Berichte

Krisen-Kriege-Klassenkämpfe

VII. internationale InkriT-Konferenz, 29. Mai bis 1. Juni 2003 in Berlin

September 2003

Der Titel der vom Berliner Institut für kritische Theorie (InkriT) ausgerichteten Tagung, geschuldet dem Zufall des Alphabets, das für Band 7 des Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus den Buchstaben K vorschreibt, konnte kaum treffender die gegenwärtigen Weltverhältnisse bezeichnen. Der Krieg im Irak, aufbrechende Widersprüche innerhalb des „transnationalen Blocks an der Macht“ - zwischen den USA und Europa, aber auch innerhalb Europas, sich zuspitzende Repräsentationskrisen von Europa bis Argentinien, dieses und vieles mehr, vor dem Hintergrund der ersten wirklich globalen Wirtschaftskrise und sich ausbreitender Arbeitslosigkeit, zeigen einen deutlichen Legitimationsverlust des Neoliberalismus an – Krisen und Kriege. Die Verdichtung der Widersprüche wird von den Herrschenden mit Krieg, Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte und verschärftem Sozialabbau beantwortet. Demgegenüber formieren sich überall soziale Bewegungen unterschiedlichster Couleur, mit unterschiedlichsten Zielen – also Klassen- (und andere) Kämpfe.

Der Eröffnungsvortrag von Werner Goldschmidt (Hamburg) widmete sich entsprechend dem jüngsten Krieg der USA gegen den Irak. Gegen die weitverbreitete Annahme einer schrankenlosen Macht der USA, analysierte er die Widersprüche zwischen den USA und Europa sowie innerhalb Europas als Ausdruck des Verlusts von Hegemonie im Sinne Gramscis und des Übergangs von Führung zur Dominanz der USA. Die militärische Stärke der Vormacht USA wird zur Schwäche der Hegemonialmacht USA. Samir Amin (Dakar) zeichnete die Geschichte des Imperialismus seit 1945 nach und versuchte, die strukturellen Veränderungen offen zu legen, die sich aus dem (angelsächsischen) Neoliberalismus als herrschender Ideologie und politischer Kultur ergeben. Auf die Gefahr, hierbei den Imperialismus auf das politische und ökonomische Kräfteverhältnis zwischen Europa und den USA zu reduzieren und damit Europa zu verklären, wies Ulrich Brand (Kassel) hin, dem es u.a. um eine genauere Identifizierung der Terrains sozialer Kämpfe ging.

Diese rückten durch den Vortrag von Pablo González Casanova (Mexiko-City) zur Frage von globaler Krise und globaler Kämpfe, mit der Gewichtung auf Lateinamerika, in den Mittelpunkt. Verónica Gago und Diego Sztulwark (Buenos Aires) berichteten von den basisdemokratischen Erfahrungen aus der Argentinien-Krise, konnten aber nicht erklären, warum diese im Moment der politischen Wahlen keinerlei Wirksamkeit zeigten. Klaus Meschkat (Hannover) warf in diesem Kontext die Frage nach einer adäquaten Strategie grundlegender gesellschaftlicher Veränderung auf und rechnete der Entwicklung in Brasilien eine größere Reichweite zu.

Doch die Formierung von Widerstand gegen das Modell neoliberaler Globalisierung beschränkt sich nicht auf die Linke - der stärkste Widerstand kommt bislang von rechts, von radikal islamistischen Gruppen. Zentrale Bedingung zur Entschärfung dieser Bewegung ist die Lösung des Israel-Palästina-Konflikts. Moshe Zuckermann (Tel Aviv) betrachtet die Chancen dafür mit begründetem Pessimismus. Er sieht ein doppeltes Dilemma: Ohne Friedensprozess bleibt Israel fortgesetzten Terror-Anschlägen ausgesetzt, die es mit militärischer Eskalation beantwortet, was eine weitere Radikalisierung der Palästinenser fördert. Umgekehrt führt die Rückgabe der besetzten Gebiete und die Räumung der Siedlungen jedoch zu einer Konfrontation, in der der Staat Israel sein Gewaltmonopol gegen die Siedler einsetzen und letztlich „Juden auf Juden schießen müssten“ (vgl. Das Argument 251). Ein israelischer Bürgerkrieg droht. Auch auf palästinensischer Seite drohen Zerreißproben: eine konsequente Bekämpfung extremistischer Gewalt führt zur Konfrontation zwischen der schwachen Palästinensischen Autonomiebehörde und Hamas, Al Aksa-Brigarden etc. Bushs road map könnte sowohl einen kleinen Schritt zum Frieden bedeuten wie als zündender Funke für die ganze Nahost-Region fungieren.

Im Vordergrund der Tagung stand wie immer die konkrete Arbeit an einzelnen Stichwörtern des HKWM – sie reichten von historisch-kritisch von Wolf Haug, quasi dem titelgebenden Stichwort des HKWM, über Immigration von Rose Folson (Toronto), Informationskrieg von Elvira Claßen (Trier) oder Ironie von Thomas Barfuss (Chur) bis zu herrschende Klassen von Hans-Jürgen Krysmanski (Münster) u.v.a.m. Insbesondere die Werkstatt zum Artikel hochtechnologische Produktionsweise von Frigga Haug (Esslingen) und Christof Ohm (Berlin) zeigte, dass es dabei nicht nur um das kritische Aufarbeiten einer langen Begriffsgeschichte geht, sondern um das Abklopfen der Begrifflichkeiten in Hinblick auf gegenwärtige Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise bzw. um die Reartikulation, ja Neuschöpfung von Begrifflichkeiten.

Die sogenannten Werkstätten zeichnen sich durch ihren intensiven Arbeitscharakter aus, der weit über das bloße Austauschen und Diskutieren unterschiedlicher Positionen und Ansätze hinaus auf einen kollektiven Prozess des Lernens und der Verständigung über die Anlage der jeweiligen Stichwort-Artikel zielt. Die Entwürfe der Artikel werden zuvor verschickt. Der größte Teil der 120 Konferenzbesucher war somit durch Vorbereitung eigener Stellungnahmen, Kritik, Ergänzungen etc. in den Ablauf eingebunden. Die Ergebnis-Orientierung und die Aufhebung der scharfen Trennung von Vortragenden und Zuhörern stiftet eine ansonsten auf Tagungen selten anzutreffende Intensität des Zusammenarbeitens.

Im Hinblick auf ihre Internationalität und den Anspruch, Netzwerke zu knüpfen, war die Konferenz hervorragend besetzt. Die Teilnehmer aus mehr als 15 Ländern aller Kontinente belegen eine fortschreitende Internationalisierung der Arbeit am Wörterbuch. So nimmt zum einen die Übersetzung des HKWM ins Englische Konturen an, zum anderen ist der erste Band des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Feminismus im Erscheinen, welcher sowohl ins Spanische als auch ins Russische übersetzt wird. Das HKWM wie das HKWF belegen, dass es nicht um Bewahrung historisch vergangener theoretischer Debatten geht, sondern um die permanente Aktualisierung und Schärfung der Begriffe und theoretischen Instrumente angesichts gegenwärtiger geschichtlich wirksamer Entwicklungen und Widersprüche. Dem dient in besonderer Weise die generationsübergreifende Internationalität der InkriT-Konferenzen und die Möglichkeit, in den einzelnen Werkstätten in kleinen Gruppen mit herausragenden Vertretern der globalen Linken theoretische Arbeit an Begriffen zu leisten.