Deutsche Rohstoffpolitik und deutsche Industrie- Interessen an „Tiefseerohstoffen"

von Michael Reckordt
Juni 2018

Seit 1953 zählt Deutschland jedes Jahr zu den drei größten globalen Exportnationen. Von 2003 bis 2008 schmückte sich Deutschland gar mit dem Titel des Exportweltmeisters, da kein anderes Land der Welt in diesem Zeitraum einen höheren Warenwert ausführte. Deutsche Unternehmen verkaufen größtenteils Automobile, Maschinen, Chemie-Erzeugnisse und elektronische Güter ins Ausland. Für deren Produktion müssen Rohstoffe importiert werden. Jede zehnte, auf der Welt geförderte Tonne Erz überschreitet daher die deutschen Grenzen. Die deutsche Industrie ist somit einer der größten Rohstoffverbraucher der Welt und fast zu 100 Prozent abhängig vom Import von Primärmetallen. Rohstoffe sind daher längst zum Gegenstand harter Politikfelder wie der Außen-, Wirtschafts-, Sicherheits- oder Handelspolitik geworden. In diesen Politikfeldern dominiert die Versorgungssicherheit die rohstoffpolitischen Diskurse. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und andere Industrieverbände fordern, diese Versorgungssicherheit ins Zentrum der deutschen und europäischen Politik zu stellen, da ansonsten die Zukunft des Industriestandortes gefährdet sei. Menschenrechte und Umweltschutz spielen dabei kaum eine Rolle (vgl. Reckordt 2017a). Die zähen Debatten um verbindliche oder freiwillige Sorgfaltspflichten im deutschen Bundestag, um Konfliktfinanzierung und gravierende Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden, zeugen davon, wie sehr dieses Politikfeld von Industrieinteressen geprägt ist und wie schwer es für zivilgesellschaftliche Akteur*innen ist, Menschenrechte, Arbeits- und Umweltstandards zu verankern (Bundestag 2015).

Menschenrechtsverletzungen im Bergbausektor

Vertreter*innen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) schätzen, dass 40 Prozent aller globalen Konflikte in den letzten 60 Jahren mit dem Abbau von Rohstoffen in Verbindung stehen (UNEP 2009). Allein 98 Konflikte im Jahr 2016, so berichtet das Heidelberg Institut für Internationale Konfliktforschung, hatten einen Bezug zu Wasser, Metallen und Mineralien oder zu anbaufähigem Land. 67 Prozent dieser Konflikte beinhalten gewalttätige Auseinandersetzungen, darunter neun Kriege. Konflikte mit Rohstoffbezug, so das Institut weiter, tendieren dazu, gewaltsamer zu werden (Heidelberg Institute for International Conflict Research 2017). Doch nicht nur auf zwischenstaatlicher Ebene treten Konflikte auf. Zivilgesellschaftliches Engagement, so zeigen verschiedene Studien, wird immer stärker eingeschränkt, und daran beteiligte Personen werden immer öfter eingeschüchtert, bedroht oder ermordet (Forum Menschenrechte 2016). Im Jahr 2016 wurden nach Angaben der britischen Nichtregierungsorganisation (NGO) Global Witness 200 Umweltaktivist*innen in 24 Ländern aufgrund ihrer Arbeit umgebracht. Im Vergleich zu den 186 Opfern des Vorjahres eine deutliche Steigerung. Viele von ihnen hatten sich gegen die Ausbeutung von Rohstoffen gewehrt. Unter den Ermordeten sind zunehmend auch Mitglieder indigener Gemeinschaften. Besonders betroffen waren Aktivist*innen in den Ländern Brasilien (49 dokumentierte Opfer), Kolumbien (37), den Philippinen (28), Indien (16), Honduras (14), Nicaragua (11) sowie der Demokratischen Republik Kongo (10). Die Länderbeispiele unterstreichen, dass die Risiken für Umweltaktivist*innen globaler Natur sind (Global Witness 2017).

Auch die Max-Planck-Stiftung hat sich im Auftrag der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) mit den menschenrechtlichen Risiken des Bergbaus beschäftigt und dazu eine 150-seitige Studie veröffentlicht. Sie umfasst Beispiele für Rechtsverletzungen und Umweltzerstörungen, unter anderem aus Südafrika, in den verschiedenen Stadien des Bergbaus: Lizenzvergabe und Exploration, Bau der Mine, Betrieb und Abbau sowie Schließung der Mine (Max Planck Foundation 2016). Ebenso haben lokal betroffene Gruppen, Organisationen der internationalen Zivilgesellschaft, kritische Journalist*innen und Politiker*innen in den letzten Jahren geholfen, Proteste und Gewalt zu dokumentieren.

Viele dieser Menschenrechtsverletzungen stehen in Verbindung mit Umweltzerstörung. So werden häufig für die erste Aufarbeitung der Erze direkt an der Mine hohe Mengen an (Trink-) Wasser verbraucht. Gerade in trockenen Gebieten in der Mongolei, Peru oder Australien entstehen so Konflikte zwischen Industrie auf der einen sowie Mensch und Umwelt auf der anderen Seite.

Immer wieder wird die Extraktion von Rohstofflagerstätten in schützenswerten Regionen diskutiert. So plant die bolivianische Regierung zum Beispiel in dem einzigartigen Salzsee Salar de Uyuni Lithium abzubauen. Diese Rohstoffgewinnung für Batterien der Elektromobilität und der damit verbundene Eingriff in ein einzigartiges Ökosystem stehen im Widerspruch dazu, die Elektromobilität zu fördern, um den Ausstoß von klimaschädlichen Emissionen zu reduzieren.

Politisch wird der Widerspruch zwischen einer klimapolitisch notwendigen Mobilitäts- und Energiewende und dem Energieverbrauch der Metallproduktion kaum beachtet. So zeigen Studien, dass allein die Produktion von Stahl und Aluminium global zu zehn Prozent der CO2-Emissionen beiträgt (Rankin 2012). Im Gegenteil: Das weltweit größte Bergbauunternehmen BHP Billiton begreift elektrische Fahrzeuge als „wichtigen Verbündeten“ für den zukünftigen Kupferabbau, denn in einem konventionellen Verbrennungsmotor seien knapp 20 Kilogramm Kupfer verbaut, in einem Hybrid-Auto würde bereits die doppelte Menge verwendet und in einem elektrischen Auto ungefähr 80 Kilogramm benötigt. So erwartet das Unternehmen, dass 2035 die Kupfernachfrage um 8,5 bis 12 Millionen Tonnen pro Jahr steigen wird (BHP Billiton 2016). BHP Billiton ist dabei jener Konzern, der eine 50 Prozent Beteiligung an der brasilianischen Eisenmine Samarco hält. Ein Rückhaltebecken dieser Mine brach am 5. November 2015. Die Flutwelle und die giftigen Rückstände töten zwanzig Menschen und zerstörten über viele Kilometer den Flusslauf und die Mündung des Rio Doce (London Mining Network 2017).

Ebenso ist der Widerspruch zwischen Klimaschutz und dem Rohstoffabbau in Klimasenken und Schutzgebieten nicht thematisiert. Die einfach zu erschließenden Rohstoffquellen sind in der Regel in der langen Geschichte des Bergbaus schon ausgeschöpft worden, sodass heutzutage auf entlegenere Gebiete und/oder auf Lagerstätten zurückgegriffen wird, deren Erzanteil am gesamt zu bewegenden Gestein wesentlich geringer ist. Schon heute enthält so zum Beispiel eine Tonne Elektroschrott mehr Gold als eine Tonne Gestein einer neu erschlossenen Mine.

In den meisten Fällen bestehen direkte oder indirekte Verbindungen zwischen den rohstoffabbauenden und -fördernden Ländern im globalen Süden und den Rohstoffe importierenden Ländern des globalen Nordens, sei es über Finanzierung, Projektträgerschaften, Lieferketten, Handel, die Beteiligung an Logistik sowie durch den Export von Maschinen, Equipment und Know-how. Auch deutsche Unternehmen sind indirekt über ihre Lieferkette immer wieder in Menschenrechtsverletzungen involviert. So ist BASF einer der Hauptabnehmer von Platin des südafrikanisch-britischen Konzerns Lonmin, der im August 2012 an einem Polizeieinsatz beteiligt war, bei dem 34 streikende Bergarbeiter in Marikana, Südafrika, starben (Khulumani Support Group et. al. 2016). In deutschen Kohlekraftwerken von RWE, EnBW, Vattenfall, STEAG oder E.On wird Steinkohle aus Kolumbien verstromt, deren Abbau vor Ort teilweise gravierende Menschenrechtsverletzungen verursacht. Das Bloomberg-Magazin berichtete im August 2014, dass Wolfram und Zinn aus einer Konfliktmine in Kolumbien bei BMW, Volkwagen und Siemens in den Produkten verarbeitet wurde (AK Rohstoffe 2015).

Deutschland selbst hat keine global bedeutenden Montanunternehmen. Ende der 1990er waren die Weltmarktpreise für Rohstoffe so niedrig, dass mit der Preussag das letzte große deutsche Auslandsbergbauunternehmen zum Touristikkonzern TUI umgewandelt wurde. Für die deutsche Industrie gab es keinen Grund, selbst in den Auslandsbergbau zu investieren, da Gewinnmargen gering, Investitionen aber hoch und riskant waren. Doch kaum war der Auslandsbergbau Deutschlands abgewickelt, veränderte sich der globale Markt. Durch die Nachfrage Chinas und anderer aufkommender Schwellenländer, eine stärkere Konzentration bei den Bergbaukonzernen, geringere Erz-Konzentrationen in abgebautem Gestein, steigende Spekulation an der Börse und eine starke Produktionsverlagerung nach Asien – neben China und dem Industrieland Japan wurden auch Südkorea und Indien große Rohstoffverbraucher – stiegen die Weltmarktpreise für die meisten Rohstoffe an (vgl. dazu auch Henning/Meienreis 2007).

Strategisches Ziel: Sicherung der Industrieversorgung

In Deutschland versuchen staatliche und nichtstaatliche Akteure daher seit mehr als zehn Jahren, mit verschiedenen Strategien eine Rohstoffpolitik durchzusetzen, die vor allem die Sicherung der Industrieversorgung und des Titels „Exportweltmeister“ zum Ziel haben. Im „Rennen um die noch vorhanden Rohstoffe“ (Klare 2012) war es anfangs die Industrie, die die Politik zum Handeln drängte. Die deutsche Industrie befürchtete mittelfristig eine Einschränkung der eigenen Versorgungssicherheit und gründete Anfang der 2000er Jahre den „Ausschuss für Rohstoffpolitik“ im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Ziel des Ausschusses ist es, das Thema Rohstoffpolitik auf die bundespolitische Tagesordnung zu setzen. In dem Interessensverband der Industrie ist traditionell die rohstoffverarbeitende Industrie stark vertreten.

Es begann eine kontinuierliche Lobbyarbeit, die zum ersten BDI-Rohstoffkongress am 8. März 2005 in Berlin führte. Wie sich die Industrie diese Diskussion vorstellte, erklärte Prof. Dr.-Ing. Dieter Ameling. Der damalige Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl und zugleich Präsidiumsmitglied des BDI machte deutlich, worum es der deutschen Industrie geht: „Wir können aber in Deutschland nur dann Exportweltmeister bleiben, wenn die Unternehmen freien und fairen Zugang zu den internationalen Rohstoffmärkten erhalten.“ (Zitiert nach: Fuchs und Reckordt 2013)

Auf dem zweiten BDI-Rohstoffkongress 2007 stellte die damalige große Koalition die „Elemente einer Rohstoffpolitik“ vor. Gleichzeitig gründete die Bundesregierung den Interministeriellen Ausschuss (IMA) Rohstoffe. In diesem IMA Rohstoffe tauschen sich alle beteiligten Ressorts unter Federführung des Wirtschaftsministeriums (BMWi) zur aktuellen Rohstoffpolitik aus. Während die Zivilgesellschaft an diesem Prozess nicht beteiligt ist, berichtet das BMWi auf seiner Homepage: Seit „Juni 2007 arbeitet auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) als Sachverständiger aktiv und konstruktiv an der Rohstoffpolitik mit und bündelt dabei die Interessen der Industrie.“

Im Oktober 2010 präsentierte die Bundesregierung dann auf dem dritten BDI-Rohstoffkongress die „Rohstoffstrategie der Bundesregierung“. Während die Industrie eng eingebunden war, konsultierte die Bundesregierung weder die Betroffenen in den Abbaugebieten noch deutsche Umwelt-, Menschenrechts- oder Entwicklungsorganisationen. Die „Rohstoffstrategie der Bundesregierung“ (BMWi 2010) liest sich daher praktisch wie der Forderungskatalog der Industrieverbände. In ihr werden weitere Freihandelsabkommen, eine kohärente Rohstoffdiplomatie und Streitschlichtungsklagen im Rahmen der WTO gefordert. Vor allem handelspolitische Maßnahmen anderer Länder, wie Exportzölle oder -quoten oder Importvergünstigungen sollen als Wettbewerbsverzerrungen mit harten Instrumenten (z.B. Klagen gegen Exporteinschränkungen) und einer Rohstoffdiplomatie im Sinne der deutschen Industrie abgebaut werden. Die Strategie verspricht darüber hinaus eine stärkere Unterstützung der Industrie bei der Diversifizierung der Rohstoffquellen, etwa über staatliche Kredite, Investitionsgarantien und Rohstoffpartnerschaften mit rohstoffreichen Ländern, geologische Vorerkundungen und eine verbesserte Datenbereitstellung. Zur Beratung gründete die Bundesregierung die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) unter dem Dach der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die als Dienstleister der Industrie fungiert. Ihre Aufgaben sind die wissenschaftliche Unterstützung bei der Diversifizierung von Rohstoffquellen und weitere Beratungsleistungen für die Industrie. Im aktuellen Koalitionsvertrag (CDU/CSU und SPD 2018) wird zudem die stärkere finanzielle Förderung der Rohstoffkompetenzzentren festgeschrieben, die in den Außenhandelskammern (AHK) angesiedelt sind und der Geschäftsanbahnung – Export von Maschinen und Technologie, Import von Rohstoffen – dienen.

Drei rohstoffpolitische Diskurse

Es sind insgesamt drei idealtypische Diskurse der Rohstoffpolitik zu erkennen (Werland 2012). Der erste und dominante ist der schon beschriebene und hegemoniale Diskurs der Versorgungssicherheit. Tonangebend ist die deutsche Industrie, als Hauptakteur vor allem der BDI, aber auch die Wirtschaftsvereinigung Stahl, die WirtschaftsVereinigung Metalle (WVM) oder der VDA (Verband der Automobilindustrie) und die ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie). Die Wirtschaftsverbände und Einzelunternehmen sind seit gut fünfzehn Jahren darum bemüht, das Thema Rohstoffsicherheit vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden geopolitischen Konkurrenz, steigender Weltmarktpreise und vermeintlicher Knappheit prominent auf der politischen Agenda zu platzieren. Dabei präsentieren die Industrieverbände das Thema nicht nur als Problem, sondern zeigen zugleich Wege zur Problemlösung auf: die Ausweitung des Rohstoffangebots sowie der freie und gleichberechtigte, im Industriejargon auch als „fair“ betitelte, Zugang zu Rohstoffen. In diesem Diskurs, den außen-, wirtschafts-, entwicklungs-, umwelt- und sicherheitspolitische Repräsentanten der Regierung gerne übernehmen, sind in erster Linie die Interessen der deutschen Wirtschaft gebündelt.

Der zweite ist ein entwicklungspolitischer Diskurs, der sich als „Korrektiv zum Versorgungssicherheits-Diskurs“ (Werland 2012) bezeichnen lässt. Er problematisiert vor allem die ökonomischen Folgen von Rohstoffexporten aus Entwicklungsländern. Eine fundamentale Kritik am Ansatz der Versorgungsicherung verbindet sich damit nicht unbedingt. Der Abbau von Rohstoffen müsste von entwicklungspolitischen Maßnahmen flankiert werden, mit denen in den Exportländern nicht nur Menschenrechte eingehalten werden können, sondern auch selbst eine nachhaltige Rohstoffversorgung für die Wirtschaft im In- und Ausland gewährleistet werden kann. Folgerichtig fordern Vertreter*innen dieses Diskurses verbesserte Instrumente zur Erhöhung der Transparenz, menschenrechtliche und ökologische Mindeststandards, Exportbeschränkungen als legitimes Mittel der Politik sowie Technologieexporte in die Abbauländer von Rohstoffen, insbesondere im Bereich der Recyclingtechnologie (AK Rohstoffe 2016a, Werland 2012).

Als dritten Diskurs benennt Werland die rohstoffpolitische Effizienz (Werland 2012). Dieser Diskurs beinhaltet die Forderung, den inländischen Ressourcenverbrauch zu verringern, um Abhängigkeiten von Rohstoffimporten zu verringern sowie negative soziale und ökologische Auswirkungen der Rohstoffgewinnung zu vermeiden. Das Schlüsselwort lautet Ressourceneffizienz: Das bedeutet, dass eine Entkoppelung von Rohstoffnutzung und Wirtschaftswachstum angestrebt wird. Vor allem das Umweltministerium und die europäische Kommission greifen diesen Diskurs immer wieder auf, vor allem im deutschen Programm Ressourceneffizienz, kurz: ProgRess (BMUB 2016).

Digitalisierung, Tiefseerohstoffe und alte Forderungen

Seitdem die deutsche Rohstoffstrategie 2010 verabschiedet wurde, haben sich die globalen Märkte rasant verändert. Durch Überkapazitäten beim Abbau von Rohstoffen und eine globale Wirtschaftsrezession verbunden mit einem Rückgang der Nachfrage Chinas, sind die Preise für fast alle metallischen – und energetischen Rohstoffe – bis zum Jahr 2016 deutlich gesunken. Der Druck der Industrie auf die Politik, ihre Interessen an Versorgungssicherheit zu vertreten, hatte in den letzten Jahren abgenommen. Auch die zivilgesellschaftliche Arbeit konnte den Diskurs in Deutschland beeinflussen. So richtete zum Beispiel das BMWi im November 2015 eine „Internationale Rohstoffkonferenz“ zum Thema „Verantwortung übernehmen – Nachhaltigkeit in der Rohstoffwirtschaft fördern“ aus. Auch der vierte BDI-Rohstoffkongress im Juli 2014 stand unter dem Titel „Rohstoffversorgung verantwortungsvoll und nachhaltig sichern“.

Gleichzeitig konnten punktuell gegen die Interessen der Wirtschaft einige Standards und Gesetzgebungen auf den Weg gebracht werden. Dabei ist zum einen das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) aus dem Jahr 2015 zu nennen, in dem es vor allem um Zahlungstransparenz im Rohstoffsektor geht. BilRUG wurde notwendig, da die Europäische Union ihre Bilanz- und Transparenz-Richtlinien überarbeitet hat. Gerade zivilgesellschaftliche Netzwerke, wie Publish what You Pay (PWYP) haben sich sehr für eine höhere Zahlungstransparenz von Rohstoffkonzernen eingesetzt, die ihre Zahlungen an Regierungen offenlegen, um damit Korruption zu bekämpfen. Ebenfalls gegen den Widerstand der Industrie konnte zudem eine EU-Verordnung zu Konfliktmineralien durchgesetzt werden, durch die europäischen Schmelzen, Raffinerien und Importeuren von Gold, Tantal, Wolfram und Zinn – den sogenannten Konfliktmineralien – eine Sorgfaltspflicht auferlegt werden konnte.

Doch mit der Debatte um Industrie 4.0, Digitalisierung, Energiewende und Elektromobilität verschieben sich gerade die rohstoffpolitischen Diskurse erneut. Denn mit diesen Entwicklungen einher geht ein zukünftiger Bedarf an speziellen Rohstoffen wie Kobalt, Lithium, Graphit oder Seltenen Erden, die sehr häufig nur in sehr wenigen Ländern lagern und produziert werden. Der BDI legte daher im Oktober 2017 mit „Rohstoffversorgung 4.0 – Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Rohstoffpolitik im Zeichen der Digitalisierung“ ein angepasstes Positionspapier vor. „Dabei wird nicht nur die Nachfrage steigen, sondern sich auch der Bedarf von Rohstoffen verändern. […] Vor diesem Hintergrund muss sich die Industrie gemeinsam mit der Politik auf die Veränderung des Rohstoffbedarfs vorbereiten. In dem Veränderungsprozess müssen alle drei Säulen der Rohstoffsicherung – Importrohstoffe, heimische Rohstoffe und Sekundärrohstoffe – in gleicher Weise berücksichtigt werden.“ (BDI 2017) Dazu rät der BDI, „Tiefseerohstoffe könnten beispielsweise in der Zukunft einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Versorgungssicherheit mit strategischen Rohstoffen leisten.“ (Ebd.) Viele der genannten Forderungen und „Ideen“ finden sich im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und der SPD wieder. So werden dort explizit erstmals Tiefseerohstoffe genannt. Diese können einen potentiell „wichtigen Beitrag zur langfristigen Versorgungssicherheit mit strategischen Rohstoffen“ leisten, betont der Industrieverband (BDI 2017), worauf hin die Koalitionsparteien versprechen: „Vor dem Hintergrund des wachsenden Bedarfs an Hochtechnologie-Rohstoffen wollen wir Projekte im Tiefseebergbau vorantreiben und unterstützen die Durchführung von Pilot-Mining-Tests.“ (CDU/CSU und SPD 2018)

Die Risiken dieser neuen Technologie sind aber nicht abzuschätzen. Die Menschheit weiß heute mehr über den Mond als über die Tiefsee. Die negativen Konsequenzen des Abbaus sind sowohl für den Meeresboden als auch für die Nahrungskette des Menschen nahezu unerforscht. Wissenschaftliche Studien zeigen allerdings, dass unter der Meeressäule erst an den rohstoffreichen, kartoffelgroßen Manganknollen ein Leben für viele Arten entstehen kann. Auf dem ansonsten sandigen, lockeren Meeresboden finden viele Arten ohne die Knollen zu wenig Halt und Schutz zum Aufzug ihres Nachwuchses. Das heißt, dass Heben dieser Manganknollen ist ein massiver Eingriff in Ökosysteme, die sich zum Teil nur wenige Meter auseinanderliegend bezüglich ihrer Biodiversität massiv unterscheiden können. Zudem können weitere, unerforschte, negative Konsequenzen auftreten, wie Staubverwirbelung, Lärmbelästigung oder etwaige Unfälle beim Verladen der Rohstoffe an der Meeresoberfläche. Noch gravierender sind voraussichtlich die Auswirkungen der Gewinnung der Rohstoffe von metallreichen Krusten und Massivsulfiden, weil hier der technische Aufwand zur Abtragung der Krusten, deutlich höher sein wird. Die Spuren eines Testversuchs in den 1970er Jahren zum Hervorholen der Tiefseeressourcen hat gezeigt: Das Ökosystem am Meeresboden hat sich auch Jahrzehnte nach einem Eingriff nicht erholt. Tiefseebergbau ist eine noch nicht angewandte Hochrisikotechnologie und wird zu einer Ausrottung von unzähligen Arten unter Wasser führen, die uns zum Teil heute noch unbekannt sind (Reckordt 2017b).

Dennoch planen sowohl einige Staaten erste Explorationsversuche – Deutschland selbst hat über die BGR zwei Lizenzgebiete in der Hohen See – sowie der kanadische Konzern Nautilus in den Gewässern vor Papua-Neuguinea den weltweit ersten Abbau. Die lokale Bevölkerung, vor allem lokale Fischer protestieren aus Angst um ihre Lebensgrundlagen gegen das Vorhaben von Nautilus Minerals. Auch deutsche NGOs unterstützen lokale Organisationen, die sich in der Deep Sea Mining Campaign zusammengeschlossen haben und ein Verbot von Tiefseebergbau fordern (AK Rohstoffe 2016b).

Gerade die Zukunftstechnologien werden industriepolitisch verstärkt unter dem Aspekt der Erhöhung des Verbrauchs von Metallen und Industriemineralen diskutiert. Eine Studie der Deutschen Rohstoffagentur zeigt, dass sich die Nachfrage nach Rohstoffen wie Tantal, Lithium oder Kupfer in Zukunft vervielfachen wird (DeRa 2016). Auch die Fragen nach zukünftiger Energieerzeugung und Mobilität können auf die Nachfrage bestimmter metallischer Rohstoffe eine große Auswirkung haben. Das nutzt der BDI rhetorisch geschickt, um seine Interessen durchzusetzen und die alten Forderungen nach handelspolitischen Instrumenten im Rahmen der WTO oder im Rahmen der Freihandelsabkommen der EU zu stärken (BDI 2017).

Ausblick

Während bei der Korruptionsbekämpfung durch Zahlungstransparenz und der Diskussion um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette im Rohstoffsektor in den letzten Jahren erste Fortschritte gemacht werden konnten, haben zahlreiche Medienbeiträge (vom Deutschland Radio und Enorm Magazin, über die WirtschaftsWoche bis zum ZDF) für eine Sensibilisierung für Umweltstandards und Menschenrechte in der Politik, Industrie und Gesellschaft gesorgt. Auf der anderen Seite ist – mit Hinblick auf planetare Grenzen, Klimakrise und Überlastung der Senken mit Umweltschadstoffen – die Diskussion um Suffizienz und Reduktion des absoluten Rohstoffverbrauchs nicht wesentlich konkreter geworden und kaum im politischen Diskursen verankert. Wenn überhaupt Suffizienz thematisiert wird, dann sehr häufig nur im Kontext von Konsumverzicht von privaten Konsument*innen (als „individuellem Konsum“), aber nicht im Sinne einer strategischen, nachhaltigen Wirtschaftspolitik, d.h. mit Bezug auf den „produktiven Konsum“ im Bereich der Industrie- und Konsumgüterproduktion. Sowohl die Industrieverbände als auch die herrschende Politik ignorieren diesen Diskurs.

Quellen

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AK Rohstoffe (2016a): Für eine demokratische und global gerechte Rohstoffpolitik; online unter: https://power-shift.de/wordpress/wp-content/uploads/2016/08/AK _Rohstoffe_demokratische_und_global_gerechte_rohstoffpolitik.pdf

AK Rohstoffe (2016b): Verbände fordern Stopp des Tiefseebergbaus! Kein Wettlauf um Rohstoffe auf Kosten von Umweltschutz und Menschenrechten.

BDI (2017): Rohstoffversorgung 4.0 – Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Rohstoffpolitik im Zeichen der Digitalisierung; Berlin

BHP Billiton (2016): The bullish thesis for copper (31.10.2016). Online unter: bhp.com/media-and-insights/prospects/2016/10/the-bullish-thesis-for-copper

BMUB (2016): Deutsches Ressourceneffizienzprogramm II – Programm zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen; online unter: http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/progress_ii_broschuere_bf.pdf

BMWi (2010): Rohstoffstrategie der Bundesregierung – Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen. Berlin

Bundestag (2015): Debatte im deutschen Bundestag: Kontroverse um Regeln zur Firmenverantwortung.

CDU/CSU und SPD (2018): Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD; online unter: https://www. cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1

DERA (2016): Rohstoffe für Zukunftstechnologien 2016; online unter: https://www.deutsche-rohstoffagentur.de/DERA/DE/Downloads/Studie_ Zukunftstechnologien-2016.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Forum Menschenrechte et al. (2016): Zivilgesellschaftliches Engagement weltweit in Gefahr – Für gerechte Entwicklung, Umweltschutz, Demokratie, Menschenrechte und Frieden, Berlin

Fuchs, Peter und Michael Reckordt (2013): Rohstoffsicherung in Deutschland und zivilgesellschaftliche Antworten; In: Peripherie Nr. 132, S. 501-510, Münster

Global Witness (2017): Defenders of the Earth – Global killings of land and environmental defenders in 2016, London

Heidelberg Institute for International Conflict Research (2017): Conflict Barometer 2016 – disputes, non-violent crises, violent crises, limited wars, wars, No. 25/2017. Online verfügbar. S. 21.

Henning, Klaus und David Meienreis (2007): Die Rohstoffstrategie der BRD; In: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, H. 71 (September 2007), S. 76-85

Klare, Michael T. (2012): The Race for What’s Left. The Global Scramble for the World’s Last Resources. New York

Khulumani Support Group et. Al. (2016): Plough back the fruits – the struggle for justice and restitution – The bodymaps of the widows of Marikana, Hamburg/Johannesburg/Wien

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Rankin, John (2012): Energy Use in Metal Production; Presentation, Online unter: https://publications.csiro.au/rpr/download?pid=csiro:EP12183&dsid=DS3

Reckordt, Michael (2017a): Globale Rohstoffpolitik im Interesse der Industrie; Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Jg. 30, Heft 1 2017

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Werland, Stefan (2012): Debattenanalyse Rohstoffknappheit; Projekt Ressourcenpolitik (PolRess), PolRess Arbeitspapier AS 5.1, Berlin