Postkapitalismus und Commons

Henryk Grossmann 2.0

Eine Kritik an Paul Masons Buch „Postkapitalismus: Grundrisse einer kommenden Ökonomie"

von Christian Fuchs
September 2016

1857 beschrieb Karl Marx (1857/1858, 94) neue Institutionen, „worin jeder einzelne sich Auskunft über die Tätigkeit aller andren verschafft“ und es ihm möglich gemacht wird, „Verhältnisse und Verbindungen” untereinander aufzubauen. Da könnte man doch glatt auf den Gedanken verfallen, dass es nicht Tim Berners Lee, sondern Karl Marx war, der das Internet erfand (s. Fuchs 2014a, 17)! Bei dem, was sich wie eine frühe Beschreibung des Internet liest, handelt es sich jedoch um die Analyse von Preiscourantlisten, einer wichtigen Informationsquelle für die Organisation des Handels im 19. Jahrhundert. Denn Marx war nicht nur Theoretiker des Kapitalismus, sondern auch der Kommunikation (s. Fuchs 2016d, 2009; De La Haye 1980) oder, wie er es nannte, der Kommunikationsmittel. Es nimmt daher nicht wunder, dass nicht nur die jüngste kapitalistische Dauerkrise, sondern auch der Siegeszug des Internets das Interesse an Marx befeuert hat. Dabei konnte das Aufkommen eines so genannten digitalen Marxismus beobachtet werden (z.B. Dyer-Witheford 1999, Fisher und Fuchs 2015; Fuchs 2014a, 2014c, 2015a, 2017; Fuchs and Mosco 2012, 2016; Huws 2003, 2014). Auch der Journalist Paul Mason hat sich an das Thema gewagt und mit seinem populärwissenschaftlichen Buch Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie[1] einen Schritt in dieses Feld gewagt. In der Monographie macht Mason es sich zur Aufgabe, die Entwicklung der Technologie als Grundlagen zu beschreiben für das, was er eine postkapitalistische Wirtschaft nennt.

Lange Wellen der ökonomischen Entwicklung: Kondratieff, Schumpeter und Marx

Für Paul Mason wird der Postkapitalismus eine Folge des Aufstiegs der Informationstechnologie sein: „Ermöglicht wird der Postkapitalismus durch drei Auswirkungen der Technologien, die in den letzten 25 Jahren entwickelt wurden“ (16): 1.) die Verwischung der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit 2.) die Informationsflut 3.) gemeinsame digitale Sharing- und Commonproduktion (peer production). „Der größte innere Widerspruch des heutigen Kapitalismus ist der zwischen der Möglichkeit eines unerschöpflichen Angebots an kostenlosen Gütern und einem System von Monopolen, Banken und Staaten, die alles tun, damit die Güter knapp, kommerziell nutzbar und in Privatbesitz bleiben.“ (S. 20). Schon bei diesen Prämissen wird klar, dass Mason hier die IT-Wirtschaft überbewertet und völlig ausblendet, dass es sich beim Kapitalismus nicht bloß um einen digitalen, sondern zur gleichen Zeit um einen finanzmarktorientierten, industriell hoch entwickelten, von fossilen Rohstoffen befeuerten und von Logistikmonopolen bewegten Kapitalismus handelt (Fuchs 2014a, Kapitel 5).

Mason argumentiert mithilfe einer Theorie langer Krisenzyklen, einer Kombination aus Kondratieffs Theorie der langen Wellen (eine Theorie, die davon ausgeht, dass die kapitalistische Entwicklung sich in 50jährigen Zyklen bewegt, bei denen 25 Jahren ökonomischen Aufschwungs 25 Jahre Rezession folgen) und Marx Theorem des tendenziellen Falls der Profitrate (TFPR). Der „Zyklus ist zum Stillstand gekommen. Und das hat etwas mit dem Neoliberalismus und der Technologie selbst zu tun“ (81), da Firmen Profite eher dafür nutzen, „Dividenden auszuzahlen anstatt sie zu reinvestieren“ (110). Als Faktoren, die den Aufstieg des Neoliberalismus begünstigt hätten, nennt Mason „Fiatgeld, Finanzialisierung, Verdoppelung der Erwerbsbevölkerung, globale Ungleichgewichte einschließlich der deflationären Verbilligung der Arbeit sowie die Verbilligung alles anderen durch die Informationstechnologie“ (151).

Mason setzt den vierten Zyklus für die Zeit von den 1940er Jahren bis 2008 an. Dieser Zyklus wurde, so Mason, durch „Transistoren, Kunststoffe, Massenkonsumgüter, Atomkraft und Elektronenrechner“ vorangetrieben (81). Im Gegensatz zu Joseph Schumpeters Annahmen, so seine Argumentation, rühren Innovationen und die Adaption technischer Neuerungen nicht von unternehmerischer Innovation her, sondern seien auf die Kämpfe der Arbeiterklasse zurückzuführen, die den Kapitalismus immer wieder gezwungen hätten, sich selbst neu zu erfinden (112f.). Die Schlüsseltechnologien des verzögerten fünften Zyklus sind, so Mason, „Vernetzungstechnologie, mobile Kommunikation, ein wirklich globaler Markt und Informationsgüter“ (81).

Die Kombination von Kondratieff und Marx im Rahmen einer marxistischen Theorie der langen Wellen als Alternative zum Schumpeterianismus ist nichts Neues.[2] Dabei scheint Paul Mason die Diskussion dieser zwei Theoreme bei Ernest Mandel, z.B. in „Der Spätkapitalismus“ (1972; für eine Diskussion siehe Fuchs 2016d, 151-152, 211) zu ignorieren oder nicht zu kennen. Mandels Analysen legten die Existenz langer Zyklen der Entwicklung der Profitrate nahe und gingen von einem Abschwung der 4. Welle seit ca. 1967 aus. Ähnlich wie Mandel nimmt Mason an, dass der tendenzielle Fall der Profitrate sich in langen Wellen vollzieht, die ca. 50 Jahre andauern: „Die rückläufige Tendenz einer Profitrate, die in unablässiger Wechselwirkung mit den entgegenwirkenden Einflüssen steht, erklärt sehr viel besser als Kondratjews Interpretation, was den Fünfzig-Jahr-Zyklus antreibt“ (117). Mandel schrieb in seiner Dissertation von 1972: „Die Geschichte des Kapitalismus im internationalen Bereich erscheint so nicht nur als ein Nacheinander von zyklischen sieben und zehnjährigen Bewegungen, sondern auch als ein Nacheinander von längeren, etwa fünfzigjährigen Perioden. [...] Aufsteigende Konjunktur ist nur bei steigender Profitrate möglich, die ihrerseits die Bedingungen für eine neuerliche Erweiterung des Marktes und der Konjunktur schafft. An einem bestimmten Punkt der Entwicklung müssen aber die gestiegene organische Zusammensetzung des Kapitals und die Begrenzung des Absatzes der Waren an die ‚letzten Konsumenten’ sowohl die Profitrate senken wie auch den Markt relativ einengen. In der Überproduktionskrise entladen sich diese Widersprüche. Die fallende Profitrate führt zur Einschränkung der Investitionen, die den ‚Krach’ in eine Depression verwandelt“ (Mandel 1972, 113, 401)

Wie Kondratieff, Schumpeter und Mandel nimmt Mason an, dass Fünfzig-Jahr-Zyklen der langfristige Rhythmus des Profitsystems“ (110) sind. Doch gerade seine eigenen Behauptungen sprechen gegen eine derart metaphysische Annahme auf 50 Jahre angelegter Wellenlängen: An anderer Stelle beziffert er die Länge der vierten Welle mit 60 Jahren (S. 81). Setzt man voraus, dass der Kapitalismus als ein komplexes, dynamisches und offenes System funktioniert (Fuchs 2004, 2006b, 2002) kann die deterministische Behauptung von Wellen, die 50 Jahre andauern, nicht aufrechterhalten werden (s. Fuchs 2016d, 150-159).

Im Gegensatz zu Neoschumpeterianern wie Christopher Freemann oder Carlota Perez weist Mason die Annahme zurück, das Zeitalter der Informationstechnologie resultiere in einer längeren Welle mit ausgedehntem Wachstum. Der Grund dafür ist weder Skepsis gegenüber Determinismus, undialektischer und instrumenteller Logik, sondern eine andere Form des Determinismus: Paul Masons Hauptargument läuft darauf hinaus, dass Informationstechnologie den Zusammenbruch des Kapitalismus herbeiführen wird.

Karl Marx

„Marx konnte die entscheidenden Phänomene des 20. Jahrhunderts nicht berücksichtigen: den Staatskapitalismus, die Monopole, die komplexen Finanzmärkte und die Globalisierung“ (88). Offensichtlich hat Marx nicht im 20. Jahrhundert gelebt. Doch hat er viele Entwicklungen antizipiert und, anders als Mason behauptet, sehr wohl etwas von Globalisierung, Monopolen und der Finanzwelt verstanden. Schon im Kommunistischen Manifest wiesen Marx und Engels auf die enge Verzahnung von Kapitalismus, Globalisierung und Technologie hin. So habe es beim „Handel, der Schifffahrt, den Landkommunikationen eine unermeßliche Entwicklung gegeben. Diese hat wieder auf die Ausdehnung der Industrie zurückgewirkt. [...] Überall muß sie [die Bourgeoisie] sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. (MEW 4: 463f, 464) Gerade aufgrund der neuen Entwicklungen– neuer Kommunikationswege und einer neuen Runde der Globalisierung – könnten wir, meint Eric Hobsbawm (2011, 112), heute viel klarer sehen, wie sich die Vorhersagen des Manifests realisieren, als die Generationen zwischen seinem Erscheinen und unserer Zeit.

Auch trifft es nicht zu, dass Marx die Tendenz zum Monopol im Kapitalismus nicht gesehen haben soll. Die Entwicklung in dieser Richtung ist ein Kernaspekt von dem, was Marx im 1. Band des Kapitals die historische Tendenz der kapitalistischen Akkumulation nennt. Diese schließt eine „Zentralisation von Kapital“ aufgrund der „immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst“ ein, so dass für Marx gilt: „Je ein Kapitalist schlägt viele tot.“ (MEW 23: 790) Er hatte auch ein Auge für den Anteil der Spekulation und die Krisenanfälligkeit des Finanzkapitals, wie seine Analysen des fiktiven Kapitals im dritten Band seines Hauptwerkes belegen. Er nannte die Finanzbranche „ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel“ (MEW 25: 454).

Entgegen der Annahme Masons müssen wir hervorheben, dass Marx viele der Entwicklungstendenzen des Kapitalismus im 20. Jahrhundert vorausahnte. Der Kapitalismus erfährt – mit den Begriffen der Dialektik Hegels gesprochen – durch seine Krisen Aufhebungen, die relativ unvorhersehbare Veränderungen hervorzubringen im Stande sind. Durch Krisen tun sich Scheidewege (sogenannte Bifurkationen) auf, die den Fortgang des Systems destabilisieren. Marx’ Theorie selbst ist dialektisch und historisch in dem Sinne, dass sie die grundlegenden Strukturen und Tendenzen des Kapitalismus beschreibt, jedoch für jede spezifische Phase kapitalistischer Entwicklung neu adaptiert und „aufgehoben“ werden muss. Marx ist also für die Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus keineswegs ungeeignet, sondern seine Theorien bilden gerade die Basis für eine dialektische Analyse nicht nur des Kapitalismus des 21. Jahrhundert, sondern ebenso aller anderen Epochen des Kapitalismus und der Klassengesellschaft (s. Fuchs 2016a, 2011).

Marx „Grundrisse“ und die Einzigartigkeit der Information

Mit Hilfe der neo-klassischen Gütertheorie stellt Paul Mason die Hypothese einer Einzigartigkeit der Information auf: „Die Informationsgüter verändern alles“ (164), weil sie keine Rivalität im Konsum haben und andere nur schwer von ihrem Konsum ausschließbar sind (165) und weil sie „kostenlos reproduziert werden“ können (165). Information würde daher den Preismechanismus unterlaufen, was im Gegenzug einen Widerspruch zwischen künstlichen kapitalistischen Datenmonopolen und „gemäß Allmende-Logik produzierten Gütern“ (195) als auch der alternativen, nicht-marktwirtschaftlichen Informationsökonomie erzeugen würde. Als Beispiel für letzteres nennt Mason z.B. Wikipedia, Wikileaks, Open Source, Creative Commons, kostenlose Software etc.

Damit stößt Paul Mason ins gleiche Horn wie Jeremy Rifkin, der die Zukunft einer „Null-Grenzkosten-Ökonomie“ heraufbeschwört: Wo Kommunikationstechnologie, Erneuerbare Energien und die Weiterentwicklung öffentlicher Verkehrsmittel in einem „Internet der Dinge“ aufeinander träfen, entstünde eine Marginal- oder nahezu Nullkosten-Gesellschaft, in welcher „die Grenzkosten der Produktion und Distribution“ von Information „fast auf Null sänken“ (Rifkin 2015: 5). Damit würden kollaborative „commons“ (Gemeingüter) entstehen, die den „Übergang von der kapitalistischen Ära ins kollaborative Zeitalter“ beschleunigen, „die Biosphäre heilen und in der ersten Hälfte des 21. Jahrhundert eine gerechtere, humanere und nachhaltigere globale Ökonomie für jedes menschliche Wesen auf der Erde“ (Rifkin 2015: 380) schaffen würde. Sowohl Mason als auch Rifkin äußern sich überschwänglich optimistisch darüber, wie Informationstechnologie das Ende des Kapitalismus einläuten und einfach in einer besseren Welt enden muss, die den Kapitalismus transzendiert. Dieser Optimismus stützt sich auf einen gefährlichen Techno-Determinismus, der den antagonistischen Charakter des digitalen Kapitalismus und seine imperialistischen Tendenzen unterschätzt, sich neue, innere Kolonien der Ausbeutung zu schaffen.

Masons Analyse stützt sich dabei auf eine spezielle Lesart von Marx „Maschinenfragment“ aus den Grundrissen (MEW 42: 590ff.), die besonders durch eine theoretische Schule innerhalb des „autonomen Marxismus“ vorangetrieben wurde, der z.B. Antonio Negri, Michael Hardt, Carlo Vercellone, Yann Moulier Boutang, Maurizio Lazzarato und Paolo Virno zugehören, auf den sich Mason positiv bezieht. Seiner Interpretation nach stellt der Aufstieg der Informationsökonomie – oder dessen, was die Autoren dieser Schule den „kognitiven Kapitalismus“ nennen – das Wertgesetz auf den Kopf, stellt die Arbeitszeit als Quelle des Werts in Frage und lässt ihn „unmessbar“ und „immateriell“ werden, wodurch eine letzte Krise des Kapitalismus heraufziehe und mit ihr auch gleich der Übergang zum Kommunismus einsetze.

Marx’ Grundrisse würden zeigen, dass „eine Maschine, die ewig währt oder ohne Arbeitsaufwand erzeugt werden kann, [...] keine Arbeitsstunden zum Wert der von ihr erzeugten Produkte hinzufügen“ (224) würde. Er fährt fort, dass die Informationsökonomie eine „Welt der kostenlosen Dinge“ hervorbringe, die „nicht kapitalistisch sein“ (194) könne, eine „Aushöhlung des Werts“ (195) zeitige und mit der der Wert letztendlich „verschwinde“ (228). Sein Argument geht wie folgt: Informationstechnologie erzeuge eine zeitlose, von der Arbeitszeit entkoppelte Ökonomie: „Nützliche Dinge, die mit verschwindend geringem Arbeitsaufwand produziert werden können, werden wahrscheinlich gratis sein“ (221). „Die Informationstechnologie ist nur das jüngste Ergebnis eines Innovationsprozesses, der seit 250 Jahren läuft. Informationen verleihen diesem Prozess jedoch eine neue Dynamik. Denn die Informationstechnologie bringt Maschinen hervor, die nichts kosten, ewig halten und nicht zusammenbrechen“ (ebd.) „Technologisch sind wir auf dem Weg zu kostenlosen Gütern, nichtmessbarer Arbeit, exponentiellen Produktivitätszuwächsen und der umfassenden Automatisierung physikalischer Prozesse. Gesellschaftlich sind wir Gefangene einer Welt, die von Monopolen, Ineffizienz, den Ruinen eines vom Finanzsektor beherrschten freien Markts und der Ausbreitung von ‚Bullshit-Jobs’ geprägt ist. Der wesentliche innere Widerspruch des modernen Kapitalismus ist der zwischen der Möglichkeit kostenloser, im Überfluss vorhandener Allmendeprodukte und einem System von Monopolen, Banken und Regierungen, die versuchen ihre Kontrolle über die Macht der Information aufrechtzuerhalten. Es tobt ein Krieg zwischen Netzwerk und Hierarchie.“ (196)

Für Mason gibt es „strukturelle Hindernisse“ (232), die dem Entstehen des Info-Kapitalismus im Wege stehen: Nullkosten, Nullpreise, das Problem der Umbildung von Arbeitskräften und der menschlichen Widerstand gegen die Kommodifizierung: „Daher kämpft der Informationskapitalismus in Wahrheit ums nackte Überleben. Wir sollten mitten in einer dritten industriellen Revolution stecken, aber sie ist zum Stillstand gekommen (...) Eine auf Wissen beruhende Volkswirtschaft kann aufgrund ihrer Tendenz zu kostenlosen Produkten und schwachen Eigentumsrechten keine kapitalistische Volkswirtschaft sein.“ (234)

Im Anhang zu meinem Buch „Reading Marx in the Information Age“ habe ich mich auch auf das „Maschinenfragment“ in Marx Grundrissen konzentriert (Fuchs 2016d, 360-375) und habe mich dort mit der Sichtweise der „autonomen Marxisten“ auseinandergesetzt, auf die sich Mason bezieht. Ein Hauptproblem besteht meines Erachtens in einem Missverständnis des Fragments, besonders der Passage, in welcher Marx schreibt: „Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören, die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts“ (MEW 42: 601). In der ganz bestimmten Form des Marxismus, auf die sich Mason bezieht, wird diese Passage dahingehend gedeutet, dass die Informationstechnologie und der „kognitive Kapitalismus“ das Wertgesetz außer Kraft setzen und den automatischen Übergang zum kognitiven Kommunismus zur Folge haben werde.

Doch Marx macht deutlich, dass dies nur für die Situation gelte, in welcher die „Arbeitermasse selbst ihre Surplusarbeit“ sich aneignen muss (MEW 42: 604). Marx spricht vom Zusammenbruch des Wertgesetztes im Postkapitalismus, nicht im Kapitalismus! So lange der Kapitalismus existiert, bildet das Wertgesetz die räumliche und zeitliche Grundlage für die Ausbeutung der Arbeitskraft. Informationstechnologie erweitert den Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen, doch sie machen das Wertgesetz mitnichten ungültig.

In seiner Studie zu Marx Grundrissen beschreibt Roman Rosdolsky (1968: 504), wie Marx beim Verfassen des Fragments an das „Absterben des Wertgesetzes im Sozialismus“ gedacht haben muss, nicht etwa im Kapitalismus. Ebenso betont Moishe Postone (2008: 126) die Krise des Wertes im Kapitalismus sei „nicht durch eine neue Form des Reichtums ersetzt“ worden, sondern sie bleibe „notwendige strukturelle Vorbedingung der kapitalistischen Gesellschaft“. Der „Kapitalismus eröffnet zwar die Möglichkeit seiner eigenen Negation, doch er verwandelt sich nicht automatisch in etwas anderes“ (Postone 2008: 127). Mit Rosdolskys Studie der Grundrisse und den Arbeiten von Postone, einem der bekanntesten Vertreter der Schule der Wertkritiker, sind nur zwei marxistische Ansätze genannt, die Mason offensichtlich nicht berücksichtigt hat. Er kommt damit zu einer eindimensionalen und deterministischen Interpretation der Arbeitswerttheorie. Zudem ignoriert er die Diskussionen über die digitale Werttheorie (Fisher und Fuchs 2015, Fuchs 2014a; Fuchs 2015a, Kap. 4-6). In dieser zugegeben komplexen und viele Aspekte berührenden Debatte geht es um mehrere Gedankenstränge, die verschiedene Kategorien, wie etwa die Produktivität der digitalen Arbeit, den Gesamtarbeiter, die Zirkulationssphäre, die Rente, die Werbung als ideologische Arbeit, gesellschaftliche Reproduktionsarbeit, die Konsumarbeit, die Kommodifizierung, die Arbeit des Publikums und der Nutzer, die politische Ökonomie personalisierter Onlinewerbung oder immaterielle Arbeit/den kognitiven Kapitalismus in den Vordergrund rücken. Mason begnügt sich schlicht mit letzterem und einer darauf beruhenden Interpretation der Werttheorie der digitalen Arbeit.

Obgleich die Zeit, die nötig ist, Informationen zu kopieren, recht klein ist, können wir immer noch beobachten, wie das Kapital versucht, neue Formen der Arbeitszeit, der Wertschöpfung und der Ausbeutung einzuführen. Erstens ist es natürlich so, dass kommerzielle Software und andere Informationsgüter nicht einmal hergestellt und dann immer wieder aufs Neue kopiert werden können. Vielmehr gibt es immer neue Versionen, konstante Updates und Formen des technischen Supports in Form menschlicher Arbeit. Es ist daher kaum überraschend, dass die Anzahl jährlicher Arbeitsstunden im IT-Sektor und anderen Informationsbranchen (einschließlich Softwareentwicklung und anderer Berufe) z.B. in Deutschland von 765 Millionen im Jahr 2000 auf 1,069 Milliarden im Jahr 2010 angestiegen sind (OECD STAN). Zweitens muss in Betracht gezogen werden, dass die politische Ökonomie des Internets auf personalisierter Werbung basiert. Die Werbeindustrie taucht in Masons Analyse bloß als Fußnote auf, obgleich die globalen Einnahmen der Industrie von 234 Milliarden Pfund Sterling 2010 auf 283 Milliarden im Jahr 2014 anstiegen (Ofcom 2015). Der Anteil von online geschalteter Werbung hat insgesamt stark zugenommen, was als ein Grund für die Krise der Printmedien angesehen werden kann. Bei Google und Facebook handelt es sich daher auch folgerichtig nicht um „Kommunikations“-Firmen, sondern vielmehr um die weltgrößten Werbeagenturen (Fuchs 2014c). Werbung basiert nicht nur auf der Arbeitszeit der professionellen Marketingstrategen, sondern auch auf der Zeit, in welcher Kunden ihr Aufmerksamkeit widmen und sich auf kommerziellen Webseiten aufhalten. Im Kern handelt es sich dabei um (unbezahlte) Arbeitszeit. Dieses Phänomen lässt sich, wie ich bereits an anderer Stelle gezeigt habe, mit Dallas Smythes Theorie einer Verwischung der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit und zwischen Spiel und Schufterei erklären (Fuchs 2014a, 2014c, 2015a).

Drittens existiert eine internationale Arbeitsteilung der „digitalen“ Branche, in welcher verschiedene Formen der Arbeit organisiert sind (Fuchs 2014a, 2015a). Dies reicht von der Ausbeutung halb versklavter Minenarbeiter im Kongo, tayloristisch organisierter Montagearbeiten bei Foxconn in China und Taiwan bis hin zu Softwareentwicklern in Indien oder dem Silicon Valley und eben den mannigfaltigen Formen unbezahlter Onlinearbeit (ebd.). Die Produktion von Informationstechnologie ist auf hohe Ausbeutungsraten der Arbeit angelegt und sehr zeitaufwendig. Die Annahme, in dieser Informationsökonomie würde das Wertgesetz seine Gültigkeit verlieren, unterschätzt die Gefahren, die von tatsächlich existierender Ausbeutung in der kapitalistischen Ökonomie ausgehen.

Viertens finden sich in der digitalen Arbeitswelt unzählige Formen irregulärer, unbezahlter, prekärer, outgesourcter, crowdgesourcter Arbeit und auch die jüngst in aller Munde geführten Click-Worker. Als Beispiel ließe sich der Gebrauch von Facebook, Google, Youtube, Weibo, LinkedIn, Pinterest und Instragram anführen. Online-Reviews bei Amazon oder Yelp, Arbeitsbeschaffung über Plattformen wie Upwork, PeoplePerHour, Amazons Technical Turk oder ClickWorker. Die Teilnahme an Kundenumfragen gehört ebenso dazu wie die Installation von Software Updates, Spamlöschung, die Zeit, die auf Datingseiten wie Tinder verbracht wird; die Beantwortung professioneller Emails über das Handy oder das Tablet jenseits der Arbeitszeit, das Arbeiten im Zug, in der U-Bahn oder in Cafés oder das Online-Buchen von Reisen.

Unbezahlte Arbeit und produktiver Konsum, der Wert hervorbringt, finden sich nicht nur im Internet. Man denke nur an Selbstbedienungstankstellen, die IKEA-Möbel zum selber zusammenbauen, Hausarbeit allgemein, den Weg zur Arbeit, die Säuberung von Abfall, bevor man ihn wegwirft, Bankomaten, Selbstbedienungskassen im Supermarkt, die Kultur unbezahlter Praktika, Check-In-Schalter an Flughäfen, Ticketautomaten in der U-Bahn, Zug- und Busstationen, automatisierte Kioske in privatisierten Postbüros, Selbstbedienung in Restaurants, Fast-Food-Ketten etc. „Schattenarbeit umfasst all die unbezahlten Aufgaben, die wir im Grunde genommen für die Unternehmen erledigen. [...] Kunden zapfen ihr eigenes Benzin, setzen ihr eigenes Bier an, servieren sich selber ihren Frozen Yoghurt und packen sich ihren Basmati-Reis an der Selbstbedienungstheke des Wholefoods ab und kleben den Preis drauf. Sie füllen ihre Teller an Salatbars, Lo Mein, Makkaroni mit Käse oder Rührei gibt es am Büfett. [...] Mit 3-D Druckern ist nur noch der Download des Designs nötig, um viele Objekte auszudrucken, die man vor nicht allzu langer Zeit im Laden gekauft hätte. Das ist nichts anderes als Heimarbeit.“ (Lambert 2015: 1, 251f.).

Die Arbeit von Konsumenten und sogenannten „Prosumern“ „im Schatten“ funktioniert deshalb, weil sie sich objektiv nicht wie Arbeit anfühlt, am Ende des Tages aber Wert für das Unternehmen erzeugt wurde. Und doch hat sie Zeit in Anspruch genommen. Und zwar Zeit, die außerhalb der Warenkultur hätte genutzt werden können. Sie ersetzt bezahlte Arbeit durch prekäre und unbezahlte Arbeit und hilft so den Unternehmen dabei, Profite zu erhöhen, indem sie ihre Lohnkosten senken können. Damit ließe sich formulieren, dass Konsumenten und Kunden Teil der Arbeiterklasse geworden sind.

Es ist nicht meine Absicht, hier die Übernahme stupider Arbeiten durch Maschinen zu verdammen. Vielmehr geht es mir darum, die Widersprüche offen zu legen, auf die Marx in seinem Maschinenfragment hingewiesen hat – Widersprüche, die sich im Zeitalter der Informationstechnologie so zuspitzen, dass die Automatisierung und Digitalisierung der Arbeit eben nicht nur zu Arbeitslosigkeit führt, sondern auch neue Formen der Ausbeutung hervorbringt, die nicht nur prekär, sondern oft auch unbemerkt und versteckt wirken.

Ein Blick auf die massiven Profite der größten transnationalen (digitalen) Medienkonzerne genügt, um zu verstehen, dass das Wertgesetz noch wirksam ist. 2015 belegte Appl mit einem jährlichen Profit von 44,5 Milliarden Dollar den 12. Platz der größten transnationalen Unternehmen. Microsoft lag an 25. Stelle (ca. 20,7 Milliarden), es folgen Google an 39. Stelle, IBM an 44., Comcast an 46., Disney an 84. Stelle, HP an 96., Foxconn an 122., Century Fox an 150., Time Warner an 163, etc. (Forbes 2000, 2015). Diese Profite sind nicht vom Himmel gefallen und sind nicht aus Nichts geschöpft worden. Sie sind das Resultat der Ausbeutung von bezahlter, unbezahlter, prekarisierter oder outgesourcter digitaler Arbeitszeit, die ökonomischen Wert in der internationalen Teilung der Arbeit produziert.

Der Grund dafür, dass die Internetökonomie (wie alle Bestandteile des Kapitalismus) nicht gegen Krisen gefeit ist, liegt jenseits des Wertes und der Arbeitszeit. Es sind vielmehr die völlig überzogenen, ideologisch induzierten Erwartungen, der Aufstieg des Internets könne den Fall der Profitraten in anderen Branchen kompensieren. Jede neue Entwicklung in der digitalen Welt führt zu neuen Versionen dieser Heilsversprechen (Mosco 2004) und techno-optimistischen Ideologien, die das Internet und die Computertechnologie fetischisieren. Die Hoffnungen auf massive Profite im kapitalistischen Internet haben sich von jeder ökonomischen Realität weit entfernt. Sie gehen über das hinaus, was durch die Ausbeutung digitaler Arbeit geleistet werden kann. Das treibt die Finanzialisierung der Internetökonomie nur noch weiter voran. Schon die Dot-Com-Krise im Jahr 2000 zeigte, was passiert, wenn solche Finanzblasen platzen.

Der Aufstieg der Informationstechnologie hat zu Widersprüchen geführt, die sowohl ein neues digitales und konsumierendes Proletariat hervorgebracht haben, das Teil der globalen Arbeiterklasse geworden ist, als auch finanzialisierte Informationsmonopole, welche den informationellen Kapitalismus hoch anfällig für Krisen machen. Laut Mason ist ein digitaler, bzw. informationeller Kapitalismus gar nicht möglich. Dabei gehört er zur Realität, in der wir heute gezwungen sind zu leben. Das digitale Wertgesetz hat jedoch nicht nur neue Formen der Ausbeutung hervorgebracht, seine Widersprüche haben auch dazu geführt, dass Räume für nicht-kommerzielle, alternative, kooperative Produktion entstanden und eine solidarische, auf so genannten „Commons“ und Peer-Production basierende Ökonomie außerhalb der kapitalistischen Sphäre aufgetaucht ist, welche das Wertgesetz in Frage stellen. Doch das Ziel und die Tendenz, das Gesetz zu zerstören, folgt keinem Automatismus, der aus der Information bzw. der Informationstechnologie an sich entstünde. Vielmehr ist es so, dass dies nur durch einen bewussten politischen Kampf für die Dekommodifizierung von Information, Wirtschaft, ja der Welt gelingen kann. Das aber setzt eine dialektische politische Einheit von Massen in sozialen Bewegungen und einer Partei voraus (Dean 2016). „Menschenmengen sammeln sich an, doch sie bestehen nicht. [...] [Es ist] die Menge, welche eine Partei dazu drängt, über die Erwartungen hinaus zu gehen [und] die Partei, welche den Mut der Menschen in der Hast der Masse findet. [...][Die] Partei arbeitet daran, das kollektive Verlangen nach Kollektivität aufrechtzuerhalten, nachdem die Massen bereits nach Hause gegangen sind.“ (Dean 2016, 26, 260)

Klassenkampf und politischer Wandel

Paul Mason gelingt mit seinem Buch kein profunder Beitrag zum digitalen Marxismus. Seine Analyse stellt einen eindimensionalen, technodeterministischen Ansatz dar, welcher die Analyse der digitalen Arbeit, die internationale Arbeitsteilung im IT-Bereich und den Widerspruch zwischen digitaler Arbeit und digitalem Kapital nicht mit einbezieht.

Was ihm dagegen gelingt: Die Identifizierung und Beschreibung der politischen Forderungen, die dabei helfen können, die Bedingungen für den Aufbau einer post-kapitalistischen Gesellschaft zu schaffen. (s. Kap.10). Solche Forderungen umfassen die Reduktion der Normalarbeitszeit; die Unterstützung für Kooperativen und Genossenschaften und die Stärkung ihrer solidarischen und auf Gemeingut basierenden Peer-Ökonomie; die Reduktion der CO2-Emissionen; die Stärkung des Sozialstaates und kostenloser öffentlicher Dienstleistungen; die Bekämpfung der Ungleichheit; die Sozialisierung des Finanzsystems; das Vorantreiben menschen-zentrierter Automation, die Beendigung der Privatisierung; die Beförderung von durch den Staat vorangetriebenen Infrastruktur-Projekten (Wohnraum, Transport, Gesundheitsversorgung, Erziehung etc.); die Streichung von Schulden; die Schließung von Steueroasen; die Verhinderung der Möglichkeit von Steuerhinterziehung; oder die Einführung eines allgemeinen, steuerfinanzierten Grundeinkommens (292).

Zwei Anmerkungen dazu. 1.) Es gibt verschiedene Typen von steuerfinanzierten Grundeinkommensmodellen – neoliberale Varianten und progressive. In ersteren wird das Steuermodell insofern verändert, dass die Armen zwar das Grundeinkommen beziehen, doch im Großen und Ganzen eine Umverteilung von unten nach oben stattfindet, beispielsweise durch eine Pauschalsteuer oder die teilweise Abschaffung des Sozialstaates, was sich wiederum für erstere zum Nachteil auswirkt. Da wundert es nicht, wenn Milton Friedman die Idee eines solchen Grundeinkommens über den Klee gelobt hat. Eine Version der neoliberalen Spielart sieht die Abschaffung aller Steuern vor, außer der Mehrwertsteuer, die massiv erhöht werden soll. Eine progressive Idee des bedingungslosen Grundeinkommens hingegen stellt als Maßnahme eine Kombination der Garantie universeller ökonomischer Rechte und einer erhöhten Besteuerung der Profite und der Vermögen der Reichen dar (Fuchs 2006).

2) Für Paul Mason besteht die Notwendigkeit, die Zivilgesellschaft und den Staat für progressive Politik zusammen zu bringen. Das Problem alternativer Projekte besteht in der traditionellen Skepsis, die von Seiten der radikalen Linken dem Staat entgegengebracht wird. Solchen Projekten fehlt es oft an Ressourcen, auch bleiben sie oft Bestandteil einer kleinen Szene aufgeklärter Linker, stützen sich auf freiwillige, hoch selbstausbeuterische Arbeit und vermögen schlussendlich aus dieser Position nichts gegen die Übermacht des Kapitalismus zu unternehmen. Wir benötigen aber im Gegensatz dazu Mechanismen, die progressive Ansätze staatlicher und zivilgesellschaftlichen Handelns kombinieren. Eine Aktion in diesem Sinne wäre die von mir so betitelte partizipatorische Mediengebühr (Fuchs 2015b): Zusätzliche Staatseinkünfte, die durch die Belastung von Kapital generiert werden, so z.B. durch die Besteuerung von Werbung, werden in diesem Modell eines partizipativen Haushaltes in Form von Bürgerschecks an die Bürger umverteilt. Diese sind sodann angehalten, die jährlich erhaltene Summe nicht-kommerziellen Medien oder Kulturprojekten zuzuführen, die helfen, Diversität in der Öffentlichkeit zu fördern.

Wenn es um Spielräume für politische Veränderungen geht, kommt oft die Frage nach dem möglichen Subjekt dieses Wandels auf. Für Paul Mason konstituieren die Protestler der Gegenwart dieses politische Subjekt. Er sieht also die Notwendigkeit aktiver, bewusster politischer Praxis. Ruft man sich aber noch mal den Technodeterminismus seiner Überlegungen ins Gedächtnis, scheint eine solche Praxis nicht relativ autonom, sondern automatisches Resultat der blinden und zwangsläufig auf Gesellschaft und Menschen wirkenden Kräfte der Informationstechnologie zu sein. Politische Proteste erscheinen bei Mason wie automatische und notwendige Kräfte der Geschichte. Solch eine Analyse unterschätzt die Rolle von Ideologien als Verhinderer politischen Wandels und politischer Bewegungen. Politische Kämpfe folgen nicht automatisch auf Krisen, Krisen bilden nur eine Bedingung für sie. Sie geben als objektive dialektische Faktoren des Kapitalismus den Rahmen und die Grenzen des Möglichen bezüglich der subjektiven Widersprüche vor, wodurch Menschen sich motiviert fühlen, kollektiv in die Gesellschaft einzugreifen und diese verändern zu wollen. „Nicht die geringste Naturnotwendigkeit oder gar automatische Unvermeidlichkeit garantiert den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus. [...] Die Revolution erfordert die Reife vieler Kräfte, aber die größte unter ihnen ist der subjektive Faktor, nämlich die revolutionäre Klasse selbst. Die Verwirklichung von Freiheit und Vernunft erfordert die freie Rationalität jener, die sie erlangen. Die Marxsche Theorie ist daher mit einem fatalistischen Determinismus unvereinbar.“ (Marcuse 1962 [1941]: 279f.; eine eingehendere Diskussion der Kritischen Theorie Herbert Marcuses im Zeitalter der digitalen und sozialen Medien findet sich bei Fuchs 2016b, Kap. 4).

Wer konstituiert aber dann für Paul Mason das progressive politische Subjekt? Er spricht von „einem neuen Agenten der historischen Veränderung: den gebildeten und vernetzten Menschen“ (18). „In den letzten zwanzig Jahren hat der Kapitalismus eine neue soziale Kraft hervorgebracht, die die ihn beerdigen wird, genau wie er im 19. Jahrhundert das Fabrikproletariat hervorbrachte. Die vernetzten Individuen sind diejenigen, die in den Stadtzentren Protestlager errichten, die Fracking-Anlagen blockieren, Punkrock-Konzerte auf den Dächern russischer Kathedralen veranstalten, im Gezi-Park mit Bier anstoßen, um den Islamismus herauszufordern, eine Millionen Menschen auf die Straßen Rios und Sao Paulos bringen und Massenstreiks in den Industriebezirken Südchinas organisieren. Sie sind die ‚aufgehobene‘ Arbeiterklasse, die verbesserte Version, welche die alte ersetzt.“ (279).

Fast alle Manager, CEOs und andere Mitglieder der Klasse der 1% fallen unter Masons Definition von „gebildet und vernetzt“. Sie sind globalisiert, gut vernetzt, gebildet, einflussreich – und wohlhabend. Sind die gebildeten, verbundenen und vernetzten Hedge-Fonds-Manager und die gebildeten, verbundenen und vernetzten Unternehmer, die ihren Reichtum in Steuerparadiesen parken und verstecken, Teil dieses politischen Subjekts? Natürlich nicht! Bildung, Vernetztheit und Verbundenheit führen nicht automatisch zu politischem Fortschritt. Nähmen wir an, dass die gut ausgebildeten, verbundenen und vernetzten Individuen das progressive Element wären, so würde dies bedeuten, dass die 1% die Avantgarde der Linken sein müsste, was einfach nur lächerlich wäre. Auch faschistische Führungsfiguren und Aktivisten können gebildet sein und sind eben nicht nur Populisten, sondern auch gut vernetzt und verbunden. Wir müssen uns eingestehen, dass ein guter Teil der momentanen politischen Aktionen faschistischen, rassistischen oder rechtsextremen Charakter hat. Krisensituationen sind nicht nur in dem Sinn offen, dass daraus Protest entstehen bzw. durch Ideologien und Repressionen verhindert werden kann, sondern auch in dem Sinne, dass die dominierende politische Ausrichtung solcher Proteste nicht ausgemacht ist.

Paul Masons Sicht auf politischen Wandel ist von Naivität geprägt. Das zeigte sich schon bei seinem Buch „Kicking Off Everywhere: The New Global Revolutions” (Mason 2012), in welchem er mit an dem Mythos strickte, heutige Proteste wären „Facebook“- und „Twitter“-Revolutionen. Empirische Studien haben dagegen gezeigt, dass Onlinemedien weder heutige Proteste und Revolutionen ausgelöst haben, noch dass sie unwichtig wären (s. Aouragh 2016, Fuchs 2014b, Gerbaudo 2012, Salem 2015, Wilson und Dunn 2011, Wolfson 2014). Proteste entstehen durch eine Dialektik der Vermittlung zwischen Straße, Internet und öffentlichen Plätzen. Sie entstehen durch die Dialektik online und offline, die Dialektik von Angesicht zu Angesicht und vermittelter Kommunikation, sowie die Dialektik der traditionellen und neuen Medien (Fuchs 2014b).

Nicht die gut ausgebildeten, vernetzten und untereinander verbundenen Individuen formen ein politisches Subjekt. Das progressive politische Subjekt bilden jene, deren Arbeit die Gemeingüter – der Natur, des Sozialen, des Wissens, der Kultur, Technologie, des Pflegebereiches oder der Bildung – hervorbringt, sie aber nicht kontrolliert oder sich aneignet. Das 1% ist nicht Teil dieses politischen Subjekts, sondern vielmehr ihr dialektischer Widerpart.

Fazit

Paul Masons Buch fetischisiert die Informationstechnologie. Er ignoriert die Rolle der digitalen Arbeit und den Gegensatz zwischen digitaler Arbeit und digitalem Kapital in der internationalen (digitalen) Arbeitsteilung. Die Basis seines Ansatzes bildet eine funktionalistische Marx-Lesart, die den imperialistischen Charakter des digitalen Kapitalismus verkennt (Fuchs 2016c) und menschliche Praxis kraft blinder Notwendigkeit aus der Informationstechnologie erklären will. Die lineare, techno-deterministische Argumentationslinie sieht dabei wie folgt aus: Informationstechnologie à Null-Grenzkosten von Informationen à Tendenzieller Fall der Profitrate à Zusammenbruch des Kapitalismus à Postkapitalismus.

„Wir sollten uns nicht dafür schämen an eine Utopie zu glauben“ (288). Paul Mason ist ein utopischer Sozialist 2.0, für den der sozialistische Postkapitalismus nicht aus den Erwartungen und Hoffnungen der sozialistischen Praxis hervorgeht, sondern schlicht aus der Entwicklung der Informationstechnologie entspringt. Das Buch steht damit in der Tradition anderer Zusammenbruchstheorien. Auch wenn seine Theorie weit weniger komplex geraten ist, ist sein Ansatz nicht unähnlich zu dem von Robert Kurz. In Büchern wie „Der Kollaps der Modernisierung“ (1991), „Schwarzbuch Kapitalismus“ (1999) oder „Geld ohne Wert“ (2012), vertritt er die These, dass die mikroelektronische Revolution die Substanz des Wertes zerstören und in einem unaufhaltsamen Fall der Profitrate münden würde, der den Zerfall des Kapitalismus und das Aufkommen einer postkapitalistischen Gesellschaft zeitigen werde: „Per Saldo kann heute grundsätzlich gesagt werden, daß im Zuge der mikroelektronischen Revolution, deren Potential noch längst nicht ausgeschöpft ist, zusammen mit der fordistischen Expansion die Ausdehnung der produktiven Arbeit und damit der realen Wertschöpfung seit Beginn der 80er Jahre zum Stillstand gekommen und inzwischen global negativ geworden ist. Das aber bedeutet nichts anderes, als daß der historische Kompensationsmechanismus, der die gleichzeitige Expansion der kapitalistisch unproduktiven Arbeit trug, bereits nicht mehr existiert. Die Basis der kapitalistischen Reproduktion ist eigentlich schon an ihre absolute Grenze gestoßen, auch wenn dieser Kollaps (im substantiellen Sinne) auf der formellen Erscheinungsebene noch nicht realisiert ist. Diese Realisierung aber stellt sich nicht mehr als bloß verschärfte Degression der Profitrate dar.“ (Kurz 1995).

Auch erinnern die Schlussfolgerungen Masons an den Vater aller ökonomischen Zusammenbruchstheorien, Henryk Grossmann (1929: Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems; basierend auf den Berechnungen, die Otto Bauer in einem Essay angestellt hat [1912/1913]), in dem der Kapitalismus nach 35 Jahren zu seinem Ende kommen sollte. Als Grund dafür führte Grossman Marx’ Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate an, das einen automatischen Zusammenbruch des Kapitalismus mit sich bringe. „Erst wenn man sieht, daß durch die relative Abnahme der Profitmasse das kapitalistische System notwendig seinem Zusammenbruch entgegengeht, versteht man, warum Marx dem Gesetz vom tendenziellen der Profitrate, welches die Zusammenbruchstendenz anzeigt, eine so eminente Bedeutung zuschrieb“ (Grossmann 1929, 254). Und: „Nicht daran krankt der kapitalistische Mechanismus, daß er zuviel, sondern daß er zu wenig an Mehrwert hat. Die Verwertung des Kapitals ist seine wichtigste Funktion, und das System stirbt ab, weil diese Funktion nicht erfüllt werden kann.” (Grossmann 1929, 282f.) Der „Zusammenbruch des Kapitalismus erfolgt nicht infolge abnehmender Produktivkräfte der Erde, sondern trotz der fortschreitend wachsenden Produktivität, und zwar aus Ursachen, die nicht in der Naturschranke, sondern in den gesellschaftlichen Organisationsmängeln zu suchen sind, in der Tatsache nämlich, daß der kapitalistische Mechanismus in dem Profit seinen Regulator hat, der Profit aber auf einer gewissen Höhe der Akkumulation für die Verwertung des angesammelten Kapitals nicht ausreicht.” (Grossmann 1929, 285).

Bauer berechnete die Entwicklung der Profitrate in seinem Beispiel nur für vier Jahre. Grossmann extrapolierte diese Berechnung auf 35 Jahre (vgl. Fuchs 2002, 254). Das Problem dabei: In seinen Berechnungen geht der Autor von einer konstanten Mehrwertrate aus, während die organische Zusammensetzung des Kapitals sich erhöht. In Wirklichkeit wirken Klassenkämpfe auf die Mehrwertrate ein, wodurch diese mit zu den wichtigsten gegenläufigen Tendenzen gehören und so auf die Entwicklung der Profitrate einwirken (Fuchs 2016d, 348-350; Fuchs und Sandoval 2014; Fuchs und Garnham 2014, 125-126). Zwar gibt Grossmann zu, dass gegenläufige Faktoren existieren, doch am Ende würden die Tendenzen zur Katastrophe überwiegen und zu einer finalen Krise führen: „Aber trotz aller periodischen Unterbrechungen und Abschwächungen der Zusammenbruchstendenz geht der Gesamtmechanismus mit dem Fortschreiten der Kapitalakkumulation immer mehr seinem Ende notwendig entgegen, weil mit dem absoluten Wachstum der Kapitalakkumulation die Verwertung dieses gewachsenen Kapitals progressiv schwieriger wird. Werden einmal diese Gegentendenzen selbst abgeschwächt oder zum Stillstand gebracht (…), dann gewinnt die Zusammenbruchstendenz die Oberhand und setzt sich in ihrer absoluten Geltung als die ‚letzte Krise‘ durch.“ (Grossmann 1929, .140)

Als ein anderes Beispiel mag Lenin gelten: Er unterschätzte auch die negativen Aspekte von Technologie, idealisierte das taylorsche System unmenschlicher Rationalisierung und dachte, es wäre bereit, schlicht für eine Anwendung in der sozialistischen Gesellschaft übernommen zu werden: „Das Taylorsystem bereitet – ohne Wissen und gegen den Willen seiner Erfinder – die Zeit vor, wo das Proletariat die ganze gesellschaftliche Produktion in seine Hände nehmen und eigene Arbeiterkommissionen einsetzen wird, um die gesamte gesellschaftliche Arbeit richtig zu verteilen und zu regeln. Die Großproduktion, die Maschinen, die Eisenbahnen, das Telefon – all das gibt Tausende von Möglichkeiten, um die Arbeitszeit der organisierten Arbeiter auf den vierten Teil herabzusetzen und ihnen einen dabei viermal so großen Wohlstand als heute zu gewährleisten.“ (W. I. Lenin 1961 [1914]: 147)

Der Punkt ist, dass Kapitalismus und Herrschaft sich indirekt auch im Charakter der Technologie niederschlagen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass der Technologie unter diesen Umständen bloß eine positive und emanzipatorische Rolle zukommt. Sie beinhaltet gegenläufige Tendenzen, die eine positive und emanzipatorische Nutzung zulassen. Allerdings handelt es sich um eine politische Aufgabe: Sowohl die Gesellschaft als auch die Technologie sind zu ändern, um einen demokratischen Sozialismus zu erreichen.

Die Profitrate hängt von der organischen Zusammensetzung des Kapitals und der Mehrwertrate ab. Sie verhält sich direkt proportional zu der Rate des Mehrwerts und indirekt proportional zur organischen Zusammensetzung (Fuchs 2016d, 248-256, 347-351). Technologische Entwicklung kann zur Steigerung beider beitragen, so dass Fall und Anstieg der Profitrate und der ökonomische Ausdruck der Tendenz von den Ergebnissen von Klassenkämpfen und dem Grad der gegenläufigen Tendenzen abhängt. (Fuchs 2016d, 248-256, 347-351). Es existiert schlicht keine Zwangsläufigkeit des Zusammenbruchs des Kapitalismus. Die Informationstechnologie stellt lediglich eine Bedingung dafür da, doch bestimmt sie nicht die objektiven und subjektiven Widersprüche des Kapitalismus und seiner Entwicklung. Der ideelle Gesamtarbeiter der Welt muss sich politisch vereinen, um Gesellschaft und Technologie endlich menschlich zu gestalten. Paul Masons Ansatz gerät hingegen zu einem Digitalen Marxismus Grossmanschen Typs 2.0.

Übersetzung: Alan Ruben van Keeken

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[1] Paul Mason, PostCapitalism: A Guide to our Future. London, 2015. Deutsche Ausgabe: Postkapitalismus – Grundrisse einer kommenden Ökonomie. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2016, 430 S. (Seitenangaben im Text ohne Quellenverweis beziehen sich auf dieses Buch).

[2] Vgl. IMSF Informationsbericht Nr. 41, Große Krisen des Kapitalismus – Lange Wellen der Konjunktur?, Frankfurt/M. 1985, und Stanislaw Menschikow, Lange Wellen in der Wirtschaft. Theorie und aktuelle Kontroversen. Internationale Marxistische Diskussion, IMSF, Frankfurt/Main 1989.

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