Kriege von morgen

Frankreich und seine Intervention in Mali

von Johannes M. Becker
Juni 2013

Wenn es in der Ex-Kolonie Französisch-Westafrika nur Sand gäbe, könnten sich Tuareg, Terroristen und Malier die Köpfe einschlagen, solange sie wollten. Paris würde nie intervenieren. Es weiß genau, dass sein ‚Antiterrorkrieg’ den islamistischen Terror letztlich nicht besiegen, sondern weiter anheizen wird. Doch was heißt das schon gegen eine gesicherte Stromversorgung durch afrikanisches Uran?“ (Jürgen Todenhöfer in der „Berliner Zeitung“ vom 31.1.2013)

Was geschah in Mali in 2013?

Die unmittelbare Vorgeschichte und der Kriegsablauf bis zum Redaktionsschluss (24. April 2013) sind rasch berichtet[1]:

  • Anfang 2012 rebellieren im Norden Malis die Tuareg, viele von ihnen wurden aus Nach-Kriegs-Libyen vertrieben und kehren – teilweise schwer bewaffnet – in Malis Wüstenregion zurück; die Tuareg, keine Islamisten, fordern seit langem Autonomie in den Grenzen des Staates Mali.
  • Am 22. März 2012 stürzt die malische Armee Staatspräsident Amadou Toumani Touré und setzt als Interimspräsidenten Dioncounda Traoré ein: Die Armeeführung wirft Touré Unentschlossenheit gegenüber den Touareg vor.
  • Am 6. April 2012 erklären die Tuareg-Rebellen des Mouvement National pour la Libération de l´Azawad (MNLA) die Unabhängigkeit des Nordens unter dem Namen Azawad. Die Tuareg-Bewegung wird mehr und mehr zum Ziel islamistischer Einflussnahme. Werner Ruf fasst das Aufkommen der Islamisten in der Sahel- und Sahara-Region folgendermaßen zusammen: „In der fast ausschließlich von Muslimen mit einem sehr toleranten Religionsverständnis bewohnten Region haben sich in den letzten zwanzig Jahren pakistanische und saudische Prediger breit gemacht, die den dogmatisch-fanatischen Wahabismus vertreten und wohl – auch dank finanzieller Förderung – bei perspektivlosen Jugendlichen Anhänger gewinnen.“ Christoph Marischka ergänzt zur militärischen Lage vor der französischen Intervention unter Bezug auf den Putsch gegen Touré: Es ermöglichte „gerade der Putsch, dass die Sezessionisten daraufhin mit Hilfe islamistischer Gruppen schnell den gesamten Norden erobern konnten, die Herrschaft in den eroberten Gebieten jedoch an die Islamisten verloren.“[2]
  • Am 20. Dezember 2012 autorisiert der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 2085 eine militärische Intervention von Truppen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) gegen islamistische Rebellen im Norden Malis.
  • Islamistische bewaffnete Einheiten – Werner Ruf analysiert diese differenziert – überfallen und besetzen um die Jahreswende die im Süden Malis liegende Stadt Konna – fast zeitgleich besetzen Mitglieder der „al-qaida au Maghreb Islamique“ (AQMI) die Gasförderanlage im algerischen Tiguentourine und nehmen etwa 100 Arbeiter und Angestellte als Geiseln.
  • Bereits am 10. Januar 2013 hatte der malische Interimspräsident Traoré Frankreich um militärische Unterstützung gebeten. Schon am folgenden Tag begann Frankreich mit Bombardements gegen den, wie es in Paris heißt, „islamistischen Terror“. In wenigen Tagen werden einige Agglomerationen befreit. Frankreichs Armee rückt, mehr und mehr von Truppen verschiedener afrikanischer Staaten unterstützt und nach und nach ersetzt, mit massiver Luftunterstützung nach Nordosten vor. Paris wird logistisch unterstützt von den USA, Großbritannien, Belgien und Dänemark; Deutschland entsendet Truppentransporter, bietet Tankflugzeuge und militärische Ausbildungskräfte an. Der UN-Sicherheitsrat billigt den französischen Einsatz am 15. Januar.

An dieser Stelle soll weder die Praktikabilität des französischen Militäreinsatzes hinterfragt werden, noch seine – umstrittene – völkerrechtliche Legitimität (schließlich war die ECOWAS mit einer Intervention beauftragt). Auch die rasche Abfolge von Erfolgsmeldungen soll hier nicht zitiert werden, sie verflachen mit der Zeit. Egbert Jahn hierzu: „So ist wohl ein neuer monate-, wenn nicht jahrelanger westlicher Interventionskrieg, diesmal mit politischer Unterstützung Russlands und Chinas und damit auch des UN-Sicherheitsrates, zu erwarten.“ Hier soll vielmehr ein Blick auf Frankreichs koloniale Geschichte und seine interventionistische Gegenwart geworfen werden, die eine Perspektive auf möglicherweise tiefer liegende Interessen und Ziele der herrschenden Klasse in Paris eröffnet, welche im Zitat von Jürgen Todenhöfer oben bereits angedeutet ist.

Frankreich: Koloniale Geschichte und interventionistische Gegenwart

Frankreich zählt neben Spanien und Großbritannien historisch zu den größten Kolonialstaaten. Zur Zeit des Ersten Weltkrieges beherrscht das Land mit 10,5 Millionen Quadratkilometern die zwanzigfache Fläche des französischen Hexagons. Die Pariser Kolonialpolitik setzt am Ende des 16. Jahrhunderts ein. Das Erste Kolonialreich basiert maßgeblich auf Eroberungen in Amerika. Im Pariser Frieden von 1763 verliert Frankreich viele seiner Kolonien. Das Zweite Kolonialreich der Jahre 1830 ff. konzentriert sich maßgeblich auf Afrika. Vor allem die Maghreb-Staaten geraten ins Visier der französischen Kolonialisten. Die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg führt nach einer kurzen Pause zu einer Akzentuierung der Kolonialpolitik in Richtung subsaharisches Afrika. Von Algerien und Senegal aus wird die Sahara durchdrungen und der westliche Sudan erobert.

Die Phase der Décolonisation in Afrika beginnt nach der Niederlage im fernen Indochina 1954. In Algerien entsteht eine starke Befreiungsbewegung, die schließlich nach einem blutigen Krieg 1962 zur Unabhängigkeit des Landes führt. Zeitgleich hat am Ende der 1950er Jahre eine lange Abfolge von Unabhängigkeitsbewegungen „unblutig“ gesiegt. Mali erringt 1960 formell seine Souveränität.

Das heutige Kolonialreich Frankreichs ist – wenn auch territorial begrenzt – weit mehr als ein fossiles Relikt aus den vergangenen Zeiten kolonialer Größe. Insbesondere sind hier zu nennen

  • die Besitzung Französisch Guayana, ein Département (und damit fester Bestandteil der französischen Republik) von der Größe Österreichs, mit einer Raketenstartbasis, die vornehmlich von der European Space Agency (ESA) genutzt wird, unter anderem für ihre ökonomisch und militärisch sehr effizienten Ariane-Raketen; kleinere Besitzungen wie Guadeloupe und Martinique kommen hinzu.
  • Das Pays (vormals: Territoire) d´outre Mer Französisch Polynesien, mit einer Landfläche von nur 4.000 Quadratkilometern, die sich allerdings auf einer Wasserfläche von etwa 4 Millionen (!) Quadratkilometern erstreckt. Hier ist neben der gewaltigen Größe der Besitzung durch die 200-Seemeilen-Zone vor allem das Atomtestgelände des Mururoa-Atolls zu nennen. Auf diesem hat Frankreich zwischen 1966 und 1996, zuletzt unter der Präsidentschaft von Jacques Chirac, zahlreiche Nuklearsprengsätze getestet.
  • Frankreichs territorialer Einfluss in Afrika beschränkt sich heute ausschließlich auf die Großregion um das (souveräne) Madagaskar. Mayotte und La Réunion sind hier als Départements die wichtigsten – diese Besitzungen sind vor allem aus seerechtlichen Gründen wie auch als Militärstützpunkte von Bedeutung.[3]

In diesem Zusammenhang nicht hoch genug einzuschätzen ist die Pariser Politik der „francophonie“. Frankreich unterhält mit gut 35 Ländern auf der Erde besondere kulturelle Beziehungen, die freilich zuweilen über die Pflege der französischen Sprache hinausgehen.[4] Hierzu heißt es im Frankreich-Lexikon (S. 432), dass die Organisation Internationale de la Francophonie „auf dem Feld der Sprachforschung und -pflege, des Sprachunterrichts, der Sprachenpolitik und der zwischenstaatlichen Beziehungen“ tätig ist. Die (vermeintlichen) Eliten vieler ehemaliger Kolonien, ein weiterer Aspekt, werden nach wie vor zum großen Teil an französischen Hochschulen ausgebildet.

Untrennbar von Frankreichs Kolonialgeschichte ist seine weitreichende Bereitschaft zu militärischer Intervention. Tobias Köpf listet für die Zeit von 1960, also der Hochzeit der Décolonisation, bis Mitte 2005 allein für die Region Subsahara-Afrika 29 französische Militärinterventionen auf[5]. Das Gros dieser Interventionen geschieht im Übrigen unilateral. Frankreich hat mit der Mehrzahl seiner ehemaligen Kolonien (oft nur unvollständig veröffentlichte) Beistandsverträge der unterschiedlichsten Art geschlossen (auf die sich naturgemäß unter instabilen politischen Verhältnissen verschiedenste Kräfte berufen können). Es macht hierbei auch keinen großen Unterschied, ob in Paris die Konservativen oder die Linke regiert: Statistisch sind die beiden Septennate François Mitterrands (1981 bis 1995) in der Interventionsdichte sogar die stärksten Jahre. Allein aus dieser Perspektive ist das Handeln der sozialistischen Regierung Hollande kein historisches Novum.

Die französische Linke hat sich schon mit den verschiedenen antikolonialen Bewegungen nicht immer leicht getan. Während die Haltung in Indochina nach einer kurzen Phase der Irritation klar war, d.h. an der Seite der Vietcong und Ho Tschi Minhs, war die Positionierung im Algerienkrieg weitaus schwieriger und langwieriger. Die algerische Befreiungsbewegung richtete sich im französischen Massenbewusstsein bekanntlich gegen l´Algérie Française, stand für die Loslösung eines Teils von Frankreich vom Mutterland (Algerien bestand aus drei Départements).

Selbst die Französische Kommunistische Partei (PCF), diese Abschweifung sei an dieser Stelle gestattet, vollzieht Ende der 1970er Jahre den bemerkenswerten Schwenk weg von der totalen Ablehnung der Atomwaffen, dies ist noch 1972 im epochalen „Programme Commun“ mit dem Parti Socialiste (PS) fixiert worden, zu einer Anerkennung der Force de Frappe als „Garanten der Souveränität“ des Landes. Der PCF verliert in dieser Phase seinen Charakter als unbedingte Friedenspartei. Aktuell streitet der „Front de Gauche“ (der PCF ist wichtiger Bestandteil dieses Bündnisses) um seine Haltung im Mali-Krieg; Vorsitzender Jean-Luc Mélenchon kritisiert vor allem die Informationspolitik der Regierung sowie das Fehlen klarer Projektionen bei den militärischen Aktionen, linke Strömungen im PCF um beispielsweise die Zeitschrift „Riposte“ lehnen die Intervention strikt ab („junge Welt“ vom 20.2.2013). Der Parti Socialiste steht nahezu geschlossen hinter der interventionistischen Politik des sozialistischen Staatspräsidenten François Hollande.

Frankreich und Mali

Die französische Kolonialpolitik in Mali beginnt im Jahr 1883, als Bamako von Kolonialtruppen besetzt wird und als Stützpunkt für die Durchdringung der Region in Richtung Nordosten dient. Auf der Berliner Afrika-Konferenz wird das heutige Mali 1884 in seinen – wie üblich – recht willkürlichen Grenzen bestimmt. 1894 wird die Agglomeration Timbuktu von französischen Truppen eingenommen. Zehn Jahre später wird das heutige Mali der Kolonie Französisch-Sudan angegliedert. Widerstand gegen die Besetzung der Region leistet vor allem der dem Stamm der Malinke angehörige Samory Touré. Der Widerstand wird Ende des 19. Jahrhunderts schwer geschlagen.

Mali wird, anders als Algerien, nicht Bestandteil Frankreichs, es wird zu einer Handelskolonie, deutlicher: Ausbeutungskolonie, ausgebaut. Das heutige Mali ist vor der Kolonisierung bekannt für seinen aus dem Besitz von Gold und Salz resultierenden Fernhandel; auch Sklavenhandel macht die herrschende Schicht reich. Die Kolonialmacht fördert systematisch den Anbau von Exportprodukten wie Baumwolle, Erdnüsse und Gummi Arabicum. Die Produktion von Nahrungsmitteln für die einheimische Bevölkerung hingegen wird unter der Kolonialmacht vernachlässigt. Paris stützt sich nach dem Prinzip des „Teile und Herrsche“ stark auf einheimische Autoritäten, die wechselhaft gegeneinander ausgespielt werden. Mali wird ein Teil des 1904 errichteten Generalgouvernements Französisch-Westafrika (Afrique Occidentale Française, A.O.F.), schließlich autonome Republik innerhalb der Communauté Française. 1960 wird das Land formell unabhängig.

Neben der allgemeinen Zerstörung der internen Strukturen – auf die Ernährungssituation wurde schon hingewiesen –, und neben einem umfassenden System der Zwangsarbeit trägt auch die Orientierung des Handels hin zu den Häfen Dakar und Abidjan am Atlantischen Ozean zur Verarmung des Landes während der französischen Besatzung bei. Hinzu kommen Zwangsrekrutierungen für die zwei Weltkriege.

Das Verhältnis Malis zu Frankreich ist in den vergangenen 50 Jahren wechselhaft. In den 60er Jahren versucht der erste Präsident des Landes, Modibo Keita, eine Art „malischen Sozialismus“ zu realisieren. Es kommt zu Verstaatlichungen, eine bescheidene Industrialisierung wird begonnen. Frankreich muss seine Militärbasen im Land schließen. 1962 verlässt das Land vorübergehend die Franc-Zone, die 13 schwarzafrikanische Länder über die Währung CFA-Franc (heute auch an die Euro-Zone angeschlossen) bis in die Gegenwart an Frankreich bindet.[6] Intern entwickeln sich typisch neokoloniale Strukturen mit Korruption und Misswirtschaft. 1968 stürzt Oberst Moussa Traoré in einem unblutigen Putsch Keita. 1978 gibt sich Mali eine neue Verfassung mit einem Einparteienregime. In den folgenden Jahren kommt es immer wieder zu Unruhen und Demonstrationen der Bevölkerung gegen die herrschenden Militärs. Zu Beginn der 1990er Jahre entwickelt sich im Nordosten des Landes, eine Art Vorgeschichte zum Jahr 2012, ein Bürgerkrieg mit den Tuareg mit tausenden Toten. Ursache ist zum einen die anhaltende Dürre in der Region, zum anderen die Rückkehr ausgewandeter Gastarbeiterfamilien aus Algerien und Libyen.

Heute leben in Mali auf einer Fläche, die etwa das Doppelte Frankreichs und das Vierfache der Bundesrepublik Deutschland ausmacht, 15 Millionen Menschen; das Land rangiert, obwohl, wie im Folgenden dargestellt, naturräumlich und mit Rohstoffen gut ausgestattet, auf Platz 175 von 194 im Human Development Index (HDI) der UN als eines der ärmsten der Erde. Zwei Drittel des Landes gehören zur Sahara. Zur Rohstoffsituation des Landes mit seinen Neuentdeckungen im Folgenden mehr.

Die realen Interessen hinter der Intervention von 2013

Am 11. Januar 2013 beginnt Frankreich mit Luftangriffen vor allem gegen Waffen- und Munitionslager. Wenige Tage später, beginnend am 16. Januar, rückt die französische Armee auch zusammen mit Teilen der malischen Armee mit Bodentruppen vor. Schnell werden die von Islamisten besetzten Städte im Norden Malis zurückerobert. Es befinden sich in der Hochzeit des Krieges rund 10.000 Soldaten im Einsatz, davon 4.000 französischer Provenienz. Die Zahl der Toten auf französischer Seite beläuft sich bis heute auf eine kleine zweistellige Zahl; die der (schlecht ausgerüsteten und teilweise politisch desorientierten) malischen Armee sowie der Aufständischen werden nicht verlässlich berichtet. Sie gehen in die Tausende.

Frankreichs Intervention in Mali geschieht natürlich nicht aus dem Stand heraus; sie ist als eine von diversen Militärstützpunkten in der Region begünstigte Option seit langem in der Vorbereitung.[7] Dass Frankreich gerade in Mali interveniert, hat sowohl politische als auch vor allem ökonomische Gründe. Offiziell geht es Anfang 2013 um die Unterstützung des vom Umsturz bedrohten Mali und seiner Bevölkerung. Tatsächlich besteht die Gefahr, dass islamistische Fundamentalisten das unter anderem durch den Militärputsch geschwächte Land umstürzen oder zumindest spalten. Mali als neues Rückzugsgebiet für mutmaßliche Terroristen bietet günstige Bedingungen für die bereits weit verbreiteten kriminelle Banden, die auf Drogenschmuggel, Menschenhandel und Entführungen spezialisiert sind – für Paris in dieser schwer kontrollierbaren Region weitere Gründe für eine Intervention.

Der schwerwiegendste Grund ist jedoch vermutlich nicht die Bedrohung des Landes oder der Bevölkerung durch einen vermeintlichen „Gottesstaat“, sondern die damit verbundene Gefährdung der Rohstoffversorgung Europas und vor allem Frankreichs. Die riesigen Reserven an Gold, Diamanten und Phosphat sowie die (in jüngster Zeit entdeckten) Vorkommen der Energieressourcen Erdgas, Erdöl und Uran sind es, die einen nicht unbedeutenden Anteil der französischen Versorgung ausmachen, bzw. viele weitere Investoren anlocken. Derzeit wird in Mali vor allem Gold abgebaut, aber in der Umgebung zwischen Gao und Kidal befindet sich auch Uran, auf welches Frankreich sich zur Nutzung für seine zahlreichen Atomkraftwerke einen Zugriff sichern will.

Große Erdgas- und Erdöl-Vorräte sind, teils länderübergreifend, in der Region vorhanden, werden jedoch in Mali seit Jahren wegen der unsicheren Lage nicht oder nur eingeschränkt gefördert. Das benachbarte Niger ist, und dies ist vermutlich der stärkste Grund für den französischen Krieg, aktuell der drittgrößte Uranlieferant der Welt. Gut 70 Prozent von Frankreichs Uran stammen aus dem Niger, gefördert vom französischen Unternehmen Areva. Hinzu kommt der Bau einer von Nigeria durch Niger bis nach Algerien (und damit zu den Häfen des Mittelmeers) führenden 4.000 Kilometer langen Pipeline, u. a. finanziert durch das russische Unternehmen Gazprom. Ein „gekippter“ Staat Mali würde eine Bedrohung all dieser Länder (und damit der Rohstoffförderung durch westliche Unternehmen) bedeuten.

Ökonomisch sollte man nicht aus dem Auge verlieren, dass Frankreich im vergangenen Jahrzehnt etwa ein Fünftels seines Anteils an der Welt-Ökonomie verloren hat. Geopolitisch ist Paris nach dem Fall der Verbündeten Mubarak, Ben Ali und Gaddafi enorm geschwächt. Das Machtvakuum in diesen Ländern wird aktuell durch die Golfstaaten, die VR China (bereits in den Uran-Abbau in der Region involviert), sowie durch die USA und Deutschland ausgefüllt.

Die Siegesmeldungen aus Paris sind zurückhaltender geworden. Bis Juli 2013 soll die Hälfte des französischen Kontingents abgezogen sein (FAZ v. 14.4.2013). Es bleibt dennoch abzuwarten, ob Frankreich in Mali, wie es Egbert Jahn eingangs schreibt, in einen „jahrelangen westlichen Interventionskrieg“ eingetreten ist.

Die Alternativen zur Pariser Interventionspolitik müssen mittelfristig gesehen und angegangen werden. Sie müssen einen Stopp der Unterstützung islamistischer Bewegungen (wie in Libyen, in Syrien und an vielen anderen Orten der Welt) umfassen, die sehr gut vernetzt zu sein scheinen.[8] Auch die Politik gegenüber den reaktionären Golfstaaten, die unter anderem in umfassenden Waffenlieferungen besteht, muss geändert werden: Saudi Arabien und Qatar gehören ohne Zweifel zu den großen Unterstützern der islamistischen Bewegungen in Mali.

[1] In einigen Details ausführlicher analysieren den Mali-Konflikt: Egbert Jahn in der Frankfurter Montags-Vorlesung vom 4.2.13 (http://www.gesellschaftswissenschaften.uni-frankfurt.de/institut_2/ejahn/ZSFraMoV13-NET-Mali-42.pdf); Hansgeorg Hermann in der „jungen Welt“ vom 21.2.2013 (S. 10/11) sowie Werner Ruf im Neuen Deutschland vom 16.2.2013, auch erschienen unter http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Mali/ruf.html. Diese Analysen diesen im Folgenden als Stoffsammlung.

[2] Christoph Marischka: Regime Change mal anders. In: Ausdruck 1/2013 (IMI, Tübingen). Die Homepage der IMI ist ebenso wie die des Kasseler „Ratschlages“ oder auch des Netzwerk Friedenskooperative immer eine Fundgrube für hervorragende Analysen.

[3] Umfassender hierzu, u.a. mit Karten bestückt, sh. meinen Beitrag Die ‘vergessenen Kriege’ von Indochina bis Tschad: die Rolle Frankreichs vom klassischen Kolonialismus bis zur Führungsrolle in der EU. In Roithner, Thomas (Hg.): Krieg im Abseits. Münster 2011.

[4] Sh. hierzu Frankreich-Lexikon (2. überarb. Auflage) Berlin 2005; dieses epochale Werk ist mit seinen über 1.200 Seiten nach wie vor eine Fundgrube für Politik und Wissenschaft.

[5] Köpf, Tobias: Die französische Sicherheits- und Militärpolitik in Subsahara-Afrika nach dem Ende des Kalten Krieges. In: Arbeitspapiere zu Problemen der Internationalen Politik und der Entwicklungsländerforschung 43/2005. Hg. Forschungsstelle Dritte Welt am Geschwister-Scholl-Institut für Politischen Wissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München.

[6] Sh. meinen Beitrag Die Rolle Frankreichs vom klassischen Kolonialismus bis zur Führungsrolle in der EU. In: Krieg im Abseits. (ÖSFK/Thomas Roithner, Hrsg.). Münster 2010.

[7] Sh. hierzu Christoph Marischka: Regime Change mal anders, a.a.O. Die folgenden Ausführungen stützen sich des Weiteren auf „Kabinett beschließt Mali-Mandate“ (FAZ vom 20.02.2013), auf German Foreign Policy: Eine lange Phase der Instabilität (04.02.2013) sowie auf die umfassende Berichterstattung der Tageszeitung „junge Welt“ (Berlin).

[8] Die FAZ (vom 18.4.2013) zu diesem Thema: „Sturm auf die Hauptstadt des Kalifats“.