington DC., March 2018

Felbermayr, Gabriel: 25 Jahre WTO – Ursachen des Zerfalls und Reformvorschläge für die Zukunft, Institut für Weltwirtschaft, Kiel Focus, 12/2019

Goldberg, Pinelopi Koujianou: The Future of Trade, in: Finance & Development, June 2019

Grunert, Günther/Tobergte, Walter: Warum der Neoliberalismus mit aller Macht zurückkehren wird, in: Makroskop. Magazin für Wirtschaftspolitik, 10.7.2020

IIF, Institut of International Finance: Global Debt Monitor, 6. April 2020

IMK: Report 152, Für eine solide Finanzpolitik. Investitionen ermöglichen, November 2019

Schmalz, Stefan: Machtverschiebungen im Weltsystem, Frankfurt/New York 2018

SVR, Sachverständigenrat zur Begutachtung der Gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2019/2020: Den Strukturwandel meistern, Bonn 2019

Jörg Goldberg

Staat und Kapital in der Corona-Krise

In der Corona-Krise verflechten sich konjunkturelle und strukturelle Krisenprozesse mit dem durch den globalen, pandemiebedingten Lockdown ausgelösten Stocken und partiellen Zusammenbruch von internationalen Lieferketten und Absatzmärkten.1 Der erneute konjunkturelle Einbruch nach der Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008/2009 deutete sich bereits im letzten Jahr an. Alle Versuche, den Herausforderungen der Klimakrise mit „marktwirtschaftlichen“ Methoden und begrenzter staatlicher Regulierung zu begegnen („Dekarbonisierung“, Green New Deals), sind mit weitreichenden Konzernumstrukturierungen in Schlüsselbranchen wie der Energiewirtschaft oder der Autoindustrie verbunden, haben die Klima-Krise bisher aber nicht entschärfen können. Zugleich zeichnet sich ab, dass der starke Internationalisierungs- oder Globalisierungsschub der Weltwirtschaft sich abschwächt und neue geopolitische Konflikte heraufziehen. Insgesamt also eine durch ökonomische, ökologische und politische Verwerfungen geprägte Krise der besonderen Art.

Der Staat – Bundesregierung, Parlament, nachgeordnete Behörden, Länder und Kommunen – hat auf den sich abzeichnenden Einbruch der Wirtschaft seit März d.J. mit verschiedenen Instrumenten reagiert. Handelt es sich hierbei um reine konjunkturpolitische Maßnahmen – Umschalten auf keynesianische Nachfragestimulierung und Absicherung krisengefährdeter Unternehmen –, oder spielen, wie schon seit längerem verschiedentlich angekündigt, auch andere industriepolitische Zielsetzungen dabei eine Rolle? Für die Debatte darüber, was nach der Krise kommt, ob alles so bleiben wird wie vorher oder ob sich Veränderungen im Reproduktionsprozess andeuten, lohnt es sich, dieses Antikrisenprogramm etwas genauer anzusehen.

I.

(1) Als eine der ersten Maßnahmen wurde Mitte März der Zugang zu Kurzarbeitergeld erleichtert. Damit wurden die Unternehmen von einem Teil der Lohnzahlungen einschließlich Lohnnebenkosten zu Lasten der paritätisch finanzierten Sozialversicherungskasse der Bundesagentur für Arbeit (BA) entlastet. Die Zahl der Kurzarbeitenden stieg von März bis Mai (letzte Daten) von 2,5 auf 6,7 Mio. (Höchststand während der Finanz- und Weltwirtschaftskrise im Mai 2009: 1,44 Mio.). Die mit knapp 26 Mrd. Euro angegebenen Rücklagen der BA werden nicht ausreichen, so dass staatliche Zuschüsse (für 2020 momentan geschätzt: 5 Mrd. Euro) notwendig werden. Das Interesse der Unternehmen an Kurzarbeit liegt auch darin, dass sie bei Wiederbelebung der Auftragslage ihre Arbeitskräfte zur Hand haben, was einen Konkurrenzvorteil bedeuten kann. Für die Belegschaften ist die zumindest zeitweilige Sicherung ihres Arbeitsplatzes durch Kurzarbeit trotz der Lohnverluste natürlich existenziell wichtig. Es gelang auch, Aufstockungen des Kurzarbeitergeldes durchzusetzen.

(2) Zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise durch Bereitstellung von Krediten für kleine und mittlere wie auch Großunternehmen richtete die dem Finanzministerium nachgeordnete Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in der zweiten Märzhälfte ein mit „unbegrenzten Mitteln“ ausgestattetes KfW-Sonderprogramm 2020 ein. Nach Auskunft der KfW waren hier bis Anfang August rd. 75 Tsd. Anträge mit einem Kreditvolumen von rd. 51 Mrd. Euro bearbeitet worden (incl. des im April eingerichteten Zusatzprogramms „KfW-Schnellkredit“). Der unter der Regie vom Finanz- und Wirtschaftsministerium eingerichtete Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) ist als „Schutzschirm“ für Großunternehmen der Realwirtschaft konzipiert (Unternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten, einer Bilanzsumme über 43 Mio. Euro und einem Umsatz von mehr als 50 Mio. Euro). Er soll bei einem Gesamtvolumen von 600 Mrd. Euro staatliche Bürgschaften (400 Mrd.), direkte Beteiligungen des Staates an Unternehmen (100 Mrd.) sowie deren Refinanzierung durch die KfW (100 Mrd.) ermöglichen. Bis Anfang August hatten hier nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums rd. 50 Großunternehmen Interessen angemeldet, wobei der bisher einzige Beteiligungsfall der Einstieg des Bundes bei der Lufthansa mit rd. 9 Mrd. Euro ist.2

(3) Schließlich legte die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise auf, das sie selbst als „beispiellos“ und „umfassend“ bezeichnet. In der Presse wurde es als „historische Wende“ oder „Paradigmenwechsel“ apostrophiert. (SZ v. 4.6.2020; Der Spiegel, 5.6.2020) Das Programm, dessen Details in einem „Eckpunktepapier“3 vom Koalitionsausschuss am 3. Juni vereinbart wurden, sieht die Mobilisierung von 130 Mrd. Euro in 2020 und den folgenden Jahren vor, um „mit voller Kraft aus der Krise zu kommen, die Konjunktur anzukurbeln und die Zukunftsfähigkeit des Landes zu stärken“. Der Bundeshaushalt wurde durch zwei Nachtragshaushalte im März und im Juli um rd. 40 Prozent von 362 auf 509 Mrd. Euro aufgestockt.

II.

Außer Frage steht, dass hier die ökonomische Potenz des Staates in konzentrierter Weise zur Krisenbekämpfung eingesetzt wird. Das war aber auch mit den beiden „Konjunkturpaketen“ in der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 und 2009 intendiert, deren Volumen bei rd. 187 Mrd. Euro oder 3 Prozent des BIP lag.4 Das Konjunkturprogramm 2020 macht, gemessen am BIP von 2019, etwa 3,8 Prozent aus; „beispiellos“ ist es also nicht. Den Konjunkturpaketen von 2008 und 2009 folgte 2010 ein Sparpaket, mit dem bis 2014 rd. 80 Milliarden Euro eingespart werden sollten, insbesondere im Sozialetat. Man wird sehen, ob das nach Corona erneut der Fall sein wird; der Druck wird jedenfalls schon jetzt sowohl auf kommunaler und Länder-Ebene wie auf der des Bundes aufgebaut.5

Das aktuelle Konjunkturprogramm setzt sich im Wesentlichen aus zwei Blöcken zusammen: einem „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ und einem „Zukunftspaket“.

(1) Die größten Posten zwecks Konjunkturstabilisierung sind mit 25 Mrd. Euro einkalkulierte „Überbrückungshilfen“ für kleine und mittlere Unternehmen“ (finanziert aus nicht ausgeschöpften Mitteln des ersten Nachtragshaushalts), die Senkung der Mehrwertsteuer (20 Mrd. Euro Finanzbedarf), die Senkung der EEG-Umlage zum Ausbau der Erneuerbaren Energien zwecks „wettbewerbsfähiger Strompreise“ (11 Mrd.) und als weitere Unternehmensentlastung gedachte Zuschüsse zu den Sozialversicherungen (um eine Steigerung der Lohnnebenkosten zu verhindern, 5,3 Mrd.) – insgesamt in erster Linie Stützung der selbständigen Mittelschichten und Unternehmenssubventionierungen; die Mehrwertsteuersenkung wird, wie erste Umfragen zeigen, nur z.T. an die Endkonsumenten weitergegeben. Dazu kommen diverse steuerrechtliche Maßnahmen, die durch Verschiebung von Steuerterminen, das Vorziehen von Verlustvorträgen oder die Erleichterung von Abschreibungen den Unternehmen teils Steuern in Milliardenhöhe sparen, teils Liquidität sichern sollen. Für die nächsten Jahre geplante Investitionen des Bundes in Höhe von 10 Mrd. Euro (für Rüstung, „Sicherheit“ und Digitalisierung der Verwaltungen) sollen zur Belebung der Nachfrage sofort getätigt werden. Eine Verschiebung innerhalb des Staatsapparates stellt die Kompensation von Steuer- und sonstigen Einnahmeausfällen (wie z.B. bei Fahrgeldern des ÖPNV) der Länder und Kommunen durch den Bund in Höhe von 13 Mrd. Euro dar.

(2) Das sog. „Zukunftspaket“ wird mit über 50 Mrd. Euro beziffert. Es ist im Vergleich zu den „Zukunftsinvestitionen der öffentlichen Hand“, die in den beiden Konjunkturpaketen von 2008/2009 mit 16 Mrd. Euro vorgesehen waren, deutlich größer dimensioniert. Das entspricht der stärkeren Krisenbetroffenheit der Gesamtwirtschaft, insbesondere im produktiven Sektor, und setzt in Teilen einen „industriepolitischen“ Akzent.

III.

Worum geht es bei diesem sog. „Zukunftspaket“ im Einzelnen?

(1) Mit annähernd 10 Mrd. Euro sollen in der Corona-Krise offenkundig gewordene Versäumnisse und Defizite des Gesundheitswesens und der Pharma-Industrie (Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten mit Pandemiepotenzial) ausgebügelt werden: Personelle, technische, organisatorische Auf- und Ausrüstung von Gesundheitsämtern (4 Mrd. Euro); Investitionsförderung für Modernisierung und „effizienten Ressourceneinsatz“ im Krankenhaussektor (3 Mrd. Euro); Förderung der „inländischen Produktion wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte“, der 2017 gegründeten Forschungsplattform CEPI6 und der Corona-Impfstoffentwicklung in Deutschland (1,75 Mrd. Euro); Bevorratung von medizinischen Schutzausrüstungen (1 Mrd. Euro).

(2) Das „Zukunftsprojekt“ orientiert sich ansonsten weitgehend an den Absatz-, Produktions-, Forschungs- und allgemeinen Infrastrukturinteressen der Wirtschaft und, im engeren Sinne, einzelner Branchen. Der größte Block betrifft hier mit 15 Mrd. Euro die Förderung des Ausbaus der digitalen Infrastruktur, der Informationstechnologien und künstlichen Intelligenz. Über 2 Mrd. Euro gehen in die Förderung von Forschung und Entwicklung (u.a. steuerliche Forschungszulage). Auch wenn die Automobilindustrie die von ihr verlangte, ökologisch „begrünte“ Abwrackprämie nicht bekommen hat, geht sie keineswegs leer aus. Mit rd. 8 Mrd. Euro wird der Absatz von Elektrofahrzeugen in verschiedener Form subventioniert. Die Deutsche Bahn erhält angesichts ihrer Einnahmeausfälle 5 Mrd. Euro für weitere Modernisierung. Mit je 1 Mrd. Euro werden ökologisch begründete Modernisierungsvorhaben im Luftverkehr (CO2-ärmere Flugzeuge) und im Bereich der Schifffahrt unterstützt.

(3) Schließlich entfallen rd. 9 Mrd. Euro auf die „Nationale Wasserstoffstrategie“. Dabei wird im Eckpunkte-Papier vollmundig angekündigt, „Deutschland bei modernster Wasserstofftechnik zum Ausrüster der Welt“ zu machen. Wasserstoff als Energieträger und -speicher (u.a. Brennstoffzelltechnik) soll „ein zentraler Bestandteil unserer Dekarbonisierungsstrategie“ werden.7 Gefördert werden soll die Entwicklung entsprechender Produktionsanlagen für Wasserstoff (Elektrolyse-Kapazität bis 2030 von 5 Gigawatt Gesamtleistung einschl. der dafür erforderlichen Offshore und Onshore-Energiegewinnung). Diese Produktionsanlagen könnten „grünen“ Wasserstoff auf Basis von Öko-Strom im Umfang von maximal 14 TWh liefern, bei einem prognostizierten inländischen Bedarf von 90-110 TWh. Der Rest müsste importiert werden, weswegen das „Zukunftspaket“ neben 7 Mrd. Euro auch 2 Mrd. für „außenwirtschaftliche Partnerschaft“ mit potentiellen Wasserstofflieferanten wie z.B. Marokko vorsieht.

(4) Einer der Interessenten für „grünen“ Wasserstoff ist die deutsche Stahlindus-trie. Sie ist Emittent von gut 30% der industriellen CO2-Emissionen der Bundesrepublik und stöhnt unter dem Konkurrenzdruck insbesondere der chinesischen Stahlproduktion. Das „Handlungskonzept Stahl“ der Bundesregierung8 setzt auf CO2-freie Stahlproduktion auf Basis von Direktreduktion mit „grünem“ Wasserstoff. Die Umrüstungskosten der 70 in der BRD noch vorhandenen Hochöfen werden von der Branche auf rd. 30 Mrd. Euro geschätzt (3 Prozent des jährl. Umsatzes), davon bis 2030 10 Mrd. Das „Handlungskonzept“ bezweifelt, ob die Branche das stemmen kann, geschweige denn die Entwicklungskosten. Keine der zumindest grundsätzlich an einer solchen Umstellung interessierten Branchen (Energiewirtschaft, Auto, Stahl, Chemie usw.) ist dazu in der Lage.

(5) Insofern macht sich trotz aller neoliberaler Bekenntnisse auch in dem Corona-Konjunkturprogramm der Zwang geltend, die Umverteilungsmechanismen des Staates einerseits zur Krisenabdämpfung und andererseits als – privatmonopolistisch gesteuerte – Entwicklungspotenz für Produktivkraft- und Technologieentwicklung in Anspruch zu nehmen.9 Im Fall der Wasserstoff-Strategie übersteigt das auch die Möglichkeiten des bundesdeutschen Kapitals und soll zur Mobilisierung von EU-Ressourcen in etwa zehnfacher Dimension führen. 10

André Leisewitz

Wie weiter nach Corona? Gewerkschaften und Klimabewegung

Die Corona-Krise und die politischen Gegenmaßnahmen wirken wie ein Brandbeschleuniger auf Krisenprozesse, die es in Ansätzen auch schon vorher gab und die sehr viel tiefer reichen als eine „normale“ Konjunkturkrise. Wir haben es mit strukturellen Umbrüchen zu tun, die auch die konjunkturelle Belebung nach der Finanzmarktkrise von 2008ff. nicht beheben konnte und die jetzt voll aufgebrochen sind (s. den Beitrag von Goldberg). Oberflächlich gesehen ist mit den wirtschaftlichen Einbrüchen der Corona-Krise das Thema Klimawandel und Klimapolitik ein Stück in den Hintergrund getreten. Dieser Eindruck täuscht. Die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Krise hängen eng mit der Klimakrise zusammen. Die Klimakrise macht keine Pause, bis die Wirtschaft wieder in Schwung gekommen ist. Derzeit haben wir es mit dem tiefsten Produktionseinbruch seit dem zweiten Weltkrieg zu tun, gleichzeitig aber auch mit einer Verschärfung der Klimakrise, weil viele Länder unter den Coronafolgen leiden und Maßnahmen zur ökologischen Stabilisierung zunächst ausbleiben oder zurückgestellt werden.

Sozialpolitischer …

In der Corona-Krise agiert die staatlich administrative Ebene des Bundes in der Hauptsache als Wahrer gesamtkapitalistischer Interessen. Soziales und ökologisches Krisenmanagement ist in diesem Kontext zwar von Belang, ist aber eine abhängige Variable. Stabilisierung und Belebung der Wirtschaft haben Vorrang, alles andere ist nachgeordnet.

Unter den politischen und wirtschaftlichen „Eliten“ sind Debatten über den richtigen Weg aus der Krise entbrannt, in der die Akzente teilweise kontrovers gesetzt werden. Was das Soziale betrifft: Vor allem die mächtige Exportwirtschaft nutzt die Debatte über Auswege aus der Corona-Krise, um massiv Interventionen im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu fordern. Diese schließen ein radikales sozialpolitisches Rollback ein.

Für die einflussreiche Exportwirtschaft hat „Gesamtmetall“, der Kapitalverband der Metall- und Elektroindustrie die Extremposition unumwunden formuliert.1 Der Katalog der Forderungen ist umfassend und schließt „olle Kamellen“ ein, weil die Gelegenheit doch günstig ist. Bereits beschlossene sozialpolitische Maßnahmen sollen zurückgenommen, geplante gar nicht erst umgesetzt werden: Weg mit Grundrente, Rente mit 63, paritätischer Finanzierung der Krankenkassen, Absicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, weg mit Einschränkung von Befristungen und bei Leiharbeit, weg mit Dokumentationspflichten bei Überwachung des Mindestlohns. Ein lange gehegter Wunsch ist auch dabei: Das Arbeitszeitgesetz soll flexibilisiert, Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit und ununterbrochenen Ruhezeit sollen aufgeweicht werden. Zudem sollen Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei Einstellungen (§ 99 Betriebsverfassungsgesetz) geschleift, Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung nicht etwa reguliert, sondern weiter dereguliert werden. Weiterhin kein Recht auf Homeoffice. Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte beim Arbeits- und Gesundheitsschutz, beim Kündigungsschutz und beim Datenschutzrecht seien zu „überarbeiten“. IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban bezeichnet das Gesamtkonzept als „Schuss mit der Schrotflinte auf den Wohlfahrtsstaat“.2

In der Sache ähnlich, jedoch verbindlicher in der Diktion und mit dem Anspruch, für die gesamte „Wirtschaft“ zu sprechen, machte „Arbeitgeber“-Präsident Ingo Kramer den Wunschkatalog auf: Notwendig sei ein „Belastungsmoratorium für die deutsche Wirtschaft“. Vorhaben des Koalitionsvertrags wie die „Eindämmung befristeter Beschäftigung“ oder das gesetzliche „Recht auf Homeoffice“ seien zurückzustellen. Werkverträge seien weiterhin „für die gesamte Wirtschaft unverzichtbar“ (FR v. 6. 7. 2020). Kramer distanzierte sich aber von „branchenspezifischen Wünschen“ wie der von den Automobilherstellern favorisierten Abwrackprämie. Wichtiger sei eine „Konjunkturstimulanz ohne Geld“. An anderer Stelle hatte Kramer bereits den Verzicht auf die „Grundrente“ und eine „Streckung anstehender Rentenerhöhungen“ gefordert. Generell sprach er sich dafür aus, die seit der Corona-Krise angeblich nicht mehr finanzierbaren Sozialleistungen der öffentlichen Hand zu überprüfen, um den Sozialstaat erhalten zu können. Das werde „nicht ohne Kontroversen gehen“. (faz-net, 27.7.2020)

… und ökologischer Rollback

In der Ökologiefrage verlaufen die Debatten ähnlich. Bundeskanzlerin Merkel unterstützte beim so genannten Petersberger Klimadialog im Mai 2020 die Ziele der EU-Kommission. Demnach soll der CO2-Ausstoß in der EU bis 2030 (gegenüber 1990) um 50 bis 55 Prozent reduziert werden. Das ist das Kernstück des „Green Deal“ von Kommissionspräsidentin von der Leyen. Bisher galten 40 Prozent als Zielmarke; der „Green Deal“ würde die Vorgaben also verschärfen. In dem 2019 ausgearbeiteten Konzept stecken zwar Zugeständnisse an den Klimaschutz, aber, so der Tenor kritischer Einwände: Der Plan – so er denn realisiert würde – sei zu vage, zu unverbindlich, nicht ausreichend und vor allem eingebunden in eine Strategie des Vorrangs des Wirtschaftsstandorts EU, die von überholten Wachstumsvorstellungen ausgehe3: ein maßgeblich von deutschen Interessen geprägtes Weltmarktbeherrschungskonzept im Gewand des Klimaschutzes.

Ähnlich wie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik hindert das maßgebliche Kräfte in der Industrie und der Unionsfraktion nicht daran, mehr Deregulierung zu fordern. Die EU-Vorgaben sollen im Interesse von noch mehr Wettbewerbsfähigkeit aufgeweicht werden. Vertreter verschiedener Wirtschaftsverbände, darunter auch des BDI, machen sich unter dem Vorwand der Corona-Krise dafür stark, die Ziele des Green Deal abzuschwächen oder zu strecken, noch bevor der Deal überhaupt begonnen hat.4

Ähnliche Positionierungen kommen auch aus der CDU/CSU. Sowohl in einem 13-seitigen – als „Entwurf“ deklarierten – „Positionspapier“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch in zahlreichen einzelnen Äußerungen von Unionspolitikern werden die Vorgaben der EU in Frage gestellt, ausdrücklich mit Bezug auf die derzeitige Krisensituation wegen der Corona-Pandemie5 und mit Forderungen nach Abmilderung und zeitlicher Streckung verbunden. Es wird beklagt, die EU-Ziele bedeuteten für Deutschland eine fast 70-prozentige Reduzierung des CO2-Ausstoßes bis 2030. Das sei eine zu weit gehende Verschärfung der Zielvorgaben und eine nicht zumutbare Belastung der Industrie. Merkel solle die Monate der Ratspräsidentschaft nutzen, eine neue Verteilung der Klimavorgaben auszuhandeln – am besten durch den „Ausbau“ des Emissionshandels, also durch Verlagerung der Lasten auf andere.

Soziale Bewegungen in der Defensive

Die Corona-Krise hat die Gewerkschaften wie auch die Klimabewegung auf unterschiedliche Weise hart getroffen und in die Defensive gedrängt, hat ihre Mobilisierungspotenziale und Machtressourcen eingeschränkt und erste fragile Ansätze zur Zusammenarbeit zumindest nicht weiter wachsen lassen. In den ersten Monaten des Lockdown hatten beide Bewegungen mit sich selbst zu tun und konzentrierten die Kräfte auf ihre nahe liegenden Aktionsfelder. Die Gewerkschaften sahen sich konfrontiert mit einer tiefen Erschütterung des Arbeitsmarktes durch Kurzarbeit, Entlassungen, Betriebsschließungen, existenzieller Unsicherheit und Strukturbrüchen – und somit auch Mitgliederverlusten – bisher unbekannten Ausmaßes. Zugleich litt ihre Präsenz in den Betrieben, der Lockdown untergrub ihre ohnehin geschwächten organisatorischen und strukturellen Machtressourcen. Die Klimabewegung musste sich damit auseinandersetzen, dass das Thema Klimakrise in den Hintergrund trat und ihre auf Öffentlichkeit und mediale Vermittlung gestützte Aktionsfähigkeit massiv eingeschränkt wurde. Luisa Neubauer konstatierte ironisch: „Jetzt ist Corona dran, Klima kommt später“ (stern v. 3.4.2020).

Die Gewerkschaften mobilisierten ihre (unzureichenden) Kräfte auf die Sicherung von Arbeit und Einkommen der Beschäftigten. Anders als von den Konzernzentralen beispielsweise der Automobilindustrie dargestellt, sind deren Kahlschlagprogramme nicht unvermeidliche Folge des Wirkens höherer Mächte wie der Corona-Pandemie oder der Umstellung auf Elektromobilität. Dass aus weniger Arbeit weniger bezahlte, aber dafür intensivere Arbeit folgt, ist vielmehr bewusstes Kalkül in Rationalisierungsstrategien, die den Gesetzen kapitalistischer Profitmacherei folgen und die Gunst der Stunde nutzen.6 Als wären die dramatischen Situationen in vielen Betrieben mit Arbeitsplatz- und Einkommensverlusten nicht schon Problem genug, mussten sie sich auch noch der sozialpolitischen Rollback-Forderungen der Unternehmen und Kapitalverbände erwehren.

Beide Bewegungen – auch vor Corona von einem echten Bündnis weit entfernt – sahen sich nun von heute auf morgen vor „bündnispolitische Bewährungsproben“ (Urban) gestellt, auf die sie nicht gut vorbereitet waren. Die Corona-Krise führte dazu, dass die unterschiedlichen politischen Kulturen, in denen sich Gewerkschaften einerseits und soziale Bewegungen und Klimabewegung andererseits verorten, deutlicher hervortraten und das wechselseitige Fremdeln verstärkten. Die Beschäftigten in den Organisationsbereichen der Gewerkschaften – ob nun Automobilarbeiter, Krankenschwestern oder Kurierfahrer – erlebten die Krise in einer anderen Realität als die meisten jungen Aktiven der Klimabewegung. „Ohne direkte Krisenbetroffenheit ist die Vernachlässigung sozialer Folgerisiken ökologiepolitischer Interventionen näher liegend. Und dass Menschen, deren Arbeitsplätze in einer Jahrhundertkrise unmittelbar gefährdet sind, das Hemd der kurzfristigen Arbeitsplatzsicherung mitunter näher ist als der Rock des mittelfristigen Umweltschutzes, mag angesichts der zeitlichen Nähe der Klimakatastrophe unsachgemäß sein. Doch das sollte eher Anlass zur Weiterentwicklung sozial-ökologischer Transformationsstrategien als zu moralischer Verdammung sein.“ (Urban)

Streitpunkte und Konflikte

Moralische Verdammung gab und gibt es auf beiden Seiten. Bei einigen Akteuren der Klimabewegung verstärkte das Agieren der Gewerkschaften in der Krise u.a. ihre latente Haltung der Entrüstung und Verurteilung. In etlichen Positionierungen zeigte sich, wie fremd Akteuren der Bewegung die berechtigte Angst vieler Lohnabhängiger um ihre materielle Existenz ist. Ein typisches Beispiel ist der Streit um die so genannte „Abwrackprämie“ zur Ankurbelung des Autoabsatzes. FFF-Aktivistin Luisa Neubauer berichtete in einem „Spiegel“-Podcast, dass sie dagegen vor dem Kanzleramt demonstriert habe. Diese Prämie sei doch „ökologischer, ökonomischer, finanzieller, aber auch gerechtigkeitstechnischer Irrsinn“. Auf den Einwand des Moderators, es gehe doch bei vielen Menschen um die Arbeitsplätze, um die Existenz, und sei es da nicht verständlich, dass sie den Klimaschutz erst einmal ein bisschen aus den Augen verlören, entgegnete sie gönnerhaft: Klar müssten Menschen Arbeit haben oder zumindest eine Existenzsicherung, aber es gehe doch nicht um irgendwelche Jobs, sondern um solche, die auch langfristig eine Zukunft hätten. Es habe deswegen keinen Sinn, „billiges Geld“ in eine nicht zukunftsfähige Industrie zu pumpen.7 Dass es ausreichend zukunftsfähige Arbeitsplätze braucht, dürfte Konsens zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung sein. Aber der von Neubauer angedeutete Weg dahin – erst einmal alte Arbeitsplätze weg, dann irgendwie und irgendwann mit öffentlicher Förderung zukunftsfeste Arbeitsplätze her – den gibt es in der Realität so nicht. Es kommt auf den sozial verträglichen Übergang an. Kai Burmeister wendet zu Recht ein: „Das bestehende Geschäft mit Verbrennungsmotoren muss das neue finanzieren“. Und dieses Neue, „ein an den Beschäftigten orientiertes Transformations-Paket“ müsse „industriepolitisch begleitet werden“.8

Tadzio Müller von der Rosa-Luxemburg-Stiftung sortierte die Industriegewerkschaften umstandslos ins Lager der schwerindustriellen Klimazerstörer und sah eine „taktische Feindschaft“ zwischen „sozial-ökologischen Transformationsbewegungen und Industriegewerkschaften“ (ND v. 19. 6. 2020). Fanny Zeise, ebenfalls von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, widersprach und warnte davor, die Kolleg*innen in den Betrieben der Automobilindustrie als „Bewahrer oder Co-Manager abzuschreiben“. Man solle weniger über sie und mehr mit ihnen reden und den „Dialog über ein kohärentes, sozial-ökologisches Transformationskonzept“ suchen. Denn die Beschäftigten in diesen Bereichen würden „nur dann für eine Verkehrswende eintreten und mit der Klimabewegung kooperieren, wenn sie sich sicher sind, dass die soziale Dimension ernst gemeint ist.“ (ND v. 30. 6. 2020)

Lernprozesse

Einige Beispiele für dieses „miteinander, nicht übereinander Reden“ gibt es allerdings auch, sogar mitten in der Corona-Pandemie. Anfang Juni stellten der Paritätische Wohlfahrtsverband, Fridays for Future und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gemeinsame Kriterien für eine sozial-ökologische Wende vor. „Gemeinsam schlagen wir heute eine Brücke zwischen sozialer und ökologischer Gerechtigkeit“, erklärten die Initiatoren.9 Bestehende Differenzen wurden durchaus eingeräumt, doch sollten sie der Kooperation nicht entgegenstehen. Als Beispiel wurde die Zustimmung von ver.di für die Inbetriebnahme des Kohlekraftwerks Datteln IV genannt, die FFF ablehnt (ND v. 3. 6. 2020). ver.di hatte das mit der Sorge um die Arbeitsplätze der Beschäftigten in der Energiewirtschaft begründet. Im Juli starteten ver.di und FFF eine gemeinsame Aktion für einen starken Nahverkehr. Für ver.di war die beginnende Tarifrunde im ÖPNV der Auslöser. Beide Organisationen wollten sich mit der Aktion für eine soziale und klimagerechte Verkehrswende einsetzen (ND v. 28. 7. 2020).

Die (durchaus angreifbare) ver.di-Zustimmung zu Datteln IV erwies sich in der öffentlichen Debatte als weitaus weniger konfliktträchtig als das Plädoyer des IG Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann und einiger Betriebsratsvorsitzender großer Automobilkonzerne. Das mag damit zusammenhängen, dass es beim Auto um mehr Arbeitsplätze geht und das Auto ohnehin ein gesellschaftspolitisches Reizthema ist. Klaus Dörre hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass der Streit um die Prämie am eigentlichen Problem vorbeiführt: Was allen Beteiligten fehlt – ob pro oder kontra – ist ein überzeugender Beitrag zu einer intelligenten Industrie- und Strukturpolitik.10 Dass der Staat der Prämie die Unterstützung versagte, mögen Befürworter und Kritiker unterschiedlich sehen. Damit ist der Staat aber nicht aus der Verantwortung. Was, so Dörre, auf jeden Fall notwendig ist, sind politische Maßnahmen, die ökologisch wirksame und sozialverträgliche Übergänge zu einem nachhaltigen Mobilitätssystem ermöglichen. Das können Gewerkschaften und Klimabewegung nicht alleine stemmen. Dörre nennt insbesondere Staatsbeteiligungen an strategisch wichtigen Unternehmen (s. Beitrag von Leisewitz) und eine radikale Arbeitszeitverkürzung. Alle Beteiligten müssten lernen, „dass sich der „alte industrielle Klassen- unwiderruflich in einen sozialökologischen Transformationskonflikt verwandelt“ habe.

Das bedeutet für die Gewerkschaften: Kämpfe um Beschäftigung und faire Löhne können nicht „strukturkonservativ“ sein, sondern müssen auch als ökologischer Gesellschaftskonflikt geführt werden. Für die Klima- und Ökologiebewegung bedeutet das: Kämpfe um Klimagerechtigkeit müssen immer auch Kämpfe um soziale Gerechtigkeit sein, sonst werden sie Anliegen von Minderheiten bleiben und nicht die Mehrheit der Lohnabhängigen erreichen.

Eine mögliche Allianz zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung wird weiter anstehende Bewährungsproben nur bestehen, wenn es auf allen Seiten „ein Mindestmaß an Bereitschaft zu wechselseitiger Anerkennung von Interessen, Sichtweisen und Politikpräferenzen“ (Urban) gibt. Dazu müssen beide Seiten konstruktive Vorschläge einbringen und Initiativen entwickeln. Davon ist die Realität noch ein gutes Stück entfernt.

Jürgen Reusch

1 Ein Beispiel ist der Konflikt um Nord Stream 2.

1 Vgl. dazu: Z-Redaktion, Der „Große Lockdown“ und linke Politik, Z 122 (Juni 2020), S. 20-33, insbes. Ziff. 1, 2, 8 und 9, sowie die Beiträge von John Bellamy Foster/Intan Suwandi und Jörg Goldberg in diesem Heft.

2 Der WSF orientiert sich an dem 2008 gebildeten Sonderfonds für Finanzmarktstabilisierung (SoFFin). Die erforderliche Zustimmung der EU-Kommission erfolgte am 8. Juli d.J. Der Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes im Bundestag am 25. März ging eine offenbar heftige Auseinandersetzung in der Koalition zwischen CDU-Fraktionsführung einerseits und den Ministern Scholz und Altmaier andererseits voraus. Vgl. Die neue Deutschland AG, in: manager magazin v. 23.04.2020.

3 Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken. Ergebnis Koalitionsausschuss 3. Juni 2020 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/
Schlaglichter/Konjunkturpaket/2020-06-03-eckpunktepapier.pdf?blob=publication File& v=8

4 Sh. Wiso-Diskurs 5/2010, S. 16ff. (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07230.pdf).

5 Das Unternehmer-Institut der deutschen Wirtschaft verwies im Zusammenhang mit dem Konjunkturprogramm sofort darauf, dass die Staatsverschuldung ein ähnliches Niveau wie bei der Finanzkrise 2008/2009 erreichen werde, und spekulierte über die Möglichkeiten, wie sie rasch zurückgeführt werden könnte. Institut der Deutschen Wirtschaft, Corona-Krise, Konjunkturprogramm und Staatsverschuldung, Köln, Juni 2020.

6 „Ärzte ohne Grenzen“ kritisiert, dass Zugang und Bezahlbarkeit der von CEPI mit öffentlichen und philanthropischen Geldern entwickelten Impfstoffe nicht garantiert werden. Sh. https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/forschungsplattform-cepi

7 https://www.bmbf.de/files/die-nationale-wasserstoffstrategie.pdf, S. 3.

8 https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/handlungskonzept-stahl.pdf?blob=
publicationFile&v=10. „Vieles in dem Papier trägt die Handschrift der Branche.” FAZ v. 16.6.20. Die Stahlindustrie ist in dem im Juni von der Bundesregierung berufenen „Nationalen Wasserstoffrat“ durch Thyssen-Krupp und die Salzgitter AG vertreten, neben 13 weiteren Konzernvertretern aus den Branchen Energie, Auto, Chemie und Maschinen-/Anlagenbau. Dazu 8 Personen aus wissenschaftlichen Institutionen, 2 aus NGOs und der Vors. der IGBCE. Ein klassisches staatsmonopolistisches „Beratungsorgan“ – wie dies auch z.B. für die „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ gilt (sh. https://www.isw-muenchen.de/2020/01/wer-beherrscht-die-nationale-plattform-zukunft-der-mobilitaet/).

9 Für den modernen Kapitalismus ist die systematische, strukturelle Einbeziehung des Staates in den sozialökonomischen und sozialpolitischen Reproduktionsprozess charakteristisch. Ein Indikator ist der mit der kapitalistischen Vergesellschaftung stark angestiegene Anteil der Staatsausgaben am Bruttosozialprodukt. Er lag in den letzten dreißig Jahren immer zwischen 43 und über 49 Prozent. Darin schlägt sich einerseits die Herausbildung der sozialpolitischen Funktionen des Staates nieder, andererseits die Ausweitung der Staatsfunktionen zur Bereitstellung allgemeiner Voraussetzungen des Reproduktionsprozesses – Infrastruktur, Qualifikation des Arbeitskörpers, Wissenschaft, Forschung und generell Produktivkraftentwicklung dort, wo sie sich für das Einzelkapital nicht rentiert bzw. einzelkapitalistisch nicht geleistet werden kann. Dabei ist die Ausweitung der ökonomischen Staatsfunktionen unter Bedingungen eines monopolistisch vermachteten Kapitalismus immer auch in die Reproduktion monopolistisch dominierter Kapitalverwertung eingebunden.

10 Die im Juli vorgestellte Wasserstoffstrategie der EU soll bis 2030 zum Aufbau einer Elektrolysekapazität von rd. 40 GW führen. European Commission, A hydrogen strategy for a climate-neutral Europe. https://ec.europa.eu/knowledge4policy/publication/communication-com2020301-hydrogen-strategy-climate-neutral-europe_en.

1 Gesamtmetall: Wiederhochfahren und Wiederherstellung. Vorschläge für die 2. und 3. Phase der Corona-Krise, Mai 2020. www.gesamtmetall.de/sites/default/files/downloads/
gesamtmetall-vorschlaege-fuer-die-corona-krise.pdf

2 Hans-Jürgen Urban: Transformation als Bewährungsprobe. Warum eine sozial-ökologische Reformallianz eine unverzichtbare, aber schwierige Angelegenheit bleibt. In: sozialismus, H. 9, unter: https://hans-juergen-urban.de/

3 Stephan Kaufmann: Klimaschutz als Weltmarkteroberung. In: Neues Deutschland, 14.12. 2020.

4 Sven Giegold: Europäischer Green Deal: Lobbyisten versuchen, nachhaltigen Weg aus der Corona-Wirtschaftskrise zu verwässern. Statement, 23. 4. https://sven-giegold.de/lobbyisten-verwaessern-green-deal/

5 CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Für einen „Green Deal“. Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung mit wirtschaftlicher Erholung, Wettbewerbsfähigkeit, sozialer Ausgewogenheit und Stabilität verbinden. Positionspapier. Entwurf, 6. Mai 2020. https://www.cducsu.de/sites/default/files/2020-05/Positionspapier_greendeal%2020200512_0.pdf

6 Peter Schadt: Daimler – Ein Lehrstück über die Krise. In. Neues Deutschland, 18. 7. 2020.

7 Luisa Neubauer: Was wird jetzt aus der Klimabewegung. Stimmenfang – Der Politik-Podcast, 14. 5. 2020 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-und-klimawandel-luisa-neubauer-ueber-die-zukunft-von-fridays-for-future-a-f6fb21d5-bf59-4f19-985e-dcb2f7c21c06

8 Kai Burmeister: Für ein Transformations-Paket – Aufgaben für linke Politik und Gewerkschaften rund ums Auto! In: spw H. 3/2020.

9 Konjunkturmaßnahmen müssen ökologisch, sozial und gerecht sein. Fridays for Future, Paritätischer Wohlfahrtsverband und ver.di machen Druck auf die Bundesregierung. https://www.der-paritaetische.de/presse/konjunkturmassnahmen-muessen-oekologisch-sozial-und-gerecht-sein-fridays-for-future-paritaetischer-wo/

10 Klaus Dörre: Olaf Scholz überwinden. In: Der Freitag, Ausgabe 29/2020.