Buchbesprechungen

Zur Geschichte der KPÖ

von Stephan Ganglbauer zu Walter Baier
September 2010

Walter Baier, Das kurze Jahrhundert. Kommunismus in Österreich. KPÖ 1918 bis 2008, Edition Steinbauer, Wien 2009, 300 S., 22,50 Euro

Österreich hat mit Deutschland historisch keine guten Erfahrungen gemacht. Dies gilt für die KPÖ – bis in die jüngste Vergangenheit hinein – in besonderem Maße. Dies zeigt das gut lesbare Buch von Walter Baier. Es ist auch für den deutschen Leser von Interesse, macht es doch deutlich, dass es selbst in der Hochzeit der ‚kalten Kriegs’ verschiedene Optionen für die Entwicklung der ‚deutschsprachigen’ kommunistischen Parteien gegeben hat. Die Lektüre setzt gute Kenntnisse der österreichischen Zeitgeschichte voraus, was zugleich eine Schwäche und eine Stärke ist: Der Leser realisiert, dass die Bundesrepublik Österreich sowohl innen- wie außenpolitisch eine durchaus andere Entwicklung genommen hat als die Bundesrepublik Deutschland.

Der Autor war über Jahrzehnte in führenden Funktionen der KPÖ, von 1994 bis 2003 als Vorsitzender, tätig. Wenn ein Autor aufs Engste mit dem Gegenstand seines Interesses verwoben ist, in zentraler Position mitverantwortlich für dessen Entwicklung war, sind einerseits Insiderinformationen zu erwarten, die der historischen Forschung ansonsten schwer zugänglich sind; andererseits stellt sich die Frage, ob hinreichend gnostische Distanz erzielt wurde. Eben das ist Walter Baier in beachtlicher Weise gelungen, weshalb sein Buch als ernst zu nehmendes zeitgeschichtliches Dokument zu bewerten ist. Am klarsten erweist sich seine Fähigkeit zum hinreichend distanzierten Blick auf – über beträchtliche Strecken und in vielen Aspekten – seine eigene Geschichte in dem Bemühen, den verschiedenen Akteuren gerecht zu werden, selbst denen, die er nun als Gegner ansieht. Von vielen (teils ehemals) innerparteilichen Kontrahenten muss leider Gegenteiliges berichtet werden: Einigen von ihnen dient Baiers Buch allein dazu, ihre Feindseligkeiten zu zelebrieren.

Die KPÖ ist die drittälteste kommunistische Partei und sie ist nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Sie hat in den mittlerweile mehr als 90 Jahren ihres Bestehens gesamtstaatlich nur selten größeren Einfluss gewonnen. Sie war von 1945 bis 1966 im österreichischen Nationalrat vertreten und gehörte nach der Befreiung von Nazideutschland zweieinhalb Jahre lang der Bundesregierung an. Das hatte seine guten, ja die allerbesten Gründe, waren es doch die Kommunistinnen und Kommunisten, die am in Österreich insgesamt nicht sehr zahlreichen Widerstand gegen die Naziherrschaft den bei weitem größten Anteil getragen hatten, obwohl die KPÖ bis zum Verbot durch den Austrofaschismus 1933 nur eine marginale Rolle gespielt hatte. Darin liegt wohl auch eine Tragik dieser Partei: Sie entfaltete dann ihre vergleichsweise größte Wirkung, als sie als „Partei leninschen Typs“ am wenigsten existierte. Diese scheinbare Paradoxie findet laut Baier ihre bündige Erklärung in dem, was das erste ZK-Plenum nach der Okkupation Österreichs im Juli 1939 in Paris („Amsterdamer Plenum“) proklamiert hatte. Dort hieß es: „Du bist die Partei! Je schwieriger die Bedingungen des Kampfes werden, umso größer wird die Rolle und die Verantwortung jedes einzelnen Kommunisten, der nicht unbedingt auf eine Verbindung nach oben warten muss, wenn diese abgerissen wird, sondern im eigenen Wirkungsbereich die Politik der Partei in der Praxis durchsetzen muss.“ (58)

Eben daraus erwuchs aber – sehr verknappt gesagt – nach der Befreiung von der NS-Herrschaft die für die KPÖ schließlich desaströse innere Spaltung: Aus der Tatsache, dass die aus dem Moskauer Exil heimgekehrte Parteiführung die absolute Loyalität gegenüber der stalinistischen Sowjetunion gegen die maßgeblich von jüdischen Intellektuellen im Exil (insbesondere im britischen) entwickelten Eigenständigkeiten durchsetzte. Baier spricht von zwei sich einander, auch im Wortsinn, ausschließenden Tendenzen. Die eine nennt er „autoritär“, die andere „emanzipatorisch demokratisch“ (13). Die Gewichte waren jedoch ungleich verteilt: Als sich im Gefolge des sogenannten Prager Frühlings – der von einer Mehrheit der Parteiführung zunächst begrüßt worden war – die tiefe Kluft innerhalb der KPÖ nicht länger hatte verschweigen oder auch nur kleinreden lassen, erwies sich die herrschaftstechnische Überlegenheit jener, die in den bürokratischen Apparaten der Partei als hauptamtliche Funktionäre die administrativen und organisatorischen Schlüsselpositionen besetzt hatten.

Dass sich eine Kleinpartei wie die KPÖ eine unverhältnismäßig große Zahl von hauptberuflichen Funktionären leisten konnte, enthält ein Stück bitterer Ironie. Denn der allergrößte Teil der Parteifinanzen (Jahresbudgets jenseits 100 Mill. Schilling = 8 Mill. Euro) speiste sich keineswegs aus Mitgliedsbeiträgen oder Spenden und schon gar nicht aus den in Österreich ansonsten besonders reichlichen öffentlichen Subventionen, sondern aus einem klug aufgebauten Netz von Firmen, die insbesondere im anfangs offiziell noch verpönten Osthandel für österreichische Unternehmen, genannt sei als Beispiel die damals noch verstaatlichte montanindustrielle VÖEST, wichtige Aufträge zu erschließen vermochten. Dieses Firmengeflecht aber war mehrheitlich von Angehörigen der nicht-stalinistischen ‚Westemigration’ aufgebaut worden: „Bei den zentralen Personen des sich entwickelnden kommunistischen Wirtschaftsapparats handelte es sich in der überwiegenden Mehrheit um Geschäftsleute jüdischer Herkunft, vornehmlich aus dem Kreis der ,Westemigranten’ rekrutiert, insbesondere solchen aus Großbritannien, ... [deren] Exponenten bei der Zusammensetzung der politischen Führung der Partei in Österreich nicht in entsprechendem Ausmaß berücksichtigt worden“ waren (215). Überspitzt gesagt: Die wirtschaftlichen Erfolge der eher der zweiten, „emanzipatorisch demokratischen“ Tendenz zuzurechnenden Kreise sicherte in erheblichem Maß die administrative Durchsetzung der autoritären Tendenz.

Der vom Autor geschilderte politische ‚Krimi’, die gemessen an rechtsstaatlichen Prinzipien mehr als fragwürdige Enteignung der KPÖ durch die Bundesrepublik Deutschland, genauer die Berliner Treuhand, also „die Novum-Story“, sollte auch in deutschen Landen hinreichendes Interesse an Baiers Buch hervorrufen.

Dass es sich bei der KPÖ-Geschichte auch um einen Beitrag zur Diskussion um die Zukunft linker Politik in Europa handelt, ist selbstredend bei einem Autor, der heute die Bildungs- und Forschungseinrichtung der Partei der Europäischen Linken koordiniert.

Stephan Ganglbauer