Diskussion, Kritik, Zuschriften

Zu C.-E. Vollgrafs Rezension der Neuen Textausgabe von Marx’ Kapital, Band I, in: Z 114, S. 87ff.

von Thomas Kuczynski
September 2018

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Zum wichtigsten Problem, das mich bei der Edition immer wieder beschäftigte, bemerke ich im Nachwort zur neuen Textausgabe: „Ob es mir in jedem einzelnen Fall gelungen ist, aus den verschiedenen Marx’schen Textvarianten jene auszuwählen, die den im Dezember 1881 angedeuteten Intentionen des Verfassers am ehesten entsprochen hätte, muss ich dem Urteil der Fachwelt überlassen. Ich kann an dieser Stelle nur versichern, stets den schon oben zitierten Ausruf von Engels vor Augen gehabt zu haben: ‚Dazu die Verantwortung.’“ (NTA, S. 775)

Da der Rezensent in seinen sehr ausführlichen Betrachtungen kein Wort zu diesem Problem verloren hat, hatte er an meiner Auswahl anscheinend nichts auszusetzen, und das ist doch sehr erfreulich. Stattdessen hat er in seine „digitale Ideenmappe“ (S. 99) gegriffen und zahlreiche, für sich genommen sicherlich interessante und zuweilen auch amüsante Details gefunden, deren Darlegung ihn zwar als Kenner des Marx’schen Werks ausweisen, aber keine Kritik an der zu rezensierenden Textausgabe enthalten.

Als vom Rezensenten ausdrücklich hervorgehobenen „Hauptmangel“ der Ausgabe bezeichnet er die Entscheidung, die teilweise sehr ausführlichen Marx’schen Fußnoten, kleingedruckt und eingerückt, in den Haupttext aufzunehmen, weil dies den Gedankengang von Marx unterbreche und den Lesefluss behindere (S. 108). Er übersieht zweierlei: Erstens hat Marx selbst mit diesen Noten seinen Gedankengang unterbrochen; zweitens können die einen, die an ihrer Lektüre nicht interessiert sind, sie nach einmaliger Kenntnisnahme des Verfahrens ignorieren, wogegen die andern, die sie lesen wollen, der Mühe enthoben sind, sie am Fuß der Seite und, wegen ihrer Länge, häufig auch den folgenden Seiten zu suchen. Aber immerhin: Wenn dies der „Hauptmangel“ der Ausgabe sein soll, dann scheint sie insgesamt nicht so schlecht geraten zu sein.

Zur französischen Ausgabe hätte sich der Rezensent mangels Sachkenntnis besser nicht äußern sollen. Nur drei Beispiele: Marx antwortet in seinem Brief an Lachâtre auf dessen Vorschlag, die Ausgabe in Lieferungen zu publizieren,2 eine vom Rezensenten behauptete „fiktive“ Antwort von Lachâtre (S. 89) ist nicht überliefert; mit der im Inhaltsverzeichnis genannten „Préface“ ist das Vorwort zur deutschen Ausgabe gemeint, nicht eines zur französischen (S. 89 Note 3); die Note 205a wird im französischen Original nicht zur Note 216, sondern, da sie dort seitenweise gezählt, zur Note 2 auf S. 133 (die S. 95 zitierte Fußnotenzählung entstammt der MEGA).

Bestimmte Neuerungen in der Ausgabe sind für Marxkenner völlig unnötig; offenbar kann der Rezensent ihren Nutzen für den Nichtspezialisten deshalb nicht beurteilen, sei es die Umrechnung von bis heute (und nicht nur bis 1874!) gültigen englischen Maßen in metrische (S. 107) oder die Umstellung von zuweilen nach englischen Originalausgaben, zuweilen nach französischen Übersetzungen zitierter Literatur auf die von Marx häufiger genutzte Ausgabe, ein Verfahren, das keineswegs „textgenetische Spuren auslöscht“ (S. 107), denn daran Interessierte finden sie alle im Apparat verzeichnet.

Wichtig für jene, die den Apparat nutzen, ist der Hinweis des Rezensenten, dass das griechische ϕ von Marx als Merkzeichen verwendet worden ist (S. 104ff.), wogegen ich es im Apparat als Tilgungszeichen gedeutet hatte. Er hätte jedoch zweierlei hinzufügen sollen: Erstens, dass seine Deutung erst im Nachhinein entstanden ist, denn in der Dokumentation zu den Handexemplaren der deutschen Ausgaben in der MEGA fehlt das ϕ völlig (wurde also offenbar als bloße Anstreichung interpretiert), in der zum Handexemplar der französischen wird es nicht erläutert; zweitens schlägt sich meine Deutung in der Textausgabe selbst nicht nieder.

Schließlich bezieht sich der Rezensent auf „Begleitartikel“ (S. 98) bzw. „begleitende Artikel“ (S. 101) genannte Arbeiten von mir; im ersten Fall handelt es sich um einen nach Abschluss der Editionsarbeit entstandenen, im zweiten, von ihm ohne Quellenangabe angegebenen, um Vorarbeiten zur neuen Textausgabe, die eine Kritik an verschiedenen Aspekten der Kapital-Editionen in der MEGA enthalten, der bis heute in der Fachliteratur nicht widersprochen worden ist, auf die daher im Nachwort nur verwiesen zu werden brauchte; einen dritten, in dem 2014 die MEGA als „unabdingbarer Ausgangspunkt einer neuen Textausgabe“ gewürdigt worden ist, hat wohl die Redaktion von Z der Note 1 der Rezension hinzugefügt.3

Summa summarum: Viel in unangemessen hoher Tonlage ausgesprochener Tadel und doch unausgesprochenes Lob. Der Rezensent wird wieder unzufrieden sein.

Thomas Kuczynski

Zu Zhang Guangming, in: Z 114, S. 110ff.1

Der Unterschied zwischen der „Befreiung der Arbeiterklasse“ und der „Selbstemanzipation“ liegt darin, dass beim Erstgenannten die Arbeiterklasse als Objekt betrachtet wird, das die Rettung durch Anleitung von oben braucht, bei der Selbstbefreiung die Arbeiterklasse aber als Subjekt fungiert, das sich selbst befreit. Es geht also nicht um eine Fremdbefreiung durch eine Partei, sondern um eine revolutionäre Bewegung mit dem Ziel der sozialistischen Selbstverwaltung.

MEW 25 S. 452-457: „In dem Aktienwesen existiert schon Gegensatz gegen die alte Form, worin gesellschaftliches Produktionsmittel als individuelles Eigentum erscheint; aber die Verwandlung in die der Aktie bleibt selbst noch befangen in den kapitalistischen Schranken; statt daher den Gegensatz zwischen dem Charakter des Reichtums als gesellschaftlicher und als Privateigentum zu überwinden, bildet sie ihn nur in neuer Gestalt aus.“ „In der Aktiengesellschaft ist die Funktion getrennt vom Kapitaleigentum, also auch die Arbeit gänzlich getrennt vom Eigentum an den Produktionsmitteln und an der Mehrarbeit. Es ist das Resultat der höchsten Entwicklung der kapitalistischen Produktion ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum der Produzenten, sondern als das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares Gesellschaftseigentum. (453) … Es ist die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst und daher ein sich selbst aufhebender Widerspruch …“ Folglich werden die Widersprüche und Antagonismen der kapitalistischen Gesellschaft nicht aufgehoben, sondern nur auf eine neue, höhere Stufe gehoben. Es ist ein „negativer“ Prozess der Selbstabschaffung. Es ist eine ökonomische Notwendigkeit, weil es eine kapitalistische Gesetzmäßigkeit ist. Die vergesellschafteten Produktionsmittel äußern sich in dem Aktienbesitz, der aber (noch) privat angeeignet wird. Die Ungerechtigkeit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung bleibt somit von dieser Entwicklung so lange unberührt, wie es der Arbeiterklasse nicht gelingt, selbige durch eine sozialistische Wirtschaftsordnung zu ersetzen. Die objektiven Anforderungen der ökonomischen Entwicklung, also die Möglichkeit eines Wechsels der Produktionsweise, decken sich nicht mit den objektiven Interessen der ausgebeuteten (und unterdrückten) Gesellschaftsklassen. Offensichtlich ist es den herrschenden Schichten des Staates bisher in den entwickeltsten Nationen der Welt gelungen, ausreichend große Teile des Proletariats durch Einbindung und Partizipation in ihr System zu binden. Die sogenannte Arbeiteraristokratie erkennt für sich mehr Vorteile durch Anpassung, als durch die Unwägbarkeiten eines Systemwechsels. Die hohe Entwicklung des Vergesellschaftungsgrades hat nicht zur Verelendung der Arbeitermassen, sondern auch zu einem massiven Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums geführt, der auch von der Mehrheit der Bevölkerung individuell angeeignet werden konnte. Dass dies nicht zuletzt auch und gerade durch ökonomische, soziale und politische Klassenkämpfe erreicht wurde widerspricht dieser Wirklichkeit nicht. Viele der alten nationalen Klassenkonflikte wurden durch die Bourgeoisie ins Ausland „verlagert“, also internationalisiert. Dieser Umstand macht den Klassenkampf heute weitaus schwieriger, auch wenn die unterdrückten Nationen ihrerseits erfolgreiche Kämpfe geführt haben; eine Spirale, deren Ende – so ist zu hoffen – nicht durch die Endlichkeit der Welt, ihrer Ressourcen und ihrer Grenzen der Regeneration entschieden wird.

Tilman Rosenau

Der Einzige und sein Eigentum

Wie konstituieren sich Handlungsräume in einer technisierten Welt, in der gesellschaftlich verfügbares Verfahrenswissen, institutionalisierte Verfahrensweisen und privates Verfahrenskönnen an Bedeutung gewinnen? In welchem Verhältnis stehen dabei die äußeren Gegebenheiten und die inneren Gestaltungsoptionen?

Mit ihrer „Selbstverständigung“ (MEW 13, S. 10) in der Deutschen Ideologie sind Marx und Engels anerkanntermaßen einen großen Schritt in der prinzipiellen Herangehensweise an diese Frage vorangekommen, indem sie die Entwicklung gesellschaftlicher Strukturen – jener „äußeren Gegebenheiten“ – der Religion entreißen und konsequent als von Menschen gemacht und damit historisch relativierend fassen. „Die historische Relativität der philosophischen Systeme hatte Hegel als erster nachgewiesen, allerdings mit der Inkonsequenz, sein eigenes System außerhalb dieser historischen Relativität zu belassen. Marx führt den Hegelschen Gedanken der durchgängigen historischen Relativität philosophischer Systeme konsequent zum Ende. Die Lösung der aus den philosophischen Erkenntnissen entspringenden theoretischen und praktischen Aufgaben ist gleichbedeutend mit der Aufhebung des jeweiligen philosophischen Systems. Ist das Verhältnis von Philosophie und Wirklichkeit aber dergestalt durchschaut, so folgt notwendig der Schluss, dass es sich nicht mehr darum handeln kann, der Wirklichkeit ein abstraktes philosophisches System entgegenzustellen, sondern dass ihre eigentliche Aufgabe darin besteht, das Praxis-Theorie-Verhältnis zum Gegenstand ihrer Untersuchungen zu machen.“ (Seidel 1966, S. 250)

Es ist allerdings immer wieder nur das Feuerbachkapitel, das in diesem Zusammenhang Erwähnung und Erörterung erfährt. So auch bei Winfried Schwarz in Z 113, der über Arbeiten an einer neuen Edition der Deutschen Ideologie berichtet. Was aber ist mit der Auseinandersetzung mit „St. Max“, die zwei Drittel des Textes ausmacht? Dagegen ist selbst „St. Bruno“ thematisch nicht mehr als eine Fußnote. Ist dies wirklich allein Sparringmaterial, um zu den Schlussfolgerungen im Feuerbachkapitel zu kommen, wie auch Schwarz noch einmal mit Verweis auf neuere Forschungen behauptet?

Wer also ist dieser „St. Max“ und das „Leipziger Konzil“ und was hat jener Aufregendes mitzuteilen, dass ihm Marx und Engels ebenda mehr als 300 Seiten widmen? Den Furor löste ein Buch deutlich geringeren Umfangs aus – Max Stirners Der Einzige und sein Eigentum, das 20 Jahre vor dem Kapital ebenfalls bei Otto Wigand in Leipzig gedruckt wurde. „Was soll nicht alles meine Sache sein! Vor allem die gute Sache, die Sache Gottes, die Sache der Menschheit, der Wahrheit, der Freiheit [...] Nur Meine Sache soll niemals Meine Sache sein. ‚Pfui über den Egoisten, der nur an sich denkt!‘“ Stirner hält sein glühendes Plädoyer für eine stärkere Berücksichtigung der inneren Verfasstheit einzelner Menschen und damit einer anderen Wichtung von Gestaltungsmacht gegen­über Disziplinarmacht der neu gewonnenen Erkenntnis von Marx, Engels und Feuerbach entgegen, dass sich jene Disziplinarmacht im Ergebnis menschlicher Praxen herausbildet. „Der Mensch ist dem Menschen das höchste Wesen, sagt Feuerbach. Der Mensch ist nun erst gefunden, sagt Bruno Bauer. Sehen Wir Uns denn dieses höchste Wesen und diesen neuen Fund genauer an.“ (Stirner 1846)

Sind mit der Deutschen Ideologie die Fragen des St. Max erschöpfend beantwortet? Welche Rolle spielen die institutionelle Ausprägung von Verfahrensweisen oder gar privates Verfahrenskönnen, der „individuelle Faktor“, in einer technisch immer potenteren Welt? Wie funktioniert technischer Fortschritt, für den Ernst Bloch „Verluste im Vorwärtsschreiten“ konstatierte? Hat Stirners Aufschrei etwas mit derartigen Verlusten zu tun? Fragen über Fragen, auf die Marx jenseits der bekannten Stellen im Maschinenfragment nie wieder zurückkam. So wenigstens Goldberg und Leisewitz in Z 108.

Welche Konsequenzen haben derartige Fehlstellen in der marxistischen Rezeptionsgeschichte? Wie umgehen mit der Widersprüchlichkeit der „Multitude“ der inneren Triebe/Antriebe und der Einheit/Einzigkeit der äußeren Welt? Wie eine soziologische Außensicht mit den praxisgetriebenen Reflexions- und Erfahrungshorizonten der Akteure selbst in Einklang bringen und eine angemessene zivilisierte „Konfliktkultur“ im zwischenmenschlichen Bereich (weiter) entwickeln? Die Spur der Ausgrenzung und Gewalt in dieser Frage gegenüber „Andersdenkenden“, insbesondere gegenüber anarchistischem Gedankengut, reicht vom „Präanarchisten“ Stirner[1] über Bakunins Ausschluss aus der Ersten Internationale, den Marx selbst noch aktiv mit betrieben hat, über die Tragödien von Kronstadt und der spanischen Republik der 1930er Jahre bis weit in die heutige Zeit, wie in Heft 2/2018 der Berliner Debatte Initial noch einmal genauer dargestellt wird. Auch die praxisphilosophischen Untersuchungen des Leipziger Philosophen Helmut Seidel wie etwa seine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2011 neu aufgelegte Habilitationsschrift (Seidel 1966) waren Anlass nicht zu Debatte, sondern zu Repression in der „poststalinistischen, dogmatischen Welt des Realsozialismus“ (Hans-Martin Gerlach, ebenda, S. 7).

Hat das Ganze heute noch eine Bedeutung angesichts des „digitalen Wandels“? Aktuelle Analysen konstatieren zunehmende gesellschaftliche Entflechtungstendenzen, wachsende Bedeutung differenzierter Lebensentwürfe (Stalder 2016) und von „Alleinstellungsmerkmalen“ – der Einzigkeit des Einzelnen. Entscheidend seien die „Humanressourcen“ mit ihrem „Wissenskapital“[2]. Damit steht aber der Wissensbegriff selbst auf dem Prüfstand, der sich in den letzten Jahren über „content“ und „knowledge“ bis hin zu „valuable data“ im aktuellen Big Data Hype verschoben hat. Wenn dieses „Wissenskapital“ aber privates Verfahrenskönnen sein sollte, dann wären wir wieder bei Stirners Einzigem und seinem Eigentum, denn privates Verfahrenskönnen ist Quelle von Einzigartigkeit. Stirners Eigentumsbegriff bezieht sich genau auf diese faktische Ungleichheit rechtlich gleicher Individuen und damit auf die kulturelle Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft, die zu jener Zeit gegen die feudale Restauration in Deutschland zu verteidigen war (Seidel 1966). Stirner hält Marx, Engels und Feuerbach letztlich eine spezifische Beschränktheit ihres „neu gewonnenen Stand­punkts“ vor. Wäre darüber neu nachzudenken? Reinhard Mocek forderte jedenfalls (Mocek 2003) „noch einen (Luxemburg)-Preis für Wilhelm Weitling“ und Eben Moglensah (Moglen 1999) die Bewegung um Freie Software als „Triumph des Anarchismus“.

Die Virulenz einer derartigen Widersprüchlichkeit von Innen- und Außensichten wird immer wieder deutlich – nicht zuletzt in der Auseinandersetzung zwischen Wikipedianern und Wikipedisten auf der CPOV 2010 in Leipzig[3]. Die Innensichten praktischer Erfahrung (Wikipedianer) und die Außensicht soziologischer Analyse (Wikipedisten) geraten dabei hart aneinander. Ob ihre Selbstreflexio­nen nicht etwas simpel gestrickt seien, fragen die Wikipedisten die Wikipedianer wie seinerzeit Marx mit einem gehörigen Schuss Polemik den St. Max. Aus welchen praktischen Erfahrungen sie denn ihre Weisheiten nehmen würden, und ob sie nicht von wohlfeilen Theorien ausgingen, deren Grundlagen und Begrifflichkeiten von der technischen Entwicklung längst überholt seien, fragen die Wikipedianer zurück. Ein fruchtbarer Dialog zu diesen Fragen braucht sehr langen Atem, aber er findet an vielen Stellen – jenseits des Mainstreams „marxistischer Erneuerung“ – durchaus statt.

Welt als Wirklichkeit für uns ist stets auch Wirklichkeit im Prozess begrifflicher Erfassung. Dieser höchst widersprüchliche Prozess schreitet mit den Praxen der Menschen voran. Das „menschliche Wesen“ als Subjekt dieses Prozesses ist dabei nicht nur „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (6. Feuerbachthese), sondern selbst Schöpfer und Modifikator von Begrifflichkeiten und damit Verhältnissen. „Es kann aber sowohl vom historischen als auch vom logischen Standpunkt aus keinen dialektischen ohne historischen Materialismus geben, wie es keinen historischen ohne dialektischen Materialismus geben kann. Beide haben ihre letzte Quelle im Begreifen (meine Hervorhebung) der gesellschaftlichen Praxis“ (Seidel 1966, S. 91).

Ein tragfähiger Technikbegriff muss sich auf diesen Prozess des Fortschreitens begrifflicher Erfassung beziehen. Fortschritt, so Karl Steinbuch (Steinbuch 1966, S. 7), könne man präzise erklären: „Er besteht darin, dass im fortgeschritteneren Zustand nicht nur die. früheren Einsichten vorhanden sind und die früheren technischen Leistungen vollbracht werden können, sondern darüber hinaus auch noch neue, zusätzliche. In der Geschichte der Naturwissenschaft und Technik ist der Fortschritt nicht eine bestreitbare Fiktion, sondern die Vermehrung registrierbarer Leistungen.“ So einfach ist es allerdings nicht, denn Entwicklung verläuft nicht linear und die kumulativen Wissensmodelle des „linguistic turn“ der 1970er Jahre stoßen im „digitalen Wandel“ und im Zuge kooperativer Begriffsbildungsprozesse der Praxen einer „Semantifizierung der Welt“ längst an ihre Grenzen.

Literatur

Reinhard Mocek (2003): Verleiht noch einen Preis an Wilhelm Weitling! In: Christoph Spehr (Hrsg.), Gleicher als andere. Eine Grundlegung der freien Kooperation. Reihe Texte der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bd. 9. S. 279–287.

Eben Moglen (1999): Anarchism Triumphant: Free Software and the Death of Copyright. First Monday, vol. 4/8.

Helmut Seidel (1966): Philosophie und Wirklichkeit. Habilitationsschrift, Leipzig 1966. Zitiert nach der Neuauflage durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen (Hrsg. von Volker Caysa), Leipzig 2011.

Felix Stalder (2016): Kultur der Digitalität. Frankfurt/M.

Karl Steinbuch (1966): Die informierte Gesellschaft. Stuttgart.

Max Stirner (1846): Der Einzige und sein Eigentum. Zitiert nach der Reclamausgabe Stuttgart 1981.

Hans-Gert Gräbe

Der Hamburger Arbeitskreis „Dialektik & Materialismus“ lädt ein zu einem Gespräch mit Prof. Kurt Bayertz für Samstag, den 15. September 2018, 10-16 Uhr, in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg, Alexanderstr. 1, zum Thema: „Materialismus bei Marx“.

Literaturempfehlung: Kurt Bayertz, Interpretieren, um zu verändern. Karl Marx und seine Philosophie, Verlag C.H. Beck, München 2018.

Anmeldung: unsereweltclub@gmail.com. Unkostenbeitrag: 10 Euro.

1 Seitenzahlen im Text beziehen sich auf die Rezension (S. 87-109) bzw. das Nachwort zur Neuen Textausgabe (NTA, S. 761-789).

2 Vgl. den Beginn seines Briefes: „J’applaudis à votre idée de publier la traduction ... en livraisons périodiques“ (Ich begrüße Ihre [!] Idee, die Uebersetzung ... in periodischen Lieferungen zu veröffentlichen). Der Rezensent folgt mit seiner konsequenten Falschschreibung La Châtre zwar Marx und MEGA, aber nicht dem Original. Vgl. auch die Biografie von François Gaudin,Maurice Lachâtre, éditeur socialiste (1814-1900), Limoges 2014.

3 Vgl. die Analysen im Marx-Engels-Jahrbuch 2010, Berlin 2011, S. 101-58 (Thomas Kuczynski: Welche Einträge in Marx’ Handexemplar von Kapital Bd. I dienten der Vorbereitung einer dritten deutschen Ausgabe?), und 2015/16, Berlin 2016, S. 219-37 (Kuczynski: Marx’ Eintragungen im überlieferten Handexemplar der Erstausgabe von Band I des Kapitals.), sowie in Z 100 (Dezember 2014), S. 197-214 (Kuczynski: Die historisch-kritischen Editionen von Kapital Band I in der MEGA – unabdingbarer Ausgangspunkt einer neuen Textausgabe).

1 Siehe: Zhang Guangming, Ist Band III des Kapitals die Antithese zu Band I? In: Z 114 (Juni 2018), S. 110-124.

[1] So der Leipziger Philosoph Siegfried Bönisch über Max Stirner im Freud-Jahr 2006, siehe http://www.leipzig-netz.de/index.php5/WAK:2006-11-28

[2] http://wissenskapital.info/tag/humankapital/

[3] http://www.cpov.de. Siehe hierzu auch http://www.nandostoecklin.ch/2010/09/wikipedisten-und-wikipedianer-forscher.html.