Die Weltwirtschaftskrise und die internationalen Konflikte des letzten Jahrzehnts haben die globale Umweltkrise völlig in den Hintergrund treten lassen. Im Koalitionsvertrag spielen die Klimakrise und die notwendige Umsteuerung der Energiepolitik keine besondere Rolle. Einzelne Bewegungen in der Bundesrepublik – so gegen den weiteren Kohleabbau im Rheinland und der Lausitz – bringen große Protestbewegungen auf die Beine, aber deren Ausstrahlung bleibt regional und es gelingt ihnen nicht, Koalitionen zu formen, die notwendig sind, um die sozialen Folgen der notwendigen Strukturbrüche aufzufangen. Gerade hört man, dass entsprechende Anträge für den DGB-Bundeskongress „mit Erfolg entschärft“ worden sind. Dabei brennt es umweltpolitisch an allen Ecken und Enden. Die im letzten Jahr bekannt gewordenen Langzeitstudien zum Rückgang der Insektenbestände in der Bundesrepublik müssten ähnlich ernst genommen werden, wie Rachel Carsons „Silent spring“ von 1962. Aber keine Spur von Reaktion. In allen Bereichen der Umweltpolitik zeigt sich die Stärke dominierender Kapitalverwertungsinteressen. Sie werden im Schwerpunkt dieses Heftes mit Blick auf Energiewende und Klimakrise in den Focus gestellt. Eine linke, progressive Umweltpolitik muss diese „harten“ Interessen zum Gegenstand der Kritik machen und wird sich nicht auf eine Thematisierung von Konsum- und Lebensstilen – wie in der Debatte um „imperiale Lebensweise“ – beschränken dürfen.
John Bellamy Foster weist darauf hin, dass die Klimakrise ein Ausdruck – neben anderen – der umfassenden Übernutzung des Planeten ist. Daher reichten technische Eingriffe im Sinne eine „grünen Kapitalismus“ nicht aus; sie können immer nur einzelne Stellschrauben verändern. Notwendig sei ein völlig neues praktisches Verhältnis zwischen Mensch und Natur, das aber innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise nicht geschaffen werden könne. Unbeschadet dessen sind aktuelles Handeln zur Abmilderung der Umweltkrise und der Eingriff in die herrschende Produktions- und Konsumtionsweise unabdingbar und möglich.
Die internationale Klimapolitik geht von der Verantwortung der einzelnen Nationalstaaten für die Reduktion von Treibhausgasen aus. In den Abkommen werden den entwickelten kapitalistischen Ländern mit ihren hohen Pro-Kopf-Verbräuchen und „historischen“ Emissionen strengere Auflagen zugewiesen als den Schwellen- und industriell schwach entwickelten Ländern. Rick Heede lenkt das Augenmerk dagegen auf die weltweit verstreuten privaten und staatlichen Unternehmen, die fossile Brennstoffe (Kohle, Öl, Gas) und Zement produzieren und damit die Hauptquellen anthropogener Treibhausgase, die den Klimawandel bestimmt haben und weiterhin bestimmen. Es zeigt sich, dass fast zwei Drittel der historischen Kohlendioxid- und Methan-Emissionen der Jahre 1854 bis 2010 auf global neunzig Unternehmen zurückgeführt werden können. Von der zukünftigen Politik dieser „Carbon majors“ hängt das Klimageschehen entscheidend ab.
Energiewende, Kohleausstieg, Verkehrspolitik sind Schlüsselbereiche der Klimapolitik in der Bundesrepublik. Uwe Witt analysiert die unterschiedlichen Fortschritte beim Ausbau erneuerbarer Energien im Stromsektor, in der Wärmeerzeugung und im Verkehr. Als größtes Hindernis und enormes Risiko für das Erreichen der Klimaziele erweist sich dabei die Blockade des Einstiegs in einen sozialverträglichen Kohleausstieg durch Energiekonzerne, herrschende Politik und Gewerkschaften. Franz Garnreiter erinnert an das 2007 formulierte Ziel, den Klimagasausstoß bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Davon sind heute erst 27 Prozent erreicht; das Ziel wird meilenweit verfehlt werden. Der im Anschluss an die Pariser Klimakonferenz 2015 verabschiedete „Klimaschutzplan 2050“ ist ein vager Text ohne nennenswerte Konkretisierungen, ebenso der Koalitionsvertrag. Dagegen wäre, wie Garnreiter im Einzelnen darlegt, ein großer Schritt zum Klimaschutz schnell möglich durch einen forcierten Ausstieg aus der Kohleverstromung.
Im Verkehrsbereich lagen die Treibhausgasemissionen 2017 über jenen des Jahres 1990. Ein großer Beitrag zum Scheitern der Klimaziele. Er hängt, wie Heiko Balsmeyer und Bernhard Knierim zeigen, von der staatlicherseits massiv im Konzerninteresse geförderten Expansion des privatmotorisierten Straßenverkehrs zu Lasten des öffentlichen Güter- und Personentransports ab. Er wird weiter vorangetrieben durch die Modellpolitik der Kfz-Industrie, die auf die für sie hoch profitablen SUVs setzt. Die Umstellung auf Elektromotorisierung führt wegen der Abhängigkeit von Lithium und seltenen Erden in eine Rohstoffsackgasse. Die Autoren plädieren dafür, mit einer Politik der Verkehrswende und der Investition in öffentliche Infrastruktur den Einfluss der Autokonzerne zurückzudrängen sowie den Umweltverbund aus Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr zu stärken. Wolfgang Lohbeck, langjähriger Verkehrsexperte von Greenpeace, macht die ideologische Aufladung des Produkts „Auto“ als Inbegriff des westlichen Lebensstils dafür verantwortlich, dass die Autoindustrie die zahlreichen Skandale der letzten Jahre fast unbeschadet überstanden hat. Deren politisch-ökonomische wie ideologische Macht zeige sich auch in der Debatte um den Elektroantrieb, mit dem nicht nur gravierende technische und ökologische Probleme verbunden sind. Nur die Abkehr von der Ausrichtung auf immer größere, schwerere und leistungsstärkere Autos hin zu leichteren und kleineren Wagen könne einen tatsächlichen ökologischen und klimarelevanten Effekt zeitigen. Diese Wende kann aber nur politisch, gegen die Expansionsinteressen und -zwänge der Autokonzerne, durchgesetzt werden.
Der Rohstoffhunger der exportstarken BRD-Industrie ist außerordentlich groß. Zehn Prozent der weltweiten Erzförderung überschreiten die bundesdeutschen Grenzen, u.a. für die Autoindustrie, berichtet Michael Reckordt. Der BDI pocht auf „Versorgungssicherheit“. Mit dem Umstieg auf Elektromobilität wird u.a. die weltweite Kupfernachfrage enorm gesteigert. Die damit verbundenen Umwelt- und Klimaprobleme sind ungeklärt. „Tiefseerohstoffe“ sollen zur langfristigen Versorgungssicherheit mit strategischen Rohstoffen beitragen, so der BDI. Diese Forderung hat umgehend ihren Weg in den Koalitionsvertrag gefunden. Reckordt plädiert dafür, in diesem Kontext nicht nur den privaten Konsum zu thematisieren, sondern stärker den „produktiven Konsum“ zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen, also den Verbrauch bei der industriellen Warenproduktion. Hier wird, wie z.B. die Modellpolitik der Autokonzerne zeigt, die Bedürfnis- und Konsumtionsstruktur vorgeprägt.
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Marx-Engels-Forschung: Thomas Kuczynski hat auf Grundlage der MEGA eine „Neue Text-Ausgabe“ (NTA) des 1. Bandes des Marxschen „Kapitals“ zusammengestellt, die alle Marxschen Änderungsabsichten darzubieten versucht, und zwar in einem einzigen Band, um möglichst viele Leser*innen zu erreichen. Carl-Erich Vollgraf, zurzeit wohl der am engsten mit der entsprechenden MEGA-Bearbeitung vertraute Experte, untersucht die NTA darauf hin, ob sie ihrem Anspruch im Einzelnen gerecht wird bzw. überhaupt gerecht werden kann, zumal auch Ungereimtheiten bei Marx selbst einer völlig konsistenten Textfassung im Wege stehen. Aus China erreichte uns ein Beitrag von Zhang Guangming, der die in seinem Land diskutierte Frage behandelt, ob es einen Gegensatz zwischen dem ersten und dem dritten Band des ‚Kapital‘ gibt, d.h. ob Marx seine Position hinsichtlich der revolutionären Enteignung der Kapitalisten im Verlauf seines Lebens geändert habe. Der Autor verneint diese Frage vehement, gestützt auf eine umfassende Analyse der Marx’schen Texte. Der Beitrag wirft zugleich ein Licht auf aktuelle Marx-Diskussionen in der VR China.
Streiks und Gewerkschaften: Im „Streikmonitor“ zeigen Lea Schneidemesser und Juri Kilroy, dass 2017 zwar ein relativ streikarmes Jahr war, dass sich aber die Grundtendenz der letzten Jahre weiter ausgeprägt hat: eine Tendenz zur Zersplitterung und Dezentralisierung des Streikgeschehens sowie ein starker Anstieg defensiver Standortkonflikte, die mit dem laufenden Strukturwandel in der Industrie zusammenhängen.
Weitere Beiträge: In Fortsetzung ihres Beitrags aus Z 112 (Dezember 2017) zum Wahlausgang sondieren Jörg Goldberg u.a. die aktuelle politische Konstellation nach der Regierungsbildung und die eher deprimierende Verfasstheit der gesellschaftlichen Linken einschließlich der Orientierungskrise der Linkspartei.
Der Osteuropahistoriker Joachim Hösler gibt einen Überblick zur Erforschung und Darstellung der Oktoberrevolution in der sowjetischen bzw. russischen Geschichtsschreibung von 1920 bis in die Gegenwart. Fragestellungen und Erklärungsansätze, wie sie in den 1960er Jahren erarbeitet wurden, weisen für Hösler die bis heute größte Innovationskraft und Differenzierung auf. Als sozialwissenschaftlich äußerst innovativ erweisen sich im Rückblick die Zeitbudget-Analysen russischer Industriearbeiter aus den Jahren 1922/23 von Strumilin, die Gert Meyer vorstellt. Sie zeigen u.a., dass die Belastung insbesondere der werktätigen Frauen sich gegenüber den vorrevolutionären Zeiten kaum verändert hatte, also politisch anzugehen war. Thomas Metscher hatte in Z 113 eine Studie von Jörg Zimmer zur philosophischen Ästhetik kritisch besprochen. Zimmer antwortet nicht einfach mit einer Replik, sondern treibt die Debatte um eine materialistische Ästhetik weiter. Berichte und Zeitschriftenschau gehen auf eine Reihe von Veranstaltungen und Zeitschriftenbeiträge zu Marx 200 ein. Dies wird im nächsten Heft fortgesetzt.
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Z 115 (September 2018) wird im Schwerpunkt die für die neuere deutsche Geschichte weichenstellende Periode „Von der Novemberrevolution zum ‚deutschen Oktober‘“ behandeln.
„Reformismus mit Emphase“
Zum Tod von Elmar Altvater am 1. Mai 2018
Gebeten, auf der ‚Fortschrittskonferenz‘ des Frankfurter Instituts für Marxistische Studien und Forschungen (IMSF) im September 1987 zum Thema „Überleben und Revolution – Strategien in der Umbruchperiode“ zu sprechen, empfahl Elmar Altvater „Reformismus mit Emphase“. Seine Überlegungen sind weiter aktuell: Konfrontiert mit lebensbedrohenden Krisengefahren – Atomkriege, Umweltkrisen, Finanzkrisen – müssen Lösungen hier und heute angegangen werden, um solche Verwerfungen zumindest zu begrenzen. Revolutionäre Umbrüche, so Altvater, könnten zu spät kommen.
Zu den potentiell lebensbedrohlichen Krisen zählte er – mitten in der Schuldenkrise der Dritten Welt – auch Geldkrisen, die in einer monetarisierten Welt große Teile der Menschheit ins Elend stürzen können. Diese Einschätzung wurde 2008 auf ungeahnte Weise real: Kurzzeitig schien die Welt am Rande des Abgrunds zu stehen, Regierungen gewährten Billionengarantien, um einen weltweiten Vertrauensverlust in Geld- und Währungssysteme zu vermeiden.
Es ist hier nicht der Platz, die ganze Breite der Forschungs- und Publikationsthemen von Elmar Altvater anzusprechen. Er war ein Weltökonom im besten Sinne.[1] Für seine Fähigkeit, Entwicklungen der Finanzsphäre richtig einzuordnen, gilt, was er 2010 in einem Nachruf für Jörg Huffschmid formulierte[2]: Ihm sei zugute gekommen, dass er in einer Periode polit-ökonomisch „alphabetisiert“ worden war, in der die Realwirtschaft im Vordergrund stand, die Finanzmärkte eine eher sekundäre Funktion hatten. Als Teil dieser frühen „Alphabetisierung“ kann bei Elmar Altvater seine Beschäftigung mit Eugen Varga und dessen Analyse der Weltwirtschaftskrise 1929/32 betrachtet werden. Als einer der Ersten in Westdeutschland hatte er das Werk dieses genialen marxistischen Ökonomen der Vergessenheit entrissen und wichtige Texte der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht.
Elmar Altvater war über lange Jahrzehnte hinweg ein Wissenschaftler und Aktivist, der aus den Kämpfen für eine bessere Welt nicht wegzudenken war. Er wird der Linken sehr fehlen.
[1] Dieter Boris, Eine Ausnahmegestalt der Linken. Elmar Altvater verstorben, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 5. Mai 2018.
[2] Elmar Altvater, Das Biest wird gezähmt oder: die Regulierung der Finanzmärkte, in: Z 81, März 2010, S. 23.