Griechenland, die EU und die Linke

Die Europäische Linke nach dem Kampf um Griechenland: Plan A, Plan B, Plan C?

von Klaus Dräger
Dezember 2015

Die Griechenland-Krise hat eine vorhersehbare Mischung aus Empörung und Selbstzufriedenheit in Europa ausgelöst. Alternativ wird entweder die Härte des Athen aufgezwungenen Abkommens bedauert oder der in letzter Minute erreichte Verbleib Griechenlands in der europäischen Familie gefeiert, oder beides zusammen. Die eine Sichtweise ist so sinnlos wie die andere. Eine realistische Analyse hat keinen Platz für beide. (…) Auf kurze Sicht wird Tsipras zweifellos auf den Ruinen seiner Versprechen weiter machen können, (…) so wie der Labour-Führer Ramsay MacDonald einst in Großbritannien, als er eine nationale Regierung aus konservativen Kräften anführte und Austeritätspolitik in der Depression durchsetzte, um dann in der Verachtung seiner Zeitgenossen und der Nachwelt begraben zu werden.

Perry Anderson: The Greek Debacle. On the crisis in Greece and Syriza’s failure to resist the eurozone. Jacobinmag, 23.07.2015[1]

Das griechische Volk gab Syriza und Tsipras ein starkes Mandat, weiter zu regieren, und ihr Wahlsieg stärkt den Kampf, Austerität und Arbeitslosigkeit zu überwinden (…). Die Linksregierung in Griechenland wurde damit beauftragt, ihr Programm weiter umzusetzen, mit der klaren Botschaft, in Griechenland wie in Europa weiter gegen neoliberale Politik einzustehen. (…) Die Vorsitzende der GUE/NGL Fraktion Gabi Zimmer kommentierte (…) ‚Zusammen mit Syriza kämpfen wir weiterhin für eine demokratische und soziale EU.’

Aus einer Pressemitteilung der Linksfraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament, 21.09.2015[2]

Der Kampf für eine Linkswende in Griechenland und die Hoffnung, damit die Austeritätspolitik in der EU aufzubrechen, bestimmt wesentlich die europapolitischen Debatten in den europäischen Parteien links von Sozialdemokratie und Grünen. Wie soll man sich dazu stellen, dass die von Syriza seit Januar 2015 geführte griechische Regierung das erpresserische dritte Austeritätsmemorandum nach monatelangen stürmischen Verhandlungen mit den EU-Institutionen akzeptiert hat? Wie ist die darauf folgende Spaltung von Syriza, der abermalige Wahlsieg von Tsipras am 20. September 2015 und das Scheitern der für einen ‚linken Grexit’ werbenden ‚Volkseinheit’ an der 3-Prozent-Hürde zu bewerten? Hat die wieder gewählte Regierung von Tsipras Spielräume, um trotz Memorandum die Wirtschaft Griechenlands wieder aufzubauen und einen sozialen Kurs durchzusetzen? Welche Folgen haben die Ereignisse um Griechenland für die Chancen der Linksparteien, maßgeblich Regierungen mit zu gestalten (Portugal, Podemos in Spanien, Sinn Féin in Irland), um die Kräfteverhältnisse in der EU von innen aufzubrechen? Oder ist die EU nach all dem als ein nicht mehr reformierbares neo-liberales Projekt zu betrachten?

Zu diesen Fragen hat sich das politische Spektrum sowohl zwischen als auch innerhalb der linken Formationen in der EU deutlich differenziert. Dies gilt auch für die Positionierungen heterodoxer Wirtschaftswissenschaftler und linker Intellektueller, nicht nur in Europa.[3] Die oft erregt geführten Kontroversen fallen dabei nicht wie das Blaue vom Himmel. Sie knüpfen an vorherige Diskussionen über die Haltung zur EU, zu Euro oder Euroaustritt, zur ‚Regierungsfrage’ und Strategie der Linken an, die sich insbesondere seit der ‚Großen Rezession’ 2007/2009 schon zuspitzten.

Vielstimmige europäische Linke

In der Linksfraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament (EP) sehen sich die Schwedische Linkspartei und die Rot-Grüne-Allianz aus Dänemark durch die jüngsten Ereignisse bestätigt, weiterhin einen Beitritt ihrer Länder zur Eurozone abzulehnen und/oder für einen Ausstieg aus der EU zu plädieren. Soweit zu den skandinavischen ‚linken Euroskeptikern’. Die Sozialistische Partei der Niederlande erklärt nun, dass die Einführung des Euro ein „kapitaler Fehler“ war, ein „einseitiger Austritt aus dem Euro aber ein schwieriger und unsicherer Weg“ sei. Deshalb wirbt sie „für eine sanfte Landung für den Euro“, und fordert Vorkehrungen der EU für Mitgliedstaaten, die aus dem Euro austreten möchten.[4]

Das Lager der linken ‚pro-europäischen Europakritik’ hat sich hingegen weiter differenziert.[5] Hier warb man stets für eine Vertiefung der EU-Integration mit dem Ziel, eine ökologische, soziale, feministische und demokratische EU zu schaffen. Die EU-Verträge von Maastricht bis Lissabon wurden allseits abgelehnt. Mit einem neuen Grundlagenvertrag (Europa neu begründen) solle die bestehende EU vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Zwischenschritte dahin (wie z.B. die Aufwertung des Europäischen Parlaments in punkto ‚Demokratisierung’ usw.) seien anzustreben.

Nach den Erfahrungen mit den Troika-Diktaten in Griechenland, Irland, Portugal, Zypern usw. forderte allerdings auch die Partei der Europäischen Linken (EL) in ihrer Plattform zur Europawahl im Mai 2014, dass die ‚Volkssouveränität’ der Mitgliedstaaten zu respektieren sei.[6] Der Front de Gauche, Bloco de Esquerda und Rifondazione Communista propagierten zur EP-Wahl eine ‚Strategie des Ungehorsams’, wonach z.B. Bestimmungen des EU-Vertrags, der Fiskalpakt und EU-Recht, welche sozialstaatlichen und linken politischen Grundsätzen zuwider laufen, auf nationalstaatlicher Ebene nicht umgesetzt werden sollten.[7] Hier zeigten sich erste feine Risse im die EL zuvor prägenden Konsens, das ‚soziale Europa’ sei mit dieser EU machbar. Diese Differenzen haben sich durch die Niederlage der ersten Syriza-Regierung im Kampf gegen das EU-Austeritätsdiktat vertieft.

Plan A, Plan B

Auf der einen Seite halten z.B. Podemos und IU in Spanien, die französische KP, der Rifondazione-Vorsitzende Paolo Ferrero und die SEL in Italien sowie der sich als ‚realpolitisch’ verstehende Teil der LINKEN der zweiten Regierung Tsipras die Stange. Tenor bei vielen aus diesem Spektrum: Der Kampf geht weiter, Syriza verteidigt die Interessen der verarmten Bevölkerungsschichten in Griechenland und hat mit dem dritten Memorandum bessere Bedingungen herausgeholt, um die Schulden des Landes abzubauen. Angesichts der Kräfteverhältnisse sei diese Politik alternativlos, ein ‚linker Grexit’ brächte noch Schlimmeres.[8]

Auf der anderen Seite ist erkennbar, wie Kräfte aus dem Lager der linken ‚pro-europäischen EU-Kritik’ damit beginnen, sich mehr oder weniger explizit von früheren Orientierungen abzusetzen. Der gemeinsame Aufruf ‚Ein Plan B für Europa’ des von Tsipras entlassenen früheren griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis, der früheren griechischen Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, des Dissidenten der italienischen Demokratischen Partei und früheren Vize-Finanzministers Stefano Fassina, von Oskar Lafontaine und Jean-Luc Mélenchon drückt diese veränderte Stimmungslage aus. Während der Vorsitzende der EL und des PCF, Pierre Laurent, auf der traditionsreichen Fête de l’Humanité am 12.9.2015 in Paris auf einem Podium seine unbedingte Unterstützung für die Wiederwahl von Tsipras bekundete, stellten diese ihre Schlussfolgerungen aus dem ‚griechischen Debakel’ auf einem anderen Podium derselben Veranstaltung vor. Darin wird zwar noch ein ‚Plan A’ als Ziel der Linken benannt (radikale Reform der EU im Sinne ihrer ‚Neugründung’). Dieser müsse aber aufgrund des erneuten Diktats gegenüber Griechenland durch einen ‚Plan B’ (Ausstieg der Krisenländer aus dem Euro, Politik des ‚Ungehorsams’ auch in den ‚Kernländern) als Drohung an das ‚Deutsche Europa’ unterfüttert werden.[9] Erkennbar ist die Absicht, ein möglichst breites Spektrum der europäischen Linken zu einer härteren EU-Kritik zu bewegen und auf eine Logik des Bruchs mit der neoliberalen EU vorzubereiten.

Einige Linksparteien haben diesen Weg schon eingeschlagen. So hatte z.B. der Bloco de Esquerda seine Wahlkampagne zur nationalen Parlamentswahl am 4. Oktober 2015 unter anderem damit bestritten, dass Portugal aus dem Euro aussteigen solle, falls die EU nicht zu einem Schuldenschnitt für das Land bereit sei. Der Bloco kritisiert Syriza zwar nicht öffentlich, findet aber Tsipras Entscheidung für das 3. Memorandum falsch. „Die griechische Krise hat uns geholfen zu verstehen, dass es im Rahmen des Euroregimes unmöglich ist, Alternativen zur Austeritätspolitik durchzusetzen, dass selbst Demokratie darin unmöglich geworden ist“, so Fernando Rosas von der nationalen Leitung des Bloco.[10] Das von der portugiesischen KP geführte Wahlbündnis CDU hatte in früheren Zeiten Portugals Mitgliedschaft im Euro nicht thematisiert, sich jetzt aber klar für den Austritt aus dem Euro positioniert.[11]

Die KP Zyperns (AKEL) war für den Beitritt ihres Landes zur EU. Die AKEL-Minderheitsregierung unter ihrem Präsidenten Christofias blieb im Gegensatz zu Tsipras aber bis zuletzt dabei, ein Troika-Memorandum für Zypern in 2013 nicht zu unterzeichnen.[12] AKEL schlägt seitdem einen verhandelten Austritt Zyperns aus der Eurozone vor, um Spielräume für eine wirtschaftliche Erholung und sozialstaatliche Entwicklung des Landes zurückzugewinnen.

Mélenchons Parti de Gauche hat vorherige Positionen weiter zugespitzt: „Wenn unsere Strategie des Ungehorsams gegenüber den Verträgen nicht zu einer radikalen Veränderung der europäischen Verträge führt, werden wir einen geordneten Austritt aus der Eurozone durchführen, der zu einem radikalen Wandel der Währungsstruktur führen wird. Es wird eine gemeinsame Außenwährung etabliert, die einen für alle geltenden Wechselkurs gegenüber den Währungen außerhalb der Zone hat, während jedes Mitgliedsland für sich seine eigene Binnenwährung bekommt. (…) Wir werden keinerlei Opfer für den Euro bringen, und werden eher aussteigen als unsere Politik aufzugeben. (…) Unser strategisches Ziel ist die Umsetzung unseres Programms und damit der Ausstieg aus der Austerität. Den Ausstieg aus dem Euro oder der Europäischen Union zum Selbstzweck zu machen, würde bedeuten, unseren Kampf von seinem Ziel abzulenken: dem Ausstieg aus der Herrschaft des Kapitals über das Leben. (…) Ohne Frankreich gibt es keine Europäische Union. (…) Frankreich muss (dann) andere Solidaritäten mit Regierungen aufbauen, die es in einem neuen europäischen und internationalistischen Kontext unterstützen.“[13]

Es geht bei diesen Debatten über (durchaus unterschiedliche[14]) Ideen zu einem „Plan B“ nicht um die simple Frage, ob eine nationale Währung besser ist als der Euro. Sondern um eine Strategie und ein Bündel von Instrumenten, wie ein Bruch mit Austerität und neoliberaler Politik durchgeführt werden kann, sollte in einem EU-Mitgliedstaat eine linke Regierung ins Amt kommen. Dass außer in Griechenland eine Partei aus der EU-Linken demnächst eine Regierung in einem Mitgliedstaat anführen wird, ist m.E. allerdings nicht sehr wahrscheinlich. Insofern ist dies eine Diskussion um zunächst recht ‚hypothetische’ Fragen.

‚Guter Euro’ vs. ‚Gute Drachme’?

Der französische linke Ökonom Michel Husson führte bereits in 2011 eine Kontroverse mit Costas Lapavitsas über dessen Vorschläge zu einem ‚linken Grexit’.[15] Diese spiegelte schon damals die wesentlichen Argumente für oder gegen einen Euro-Austritt wider, die in den aktuellen Diskussionen zwischen und innerhalb der europäischen Linksparteien abermals in der einen oder anderen Form vorgetragen werden. Für Länder wie Griechenland mit einem hohen Außenhandelsdefizit, so Husson damals, würden durch die Einführung der abgewerteten Drachme die Importe deutlich teurer, diese könnten nicht so schnell durch heimische Produkte ersetzt werden. Spekulative Attacken gegen die neue Währung seien zu erwarten, mit weiterer Abwertung und Inflation stiege der Druck zu neuer Austerität. Husson argumentierte damals – ähnlich wie der Parti de Gauche ein wenig später –, dass eine linke Regierung bei Verbleib im Euro durch ein Bündel einseitiger Maßnahmen die Konfrontation mit den EU-Institutionen suchen müsse. Damit solle auch in anderen Mitgliedstaaten eine politische Polarisierung erreicht, Bündnispartner gefunden und die Kräfteverhältnisse in Europa zugunsten der Lohnabhängigen und der Linken verschoben werden.

Nachdem Tsipras das Memorandum im Juli 2015 akzeptierte, schrieb Husson: „Es ist möglich, dass es heute keine andere Wahl für Griechenland als den Grexit gibt.“[16] Für Euroländer der Peripherie schlägt er folgende Schritte für eine linke Strategie vor: „Zuerst die Staatsschulden nicht mehr anerkennen und bedienen (…). Dann Begleitmaßnahmen, die sich daraus ergeben, wie die Nationalisierung der Banken, die Übernahme der Zentralbank, Kapitalverkehrskontrollen und die mögliche Schaffung einer Parallelwährung. Dies ist ein konsistentes Programm, das einen fundamentalen Bruch mit den europäischen Spielregeln beinhaltet, aber keinen a priori Ausstieg aus dem Euro.“ Was die ökonomische Strategie zur Kontrolle über den Finanzsektor angeht, sind dies die gleichen Elemente, die in den Debatten der Anhänger des ‚Plan B’ diskutiert werden.

Strategie der EL – eine Bilanz

Die Partei der Europäischen Linken (EL) hatte vor der Europawahl 2014 die Hypothese propagiert: „Griechenland könnte der Zündfunke werden, um die Austeritätspolitik in Europa zu beenden.“ Sie hob Alexis Tsipras als ihren Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten aufs Schild. In Italien gelang es, eine Liste ‚Für ein anderes Europa mit Tsipras’ aufzustellen, die mit drei Abgeordneten ins EP einzog. In Slowenien schaffte das von Tsipras und dem ‚Modell Syriza’ inspirierte Bündnis ‚Vereinte Linke’ zwar nicht den Sprung ins EP. Doch in der darauf folgenden nationalen Wahl reichte es für 6 Prozent und sechs Abgeordnete im nationalen Parlament. Insofern hatte die EP-Wahl-Kampagne der EL mit Tsipras als ihrem ‚Gesicht’ wahlpolitisch einige Teilerfolge zu verzeichnen.

Tsipras und die damalige Mehrheit der EL setzten auf eine Domino-Theorie der ‚Linkswende in Europa’: zuerst fällt Griechenland an die ‚radikale Linke’, dann kommen vielleicht Dänemark, Portugal, Spanien, Irland - mit einer gestärkten Linken, die in nationalen Regierungen den Kurs maßgeblich mitbestimmen kann. Dies werde wiederum die Mitte-Links-Kräfte in Frankreich (Hollande) und Italien (Renzi) soweit unter Druck setzen, dass sie zu Kompromissen und einer Aufweichung der von der EU verlangten Austeritätspolitik gegenüber der EU-Peripherie bereit seien.

„Europa nicht den Neoliberalen und Rechtspopulisten überlassen“ – so ermahnte z.B. Harald Wolf nach dem Wahlsieg von Syriza die deutsche LINKE.[17] „Angesichts der deflationären Entwicklung und anhaltend schwächelnden Wirtschaft setzt sich zumindest in Teilen die Erkenntnis durch, dass Europa neue Wachstumsimpulse braucht und spekulatives Kapital in Realinvestitionen umgelenkt werden muss. Bei aller notwendigen Kritik am ‚Juncker-Plan’ ist er ein Ausdruck dieser Entwicklung – nicht ohne Grund stieß er auf das Missfallen Angela Merkels.“ Lenin zitierend, plädierte Wolf dafür, selbst den kleinsten Riss im Lager der Gegner auszunutzen, um auch nur zeitweilige Verbündete zu finden. Ähnlich äußerte sich der Generalsekretär von Podemos, Pablo Iglesias: „ (…) nur eine Strategie auf europäischer Ebene, die Widersprüche innerhalb des Gegners schafft, und insbesondere innerhalb der sozialdemokratischen Kräfte, würde in der Lage sein, die Möglichkeit eines wirklich alternativen Paradigmas zur Austeritätspolitik aufzuwerfen, die es gegenwärtig nicht gibt.“[18]

Es kam tatsächlich zu Rissen innerhalb der Eurogruppe – aber anders als die linken realpolitischen Strategen es erwarteten. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble drohte mit einem Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone, unterstützt von den Regierungen der osteuropäischen Staaten und anderen. Die vermeintlichen „sozialdemokratischen“ Bündnispartner Matteo Renzi und François Hollande kuschten. Auch sie setzten Tsipras unter Druck, das Memorandum zu akzeptieren. Sie fürchteten vor allem, dass nach einem Grexit à la Schäuble die ‚Finanzmärkte’ wieder daran zweifeln würden, dass der Euro unumkehrbar sei – und auch Italien und Frankreich wieder ins Visier nähmen. Die konservativen Regierungen Irlands und der Südländer (Zypern, Portugal, Spanien) – Länder, auf die Tsipras als Gegengewicht zu Merkel gehofft hatte – pochten mit am härtesten auf die Umsetzung des Diktats der Eurogruppe, schon um den Linken in ihren Ländern keinerlei Ansatzpunkte für eine Anti-Austeritätspolitik zu geben, die sich auf ein griechisches Beispiel stützen könnte. Die vorher so freundlich auf eine ‚Balance zwischen Wachstum und Konsolidierung’ drängenden Sozialdemokraten wie der EP-Präsident Martin Schulz und der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ließen vor und nach dem griechischen Referendum ihre Masken fallen und positionierten sich rechts von Angela Merkel. Und auch der sich sonst so konziliant gebende EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker kofferte gegen Tsipras. Ein Bündnis mit den angeblichen Freunden ‚neuer Wachstumsimpulse in Europa’ ergab sich nicht. Diese trieben die griechische Regierung vielmehr mit in die Kapitulation.[19]

Die europäische Linke in ihren unterschiedlichen Facetten war nicht in der Lage, in den reicheren EU-Ländern eine reale Gegenmacht gegen die Erpressungspolitik gegenüber Griechenland aufzubauen. Über die Gründe dafür wäre – auch streitig – zu diskutieren. Man nahm an, dass allein Griechenland und die Hoffnung auf eine erstarkende Linke in Portugal, Spanien, Irland usw. – die Tsipras stets im Rahmen seiner Verhandlungsstrategie propagierte – die EU-Institutionen zum Kompromiss zwingen könnte. Die Linke unterschätzte von Anfang ihre Gegner. Sie sah potentielle ‚Freunde, wo keine waren. Die ‚Realpolitiker’ der Linken sind m.E. halt keine Realisten.

Der monatelange Kampf um Griechenland hat einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen geführt, mit welcher Brutalität die europäischen Institutionen vorgehen. Diesmal waren es nicht die Kontrolleure des Apparats der Troika (EZB, EU-Kommission, IWF), die im Scheinwerferlicht standen, sondern die Finanzminister der Eurogruppe und die EZB mit ihrer Entscheidung, der griechischen Zentralbank den Geldhahn abzudrehen – die ‚hohe Politik’ der EU-Ebene.[20]

Die Domino-Theorie der EL hielt ich von Anfang an für illusorisch. Wahr ist, dass die Krise der politischen Systeme in der EU sich vertieft, das politische Spektrum sich weiter fragmentiert – nur in wenigen EU-Ländern auch zugunsten von Kräften aus der EU-Linken. Bei den Wahlen in Portugal kamen die linken Kräfte auf rund 20 Prozent der Stimmen. Der Funke des linken Widerstands ist dort keineswegs ausgetreten. Portugals Konservative haben die absolute Mehrheit im Parlament verfehlt, Sozialdemokraten, Bloco und PCP haben rechnerisch eine knappe Mehrheit.[21]. Podemos hat in Spanien deutlich an Dynamik verloren. Bei den Regionalwahlen im Mai 2015 kam die Formation landesweit auf knapp 15 Prozent, deutlich hinter Konservativen und Sozialdemokraten. Die Wahl in Katalonien am 27. September 2015 hatte Pablo Iglesias zum Test für die nationale Parlamentswahl am 20. Dezember 2015 erklärt. In Katalonien erreichte die Bündnisliste von Podemos, IU und Grünen (‚Catalunya Si que es Pot’) nur 8,9 Prozent – weniger als das Bündnis von IU und Grünen (ICV-EUIA) in 2012 mit 9,9 Prozent. Iglesias hat Anfang Oktober 2015 den Vorschlag von Alberto Garzón zu einer gemeinsamen Bündnisliste von IU und Podemos (‚Unidad Popular’) für die Wahl im Dezember abgelehnt. Beide linke Formationen zusammen könnten m.E. bestenfalls ein Potenzial von 20 oder 25 Prozent der Stimmen mobilisieren. Mit dem Aufstieg der neoliberalen Ciudadanos steht sowohl den spanischen Konservativen wie den Sozialdemokraten ein potentieller Koalitionspartner bereit, um im Wesentlichen wie gehabt weiter machen zu können[22]. Für die von der EL erhoffte Linkswende in Europa gibt es m.E. also gegenwärtig keine wirklich tragfähige Basis, aber viele Anzeichen dafür, dass sie in absehbarer Zeit nicht kommen wird.

‚Hope’ …?

In den Umfragen zu den im Frühjahr 2016 erwarteten Wahlen in Irland liegt Sinn Féin derzeit zwischen 16 und 21 Prozent. Es ist sehr fraglich, ob eine Anti-Austeritätskoalition mit einer der beiden konservativen irischen Parteien (Fine Gael bei 28 Prozent; Fianna Fáil bei 20 Prozent) überhaupt machbar wäre. Die Wahl von Jeremy Corbyn als Vorsitzender der Labour Party gibt der britischen und europäischen Linken wieder Hoffnung.[23] Doch die Frage ist, ob er die Blairisten in seiner Partei in Schach halten und die nächste Wahl mit seinem Anti-Austeritätskurs gewinnen kann.

In Frankreich ist der Front de Gauche intern zerrüttet. Eine gemeinsame Strategie seiner Komponenten (PCF, PG, Ensemble) für die im Dezember 2015 anstehenden Regionalwahlen ist ebenso wenig erkennbar wie für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in 2017.[24] Die politische Dynamik geht weiterhin eher vom rechtspopulistischen Front National aus. In Italien werden Beppe Grillo’s 5-Sterne-Bewegung und die neuerdings italienisch-nationalistisch gewendete rechtspopulistische Lega Nord als die eigentliche Opposition wahrgenommen. Beide sind für den Austritt Italiens aus dem Euro.

Auf dem linken Spektrum gibt es diverse Versuche der Umgruppierung. Die Bürgerbewegung ‚Possibile’ von Pippo Civati orientiert auf breite linke Bündnislisten für die nächsten Kommunalwahlen nach dem Muster von Ahora Madrid in Spanien. Kräfte der ‚traditionellen Linken’ – die SEL von Nichi Vendola, die Rifondazione Communista von Paolo Ferrero, Dissidenten der Demokratischen Partei um Stefano Fassina, Kräfte aus dem Spektrum der Liste L’Altra Europa con Tsipras sowie Dissidenten der 5-Sterne-Bewegung – versuchen einen Anlauf, ein ‚neues politisches Subjekt’ zu schaffen. Dies solle eine ‚linke Partei der Regierung’ werden, und war ursprünglich inspiriert durch die ‚Modelle’ Syriza und Podemos. Angesichts der internen Differenzen in diesem Spektrum zum ‚Plan B’ – Fassina dafür, Vendola und Ferrero[25] dagegen – dürfte dieses Projekt nicht so einfach werden. Kräfte aus Rifondazione, dem PdCI und unabhängige Kommunisten haben sich wiederum zusammengeschlossen, um eine kommunistische Partei wieder aufzubauen. Ob und was sich im Hinblick auf die italienische Parlamentswahl in 2018 da auf der Linken zusammenschiebt oder nicht, bleibt abzuwarten.

‚Austerexit’ – Plan C?

Während die Mehrheit der EL-Parteien weiter am Euro und der EU festhält (Plan A) und die diversen Strömungen und Gruppierungen des ‚Plan B’ nach linken Wegen jenseits davon suchen, melden sich (wie schon zuvor seit etwa 2010) Gruppierungen und Personen aus der europäischen Linken mit dem Argument zu Wort, dass „die Währungsfrage“ gar nicht wichtig sei. So z.B. das sich als harte Antikapitalisten verstehende Trio Olivier Besancenot (NPA Frankreich), Antonis Davanellos (DEA, linker Flügel von Syriza) und Miguel Urban Crespo MdEP (Podemos, Izquierda Anticapitalista) mit ihrem Aufruf für eine europaweite Kampagne zum ‚Austerexit’.[26] Die Ko-Vorsitzende der LINKEN, Katja Kipping, hatte sich zuvor in einem Beitrag für das Neue Deutschland in ähnlicher Richtung (Austerix) geäußert[27]: „Die europäische Linke muss alle ihre Kräfte in der Konstitution eines Gegenmachtakteurs, eines europäischen Demos investieren statt ihre Strategie auf das stumpfe Schwert der nationalen Souveränität zu gründen. (…) Eine Suche nach einer gemeinsamen strategischen Option jenseits von Exit und jenseits von Stellungskrieg.[28]

Die Mobilisierung gegen Austeritätspolitik – sowohl auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene – war bisher der wesentliche Kitt, der die in europapolitischen Fragen traditionell gespaltene europäische Linke zusammenhielt. Deshalb ist aus meiner Sicht der Versuch, Kräfte um einen ‚Austerexit’ europaweit zu bündeln, immer richtig und notwendig – aber eben nichts Neues. Die europäische Linke (sowie Gewerkschaften und soziale Bewegungen) haben sich diesbezüglich vom Vorlauf zum Vertrag von Maastricht an engagiert und dabei manche Massenmobilisierung auf nationaler und europäischer Ebene von den 1990er Jahren bis heute auf die Beine gestellt.

Die Vorstellung, dass daraus ein ‚europäischer Demos’ entstünde, der die EU-Eliten in gemeinsamer europäisch koordinierter Aktion hinwegfegt, halte ich heute für ebenso naiv wie die ‚Linkswende-Domino-Theorie’ der EL. Die reale Ungleichzeitigkeit der Protestbewegungen ist nach wie vor im Wesentlichen an den Kontext einer nationalstaatlich verfassten politischen Öffentlichkeit gebunden.[29] DIE LINKE und die Gewerkschaften in Deutschland konnten keine Massenproteste im Kampf um Griechenland gegen die Politik von Schäuble und Merkel gegenüber Syriza auf die Beine stellen, sondern im Wesentlichen nur Solidaritätserklärungen auf dem Papier und Wahlkampfauftritte in Griechenland. Dies hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die große Mehrheit auch der Lohnabhängigen in Deutschland durch die Kampagnen von BILD und den Mainstream-Medien – faule und korrupte Griechen – um ihre Ersparnisse und Steuergelder zitterten, die aus ihrer Sicht auf dem Spiel standen.[30]

Dass die ‚Währungsfrage’ für linke Politik irrelevant sei, finde ich zumindest für die EU-Krisenländer nicht überzeugend. James K. Galbraith[31] hat dazu unlängst erläutert, dass z.B. im Falle eines linken Wahlsiegs selbst in einem großen Land wie Spanien der gleiche plötzliche Stopp von Kapitalzuflüssen aus den Banken der Eurozone zu erwarten sei (wie in der jüngsten Griechenland-Krise), der zu der gleichen Kappung der Liquiditätszufuhr durch die EZB und einem inländischen Ansturm der Sparer auf die Banken führen werde, um in der gleichen Todesspirale für die inländische Wirtschaft zu münden.[32] Die Gehälter nicht nur der Staatsbediensteten, die Transaktionen der Unternehmen und ihrer Kunden usw. müssen halt in Euro bezahlt werden, solange ein Land Mitglied der Eurozone ist. Wenn die ‚unabhängige’ EZB der entsprechenden nationalen Zentralbank den Geldhahn zudreht, weil ihr die politische Orientierung einer neuen Regierung nicht passt, geht dem inländischen Bankensystem das Geld aus und die inländische Wirtschaft den Bach runter – so einfach ist das. Die Einführung einer Parallelwährung wird dann bestenfalls eine vorübergehende Lösung darstellen. Kapitulation oder Exit (um ein ‚linkes Programm’ auch nur halbwegs angehen zu können) sind die verbleibenden Alternativen.

Die linken Anhänger des ‚Plan A’ beklagen zu Recht die deflationäre Wirkung des 3. Memorandums und die geringen Spielräume für Investitionen, um Griechenland aus der Krise zu führen. Als ‚Realpolitiker’ hoffen sie, dass wenigstens eine Balance zwischen ‚Austerität, Wachstum und sozialer Gerechtigkeit’ gefunden werden kann. Bei einigen ist dies inzwischen der gleiche Diskurs wie bei Renzi und Hollande früher. Das EU-Investitionsprogramm und schneller mobilisierbare EU-Strukturförderung würden es schon richten.[33] Der Retter Europas aus dieser Sicht ist dann also kein anderer als: Jean Claude Juncker.

[1] https://www.jacobinmag.com/2015/07/tspiras-syriza-euro-perry-anderson/. Eigene Übersetzung aus dem Englischen, KD.

[2] http://www.guengl.eu/news/article/gue-ngl-news/victory-of-syriza-gives-tsipras-strong-mandate-to-continue-struggle-to-over. Eigene Übersetzung aus dem Englischen, KD.

[3] Viele heterodoxe Ökonomen wie Stiglitz, Krugman, Weisbrot, Hudson usw. aus den USA plädierten dabei früh für einen verhandelten Austritt Griechenlands aus der Eurozone und konnten die Position vieler auf der Eurolinken nicht nachvollziehen, warum sie am falsch konstruierten Euro-Projekt fest hielten. Nachdem die erste von Syriza geführte Regierung in Griechenland das 3. Memorandum billigte, urteilte z.B. auch der international bekannte linke Intellektuelle Tariq Ali sehr hart über diesen Schritt in seinem Kommentar für die London Review of Books, vgl. http://www.lrb.co.uk/v37/n15/tariq-ali/diary

[4] https://www.sp.nl/onderwerp/euro. Die SP gehört innerhalb der Linksfraktion der NGL-Delegation an (Nordische Grüne Linke).

[5] Z.B. Front de Gauche aus Frankreich, SYRIZA aus Griechenland, Izquierda Unida (IU) aus Spanien, Bloco de Esquerda aus Portugal, Rifondazione (PRC), PdCI und SEL aus Italien, DIE LINKE aus Deutschland, KSCM aus Tschechien.

[6] Wie das zu regeln sei, dazu hatte die EL keine konkreten Vorschläge.

[7] Vgl. meinen Beitrag in Z 97 (März 2014) zur Europäischen Linken vor der Europawahl 2014.

[8] Ein gemeinsames Papier von Frieder O. Wolf, Etienne Balibar und Sandro Mezzadra liefert dafür die intellektuelle Unterstützung. Tsipras’ Verhandlungsstrategie wird darin als gescheitert angesehen, das Ergebnis als Kapitulation dargestellt. Unter verschlechterten Bedingungen gelte es für Linke und Grüne, das von Syriza in der früheren Opposition mit aufgebaute Widerstandspotenzial gegen den Austeritätskurs der EU sowie Syriza und Tsipras weiterhin zu unterstützen. Aus meiner persönlichen Sicht werden da verschiedene Dinge vermengt. Das besagte Widerstandspotenzial zu unterstützen, ist die Pflicht jeder linken Politik. Das andere (Syriza, Tsipras) aber nur soweit, wie sie künftig real dazu beitragen, den Austeritätskurs zu beenden. (Vgl. http://www.transform-network.net/de/fokus/griechenland-entscheidet/news/detail/Programm/the-brussels-diktat-and-what-followed.html).

[9] Siehe http://www.oskar-lafontaine.de/links-wirkt/details/b/1/f/1/t/ein-plan-b-fuer-europa/ Doch gibt es hier offenbar auch unterschiedliche Sichtweisen; sh. Yanis Varoufakis, „Da widerspreche ich Oskar Lafontaine“, ND vom 1.10.2015.

[10] http://www.regards.fr/des-verites-desagreables-par/article/fernando-rosas-la-gauche-radicale. Rosas berichtet in diesem Interview, dass die Leitung des Bloco auch einen Bruch mit der EU insgesamt ins Auge fasst. Es gebe zwar noch eine starke Pro-EU-Minderheit in der Partei. Die verjüngte Leitung sei aber entschlossen, den nach langer interner Krise mehrheitlich beschlossenen Kurs fortzuführen. Zum Ergebnis der Wahl in Portugal siehe auch https://www.jacobinmag.com/2015/10/left-bloc-portugal-austerity-social-democracy/

[11] Der Bloco erreichte 10,2 Prozent (sein bestes Ergebnis bisher), die KP 8,3 Prozent. Zur Position des PCP siehe: http://www.pcp.pt/en/presentation-electoral-programme-pcp-2015-legislative-elections.

[12] Sie verlor zwar die Präsidentschaftswahl in diesem Jahr, ihr Kandidat Stavros Malas erzielte aber mit 42,5 Prozent in der Stichwahl ein beachtliches Ergebnis. Zur AKEL und ihrer Entwicklung siehe: https://www.jacobinmag.com/2015/05/cyprus-communists-syriza-greece/

[13] Guillaume Etiévant (Nationaler Sekretär des Parti de Gauche für Wirtschaft und Arbeit): Soyons prêts à sortir de l’euro; Zeitschrift Politis vom 23.07.2015. Der PG greift so das Konzept von Frédéric Lordon auf (gemeinsame Außenwährung, verschiedene Binnenwährungen in der EU). Lordon hatte dieses im August 2013 in der Zeitschrift Le Monde Diplomatique vorgestellt.

[14] Siehe z.B. die früheren und aktuellen Vorschläge von Oskar Lafontaine zu einem neuen Europäischen Währungssystem oder jene von Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas (Against the Troika, London 2015, verso).

[15] Michel Husson ist Mitarbeiter von IRES (Wirtschafts- und Sozialforschungsinstitut der französischen Gewerkschaften) und der Fondation Copérnic. Er war einer der Experten der Wahrheitskommission des griechischen Parlaments zur Staatsverschuldung. Costas Lapavitsas ist Professor an der University of London und Mitglied des Netzwerks ‚Research on Money and Finance’, welches u.a. mehrere Studien zur Eurokrise herausgab. Von Januar bis September 2015 war er Abgeordneter in der Syriza-Fraktion in Griechenland, jetzt bei der ‚Volkseinheit’. Die Texte der damaligen Kontroverse sind 2012 in der Zeitschrift Socialist Register dokumentiert worden; http://socialistregister.com/index.php/srv/issue/view/1223#.Vh7KRG49UmE. Vgl. Costas Lapavitsas, Soll Griechenland den Euro aufgeben? In: Z 91 (September 2012), S. 41ff.

[16] M. Husson: The good Drachma? A modest contribution to the debate, 27.08.2015, http://hussonet.free.fr/drachmuk.pdf

[17] Sozialismus Heft 5, Mai 2015; http://www.sozialismus.de/detail/artikel/europa-nicht-den-neoliberalen-und-rechtspopulisten-ueberlassen/

[18] Iglesias Interview „Spain on the Edge“, New Left Review 93, May/June 2015, S. 29.

[19] Diese war in der Verhandlungsstrategie der griechischen Regierung von vorneherein angelegt, da sie einen ‚Plan B’ stets ausgeschlossen hatte. Siehe auch Andreas Wehr: Putsch in der Syriza, junge Welt vom 28.07.2015.

[20] Vgl. Ronald Jansen: Questions for the Left from the Greek Debacle, Social Europe Journal, 30.07.2015.

[21] Das konservative Bündnis ‚Portugal voran’ (PSD, CDS) hat 102 von 230 Abgeordneten; Sozialisten, Bloco und CDU zusammen 122. Portugals Parteien sind weiterhin im Wahlkampfmodus, weil Anfang 2016 schon Präsidentschaftswahlen anstehen. Bloco und PCP konnten keinen ‚Einheitskandidaten’ für die ‚radikale Linke’ finden. Sie treten dafür wieder getrennt an (Bloco: Marisa Matias MdEP; CDU/PCP: Edgar Silva). Portugals Präsident Cavaco Silva hat den ausgehenden Premier der konservativen Koalition (Passos Coelho) in einer sehr umstrittenen Rede wieder mit der Regierungsbildung beauftragt. Sozialdemokraten, Bloco, und PCP sind dagegen. Sie haben bereits den Sozialdemokraten Eduardo Ferro Rodriguez zum Parlamentspräsidenten gewählt. Der konservative Block hofft, die Sozialdemokraten wg. interner Probleme auf die Probe zu stellen und Stimmen aus deren ‚gemäßigter Strömung’ zu sich hinüber zu ziehen. Deren Führer Antonio Costa plant, PCP und Bloco in eine ‚alternative Koalition’ einzubinden, die zwar die EU-Regeln weiter einhält, aber den Austeritätskurs etwas lockert. PCP und Bloco pokern wiederum, ob die Sozialdemokraten diesen Kurs ihres Vorsitzenden einheitlich unterstützen. Was am Ende dabei herauskommt, wird man sehen ….

[22] In der Region Andalusien hat Ciudadanos z.B. gemeinsam mit den Sozialisten die alte und somit neue Ministerpräsidentin Helena Diaz (PSOE) ins Amt gehievt. Sollte es bei der nationalen Parlamentswahl am 20.12.2015 für Sozialdemokraten, Podemos, IU und linke Nationalisten im Parlament für eine rechnerische Mehrheit reichen, stellen sich die gleichen Probleme wie in Portugal (d.h. wie weit kann man sich auf einen Anti-Austeritätskurs gemeinsam verständigen, wie tragfähig ist eine solche Konstellation?).

[23] Corbyn ist aus meiner Sicht ein integrer linker Sozialdemokrat, seine Wahl als neuer Labour-Vorsitzender aus einer Außenseiterposition Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit vieler an der Parteibasis und darüber hinaus mit dem Bankrott von Blairs New Labour. Dass es auch außerhalb der Partei (Gewerkschaften, NGOs usw.) zu einer organisierten Unterstützungswelle für seinen Kurs kommt, ist ermutigend.

[24] Guillaume Liégard: Que reste-t-il du Front de Gauche?; 11.09.2015, http://www.regards.fr/ web/article/vous-avez-dit-front-de-gauche

[25] Siehe Ferreros Ausführungen vom 2.8.2015: http://www.rifondazione.it/primapagina/?p=19136. Ferrero lehnt in seinem Beitrag den ‚Plan B’ der (ehemaligen) Syriza-Linken klar ab: „Auch wenn die Europäische Union ein ‚Eiserner Käfig’ ist, kann man aus ihr nicht so einfach aussteigen, nur weil man es will.“ Er sieht Italien im Status einer Halbkolonie Deutschlands, erinnert an das Komitee zur nationalen Befreiung (CLN) im Widerstand gegen Faschismus und die deutsche Besatzung Italiens im Zweiten Weltkrieg, fordert eine „Art CLN“ auf europäischer wie nationaler Ebene im Kampf gegen den Neoliberalismus und pocht auf die Verteidigung der nationalen Souveränität und der Interessen des italienischen Volkes gegen die Europäische Union. Stefano Fassina hatte zuvor für eine ‚Allianz nationaler Befreiungsfronten’ aus Linken und ‚demokratisch-souveränistischen Rechten’ plädiert (http://yanisvaroufakis.eu/2015/07/27/for-an-alliance-of-national-liberation-fronts-by-stefano-fassina-mp/). Jaques Sapir in Frankreich schlug sogar ein Bündnis der Linken und des Front National gegen den Euro vor. Jede Art von ‚Querfront’ mit der Rechten ist m.E. aber tödlich für die Linke.

[26] http://blogs.mediapart.fr/edition/les-invites-de-mediapart/article/050915/austerexit

[27] http://www.katja-kipping.de/de/article/956.europa-revolutionieren.html

[28] In Kippings Analyse steht Exit für ‚Plan B’, was sie als Regression in ‚nationalstaatliche Lösungen’ auffasst. Aus ihrer Sicht führt die erneute Syriza-Regierung einen ‚Stellungskrieg’ (laut Gramsci), um der neoliberalen EU zu widerstehen und wenigstens Spielräume für eine ‚sozialere Ausgestaltung’ des Austeritätsdiktats zu nutzen. Beide Optionen sieht sie skeptisch.

[29] Vgl. Z-Redaktion: Griechenland: Aus Niederlagen lernen, Z 103 (September 2015), S. 8ff.

[30] Die Versäumnisse der LINKEN und der Gewerkschaften sind m.E. in der Periode ab der ersten Griechenland-Krise 2010 zu verorten. Es gab keine breite Strategie, um wirksam der Propaganda der deutschen Massenmedien entgegen zu treten, noch nennenswerte praktische Solidarität mit Widerstandsprojekten der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in Griechenland usw. Beim britischen Bergarbeiterstreik in den 1980er Jahren war dies z.B. – wenn auch nur von linken Minderheiten in den Gewerkschaften und linken Gruppen organisiert – noch anders gewesen.

[31] Er war u.a. einer der Berater von Gianis Varoufakis während dessen Amtsperiode als Finanzminister in Griechenland. Siehe auch https://www.opendemocracy.net/can-europe-make-it/james-galbraith-j-luis-martin/poisoned-chalice

[32] Zitiert nach Ambrose Evans-Pritchard: European ‚alliance of national liberation fronts’ emerges to avenge Greek defeat; Telegraph, UK, 29.07.2015

[33] Zur Kritik siehe Z-Redaktion, a.a.O.; zur Kritik des Juncker-Plans siehe z.B. Fabio De Masi: http://www.fabio-de-masi.de/de/article/490.juncker-plan-efsi-%C3%B6ffentliches-investitionsprogramm-statt-renditegarantie.html