Modern Money Theory – eine Kritik

von Heiner Ganßmann
Juni 2015

Eine neo-chartalistische[1] geldtheoretische Schule gewinnt in den letzten Jahren zunehmend Anhänger, die sich Modern Money Theory (MMT) nennt (zur Einführung vgl. Wray 2014). MMT impliziert nicht zuletzt, dass die Politik ihre Kontrolle über die Ökonomie behaupten bzw. wieder herstellen könne. Einerseits, weil dem Staat die Fähigkeiten und Handlungsspielräume zugeschrieben werden, das Geldsystem zu steuern und zu kontrollieren. Andererseits, weil der Staat eben deshalb nicht daran gebunden ist, seine Ausgaben von seinen Einnahmen abhängig zu machen. Er kann vielmehr durch Kredite jederzeit die wirtschaftlichen Aktivitäten auf dem für Vollbeschäftigung erforderlichen Niveau halten.

Die drei Hauptthesen, die die Eigenart dieser Theorie ausmachen, lauten:

  1. Alles Geld ist Kredit (AMIC: All Money Is Credit)
  2. Geld ist immer staatliches Geld
  3. Steuern treiben das Geldsystem an („Taxes drive money“).

Obwohl etliche Gründe für diese Thesen angeführt werden, die häufig plausibel sind, halte ich alle drei Thesen in der behaupteten Allgemeinheit für falsch. Sie haben aber Konsequenzen nicht nur für die Geldtheorie und ihre Geschichte, sondern, was wichtiger ist, für wirtschaftstheoretische Empfehlungen zur Geldordnung sowie zur Geld- und Fiskalpolitik, die zumindest im angelsächsischen Sprachraum bereits bei offiziellen Instanzen Resonanz gefunden haben (für die Bank of England vgl. McLeay et al. 2014).

Deshalb ist eine kritische Prüfung der MMT angebracht. Ich gehe dabei einfach so vor, dass ich die drei Thesen nacheinander diskutiere, vor allem im Hinblick auf die geldtheoretischen Hintergründe, einschließlich der reklamierten theoriegeschichtlichen Ahnenreihe und der beanspruchten Evidenz aus der Geldgeschichte.

1. These: Alles Geld ist Kredit

Die Plausibilität dieser These hängt natürlich vom verwendeten Geldbegriff ab. Wenn man, wie nicht unüblich (und auch wegen der 2. These geboten), davon ausgeht, dass Geldobjekte „chartal“, d.h. von staatlichen Autoritäten als solche gekennzeichnete Objekte sein müssen (im Anschluss an Knapp 1905), spricht man von Geld, sobald es mit staatlichen Hoheitssymbolen versehene, also geprägte Münzen gibt. Dann haben die AMICi (so nenne ich im Folgenden die Freunde der AMIC-These) das Problem, in Bargeschäfte mit Münzen (oder auch mit deren Vorformen wie gestückeltes und gewogenes Gold oder Silber als Tausch- und Zahlungsmittel) Kreditbeziehungen hineinzuprojizieren. Das ist entweder unplausibel oder führt zu merkwürdigen begrifflichen Verrenkungen, vor allem zu einer Verdrehung des Verhältnisses von Geld und Kredit. Kredit wird zum allgemeineren Begriff und das Geld zu einem Sonderfall des Kredits. Damit haben Autoren wie Macleod und Innes, die den AMICi als Ahnherren ihrer Theorie gelten, „die kredittheoretische Konsequenz gezogen aus der im Merkantilismus häufig vertretenen Anweisungstheorie des Geldes, für die das Geld ein ‘pledge’, ein ‘ticket’, eine ‘gage’, eine ‘representation of a claim one has on society’ ist. Das Geld ist hier eine generelle Bestätigung hingegebener Werte und ein Anspruch auf ein entsprechendes Äquivalent.“ (Wagner 1937: 83) Da es bei Kreditbeziehungen darum geht, dass der Gläubiger dem Schuldner Werte zur Verfügung stellt und im Gegenzug ein – meist schriftliches – Versprechen auf spätere Rückzahlung erhält, finden die AMICi in dem temporären Verzicht auf Güter die Wesensgleichheit von Geld und Kredit: Der Verkäufer, der Geld erhält, gibt ebenfalls einen Kredit, zwar nicht an den Käufer, aber an die Wirtschaft insgesamt.[2] „Indem er statt Ware Geld nimmt, wird er zum Gläubiger der Gesellschaft.“ (ebd.) Macleod hat deshalb gefolgert: „Gold and Silver Money may therefore be justly termed Metallic Credit.“ (Macleod 1892: 40) Einen metallischen Kredit hat noch niemand gesehen, gehoben oder gerochen, aber so ein Tier braucht man, wenn man die AMIC-These überhistorisch verallgemeinert aufrechterhalten will.

Eine alternative Begründungsstrategie der AMIC-These schliesst an Keynes an, der in seinem „Treatise on Money“ (1930: 3) die Auffassung vertreten hat, dass „money of account“, also Rechen- oder Buchgeld, die „primäre Geldfunktion“ sei. Man findet dann Geld historisch schon da, wo ein irgendwie beziffertes Gläubiger-Schuldner-Verhältnis vorliegt (z.B. in Mesopotamien, in den ersten Gesetzen Hammurabis, vgl. Graeber 2011, Ferguson 2009, von Reden 2007) oder eine strafrechtlich definierte Schuld durch gesetzlich festgelegte Abgabenmengen getilgt werden muss (wie in den Solonschen Gesetzen in Athen). Auf diesem Weg kommt man allerdings zu einer begrifflichen Überdehnung: am Geld ist nicht dessen faktische Nutzung in Wirtschaftsbeziehungen interessant, in denen Eigentumswechsel von begehrten Objekten friedlich bewerkstelligt werden, sondern Quantifizierung und Abstraktion in sozialen Beziehungen überhaupt (Orléan 2011, zur Kritik vgl. Ganßmann 2012). Theoretisch entsteht so schon bei Keynes die Frage, die er aber geschickt ignoriert, auf welche Praxis sich Quantifizierung und Abstraktion mit Hilfe dieser Art von Rechengeld stützen. Häufig werden an dieser Stelle Praktiken angeführt von religiös motivierten Opfergaben (Laum 1924) bis zum Wergeld, d.h. der Festlegung von Geldbußen für strafwürdige Vergehen wie Mord und Totschlag im germanischen Recht. Aber wie kommt man von da zurück zu dem, was solche Ausflüge in nicht-ökonomische Sphären ursprünglich motivierte, zur Erklärung der wirtschaftstheoretisch interessierenden Praktiken des Kaufens und Verkaufens auf Märkten, des Geldleihens und -verleihens in Kreditbeziehungen?

Eine von den AMICi favorisierte Brücke liefert an dieser Stelle der Staat. Demnach haben Staaten, Herrscher oder Regierungen zum Zweck der Tribut- oder Steuererhebung festgesetzt, welche Abgabenpflichten das Volk hat und wie man sie erfüllen kann. Dabei haben sie sich in grauen Vorzeiten, in denen es noch keine Märkte gab, auf nicht-ökonomische Praktiken gestützt und konnten so auch die rein wirtschaftlich interessanten Abgaben nicht nur in Naturalien, sondern abstrakt in Recheneinheiten und Preisrelationen definieren. Am Anfang war also das Rechengeld. Irgendwann musste jedoch damit nicht nur gerechnet, sondern bezahlt werden. Erst zu diesem Zweck wurden nach MMT Märkte geschaffen. Die Untertanen mussten sich die geforderten Zahlungsmittel ja irgendwo besorgen können. Das ging, sobald sie ihre Leistungen oder Güter auf Märkten verkaufen konnten. Die Reihenfolge der Geldentwicklung beginnt also nach MMT beim Rechengeld, geht weiter zum Zahlungsmittel und erreicht erst auf dieser Grundlage die in der traditionellen Wirtschaftstheorie im Mittelpunkt stehende Funktion des Tauschmittels.

Nach MMT gibt es demgemäß einen inneren Zusammenhang zwischen Geldentstehung und staatlichen Tribut- oder Steuererhebungen. Bei der Diskussion der Thesen 2 und 3 komme ich darauf zurück. Zunächst müssen wir aber noch näher auf die AMIC-These eingehen. Wie ich eingangs sagte, halte ich sie in dieser Allgemeinheit für falsch. Einerseits entspricht sie nicht dem üblichen und plausiblen historischen Verständnis der Geldentwicklung, wonach Kreditzahlungsmittel erst auf der Grundlage von Geldgebrauch auf Märkten entstanden sind und nicht selbst die Geldentwicklung eingeleitet haben. Natürlich kann man gegenüber dieser Mainstream-Denkweise skeptisch sein und wie MMT nach Alternativen suchen. Aber andererseits kann man aus soziologischer Perspektive leicht zeigen, dass ein Kreditverhältnis von anderen sozialen Beziehungen getragen wird als ein Bargeldgeschäft zwischen Käufer und Verkäufer, dass also die Gleichsetzung von Geld und Kredit diese Differenzen in den sozialen Beziehungen überspielt.

Zunächst zum Gegensatz von monetärer Kredittheorie und Kredittheorie des Geldes. Diese Gegenüberstellung stammt von Schumpeter (1954: 717), der von der Beobachtung ausgeht, dass private Kreditinstrumente, wie Schuldscheine oder Wechsel, von ihren Haltern, den Gläubigern, selbst zum Zahlen benutzt werden können. Wie geht das? Der Gläubiger reicht einfach bei einem nächsten Kauf oder bei Zahlung einer eigenen Schuld seine Forderung an den nächsten Verkäufer oder Gläubiger weiter. Das funktioniert, so lange die jeweiligen Empfänger entweder davon überzeugt sind, dass der ursprüngliche Schuldner seine Zahlungsverpflichtung zum vorgesehenen Termin erfüllen wird oder wenn ein Empfänger selbst eine Zahlungsverpflichtung bei dem ursprünglichen Schuldner zu erfüllen hat und dafür einfach dessen Schuldschein verwenden will. Bei dieser Art von kreditgestützter Zirkulation gilt tatsächlich, wie Innes sagt: „Geld ... ist Kredit und nichts als Kredit. B´s Schulden an A sind A´s Geld und wenn B seine Schulden bezahlt, verschwindet A´s Geld.” Aber weit übertrieben ist der bei Innes direkt folgende Satz: „Das ist die ganze Theorie des Geldes.“ (Innes 1913: 402, Übers. HG)

Bei Benutzung privater Kreditinstrumente als Zahlungsmittel werden ausstehende Zahlungsverpflichtungen periodisch einander gegenübergestellt, gegeneinander abgeglichen, und die verbleibenden Salden können bis zum nächsten Clearing-Termin weitergeführt werden. Schumpeter (1954: 321, 717) hat aufgrund der Beobachtung dieser verbreiteten Praxis gefragt, wo denn der Unterschied sei zwischen diesen privaten Zahlungsmitteln und dem offiziellen, staatlich beglaubigten Geld, wenn die privaten Schuldanerkenntnisse genauso gut als Zahlungsmittel funktionieren wie das „chartale“ Geld. Er konnte keinen Unterschied feststellen.[3] Hinzu kommt obendrein, dass auch das moderne Staatspapiergeld durch eine Kreditoperation zustande kommt. Der Staat nimmt bei seiner Bank, der Zentralbank, einen Kredit auf und zahlt mit den von dieser ausgegebenen Noten, die den Status von gesetzlichen Zahlungsmitteln haben, mit denen eine Schuld endgültig getilgt werden kann. Um diese gesamte moderne Praxis der Zahlungen mit Zentral- oder privaten Banknoten zu verstehen, so Schumpeter, sei es irreführend, von Geld in Form von gemünztem Gold oder Silber, also, im Sinne Mengers (1892), von besonders begehrten und deshalb marktgängigen Waren, als Tauschmittel auszugehen. Man müsse vielmehr von Kreditbeziehungen und den dort entwickelten Zahlungsmethoden ausgehen und eine Kredittheorie des Geldes formulieren. Dabei behauptet Schumpeter jedoch keineswegs,[4] dass alles Geld Kredit sei. Münzen aus Edelmetall, also Geld in Warenform, gab es im Mittelmeerraum seit dem 6. Jahrhundert v.u.Z. Aber im modernen Geldwesen spielt solches Geld allenfalls noch eine Nebenrolle als Tauschmittel und von ihm aus erschließt sich, so Schumpeter, kein Verständnis des modernen Kreditgeldes.

Da die frühe Geldgeschichte weitgehend im Dunkeln liegt und deshalb viel Spielraum für alle möglichen Interpretationen lässt, lassen sich daraus wohl keine zwingenden Gründe für oder gegen die AMIC-These herleiten, vor allem wenn es jedem freisteht, seinen Geldbegriff je nach Zweck zu wählen. Was man aber von der Soziologie her leicht feststellen kann, ist, dass die sozialen Beziehungen der Wirtschaftsakteure eine ganz andere Form haben, je nachdem ob mit Bargeld oder unter Inanspruchnahme von Krediten gezahlt wird. Während bei Krediten eine soziale Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner solange andauert, bis der Schuldner seine Zahlungsverpflichtung vertragsgemäß erfüllt hat, erlischt die soziale Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer mit der Übergabe des Geldes als Tauschmittel.[5] Dabei ist diese soziale Beziehung reduziert in dem Sinne, dass den Verkäufer nur die Qualität und Quantität des vom Käufer angebotenen Geldes, nicht aber dessen Person interessieren muss. Das ist bei Kreditbeziehungen ganz anders. Der Gläubiger hätte am liebsten, um das Risiko der Nichtbedienung der in Frage stehenden Schuld zu minimieren, ein genaues Dossier zur Person des potentiellen Schuldners. (Moderne massenhafte Ersatzprodukte sind Schufa-Datenbanken und Credit Ratings.) Die Schuld bzw. der vergebene Kredit wird normalerweise zusammen mit Zahlungsfristen und vereinbarten Zinsleistungen dokumentiert. Demgegenüber gilt bei Bargeldtransaktionen: „Bargeld hinterlässt keine Papierspur“ (Shubik 1999: 236, Übers. HG)

Wir können zusammenfassen: Nicht alles Geld ist oder war Kredit, wobei wir noch gar nicht mit den Besonderheiten des modernen Zentralbankgeldes befasst waren, für das diese Aussage ebenfalls gilt. Die AMIC-These ist angesichts der vielfältigen Geldformen und deren ebenso vielfältigen Entwicklungswegen eine zu grobe Vereinfachung.

2. These: Geld ist immer staatliches Geld

Die zweite These, auf die MMT aufbaut, ist weniger problematisch als die erste, aber auch sie ist weder historisch korrekt noch zutreffend angesichts moderner privater Geldformen. Soweit sie sich auf Knapp (1905) stützt, dessen Einleitungssatz lautete: „Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung“, ist die Grundaussage richtig: Geld, auch privates Geld, kann nur funktionieren im Rahmen eines institutionalisierten Regelwerks, das auf Dauer am wirksamsten durchsetzbar ist, wenn Staaten oder vorstaatliche Herrschaftsverbände sich der Sache annehmen. Insofern der Chartalismus ein staatliches Privileg behauptet bei der Festsetzung dessen, was rechtlich als endgültiges Zahlungsmittel gilt, ist die These plausibel, schon allein, weil sie fast tautologisch ist. Für Rechtsfragen sind nun einmal staatliche Instanzen (oder analoge Institutionen in vorstaatlichen Zusammenhängen) zuständig. Das gilt auch für Rechtsfragen, die den Geldverkehr betreffen. Aber man beachte den feinen Unterschied zwischen dem eben zitierten Satz von Knapp und dem Titel von Lerner (1947): „Money as a creature of the state“, mit dem die Behauptung verbunden ist, das Geld sei ein Geschöpf des Staates. Das ist nicht nur angesichts der vielfältigen privaten[6] Geldformen in Geschichte und Gegenwart überzogen, sondern auch wegen der vielen Fälle von Staatsversagen bei der Aufrechterhaltung von Geldordnungen, die zu privaten Hilfskonstruktionen zwangen.

Ein im Neochartalismus gepflegter Ausweg zur Aufrechterhaltung der These 2 und damit zur Vermeidung einer weitgehenden Revision der eigenen Theorie besteht darin, den Geldbegriff zu modifizieren. Das Vorbild lieferte Keynes, der seine Geldtheorie mit der These einsetzen lässt, die Funktion des Rechengeldes („money of account“) sei die „primäre Funktion“ des Geldes (Keynes 1930: 7, vgl. Ganßmann 2015). Da die ältesten, aus Mesopotamien überlieferten Maßeinheiten für Gewichte ebenso per Herrscherdekret festgesetzt wurden wie Tributpflichten und da diese Maßeinheiten auch den Münzprägungen im antiken Griechenland unterlagen (von Reden 2007), bleibt die Behauptung, alles Geld sei ein Geschöpf des Staates, plausibel, solange man Geld als Rechengeld und die damit ermöglichte Festlegung von Zahlungspflichten meint. Sie gilt aber nicht, insofern es um Geld als Tauschmittel oder Wertaufbewahrungsmittel geht. Erst in der griechischen Polis kann man von Geld in dem Sinne sprechen, dass die in der Polis geprägten und benutzten Münzen allen vier Geldfunktionen dienten (Maß des Werts, Tauschmittel, Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel). Erst hier ist das Gemeinwesen zuständig nicht nur für die Bestimmung des Rechengeldes und des gesetzlichen Zahlungsmittels, sondern auch für die eine Monetarisierung der Gesellschaft (Seaford 2004) erst ermöglichende Versorgung mit hinreichenden Tauschmitteln.

Im Blick auf die Geldgeschichte ist also eine Einschränkung von These 2 erforderlich. Und wie lässt sie sich angesichts moderner Formen von Privatgeld aufrechterhalten? Auf die Vielfalt dieser Formen kann ich nicht näher eingehen, die von selbstorganisierten Tauschringen mit Stundenzettelwährungen bis zu elektronisch geschürften Bitcoins reichen. Wichtig ist aber an dieser Stelle die Praxis der Geldschöpfung von privaten Banken. Vereinfacht dargestellt geht es dabei darum, dass Banken, indem sie einem Kunden per Kredit den Zugriff auf Geld ermöglichen, in dem Sinne Geld „schaffen“, als sie bei dieser Kreditgewährung nicht gebunden sind durch die eigene Verfügung über Geld, sei es ihr Kapital oder seien es die Einlagen von Kunden. Der Geldleiher erhält, nach einer Vereinbarung mit der Bank über Rückzahlung, Zinsen und u.U. nach der Hinterlegung von Sicherheiten, ein Zahlungsversprechen der Bank, mit dem er Einkaufen gehen kann. Die Bank muss dafür Sorge tragen, dass sie diese Zahlungsversprechen erfüllen kann, wenn sie von Dritten vorgelegt werden. Sie kann sich dafür selbst Geld leihen, zur Not bei der Bank der Banken, also der Zentralbank. Der Staat hat mit dieser Geldschöpfung direkt nichts zu tun, aber mit deren Rahmenbedingungen. Er kann festlegen, wie hoch die Reserven der Banken sein müssen, wie hoch das Eigenkapital im Verhältnis zu der Kreditgewährung sein muss, er kann über die Zentralbank und deren Kreditgewährung an die Privatbanken die Zinssätze beeinflussen usw. usf. Und schließlich gilt auch hier der Satz: Das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung, in dem Sinne, als die Geldeinheiten, in denen Banken Kredite vergeben, in Form des vom Staat definierten gesetzlichen Zahlungsmittels definiert sind. Aber, wie gesagt, der Staat hat mit der durch Kreditgewährung der Banken betriebenen Geldschöpfung direkt nichts zu tun. Insofern ist These 2 der MMT in ihrer schlichten Einfachheit nicht richtig.

3. These: Steuern treiben das Geldsystem an

Die dritte tragende These des Neochartalismus, „taxes drive money“, erklärt sich relativ zwanglos aus dessen Theoriearchitektur, konfligiert aber in einer Hinsicht mit dem spezifischen Geldbegriff von MMT. Wenn, nach der AMIC-These, alles Geld Kredit ist, muss das auch für das Geld gelten, das der Staat ausgibt. Um das plausibel zu machen, kann man den Ausgangspunkt wählen, das staatliche Geld als ebenso viele Schuldscheine zu sehen, die der Staat an seine Gläubiger aushändigt, wenn er bei ihnen etwas auf Pump „kauft“. Die Frage ist dann, warum jemand diese Schuldscheine, das sind schließlich auch wieder nur Zahlungsversprechen, akzeptieren sollte im Gegenzug zur Überlassung von Gütern oder zur Leistung von Diensten, die „realen“ Reichtum bedeuten. Die Antwort ist eine doppelte.

Erstens ist Geld nach MMT sowieso nie und nirgends mehr als ein Zahlungsversprechen. Wenn also im Prinzip jeder Geld herstellen kann, indem er einen Schuldschein ausstellt, der akzeptiert wird, weil die Gläubiger ihrerseits damit „zahlen“ können, hängt diese Akzeptanz an der Glaubwürdigkeit des Zahlungsversprechens. Diese wiederum wird von mehreren Faktoren beeinflusst, zuvorderst davon, dass man denjenigen, der Zahlung verspricht, überhaupt kennt, dann von Erfahrungen und darauf bauendem Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit des Schuldners. Da der Staat in seinem Währungsgebiet üblicherweise der größte und einflussreichste Wirtschaftsakteur ist, steht seine Bekanntheit außer Frage. Da die Geldbenutzer normalerweise auch ein Eigeninteresse des Staates an einem funktionierenden Geldwesen unterstellen können, werden sie auch darauf vertrauen, dass der Staat seine Schulden, wenn irgend möglich, bedient (selbst wenn er dazu neue Schulden machen muss). Kurz, der Staat hat normalerweise von allen Wirtschaftsakteuren die besten Chancen, dass seine Schuldscheine als Zahlungsmittel akzeptiert werden.

Zweitens kommen an dieser Stelle die Steuern ins Spiel. Wenn praktisch alle privaten Wirtschaftsakteure dem Staat Steuern zahlen müssen und der Staat seine eigenen Zahlungsversprechen als Mittel der Steuerzahlung akzeptiert[7], haben alle ein Interesse am Erwerb des staatlichen Geldes. Sein Gebrauch kann sich auf dieser Grundlage über die Verwendung zur Steuerzahlung hinaus durch einen Netzwerkeffekt verallgemeinern. Einige MMT-Theoretiker (z.B. Forstater 2004) gehen so weit zu behaupten, dass Staaten Geldsteuern erhoben haben, um die Entstehung von Märkten zu fördern. Wenn der Kauf auf Märkten die Verfügung über Geld voraussetzt, muss es sich der Käufer erst beschaffen, indem er fleißig Geld verdient. Dass die Besteuerung in Geldform ein Hebel war, um aus der Landbevölkerung Lohnarbeiter zu machen (Marx 1962), ist dabei nicht die Frage. Es geht darum, ob der pfiffige Staat aus einer marktlosen Wirtschaft über die Monetarisierung der Tributleistungen seiner Untertanen eine Marktwirtschaft geschaffen hat. Dieser Argumentation muss man nicht folgen. Es gibt zwar passende empirische Evidenz dazu in Fällen von Kolonialisierung, in denen der kolonialisierende Staat bereits über ein etabliertes Geldsystem verfügt. Aber dass Staaten eine Monetarisierung ihrer Abgabenforderungen betrieben, um Märkte zu schaffen, ohne vorher Märkte zu kennen, ist eher unwahrscheinlich. Darüber hinaus kommt bei dieser Version der Geldgeschichte eine merkwürdige Verdrehung ins Spiel, die sich wegen der AMIC-These aufdrängt: Es ist nicht so, dass der Staat Abgaben in Geld oder Naturalien auferlegt und eintreibt, sondern der Staat kauft mit Schuldscheinen, auch wenn sie aus Gold sind, und muss diese wieder einlösen. Damit die Empfänger mit diesen staatlichen, metallischen Schuldanerkenntnissen etwas Vernünftiges anfangen können, erhebt der Staat Steuern. „Indem die Regierung eine Münze ausgibt, ist sie gegenüber ihrem Besitzer eine Verbindlichkeit eingegangen, genauso als hätte sie etwas von ihm gekauft, mit andern Worten ist sie die Verpflichtung eingegangen, durch Besteuerung oder sonst wie einen Kredit zu gewähren für die Einlösung der Münze und damit ihren Besitzer in die Lage zu versetzen, für sein Geld Wert anzueignen.” (Innes 1913: 402, Übers. HG)

Ich weiß nicht, ob irgendjemand schon einmal von der Regierung durch Besteuerung einen Kredit bekommen hat. Meistens nimmt man das so wahr, dass die Regierung mit der Besteuerung den Bürgern oder Untertanen etwas wegnimmt. Aber Innes ist trotz solch merkwürdiger Gedankengänge, was die MMT-Autoren nicht müde werden zu wiederholen, einer der Ahnherren ihrer Theorie. Der Innessche Gedanke wird vielleicht etwas klarer reformuliert: „Der Staat versetzt als erstes seine Untertanen oder Bürger (je nach dem) in die Lage von Schuldnern, die Steuern schulden, bevor er die Gelddinge ausgibt, die für Steuerzahlungen akzeptiert werden. Das ist die Methode, die von allen modernen Nationen benutzt wird, um Ressourcen zum Staatssektor zu lenken.“ (Wray/Bell 2004: 12, Übers. HG) Aber These 3 bleibt trotzdem seltsam, nicht zuletzt wegen der angedeuteten Sequenz.[8] Bei Steuerquoten (Steueraufkommen als Anteil am Bruttosozialprodukt) z.B. von 20 bis 25 Prozent in Deutschland ist zwar klar, dass es sich bei Steuerzahlungen um ein großes Segment des gesamten Zahlungsverkehrs handelt. Aber warum dieses eher undynamische Segment der Motor der Geldordnung und ihrer Entwicklung sein soll, bleibt unklar. Lenken Staaten etwa diese Entwicklung in Abhängigkeit von ihrer Nachfrage nach Ressourcen, die sie in alten Zeiten als Abgaben in natura angeeignet haben?

Tatsächlich müsste es nach These 2 (Lerner 1947, vgl. die Diskussion bei Wray 2014: 21f.) einfach so sein, dass Staaten neues Geld ausgeben können, wenn sie die Nachfrage stimulieren wollen, und Steuern erhöhen, wenn sie sie dämpfen wollen, ohne Rücksicht darauf, dass sie als Schuldner den Forderungen der Halter von Zentralbankgeld als Gläubiger ausgesetzt wären. Eine Verbindlichkeit der Zentralbank, die diesen Forderungen gegenüberstünde, gibt es nicht (oder allenfalls als buchhalterische Formalität). Das moderne Zentralbankgeld ist nicht gedeckt. Man kann keine Einlösung fordern. Alles sonstige moderne Geld mag ja Kredit sein, aber nicht das Zentralbankgeld.

Schluss

Die Hauptthesen der Modern Money Theory zwingen offenbar ihre Vertreter zu einer Revision sowohl der Geldgeschichte als auch der Geschichte der Geldtheorien. Die Prüfung der Fragen, ob sich MMT zu Recht auf eine konsistente Theorietradition (mit der Ahnenreihe Macleod, Knapp, Innes, Keynes, Schumpeter, Lerner) berufen kann und ob die angebotene Version der Geldgeschichte plausibel ist, führt zu starken Einwänden. Nicht alles Geld ist Kredit: Sowohl in alte Geldformen, bei denen gestückeltes Edelmetall als Tauschmittel benutzt wurden, als auch in modernes Zentralbankgeld lassen sich Kreditbeziehungen nur unter begrifflichen Verrenkungen hineinlesen. Dass modernes – geschweige denn altes – Geld ein Geschöpf des Staates ist, ist allenfalls bedingt richtig. Staaten setzen die Rahmenbedingungen der Geldsysteme, aber der private Zahlungsverkehr wird weitgehend mit privaten Kreditinstrumenten abgewickelt. Dabei kommt es zu Krisen und die Staaten werden als Retter des Geldsystems in Anspruch genommen. Oft genug haben sie es jedoch zeitweise kräftig ruiniert. Schließlich gilt die „Taxes drive Money“-These ebenfalls nur eingeschränkt: Wie Wray (2014: 22) im Anschluss an Lerner (1943) behauptet, sind die Staaten, weil sie ihre Währung selbst produzieren, nicht gezwungen, ihre Ausgaben von Steuereinnahmen abhängig zu machen. Wenn die Zahlungsmöglichkeiten von Staaten nicht an ihr Steueraufkommen gebunden sind, hängt die 3. These von MMT quasi in der Luft.

Das ist kein Schaden, wenn man bedenkt, dass es im Hinblick auf die – gerade auch die aktuelle – Geld- und Fiskalpolitik wichtiger ist, die theoretischen Grundlagen der Austeritätspolitik zu demolieren. Regierungen sind nicht prinzipiell abhängig von den „Märkten“. Sie können ihr eigenes Geld produzieren und ausgeben und sind, wenn sie es denn wollen, nicht auf das Vertrauen externer Geldgeber angewiesen. Dabei hilft die Einsicht, dass das, womit die modernen Staaten zahlen, im Widerspruch zur AMIC-These kein Kreditgeld ist: Bei Krediten stehen Forderungen und Verbindlichkeiten einander gegenüber mit einem Saldo von Null. Beim Ausgeben von Zentralbankgeld, das keine Deckung hat, entstehen für den Staat keine Verbindlichkeiten.

Alles in Allem sind die Grundthesen von MMT zu einfach. Damit MMT in der im Prinzip erfrischenden Antihaltung gegen den geldtheoretischen Mainstream nicht selbst dogmatisch verhärtet, ist eine offene, auch in Details reichende Diskussion angebracht, die zu wichtigen Modifikationen und Differenzierungen dieses geldtheoretischen Ansatzes führen sollte.

Literatur

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[1] Als Chartalisten bezeichnet man die Anhänger der „Staatlichen Theorie des Geldes“ von Knapp (1905). Eine instruktive Gegenüberstellung von Chartalisten und Mengerianern findet sich bei Goodhart (1998).

[2] „Im allergrundsätzlichsten Sinn werden dem Geldbesitzere Güter geschuldet. Man kann nicht sagen, dass Geld existiert, wenn es nicht gleichzeitig eine Schuld gibt, die es begleichen kann.“ (Ingham 2004: 12, Übers. HG)

[3] Allerdings hat Schumpeter nicht gefragt, was passiert, wenn die nach dem Clearing noch offenen Zahlungsverpflichtungen nicht weiter gestundet werden – was zur klassischen Form der Geldkrise führt (Ganßmann 2015).

[4] Genauso wenig wie Keynes, auf den sich die AMICi berufen. Auch bei Marx kann man von einer doppelten Geldtheorie sprechen. Er weist schon in seiner Ableitung des Geldes aus den Bedingungen der Warenzirkulation (Stichwort: „Verdopplung der Ware in Ware und Geld“) deutlich daraufhin, dass Zahlungen im großen Handel mit Wechseln und Banknoten, nicht mit Münzen oder Edelmetall erfolgen. Die systematische Erörterung der Rolle der Banken und des von ihnen geschaffenen Kreditgelds setzt jedoch für Marx (siehe insbesondere die Manuskripte zum dritten Band von „Das Kapital“ [Marx 1992]) voraus, zuvor die Form und Funktionen des zinstragenden Kapitals aus den Bedingungen des Kapitalkreislaufs herzuleiten.

[5] Jedenfalls die direkte Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer. In einem erweiterten Sinn kann man von einer Gemeinschaft der Benutzer der gleichen Währung sprechen, die zumindest hinterrücks auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind.

[6] Da die Vokabel „privat“ ihren Sinn aus dem Gegensatz zu „öffentlich“ oder „staatlich“ bezieht, ist sie genau genommen unangebracht, solange es Staaten im modernen Sinn noch nicht gibt. Die alten Staaten in Mesopotamien oder Ägypten sorgten zwar für einheitliche Maße und Gewichte und stellten dabei auch Äquivalenzregeln bezüglich der Substitutierbarkeit von Naturalleistungen durch Gold- oder Silberzahlungen auf. Aber sie waren nicht zuständig, häufig mangels eigener Edelmetallressourcen, für die Versorgung mit Edelmetallen, die zur Abwicklung des entsprechenden Zahlungsverkehrs erforderlich gewesen wären. Um Zahlungen trotzdem zu bewerkstelligen, erfand man ganz ohne den Staat allerhand Umwege und Hilfskonstruktionen, wie die wechselseitige Verrechnung von Zahlungspflichten, die häufig nur nach langen Wartezeiten möglich waren (von Reden 2007).

[7] Die Geldgeschichte bietet jedoch für jeden etwas, auch dass Staaten sogar das von ihnen selbst geschaffene Geld nicht mehr anerkennen. So in China: „Nachdem der Wert des Baochao auf weniger als 20 Prozent seines Nennwerts gefallen war, trafen die Ming 1394 die außerordentliche Entscheidung, den Gebrauch ihrer eigenen Münzen im Handel zu verbieten.” (Glahn 2005: 67f., Übers. HG)

[8] Plausibel ist die Vermutung eines Netzwerkeffekts: Je mehr Tributzahler Geld benutzen, um so mehr Benutzer von Geld gibt es auch jenseits des direkten Zahlungsverkehrs mit dem Staat: „Die Personen, die Steuern zahlen, machen einen sehr großen Anteil der Gemeinschaft aus und die Steuern, die sie zahlen müssen, bilden einen sehr beträchtlichen Bruchteil ihrer Gesamtausgaben, und folglich hält eine sehr große Zahl von leicht erreichbaren Personen tatsächlich Papier für so gut wie Gold, bis zu einem gewissen bestimmten Punkt, nämlich dem Punkt ihrer Verpflichtungen gegenüber der Regierung. So kommt es, dass eine begrenzte Nachfrage nach Papier, zum Nennwert in Gold, einen dauerhaften Markt konstituiert und damit eine Grundlage liefert, auf der eine gewisse Menge anderer Transaktionen angegangen werden.” (Wicksteed 1910, zit. n. Forstater 2004: 10, Übers. HG )

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